Tonale Bewegungen und Gegenbewegungen in Jesús Francos „Killer Barbys“ (1996)




    I’ll remember it forever
    The old shop near home
    Jack „King“ Kirby drove me crazy
    And I want you today

    Comic books showed me the way
    Silver Surfer, Iron Man
    The Thing and Spider-Man

    (Killer Barbies – Comic Books)

Einmal noch auf Film – bevor Jesús Franco gegen Ende der 90er Jahre von einem schwer umtriebigen Analogfilmer zum wohl umtriebigsten Digitalfilmer Europas mutierte, bannte er diesen letzten Film auf Zelluloid. Als hätte er den sich rasch anbahnenden Bedeutungsverlust analogen Filmemachens speziell für unabhängigere Filmschaffende geahnt und in der gewohnt pragmatischen Art akzeptiert, ist „Killer Barbys“ Abschied von einer Gattung Kino und rauschende Fete zugleich, einer seiner sinnlichsten Filme, einer, der nahezu allein in Bewegungen und Gegenbewegungen jederweder Natur stattfindet. Himmelschreiende Bildkontraste, tonale Divergenzen in Klangwelten von Musikuntermalung bis Tonkulisse, schlicht auch im narrativen Grundkonflikt, der sich ausnimmt wie die groteske Variante eines reichlich zu spät angerauschten Beitrages zu jenen Generationenkonflikten, die etwa ein Vierteljahrhundert zuvor, zur Hochzeit seiner Karriere, brandeten.

Im Herzen ganz ein Gothic-Horrorfilm ausgekocht aus dem Sud des altbewährten Rezeptes – angeknackster Wissenschaftler sucht restaurative Körperbestandteile für ein siechendes Familienmitglied – hinter George Franjus „Les yeux sans visage“ (1960), welchen Franco selbst durch die Jahrzehnte immer wieder variierte, gesellt sich hier jedoch als Opfer- wie Heldentruppe gleichermaßen die spanische Punkgruppe Killer Barbies zu den Bauten- und Figurenantiquitäten aus dem expressiven Horror auch des französischen Stummfilmzeitalters. Ein wenig des in Architektur gekleideten Verfalls aus „La Chute de la maison Usher“ (Jean Epstein, 1928) steckt wohl in allen unter Francos Horrorfilmen. Im Pseudoremake „El Hundimiento de la Casa Usher“ (1982) (bzw. dem, was von dessen Urform übriggeblieben ist) ebenso wie selbst dem ansonsten so extrem zeitgeistigen Slasher „Die Säge des Todes“ (1981) etwa. Ihn als einen der zentralen externen Schlüsselfilme zu seinem Werk zu bennenen, kann nie vermessen sein. Wie in letzterem Horrorexkurs tritt jedoch auch in „Killer Barbys“ ein gattungsfremdes Element hinzu – so modern die spezifisch legere Urlaubsromantik der Münchner LISA-Film jedoch 1981 auf der deutschen Höhe der Zeit war, so sehr hatte Punk als Massenphänomen in den mittleren 90er Jahren Spaniens jedoch an Zugkraft eingebüßt. Entsprechend aus der Zeit gefallen, wie ein humoristischer Nachklapp wirkt die Musikwelt hier schon von Haus aus. So humorig der Film zumeist unterwegs ist, „Killer Barbys“ ist Reliquienaufbahrung in mehrfacher Hinsicht – das Moderne an ihm ein alter Hut, das Altertümliche Asbach Uralt.

Beide Extreme zieht Franco als Performancekunst direkt zu Beginn in gegeneinander ausgespielten Einführungen groß auf: Anstatt wie in späteren Tourbusfahrten als personifiziertes Vehikel durch die silbrige Nacht zu rasen, gleitet die Kamera Baumreihen entlang und legt im See hinter ihnen den wie Frank Wisbars „Fährmann Maria“ (1936) stehend im Silbernebel rudernden Grafen (Aldo Sambrell) auf einer anderen Daseins-, immer jedoch auch Filmebene frei. Ein Altertümchen, das auf Anschluss an die neue Welt drängt. Außensicht einer Reise gegen die Innensicht aus dem zeitgleich durch ebendiese Wälder preschenden Tourbus unserer designierten Helden, dröhnendes Radio in der Filmwelt contra einsame Klagegesänge auf der Tonspur und den Nebel zerschneidende Klavieranschläge, von Francos langjährigem Haus-und-Hof-Komponisten Daniel White offenbar schnurstracks aus dem Jenseits über den Wolken heruntergesandt. Vieles scheint aus einer Metawelt des Außer- oder Überfilmischen, mehr noch denn bei Franco ohnehin üblich aus einer zuvor erfolgten Reflektion über Epstein, Musik oder eben zeitliche Kontexte zu stammen und gen Vereinigung zu pochen. Das Ineinandergreifen der Puzzleteile ist ein materieller Prozess. Das Antiquierte und das vorgeblich Moderne existieren in dieser Welt allein in maximal ausgespielter Diskrepanz oder formwandlerischer Vermengung. Im Grunde ist „Killer Barbys“ eines dieser einst hippen Musikvideos, in denen einkopierte Musiker durch ikonische Filmszenen wandeln, immerzu unter dem Eindruck dort retroaktiv noch etwas bezwecken zu können.

Dem Eindruck entsprechend wird er eröffnet durch ein wie völlig losgelöst mitgefilmt wirkendes, vom Film an sich isoliertes Konzert der Killer Barbies: Distanziert, nahezu ausschließlich in Totalen, selten im Getümmel. Nicht involvierend, mit Garderobehandschuhen. Punk als Klassik im Opernhaus. Mit einer Kamera, die wie von den sicheren Rängen herabgepurzelt in der Meute verharrt. Gegen Mitte der Performance wird ihre bisherige Ausgestaltung als aus einer figureninternen Impression entstammend enthüllt – der des Grafen, der in hinterletzter Reihe wenig überzeugt dreinschaut, ein Plakat vandaliert und sich halb zum Eingang wendet. Ein gerüttelt Maß Leben bahnt sich in diesem Moment seinen Pfad in den weiteren Verlauf – Reihen von Nahen stellen die Bandmitglieder vor und geben ihnen den Raum, den sie brauchen, um wie Rockstars zu wirken. Im Klimax des Songs dann dreht sich diese Stilistik abermals analog der Aufmerksamkeit des Beobachters. Alles, was Franco im narrativen Teil des Filmes verspielt behandelt, wird in diesen wenigen Minuten bereits zur Disposition gestellt. Generationen- und in der Zerbröselung begriffener Klassenkonflikt als direkt aufgeführte Musikperformance umkodiert, an- wie absinkende Einflüsse des Alten, des Dämonischen auf selbst die Bildgestaltung, schließlich ein amüsanter Twist auf die althergebrachte Handlungsschablone vom Musikgeschäft als Domäne der frische Kunstschaffende aussaugenden Alten. Franco, selbst im Jahre 1996 unzweifelhalft dem alten Eisen angehörig, hat großen Spaß mit dieser Prämisse.

Der Nachhall der Konzerthalle wird mit rasch aufgedrehter Radiodröhnung weiter in ebenjene Odyssee getragen, die sich oben bereits in diesem Text entspann. Zum ersten Mal zeigt Franco Charaktere, die mehr Musik, von ihr erfüllt, in Gänze durchdrungene Hüllen, denn wie so oft Musikschaffende sind. Die Klänge versiegen nie, kommen gleich aus ihnen heraus. Rebellion ist hier tonale Pose, die erst zur Klaviatur, dann zu menschlicher Bewegung wird, sie gleichsam unermüdlich anspornt. Als eine Falle den Tourbus plättet und die unvereinbaren Welten erstmals aufeinander hetzt, wird zuvorderst die Performance, nicht die Reise, unterbrochen und durch eine gegenteilige kontrastiert. Mit seiner ureigenen Musik als Leuchte tritt Sambrell aus dem Dunkeln an die Gestrandeten heran. Er wird sie erleuchten, aus seinem natürlichen Habitat umgepflanzt bleibt der Punk bald nur mehr beim Vögeln erhalten. Ein bemühtes Anstoßen,zwecklos. Das Moderne wird zum Relikt im Alten, ohne dass es ihm jemand erklärt. „No, she likes young people.“, lügt er sie an, um eine Übernachtung bei sich und seiner Gattin im Schloss schmackhaft zu machen. Inne wohnt aller Sprache in Francos Film, ganz besonders auch kleinen Floskeln wie dieser, eine von den Figuren abgewandte Falschheit. Nie verstehen sie, was gemeint ist, nie meinen sie, was sie sagen. Das Gros der Figuren antwortet sich in unberechenbarer Regelmäßigkeit, einfach zwischen gewechselten Sätzen heraus, in gegensätzlichen Sprachen, obwohl sie offenkundig beide fließend beherrschen. Das Spanische gehört dabei Francos Welten an, ihren spitzbübischen Metareflektionen und Narrereien, dem musikalischen Hall des Filmes; das Englische ist Pastiche, blasse Kopie, die den Rahmen absteckt.

Rahmend agiert auch die Bildgestaltung – wie transplantiert bewegen sie die Killer Barbies durch die absurd-expressionistische Tiefe der Gänge. Winzfiguren aufgenommen von einer Kamera, die spinnengleich am Seidenfaden von der Decke überm Treppenhaus baumelt und alles bereits von Haus aus ins Distanzierte drängt. Die Fortbewegung in diesen mehr auf angelernte Art und Weise denn frei zu beschreitenden Räumlichkeiten spaltet Franco klar auf: Unnatürlich hastig und laut klackern die Stiefel der Jungen, gleitend ist der sanfte, längst Teil des angestaubten Mobiliars gewordene Schritt der Alten. Unter Francos zahllosen Gothichorrorvariationen ist diese die, die am nachhaltigsten durchdrungen ist vom Tonfilm, dessen weiterführende Separierungsmöglichkeiten und Einfälle die emulierten Charakteristika von Epsteins Usher-Film überspreizen und der cartoonesken Lächerlichkeit preisgeben und der wahnwitzigen Idee eines Punkmusicals als Gothichorror unterordnen. Vom Verfall bis zum Krawall, alles ist hier an einem Endpunkt angelangt – „Killer Barbys“ ist einer der großen postmodernen Filme des Kinos. Und ein Übergang, erstmals stößt Franco an das zunehmend Kontemplative der Mise en Scène seiner in ihrer Bedeutung für das Gesamtwerk weiterhin mehrheitlich vernachlässigten Digitalära. Das kontemporär Erstellte und die Schatten der Vergangenheit interagieren hier in einer Weise, die typisch werden wird für qua Digicam wiederbelebte Schauermärchen wie „Lust for Frankenstein“ oder „Vampire Blues“ (beide 1998) oder den mittels anachronistischem Musikeinsatz umgehend konservierten, vereweglichten Performances aus letzten Werken wie „Paula-Paula“ (2010) und dem immens sperrigen aber brillianten Zweiteiler „La cripta de las condenadas“ (2012). Tönen, ohnehin die wichtigste Währung des Francoschen Kosmoses, fällt gegen Ende seines Lebens zunehmend eine memorierende Funktion zu, die die Aufgabe von bestimmten Jazzanschlägen als detektivischen Hinweisgebern in den spanischen Fassungen (und nur dort!) der beiden Agentinnenschwänke „El caso de las dos bellezas“ und „Bésame monstruo“ (beide 1969) weit, nämlich aus dem Narrativen in die temporär geschaffene Wirklichkeit, überschreitet. Es ist ein Erinnern, ein Anzapfen des kulturellen Gedächtnisses in Anklängen, dass die aus früheren Filmen wohlvertrauten Kompositionen von Daniel White hier oder Friedrich Gulda in „Paula-Paula“ signifizieren. Meditationen auf Vergangenem, aus der originären Zeit Gerissenem.

Doch 1996 haben diese Dinge noch eine taktile Beikomponente, die sich später zugunsten sofortiger Anschlüsse an Vernommenes durch den Wechsel der Tonkulisse über weitestgehend konsistenten Vorgängen ausschleichen sollte. „What is this music?“ – „It’s mine.“, Konversationen wie diese zwischen den Protagonisten verorten die Tonalitäten teilweise klar im Filmischen. Man erschließt sich die ungewohnte Umgebung durch das Nachspielen altehrwürdiger Nummern auf dem Klavier. Das illustriert den Kern Francos Philosophie eleganter als alles, was davor kam und das verhältnismäßig Wenige, das noch folgen sollte. Erkenntnisprozesse entstehen entlang der Notationen vereinter wie durcheinander gewürfelter musikalischer Ebenen. Ungleich enthemmter als diese Übungen schmettert ein Grammophon – die bisweilen überwältigende Belebtheit des Materiellen war spätestens seit den 1980ern, losgetreten mit Francos architektonisch fortwährend beredteren Eigenproduktionen unter dem Banner Golden Films Internacional, gewichtige Kernkomponente seiner Inszenierungen geworden. Hier ist selbst das Alter ein am Materiellen hängender Fakt, den man nach Gutdünken abkappen kann. „People are only as old as they appear.“, verkündet Mariangela Giordano um die alte Haut bereinigt und verordnet die Inszenierung um sie herum nicht nur nun auch textlich augenzwinkernd im Alterswerk, sondern auch nahe bei Billy Wilders „Sunset Boulevard“ (1950). Franco, ein begnadeter Collagist und Falschmünzer, wandelte Szenen, Handlungsbewegungen oder bloß den Händen entrinnende Stimmungen aus den amerikanischen Filmen seiner kinematographischen Sozialisation um in Manipulationen, die kombiniert mit den eigenen Entwürfen beides wechselseitig brechen, ironisieren oder auffächern. Zum Finale des Films wandelt Silvia Superstar – in Abwandlung die Junge, die Schöne dieser Welt – wie weiland Gloria Swanson lasziv und fremddirigiert die Treppenstufen hinunter. Fortdenkungen, Verrenkungen – die Altersreflektionen aus Wilders Film liegen verdreht und geschrotet ebenfalls am Herzen der „Killer Barbys“. Eigenbetastungen des verjüngten Körpers summieren sich für Giordano zu einenm erfreulichen Endstand: „My hand is real, my breasts are real.“ Selbst im komplett Falschen des Inner- und Außerfilmischen bleibt Francos Monstern immerzu eine Würde, die so aus von Kinoleinwänden gestrahlten Tagträumen beziehen.

Monster als vom Ausbruch aus den Schranken der Filmwelt Träumende standen schon im Zentrum von Francos Trilogie an Universal-Horror-Hommagen – „Drácula contra Frankenstein“, „La fille de Dracula“ (1972) und „La maldición de Frankenstein“ (1973) – mit denen er zu Beginn der 70er Jahre den Status Quo des damaligen Horrorkinos auslotete. Deren stilistische Kombination aus Gothichorror und zeitgenössischen Comicheften ist es auch, die als Schweißnaht zwischen disparaten und doch fein säuberlich fehlabgestimmten Eindrücken dieses analogen Schwanengesanges fungiert. Das Moderne und Althergebrachte in erhellender Kombination. Als die Tableau-vivant-Gruppenfotoästhetik des den Rausch beschließenden und die Parameter noch einmal – in Richtung Traum oder PR-Coup? – verschiebenden Abschlusskonzertes in wiederhergestellter Formation. Als Bekräftigung von künstlerischem Punk und Barock als Lebensquell. Als kunsthistorischer Roadkill aufgetragen auf die Silberleinwand.


Killer Barbys – Spanien 1996 – 91 Minuten – Regie: Jesús „Jess“ Franco – Produktion: Jesús „Jess“ Franco, Piluca Baquero, Manuel Camacho, Emilio Mencheta, Jacinto Santos – Drehbuch: Jesús „Jess“ Franco (als „David Khunne II“), Patxi Irigoyen – Kamera: Javier Pérez Zofio – Schnitt: Rosa M. Almirall (a.k.a. „Lina Romay“) – Musik: Killer Barbies, Daniel White – Darstellende: Silvia Superstar, Charlie S. Chaplin, Aldo Sambrell (als „Aldo Sanbrell“), Mariangela Giordano, Santiago Segura u.v.a.


Dieser Beitrag wurde am Dienstag, Dezember 8th, 2020 in den Kategorien Ältere Texte, André Malberg, Blog, Blogautoren, Essays, Filmbesprechungen, Filmschaffende, Filmtheorie veröffentlicht. Sie können alle Kommentare zu diesem Beitrag über den RSS 2.0 Feed verfolgen. Sie können diesen Beitrag kommentieren, oder einen Trackback von ihrer eigenen Seite setzen.

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