Film und Buch (#14): Robert Zion – Die Rebellion des Unmittelbaren (2018)
Verdichtungen – man weiß es mittlerweile – das sind die Filmbücher des zum Filmanalytiker mutierten Essener Ex-Politikers Robert Zion. Ein schwerer Ast, auf dem der Löwenanteil seiner Diskurse ruht, von ihm ausgehend sprießen fort: Zwei, drei filigranere Triebe mit für den Hauptbetrachtungswinkel relevanten Nebenbeobachtungen. „Die Rebellion des Unmittelbaren“ heißt sein neuer Band zu Roger Corman, dem einflussreichsten Filmproduzenten der zweiten Hälfte des vergangenen Jahrhunderts – und das nicht allein in den Vereinigten Staaten. Der Titel verrät es bereits: Bei Corman ist es die politische Radikalität, ob in bloß finanzierten oder gleich selbst umgesetzten Filmen, die für Zion im Vordergrund steht und als Grundlage auf ihr fußender auteurtheoretischer Überlegungen dienen darf.
Man hat es dabei mit der bislang wohl treffsichersten dieser Verdichtungen zu tun. Denn im Gegensatz zu Dario Argento, Gegenstand des vor knapp zwei jahren veröffentlichten „Der verletzliche Blick“ (fuseés, 2017), dem mit Einordnungen in klassische wie auch religiöse Ausprägungen der bildenden Künste zu Leibe gerückt wurde, ist Corman im Gesamtwerk durchaus einfacher, deshalb nicht weniger gewinnbringend auf einzeln aufgefächerte Aspekte einzugrenzen. Spürbar wird hier dann sogleich eine sich über weiteste Teile des Cormansches Œuvres ausdehnende Begeisterung für das Objekt. Wo Zion in seiner vorangegangenen Monografie das Frühwerk vor „Quattre mosche di velluto grigio“ (1971) eher verhalten interessiert als „Fingerübungen“ abkanzelte und in Anbetracht des nicht in den gewählten Untersuchungsansatz hineinpassenden – natürlich allerdings auch von anderen Autoren genussvoll geschmähten – post-2001er Spätwerkes eingermaßen unreflektiert erstarrte, begegnet er nun auch bislang als eher peripher Angesehenem mit offenkundigem Interesse. Dabei unter übergeordnetem Augenmerk: Empowerment als Überbegriff für die einzelnen Ästchen dieses gleich doppelt zu Papier gewordenen Baumes. Von Außenseitern des amerikanischen Traumes wie den wilden Motorradengeln des Spätwerks, von Marginalisierten, vor allem aber von Frauen. Cormans wackere Heldinnen – Beverly Garland, Susan Cabot oder Peggie Castle – ihnen wird so manches Zeilen- wie Bildnisgeschenk zu Teil, ihnen hat Zion in durchaus zeitgemäßer Geste sein Werk gewidmet.
Freilich, die getroffene Auswahl einzeln vorzustellender Hauptwerke (die leider auf Regiearbeiten beschränkt bleibt) ist abermals in vermehrt kanonischen Vorstellungen verwurzelt, es bleibt aber neben „A Bucket of Blood“, „House of Usher“, „The Intruder“, „The Man With the X-Ray Eyes“, „The Trip“ oder „Bloody Mama“ noch ein wenig Raum frei für unterbesprochene Kleinode wie „Swamp Woman“ oder „Teenage Doll“, die teilweise überdeutlich – man spürt es förmlich aus den Seiten herausrinnen – zu den Favoriten des Autors gehören und dankenswerterweise dem Fanliebling „The Masque of Red Death“ für gesonderte Aufarbeitungen vorgezogen wurden. Ungefähr auf dem Theorie-zu-Faszination-Maß des mit nunmehr knapp 20 Lenzen auf dem Buckel noch fast juvenilen „William Castle oder Die Macht der Dunkelheit“ (Corian, 2000) (das hier einst unter Sanos Ägide diese Reihe eröffnen durfte) befindlich, ist „Die Rebellion des Unmittelbaren“ zumindest etappenweise das, was man dem dem sich stets betont bärbeißig gebenden Zion nicht so recht zutrauen mag: Ein überraschend sinnliches Buch. Während die Rahmenabsteckung der Argento-Abhandlung in etwa dem entsprach, was gemeinhin als des Italieners goldenes Zeitalter gilt, erfolgt sie hier mehrgliederig in sieben Phasen eingebettet in Kapitel – zwei, maximal drei Filme pro Phase, die in politische Anfänge, Umwälzungsversuche, Gruppierungen vom Hippietum bis zur eigenen Familie, Weltuntergänge sowie Nach-und Außerwelten. Eine weise Entscheidung, nicht allein, weil auf diese Art und Weise zwangsläufig auch stilistische Eigenheiten zu Karriereende wie -beginn berücksichtigt werden müssen, sondern vor allen Dingen der allzu einseitigen Fokussierung auf universell Geliebtes Vorbeugung zukommt.
Im Grunde genommen ist es aber auch gar nicht der filmwissenschaftliche Teil, der vertieft in „Die Rebellion des Unmittelbaren“ am gründlichsten besticht, sondern gerade diese Immersion, der präzise Blick auf das Leben hinter den Kinoleinwänden, den Zion heraufbeschwört. Zum großen Fixpunkt gerät der im Zentrum des die einzelnen Film umgebenden Fließtexte stehende Filmschaffende selbst, eine höchstgradig wörtliche Auslegung des Begriffes Autorentheorie, wenn man so will. Immerzu eingebettet in das politische Zeitgeschehen, die mannigfachen Umbrüche, die hautnah mitzuerleben dem mittlerweile dreiundneunzigjährigen Corman über nun bald ein komplettes Jahrhundert vergönnt war, wird die Geschichte seines Lebens, seiner Filme als Resultat eigenen Erlebens herausgearbeitet. Die Politisierung des Kleinen, geboren aus dem politischen großen Ganzen. Der Vater, der stets erfolgsverwöhnt und letztlich doch in die Arbeitslosigkeit gerutscht war, das Ingenieursstudium, welches Corman eher dem alten Herrn zur Liebe aufnahm und wieder verwarf, schließlich die zahlreichen Transformationen, die seine Produktionsfirma im Laufe ihres Lebens und unter Einwirkung alter wie neuer Gesichter annahm. Vom Elternhaus bis zum eigenen Wirkraum, alles wird von Zion als eigenständiges politisches Ordnungssystem unterschiedlichster Größe verstanden, was dort geschieht, durchzieht notwendigerweise die ganze Existenz. Man fragt sich zwangsläufig, was herausgekommen wäre, hätte der Politiker auch Argentos Schaffen abseits des naheliegenden „Le cinque giornate“ (1973) auf Fragestellungen seiner Hemisphäre abgeklopft.
Mitunter morpht „Die Rebellion des Unmittelbaren“ auf diese Weise zu einem erstaunlich spannenden Roman, der Autor vom Wissenschaftler zum New Hollywoodschen Geschichtenerzähler – eine Rolle, die ihm gar nicht schlecht steht und allein der Wirkmacht des Betrachteten geschuldet sein kann. Die beste Illustration fürwahr des rasch übergreifenden Impetus, der Cormans Bewegungen aus den grob zwei Dekaden als Regisseur mit bemerkenswertem Verständnis aufsaugenden und rasender Verarbeitung, Übersetzung ins Filmische nahezu umgehend wieder ausspeihenden Arbeit innewohnt, die man sich wünschen kann. Gebannt klebt man im Stuhle fest, wenn sich parallelmontiert zu den entbehrungsreichen Zeiten wirtschaftlicher Schwäche die merkantile Beschlagenheit des jungen Corman wechselweise entwickeln darf. Als politischer Auteur hat man Corman, speziell im englischsprachigen Raum, schon des Öfteren und völlig zurecht gelesen – gekonnt verschmolzen mit einem Zeitenbildnis gibt es nun endlich auch für des Englischen nicht mächtige Leser eine feine Alternative.
Eine Handvoll bibliophiler Anmerkungen zum Schluss: Gedruckt auf säurefreiem Glanzpapier von angenehmer Dicke und mit Fadenbindung, Lesebändchen sowie einem schweren, mit zaghaft eingelassenen Rastern versehenen Einband aufgeschmückt macht der Band haptisch einiges her. Die Schriftgröße bleibt stets angenehm, weder die Seitenanzahl künstlich aufblähend noch den dauerhaften Einsatz von Brillengläsern erfordernd. Leider liegen die zahlreichen Abbildungen abseits zehn der Wirkung ebendieser Dramturgien nachspürenden Farbtafeln nur in schwarz-weißer Replikation vor, aber wie sang es schon Mick Jagger: „You can’t always get what you want.“ Eindringliche, wenngleich ein wenig verspätete Empfehlung.
[…] – André Malberg von Eskalierende Träume zeigt sich positiv überrascht von Robert Zions neuem Buch „Roger Corman – Die Rebellion des Unmittelbaren“. […]