Nervös stehe ich am Eingang zum Kino, in dem ich gleich den neuen Nicolas Cage Film „The Unbearable Weight of Massive Talent“ (2022) in einer Pressevorführung sehen werde, zwei Monate vor Erscheinungstermin. Mit Presse habe ich so gar nichts zu tun und muss etwas in mich rein schmunzeln. Niemand von den Personen hier kann auch nur annähernd erahnen, wie aufgeregt ich bin, Cage wieder auf der großen Leinwand zu sehen. Während ich in der üblichen Corona-Schlange stehe, lasse ich Revue passieren, wie ich hierhergekommen bin.
Es ist März 2020. Seit wenigen Monaten nehme ich Antidepressiva, zum ersten Mal in meinem Leben. All meine Sorgen und Ängste wurden unerträglich. Ich habe gemerkt, die fünf Jahre Therapie werden meinen Kopf nicht mehr so hinbiegen, wie ich ihn mir wünsche. Also wieso nicht einfach mal Tabletten versuchen? Ich fühle mich damit richtig gut. So gut wie schon sehr lange nicht mehr. Doch meine Ängste werden ständig wachgerüttelt. Das Virus nähert sich dem Alltag. Ich muss die Angst immer öfter runterschlucken und merke zunehmend, wie ich mich erneut durch jeden Tag kämpfen muss. Total frustriert wache ich jeden Morgen auf und zwinge mich auf die Arbeit zu gehen, um Tätigkeiten auszuüben, die für mich nun völlig sinnlos erscheinen, während die Welt, wie ich sie kenne, zusammenfällt. Weiterlesen…
In Venedig traf ich einmal im Kinema einen Engländer. Er sass neben mir, und aus der Art, wie er sich hatte, merkte ich, dass auch er ein Afficionado war, so gut wie ich. So sprach ich ihn an, und wir plauderten zusammen. Dann kam ein Rollfilm, der den schönen Namen führte: “Belohnte Tugend“, da winkte er mir zu schweigen. Und er sah dieses Stück nicht -, er trank es mit seiner ganzen Seele. Es war eine etwas larmoyante Sache, die im Bois spielte; eine junge, sehr hübsche Schauspielerin vom Odéon spielte darin. Und dann sagte mir der Engländer, dass er in diese Frau verliebt wäre. Er reise nun schon seit fünf Wochen diesem Rollfilm nach, den er zuerst in Turin gesehen habe, er verfolge ihn durch alle italienischen Städte. Am Ende einer jeden Woche erkundige er sich bei dem Kinemabesitzer, wohin der betreffende Film nun gesandt würde – und dahin reiste er. Ich fragte ihn, warum er dann nicht lieber versuche, das Original kennen zu lernen, er brauche ja nur nach Paris zu reisen und sich nach der Adresse der jungen Dame zu erkundigen, so könne er in spätestens drei Tagen seiner Angebeteten zu Füssen liegen. Doch er schüttelte den Kopf – nein, nein, er liebe das Bild und nicht die Frau. – Vor einigen Wochen jedoch schrieb er mir von seinem Landhause in Devonshire einen überaus glücklichen Brief: er hatte sich einen Kinematograph gekauft und einen einzigen Rollfilm dazu: “Belohnte Tugend“. Nun kann er, wenn er nur will, mit seiner Geliebten allein sein, mit ihr träumen im Dunkeln.
Auszug aus: Hanns Heinz Ewers: Vom Kinema. zuerst erschienen in: Der Kinematograph (Düsseldorf), Nr. 159, 12.01.1910
Es ist mal wieder soweit! Alle Jahre wieder… des Cinephilen liebste Jahreszeit, die Listenzeit. Ab und an begibt man sich in die Keller des Unbewussten, um im Sud der eigenen Vergangenheit suhlend, die Gegenwart dieser Vergangenheit umso heftiger zu spüren. Was mag man, was ist wieso hängengeblieben, was wurde vielleicht verdrängt oder zu Unrecht verschüttet. Ausgrabungen und Begehungen, Museales wie Erschreckendes trifft man an und versenkt sich in die zahlreichen sich spiegelnden und widerspiegelnden Welten, die sich, seltsam ineinander verwoben, immer weiter drehen, wie ein Karussell, das einmal in Gang gesetzt, zu einer Art Perpetuum mobile geworden ist – eine Transformation, die sich gleichermaßen selbst hervorgebracht und verselbständigt hat, immer schnellere und wildere Bahnen ziehend, mysteriös auch für mich, ihren Ursprung und Fixpunkt. Einer spontanen menschlichen Selbstentzündung gleich, hat sich der Virus der Kinematographie, der Wahn der Bilder und Töne in mich gefressen und längst meine Welt überformt, verschlungen und neu erschaffen.
An all das bin ich inzwischen gewöhnt, und auch wenn man als cinephiler Allesfresser in jeder Sekunde ein inneres filmisches Bad nehmen kann (so reich sind inzwischen die genossenen, ja gierig aufgesogenen Welten, es ist wie das Versinken im irisierenden Strudel des Füllhorns), ist es doch immer wieder ein besonders irritierender Genuss, wenn man versucht, über seine Gefühlswelt ein Geständnis abzulegen, sozusagen innere Inventur zu machen, mit all dem Geträumten, Erlebten, Errungenen – dem ganzen Leben und allem, was dazu gehört. Film ist Leben, Film ist das sich selbst denkende Leben. Film ist der Versuch, sich über den Reichtum des Grenzenlosen, des Uferlosen ein Bild zu machen, eine Schwemme der unendlichen Möglichkeiten – und in der mir überlieferten und für mich konventionellsten Form schlichtweg die Kunst des 20. Jahrhunderts.
Was steckt davon in mir, reibt sich an mir, öffnet mich, besetzt meine Gehirnwindungen und frisst mir das Herz? Ein schöner Nebeneffekt ist, dass ich selbst nie weiß, welche Filmemacher schlussendlich auf der Liste landen werden, und welche (wie erschreckend!) aus ihr weichen mussten – vorübergehend nur, sage ich mir, vorübergehend! Die ewige Widerkehr, die endlosen Variationen, des Lichts und des Glückes. Je mehr man sie spürt, desto besser werden sie, je mehr man über die Filme nachdenkt, desto wundersamer erscheinen sie. Die Filmemacher selbst, auch nur Menschen, Gefäße für Inspirationswölbungen und Zuckungen, ausgekotzt, auf die Leinwand geschmiert, kollektiv, mithilfe der eigentlichen Kunst, der Emulsion und des Lichts, quasi Momente der Gnade empfangend von Ich-weiß-nicht-wo. Jeder Film ist immer größer, weiser, ja einfach reicher und reichhaltiger als die Schöpfer und deren Intentionen. Die Besten von ihnen, die mir am nächsten stehen, haben das aufs Wunderbarste umgesetzt.
Es geht hier also nicht um die Menschen, sondern die Filmemacher, und meine Phantasien von ihnen, gefiltert durch ihre Filme. Die Folgenden sind mir momentan die Liebsten, auch wenn ich erschrecke, und erschrocken bin, ob der Zusammenstellung, der vermeintlichen Verluste, und ich diese Liste, wenn ich könnte, wenn ich die Kraft dafür hätte, just in diesem Augenblick gleich wieder umschmeißen, und ihr eine völlig andere Erscheinung geben würde, eine neue Gewichtung. Doch das ist Zukunftsmusik (Masahiro Makino flüstert es in meinem Körper), und dies ist die Vergangenheit. Ich freue mich ob ihrer Wirkung in der Gegenwart, die Liste nun endlich auch final vor mir zu sehen. Abgeschlossen, eingefroren in der Zeit, erstellt bis zum 13. Juli 2018. Weiterlesen…
Wer heutzutage ein „Festival des 35mm-Films“ organisiert, der trifft im Vorfeld zwei Entscheidungen: Die eine – er wird keine (von wenigen Ausnahmen abgesehen) in den letzten Jahren entstandenen Filme zeigen, die andere – er wird eine Position beziehen, gegen die Brutalität der großen Filmstudios und –verleiher, gegen die Ignoranz des breiten Kinopublikums, sich von einer x-beliebigen Vorführungsform berieseln zu lassen. Die Slowenische Kinemathek (im Folgenden: Slovenska kinoteka) in Ljubljana hat vom 17. bis 21. Juni ein „Festival des 35mm-Films“ organisiert, die 2. Ausgabe nach 2013. Es wurden mehrere Kinematheken eingeladen, um in Cartes blanches Archivschätze zu präsentieren und einzuführen, namentlich: Cinémathèque française, Anthology Film Archive, Österreichisches Filmmuseum. Schon vor Monaten hatte ich mir eine Reise nach Ljubljana aus diesem Anlass vorgenommen.
„Es wächst im Volke unter dem Einfluß des Kinos ein ganz neuer seelischer Typus heran. Eine Menschenart, die nur noch in groben Allgemeinvorstellungen zuckend ‚denkt‘, die sich von Eindruck zu Eindruck haltlos hinreißen lässt, die gar nicht mehr die Fähigkeit hat, klar und überlegen zu urteilen. Eine Menschenart, die während der Revolution bereits unheilvoll genug gewirkt hat, und die, je mehr Generationen durch den seelischen Zermürbungsapparat des Kinos bearbeitet werden, immer mehr anwachsen und der Kultur (auch der politischen Kultur) ihr Gepräge geben wird. Das Kino bildet einen neuen, geistig wie sittlich minderwertigen Menschentyp: den homo cinematicus.“
– Wilhelm Stapel
„Geradezu vergiftend wirkt der Detektiv- oder Aufklärungsfilm auf die Jugend, bei der das ganze Geistesleben sich noch in der Entwicklung befindet, die Einbildungskunst viel lebhafter arbeitet, die Eindrücke stärker wirken, die verstandesmäßigen Hemmungen oft fehlen und daher die Gefahr der Verführung viel größer ist. Wie unendlich viele Jungen hat das Kino schon vor Gericht und ins Gefängnis gebracht, und jeder Tag fordert neue Opfer. Der Jugendrichter, der Seelsorger, der Verteidiger, der nach dem Grunde der Tat forscht, hört von den Angehörigen immer wieder: er konnte nicht anders, er mußte in alle Films rennen, und dort sieht und lernt er ja, wie er es zu machen hat.!“
Ein Magischer Moment: Gerade eben in Rudolf Thomes Online-Tagebuch einen Ausschnitt aus dem Making-Of seines neuen Films Ins Blaue gesehen, der bei Youtube hochgeladen wurde. Es geht um Film als Lebensenergie. Ich bin ganz elektrisiert, und freue mich nicht nur erneut auf Ins Blaue sondern auch auf das Making-Of. Wenn es nur halb so intensiv wie dieser kurze Einblick wird, gibt es 2012 vielleicht sogar 2 Filme um Thome zu entdecken.
Das Jahr neigt sich dem Ende zu und der Listenwahnsinn hat traditionell Hochsaison. Dem wollen wir, die wir zumindest zum Teil selbst Listen-Fans sind, uns natürlich nicht entziehen. Bevor es demnächst um die Jahreslisten mit den Lieblingsfilmen des aktuellen Jahrgangs 2009 geht, liegt der Fokus hier in einem Sammelposting erst einmal auf den Entdeckungen abseits des aktuellen Jahrgangs, es geht also um ältere Filme, die man 2009 zum ersten Mal gesehen und für sich entdeckt hat. Einzige Vorgabe für dieses Sammelposting war, dass der Umfang der einzelnen Listen nicht zu umfangreich sein sollte, für allzu ausufernde Listen sind dann ggf. seperate Postings oder der Sehtagebuch- bzw. Listen-Bereich vorgesehen. Hier geht es erstmal um das halbwegs übersichtliche Zusammenfassen komprimierter Entdeckungslisten, wie stark komprimiert und ausgesiebt wurde, schwankt aber von Fall zu Fall. Nachfolgend also die Listen im Einzelnen.
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Alexander P.
15 Entdeckungen 2009 (ungeordnet):
Mimi wo sumaseba (Yoshifumi Kondo) Escape from L.A. (John Carpenter) Sieben Tage Frist (Alfred Vohrer) Point Break (Kathryn Bigelow) Strait-Jacket (William Castle) Salaam Cinema (Mohsen Makhmalbaf) The Pit, the Pendulum and Hope (Jan Svankmajer) House by the River (Fritz Lang) After Midnight (Monta Bell) Model Shop (Jacques Demy) Le notti bianche (Luchino Visconti) Dead of Night (Bob Clark) Mauvais sang (Léos Carax) The Mirror (Jafar Panahi) My Bloody Valentine (George Mihalka)
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Sano
Die sieben aufregendsten Filme des Jahres. Was haben sie bei genauerer Betrachtung gemeinsam? Den Exzess, den Überschuß. Das Manische im Beharren – auf der Allmacht des Helden in Die Nadel, auf der der Natur in Rotes Kornfeld. Die Protagonisten glauben an etwas, sind zwanghaft in ihren Handlungen. Was sich in ihren Gesichtern niederschlägt – in den Augen von Viktor Tsoj, Marlon Brando, Gong Li, Al Pacino, Kitty Winn, Joan Crawford und Joan Marshall – ist die Entschlossenheit und die Präsenz, im Hier und Jetzt. Das Direkte und Schnörkellose, Leben im Augenblick.
1. Hong gao liangRotes Kornfeld Yimou Zhang China 1987 2. IglaDie Nadel Rashid Nugmanov Sowjetunion 1988 3. Chui SaaiDie fliegenden Feuerstühle Stanley Wing Siu Hongkong 1973 4. Strait-JacketDie Zwangsjacke William Castle USA 1963 5. One-Eyed JacksDer Besessene Marlon Brando USA 1961 6. The Panic in Needle ParkPanik im Needle Park Jerry Schatzberg USA 1971 7. HomicidalMörderisch William Castle USA 1961
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Andreas
Bei der Suche nach Schwerpunkten und Schnittmengen zwischen den einzelnen filmischen Entdeckungen, also einer Entdeckung auf breiterer Ebene, bin ich schnell zu dem Schluss gekommen, dass meine größte filmische Entdeckung des Jahres wohl tatsächlich eine ziemlich kuriose und spezielle, ebenso ungewöhnliche wie ungewürdigte, überraschende wie abseitige war: der 16mm-Film. Zuvor war er mir überwiegend eigentlich nur von meist unbefriedigenden 35-zu-16mm-Reduktionskopien als Wiedergabemedium bekannt, während nun ausgerechnet bei der Berlinale im Schatten der auf ärgerliche und unnötige Weise teils verpfuschten 70mm-Retrospektive drei erstaunlich schöne 16mm-Kopien (bei denen 16mm im Normalformat auch das Aufnahmeverfahren war: „Schwitzkasten“, „Das unbekannte Hamburg“, „When It Was Blue“) für eine echte Überraschung sorgten, die sich im Laufe des Jahres unerwartet oft bestätigen sollte. Meine zwei vermutlich besten Kinoerlebnisse des gesamten Jahres verdanke ich dem Format: Lino Brockas Meisterwerk „Manila: In the Claws of Light“ auf der Viennale und Andy Warhols „Chelsea Girls“ in der intendierten 16mm-Doppelprojektion. Und auch sonst begegnete es mir immer wieder als Aufnahme- und damit auch originalgetreues Wiedergabeverfahren: bei diversen US-Surferfilmen (allen voran „Red Hot Blue“), bei Clemens Klopfenstein und Christian Schocher, bei Christoph Schlingensief und Jörg Buttgereit, und zumindest als Aufnahmeformat ganz markant auch bei „The Sinful Dwarf“ (den ich übrigens ausdrücklich in der verblüffend stimmigen und die grandios-verstörende Ambivalenz des Films noch steigernden Fassung mit Hardcore-Szenen empfehlen möchte – und natürlich ohnehin nur denjenigen, die wissen, auf was sie sich da einlassen) sowie als Super16-zu-35mm-Blow-Up auch bei (noch…) relativ vielen und dabei auffallend tollen aktuellen Filmen. Das schleichende Verschwinden des klassischen 16mm-Experimental- und Independentfilms – man denke an Wiseman, Benning, Brakhage etc. – ist meines Erachtens eine der großen Tragödien im Gefolge der Digitalisierung, weil die Bildcharakteristik, die spezifische Körnung und Materialität von 16mm bislang auch kein wirkliches digitales Äquivalent hat. Insofern bin ich froh, dieses leider wohl unweigerlich vom mittelfristigen Aussterben bedrohte Format ebenso wie vor zwei Jahren den 70mm-Film gerade noch rechtzeitig vor seiner endgültigen Marginalisierung und Historisierung in originalgetreuer Form entdeckt, erlebt und gewürdigt zu haben. Aber genug davon und lieber schnell zur eigentlichen Liste und den einzelnen Filmen…
31 Entdeckungen (ungeordnet; drei Viertel der ausgewählten Filme im Kino gesehen; wegen besserer Übersichtlichkeit sind lediglich die deutschen bzw. internationalen Titel sowie die Regie angegeben):
Schwitzkasten (John Cook) Nocturnal Uproar (Catherine Breillat) Downtown – Die nackten Puppen der Unterwelt (Jess Franco) Die Kommissarin (Aleksandr Askoldov) Sansho Dayu – Ein Leben ohne Freiheit (Kenji Mizoguchi) Geschichte der Nacht (Clemens Klopfenstein) The Satisfiers of Alpha Blue (Gerard Damiano) El Sur – Der Süden (Victor Erice) Die nackte Gräfin (Kurt Nachmann) One-Eyed Jacks (Marlon Brando) Les hautes solitudes (Philippe Garrel) Rancho Notorious (Fritz Lang) Chelsea Girls (Andy Warhol) Monpti (Helmut Käutner) Red Hot Blue (Curt Mastalka) Quelle für die Dürstenden (Juri Iljenko) Transes – Reiter auf dem toten Pferd (Clemens Klopfenstein) Few of Us (Sharunas Bartas) Mondo Cannibale 2. Teil – Der Vogelmensch (Ruggero Deodato) Bona (Lino Brocka) Feuerpferde (Sergej Paradschanow) So Is This (Michael Snow) Reisender Krieger (Christian Schocher) Manila: In the Claws of Light (Lino Brocka) Venus im Pelz (Massimo Dallamano) Supermarkt (Roland Klick) Jaguar (Lino Brocka) Still Life (Sohrab Shahid Saless) Zwei unter Millionen (Victor Vicas, Wieland Liebske) The Sinful Dwarf (Vidal Raski) Mad Foxes (Paul Grau)
Bonus:
+ sechs Mal William Castle mit Live-Gimmicks + die grandios direkten, prägnant erzählten Kurzfilme von Marran Gosov + 70mm in seiner Essenz: The Miracle of Todd-AO & Sky over Holland + Western im Kino (die beiden größten Neuentdeckungen stehen auf der Liste, die schönsten Wiederentdeckungen: Forty Guns, My Darling Clementine, El Dorado) + diverse Retrospektiven und Werkschauen, vor allem jedoch die zu Apichatpong Weerasethakul, Claire Denis und John Carpenter (drei Filmemacher für die große Leinwand) + Sleaze, Trash und Schlock aller Couleur, je schäbiger und schmieriger, desto lieber (halb-stellvertretend finden sich die vollkommen großartig-schäbigen Schundwerke Downtown und Mad Foxes in obiger Liste)
Und noch anderes mehr, das hier allerdings den Rahmen sprengen würde.
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Alexander S.
23 Entdeckungen
Um mich zu beschränken habe ich nur Filme aufgenommen, von denen ich mir vorher nicht sowieso schon sicher war, dass sie mich restlos begeistern würden, daher fehlen einige erstmals gesehene Filme von Zulawski, Resnais, Cronenberg… Zweimal habe ich trotzdem geschummelt, da „Stereo“ und „Satansbraten“ einfach in meine Liste MUSSTEN…
Spavolač mrtvol (Juraj Herz 1969)
Stereo (David Cronenberg 1969)
De vierde man (Paul Verhoeven 1983)
Angst (Gerald Kargl 1983)
Ran (Akira Kurosawa 1985)
Anatomie de l’enfer (Catherine Breillat 2004)
Sanma no aji (Yasujiro Ozu 1962)
Braindead (Peter Jackson 1992)
Satansbraten (Rainer Werner Fassbinder 1976)
A Streetcar Named Desire (Elia Kazan 1952)
Play Time (Jacques Tati 1967)
Dinner at Eight (George Cukor 1933)
Die Zärtlichkeit der Wölfe (Uli Lommel 1973)
The Devil Doll (Tod Browning 1936)
Few of Us (Sharunas Bartas 1997)
Le film a venir (Raoul Ruiz 1997; Short)
Dealer (Benedek Fliegauf 2004)
La coquille et le clergyman (Germaine Dulac 1928)
Nekujiru-so (Tatsuo Sato 2001; Short)
Monsieur Klein (Joseph Losey 1976)
Russkiy kovcheg (Aleksandr Sokurov 2002)
Femina Ridens (Piero Schavazappa 1969)
Pokolenie (Andrzej Wajda 1955)
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Christoph
Listen erstellen macht Spaß – aber nur, wenn man nicht zu rigide auswählen muss! Wie ich in diesem Text erst kürzlich schrieb, finde ich praktisch beinahe alles gut, bin von Natur aus genügsam und obschon im Leben ein Pessimist, zumindest als Cineast eine ausgesprochene Frohnatur, die nichts anbrennen lassen will.
Da ich während meines 7-monatigen Aufenthalts in Cambridge (dem englischen, nicht dem amerikanischen) aufgrund des äußerst bescheidenen Programmangebots der drei örtlichen Kinos und pragmatischer Selbstbeschränkung aus Sparsamkeitsgründen kaum aktuelle Filme gesehen und darüber hinaus alle drei wichtigen deutschen Festivals – Berlinale, Filmfest München und Fantasy-Filmfest – versäumt habe, beläuft sich die Anzahl von gesehenen Neustarts bei mir auf mickrige 25. Bei insgesamt um die 350 gesichteten Filmen. Dementsprechend darf diese Liste als meine eigentliche Bestenliste des Jahres gelten, da ich nicht nur zu wenig aus sondern anscheinend auch nur die zweite Wahl an Filmen dieses Kinojahres gesehen habe.
Mit einer „Entdeckung“ assoziiere ich persönlich auch immer eine Überraschung, niedrige oder unscheinbare Erwartungshaltungen, die sich zu begeisterten Wolken aufblähen. Daher habe ich beschlossen, mir selbst die Auswahl meiner 44 Entdeckungen anhand des jeweiligen Überraschungsfaktors zu erleichtern. Filme von Lieblingsregisseuren, auf die man sich schon seit Jahren freut oder auch allgemein Titel, von denen man zuvor stets sagte „Den will ich schon ewig sehen“ disqualifizieren sich selbstverständlich. Anders sieht das schon mit Filmen von Lieblingsregisseuren aus, die einem bisher komplett egal waren, nach denen man kein Verlangen verspürte und die man dann schlussendlich doch zufällig oder einfach so aus Komplettierungsgründen gesehen hat, völlig unvorbereitet auf die Welle der folgenden Begeisterung. Hier also eine Liste mit 44 Filmen, die ich eindeutig 2009 entdeckt habe.
1. Memories within Miss Aggie(Gerard Damiano, USA 1974) 2. Viva Zapata! (Elia Kazan, USA 1952) 3. Haus der Schatten (Alasteir Reid, GB 1970) 4. Die scharlachrote Kaiserin (Josef von Sternberg, USA 1934) 5. The Honeymoon Killers (Leonard Kastle, USA 1969) 6. Bullitt (Peter Yates, USA 1968) 7. Der Wildeste unter 1000 (Martin Ritt, USA 1963) 8. Die nackte Gräfin (Kurt Nachmann, BR Deutschland 1971) 9. Der Mann auf dem Dach (Bo Widerberg, Schweden 1976) 10. Anatomy of Hell (Catherine Breillat, Frankreich 2004) 11. Kaltblütig (Richard Brooks, USA 1967) 12. If…. (Lindsay Anderson, GB 1968) 13. Die große Leidenschaft (David Lean, GB 1949) 14. Eine Handvoll Hoffnung (Nicholas Ray, USA 1956) 15. Equus (Sidney Lumet, GB/USA 1977) 16. Adaptation (Spike Jonze, USA 2002) 17. Ein Platz an der Sonne (George Stevens, USA 1951) 18. Manji – Die Liebenden (Yasuzo Masumura, Japan 1964) 19. Nizza (Jean Vigo, Frankreich 1930) 20. Meine Lieder, meine Träume (Robert Wise, USA 1965) 21. Britannia Hospital (Lindsay Anderson, GB 1982) 22. Ein neuer Stern am Himmel (George Cukor, USA 1954) 23. Excalibur (John Boorman, GB 1981) 24. Ipcress – Streng geheim (Sidney J. Furie, GB 1965) 25. Der Erfolgreiche (Lindsay Anderson, GB 1973) 26. The Devil’s Backbone (Guillermo del Toro, Spanien/Mexiko 2001) 27. The Prince of Terror (Lamberto Bava, Italien 1988) 28. Allegro (Christoffer Boe, Dänemark/Schweden 2006) 29. Door to Silence (Lucio Fulci, Italien 1991) 30. Elvira Madigan (Bo Widerberg, Schweden 1967) 31. Der Wolfsjunge (François Truffaut, Frankreich 1970) 32. Death Falls Lightly (Leopoldo Savona, Italien 1972) 33. Mumsy, Nanny, Sonny and Girly (Freddie Francis, GB 1969) 34. Die Schlacht der Centurions (Lucio Fulci, Italien 1984) 35. Happy End (Oldrich Lipsky, Tschechoslowakei 1966) 36. Taxi zum Klo (Frank Ripploh, BR Deutschland 1981) 37. The Consequences of Love (Paolo Sorrentino, Italien 2004) 38. Lost Soul (Dino Risi, Italien/Frankreich 1977) 39. Umarmung (Roberto Malenotti, Italien/Frankreich 1969) 40. Kaminsky – Ein Bulle dreht durch (Michael Lähn, BR Deutschland 1985) 41. Howling VII / The Howling – New Moon Rising (Clive Turner, USA 1995) 42. Jede Nacht um neun (Jack Clayton, GB 1967) 43. Hard Car – Liebe auf Asphalt (Giovanni Amadei, Italien 1990) 44. Downtown – Die nackten Puppen der Unterwelt (Jess Franco, Schweiz 1975)
Da aber diese 44 Filme nur die Hälfte der 2009 frisch errungenen Lieblinge und fantastischen Filmerlebnisse fasst – fassen kann! – konnte ich es mir nicht verkneifen, 44 weitere Filme anzuhängen, deren Sichtung ich teilweise schon seit Jahren gierig herbeigesehnt habe, da ich mir davon großes, interessantes oder obskures versprach. Diese Liste ist mindestens ebenso wichtig, aber um nicht aus dem Rahmen zu fallen, verlinke ich sie nur. Insgesamt also 88 Entdeckungen – was für eine Ausbeute!
Als Bonus angehängt ist auch noch eine kleine Liste mit 10 „speziellen“ oder bizarren Sichtungs- / Rezeptionserlebnissen.
Donnerstag, der 17. 12. 2009 gegen 23:30. Ich bereite voll Eifer meinen ersten Beitrag zu unserer deutschen Reihe – nach 7 Monaten England – vor, einen Text zu KAMINSKY – EIN BULLE DREHT DURCH. Kurz vor dem entscheidenden Schritt, respektive Klick, die große Verunsicherung. Der Text umfasst etwa 750 Wörter. Aus den Tiefen meines Hinterkopfes ruft eine Stimme „Zwischen 300 und 500 Wörter“. Und nun? Die Stimme ignorieren und doch posten – ist immerhin für meine Verhältnisse halbwegs gelungen und gar nicht mal so lang – oder lieber erst meine werten Kollegen und Freunde fragen? Schließlich sollte das gute Stück noch vor Mitternacht online gehen.
Minuten inneren Kampfes. Schlussendlicher Sieg der Unsicherheit. Anruf an Andreas, der um diese Zeit normalerweise auf ist und als Organisationsgenie wissen muss, was und wie. Er weiß es auch nicht.
Eigentlich sollte er möglichst nicht länger als 500 Wörter sein, andererseits sei es natürlich schwierig, wenn ich mich außerstande sähe, ihn zu kürzen und es sei ja schon fast Mitternacht.
Vorläufiges Verbleiben bei dem Vorschlag, den Artikel fertigzustellen, zu posten und im Zweifelsfall wieder zu entfernen.
Minuten verstreichen im Angesicht meines Schweißes bei fleißigem Werkeln an HTML, Bildern und Absätzen.
Plötzlich um Mitternacht ein unerwarteter Anruf. Andreas. Er habe mit Sano telefoniert. Ich solle den Text in dieser Länge auf gar keinen Fall posten. Verwirrung und dunkle Vorahnungen meinerseits. Warum sei das denn so schlimm? Der Text sei doch nicht exzessiv lang.
Das schon, aber sie hätten sich darauf eben geeinigt. Aber ohne mich, wie ich, zunehmend verstimmt anmerke. Sofortiger Beschluss, mit Sano zu sprechen. Sano guckt gerade mit Alex S. DIE ÖFFENTLICHE FRAU und ist genervt. Eine halbe Stunde später um 1:15 ist es soweit. Sie hätten sich nach reiflicher Überlegung auf dieses Konzept geeinigt und ich könne nicht verlangen, es jetzt einfach umzuwerfen. Aber es wären doch nur 250 mickrige Wörter. Das seien aber schon 50 % mehr, meint Sano. Warum dieses Limit überhaupt so wichtig sei. Und das wir uns damit doch filmdienstlich-spießig geben würden, meine ich.
Kochendes, funkensprühendes und zischendes Debattieren und Ping-Pong-Spiel mit Metaphern über die Sinnfälligkeit von Regeln/Limitierungen, verteilt über 45 Minuten. Entnervtes Stöhnen von Alex S. im Hintergrund. Warum sich Christoph nicht einfach dem Mehrheitsbeschluss fügen könne. Bedrohliches Gebrumm meinerseits und sich stimmlich überschlagende Bestimmtheit von Sano. Sie alle hätten sich nach langen Diskussionen diese Herausforderung gesetzt und ich hätte protestieren können. Aus dem fernen England, sage ich und betone nochmals, das ich mich übergangen, als Autor rigide zurechtgestutzt fühle, so nicht arbeiten kann, das wir solche Beschränkungen nicht brauchen. Doch, weil sonst alles ausartet und an Form verliert, meint Sano. Weitere 30 Minuten Disput bis zu meiner Forderung einer Krisensitzung zum Thema und Vorschlag, den Text zur Kürzung in Alex‘ und Sanos Hände zu begeben. Missmutiges Gutenachtsagen um 2:30.
Am nächsten Tag eine erfolgreiche persönliche Diskussion. Vielleicht wäre zukünftig ein 300-Wörter-Maximum doch vorteilhafter, zur Vermeidung von Versuchungen. Friedfertiger Konsens und mein unbehelligter KAMINSKY-Text, der in Kürze statt in dieser Reihe einfach regulär auf dem Blog zu finden sein wird. Das waren 500 Wörter, Schluss.
Das Wesen der liebenswerten, deutschen Filmkritik – deutsch und brilliant auf den Punkt gebracht von Loriot:
Ich bin auf der Seite des Herrn mit dem krausen Haar – solche Oberflächlichkeit, solch triviales Verlangen nach Unterhaltung muss mit harten Worten abgestraft werden!