
Ein wenig muss man sich – aller rasch aufziehenden Vignettenhaftigkeit zum Trotze – der szenischen Taktung von „Die Angreifbaren“ des Regieduos Kerstin Cmelka und Mario Mentrup beugen, um überhaupt so etwas wie ein auszugweises Verständnis destillieren zu können. Mary Blick (Cmelka) und Zeno Conradi (Mentrup) sind zwei Superhelden oder Darsteller ebensolcher – da lässt sich der Film nie so ganz in die Karten schauen – und wie es sich in klimatischer Zuspitzung gehört, begegnen wir ihnen zuallererst dort, wo sie am gewöhnlichsten erscheinen. Auf der Fahrt zur Arbeit – inklusive Blicks Sohnemann und einem etwas zu gesprächigen Kollegen im Familienkleinwagen. Die eröffnende Episode malt unsere Helden als chronische Zuschauer, in ihrer Welt, sogar allerdings in der eigenen Existenz. Leben außerhalb des Autos, einer gallertartigen, das Äußere ausbremsenden Blase findet für das Gros des Weges allein als PKW im Gegenverkehr statt, sicher abgegrenzt durch die eine weitere Ebene zwischen Leinwand und Bildhintergrund schiebende Frontscheibe, schlimmer noch: als flüchtig reflektierte Impression auf dem Seitenfenster vor den staunenden Augen des Kindes.

Verdichtungen – man weiß es mittlerweile – das sind die Filmbücher des zum Filmanalytiker mutierten Essener Ex-Politikers Robert Zion. Ein schwerer Ast, auf dem der Löwenanteil seiner Diskurse ruht, von ihm ausgehend sprießen fort: Zwei, drei filigranere Triebe mit für den Hauptbetrachtungswinkel relevanten Nebenbeobachtungen. „Die Rebellion des Unmittelbaren“ heißt sein neuer Band zu Roger Corman, dem einflussreichsten Filmproduzenten der zweiten Hälfte des vergangenen Jahrhunderts – und das nicht allein in den Vereinigten Staaten. Der Titel verrät es bereits: Bei Corman ist es die politische Radikalität, ob in bloß finanzierten oder gleich selbst umgesetzten Filmen, die für Zion im Vordergrund steht und als Grundlage auf ihr fußender auteurtheoretischer Überlegungen dienen darf.

Two highly distinct approaches become discernible when taking a closer look at Roberta Findlay’s post-porn career in mainstream filmmaking. The, be they gritty or be they tender in nature, highly personal stories told in the quite straight „Tenement“ (1985) and „Lurkers“ (1988) as well as the madcap insanity prevelant in in the more tongue in cheek than anything else „Blood Sisters“ (1987) and this one, her very first film post transitioning. More in line with the snarky, self-deprecating public persona the introverted directress created for herself than her remaining filmography, they revel in a unique, utterly off-beat understanding of humor while falling somewhat flat in their more traditional conceptions as horror films. In contrast to some of her greatest achievements in Golden Age pornography, they are always two steps away from outright comedy, playing the game straight and yet sabotaging the expecations of a horror crowd with small, intentional but never narrative based acts of directorial transgression. Big guy John Fasano fleeing the scene in the most hilarious fashion imaginable and the way Elizabeth Rose’s glasses seem to prefer viewing directions of their own volition otherwhile – weird flourishes like these place „Blood Sisters“ in its own goofy corner equal steps adjacent to completely serious and satirical peers. Even more than Findlay’s sorority girl slasher „The Oracle“ utilizes these interfering agents to bridge what would otherwise be considered barren gaps in a drawn out horror narrative – with sound being, as per her unmistakable habit, one of the prime instruments.

„Die Brut des Bösen“, der einzige wirkliche Easternversuch des bundesdeutschen Kinos erzählt, allein der selbst heute kaum gebrochenen Exponiertheit seines Masterminds wegen, diesseits seiner extrem straff gespannten Narrationslinie stets gleichzeitig die Geschichte eines einstmals millionenschweren Schlagerbarden, der sich ein slickes, wohlinszeniertes Karatepos direkt auf den Leib schneiderte. Nicht, weil der Kinomarkt 1979 unbedingt noch lauthals schreiend danach verlangt hätte, sondern schlicht weil er es in Personalunion als Regisseur, Hauptdarsteller, Produzent, Autor, Komponist und Stuntkoordinator gar zu liefern vermochte. Derart omnipräsent wie hinter den Kulissen ist Christian Anders auch vor der Kamera. Ihr Auge glüht in Liebe auf, wann immer sie ihn erspäht, liebkost seine Züge im Tages- wie nächtlichen Neonlicht gleichermaßen, hängt unablässig an seinen Lippen und zieht uns via unablässigen Subjektiven arglos mit ins Boot dieser zur höchsten Maxime erhobenen Sehnsucht.

Fabrizio Collini (Franco Nero) schreitet stoischen Schrittes durch einen trotz Cinemascope ins Erdrückende verengten Hotelkorridor, die Lichtverhältnisse durch die eigene, von hinten angestrahlten Umrisse ein wenig weiter abdimmend, ganz einem gedungenen Killer aus Hollywoods Thrillerschule gleich. Plötzlicher Schnitt zu dem Mann, der ihn später, da ist er den vorgezeichneten Weg des Mörders längst zu Ende gegangen, vor Gericht verteidigen wird – Jungjurist Caspar Leinen (Elyas M’Barek). Agil graziöse Schlagübungen aneinanderstrickend testet dieser seine Grenzen in einer nach allen Seiten offenen Halbnahen aus, bemerkt dabei gar nicht, wie sich sich von einem Moment zum anderen die Einstellungsgröße verschiebt. Von der Raumdecke aus wirkt das den Boxer so ermächtigende Ringviereck nun winzig, Leinen ist im wahrsten Sinne des Wortes eingefangen worden in einer Supertotalen. Collini indes hat es nach der Tat in die Hotellobby verschlagen, wo er sich in einem bequemen Sessel niederlässt. Cool, calm, collected, würde Mick Jagger das wohl nennen, befreit – man ahnt es lange bevor der Film sich ins Narrative stürzt – von einer Last in einer weiteren halbnahen Aufnahme, die das Treiben um ihn herum schlicht ausblendet.

Kasperljagd auf St. Pauli
Man kann es diesem Film wahrlich nicht vorhalten – er ist eine grundehrliche Haut, präsentiert bereits in den ersten Einstellungen freimütig, was ihn fortan immerzu plagen wird. Fritz Honka (Jonas Dassler) säuft und mordet in seinen beschaulichen vier Wänden, eingepflanzt wie lediglich halb vom Gewebe angenommen inmitten der kulissenhaften Raumgestaltung einer beliebigen Bühneninszenierung. Das ist es, was Fatih Akins in der Essenz stets bleibt – abgefilmtes Theater, dem zu den Möglichkeiten einer Kinokamera zuverlässig bloß Halbtotalen und Nahaufnahmen mit abgespreiztem Finger einfallen, manchmal ein wenig näher, dann ein wenig weiter in der Ferne, von der Freddy Quinn vom Plattenteller aus singt. Weitestgehend zentriert auf oder knapp unterhalb der Augenhöhe vor den Tristtischen, von denen der Frühstückskorn gleich als veritabler Wasserfall strömt. Ein wenig erinnert das an Peter Steiners Theaterstadl, den ich als junger Bub so genoß – keine schöner Erinnerung, denn nicht einmal die wenigen, rein ausschnittsweise das Räumliche durchziehenden Schwenks schaffen Filmisches, folgen allein den Figuren auf ihren Wegen von einem Schnapsschrank zum nächsten.

You know that’s incest?
That’s why its so hot!
(Siblings Sherry and Junior McBride in everyday conversation)

Am Anfang des Kinos war das Licht und es lehrte den Menschen sehen, den Blick solange feinzustellen, bis ihm die nunmehr schwieligen Augen in ihren Höhlen erstarren. Zu Sehen, gründlich, gebrochen und neujustiert, allumfassend, unter Zuhilfenahme der Bogenlampen, Kondensoren, Blenden des Projektors, das ist ein Verwundbarkeit stiftender Akt, in allen außer den Verhärmtesten nährt er eine der mächtigsten Emotionen des Lebens, das Mitleid. Dietrich Schuberts „Nicht verzeichnete Fluchtbewegungen“ handelt von diesen untrennbar verwobenen Wahrnehmungen und Empfindungen. Betulich gleitend tastet sich gleich in einer der allerersten Aufnahmen das Kameraauge am warnschildbehangenen Gitterzaun längs, bevor es, von einem fast schmierestehenden Umschnitt auf den aus der gewählten Perspektive unüberwindbar scheinenden Wassergraben der Feste mit Zugang versehen, ruhigen Schrittes in den tiefschwarzen Eingangstunnel des einst von den deutschen Eroberern zum Auffanglager umfunktionierten Fort Breendonks hineinschreitet. Doch das mechanische Auge ist kein menschliches, eine Gewöhnung an die neuen Lichtverhältnisse bleibt aus. Noch einige Male werden wir im Laufe der folgenden anderhalb Stunden den Aufenthaltsort wechseln, die Dunkelheit indes nie mehr verlassen.

In einer Welt, in der alle Zeichen falsch kodiert sind, kommt er einem bisweilen abhanden, der Sinn für das, was Recht und was Unrecht ist. Bizarre Bilder rein baulicher Erhöhung lassen in Luigi Petrinis einzigem geradlinigen Poliziesco nicht nur bereits erahnen, welch vollkommen enthemmter Experimentierfreude sich der Regisseur des berüchtigten „White Pop Jesus“ (1979) bald hingeben sollte, sondern auch, warum rastlose Jugendliche auf der Suche nach Halt hier wieder einmal jedweder Hemnisse befreit den Bembel kreisen lassen. Das Dunkel der Nacht, die ereignislos einfarbigen Rasenflächen, das eisige Weiß der Besserlebervillen, einer Blase gleich legen sie sich großflächig um den Ruckzugsort Sprungturm, einen wie ausgestellten Penner auf der Parkbank, die abgesonderte Brüstung oberhalb des Treppenaufsatzes, auf der eine Sängerin ihr Lied gegen die kapitalistische Weltordnung anklingen lässt. Deutlich lesbar macht man in diesen künstlichen Freiflächen ein Wort in größten Lettern aus – „EINSAMKEIT“ spricht man es aus. Ein wenig ähnelt der Auftakt von „Operazione Kappa: sparate a vista“ einem ausgedehnten Bummel durch eine etwas verfrüht kuratierte Austellung über die moderne Welt, wie sie einem in der neo-konservativen Folklore dieser Tage immer häufiger begegnet. Drapiert neben diesen Museumsstücken im Falschen wirken Giovanni (Marco Marati) und Paolo (Mario Cutini), zwei sozial Abgehängte klassisch italienischen Kinozuschnittes ebenso deplatziert wie das junge Hippiemädchen mit der Gitarre, barfuß auf noblem Marmor und eine derart lachhafte Flowerpowerbotschaft kündend, dass es der besseren Gesellschaft um sie herum nicht einmal mehr zum Amüsement taugt, nur mehr zum schnöden Übergehen, als Hintergrundberieselung.

With advertising making it appear as something of a wild crossbreed between Friedkin classic „The Exorcist“ and „Her Name Was Lisa“ (Roger Watkins, 1979), William Hellfire’s „Upsidedown Cross“ sparks some rather diverse expectations and ultimately subverts them all. Opening with a nearly twenty minute long sequence chronicling Nadine’s (Erin Russ) bread-and-butter job as a nude model in the most unagitated way imaginable, the spirit of Watkin’s bleak reflection on lifes slowly burning away in erotic industries of differing nature is very much channeled. Even somewhat mirroring the way the New Yorkian mad hatter employed rooms coated in myriads of expressive colors to spur his narratives, one important difference though is discernible from the get go. There is no pretense that any of this is – and be it only in a temporary pull-the-rug-from-under-your-feet way – real. That’s not paint laughing from your walls but deep red variations of bath towels, old curtains and improvised color stainers of similarly somber fabrics hung up to conceal two different yet closely related kinds of emptiness. Red, the color of love – it is perhaps the most important fixture in Hellfire’s film, doubling for passion where there is none to harbor.

New York City possesses quite an interesting facial layout in Roberta Findlay’s cinematic universe – cheeks blooming with the brightest red excitation can muster up, planted right between them a pallid nose frozen stiff by sorrow and social iciness and throning above this dichotomy a pair of eyes filled with the marvel of discovery, experimentation, the ability to combine all these emotional extremes on the silver screen. She really was one of the great chronists putting this lively, in the good as well as the bad, mega city to record – and yet it does not seem to exist in her up to this day final theatrically released feature. Sure, pinpointing single shooting locations is easy enough to do, even for someone who’s never taken a bite from the big apple (like me). But in the end they’d still remain nothing but peripheral driblets of reality trickling away in the only real fairytale she ever told. There was a potent grittyness about her post-porn work in horror cinema that is inexplicably absent here. Much rather coated from head to toe in a vague uneasyness highly remiscent of her pornographic magnus opum „From Holly With Love“ (1978) it is quite fittingly another superb score by Walter E. Sear sounding the depths of human and beyond-human emotion in „Lurkers“.

„La photographie, c’est la vérité et la cinéma, c’est vingt-quatre fois la vérité par seconde.“ – in a nutshell: Cinema is truth at 24 frames a second – is an often quoted wise saying by French cinema stylite Jean-Luc Godard. Well, when speaking about Roberta Findlay’s cinema though his German counterpart Rainer Werner Fassbinder seems to have been closer to the truth for once. „Film ist Lüge, 25 mal in der Sekunde.“ – Film is a put-on, 25 times in each second. It might not always be as integral to the appeal as it is in „From Holly with Love“, but Findlay’s flow of imagery is a lie, a beguilement involving just about everything – her intentions, feelings, the undersold wisdom that lies buried in her work – and extending to externa of her filmography. Golden Age of Hollywood smuggling as a coping mechanism for being forced to work on projects she took no immediate interest in or even found distasteful, the elaborate (and even I have to admit it: screamingly funny) stand up comedy routine „An hour of self-deprecation with Roberta Findlay“ most of her rare public appearances have a tendency to evolve into sooner or later – it’s all part of the deal.

When I get to the bottom I go back to the top of the slide
And I stop and I turn and I go for a ride
And I get to the bottom and I see you again, yeah, yeah
(The Beatles – Helter Skelter)

Als einer hinter seiner nüchternen – mit dem Auge auf Regisseur Eastwood, sein Alter, seinen Hintergrund als Filmemacher würde mancher sicherlich eher zu dem verschämten Lobwort „klassisch“ tendieren – Fassade eventuell filmarchitektonisch ausgeklügeltster Film des vergangenen Jahres gibt „The Mule“ schon mit seiner zeitlich versetzten Einleitung den Takt vor für das, was ihn in den kommenden so gut wie zwei Stunden antreiben wird: Eine Dekonstruktion fast des gemeinhin mit visueller Opulenz assoziierten Scopeformates, spezifischer jedoch dessen, was zwischen den dazugehörigen Kaschierungen der Leinwand so gerne verhandelt wird. Träume, Freiheit, insbesondere auch räumlich gedachte Sehnsüchte. Die Weite des so oft in diesem Seitenverhältnis sortierten amerikanischen Westens, sie ist schlicht und speziell in Erwartung des zu Beginn von zartesten Auslösereizen angetäuschten Vorstadtcowboyaufrührertums aus dem letzten „großen Abgesang“ des Eastwoodschen Werkes – „Gran Torino“ (2008) – nicht hier. Aneinandergereiht an ihrer statt: Unzählige Möglichkeiten der baulichen Obstruktion. Sich von dem anziehenden Rechteck des Bartresens, an dem Earl Stone (Eastwood) der Tochters Hochzeit auslassend versumpft, wegbewegend zu den in indirekter fotografischer Analogie vertraut wirkenden Flachbauten ein jeder amerikanischen Vorstadthölle, zwischen denen nun die Enkeltochter zwölf Jahre später ihr Hochzeitsbesäufnis begehen darf.

Gleichermaßen gefeiert wie verhöhnt ob seiner kruden Kunstblutexzesse ist Joe D’Amatos berüchtigter 131er Luzidtraum eines jeden sich gerade in Sturm wie Drang befindlichen Adoleszenten leider auch ein Film, der nur allzu selten seiner beträchtlichen humoristischen Qualitäten wegen Lob einheimsen kann. Dabei steckt sie doch schon in der Ausgangslage des sich anbahnenden Blutrausches drin, die ganze sardonische Tragik der menschlichen Existenz – denn „Buio Omega“ ist die Geschichte eines jungen Mannes, der sich aller fast schon vorabendtauglich vorangestellten, die ganz großen Gefühle evorzierenden Krankenhausserienleidenschaft zum Trotze die eine Liebe aller Lieben doch allein, beträchtlichem Talent als Tierpräperator sei gedankt, als leere, immerhin allerdings schmucke Hülle erhalten darf. Gleich nach dem Ableben im wörtlichen wie bildlichen Sinne entkernt, um das von D’Amato so geschätzte Innerste kurzerhand bereinigt, hinterlässt Cinzia Monreale ein Jammertal zwischen Wunsch und Wirklichkeit, in dem der Regisseur mit unnachahmlich bierernster Inszenierung an der inherenten, kaum zu verleugnenden Komik seiner Situationen herumoperieren darf.

Irritierende Anfangssequenzen des Kinos, Abteilung vorgeblich gediegene Grusler: Ein Châteaupanorama, fern, näher, Reißschwenk nach links auf ein Männergesicht am Boden, das als ganzer Toter aus der starren Aufnahme gezogen wird, ein Schnitt gefolgt von einem sofortigen Zoom auf einen irritiert Umherschauenden auf weiter Flur, abermaliger Schnitt, beim Château fährt der Lebensmittellieferant vor und grüßt den just Entsorgten – er muss es doch sein. Nie wahrhaftig in Relationen gesetzte Impressionen, denn der einzige Spielfilm des ominösen Ferruccio Casapinta ist eines jener Geheimniswerke, welche allein diejenigen zustande bringen, die das Kino einmal als hübsche Idee unterhalten, seine Mechanismen wie von länger Verbliebenen kolportierten Erfordernisse jedoch nie mit der professionellen Bedächtigkeit des Routiniers durchblickt haben und somit unverrichteter Karriere wieder von dannen zogen. Weiterlesen “Das Schnittmassaker von Blackwood Castle – La bambola di Satana (1969)” »

(ABBA – I Have a Dream)
Weiterlesen “Die Bewegung ist der Motor der Träume – Mondo cannibale (1980)” »

(Four Tops – Seven Rooms of Gloom)
Weiterlesen “Somatische Verdichtungen im Außerweltlichen – Los ojos del doctor Orloff (1978)” »

Unter Konvertierten hin zum Glauben an Jesús Franco, den wohl ausschweifendsten Esoteriker des internationalen Kinos, hat sich längst ein Blick kultiviert, der die größte auteuristische Eigenheit zuverlässig und nicht zu Unrecht in den randständigsten Produktionen ausmacht. Vermehrte Auftrags- wie Prestigearbeiten, die Franco besonders in den ausgehenden 60er Jahren für den umtriebigen Briten Harry Alan Towers inszenierte, hingegen genießen eher bei klassizistisch Herüberlugenden einen guten Ruf. Wohlbudgetiert, etablierten Regeln seriöser Filmkunst folgend, die Franco anderwärts bereits ausgeschlichen hatte, massenkompatibel, Literaturverfilmungen gar. Einer unter diesen Filmen eint dabei nicht wenige Adepten beider Fraktionen in relativer Abneigung. Dabei gehört er zu den atypischsten in einer an Vor-den-Kopf-Inszenierungen fürwahr nicht armen Regielaufbahn. Nominell sollte „Marquis de Sade’s Justine“ über Jahrzehnte hinweg das budgettechnische Prunktstück dieser Laufbahn bleiben, eine reichhaltige Anrichte verdichteter, parallelisierter Handlungsstränge aus den beiden großen „Erziehungsromanen“ „Justine ou les Malheurs de la vertu“ (1791) und „Histoire de Juliette, ou les Prospérités du vice“ (1797) des Marquis de Sade, seines Zeichens Radikaltriebphilosoph der aufziehenden wie blühenden französischen Revolutionsjahre. Weiterlesen “Fugen aus verbogenen Pfeifen – Marquis de Sade’s Justine (1969)” »
Meine Freundin hat mir 2019 einen Plattenspieler zum Geburtstag geschenkt. Zudem hat sie mir ihren tragbaren CD-Player als Dauerleihgabe überantwortet, und ich habe mir auch noch zusätzliche neue Kopfhörer gegönnt (die günstigen aber klanglich angenehmen Beyerdynamic DT990). All dies sowie natürlich die zahlreich gehörte und mich immer wieder überraschende und inspirierende Musik, hat gemeinsam dazu beigetragen, dass mein privater Musikgenuss letztes Jahr eine Renaissance erlebte und ich mich wieder verstärkt dem intensiven und vielfach wiederholten Hineinfallenlassen in die extensiven Klangwelten von Alben und ähnlichen angenehm ausufernden Aufnahmen gewidmet habe. Viele Jahre zuvor hatte ich eher dem ekstatischen Rausch von verschiedenartigsten kürzeren einzelnen Songs und Musikstücken gefrönt, einer Art orgiastischem musikalischen Gangbang, in dem durch fröhliches „Zapping“ jederzeit alles mit allem kombinierbar erschien. Sich nun wieder auf eine von fremder Hand ausgewählte und zusammengestellte musikalische Reise zu begeben, mit klarer Aufeinanderfolge und einem Anfang und Ende – das war ein bisschen, als wäre ich vom selbst kuratierten Musikfernsehen wieder beim klassischen Filmerlebnis angelangt. Eine Rückkehr in klanglich geschlossenere, in sich abgeschlossene Gefilde, die aber durch ihre motivische Wiederholung und vor allem ihre Dauer einen fokussierten, meditativ-träumerischen Zustand in mir auszulösen vermögen, der mir im entgrenzten Zustand eskalierender Ekstase nicht gegeben ist. Weiterlesen “Filmmusik 2019” »

(Neil Sedaka – The Diary)
Weiterlesen “Betten, die die Welt bedeuten – Weiße Haut auf schwarzen Schenkeln (1976)” »

So manches Mal bedarf es im Leben wie der Kunst gar nicht vieler Erläuterungen, Worte oder gar Rückversicherungen. Aus dem Bildzwischenraum, der einige ausgiebigst von Manuel Merinos Kamera vermessene Hochhäuser und die irgendwo in einem dieser Horte im Bett lesende Maria Rohm voneinander trennt, ergibt sich ganz mühelos die gedankliche Ausrichtung des den Zuschauenden neckisch vorenthaltenen Buchtitels. So sinnlich das Kameraauge die gewaltigen, frei in die Lüfte ragenden Türme umgarnt, wie mit einer genießenden Zunge versehen betulich an ihnen emporgleitet, so züchtig nimmt sich das Geschehen im Schlafzimmer selbst abseits eines wissend-genussreichen Lächelns über die Seiten hinweg aus und doch, man weiß genau, was sie liest, muss es wissen. Es ist gerade das Ausgelassene, die Leerstelle – weniger jene an kinematografischen Standards, das ausbleibende Vorlesen aus dem Off, der nicht im Detail erfasste Buchdeckel oder -rücken – sondern die zwischen direktem Eindringen von außen nach innen klaffende, das Aneinanderlöten zweier gegensätzlicher Eindrücke, von lüsterner Architektur und friedfertigem Gedankenabenteuer in suggestiver Verbindung, die Klarheit verschafft. Idiosynkratische Perfektion der Montage, des rechten Augenblickes, Erzählen aus den Fugen und Nähten des Filmens, wie es symptomatisch ist für das Fieber in Jesús Francos Kino. Ein Erzählen, das weder klassisch narrativ noch das herausgebildet strukturelle des klassisch avantgardistischen Kinos ist, vielmehr rein sinnlich und dementsprechend von Haus aus erhöhter Gefahr des Übersehenwerdens ausgesetzt. Jesús Franco erzählt über zwischen den Schnittstellen austretende Gefühle, die wir entweder annehmen oder frei der Resonanz verhallen lassen. Weiterlesen “Eugenie und das An- und Absinken der Begierde – Die Jungfrau und die Peitsche (1970)” »