Und der vierte Engel posaunte: und es ward geschlagen der dritte Teil der Sonne und der dritte Teil des Mondes und der dritte Teil der Sterne, dass ihr dritter Teil verfinstert ward und der Tag den dritten Teil nicht schien und die Nacht desgleichen.
Offenbarung 8,12
Die frühesten Erinnerungen, die Zulawski an seine Kindheit hat sind, so hat er mehr als einmal in Interviews bekannt, Erinnerungen an den Krieg. Nichts habe ihn stärker geprägt als der Krieg, diese Urkatastrophe der Menschheit in der sie nichts anderes tut als sich selbst in Frage zu stellen, sich mit aller Wucht in die Waagschale zu werfen und sei es, dass die Waage selbst daran zerbricht. Im polnischen Kino ist Zulawski nicht zuletzt deshalb eine singuläre Erscheinung, weil seine Filme keine Erlösungsversprechen religiöser oder politischer Machart kennen, wie sie all die großen Wajdas, Zanussis und Kieslowskis trotz ihrer Unterschiede und jeweiligen Vielschichtigkeiten zwischen oder zuweilen explizit in den Zeilen ihrer Bilder geben. Bei Zulawski gibt es keinen metaphysischen Halt, kein Halten mehr, alles stürzt, alles rennt, alles brennt – rette sich, wer doch nicht kann! Zulawski ist einer der großen Apokalyptiker des Kinos, ein Chronist des zivilisatorischen wie des persönlichen Niedergangs. Erlösung gibt es bei ihm einzig und allein im großen verzweifelten „Trotzdem“ der Liebe. Kaum ein anderer Autorenfilmer der Nachkriegszeit hat sich noch getraut mit solcher Vehemenz und pathosgesättigter Inbrunst der romantischen, der über alles erhabenen heiligen Liebe zu huldigen wie Zulawski. „Deine Haut wird verbrennen“ sagen seine Filme, „Dein Fleisch wird Dir als zähe Masse aus dem Leib tropfen und Dein Blut in den Adern verdampfen. Du wirst qualvoll sterben und die Welt mit Dir, doch Dein Herz wird, bevor auch es den Flammen anheim fällt, zwei oder drei Takte Liebe schlagen. Das ist alles.“ Weiterlesen “Andrzej Zulawski # 1: Ein Drittel der Nacht (1971)” »
Ein Bild von einem Cinemenschen, wenn es jemals eines gab, steht im Zentrum von Amir Naderis CUT. Um die Schulden abbezahlen zu können, die sein verstorbener Bruder für seine Filme aufnahm und die nun innerhalb von 14 Tagen von den Yakuza-Mitgliedern zurück gefordert werden, lässt sich der Protagonist gegen Geld verdreschen. Jeden Tag aufs Neue prügeln seine „Kunden“ stundenlang auf ihn ein und reagieren sich an ihm ab. In den Pausen dazwischen lässt er von dem mobilen 16mm-Projektor, mit dem er nachts geradewegs konspirative Vorstellungen auf Hochhausdächern zur Vermittlung von Filmgeschichte durchführt (diese Art der mobilen Kinemathek scheint es in Japan dem Vernehmen nach tatsächlich häufiger zu geben), seinen geschundenen Leib bestrahlen, mal mit durchlaufendem Film, mal einfach nur vom Licht der Projektorlampe. Fast scheint es, als würde die Wärme des Projektorlichts seine Wunden lecken und heilen, den versehrten Körper zärtlich umschmeicheln und ihm wieder Energie zuführen. Ein bizarres, wiederkehrendes Bild ist das in diesem Film der Stunde zu den Umbrüchen der Kinotechnik, der Filmleidenschaft und der Bedingungen unabhängigen Filmemachens. Weiterlesen “Viennale: Rückblick 2011 & Vorschau 2012” »

So oder so ähnlich könnten die vielen Nachrufe, über die ich seit Mittwoch stolpere, auch lauten. Im Bösen wie im Guten. Denn die Tatsache, dass Wakamatsu bis vor kurzem noch hauptsächlich als Sexfilmer verschrien war, ist eigentlich sehr schön. Genau das war er nämlich. Wie auch der überwiegende Teil der japanischen Filmemacher über fast zwei Jahrzehnte. Von Mitte der 60er bis in die 80er hinein dominierte in der japanischen Filmindustrie der sogenannte „pinke Film“ mit all seinen Abwandlungen und Verformungen. Die Regeln waren in diesen anfangs unabhängig produzierten, dann aber auch von den Studios im jährlich dreistelligen Ziffernbereich wie am Fließband entstehenden Filmen recht einfach: Solange etwa alle 10 Minuten eine Sexszene (oder was man früher dafür hielt) vorkam, war der Rest egal. Das Gleiche gilt im Grunde noch heute. Auch wenn der japanische Sexfilm mit dem Aufkommen des Videomarktes seine prominente Position allmählich verlor. Weiterlesen “Japanischer Sexfilmregisseur verstorben” »
Ginga-tetsudo no yoru
Gisaburo Sugii Japan 1985
Filme, an denen ich schriftlich scheitere, Teil 1: THE APPALOOSA (1966)

Wo beginnen, wie beginnen, was herausstellen, wie die Gedanken so ordnen, dass zumindest einige der weniger interessanten übrig bleiben? Rhetorische Fragen. Es bleibt übrig, was den harten, steinigen und gefährlichen Weg vom Kopf zur Hand überlebt. Ich werde nicht gefragt, was überleben soll und sehe mich gegen meinen Willen zur Naivität verdonnert, meinem letzten Asyl. Was bleibt ist der Versuch, das Strandgut so zu arrangieren, dass es gut aussieht, mit schönen Worten und schönen Bildern. Bedeutung hat es da längst keine mehr.
Nach THE IPCRESS FILE, diesem erstaunlicherweise so erfolgreichen Fiebergesang aus wie erkalteter Rauch schwebenden Ellipsen, nach Hollywood importiert, arbeitet Furie hier mit unendlicher, bis zum Äußersten gespannter Ruhe an seinem eigenen Versuch einer Western-Auflösung. Wie eine Brausetablette in den letzten Zügen verdunsten hier Schemen und Texturen, lassen nur noch die letzte mögliche Form von Ambient-Existanzialismus zu. In einem einladend leeren Niemandsland an der Grenze zwischen den USA und Mexiko will sich der verlorene und ergraute Gringo-Junge Marlon Brando bei seinem mexikanischen Bruder zur Ruhe setzen.
„I’ve done a lot of killin‘. I’ve killed a lot of men and sinned with a lot of women. But the men I killed needed killin‘ and the women wanted sinnin‘ and I never was one much to argue.“
Das Gefühl der Benommenheit, die einer Rückkehr nach langer Zeit innewohnt, ist übermächtig und beschwichtigend, wie die schläfrige Lust eines Spätsommerabends. Ein zerbrochenes Lächeln huscht dem schratig zerzausten Mann über das Gesicht, als er aus der Ferne die Kinder seines Bruders beobachtet, wie sie sich über seine Ankündigung, bei ihnen zu bleiben, freuen. Er ist scheinbar gereinigt für diese Bilder. Denkt er und denken für einen Moment auch wir. Man sieht und hört und spürt, dass sich dieses Lächeln in seiner Ehrlichkeit nicht noch einmal wiederholen lassen wird.
Ein mexikanischer Viehzüchter stiehlt ihm seinen Schimmel mit dem braunen Kopf, seinen Appaloosa. Er will ihn zurückholen, notfalls mit Gewalt. Das Pferd allerdings, wie auch seine Ehre sind, glaube ich, nicht wichtig. Der Titel des Films ist, indirekt, seine Tragödie. Weiterlesen “Das kaputte Lächeln der Schafe” »
Manos: The Hands of Fate
Harold P. Warren USA 1966
Manos: The Hands of Fate (Clip #1) from Manos in HD on Vimeo.
Es ist nicht weniger als der Schlüsselfilm im Schaffen eines der fragwürdigsten Regisseure der deutschen Filmgeschichte. Und fragwürdig meine ich so wörtlich wie möglich. Kein anderer Regisseur wirft so viele Fragen auf … in so vielen Dimensionen. Doch ganz Auteur hat er sich zumeist an einem Thema abgearbeitet. Seine Filme sind bevölkert von Menschen die Sex haben, aber nicht weil sie wollen, sondern weil sie müssen. In ihren Gesichtern steht es geschrieben, auch wenn sie es zu verstecken versuchen. Wer sie zwingt? Es sind sie selber und ihre Ängste. Der Druck einer sich zunehmend offen sexualisierenden Welt lässt sie mit ihren als kümmerlich erlebten Gefühlen zurück. Sie sind nicht die Sexmonster, von denen überall berichtet wird, von denen sie denken, dass sie wie sie sein müssen. Einfache Gefühle haben sie und sie kommen sich klein vor. Angst vor Spott ist die Folge. Deshalb haben sie Sex … ohne Unterlass. Spaß und Lust fühlen sie nicht mehr, zu verkrampft ist ihre Wollen. Sie legen des Kaisers neue Kleider der Lust an und markieren ohne Ende. Sie lecken, ficken und stöhnen, doch entgegen der Intension sehen sie dabei gequält und deplatziert aus. Qualvolle Filme des unverständigen Vollzugs sind die Folge. Unerbittliche Werke, während denen der Zuschauer höchstens lacht, um nicht von der öden Tristesse dieser Sexhöllen verschlungen zu werden. Weil der Unglaube über das zu Sehende einen an die Grenzen des Wahnwitzes bringt. Weiterlesen “Die Liebesvögel – Küss mich da, wo ich es mag (1979)” »