
Bambule in der alten Bundesrepublik, doch Anita Pallenberg will nicht im Gefängnis trommeln und macht sich trotzig daran, ein in diesem Tonfall ganz sicher nicht zu verschleierndes Verbrechen zu vertuschen. Volker Schlöndorff, der mal rebellischeren Wind ins deutsche Kino wehte, als ihm im Allgemeinen nachgesagt wird, hilft ihr dabei, ist trotz Platz auf dem Regiestuhl nur willfähriges Instrument. So fasziniert ist sein Film von, so auf Anstoß wartend durch eine maximal unentschlossen agierende Frau, dass er sich kurzerhand ihren Macken angleicht.
Plötzliche Piroutten, Halbkreise, die Umkehr mitten im Schritt, ein Schlenkern, Taumeln, Irrlichtern – Pallenberg erobert jeden Raum, in den sie Fuß setzt, bezirzt die allzu offensichtlich mit ins Verderben laufenden Kerle … durch Unsicherheit. Hans Peter, Manfred, auch Volker. Sein Film weigert sich einzusehen, den Tatsachen ins Gesicht zu sehen, wie man so schön sagt, stürzt sich stattdessen Seite an Seite mit seinen Figuren in Weltüberschreitungen.

In den muskelbewehrten 1980er Jahren galt zumindest im hochgradig kommerziellen Segment des Kinos nicht selten als cool, wer sich rücksichtslos behaupten konnte – gegen ganze feindliche Armeen, gegen schmale Waden, gegen die schnöde Brotarbeit. Ja? Nein, eher nicht, es war ein strebsames Jahrzehnt, die Körperoptimierung des Menschen erreichte neue Höhen. Mike und Thommy können sich leider weder mit einem enthusiastisch ausgeführten Job noch mit dem gestählten Körper eines Adonis rühmen. Mens fervida in corpore lacertoso – nicht ganz, Monsieur de Coubertin. Und diese Nasen erst. Generell scheint sich „Die Supernasen“ der despektierlichen Wendung, die der simple Name unseren Riechkolbens bei umgangssprachlicher Anwendung erfahren kann, sehr wohl bewusst. Sie leben halt so in den Tag hinein, die beiden Nasen, in dieser endlich von ganz großen Produzenten und noch größerem Publikum wiederbelebten Neuauflage des gepflegten Münchner Slackerfilms. Klaus Lemke in poliert und überaus wohlbudgetiert, denn wie schon gelegentlich bei Cleo und Wolfgang verschwimmt die Distanz zwischen Protagonisten und Darstellenden nicht allein beim Rollennamen.
„Die Supernasen“, der Film, in dem zwei Typen, die – glaubt man dem das Populärkreative chronisch gering Schätzenden – halt sonst nicht viel konnten, zwei Typen spielen, die halt sonst nicht viel können.

Glauben Sie, dieser junge Mann läuft vor etwas davon? Ob einer was ausgefressen hat, so heißt es, erkenne man an der Abruptheit der Bewegungen, daran, wie er oder sie rastlos und ohne Plan von A nach B eilt. Auch in Juan Antonio Bardems spanischer Giallo-Variante „La corrupción de Chris Miller“ lässt eine vage Unruhe im Gewissen oder der Vergangenheitsbewältigung zahlreiche Charaktere anlasslos rotieren. Nach seinem Auftaktmord rast in der Creditssequenz ein Zug zu Waldo de los Ríos unruhig-süßlichen Melodien quer durch durch ein Landschaftsstillleben Kantabriens, übergangslos bildlich hervorgegangen aus der noch befußten Flucht des Mörders. Ihm entsteigt Herumtreiber Barney (Barry Stokes), der auf der Suche nach Bleibe bald bei dem ungleich unflexibler im gemachten Nest des abspenstigen Gatten wie Vaters aussichtslos dessen Rückkehr harrenden Mutter-Schwiegertochter-Gespanns Ruth (Jean Seberg) und Chris Miller (Marisol) aufschlägt. Lange bevor Bardem sie auch narrativ zusammenfinden lässt, weiß man, dass Barney und Chris wie geschaffen füreinander sind, bewegt sie sich doch auch mit Gusto auf Pferd oder Rad zwischen den wenigen Ablenkungsorten der Provinz hin- und fort. Doch scheint ihr der Ausritt an sich wichtiger zu sein als die Pferde und der recht zutrauliche Hofbesitzer.

Our films are live Disney movies, if we hold them out of circulation for 5 to 6 years, they’re PINOCCHIO all over again – playing to a brand-new audience. The number of people interested in porno is probably fixed in relation to the population. This is literature of a kind – I don’t know how it’s recognized today, but we’ve created a large body of it – maybe it’s the Mickey Mouse of the year 2000!
(Jack Deveau)

Entkörperlichte Hände wirken in rasanter Schnittfolge auf diverse Instrumente ein, oben, unten, rechts, dann links, während die Credits wie stramm durchgespielte Notenblätter in und aus der Kadragenmitte flattern. Der erste Walzerkrieg ist in Ludwig Bergers gleichnamiger Tonfilmoperette bereits entfacht, bevor wir überhaupt erfahren, wer hier wen bekämpft. Entsprechend angespannt dominieren zuvorderst Geigen sie von vorne bis hinten. Musik gibt den Ton an und sie nimmt ihn auch wieder weg. Ein beinahe 180°-Schwenk eröffnet den Reigen durch die Gesamtheit eines vereinsamten Biergartens hindurch, entlang am schleppenden Gang des diesen durchstreifenden Wirtes, dem untermalt von forschen Klängen eine fast unerträgliche Ruhe innewohnt, am Tisch des einsamen Gastes angelangt folgt endlich ein Schnitt. Auf der anderen Seite des Zaunes steppt der Bär. Blickdrehungen und Schnitte begreift „Walzerkrieg“ vor allem als Gegenüberstellungsmittel, zwischen Feiern, Kontrahenten am Instrument, ganzen Kapellen, den Druckstufen, die die Finger des jeweils anderen ins Spiel des so auf Gedeih und Verderb zum Partner Erklärten legen. Was Musik im Menschen anrichtet, davon handelt dieser Film. Den größten Spaß haben dabei jene, die ihren eigenen Takt bereits als seelisches Uhrwerk verinnerlicht haben – diebisch schleicht sich Willy Fritsch für ein Busserl von der Trommel fort und zählt über die Einwürfe seiner Liebsten hinweg die Takte bis zum nächsten Einsatz laut mit.

Lise!
Trockne deine Tränen
Und weine nicht
“L’ultimo orgia del III Reich”, der einzige Nazisploitationfilm des nicht bloß im Bezug auf seine präferierten Genres schwer festnagelbaren Cesare Canevari eröffnet mit einem Titelsong, dem, man merkt es im Laufe des sich anschließenden Films recht schnell, eine Aufgabe zufällt, der sich die verrätselten Bildeindrücke schlicht verweigern. Fremdbestimmend, immerzu im Imperativ oder Tone auktorialer Einsicht gehalten, pflanzt er bereits spekulative Empfindungen fremden Geistes in eine Frau, bevor wir diese überhaupt kennenlernen dürfen. Einzig an Lise Cohen (Daniela Poggi) gerichtet gewinnt der insistierende Klang der deutschen Erzählstimme vor mit eisernen Kreuzen verzierten Credits retroaktiv in Relation zu den folgenden Barbareien deutscher Nazischergen einen fast hämischen Unterton. Als Alpha und Omega des Filmes wirkt dieser Rahmen wie eine Aufforderung zum Vergessen des gerade Gesehenen, nicht von Canevari angestimmt, sondern schlicht im Stile einer 1977 zumindest unter Deutschen weit verbreiteten Haltung im ungut paternalistischen Ton (“Lise! Kleine Lise!”) – ein Monolog ohne Raum für Antwort. Doch was gilt es überhaupt zu vergessen? Der Inhalt zwischen dieser Klammer verweigert eine druckreife, in schnöde Worte übersetzte Antwort.

Ein bisschen der neorealistische „Grosse Freiheit Nr. 7“. Helles, natürliches Licht, Schatten, die niemandem einen Schrecken einjagen, die geheimnislosen Kontraste der Wirklichkeit in ungewohnt schmucklosem Schwarz-Weiß. Die geschäftige Ruhe der 1950er Jahre dehnt sich aus auf Märkten, den Mündern der Schausteller, in Kneipen, einem Zeitenbild, dessen Lokalkolorit wie unsimuliert erscheint. Wenn Käutners Ode auf die Individualität Wunschbild aus dunklen Zeiten ist, drängt sich hier das Wort Abbild auf. Eine von oben herab den Pfad statt den Rhythmus des Gehetzwerdens zwischen Fischbuden nachmessende – eben nüchtern abbildende – Verfolgungsjagd wirft Ausschmückung dazu. Filmische Bewegung, Kranfahrten, die glanzvolle Raffinesse alter Meister. „Freddy, die Gitarre und das Meer“ ist ein Film der Gegensätze. Des Titelhelden gedrungener Körperbau und seine sanftmütigen Züge vor dem fürsorglichen Seelenleben – schon ganz für sich ein wunderbarer Kontrast. Alle löst Wolfgang Schleif sie gleich auf, Minus mal Plus ergibt bei ihm doch immer nur Plus – nicht Naivität, schiere Warmherzigkeit. Die ist eine Bulette auf die Faust und bloß maskiert hinter Peter Carstens schnoddrigem Seemannsgebell, der distinguierten Schmierigkeit Harry Meyens. Wirklich jedem zaubert sie früher oder später ein Lächeln ins Gesicht, die Musik, biegt sie die Minen alarmierter Nachtwächter und Kommissare kraft ihrer animierenden Wirkung ins Gegenteil.

„Köln-Ehrenfeld, Hüttenstraße“, proklamiert Dietrich Schubert, das künstlich verlängerte Auge auf den Tunnel unterhalb einer Bahnbrücke gewandt. Ein Auto durchfährt das Schwarz inmitten des hellen Tageslichtes – nun setzt sich auch die Kamera in Bewegung, während auf der Tonspur die ersten Takte Víctor Jaras „Cai Cai Vilú“ aufklingen, aus der Gitarre eines Toten Leben in die wohl mittägliche Ruhe der Großstadt tragen. Vorbei an stillstehenden PKWs, Werkstätten außerhalb jeder Betriebsamkeit und einer Ampel, die keinen Verkehr zu kennen scheint, folgen wir dem Verlauf dieser prägnanten baulichen Erhöhung. Der Rhythmus Lateinamerikas wird infektiöser, überbordender, bis ihn ein rascher Schnitt vorzeitig zum Erliegen bringt. Stille über einer rahmenlos eingebetteten, vermehrt ihrer eigenwilligen Textur wegen erkennbaren Fotografie. Nationalsozialistische Uniformträger hochoben hinter dem Geländer ebenjener just erkundeten Brücke, das filmische Auge vermisst auch sie betulich weiter rechtswärts wandernd – ganz als hätte es diesen jähen Bruch der Zeitebenen nie gegeben. Dann setzt sie wieder ein und wieder aus, die Musik. Menschentrauben, das berühmt gewordene und später doch als gar nicht zu derer der Ehrenfelder Gruppe gehörig erkannte Portrait einer Massenhinrichtung. Aus, an, immer schneller, einer ureigenen Taktung der Bilder folgend – bis Jaras Komposition nur mehr in Form zahlreicher, zunehmend zusammenhangloser Fragmente zwischen Bildeinheiten exsitiert, die Trommel für längst verhallte, auf dem Fotopapier jedoch auf ewig im Marsche begriffene Stiefel einspringt, ihnen so zu neuem Leben verhilft wie die ihre Schneise nachziehende Kamera.

I’ll find a place somewhere in the corner
I’m gonna waste the rest of my days
Just watching patiently from the window
Just waiting, seasons change
BRIAN ENO – I’ll Come Running
Just keep on like I do and pay no attention. You’ll find that people always will complain about the atmosphere, either too hot or too cold too bright or too dark, days too short or too long.
FRANK O’HARA – A True Account of Talking to The Sun on Fire Island

Deep in the heart of a lonely city
I wandered sad and all alone
Then in the heart of a lonely city
I saw the girl that I want for my own
(John Leyton – Lonely City)

Ein sonderbarer Film, so möchte man über den Verlauf seiner gefühlt ersten Hälfte hinweg fast durchweg meinen – so proppevoll mit Referenzen an die große Zeit messerbetriebener Genreentwürfe, ein wenig überfällt von ihnen fast. Der, pardon the pun, fesselnde Auftaktmord aus William Friedkins ohnehin unübersehbar Pate gestanden habendem „Cruising“ (1980), die selbst ausgewiesenen Fußfetischisten das Fürchten lehrenden Zehenübergriffe aus „Lo squartatore di New York“ (Lucio Fulci, 1982), des Mörders Seelenreise, die an eine bösartig verfremdete Version von Jacques Scandelaris „New York City Inferno“ (1978) gemahnt, Zauberweltenschwulenpornos à la Wakefield Poole, Schnapsexzesse hinterm Steuer wie man sie bereits ausgiebigst von Franco Nero kennt – dies alles und noch viel mehr taucht in Yann Gonzalez so hitzig schwülem wie unerschrocken schwulem Neo-Giallo-Entwurf in Form penibelst studierter Pastiches erneut aus den schlammigen Untiefen der filmischen Vergangenheit auf.

Take this kiss upon the brow!
And, in parting from you now,
Thus much let me avow —
You are not wrong, who deem
That my days have been a dream;
Yet if hope has flown away
In a night, or in a day,
In a vision, or in none,
Is it therefore the less gone?
All that we see or seem
Is but a dream within a dream.
(Edgar Allan Poe – A Dream Within a Dream)

Is this the real life? Is this just fantasy?
Caught in a landslide, no escape from reality
(Queen – Bohemian Rhapsody)

Ein letztes Aufbäumen des deutschen Expressionismus – wie prächtig aufblitzende, allzu bald jedoch schon wieder zu verglimmende Sternschnuppen segeln Stewart Grangers Männer in totenstiller Wüstennacht am Fallschirm dem weichen Boden entgegen. Aufgereiht wie die Glieder einer Kette, einer rigiden Richtschnur vielmehr, gleich einer Übertragung des Wasserballettes in die Lüfte. Fausto Tozzi, der getroffen in Richtung Kamera tänzelt, fällt, sich aufrappelt, den Schmerz aus seinem Gesicht wischt, wieder und wieder von vorn, bis ihm eine letzte Salve unbekannter Hand endlich den Garaus macht. Dem Kampf geht in Frank Wisbars vorletztem Kinofilm jegliche Satisfaktion ab, seine wie in den Kriegsfilmen Sam Fullers zumeist unsichtbaren Feinde sind nie Anlass heroischer Körperverschmelzung im Ringen Mann gegen Mann, stets eine außerhalb der Kadrage wütende, die Menschengeschicke darin indes lenkende Urkraft. Für den die zeitlebens miterlebten Kriege offenkundig müden Wisbar ist der Konflikt nichts als ein Reigen determinierter Ereignisse. Peter Carsten, dem der Enthusiasmus für die Zunkunft die Vorsicht raubt, Riccardo Garrone, der große zweifelnde Gaukler, dem in der Fürsorge für seine ihn im Sterben umringenden Kameraden endlich wieder sein Gott erscheint, bevor die Kugeln ihm den Rücken zerfetzen.

„Buddies“ – the cinematic swan song of noted gay pornographer Arthur J. Bressan Jr. – is a highly unusual film, less as a result of the obvious expectations evoked by a small scale and utterly devoid of explicit sex chamber piece between just two characters of importance, more because of its striking insistence to structure a visual narrative entirely around its main character’s chosen profession. David Bennett (David Schachter) is a timid young typesetter through a voluntary programme assigned as buddy to formerly outspoken gay rights activist Robert Willow (Geoff Edholm), a man inescapably and quite miserably dying from AIDS in the dull confines of his hospital bed. Both men slowly grow accustomed to each other, share sometimes heated, sometimes aperitive discourses on coming out, the pitfalls of publishing ardently anti-gay voices‘ epistles first, then a good laugh watching old holiday videos and lastly the scant intimate moments their surroundings and Robert’s illness permit. Hardly a minute of film is lacking either man’s presence and yet almost everything we see stems directly from the eyes of David, or rather his hands – for they create what we absorb. Stories of last breaths sighed in the shadows, of individuals turned into mere numbers by the frightening grip of a cold, non-selective pandemic defying any try at emotional apprehension.

Zwei stilistische Fortentwicklungen eng verzahnt: Den oft feixend an den Randfasern des im deutschen Kino so wichtigen heiligen Ernstes bei der Inszenierung auch heiterer Kost operierenden Regisseur Alfred Vohrer (1914 – 1986) und den alle Bemühungen der Regie stets in angemessene Entsprechung kleidenden Filmkomponisten Peter Thomas (1925 – 2020) verband 1966 bereits eine stolze Reihe von sechs Kollaborationen in jeweils weniger als zehn Jahren beim Kino, als ersterer zweiteren endlich auch bei dem wohl größten Prestigeprojekt seiner Gesamtlaufbahn zur Seite gestellt bekam. Die Karl-May-Filme der Rialto Film gingen mit “Winnetou und sein Freund Old Firehand” in die nächste Runde, wurden jedoch zuvor im Boxenstopp merklich verjüngt. Lex Barker sowie Stewart Granger, die alternden Allzuverlässigkeiten deutscher Populärkultur, wichen von der Reihe, der attraktive Italiener Rik Battaglia wurde nach seinem reichlich Liebespost kostenden Ikonenmord im Abschluss der Winnetou-Trilogie zur heißblütigeren Version eines Westhelden befördert. Die Schurken machte man in Abweichung zum Gros der übrigen Filme zu aus schierer Bereicherungslust mordenden Desperados, rachegetriebenen Soziopathen und sogar vergnüglich-einnehmenden Antischurken. Weiterlesen “Peter Thomas und das Erwachen der Avantgarde bei Alfred Vohrer – Eine freudige Erinnerung zum Jahresende” »

Comic books showed me the way
Silver Surfer, Iron Man
The Thing and Spider-Man
(Killer Barbies – Comic Books)
Weiterlesen “Tonale Bewegungen und Gegenbewegungen in Jesús Francos „Killer Barbys“ (1996)” »

Auf der Leinwand spielt sich ein Kuddelmuddel überkonstrastreicher Mehrfachbelichtungen ab – streng begutachtet wird es im enthüllenden Gegenschnitt von Christoph Schlingensief, der sogleich bestimmt, einige Teile und Effekte in der Postproduktion herauszunehmen, die eigene Schöpfung im Nachgang dekonstruiert sowie anders arrangieren will. So öffnet Bettina Böhlers Portrait des vor nunmehr zehn Jahren unzeitig allen irdischen Kontroversen entrissenen Enfant Terrible; ein Vorstoß, der programmatisch ist für die sich entspinnende Herangehensweise an einen allzu bekannt Gewähnten. “Schlingensief – In das Schweigen hineinschreien” beginnt und endet mit, bettet dazwischen sanft: Dekonstruktionen, materialästhetisch, inszenatorisch oder profan rekapitulierend, alles ist mehrebig und von verschiedenster Quelle. Interviews folgen intimen Interviews der Kindheit, diesen Filmausschnitte, jenen Talkrunden und multimediale Happenings, dann wird variiert und neu gemischt. Dokumentarfilm als Kartenspiel – nie weiß man, was als nächstes ausgeteilt wird. Der Schnitt aus Böhlers eigenen, vielgewandten Händen ist meisterhaft, ein Arrangement an Auszügen, die Leben und Werk Schlingensiefs in beständig wechselnde Relationen setzen. Relationen, die genauso gut gänzlich anders ausfallen könnten, das scheint ihr der Schlüssel zum Werk. Weiterlesen “Zehn Jahre Schlingensief und der Filmschnitt als Diskursstifter mit „Schlingensief – In das Schweigen hineinschreien“ (2020)” »

(Stephen Stills – Love the One You’re With)
Weiterlesen “Die bezaubernde Elegie des Niederganges – Byleth (Il demone dell’incesto) (1972)” »

(Heino – Was träumen Matrosen)
Weiterlesen “Träume überm Schimmer der Kanäle – Terminator II (1989)” »

In Gänze untypisch für den des über das Chronistische Hinausgehenden zumeist abholden Dokumentarregisseur Dietrich Schubert beginnt „Ein blindes Pferd darf man nicht belügen“ mit einem Reenactment, das vergleichbare Neubeschreitungen des vor Jahrzehnten bereits Durchschrittenen in „Kriegsjahre in der Eifel“ (1989) dadurch transzendiert, dass es sich bei der Protagonistin nicht um eine eigens Erlebtes aufrollende Zeitzeugin handelt, sondern Ehefrau Katharina in einer inszenierten und als ebensolche zu erkennenden Rolle. Schweren Schrittes stapft sie durch den dichten Eifler Schnee, zwei Pakete im Schlepptau – verstorbene Kinder, wie uns Erinnerungen der Zeitzeugin Therese Pützer versetzt verstehen lassen werden. Ein erhebender Moment, immer wieder regnet das sanfte Pulver von den unentwegt stapfenden Sohlen hernieder; erst im Tempo der Wirklichkeit, dann in Zeitlupe, am Ende des Filmes schließlich in Wiederholung – alpha und omega. Zerdehnung, räumliche Ausdehnung über die Vergänglichkeit des Miterlebten hinweg, das ist indikativ für diesen eigenartigen dokumentarischen Grenzgänger, der das Hinterfragen für die Dauer von 90 Minuten aus seinem Wortschatz streicht und durch die Magie des Staunens ersetzt, den jahrzehntealten Moment in die einstige Gegenwart hievt und nunmehr an das Überleben nicht eines einzelnen Menschen sondern des Filmmaterials koppelt. Auch ein Hinweisschild dafür, dass es hier nicht vorrangig um die Suche nach Antworten zu Fragestellungen von historischer Relevanz geht, sondern um ein richtiggehendes Einleben im reichhaltigen Geschichtenfundus des West-Eifler-Menschenschlages. Um Identifikation, jedoch auch derer Grenzen, auferlegt durch den Status des Zugezogenen, Nachgeborenen oder gänzlich Außenstehenden beispielsweise. Vielleicht ist dieser auch jener unter Dietrich Schuberts Filmen, mit dem der Görlitzer Flüchtlingsjunge, Seefahrer und später lange in Köln, dem nordrhein-westfälischen Nabel zur großen Welt, tätige Filmemacher endgültig zum Eifler wurde. Ein durch das Umgebende geprägter Transitionsfilm als Gegenstück wie letzter Teil einer vagen Trilogie zu den noch vermehrt an der Landschaft an sich oder deren Erschließung von außen interessierten „Ein trefflich rauh Land“ (1987) und „Das Dampfross kommt“ (1988), in dem die übergeordneten, weltlicheren Themen der Eifler Arbeiten am fernsten scheinen. Weiterlesen “Dietrich Schubert – Die Stilistik des Erinnerns: Ein blindes Pferd darf man nicht belügen (1992)” »

Die bislang letzte Regiearbeit des Eifler Dokumentarästheten Dietrich Schubert erreichte 2013 in einer Zeit die Leinwände, die schon zu den Ausläufern der zunehmenden sinnlichen Vereinheitlichung des Dokumentarfilmes und nahezu völligen Einstellung breitenwirksamen Dokumentarkinos aus deutscher Produktion gehörte. Was einmal die dem Experimentalfilm, seinem speziellen, vermehrt strukturell geprägten Fluss, der Form um Sub- wie Objekte, womöglich am nächsten stehende Art des Bewegtbildes war und damit Filmschaffende anzog, die wie Schubert vielfältig expressiv zwischen Experiment, Dokument sowie dem gelegentlichen Spielfilm zu wechseln vermochten, wurde Spielwiese spezifisch an einer funktionalen (Fernseh-)Ästhetik ausgebildeten Nachwuchses, dessen höchste redaktionelle Aufgabe die Thematik allein ist. Die Bildebene an und für sich wird zum Sklaven des Konzeptes, nicht seinem vielstimmig kündenden, die Gedanken weiter auffächernden Botschafter; die Zuschauenden zu weitestgehend Unmündigen, denen die Einordnung eines stilistischen Überhanges über dem kleinsten ausgeschriebenen Nenner zumeist nicht obliegt. Weiterlesen “Die Autonomie der Bilder in Dietrich Schuberts „Köln 5 Uhr 30 / 13 Uhr 30 / 21 Uhr 30“ (2013)” »