Die Liebesvögel – Küss mich da, wo ich es mag (1979)



Was tun?

Es ist nicht weniger als der Schlüsselfilm im Schaffen eines der fragwürdigsten Regisseure der deutschen Filmgeschichte. Und fragwürdig meine ich so wörtlich wie möglich. Kein anderer Regisseur wirft so viele Fragen auf … in so vielen Dimensionen. Doch ganz Auteur hat er sich zumeist an einem Thema abgearbeitet. Seine Filme sind bevölkert von Menschen die Sex haben, aber nicht weil sie wollen, sondern weil sie müssen. In ihren Gesichtern steht es geschrieben, auch wenn sie es zu verstecken versuchen. Wer sie zwingt? Es sind sie selber und ihre Ängste. Der Druck einer sich zunehmend offen sexualisierenden Welt lässt sie mit ihren als kümmerlich erlebten Gefühlen zurück. Sie sind nicht die Sexmonster, von denen überall berichtet wird, von denen sie denken, dass sie wie sie sein müssen. Einfache Gefühle haben sie und sie kommen sich klein vor. Angst vor Spott ist die Folge. Deshalb haben sie Sex … ohne Unterlass. Spaß und Lust fühlen sie nicht mehr, zu verkrampft ist ihre Wollen. Sie legen des Kaisers neue Kleider der Lust an und markieren ohne Ende. Sie lecken, ficken und stöhnen, doch entgegen der Intension sehen sie dabei gequält und deplatziert aus. Qualvolle Filme des unverständigen Vollzugs sind die Folge. Unerbittliche Werke, während denen der Zuschauer höchstens lacht, um nicht von der öden Tristesse dieser Sexhöllen verschlungen zu werden. Weil der Unglaube über das zu Sehende einen an die Grenzen des Wahnwitzes bringt.

DIE LIEBESVÖGEL ist deshalb so bezeichnend, weil es um einen Mann geht, Peter, der keine Orgasmen bekommt. Symbolisch nimmt er den Platz (fast) aller Menschen im enzschen Universum ein. Er macht sich auf den Weg ins sündige München um dort das große Glück zu finden, um ein ganzer Mann zu werden, um zu verstehen, was es mit diesem Ding Geschlechtsverkehr auf sich hat. Er vögelt wie wild durch die Gegend und sucht die promiskesten Orte auf, die er kennt. Ein protzender, sexuell lockerer Freund soll ihn unterbringen und lehren. Doch als das fehlschlägt, treibt er sich durch Discos und sucht in einem Puff sein Glück. Würde er die Augen aufmachen, würde er sehen, bei seinem Freund, bei seinen Gespielinnen, bei der Livesexshow im Puff, dass all diese Leute nicht anders dran sind als er. Er glaubt ihren dick aufgetragenen/kläglichen Versuchen als lustvolle Wesen zu erscheinen. Dabei ist es überall zu sehen, das Unverständnis, das schreckliche maschinelle rein raus, ohne ein Gefühl … außer der Verzweiflung.

Die Lust

Sex bei Enz geht alle Fantastik verloren und damit auch die Lust. Es muss getan werden. Erotik kennt kein rationelles Müssen. Die Inszenierung ist so steif, wie die Penisse schlaff sind. DIE LIEBESVÖGEL ist so nichts weniger als der Horror eines Heimpornos. Wer kennt sie nicht, die Geschichten von Paaren, die sich von der Phantasie angestachelt, selbst aufnehmen. Doch die Geilheit wird nur im Akt angestachelt, der Blick auf die Aufnahmen sind herbe Enttäuschungen. So habe ich gehört, so hört sich das auch logisch an. Beim rationellen Blick auf die Aufnahme verschwindet der Hochglanz, den die eigene Vorstellung über den Akt zieht. Zurückbleiben mangelhafte Körper, unbedarfte Bewegungen und Körpersäfte … kein Gefühl. Solche Filmchen anderer Menschen sind noch ok, aber die eigenen scheinen die Hölle zu sein. DIE LIEBESVÖGEL ersetzt die eigenen Versuche und zeigt uns diesen Abgrund.

Doch wären es nur unwillige Menschen in eisernen Inszenierungen, wäre es vielleicht einfach nur nicht schön. Doch Enz ist ein Poet. Ein Poet des qualvollen Unsexes. Manischen Mief, welcher in der Kameraarbeit, den Interieurs (die Kaminteller!!!) und vor allem in der Musik steckt, formt er zu einem Sturm des ästhetisch unästhetischen Wahnsinns. Er gleicht dem Zirkusdirektor aus LOLA MONTEZ, welcher die Titelheldin jeden Abend in die Manege der reißerischen Demütigung schickt. Unterstreichen die biederen Bilder und die muffigen Einrichtungen das Sein der misslichen Menschen im Enz-Universum, die gerne so glamourös wären, so werden sie von der Musik und dem Witz, welche sie umgibt, vorgeführt. Die manisch fröhliche Musik ist die Peitsche mit der sie wie Pferden durch die Manege gejagt werden. Ausgehungerte Pferde, die dem Zuschauer nur in Enzetzen versetzen.

Harmonie

DIE LIEBESVÖGEL ist sein Vermächtnis. Vielleicht nicht sein bester Film, aber der, welcher die Enzperience auf den Punkt bringt. Der nicht nur das ihn umtreibende Thema auf der Zunge trägt, sondern der auch seinen Stil in kompletter Enzspeckung zeigt. Der bei aller Abstoßung trotzdem liebenswert ist. Aber das ist nur eine Perspektive auf ein rätselhaftes Oeuvre, die nur eine Sicherheit kennt. Die der unverständigen Qual des Sexes. Und der größte Horror von DIE LIEBESVÖGEL ist vielleicht die Vorstellung, dass es jemanden gibt, den diese Bilder tatsächlich anmachen.

DIE LIEBESVÖGEL – KÜSS MICH DA, WO ICH ES MAG – BRD 1979 – Farbe – 81 Minuten – 35mm, 1:1,66 – Regie: Jürgen Enz – Drehbuch: Christoph Walz – Produktion: Henriette Reintjes – Kamera: Günter Lemmer – Schnitt: Jürgen Enz (als Jörg Michael) – Musik: Kurt Matthäus – Darsteller: Rolf Zigan (als Rolf Zinnmann), Biggi Stenzhorn, Ginny Noack, Elke Meyrichs, Michael Wagner, Christa Abel, Siggi Buchner, Margitta Hofer, Marion Brandmaier, Dorle Buchner, Horst Sieger

Der SchreckenDie ShowZüngeln

Dieser Beitrag wurde am Donnerstag, Oktober 11th, 2012 in den Kategorien Ältere Texte, Blog, Blogautoren, Essays, Filmbesprechungen, Robert veröffentlicht. Sie können alle Kommentare zu diesem Beitrag über den RSS 2.0 Feed verfolgen. Sie können diesen Beitrag kommentieren, oder einen Trackback von ihrer eigenen Seite setzen.

3 Antworten zu “Die Liebesvögel – Küss mich da, wo ich es mag (1979)”

  1. Silvia Szymanski on Oktober 11th, 2012 at 10:07

    Ein großartig geschriebener und großartig verständnisvoller Text. Das habe ich nicht gesehen, die Gründe für den „schlechten Sex“ in diesen Filmen, aber du hast Recht. Dann sind die LIEBESVÖGEL tatsächlich ein Schlüsselwerk, das öffnet mir die Augen und macht mich noch nachdenklicher.

  2. Chet on Oktober 11th, 2012 at 16:27

    Einer der besten Texte, die ich zum Thema Enz bisher gelesen habe. Vielen Dank!
    Ich bin immer noch am Rätseln, wieviel in seinen Filmen nun Unvermögen und wieviel Berechnung ist. Ein ausführliches Interview könnte an dieser Stelle vielleicht erhellend sein. Aber vermutlich würde man die Filme damit auch ihrer unerklärlichen Mystik und Faszination berauben. Um ehrlich zu sein, habe ich mich auch schon seit längerem nicht mehr an sein Schaffen rangetraut. Mal sehen, wie es weitergeht…

  3. Robert on Oktober 11th, 2012 at 16:37

    Ach, Silvia, ich mag deinen Text aber trotzdem mehr, weil er so menschlich ran geht. Ich finde es etwas schade, schon wieder so analytisch mich dem ganzen genähert zu haben. So auf eine Dimension reduziert. ICh schneide ihn auf und gucke rein, während du ihm eine Tasse Kakao reichst. Was ich so wunderschön finde.

    @Chet: Ja, ein ewig währendes Mysterium. Mich läßt das auch nicht los. Und falls Hard Sensation oder Eskalierende Träume wirklich mal ein Interview bekommen, dann habe ich ähnliche Ängste.Was wenn die Realität die Phantasie eintrübt? Aber was wenn der Enz genau so mysteriös wie seine Filme ist? Es wäre einfach auch interessant zu wissen.

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