Pandemisches Flackern – The Inferno Index (2021)





Anscheinend das, was einem blüht, stolpert man berauscht vom Gesehenen aus dem Kino heraus. Exakt so jedenfalls beginnt diese Abwärtsreise durch spätnachts zusammenimaginierte Zelluloidvisionen, mit dem Düsseldorfer Savoy Theater als realem, rückverfolgbarem, nicht verfremdetem Bezugsort. Eher die Ausnahme in den kraft Ungewissheit erdrückenden Betonlandschaften, welche Cosmotropia de Xams Werk mehrheitlich beheimaten und auch hier ein zunehmendes mentales Abdriften markieren. Versunkene Industriebrückenpoesie wie unmittelbar aus Jean Rollins „La Nuit des Traquées“ (1980) entflohen begrenzt eine nächtliche Verfolgungsjagd minus das Tempo, welches der zweite Wortteil impliziert. Nur wer oder was schleicht hier überhaupt hinter wem her? Eine Unbekannte stellt einer Unbekannten nach – was suchen die Menschen ineinander, schwarzmagisch aufgeladenen Überschreitungen des persönlichen Raumes, davon erzählen viele Filme des iPhone-Poeten.

Aber auch vor diesen Innenwelten in Abseitswelten macht die Realität nicht halt: Bei Rollin sind es allein die Protagonistinnen, welche von mentalen Problemen ermattet durch die Stadt schlafwandeln, hier ist es umgekehrt – ein rot-grünes Flackern liegt einem lähmenden Toxin gleich über den Häuserschluchten. Es wabert unserer Heldin nach in die Bahn, plustert sich epileptisch auf, wo die Menschen gerade noch nach zusammengehörigen Gruppen sortiert im Hintergrund darbten, immer auf – die Masken, Zeugnisse einer hier und nun schon wieder fern wirkenden Gegenwart. Die unheimliche Verfolgerin stiehlt den Fetzen schließlich von gegenüber aus dem Antlitz, in dieser leeren Welt von außen her gefühlte Transgression und zärtliche Geste zugleich. „The Inferno Index“ ist möglicherweise der eine Film, der wirklich in und aus der Pandemie entstehen musste, um zu wirken. Doch dann hebt er auch schon ab und verlässt unsere Sphären; es bleibt nur vage Impression.

Im Kopf läuft eine in infrarot gefiltertes Schwarz-Weiß getauchte Operette ab, von was der Eindringling in fremder Zunge kündet, erfahren wir nicht, aber im Wechselspiel zwischen sich zersetzender Realität und den innersten Urängsten wird die Situation vertraut. Das Verweben von dezidiert fantastischem Film sowie seinen Topoi zu einem unterschwelligen Gefühl über die Wirklichkeit oder das, was wir für sie halten, ist die Spezialität von Cosmotropia de Xam. Ausflüchte, invasiver Trost, Wachträume in Film – man kann sich des Eindruckes selten verwehren, dass nicht wenige Teile dieser Filme ihren Entstehungsprozess in einen Zerrspiegel werfen.

Was steckt im Kopf drin? Drei Etappen zur Selbstüberschreitung. Im Laufe des von diesen Konstanten Belagerten verliert man sich in Variablen. Zeichen für etwas, irgendetwas, das aus dem Schlummer vertraut erscheint. Monochrome Landschaften, Menschen, deren bildlicher Rahmen kopfsteht, Vergrößerungen, Verkleinerungen von Bauten aus extremen Winkeln und in aufeinanderfolgenden Augenblicken, sorgfältig mit der Linse abgetastetes Gestein, sogar Drohnenflüge gibt es hier nun. Alles tangibel, ganz nah, dann ganz fern und doch vom unentwegten Filterfeuerwerk belebt. Aufkratzend, die Gewissheit, dass wir ganz nebenher in einer Realität leben. Peyotetreffen in der roten Wüste unserer Halluzinationen.

„Awakening of the Dreamer“, heißt eines der Kapitel des Films, in ihm ist die Unterwelt ein Tunnel unter der Stadt und als Initiationsritus muss der Körper der Länge nach einen Heiligenschein durchqueren. Verwurzelt in bizarrer Kodierung sind Relikte einer anderen Welt. Frostig ist das Erwachen, nichts stimmt mehr – Eisblumen rutschen horizontal an der Leinwand entlang, belebendes Blut tropft aus dem Granatapfel der bösen Hexe, die über dem vergifteten Schneewittchen lauert. Geträufelt auf den gläsernen Sarg, die Trennscheibe vor der Trennscheibe. Die Rückkehr zu uns, die fehlt. Was soll uns das sagen? Ich weiß es nicht – warten wir das Ende unserer Pandemie ab. Die seelischen Eigenheiten, die bleiben werden.


The Inferno Index – Deutschland 2021 – 68 Minuten – Regie: Cosmotropia de Xam, Lapis Exilis – Produktion: Cosmotropia de Xam – Drehbuch: Cosmotropia de Xam – Kamera: Lapis Exilis, Cosmotropia de Xam, Marcus Littwin – Schnitt: Cosmotropia de Xam – Musik: Lapis Exilis, Mater Suspiria Vision – Darstellende: Marjana Mladenov, Mira Kohli, Lapis Exilis, Marcus Littwin

Dieser Beitrag wurde am Dienstag, Juli 12th, 2022 in den Kategorien Ältere Texte, André Malberg, Blog, Blogautoren, Essays, Filmbesprechungen veröffentlicht. Sie können alle Kommentare zu diesem Beitrag über den RSS 2.0 Feed verfolgen. Sie können diesen Beitrag kommentieren, oder einen Trackback von ihrer eigenen Seite setzen.

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