Fünf Listen: Entdeckungen 2009



Sardonicus

Das Jahr neigt sich dem Ende zu und der Listenwahnsinn hat traditionell Hochsaison. Dem wollen wir, die wir zumindest zum Teil selbst Listen-Fans sind, uns natürlich nicht entziehen. Bevor es demnächst um die Jahreslisten mit den Lieblingsfilmen des aktuellen Jahrgangs 2009 geht, liegt der Fokus hier in einem Sammelposting erst einmal auf den Entdeckungen abseits des aktuellen Jahrgangs, es geht also um ältere Filme, die man 2009 zum ersten Mal gesehen und für sich entdeckt hat. Einzige Vorgabe für dieses Sammelposting war, dass der Umfang der einzelnen Listen nicht zu umfangreich sein sollte, für allzu ausufernde Listen sind dann ggf. seperate Postings oder der Sehtagebuch- bzw. Listen-Bereich vorgesehen. Hier geht es erstmal um das halbwegs übersichtliche Zusammenfassen komprimierter Entdeckungslisten, wie stark komprimiert und ausgesiebt wurde, schwankt aber von Fall zu Fall. Nachfolgend also die Listen im Einzelnen.


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mimiwosumaseba

Alexander P.

15 Entdeckungen 2009 (ungeordnet):

Mimi wo sumaseba (Yoshifumi Kondo)
Escape from L.A. (John Carpenter)
Sieben Tage Frist (Alfred Vohrer)
Point Break (Kathryn Bigelow)
Strait-Jacket (William Castle)
Salaam Cinema (Mohsen Makhmalbaf)
The Pit, the Pendulum and Hope (Jan Svankmajer)
House by the River (Fritz Lang)
After Midnight (Monta Bell)
Model Shop (Jacques Demy)
Le notti bianche (Luchino Visconti)
Dead of Night (Bob Clark)
Mauvais sang (Léos Carax)
The Mirror (Jafar Panahi)
My Bloody Valentine (George Mihalka)


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Sano

Die sieben aufregendsten Filme des Jahres. Was haben sie bei genauerer Betrachtung gemeinsam? Den Exzess, den Überschuß. Das Manische im Beharren – auf der Allmacht des Helden in Die Nadel, auf der der Natur in Rotes Kornfeld. Die Protagonisten glauben an etwas, sind zwanghaft in ihren Handlungen. Was sich  in ihren Gesichtern niederschlägt – in den Augen von Viktor Tsoj, Marlon Brando, Gong Li, Al Pacino, Kitty Winn, Joan Crawford und Joan Marshall – ist die Entschlossenheit und die Präsenz, im Hier und Jetzt. Das Direkte und Schnörkellose, Leben im Augenblick.

1.  Hong gao liang Rotes Kornfeld
Yimou Zhang  China  1987
2.  Igla Die Nadel
Rashid Nugmanov  Sowjetunion  1988
3.  Chui SaaiDie fliegenden Feuerstühle
Stanley Wing Siu  Hongkong  1973
4.  Strait-Jacket Die Zwangsjacke
William Castle  USA  1963
5.
One-Eyed Jacks Der Besessene
Marlon Brando  USA  1961
6.  The Panic in Needle Park Panik im Needle Park
Jerry Schatzberg  USA  1971
7.
Homicidal Mörderisch
William Castle  USA  1961


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4Filme4Bilder

Andreas

Bei der Suche nach Schwerpunkten und Schnittmengen zwischen den einzelnen filmischen Entdeckungen, also einer Entdeckung auf breiterer Ebene, bin ich schnell zu dem Schluss gekommen, dass meine größte filmische Entdeckung des Jahres wohl tatsächlich eine ziemlich kuriose und spezielle, ebenso ungewöhnliche wie ungewürdigte, überraschende wie abseitige war: der 16mm-Film. Zuvor war er mir überwiegend eigentlich nur von meist unbefriedigenden 35-zu-16mm-Reduktionskopien als Wiedergabemedium bekannt, während nun ausgerechnet bei der Berlinale im Schatten der auf ärgerliche und unnötige Weise teils verpfuschten 70mm-Retrospektive drei erstaunlich schöne 16mm-Kopien (bei denen 16mm im Normalformat auch das Aufnahmeverfahren war: „Schwitzkasten“, „Das unbekannte Hamburg“, „When It Was Blue“) für eine echte Überraschung sorgten, die sich im Laufe des Jahres unerwartet oft bestätigen sollte. Meine zwei vermutlich besten Kinoerlebnisse des gesamten Jahres verdanke ich dem Format: Lino Brockas Meisterwerk „Manila: In the Claws of Light“ auf der Viennale und Andy Warhols „Chelsea Girls“ in der intendierten 16mm-Doppelprojektion. Und auch sonst begegnete es mir immer wieder als Aufnahme- und damit auch originalgetreues Wiedergabeverfahren: bei diversen US-Surferfilmen (allen voran „Red Hot Blue“), bei Clemens Klopfenstein und Christian Schocher, bei Christoph Schlingensief und Jörg Buttgereit, und zumindest als Aufnahmeformat ganz markant auch bei „The Sinful Dwarf“ (den ich übrigens ausdrücklich in der verblüffend stimmigen und die grandios-verstörende Ambivalenz des Films noch steigernden Fassung mit Hardcore-Szenen empfehlen möchte – und natürlich ohnehin nur denjenigen, die wissen, auf was sie sich da einlassen) sowie als Super16-zu-35mm-Blow-Up auch bei (noch…) relativ vielen und dabei auffallend tollen aktuellen Filmen. Das schleichende Verschwinden des klassischen 16mm-Experimental- und Independentfilms – man denke an Wiseman, Benning, Brakhage etc. – ist meines Erachtens eine der großen Tragödien im Gefolge der Digitalisierung, weil die Bildcharakteristik, die spezifische Körnung und Materialität von 16mm bislang auch kein wirkliches digitales Äquivalent hat. Insofern bin ich froh, dieses leider wohl unweigerlich vom mittelfristigen Aussterben bedrohte Format ebenso wie vor zwei Jahren den 70mm-Film gerade noch rechtzeitig vor seiner endgültigen Marginalisierung und Historisierung in originalgetreuer Form entdeckt, erlebt und gewürdigt zu haben. Aber genug davon und lieber schnell zur eigentlichen Liste und den einzelnen Filmen…

31 Entdeckungen (ungeordnet; drei Viertel der ausgewählten Filme im Kino gesehen; wegen besserer Übersichtlichkeit sind lediglich die deutschen bzw. internationalen Titel sowie die Regie angegeben):

Schwitzkasten (John Cook)
Nocturnal Uproar (Catherine Breillat)
Downtown – Die nackten Puppen der Unterwelt (Jess Franco)
Die Kommissarin (Aleksandr Askoldov)
Sansho Dayu – Ein Leben ohne Freiheit (Kenji Mizoguchi)
Geschichte der Nacht (Clemens Klopfenstein)
The Satisfiers of Alpha Blue (Gerard Damiano)
El Sur – Der Süden (Victor Erice)
Die nackte Gräfin (Kurt Nachmann)
One-Eyed Jacks (Marlon Brando)
Les hautes solitudes (Philippe Garrel)
Rancho Notorious (Fritz Lang)
Chelsea Girls (Andy Warhol)
Monpti (Helmut Käutner)
Red Hot Blue (Curt Mastalka)
Quelle für die Dürstenden (Juri Iljenko)
Transes – Reiter auf dem toten Pferd (Clemens Klopfenstein)
Few of Us (Sharunas Bartas)
Mondo Cannibale 2. Teil – Der Vogelmensch (Ruggero Deodato)
Bona (Lino Brocka)
Feuerpferde (Sergej Paradschanow)
So Is This (Michael Snow)
Reisender Krieger (Christian Schocher)
Manila: In the Claws of Light (Lino Brocka)
Venus im Pelz (Massimo Dallamano)
Supermarkt (Roland Klick)
Jaguar (Lino Brocka)
Still Life (Sohrab Shahid Saless)
Zwei unter Millionen (Victor Vicas, Wieland Liebske)
The Sinful Dwarf (Vidal Raski)
Mad Foxes (Paul Grau)

Bonus:

+ sechs Mal William Castle mit Live-Gimmicks
+ die grandios direkten, prägnant erzählten Kurzfilme von Marran Gosov
+ 70mm in seiner Essenz: The Miracle of Todd-AO & Sky over Holland
+ Western im Kino (die beiden größten Neuentdeckungen stehen auf der Liste, die schönsten Wiederentdeckungen: Forty Guns, My Darling Clementine, El Dorado)
+ diverse Retrospektiven und Werkschauen, vor allem jedoch die zu Apichatpong Weerasethakul, Claire Denis und John Carpenter (drei Filmemacher für die große Leinwand)
+ Sleaze, Trash und Schlock aller Couleur, je schäbiger und schmieriger, desto lieber (halb-stellvertretend finden sich die vollkommen großartig-schäbigen Schundwerke Downtown und Mad Foxes in obiger Liste)

Und noch anderes mehr, das hier allerdings den Rahmen sprengen würde.


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Satansbraten

Alexander S.

23 Entdeckungen

Um mich zu beschränken habe ich nur Filme aufgenommen, von denen ich mir vorher nicht sowieso schon  sicher war, dass sie mich restlos begeistern würden, daher fehlen einige erstmals gesehene Filme von Zulawski, Resnais, Cronenberg… Zweimal habe ich trotzdem geschummelt, da „Stereo“ und „Satansbraten“ einfach in meine Liste MUSSTEN…

  1. Spavolač mrtvol (Juraj Herz 1969)

  2. Stereo (David Cronenberg 1969)

  3. De vierde man (Paul Verhoeven 1983)

  4. Angst (Gerald Kargl 1983)

  5. Ran (Akira Kurosawa 1985)

  6. Anatomie de l’enfer (Catherine Breillat 2004)

  7. Sanma no aji (Yasujiro Ozu 1962)

  8. Braindead (Peter Jackson 1992)

  9. Satansbraten (Rainer Werner Fassbinder 1976)

  10. A Streetcar Named Desire (Elia Kazan 1952)

  11. Play Time (Jacques Tati 1967)

  12. Dinner at Eight (George Cukor 1933)

  13. Die Zärtlichkeit der Wölfe (Uli Lommel 1973)

  14. The Devil Doll (Tod Browning 1936)

  15. Few of Us (Sharunas Bartas 1997)

  16. Le film a venir (Raoul Ruiz 1997; Short)

  17. Dealer (Benedek Fliegauf 2004)

  18. La coquille et le clergyman (Germaine Dulac 1928)

  19. Nekujiru-so (Tatsuo Sato 2001; Short)

  20. Monsieur Klein (Joseph Losey 1976)

  21. Russkiy kovcheg (Aleksandr Sokurov 2002)

  22. Femina Ridens (Piero Schavazappa 1969)

  23. Pokolenie (Andrzej Wajda 1955)


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Liste09

Christoph

Listen erstellen macht Spaß – aber nur, wenn man nicht zu rigide auswählen muss! Wie ich in diesem Text erst kürzlich schrieb, finde ich praktisch beinahe alles gut, bin von Natur aus genügsam und obschon im Leben ein Pessimist, zumindest als Cineast eine ausgesprochene Frohnatur, die nichts anbrennen lassen will.

Da ich während meines 7-monatigen Aufenthalts in Cambridge (dem englischen, nicht dem amerikanischen) aufgrund des äußerst bescheidenen Programmangebots der drei örtlichen Kinos und pragmatischer Selbstbeschränkung aus Sparsamkeitsgründen kaum aktuelle Filme gesehen und darüber hinaus alle drei wichtigen deutschen Festivals – Berlinale, Filmfest München und Fantasy-Filmfest – versäumt habe, beläuft sich die Anzahl von gesehenen Neustarts bei mir auf mickrige 25. Bei insgesamt um die 350 gesichteten Filmen. Dementsprechend darf diese Liste als meine eigentliche Bestenliste des Jahres gelten, da ich nicht nur zu wenig aus sondern anscheinend auch nur die zweite Wahl an Filmen dieses Kinojahres gesehen habe.

Mit einer „Entdeckung“ assoziiere ich persönlich auch immer eine Überraschung, niedrige oder unscheinbare Erwartungshaltungen, die sich zu begeisterten Wolken aufblähen. Daher habe ich beschlossen, mir selbst die Auswahl meiner 44 Entdeckungen anhand des jeweiligen Überraschungsfaktors zu erleichtern. Filme von Lieblingsregisseuren, auf die man sich schon seit Jahren freut oder auch allgemein Titel, von denen man zuvor stets sagte „Den will ich schon ewig sehen“ disqualifizieren sich selbstverständlich. Anders sieht das schon mit Filmen von Lieblingsregisseuren aus, die einem bisher komplett egal waren, nach denen man kein Verlangen verspürte und die man dann schlussendlich doch zufällig oder einfach so aus Komplettierungsgründen gesehen hat, völlig unvorbereitet auf die Welle der folgenden Begeisterung. Hier also eine Liste mit 44 Filmen, die ich eindeutig 2009 entdeckt habe.

1. Memories within Miss Aggie(Gerard Damiano, USA 1974)
2. Viva Zapata! (Elia Kazan, USA 1952)
3. Haus der Schatten (Alasteir Reid, GB 1970)
4. Die scharlachrote Kaiserin (Josef von Sternberg, USA 1934)
5. The Honeymoon Killers (Leonard Kastle, USA 1969)
6. Bullitt (Peter Yates, USA 1968)
7. Der Wildeste unter 1000 (Martin Ritt, USA 1963)
8. Die nackte Gräfin (Kurt Nachmann, BR Deutschland 1971)
9. Der Mann auf dem Dach (Bo Widerberg, Schweden 1976)
10. Anatomy of Hell  (Catherine Breillat, Frankreich 2004)
11. Kaltblütig (Richard Brooks, USA 1967)
12. If…. (Lindsay Anderson, GB 1968)
13. Die große Leidenschaft (David Lean, GB 1949)
14. Eine Handvoll Hoffnung (Nicholas Ray, USA 1956)
15. Equus (Sidney Lumet, GB/USA 1977)
16. Adaptation (Spike Jonze, USA 2002)
17. Ein Platz an der Sonne (George Stevens, USA 1951)
18. Manji – Die Liebenden (Yasuzo Masumura, Japan 1964)
19. Nizza (Jean Vigo, Frankreich 1930)
20. Meine Lieder, meine Träume (Robert Wise, USA 1965)
21. Britannia Hospital (Lindsay Anderson, GB 1982)
22. Ein neuer Stern am Himmel (George Cukor, USA 1954)
23. Excalibur (John Boorman, GB 1981)
24. Ipcress – Streng geheim  (Sidney J. Furie, GB 1965)
25. Der Erfolgreiche (Lindsay Anderson, GB 1973)
26. The Devil’s Backbone (Guillermo del Toro, Spanien/Mexiko 2001)
27. The Prince of Terror (Lamberto Bava, Italien 1988)
28. Allegro (Christoffer Boe, Dänemark/Schweden 2006)
29. Door to Silence (Lucio Fulci, Italien 1991)
30. Elvira Madigan (Bo Widerberg, Schweden 1967)
31. Der Wolfsjunge (François Truffaut, Frankreich 1970)
32. Death Falls Lightly (Leopoldo Savona, Italien 1972)
33. Mumsy, Nanny, Sonny and Girly (Freddie Francis, GB 1969)
34. Die Schlacht der Centurions (Lucio Fulci, Italien 1984)
35. Happy End (Oldrich Lipsky, Tschechoslowakei 1966)
36. Taxi zum Klo (Frank Ripploh, BR Deutschland 1981)
37. The Consequences of Love (Paolo Sorrentino, Italien 2004)
38. Lost Soul (Dino Risi, Italien/Frankreich 1977)
39. Umarmung (Roberto Malenotti, Italien/Frankreich 1969)
40. Kaminsky – Ein Bulle dreht durch (Michael Lähn, BR Deutschland 1985)
41. Howling VII / The Howling – New Moon Rising (Clive Turner, USA 1995)
42. Jede Nacht um neun (Jack Clayton, GB 1967)
43. Hard Car – Liebe auf Asphalt (Giovanni Amadei, Italien 1990)
44. Downtown – Die nackten Puppen der Unterwelt (Jess Franco, Schweiz 1975)

Da aber diese 44 Filme nur die Hälfte der 2009 frisch errungenen Lieblinge und fantastischen Filmerlebnisse fasst – fassen kann! – konnte ich es mir nicht verkneifen, 44 weitere Filme anzuhängen, deren Sichtung ich teilweise schon seit Jahren gierig herbeigesehnt habe, da ich mir davon großes, interessantes oder obskures versprach. Diese Liste ist mindestens ebenso wichtig, aber um nicht aus dem Rahmen zu fallen, verlinke ich sie nur. Insgesamt also 88 Entdeckungen – was für eine Ausbeute!

Als Bonus angehängt ist auch noch eine kleine Liste mit 10 „speziellen“ oder bizarren Sichtungs- / Rezeptionserlebnissen.


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Dieser Beitrag wurde am Montag, Dezember 28th, 2009 in den Kategorien Alexander P., Alexander Schmidt, Ältere Texte, Andreas, Blog, Blogautoren, Christoph, Die Redaktion, Listen, Sano veröffentlicht. Sie können alle Kommentare zu diesem Beitrag über den RSS 2.0 Feed verfolgen. Sie können diesen Beitrag kommentieren, oder einen Trackback von ihrer eigenen Seite setzen.

11 Antworten zu “Fünf Listen: Entdeckungen 2009”

  1. Happy Harry mit dem Harten on Januar 5th, 2010 at 21:23

    @Christoph:

    Wunderbar, auf dem Thron dieser schönen Liste MISS AGGIE zu sehen. Vielleicht der beste Film überhaupt von Damiano, dessen Gesamtwerk ich nicht nur innerhalb des Pornofilms für sträflich unterschätzt halte. Auch VIVA ZAPATA! hat bei mir großen Eindruck hinterlassen, aber darüber hatten wir uns ja schon unterhalten…

    Da hört es dann schon auf. Die meisten anderen sind mir unbekannt, aber ADAPTION halte ich für ein Meisterwerk. Nur eine Frage: Was ist so toll am Wolfsjungen? Hast den ja mit 25/25 bewertet, richtig?

    Versteh mich nicht falsch, ich schätze Truffaut sehr und mag auch diesen Film, der mir aber sehr akademisch und kühl vorkam und den ich daher glasklar nicht zu meinen Favoriten zählen würde. Meine 07/10 ist aber eher aus der Erinnerung heraus gewertet, da die Sichtung schon einige Jahre zurück liegt und eventuell einer Auffrischung bedarf?

    Ein kurzes Statement zur Schlacht der Centurions wäre auch nett, da ich den eher als nervigen und weniger als unterhaltsamen Trash in Erinnerung habe – aber mit späten Fulcis kann man mich sowieso jagen… 😉

    THE SOUND OF MUSIC liegt seit Ewigkeiten ungesehen bei mir rum, TAXI ZUM KLO steht recht weit oben auf meiner imaginären to-watch-liste…

  2. The Critic on Januar 6th, 2010 at 01:04

    Alexander S., Spalovač mrtvol ist eine würdige Nummer eins. Bitte ganz viel aus dem Programm von Second Run folgen lassen. Märchenfiguren würden jetzt sagen: Es soll Dein Schaden nicht sein.

    Andreas, welche Castleschen Gimmicks gab es denn bei (euch?) im Kino? Kennst Du schon Spine Tingler!? Als jemand, der keinen Plan von Filmgeschichte hat, fand ich den sehr interessant.

  3. Christoph on Januar 6th, 2010 at 04:11

    Oh, das habe ich ganz vergessen – die Filme sind einfach willkürlich, allerdings grob nach Sichtungsreihenfolge geordnet, da ist kein Ranking bei. Tut mir leid, dich zu enttäuschen – so toll MEMORIES auch ist, aber die absolut größte Entdeckung des Jahres ist er nicht, auch wenn er in jeder Hinsicht ein äußerst bemerkenswertes Erlebnis war (zu dem du mir ja verholfen hast), trotz der schlimmen Bildqualität. Es ist schon besorgniserregend, dass ein Film wie dieser wahrscheinlich nie eine ordentliche DVD spendiert bekommt. Ist ja „nur“ ein Porno.

    Bei Truffaut mag ich seine unnatürlich wirkenden Sentimentalitäten nicht, wie vor allem in seinen späteren Filmen. Je kühler er ist, desto besser wird er auch, zumindest meiner Meinung nach (die sich nach L’ENFANT SAUVAGE einmal mehr bestätigt hat). Das wird dich jetzt vielleicht überraschen, aber mir hat der Film Tränen abgerungen… Eigentlich ist das einer der brutalsten Filme, die mir je vor die Augen gekommen sind. Und ein fantastisches Abbild der Zerissenheit von Truffaut, der sich hier als Mensch ebenfalls Gewalt antut. Dieser Film ist einer der wenigen wo dieser ständige Eindruck von unpersönlicher Distanz Truffauts zu seinem Werk, diese Vorsicht, nicht zuviel von sich selbst preiszugeben, den filmischen Ansatz perfekt einrahmt.
    Hast du dich eigentlich schon einmal an Robert Bresson versucht?

    SCHLACHT DER CENTURIONS ist für mich trotz billiger Special effects und 80iger cheese noch lange kein Trash. Er ist – meiner bescheidenen Meinung nach – eines der perfektesten Beispiele für den von mir eigentlich eher ungeliebten Term „style over substance“. Die hyperartifizielle, kalte Hochglanz-Ästhetik, die Fulci in diesen Jahren (nach seinen populären Zombiefilmen) entwickelte, wird von ihm hier derartig eskapistisch und dekadent auf die Spitze getrieben, dass zumindest mir nur noch begeistertes Japsen blieb. Hochglanz-Ästhetik ohne Videoclip-Anleihen, wohlgemerkt. Diese ständigen gleißenden Scheinwerfer als Gegenlicht, diese stylisch-kubistischen Bauten, dieses türkisblau, dieses ganze epileptische Geflimmer und Gefunkel und dazu die martialische Ortolani-Musik – das ist einfach fantastisch, ein visueller Rausch der schön-schundigen (aber nicht trashigen) Sorte, zumindest ästhetisch ein nicht zu unterschätzender Beitrag zum dystopischen Kino, fast schon ein wenig cyperpunkig.
    Und der späte Fulci ist eh der beste, davon bin ich inzwischen restlos überzeugt. Wenn man nicht gerade eine Gurke wie IL FANTASMA DI SODOMA oder den ewigen Schäbigkeits-Feger DEMONIA erwischt, trifft man eigentlich nur auf interessante, ambitionierte Filme (sieh dir mal IL MIELE DEL DIAVOLO oder LE PORTE DEL SILENZIO an) denen ihre Produktionsbedingungen leider manchmal ins Gehege kamen. Man kann ihn so nervtötend finden wie man will, aber ein so verrückter Film wie LA DOLCE CASA DEGLI ORRORI ist selbst im unendlich vielseitigen italienischen Horrorfilm ganz und gar beispiellos.

    Zu THE SOUND OF MUSIC wurde ich überredet. Der ist in England der absolute Ober-Über-Mega-Kult den absolut jeder kennt und absolut jeder liebt und nachdem mich ungefähr 10 sehr verschiedene Leute entgeistert angestarrt hatten und meinten dass ich den aber doch kennen müsste, habe ich mich dann überzeugen lassen (ihn überhaupt zu sehen). Ziemlicher Camp, aber guter. TAXI ZUM KLO sollte im Double Feature mit (dem völlig anders gearteten) QUERELLE von Fassbinder gezeigt werden – zwei schwule Filme jenseits von von Praunheim, die umsoviel couragierter und ehrlicher waren als nahezu alles andere, was im schwulen deutschen Kino danach kam. Unbedingt empfehlenswert, allerdings nicht angenehm.

  4. The Critic on Januar 6th, 2010 at 20:01

    Was ist denn an Taxi zum Klo und Querelle unangenehm? Die Siebziger-Relikt-Bärte?

    Weiß auch nicht so recht, ob man bei einem artifiziellen Konstrukt wie Faßbinders Film unbedingt von Ehrlichkeit sprechen sollte. Ich würde mit dem Wort in erster Linie Realitätsabbildung verbinden und es paßt ergo deshalb doppelt so gut zu Ripplohs Werk.

  5. Christoph on Januar 7th, 2010 at 03:09

    Die 70iger-Jahre Relikt-Bärte sind sexy (und in QUERELLE doch gar nicht vorhanden). Die wären eine Zeitreise alleine schon wert.

    Unangenehm sind die Filme (bzw. können sie sein), bzw. eigentlich vor allem TAXI ZUM KLO deshalb, weil sie den Finger sehr bestimmt in die Wunde homosexueller Identität legen, den Kampf zwischen bürgerlichem Lebensentwurf (oder was Mann dafür hält) und eskapistisch-reuelosem Triebleben (das auch durchaus extrem plakativ – aber einer muss immer anfangen) – somit ein schönes Spielfilm-Komplementärstück zu von Praunheims NICHT DER HOMOSEXUELLE IST PERVERS, SONDERN DIE SITUATION, IN DER ER LEBT.

    Und Fassbinder bildet m. E. durchaus Realität ab, die sprachlich-ästhetische Abstraktion ändert daran in meinen Augen nur wenig. Die durch und durch schwule, luminöse Traumwelt des Films spricht für sich selbst – ihr Kern ist echt, nur die Schale schillert.

  6. The Critic on Januar 7th, 2010 at 13:19

    Unangenehm daran könnte ich höchstens finden, daß der postulierte Widerspruch nicht gelöst werden konnte. Das Triebleben wird mittlerweile wieder in Darkroom, Callboy und Porno abgespalten, um sich als Ganzkörperwesterwellenimitat gesellschaftlich eingliedern zu können. Das empfinde ich als wirklich unangenehm, aber für diese gesellschaftliche Entwicklung kann ja der Film nichts.

    Was ist denn der reale Kern von Querelle? Würde ihn am ehesten als zerstörerische Macht des ungebändigten Begehrens umschreiben, aber hat das was mit fassbindertypischen Anlehnungen an den verdichteten Realismus eines Douglas Sirk zu tun? Da würden mir doch eher Werke wie Angst essen Seele auf, Lola, der unterschätzte Martha oder mein absoluter Liebling Die bitteren Tränen der Petra von Kant einfallen. Aber vielleicht meinst Du auch etwas ganz Anderes.

  7. Christoph on Januar 7th, 2010 at 17:35

    Sehr treffend auf den Punkt gebracht – genau das ist unangenehm, sehr unangenehm. Und der Film [Taxi zum Klo] ist da ja schon beinahe prophetisch, denn sein offenes Ende deutet ja genau in diese Richtung – das am Ende dieses Konfliktes nur Ratlosigkeit stehen bleibt.

    Doch, der reale Kern von „Querelle“ ist mehr oder minder schon die zerstörerische Macht des ungebändigten Begehrens – und die Faszination von sexuellem (im Gegenteil zum asexuellen) Narzissmus, der Querelle erliegt. Und das wiederum macht die (Homo-)Sexualität, die der Film zeigt, zu etwas sehr verstörendem. Für Querelle wird der Sexualakt zunehmend zu einer Genugtuung verschaffenden Selbstbestätigung und seine Partner verachtete Objekte. Ich habe leider Genets Roman noch nicht gelesen, aber er steht ganz oben auf meiner literarischen Wunschliste.
    Von Sirk (den ich ich ja auch maßlos verehre) ist Fassbinder m. E. bei „Querelle“ schon weit entfernt, die ästhetische Verwandtschaft ist noch da, aber ansonsten ist „Querelle“ für mich der souveränste Filme aus Fassbinders Spätwerk, der sich im Gegensatz zu „Maria Braun“, „Lili Marleen“, „Lola“ und „Veronika Voss“ nur sehr wenig auf andere Filmemacher bezieht. Eigentlich ist der Film ein echter Neuanfang und gerade das macht es so unendlich tragisch, dass Fassbinder nicht wenigstens noch „Kokain“ vor seinem Tod realisieren konnte. Und ja, MARTHA ist, genauso wie der ebenfalls extrem sirkeske FAUSTRECHT DER FREIHEIT (der übrigens auch ein sehr schöner Film zu obigem Thema ist), sehr unterschätzt.

  8. Happy Harry mit dem Harten on Januar 14th, 2010 at 00:05

    Hi Hi
    also das mit DIE SCHLACHT DER CENTURIONS hab ich mir schon gedacht. Also, das du den nicht als Trash goutiert hast und die visuellen Reizüberflutungen als Gewinn betrachtest. Man muss dazu vielleicht sagen, das ich den Film nur in deutscher Synchro und erbärmlicher Bildqualität (Laser Paradise glaub ich) kenne – von einer Hochglanzästhetik konnte ich da nichts erkennen. An diese flirrenden Lichter, an die bizaren Kulissen und die in der Tat tolle Musikuntermalung (wusste aber nicht das die von Ortolani ist) erinnere ich mich noch ganz gut, in guter Bildqualität kriegt er vielleicht nochmal eine Chance. Danke jedenfalls für den interessanten Kommentar.

    Vom späten Fulci kenne ich noch WHEN ALICE BROKE THE MIRROR, den ich zuerst sehr witzig und in seiner grotesken Überspitzung sehr gelungen fand. Bei der Zweitsichtung hatte er dann aber viel verloren und hat mir kaum noch gefallen. NIGHTMARE CONCERT ist mir (trotz seiner selbstreflexiven Ansätze) einfach zu lahm und unappetitlich. DIE UHR DES GRAUENS habe ich nach einigen Minuten abgeschaltet, liegt seit Jahren in dieser 4er-Box ungesehen bei mir rum – geliehen von einem Freund. 😉

    Das SOUND OF MUSIC so kultig verehrt wird in England (oder sonst wo) wusste ich nicht. Bin mal gespannt aber die Musik (hab den Soundtrack mehrfach gehört) sagt mir bisher nicht wirklich zu. Mal sehen, wie das Ganze als Gesamtwerk wirkt.

    Zum Thema deutscher Animationsfilm. Wenn ihr eine Gastkritik von mir veröffentlichen möchtet, könnte ich euch für euren Filmkanon einen Text zu IN DER ARCHE IST DER WURM DRIN anbieten. Einer meiner allerersten Filme auf VHS überhaupt, ein (in meiner Erinnerung wunderschön koloriert und fesselnd erzählte). Müsste mir den zwar nochmal anschauen, aber das uralte Tape hab ich noch im Schrank stehen.

    Robert Bresson ist mir noch ganz fremd aber ich habe hier eine TV-Aufnahme von LANCELOT – ist das ein guter und eher unglüklicher Einstieg?

    Achja, hast du meine Mail bekommen?

  9. Sano on Februar 2nd, 2010 at 23:46

    @ Harry

    Das mit der Gastkritik fände ich sehr begrüßenswert, und IN DER ARCHE IST DER WURM DRIN sieht sehr interessant aus (hab auf Youtube ein bisschen reingeschaut – denn gibts dort komplett zu sehen). Ich bin sowieso ein großer Fan von Animationsfilmen jeglicher Art, und an tollen Sachen fallen mir da aus Deutschland spontan nur Lotte Reiniger und mein persönlicher Liebling Franz Wintzensen ein.

    Zum Einstieg bei Bresson könnte würde ich dir leiber einen Anderen Film empfehlen. Vielleicht Mouchette, oder Bathazar. Lancelot fällt glaube ich schon etwas aus dem Rahmen. Aber vielleicht ist das ja auch gut so. Bresson wird oft simplifizierend auf bestimmte ästhetische Merkmale eines Teils seines filmischen Werkes eingzwängt. Dabei hat er sich kontinuierlich verändert, was bei 5 Jahrzehnten filmischer Arbeit ja auch nicht verwundern kann. Ein interessante und sehr lohnenswerter Weg wäre sicherlich sein Werk in chronologischer Reihenfolge zu sichten, beginnend mit Les affaires publiques (1934). Alternativ könnte man auch seine Drehbucharbeiten bei denen er nicht Regie geführt hat einbeziehen (dass wären dann immer noch „lediglich“ 17 Filme), wobei ich hierbei jedoch nicht weiß inwieweit die Filme greifbar/erhältlich sind.

  10. Happy Harry mit dem Harten on April 14th, 2010 at 13:44

    @ Sano

    Entschuldige bitte meine späte Antwort, habs erst vor kurzem gelesen…

    Würde dann irgendwann demnächst mal eine Gastkritik verfassen zur „Arche“, der ja wirklich einer der wenigen nennenswerten animierten Spielfilme aus Deutschland ist. Die frühen Kurzfilme von Oskar Fischinger sind dir aber sicher bekannt oder? Von Franz Wintzensen kenne ich leider noch nichts…

    Habe jetzt eine kleine Bresson-Werkschau vorbereitet mit allen Filmen von „Pickpocket“ bis zu „Le diable probablement“ und bin schon ganz heiß drauf… 😉

    Übrigens findet in Aachen am Wochenende das so genannte „Made in Europe“ Festival statt – nicht besonders aufregend aber ich werde da sein und für ein lokales Magazin einen kleinen Artikel schreiben. Wenn die Filme entsprechend was her geben würde ich den gerne etwas ausweiten zu einem Bericht. Bin mir aber nicht sicher, wo ich das posten soll – mein eigener Blog liegt ja lahm und auch sonst fällt der Text thematisch irgendwie aus dem Rahmen. Hättet ihr eventuell da Interesse an einem ersten Gastbeitrag von mir?

    Hier mal der Link zur dreitägigen Veranstaltung:

    http://www.ludwigforum.de/Veranstaltungen/made_in_europe/index.html

  11. Sano on April 15th, 2010 at 13:10

    Prima, ich setz mich dann deswegen mit dir in Kontakt (auch wegen des Festivals).

    Von Oskar Fischinger habe ich schon ein paar Sachen gesehen, aber ich glaube größtenteils ausschnittweise. Wintzensen würde dir sicher gefallen. Meist sehr flächige s/w- Zeichnungen mit humoristisch-politischen Inhalten (jedenfalls die Handvoll die Ich kenne). Müsste auch irgendwo ne DVD-Edition mit seinen Filmen geben…

    Bei Bresson bin ich mal gespannt, wie er dir zusagt.. Wir haben unter uns unterschiedliche Standpunkte dazu. Christoph hat glaube ich alles begeistert, bei mir und bei Alex S. wars vor allem der Esel, und bei Andi „Une femme douce“ und „Quatre nuits d’un rêveur“. Beim Rest des Teams bin ich mir nicht sicher. Schätze aber das Bresson bei uns allgemein (natürlich mit Ausnahme von Christoph) nicht so hoch im Kurs steht.

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