Betten, die die Welt bedeuten – Weiße Haut auf schwarzen Schenkeln (1976)




    How I’d like to look into that little book
    The one that has the lock and key
    And know the boy that you care for
    The boy who’s in your diary

    (Neil Sedaka – The Diary)


„Kommst du mit? Du bist bestimmt eine Wucht im Bett.“ – „Nur noch diesen einen Tanz.“ So schnell kann es gehen in der erotomanen Welt Jesús Francos narrativ zumeist ordinär-karger Produktionen für den Schweizer Produzenten Erwin C. Dietrich. Alles weitere hatte sich für Robert Kühn (Roman Huber) und die ihn anflirtende Tänzerin Marga (Diotta Fatou) bereits vorab aus den Resonanzräumen zwischen einzelnen Impressionen ergeben. Hände in unablässiger Bewegung, rotierend, Halt suchend am Glase, Lippen und Augen voll Sehnsucht, das durchzelebrierte Saugen am Strohhalm als Ersatzhandlung – alles fokussiert in Richtung Bühne, die im vereinsamenden Gegenschnitt allein Lena (Kali Hansa) gehört. Hansa, mustergültige Definition der beredt von staunender Einschüchterung erzählenden Frauenumschreibung „amazonenhaft“, war in den frühen bis mittleren 70ern für geheimnisvolle, unergründliche, daher auch fast mythologische und nicht ohne Weiteres durch den männlichen Blick katalogisierbare Dominanz in knapp zwei Handvoll Filmen Jesús Francos zuständig. Hier, in ihrem drittletzten [1] Leinwandauftritt überhaupt, hat sich bereits vollzogen, was sich von Beginn an oft andeutete, ist sie ganz körperliche Präsenz geworden, mehr mit den formal-technischen Ausgestaltungsmöglichkeiten des Kinos verwandt denn den Spielenden um sie herum. Etwas, dass sie – wie Humphrey Bogart, der wohl bekannteste Fall dieser understateten Totalkontrolle, beispielsweise auch – in der schieren Dringlichkeit jeder Bewegung, Geste, aber eben auch im einnehmenden Stillstand gleich neben Licht- und Schattensetzung platziert, das menschliche Element der Schauspielerei weistetgehend negiert.

Auf besagter Bühne ist sie sie nahezu ausschließlich existent – als kreisende Hüfte, mit dem Bauch gen Decke gewandt auf allen Vieren wandernd, nackt freilich und doch zu unnahbar für schnöde Erbauung; eine strukturelle Hypnose eher, ausschlagendes Pendel, weniger nicht, mehr auch nicht. Ekstase durch Ertüchtigung allein, denn als erotischer Tanz besetzt ist das nicht – eine mysteriöse Anziehung, die sehr handfeste, nie jedoch auf sich selbst gerichtete, zwischen den Zuschauenden säht. Minutenlang immer wieder Blicke, Gesten, tendenzüberforderte Reaktionen – dann brechen Marga und Robert tatsächlich auf in ein nächtliches Abenteuer, das Franco ungleich komprimierter abhandelt. Es entspinnt sich unmittelbar aus einer Ellipse, denn zwischen Bühnengeschehen und Barinnenleben ist längst alles relevante gesagt worden. Man findet sich einen simplen Schnitt später bereits in Wohnung wie Bett wieder. Ein bisschen Gefummel, die uninvolviert gynäkologische Unerotik, die Francos Hardcorefilme auszeichnet und Viktor raunt: „Mir kommt’s gleich!“ – „Lass ruhig kommen.“, ist die lapidare Antwort, während eine weitere Handlungsverkürzung uns zielstrebig als Schwenk zu Beinen trägt, die nie entstiefelt in völliger Unbeeindrucktheit daniederliegen. Dialog als narrativer Verknapper, die rotzige Lakonie der Dietrich-Produktionen ist auch Methode, wie ganz zu Beginn schon steckt sie den Handlungs- wie Montagerahmen kurz. Auf schlechten Sex folgt als motivische Andeutung aus den Nahtstellen des Gezeigten sogleich der Suizidversuch, Marga stürzt sich aus dem Fenster und eröffnet damit einen Film, der von jenen Zwischentönen handelt, die solche Lebensentscheidungen in uns allen begünstigen.

Der stinkbesoffen vorübergedöste Robert wird anschließend umstandlos unter Anklage versuchten Mordes eingebuchtet. Ebenso rasch schlägt seine Frau Lola (Pilar Coll) antwortsuchend in der Bar auf, wo sie solange einer weiteren Performance beiwohnt, bis de in herausgestellter Skepsis vors Antlitz geblasene Zigarettenrauch nicht allein die Bildgestaltung einlullend vor diesem zu verharren scheint. Abermals die Invokation eines rauschhaften Zustandes mit Hansa als vager Voodoo-Gottheit – rund 15 Minuten Film aufgeteilt auf zwei Tänze, eine ejaculatio praecox sowie kurze Gefängnisexposition aus gerade einmal zwei durchwechselnden Einstellungen. Mehr noch als in vielen anderen von Tanz und Musik befeuerten Werken Francos wohnt diesen mitunter endlos anmutenden Shownummern in den nicht selten gleich in den sie beherbergenden Lokalitäten angesiedelten Schweizer Produktionen ein ausgeprägtes Gespür für den Fluss der Zeit inne, spezifischer der, gefüllt mit etwas Schönen und nicht jener anderen anderen, in der man weniger gerne schwelgt. „Weiße Haut auf schwarzen Schenkeln“ nutzt die relative Stationenhaftigkeit eines expliziten Sexfilmes geschickt, um mit Penetration aufzufüllen, was in den Menschen vorgeht. Ein sexinduzierter Traum von Sex: Eben war die gleichsam verführte Lola noch mit Lena im Bett, nun befindet sie sich mit Robert auf dem nackten Zellenboden, weißer Flokati zu tiefster Finsternis, Sex im Kuschelbett, dann ganz unten. Luzide Fantasie inmitten eines sehr real anmutenden Verbrechens in einem Film der vermehrt unaufgelösten Widersprüche, unguten Querverbindungen.

Viel Reiz bezieht Franco aus der diesem Produktionskontext so eigenen visuellen Kargheit, der Unlust am Spielen. Kontraste aus wenigen, beständig wiederkehrenden Farben, das Erzählen aus assoziativen Verweisen. Nominell eine Neuinterpretation des drei Jahre älteren „Le journal intime d’une nymphomane“ mit eingenommener, jedoch in mehrfacher Hinsicht durchbrochener Täterperspektive wird dessen geradewegs poetischer Realismus in der Milieuzeichnung gegen auf ungleich abstrakterer Ebene operierende Manipulationen unseres Empfindungsapparates eingetauscht. Wenig später laufen Traum und Wirklichkeit parallel ab; Lola, die im fortgesetzten Dämmerzustand mit einem eigenartigen Zwergfigurenkissen masturbiert in einer Totalaufsicht gegen nur mehr Stöße des Schaftes beim tieferen Eindringen. Suggestive Montage, die den Mann verformt, verkleinert, reduziert in ein genähtes Anhängsel morpht. Ein Gegenschnittverfahren, das den Francoschen Zoom, das Hinaus oder Hinein, die vertraute Neujustierung der Bildes durch eine montagetechnische Zwischenebene boshaft umformuliert. Andauerndes Anhängsel an den Rändern der Bildkadrierung wird dieses Stoffmännchen in Folge noch werden, eine vielsagende Negativumdeutung des extern energiedurchfluteten Walky-Talky-Robot, der in Douglas Sirks „There’s Always Tomorrow“ (1956) die Blech gewordene Verfahrenheit von Fred MacMurrays Lebenssituation verkörpert. Inmitten nackter Männerleiber entspinnt sich schließlich ein Anschlusstraum. „Liebe mich, nimm mich!“, stöhnen sie aus vereinten Kehlen auf unbestimmt schwarzem Grund. Die Frau als Seestern, als ausstrahlende Sonne, an die sechs Kerle aus sechs Richtungen reihum andocken – Münder rein, ein munteres Aussaugen in Zeitlupe zu Hall und frenetischen Bongos – mit etwa zehn Minuten die längste, intensivste Szene des gesamten Filmes. Sie verdichtet formvollendet, was auf der Hand liegt: Selbst im Unterbewusstsein ist jeglicher Sex unbefriedigend, legen Frauen nicht Hand aneinander oder sich selbst. Er ist relativ hässliches Ornament, knappe Skulptur des toxischen Potentials in den Menschen. Fehleingeordnet als frivoler Sexfilmer steckt die Erotik bei Franco in der Geste, nicht dem Stoß.

    Rex, the walky, talky robot man in There’s Always Tomorrow (Douglas Sirk, 1956)

„Weiße Haut auf schwarzen Schenkeln“ ist mehr als sein vornehmlich metatextuell mit diesem Ansatz verbundender Vorläufer ein Film über die Erotikbranche, der auch Franco selbst als Regisseur angehört, über Arbeit bestehend aus Beischlaf und Tänzen, die immerfort in das Private wie dessen Bildräume eindringt und in die falschen Richtungen enthemmt. Nahezu alle handelnden Personen sind Kunstschaffende und Sexarbeitende in Personalunion, die einzig Außenstehende bleibt zuletzt ratlos statt durch die Vorgänge gebrochen zurück. Ohne jedwede Gewaltexzesse oder konkrete Niedertracht – beides typisch für die zur gleichen Zeit entstandenen Frauengefängnisfilme unter Dietrich – ist er einer der unangenehmsten Filme dieses Karrierabschnittes, vielleicht Francos gesamter Laufbahn. Gleich einer leisen Trauertrompete fließt ein nie versiegender Strom elegischen Pessimismus unter-, überhalb sowie zwischen seinen Vignetten. Das Tagebuch, das „Le journal intime d’une nymphomane“ nicht bloß Titel sondern auch narrative Struktur spendete, materialisiert sich hier erst nach der Hälfte der ohnehin knapp bemessenen Laufzeit beiläufig aus einem Nachtschränkchen und ist reines Beiseiteschieben, Ablenkung von strukturellen Problemen qua Individualisierung, die fortan noch stärker in Codes weiterleben, sich von den Normalität heuchelnden Figuren nicht aussperren lassen.

Wie in den von Franco verehrten Hollywoodmelodramen Nicholas Rays oder Douglas Sirks weisen Signalfarben Personen Position, Aufgabe und Zugehörigkeit entgegen der Eigenverortungen zu: Der verführerisch eingesteckte Schal über Lenas schwarzem Hosenanzug, das knappe Oberteil von Tante Bijou (Sigad Sharaf) die die Waise Marga einst in die Lehre nahm, sie sind rot, die Farbe der Tonangebenden. Prominent weiß strahlen hingegen das Hemd Kühns oder die Hose des Muttermörders – die gedankliche Reinheit der Zerstörer, eines sich im Recht sehenden Selbstverständnisses an sich; denn was sie eint sind nicht die Taten, die sie begingen oder ihnen zu unrecht anlasten, sondern die Geschlechtszuordnung an sich. Aus der Suche nach einer letztlich nicht vorhandenen Individualschuld schälen sich unterwegs latente Schieflagen hevor. In Viktor (Eric Falk), dem leicht dümmlichen Liebesobjekt aller, lagern sich gegensätzliche Emotionen zum Geschlecht als rotes Hemd in weißer Hose ab. Schwarze Kleidung hingegen haben irgendwann die meisten weißen Damen einmal aufgetragen – Vefärbungen „gefallener“ Frauen. Vieles wird rein sinnlich über Kontraste kommuniziert. Schwarze Körper aus der Gosse gesellschaftlicher Grausamkeit hochgearbeitet auf weißem Luxusflokati, guter gegen schlechten Sex, ein präzises Gespür für Raumtemperaturen, Farbgefälle sowie -rangordnungen. Die wenigsten Räume sind in mehr als zwei, drei dominanten Tönen gehalten, ein ums andere Mal sind es derer bloß zwei: Schwarz und Weiß – eine Malerei, die Franco im Gesamtbild fernliegt.

Entgegenkrabbelnd aus gegenübergestellten Korridorenden nähern Lena und Marga sich in einer ihrer Bühnenperformances über weißem Bühnennebel auf einheitlich rabenschwarzer Umgebung an, kulminierend schließlich in der Vereinigung im Zentrum der Komposition. In diesem schlauchartig-irrealen Ufo-Laderaum, die nicht nur in diesem Film, sondern auch im unter weitestgehend deckungsgleichen Grundkonstanten abgedrehten „In 80 Betten um die Welt“ (1976) auftaucht, steckt jene architektonische Verengung, mit der Franco beispielsweise schon in „Der Todesrächer von Soho“ sowie dessen torpedoartig in Kulissen schnellenden Tunneln und Figurenlaufbahnen Grenzen setzte. Nun sind sie weiterführend Klammer um augenscheinliche Leerstellen. Obwohl in der filmischen Wirklichkeit zweifelsohne Realität, wirken diese körperlichen Begegnungen fleischlicher Kreativität im Blankofeld heillos außerweltlich, wie der Zufluchtstraum der Partizipierenden, unsere Projektion, irgendjemandes Verständnis der Welt. Expliziter Sex ist für Franco überwiegend Erzählmechanik, die nicht ausbuchstabiertem Seelenleben ein Abbild von trauriger Gestalt setzt. Sein Kino reflektiert stets auch die Beengungen der zugrundeliegenden Genres, übt in der eigentümlichen Ausgestaltung vorgefertigter Schablonen Ausbruch aus vertrauten Melodiestrukturen. Deshalb reizen sie, deshalb sind sie die Filme eines Jazzmusikers. Um den Grundriss auf den Kopf zu stellen, muss man eine Vorstellung von ihm haben. Das wenigste am Kino des spanischen Ikonoklasten ist zufällige Improvisation, das meiste die Ausdeutung, das Kräftespiel divergierender Tonalitäten. So sehr viel Angedeutetes dies nahelegen könnte: Das Schwarz-Weiß-Thema des Filmes ist in erster Instanz nicht Entsprechung einer vom Titel vollmundig versprochenen Exotisierung, sozialer Konflikt eoder der freilich zugrundeliegenden Ethnien, sondern schlicht der der konsequente Gipfel farblicher Kodierung, bildlicher Separierungstaktiken für Konflikte individueller Personen.

Ohnehin vergleichsweise unterrepräsentiert in Francos Werk sind schwarze Frauen nie mit ihre Hautfarbe oder Geschichte reflektierenden Identitäten gesegnet, ihren weißen Pendants bemerkenswert gleichgestellt in Unterlassung. Alle Menschen sind für Franco unterschiedliche Farbtupfer auf einer Leinwand, die abstrahierte Bilder der conditio humana trägt. Die Objektifizierung nicht Francos, sondern seiner oft kriechend-boshaften Männerfiguren trifft sie gleichermaßen, verquer entspiegelt. Hautfarbe trennt auf einer sehr viel grundlegenderen, primäreren Ebene, am wenigsten psychologisch. Ein rassistischer Kommentar Lolas Kühns wirkt genauso lapidar, wie die Nachvertonung ihn rüberbringt und doch durch die Alleinstellung nachhaltig. Stephen Thrower stellt ihn als zutiefst antipathiestiftend heraus:

[…]Meanwhile, Marga’s status as a black woman only superficially affects the story. The one time it’s mentioned, outside of minor sex talk, is when Lola chastises her husband for picking up hookers: „How could you associate with such a cheap whore – and a black one at that!“ Again, the dramatic precursor is Sinner: The Secret Diary of a Nymphomaniac, specifically the character of Mrs. Ortez in that film, played by Jaqueline Laurent. Here, however, Franco adds a dislikable twist: the equivalent character Lola Kühn (Pilar Coll) is not just a bourgeois middle-class housewife outraged that her husband sleeps with whores: she’s a racist too. What’s curious is that Lola then goes on to play a featured role in the proceedings without her racism being addressed again.[…]

[Stephen Thrower – Flowers of Perversion: The Delirious Cinema of Jesús Franco​, Volume Two (Strange Attractor Press, 2018); S. 87]

Dennoch schläft Lola bei erster sich bietender Gelegenheit mit der weißen Prostituierten Lena, eine Anziehung, die wie eingangs erwähnt, ausführlich erkundet wird. „Weiße Haut auf schwarzen Schenkeln“ zeigt Sexarbeitende auf vielfältige Weise direkt unterm Rezipientenblick, alles Äußerliche ist und wird Facette davon. Wir, sie selbst, die anderen werden mit ihren Leiden konfrontiert und doch stetig abgelenkt – durch Farben, durch Raumträume, durch das Irreale, das wir alle ihrer Situation tagtäglich andichten; Franco ist sich dessen hier bewusst wie selten zuvor oder danach. Vieles könnte reine Fabrikation, Fremdzuschreibung in einem notorischen Bettenfilm sein. Immerfort kehrt man zu diesen zurück, zum Träumen, Schlafen allein wie miteinander, Ausufern, Quälen im Peitschenspiel oder ganz real, Körpertauschgeschäften am Telefon, letztlich dem Lesen, Schreiben, Fantasieren. Erfindungen, Auschmückungen, Margas Tagebuch könnte voll von ihnen sein, allein der Ursprung ihrer mentalen Probleme und das Unverfängliche werden je in Rückblenden verifiziert, der Rest ist Off-Kommentar unerlaubt Vortragender. Dafür, dass ihr Rachefeldzug schlussendlich ohne weiterführende Psychologisierung als eine blind destruktive Gesamtabrechnung mit dem anderen Geschlecht offengelegt wird, nennt Thrower Marga eine der unsymphatischsten Protagonistinnen in Francos von zumindest interessanten, zumeist aber starken Frauenfiguren durchsetzten Werk – dabei dürfen wir ihr schlicht nicht ausdeutend in die Karten linsen. Ähnelnd Nicholas Rays „In a Lonely Place“ (1950) ist bedeutungslos, wer das zugrundeliegende Verbrechen ursächlich zu verantworten hat, es zählt lediglich, welche Möglichkeiten, welches Gewaltpotential sich auf dem Weg zur vermeintlichen Auflockerung aus den Menschen ergießt.

„Weiße Haut auf schwarzen Schenkeln“ liegt weit vorne unter Francos am wenigsten von den Protagonisten her gedachten Filmen, er zielt auf ein unterbewusstes Unwohlsein gespeist aus stilisierten Bildeindrücken, nicht intellektuelles Erkennen eines Leidensweges, ist in letzter Konsequenz der größtmögliche Gegenentwurf zur Erstvariante des Stoffes. Sämtliche Figuren abseits der rädelsführenden wirken im höchsten Maße irrational in ihrem Handeln, eine unspezifische Beklommenheit gegenüber Männern ist ungleich elementarerer Natur. Kaum einer unter Francos zahllosen Filmen ist bei aller artifiziellen Verschnörkelung in Grundkonflikt wie Lebenswelten ein derart offenkundiges (Schweizer?) Zeitenbild; die sexuelle Revolution, deren Wirken die feilgebotenen Künste überhaupt erst gesellschaftsfähig machte, hat kaum jemandem hier Glück gebracht. Freiheitsbestrebungen in der Partnerwahl, künsterlerisch wie amourös, scheint vielen der Handelnden Verrat innezuwohnen, das ist als Robert Kühns die Verwicklungen kickstartende Untreue Alpha und als Tagebuchbekenntnis Omega. „Was Liebe ist, habe ich von Lena gelernt“, heißt es auf einer Seite, doch die Enttäuschung folgt schon auf der nächsten: „Lena hat mich heute mit einem Mann betrogen.“ Im Rahmen einer weiteren Sexshow, wie sich herausstellt. Beobachtetem Sex wohnt eine zerstörerische Kraft inne, in dieser Konfrontation die Eigenwahrnehmung nach außen gekehrt. Strenge Farbdramaturgien untermauern die Sexszenen – dass Kali Hansas und Eric Falks Körper sich eng umschlungen kaum vom unheilbringenden Flokati unterscheiden, muss in einem Film, der im Vorfeld dieser klimatischen Zuspitzung und jenseits einer dezidiert lesbischen Ausnahme exklusiv Interaktionen bebildert, die im Pornojargon als „interracial“ bezeichnet werden, unweigerlich als jene Gemeinheit, jener Wahrnehmungsbruch erscheinen, den es für die arme Marga bedeutet. Nachfühlen aus Chiffren, entlang der Lötstellen des filmischen Flusses. Beispielloser Pessimismus, Hohn gar, wie er in Margas nun ausnahmsweise neonrotem Kleid steckt. Rächerinnenselbstermächtigung als endgültiges Zerbrechen. Das absolute Ende, die Katharsis bleibt aus und wird durch die Rückblendenordnung folgerichtig an den Schluss verwiesen.

Vertrauenserschütterungen, Verrat real wie angenommen unter Menschen, die sich doch vorgeblich so nah stehen, es körperlich auf einer abgeschottet professionellen Ebene auch sind, von ihm erzählt Franco in struktureller Aufschlüsselung – und davon, wie wir uns ihm in einer Männerwelt stellen werden, stellen müssen. Leichte Farbkorrekturen markieren zu Margas wie aus dem Hute herbeigezauberter Genesung einen Übergang: Kali Hansas Schal ist nun weiß, ihr Anzug nadelgestreifte Marineblaumaskulinität – „Du und ich, wir gehören zusammen – für immer.“, beschwört sie. Pilar Coll trägt Trauer auf und kehrt versetzt aber glücklich zum entlassenen Roman Huber zurück, der nach wie vor die gleichen Klamotten ausführt. „Darf ich rein?“, fragt er noch, bevor auch ihn die Besitzstandswahrung packt: „Sowas kommt nie wieder vor! Alles wird ganz anders.“ Nach allem, was die Inszenierungsfugen uns gelehrt haben, kann die angemessene Replik hierauf nur lauten: „Nein, wird es nicht.“ Doch bleibt sie aus, verhallt vermutlich im Resonanzraum der unterdrückten Erkenntnis. Er wird ihn wieder ersetzen, den kleinen Stoffmann, der sich selbst ins gemeinsame Luxushaus geschlichen hat.

So steht zum guten Schluss die Rückkehr in toxische Beziehungen an, aber eben auch in ebensolche Gesamtstrukturen. Man performt halt wieder gemeinsam, in jeder Hinsicht – Bett und Bühne sind eins, die ganze Welt, waren sie konstant. Als großes Hollywoodmelodram in Jesús Francos unergründlich tiefer Zauberkiste enthüllt „Weiße Haut auf schwarzen Schenkeln“ gleich Nicholas Rays Ballade von der radioaktiven Familie, „Bigger Than Life“ (1956), bloß Entladungen angestoßen durch äußere Umstände, katalysierte Tendenzen, die ungleich tiefer in vernarbten Einkerbungen der Seelen stecken.


[1] Wie Thrower aus Francos Mund weiterzutragen weiß, verließ Hansa, deren eigentlicher Name Marisol Hernández lautet, nach zwei weiteren Filmen unter dessen Regie das Filmgeschäft, um sich ganz revolutionären Bestrebungen in ihrer kubanischen Heimat hinzugeben. [Stephen Thrower – Flowers of Perversion: The Delirious Cinema of Jesús Franco​, Volume Two (Strange Attractor Press, 2018); S. 85]


Weiße Haut auf schwarzen Schenkeln – Schweiz 1976 – 79 Minuten (originale Hardcorefassung) – Regie: Jesús „Jess“ Franco (als „Dave Tough“) – Produktion: Erwin C. Dietrich – Drehbuch: Jesús „Jess“ Franco – Kamera: Peter Baumgartner, Ruedi Kuettel, Jesús „Jess“ Franco – Schnitt: Peter Baumgartner – Musik: Walter Baumgartner – Darsteller: Kali Hansa, Pilar Coll, Diotta Fatou, Eric Falk, Roman Huber u.v.a.


Dieser Beitrag wurde am Sonntag, Mai 24th, 2020 in den Kategorien Ältere Texte, André Malberg, Blog, Blogautoren, Essays, Filmbesprechungen, Filmschaffende, Filmtheorie veröffentlicht. Sie können alle Kommentare zu diesem Beitrag über den RSS 2.0 Feed verfolgen. Sie können diesen Beitrag kommentieren, oder einen Trackback von ihrer eigenen Seite setzen.

Eine Antwort zu “Betten, die die Welt bedeuten – Weiße Haut auf schwarzen Schenkeln (1976)”

  1. Filmforum Bremen » Das Bloggen der Anderen (25-05-20) on Mai 25th, 2020 at 17:55

    […] André Malberg nimmt sich für Eskalierende Träume die Franco/Dietrich-Produktion „Weiße Haut auf schwarzen Schenkeln“ vor. Und allein das Bildmaterial sieht um so viel toller aus, als es der Film meiner Meinung nach […]

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