100 deutsche Lieblingsfilme #67: Freddy, die Gitarre und das Meer (1959)
Ein bisschen der neorealistische „Grosse Freiheit Nr. 7“. Helles, natürliches Licht, Schatten, die niemandem einen Schrecken einjagen, die geheimnislosen Kontraste der Wirklichkeit in ungewohnt schmucklosem Schwarz-Weiß. Die geschäftige Ruhe der 1950er Jahre dehnt sich aus auf Märkten, den Mündern der Schausteller, in Kneipen, einem Zeitenbild, dessen Lokalkolorit wie unsimuliert erscheint. Wenn Käutners Ode auf die Individualität Wunschbild aus dunklen Zeiten ist, drängt sich hier das Wort Abbild auf. Eine von oben herab den Pfad statt den Rhythmus des Gehetzwerdens zwischen Fischbuden nachmessende – eben nüchtern abbildende – Verfolgungsjagd wirft Ausschmückung dazu. Filmische Bewegung, Kranfahrten, die glanzvolle Raffinesse alter Meister. „Freddy, die Gitarre und das Meer“ ist ein Film der Gegensätze. Des Titelhelden gedrungener Körperbau und seine sanftmütigen Züge vor dem fürsorglichen Seelenleben – schon ganz für sich ein wunderbarer Kontrast. Alle löst Wolfgang Schleif sie gleich auf, Minus mal Plus ergibt bei ihm doch immer nur Plus – nicht Naivität, schiere Warmherzigkeit. Die ist eine Bulette auf die Faust und bloß maskiert hinter Peter Carstens schnoddrigem Seemannsgebell, der distinguierten Schmierigkeit Harry Meyens. Wirklich jedem zaubert sie früher oder später ein Lächeln ins Gesicht, die Musik, biegt sie die Minen alarmierter Nachtwächter und Kommissare kraft ihrer animierenden Wirkung ins Gegenteil.
Ist sie im Schlagerfilm allzu oft allein übersteigerter Ausdruck, Kommunikationsmaschine der Gefühlslage gewesen, Metier von Protagonisten so glücklich, dass es eruptiv aus ihnen herausbricht, interessiert Schleif wie kaum einen anderen Filmemacher dieser Zeit, wie sie erst die ihre, dann die unsere beeinflusst. „Ich singe am liebsten, wenn mir danach ist.“, gibt Freddy zu Bedenken und Ferne ist urplötzlich ein gutbürgerliches Impromptuaufnahemstudio inmitten des guten, alten Hamburg, während seine Stimme schon bald zumindest halbenthusiastisch ins Mikrofon drängt. Anderswo klingt der Gesang einer exostischen Showrevue aufreizend wie die bestiefelten Beinpaare vom Bretterboden, lässt er die Männer im Publikum rasant den Verstand verlieren. Am Bühnenrande entlang grast die Kamera ihre Reaktionen ab, einer übernimmt für den so seitwärts aus der Kadrage Fallenden den begeistert weitergetragenen Gassenhauer. Und auch die Damen und Herren Schluckspecht prosten sich entlang des aus der Vogelperspektive und inklusive Knick abgefahrenen Tresen unentwegt gute Laune zu.
Bewegung ist ein mehrgliedriges System in Schleifs Film: erst die Vibrationen der Stimmbänder, dann die spitzohrige Rezeption der Kamera zuerst, der Rest ist simpler Anstoß. Doch nicht immer ist es so einfach, die Resonanz aus dem Verborgenen zu halten. Schnitte auf glänzende Gesichter schaffen beredte Transparanz, einmal gibt ein links üben dem abgewandten Pianisten montierter Spiegel ihm wie uns Auskunft über die wahrlich an seinen Fingerspitzen baumelnden Tanzpuppen. Die ist sie wieder, die Ausgetüfteltheit des Wirtschaftswunderkinos. Zwischen den Zeiten, zwischen den Stilen wandelt „Freddy, die Gitarre und das Meer“ und verleiht dieser Haltung in einem der wohl entrücktesten Momente allen deutschen Kinos formvollendet Ausdruck. Ausgelassen stimmt Freddy auf dem Karussel eines Jahrmarktes etwas Rockiges an, von entgegengesetzten Bildrändern her Angesicht zu Angesicht mit seiner Susi (Corny Collins). Doch da ist noch eine dritte Fläche, ein verspiegelter, drehbarer Wunschkristall mittig in die Karusselkapsel eingelassen. Intoniert man die richtigen Zeilen begibt er sich in Rotation, von Susis gespiegeltem Antlitz zum adretten Tanztraum einer fernen Dimension. Das Gesicht als Projektionsfläche ganz neu definiert, eine kleine Leinwand voll Sehnsucht und Fernweh. Eine unvermittelte Ahnung vom Wesen deutscher Wunschvorstellungen in den ausgehenden 50er Jahren. Was könnte sein, wäre man nicht gerade hier, in der nasskalt-grauen Hansestadt, sondern anderswo?
Freddy, die Gitarre und das Meer – BRD 1959 – 92 Minuten – Regie: Wolfgang Schleif – Produktion: Peter Schaeffers, Aldo von Pinelli – Drehbuch: Gustav Kampendonk, Aldo von Pinelli – Kamera: Heinz Pehlke – Schnitt: Hermann Ludwig – Musik: Lotar Olias – Darsteller: Freddy Quinn, Christian Machalat, Corny Collins, Peter Carsten, Sabine Sesselmann u.v.a.
[…] Warum ausgerechnet „Freddy, die Gitarre und das Meer“ zu André Malbergs 100 deutschen Lieblingsfilmen zählt, kann man auf Eskalierende Träume […]