Immer nur dabei gewesen – Roger Fritz: Boulevard der Eitelkeiten (2022)




    Roger Fritz, fotografiert von Herbert List

    Um meine Gedanken nicht zu verraten, nehme ich sofort die Kamera in die Hand.
    Wenn ich den Apparat vor das Auge halte, ist er wie ein Schutzschild.

Immer nur dabei gewesen – diesen Eindruck kann man rasch gewinnen, liest man allzu oberflächlich durch den „Boulevard der Eitelkeiten“ quer, der einige Monate nach seinem Tod im einmal mehr coronabedingt vom regen Treiben menschlicher Geselligkeit bereinigten Spätherbst 2021 das Vermächtnis des Fotografen, Filmemachers, Gastronomen, an erster Stelle jedoch immer Lebemannes Roger Fritz darstellt. Unwissend wohl auch im Spätherbst des Lebens begonnen, jedoch erst unter dem Eindruck des eigenen Todes erschienen und von anderen weiter redigiert, beschreitet es einen dem plötzlichen Gefühlsumschlag zugetanen Pfad zwischen Feier des Lebens und Andacht. Vorrangig beiläufige Anekdoten, flüchtige Begegnungen von anhaltendem Eindruck verdichtet Roger Fritz – alle Fallstricke selbstgefälliger Memoiren umschiffend – zu einem plastischen Eindruck von seiner langen Zeit ganz nah am Zentrum der Aufmerksamkeit. Die saftigen Geheimnisse des Promijournalismus hiergegen nimmt er weise mit ins Grab. Sie wären fehl am Platze, denn er, der mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit alles gesehen hat, erdet die kommentierte Führung durch 79 Berühmtheiten und eine große Liebe seiner Lebensjahre durch den untrüglichen Blick für das Besondere im Alltäglichen. Wie immer es auch ausfallen mag. Da kennt er nichts.

Entfernt Gemeinsames zwischen Hjalmar Schacht, der sich zum Portrait in steifste Posen von vor der vorletzten Jahrhundertwende werfen mag, das Natürliche offenbar nicht erkennen hätte können, wäre es ihm ungebremst ins gestriegelte Gesicht gedonnert, und Hermann Bahlsen wiederum, welcher alle expressiven Posen wie ein tausendfach geübtes Model durchgeht. Eigene Erfahrungen mit einer von Paul Bowles in Tanger zusammengerührten Drogenpaste, die den Erzählstrom einnebeln darf, als könne man sich wahrlich an kaum noch anderes Ereignisreiches des Aufenthaltes erinnern. Wovon er erzählt, was er verschweigt, das unterliegt spitzbübischen Erwägungen, die nur Roger Fritz selbst kannte und die sich in seinen begleitenden Fotografien aus über sechs Jahrzehnten spiegeln. Jener spezifischen Mischung aus Nähe wie Distanz genauer, die allein das leichtherzig-königliche Amüsement übers Leben kennt und seinem fotografischen Werk stets eigen war. „Einem Gegenüber ins Gesicht zu sehen, erzeugt nicht immer Nähe.“, hält er einmal über den Prozess des Kennenlernens fest. Viele seiner Portraits dokumentieren ein solches, Nähe und Ferne nimmt er nach Bedarf hinzu, zum Herzschlag der intendierten Erzählung. Das war damals, für Quick, Twen, die Bunte, so viele andere Blätter – heute sind viele von ihnen anders eingeordnet, Teil eines Remix, der allein verbal nachtragen kann, was das Leben in diese Züge noch einschleifen sollte.

    Romy Schneider am Telefon

Dieses Spannungsfeld manövriert er mit Bravour sowie bescheidenem Eingeständnis; mehr über Roger Fritz als aus den Zeilen, die er anderen widmet, hat man selten erfahren dürfen über den Mann, der eigene Erfolge gerne in das Abseits größerer Schatten stellte. Eine letzte Begegnung mit Romy Schneider, allein am Bahngleis, überdauert alles, was man zu ihrem Ruhm auch vorschieben könnte. Aus dem Abgleich von fotografischem Gestern und den Erinnerungen von heute drängt eine dezente Melancholie; anstatt zu erzählen, was in diesem Moment wirklich zwischen den beiden geschah, entwirft das Zusammenspiel der Elemente ein Bild von ephemer Traurigkeit. Roger Fritz, der ewige Charmeur, bisweilen beginnt man zu ahnen, dass selbst jemand wie er wohl nicht immer der Freund sein konnte, der er vielleicht unter anderen Umständen, in einem anderen Leben gerne gewesen wäre. In diesem herrschte schon von Berufs wegen reger Durchgangsverkehr. Im Guten, fernab der grellen Lichter auch im Schlechten. Es ist nicht bloß der Genießer, der schweigt.

Offenherzige Schweigsamkeit, dieses Oxymoron beschreibt den früh selbst zur öffentlichen Person und zum Münchner Original gewordenen Universalkünstler im Umgang mit dem eigenen Brennglas überm Haupt gut. Er kannte die Abwägungen, kennt sie auch beim Schreiben über Zeitgenossen – nicht zur Salzsäule erstarrt, aber gleichsam nicht respektlos. Die Beatles waren „Jungs“, der Rummel des Showgeschäfts bleibt auf Distanz, die Tragik im Leben einiger Vorausgegangener konzis und sachlich auf konkrete, nachempfindbare Essenz verdichtet. Alles wird dominiert von der unbändigen Liebe zum Genuss des Profanen – wohin es auch geht, die freudige Überraschung über die ferne Kulinarik ist stets eingepreist, immer wieder fantastisches Essen, dann großartiges und abermals von vorn. Das ist symptomatisch. Zumeist steigen die ein- bis zweiseitigen Vignetten mit kartografischen Angaben ein; sie sind ein Augenblick, kaum mehr, ortsgebunden, gebunden auch an die Zeit – das ihr immanente Vergängliche ist angenommen. Vergänglichkeit selbst der größten Leistungen, Erfolge, Ehrungen spricht nicht selten aus den Stationenreisen der Kurzbiografien. Abrisse sind sie davon, warum diese Menschen Teil des popkulturellen Gedächtnisses wurden. „Es fehlen noch einige, die Konstanze Vernon verliehen bekam, und es wären noch mehr geworden, hätte sie uns nicht am 21.01.2013 verlassen.“

    Hardy Krüger mit elefantösem Freund

Salopp, im Reinen mit dem Dahinscheiden, im Reinen mit dem Gang der Dinge. Roger Fritz freute sich noch auf möglichst viele, möglichst zufällige Wiederbegegnungen mit Mario Adorf oder Peter Kraus, akzeptierte, dass es vielleicht keine gibt. Wenig überraschend sind es jene, die es leicht nahmen, die ihm offenkundig lagen. Bei ihnen tut es eher ein informeller Gruß denn eine Rekapitulation, die schiere Wertschätzung, die für den Menschen Mario Adorf aus besonders spärlichen Zeilen entspringt, gibt bei aller Lakonie ebenso viel Aufschluss über Tieferliegendes wie der enthemmte Überschwang mit enfant terrible Helmut Berger. Es steigt etwas wie Bewunderung aus den Tiefen der Nonchalance empor. Hier wie da ist die Rolle, die Roger Fritz sich selbst in der Rückschau zugesteht die eines Beistehenden. Weiterführend freigelegt wird dadurch etwas, das seinen Aufnahmen der Reichen und Schönen immer schon innewohnte. Mit ihrer sehr genau abgestimmten Nähe-Distanz-Abwägung sowie dem Auge für gar nicht mal so ungewöhnliche Situationen in außergewöhnlichen Leben eröffnen sie eine ihnen ganz eigene Form der sozialen Durchlässigkeit. Der Blick des Jedermanns, der vielleicht ein wenig Glück mehr hatte als die meisten, aber zumeist einfach zur rechten Zeit dabei war – ein letztes Mal ist er formidabel darin, diesen von ihm offenkundig präferierten Außeneindruck aufrecht zu erhalten. Ein wenig Geheimnis muss auf alle Zeit bleiben.

Menschliches und Allzumenschliches selbst in den mächtigsten Köpfen wird akzentuiert durch das knapp bemessen Prosaische der profunden Menschheitsliebe, die von flotten Fingern im gleichen Atemzug heruntergespielt wird. Vor allem bei Menschen, die ihm gut sichtbar privat viel bedeuteten, auch jedoch in der Nachlese zu den ganz Großen. So spöttisch sich die Einlassungen zu Helmut Kohl lesen, sie gipfeln im rumpelig Normalen der gefundenen Altersliebe, einer Versöhnungsgeste etwa, die sich subtil umkehrt, wenn auf Gerhard Schröders harte, empfindsam geschilderte Jugend zum guten Schluss die Liason mit russischem Öl folgen darf. Hat es etwas zu bedeuten, das Politische bleibt gewohnt enigmatisch, muss man es wissen? „Eigentlich sollten Fotos auch ohne Texte erzählen.“, schreibt er an späterer Stelle, der Schlawiner. Tun sie auch, in ihrem neuen Kontext akzentuieren sie Persönlichkeitsfacetten, bestärken sie Eindrücke oder schaffen ergänzend gegenteilige, disparate. Leicht spöttisch ziehen sie bisweilen eine andere Bilanz als die schriftlichen Skizzierungen, die sie neu und anders betten, erzeugen sie Wärme, eine Intimität, die dem allzu Öffentlichen zuwiderläuft. Aufrichtig nehmen sie den heiligen Ernst des kirchlichen Auftretens an, der Rogers Text um Johannes Paul II abgeht.

    Udo Jürgens nimmt ein nächtliches Bad

Manches Mal beeindrucken sie zudem mit weitestgehend unterschätzten Stärken: Wie selbstverständlich ein Portrait von Hans Werner Henze angelehnt an die Schulter seines Bruders gesellschaftlich verpönte Zärtlichkeit zwischen zwei Männern ohne – man muss es beinahe so nennen – entschuldigenden romantischen oder sexuellen Konnektor wirken lassen kann. Auch die Aufnahmen von Udo Jürgens in Bad wie ikonischem Bademantel strahlen eine entspannt-vertraute Aura aus, sind der größtmögliche Gegenentwurf zu jenen vergleichbaren, aber protzigen Wannenbildern, mit denen Roland Kaiser einige Jahre später von sich reden machte. Einige liebenswürdige Begegnungen mit Karl Lagerfeld lässt Roger relativ unvermittelt auf der nüchternen Feststellung enden, dass dieser nach dem frühen Tod seines Partners sein gesamtes Restleben von mehreren Jahrzehnten nur mehr allein verleben wollte. Die einsame Ganzkörperaufnahme auf der gegenüberliegenden Seite färbt sich zärtlich um. Es ist das früh, als Assistent Viscontis, erlernte Gespür für Dramatik eines Filmemachers, welches sich durch den „Boulevard der Eitelkeiten“ zieht, Bilder, Worte, Auftreten und mehr weit über die tatsächliche Dauer der eigenen Regierkarriere hinaus prägte.

Das Leben als Film, es ist der Schlüssel zu mehr noch. Man vergisst bei all dieser Warmherzigkeit und Rückschaugüte rasch, dass Roger Fritz nicht zuletzt auch das war, was man heute, im post-glamourösen Zeitalter, aus tiefster Seele zu verabscheuen pflegt. Ein Paparazzo. Einer von eigentümlicher, gewiefter Sorte allerdings, einer, der die Inszenierungen seiner mannigfachen Stars und Sternchen nicht vorbehaltlos abkaufte, sondern diese selbst mit Charme und Augenzwinkern inszenierte – anders, neu, gegen den Strich von Selbstdarstellung, Erwartung wie Gesellschaft. Vielleicht ist es dies auch, wozu 80 nur scheinbar bestenfalls lose miteinander verwobene Kulturleben zusammenlaufen – eine Inszenierung der Wirklichkeit. Und sie schafft ein Gesamtbild, einen letzten Gruß aus einer vergangenen Zeit an die unsrige.
Das alles war Roger Fritz‘ Jahrhundert, er bietet es bloß zur interessierten Aufnahme an, weiß allzeit, dass kommende Generationen ganz andere, eigene Prioritäten setzen, eine andere Auswahl treffen werden. Und diese jugendliche Tatkraft findet er spitze. Denn die eigene steckt konserviert noch in jeder einzelnen Seite. Nie verebbend, wie sie zeitlebens war.

    Dolly Dollar vorm Zuckerhut, umringt von einheimischen Verehrern


Schirmer/Mosel-Verlag. Mit einem Geleitwort von Hubert Burda. 320 Seiten, 235 Abb. Format: 15,2 x 22,8 cm, gebunden

[Alle Fotografien sind Eigentum des Schirmer/Mosel-Verlags]

Dieser Beitrag wurde am Mittwoch, Juni 8th, 2022 in den Kategorien Ältere Texte, André Malberg, Blog, Blogautoren, Essays, Filmbücher, Filmschaffende veröffentlicht. Sie können alle Kommentare zu diesem Beitrag über den RSS 2.0 Feed verfolgen. Sie können diesen Beitrag kommentieren, oder einen Trackback von ihrer eigenen Seite setzen.

Eine Antwort zu “Immer nur dabei gewesen – Roger Fritz: Boulevard der Eitelkeiten (2022)”

  1. Das Bloggen der Anderen (13-06-22) | Filmforum Bremen on Juni 13th, 2022 at 21:20

    […] – André Malberg schreibt auf Eskalierende Träume über Roger Fritz posthum erschienenes Buch „Boulevard der Eitelkeiten: Fotografien und Erinnerungen“. […]

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