Das Schnittmassaker von Blackwood Castle – La bambola di Satana (1969)





Irritierende Anfangssequenzen des Kinos, Abteilung vorgeblich gediegene Grusler: Ein Châteaupanorama, fern, näher, Reißschwenk nach links auf ein Männergesicht am Boden, das als ganzer Toter aus der starren Aufnahme gezogen wird, ein Schnitt gefolgt von einem sofortigen Zoom auf einen irritiert Umherschauenden auf weiter Flur, abermaliger Schnitt, beim Château fährt der Lebensmittellieferant vor und grüßt den just Entsorgten – er muss es doch sein. Nie wahrhaftig in Relationen gesetzte Impressionen, denn der einzige Spielfilm des ominösen Ferruccio Casapinta ist eines jener Geheimniswerke, welche allein diejenigen zustande bringen, die das Kino einmal als hübsche Idee unterhalten, seine Mechanismen wie von länger Verbliebenen kolportierten Erfordernisse jedoch nie mit der professionellen Bedächtigkeit des Routiniers durchblickt haben und somit unverrichteter Karriere wieder von dannen zogen.

Obgleich nominell dem italienischen Giallo zuzurechnen, spielt „La bambola di Satana“ dennoch nie mit cleveren Twists und schockierenden Enthüllungen, sondern mit offenen Karten – seine Geheimnisse führen zuverlässig ins Nichts der kinematografischen Grasnarbe. Dass obiger Mann nicht jener ist, der er vorgibt zu sein – geschenkt, man riecht es selbst inmitten absoluter Windstille über Meilen hinweg. Es ist einfach, soll nicht für Überraschungen sorgen – mehr für dadaistische Verwirrung, auf die jede Faser der Inszenierung eingeschworen wirkt. Casapintas Film ist ganz gegen die Natur seiner narrativen Unaufgeregtheit, was ein freundliches Understatement darstellt, einer der expressiv geschnittensten inmitten seiner dezidiert nicht kunstgewerblichen Umgebung. Es gibt die Montage gleich in mehreren samt und sonders vage bis vertauscht beschrifteten Geschmacksrichtungen. Tonal ist der Schnitt, welcher heiteres Radiogedudel aus schlosswärts durch die Kadrierung preschenden Sportwagen unmittelbar an die betretene Ruhe einer versammelten Erbengemeinschaft unangenehm durchschneidendes Besteck bindet. Mit dem ernüchternden Schnitt geht es sogleich weiter, denn er trägt uns aus dieser Trübtesse in eine bislang nie auch nur angedeutete und wesentlich schlimmere. Tischfern startet ein unzusammenhängender Jüngling die Jukebox – wir befinden uns nun in der Dorfkneipe, das bedarf keiner Exposition. Dezente Fahrt rücklings zu proper abhottenden Kids im falschen biologischen Daseinsabschnitt, mit Linksschwenk weiter auf einen Trübling im angrenzenden Essraum, der dort hinterm Durchguckviereck noch ungleich trister herumsitzt, glasig ins Bier glotzt und sich anscheinend aller kleinen Dinge des Lebens grämt.

Kurz verdichtet: „La bambola di Satana“ ist der Film, dem es gelingt aus seinen Nahtstellen in einer Tour stets noch trübere Tassen hervorzuzaubern. Sämtliche filmischen Mittel arbeiten hier ungemein präzis: Keine Verdächtigenparade, dafür verhalten sich die aus dem Hut Gezogenen ohnehin viel zu durchsichtig-überspannt, eine verklausulierte Thrillerparodie, diebisch auf die zunehmende Entgeisterung seines Publikums bauend und, wenngleich in weniger offenkundiger Meta-Schangeligkeit, am ehesten vergleichbar mit den Edgar-Wallace-Filmen Alfred Vohrers, deren expressive Farblichkeit in Nachfolge einer klassizistischeren Schwarz-Weiß-Ära sowie kuttenbehangene Geisterbahnschauerromantik im erheblichen Umfange gechannelt werden, oder „00 Schneider – Jagd auf Nihil Baxter“ (Helge Schneider & Christoph Schlingensief, 1994), nicht den üblichen Zeitgenossen. Zur Perfektion seiner Reihe unvermittelt von hinten heruntergezogener Cordhosen bedarf es eines weiteren Hilfsmittels – dem sabotierenden Schnitt. Erwähnter Trübling wird sich im Zuge dialogischer Beschnüffelungen bei ähnlich fraglichen Gestalten artig verdächtig machen und mysteriös am Bartresen zurückbleiben, wo ein rascher Zoom in Richtung seiner Visage Verschlagenheit heraufbeschwören will, nur um auf halber Strecke völlig unvermittelt von einem Überraschungsschnitt in eine Nahe aus merklich verrutschter Schussrichtung entgleist zu werden.

Geringachtung für simpelste Anschlüsse wie diesen prägt den radikal verschnittenen Film in einer Masse, die selbsternannte Fehlerfinder ohne Weiteres in den Wahnsinn treiben muss. Exzentrische Eigenheiten der Montage als Irritierungseffekte – so relativ unbeleckt vieles an Casapintas einzigem Werk, inbesondere auch der zum Einsatz gekommenen Crew wirkt, Cutter Franco Attenni war ganz sicher ein Profi, dem Unsauberkeiten dieses Ausmaßes nicht ohne Absicht oder Vorgabe unterlaufen sein dürften. Ungemein viel ist es nicht, was seine Laufbahn hergibt, doch mit Mario Lanfranchis „Sentenza di morte“ (1968) montierte er in der Nachbarwelt des italienischen Westens immerhin einen ähnlich singulären, für seine Idiosynkrasien jedoch ungleich geschätzteren Exoten eines weiteren Genreausflüglers. Auch vermählen sich bisweilen die wohl ernster niedergeschriebenen als gemeinten Drehbuchzeilen unverhohlen mit ihren technischen Triebwerken, diese untereinander und der Fehler mit dem Scherze: Noch während der Testamentseröffnung schlägt Alleinerbin Elisabeth (Erna Schürer) vor Haushälterin Claudine (Aurora Batista) im Dienste zu belassen, was den Vollstrecker dazu motiviert, im herausgestellt lapidaren Ach-ja-Gestus nachträglich den diesbezüglich ohnehin unverrückbaren Wunsch des Verstorbenen zu enthüllen. Ähnlich wankelmütig verhält sich Ronald Careys Haarfarbe, die in steter Fluktuation Töne von natürlichem Schwarz bis variatives Rötlich einer Tönung abwandert. Logisch, mit ziemlicher Sicherheit zogen sich die Dreharbeiten, wurden Nachdrehs erforderlich oder Pausen nötig und in der Zwischenzeit waren Carey die Haare flugs in die eine oder andere Farbbahn entglitten. So möchte man zumindest schlau dahermutmaßen. Spätere Erinnerungen Erna Schürers geben eine ungefähre Vorstellung davon, was sich am Set abgespielt haben könnte: „It was Casapintas a.d. who did everything on set, someone who later worked with Tinto Brass. Casapinta was an idiot who couldn’t do anything…. I think he had a grant for the film, or something like that – I don’t remember. Filming was stopped an then resumed … it was a troubled shoot, which we did in Abruzzo.“ [1]

Und doch passt Casapintas mutmaßlich meuternder Crew dieses vermeintliche Missgeschick nur allzu vorzüglich in den letztlich abgelieferten genredestruktiven Ringelreigen, wird es vielmehr sogar zu einem der eigensinnigsten Gestaltungsmerkmale, einer konstanten im unstet Deliranten. Rostbraun im Morgen, schleicht sich das Rötliche im Laufe des Tages mehr und mehr aus, bis Carey schließlich wie der Interpret eines gänzlich verschiedenen Charakteres ausschaut. Wäre man verstiegen, so würde man einwerfen, dass unfreiwillig getauschte Rollen sich doch im Zentrum des Narrativs befinden, doch dies würde dem Krimiplot mehr hermeneutische Relevanz zugestehen, als er selbst für sich einfordert. Wozu auch – es lassen sich sinnlichere Dinge mit dieser Information anstellen; beispielsweise kann man vorzüglich die Tageszeit an solcherlei Farbwundern ausrichten. Tageslichtabhängig über die rein diesseitige Ausleuchtung hinweg, ermöglicht die Careysche Haarpracht ein Auslesen des weitestgehend uniformen Lichteinfalles und siehe da, konkretisieren die Figuren einmal den ungefähren Stand der Zeiger, so liegt man stets goldrichtig. Ein einziges Mal kommt es zum eklatanten Bruch – im Rahmen der das Finale einläutenden Hundesuche biegt unser Held einmal ums falsche Eck und steht, sofern er zwischenzeitlich nicht kurzfristig in einer der Zeitschleifen aus Mario Bavas „Operazione paura“ (1966) verschütt ging, nach dem Einstellungswechsel von einer Universumssekunde zur anderen ohne jegliches Restrot da. Restaurative Kräfte im Filmschnitt und der Beweis dafür, dass es zu jeder verqueren Richtlinie im Regelbuch auch die dazugehörige Ausnahme gibt. Das ist er, der entzaubernde Schnitt und ist er auch derjenige mit den wenigsten Einsätzen, so prägt die hinter ihm stehende Geisteshaltung das Gesamtkonstrukt mit Abstand am nachhaltigsten.

Für den schnöden Gevatter Zufall fallen die fortwährend kredenzten Irritationen viel zu elaboriert, von langer Hand aufgebaut und auf eine finale Pointe hin zugespitzt, mitunter allerdings auch schlicht im klassischeren Sinne effektiv aus. Kopfwärts windet sich die agile Kamera gleich einer boshaft lauernden Klapperschlange mit vom Hinterteile her gedachter Bewegung durch die mannigfachen Tischszenen, in welchen ansonsten ausgesprochen wenig vonstattengeht – erst recht keine geschickt verschleierte Intrige. Immer zappeliger, eskalativer gerät gleichsam die Montage während der Übergangsmomente in Elisabeths Albtraumwelten – eine Impression, dann zwei in kurzer Folge, immer mehr. Gestaffelt und vogelwild – Erweiterung, Ausbau als Beunruhigungsmechanik. Mehr ist bekanntlich mehr und „La bambola di Satana“ ein Fass bar jedweder Böden, einfach, doppelt oder sonstwie verborgen. Filmische Realität, Immersion lehnt er strikt ab: Einzig für einen disruptiv geringen Moment wird das Bild unscharf als Claudine für uns ihre enorme, an Nana Mouskouri gemahnende Brille abnimmt. Spiele mit dem unverzeihlichsten aller kameratechnischen Frevel, der in den Endschnitt gelangten Unschärfe, sind schwerlich Fehler in einem Film, der sich völlig schambefreit die Blöße gibt, um herauszufordern. Bloß was eigentlich genau?

Derealisation, nicht als Nachempfindung figürlicher Interna, sondern direkt auf das Publikum angewandt, mit vereinten Kräften arbeiten die Disassoziationstechniken des Filmes darauf hin. Bevor Elisabeth endgültig in den eigenen Kopfwelten angelangt, alternieren Traum- und Real-Erna in störend gleichförmigen Einstellungen, die beide Entitäten dupliziert zusammenpuzzlen – Beine zu Oberkörper, Oberkörper zu Beinen und wieder zurück. Auf diese Weise operieren ebenfalls Abfolgen den Handlungsrahmen verkleinernder beziehungsweise vergrößerenden establishing cuts, die lediglich zur zur Orientierung beitragen dürfen, wenn den Verantwortlichen der Sinn danach steht. Hausfront im grummelnden Gewitter, weiter ran, ein Stockwerk höher, nun von innen hinter der Barriere. Die wenigen Kritiker, die ihn gesehen haben, werfen der Produktion Schmucklosigkeit vor, wie Roberto Curti, der in seinem Standardwerk „Italian Gothic Horror Films, 1957 – 1969“ knapp festhält:

If the budget is patently on a shoestring, Casapinta shows no directorial flair at all. For a gothic film La bambola di Satana looks awful. Furthermore, the editing is disjointed at best, with day and night shots alternating within the same scene.[…]

[Roberto Curti – Italian Gothic Horror Films, 1957-1969 (McFarland Press, 2015); S. 193, Z. 34 – 41]

Dabei interessiert sich Casapinta, oder wer auch immer das fertige Produkt abzeichnete, bloß wenig für Fahrten, Schwenks, mechanische Bewegung, denn die ist aus einem Guss, in einem gewissen Sinne zumindest temporär der dokumentarischen Wahrheit verpflichtet und legt sie nur Dimensionen des Setaufbaus (bzw. heute deren CGI-Illusion), des Räumlichen frei. Der Filmschnitt hingegen ist seit jeher der mächtigste Agent der Lüge, dient hier wieder und wieder zur Desorientierung, zur Verschleierung des größeren Ganzen, schließlich selbst der eigenen Motive. Gelegentlich erfolgen Übergänge von außen nach innen ohne zu einer konkreten Verortung, einem Gefühl für Raum und Zeit beizutragen; einmal könnte es gar ein weiteres gut getarntes Außen sein, das sich seinem Vordermann anschließt: Neckisch tritt die Kamera den seitlichen Rückzug von einer vom Schnitt und Düsternis hinter der Pforte als Innen angedeuteten Tür zu den dergestalt freigelegten Säulen einer Veranda an, über die sich überfallartig taghelle Ausleuchtung ausbreitet. Alles im Widerspruch zum Geschehen, dass eine nächtliche Haussicherung suggeriert. Widerspruch, immerzu im Widerspruch, immerzu auf notwendiger Distanz. Ob Umherschleichmusik zu einem bizarren Schwertkampf eingespielt wird, der im via Schnitt in Hörweite berufenen Büro wenige Türen weiter eine deutlich herausgestellte Nichtreaktion hervorruft oder Franco Potenza auf dem monotonen Grundrhythmus seiner Kompositionen parallel, weniger direkt unterstützend, mit Pianoanschlägen, Saxofonschreien und schief herumzitternden Elektronikklängen zu einer imaginierten Folterung Schürers eskaliert – der Film scheint selbst mit der Zeit zu vergessen, dass er dem Publikum in irgendeiner vorangegangenen Konzeptionsphase sicher einmal Morde und wohlige Thrills auftischen wollte.

Was Erna Schürer bezüglich der Arbeitsteilung am Dreh zu Protokoll gab, vermag zumindest teilweise zu erklären, wie dem fertigen Produkt in einem solch bezirzenden Maße der heilige Ernst des Filmemachens abhanden gekommen sein könnte. Es existierte schlicht keine in irgendeiner Weise zukunftsfähig unter Glücksstern stehende Karriere. Keine Auskunft erteilt dies jedoch darüber, wer wann und an welcher Stelle wieviel Intention in die kuriosen Vorgänge auf der Leinwand goß. Vieles – die Arglosigkeit von Gewalt wie Sex, der Wallace-Look, die sich noch auf dem Höhepunkt des italienischen Gothichorror befindlichen Bausteine um Schloss, Erbschaft und Folterkammer – legt nahe, dass zwischen Drehende und letztendlichem Kinostart einige Zeit ins Land gezogen sein dürfte. [2] Das Endergebnis hingegen ist in einer bestimmten Weise jedoch sehr zeitgemäß, wirkt es doch wie eine nach der Fernsehpremiere von Hanna-Barberas „Scooby-Doo, Where Are You!“ (1969-1970) [2] hastig mehr in dessen Richtung zurechtgekloppte Verdichtung des ursprünglichen Materials. Herniedergerissene Masken, ein Heldenteam von Jungs und Mädels, das sich für deutlich cleverer hält, als es ist, ziellose Lauferei im alten Gemäuer, schließlich ein von jedermann als Gesprächspartner wahrgenommener Hund, der den Fall kurzentschlossen selbst löst und der im Einsetzen begriffenen Aufklärungsexposition dezent ungeschickt das Wort abschneidet – das sind die Eckpfeiler. Die stistische Gemeinsamkeit hingegen lautet: So wenig sich narrativ und auch rein formal bewegen mag, alles an unbelebter Materie ist stetem, unvorhersehbarem Wandel unterworfen. In den Gefilden seines Genres ist „La bambola di Satana“ ein Unikat, postmodernes Antikino, das zuerst einmal von Nichtigkeiten erzählt, das Werk von Menschen, die Film, das Kino als todernste Kulturtechnik offenkundig bestenfalls erheiternd fanden.


[1] zitiert nach [Roberto Curti – Italian Gothic Horror Films, 1957-1969 (McFarland Press, 2015); S. 194, Z. 10 – 17]
[2] Curti mutmaßt in gleicher Stoßrichtung, kann allerdings ebenfalls keine konkreten Beweise in Form von Produktionsunterlagen o.ä. vorlegen.
[3] Die Erstausstrahlung erfolgte am 13.09.1969 in den USA, eine italienische Bearbeitung wurde relativ zeitnah 1971 in die Sendeanstalten gebracht. Nach Curti erhielt „La bambola di Satana“ am 05.10.1969 das Prüfvisa und lief im Dezember 1969 in den Kinos an.


La bambola di Satana – Italien 1969 – 90 Minuten – Regie: Ferruccio Casapinta – Produktion: ? – Drehbuch: Ferruccio Casapinta, Giorgio Cristallini, Carlo M. Lori, Alfredo Medori – Kamera: Francesco Attenni, Nicola Bonsanti – Schnitt: Franco Attenni – Musik: Franco Potenza – Darstellende: Erna Schürer, Ronald Carey, Aurora Batista, Ettore Ribotta, Lucie Bomez u.v.a.


Dieser Beitrag wurde am Freitag, Juli 17th, 2020 in den Kategorien Ältere Texte, André Malberg, Blog, Blogautoren, Essays, Filmbesprechungen, Filmschaffende, Filmtheorie veröffentlicht. Sie können alle Kommentare zu diesem Beitrag über den RSS 2.0 Feed verfolgen. Sie können diesen Beitrag kommentieren, oder einen Trackback von ihrer eigenen Seite setzen.

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