Andrej schafft sie alle – Opfer (1986)

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Es gibt diese emblematische Einstellung irgendwann zu Beginn von Andrej Tarkowskijs letztem Film, Opfer. Sie besteht aus dem Blick in ein Buch. Erland Josephsons Hände blättern Seite um Seite gemächlich um und die darauf abgebildeten Ikonenmalereien werden ausladend präsentiert. Das Bezeichnende daran ist, dass Alexander, der von Josephson gespielte Hauptdarsteller, sie nicht einfach anschaut, sondern kommentiert. Unschuldig seien sie, tief und unschuldig. Er kann seine Überwältigung nicht stehen lassen, sondern muss behaupten… behaupten, was seiner Meinung nach zu sehen ist. Aber wie wenn Mormonen bei einem zu Hause auf der Couch sitzen und einem mit auswendig gelernten Argumentationen den Blick auf die Welt zurechtrücken wollen, sind diese Erklärungen dabei kaum mehr als Worthülsen. Leere Sentenzen. Slogans der eigenen Ergriffenheit, die sich dieser aber nicht annähern und keinen Wert haben. Tief und unschuldig, was heißt das schon. Weiterlesen…

What would you do, Daddy? – Hardcore (1979)

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Rudolf Lenz – Verzicht und die deutsche Seele

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Heimat

Heimatfilm ist ein Thema mit vielen Missverständnissen. Heimatfilm, das sind beruhigende Aufnahmen von Wald, Wiesen und Bergen, von einer Natur, wo die Welt noch im Einklang ist. Das sind Filme voller privater Melodramen, in denen mehr oder weniger unbedeutende regionale Ereignisse wie Wilderei und profitgetriebene Abholzung das Höchste der Gefühle sind. Keine große Politik, keine drückende Vergangenheit, keine komplexen Abhandlungen komplexer Inhalte. Ihre Abkanzelung als Flucht vor einer Realität, in der Deutsch zu sein nach 1945 nicht mehr ganz einfach war, ist größtenteils selbstverschuldet. Denn diese strahlenden Cocktails von irrsinniger Harmoniesucht, populistischen Verkürzungen und weichgespülter Kantenlosigkeit sind teilweise nur mit geharnischter Seele zu ertragen. Und doch sind es gerade die Heimatfilme auf deren Rücken große Teile des Kampfes um eine (positive) deutsche Nachkriegsidentität ausgetragen wurden. Sie legen zudem die komplexen Möglichkeiten offen, welche das Wort Heimat als Identitätsstifter bietet und wie mit Schuld umgegangen werden kann. Wer sich mehrere von ihnen zu Gemüte führt, sollte es schnell merken, denn in der Vielzahl wird es deutlich … so schien es mir jedenfalls nach der auf ein Wochenende konzentrierten Sichtung diverser Heimatfilme. Weiterlesen…

Atemlos (1983)

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Ein Gegenpart zu Ouroboros, der sich selbst in den Schwanz beißenden und fressenden Schlange, ist mir nicht bekannt. Wenn es diesen gibt, dann wäre dieser das perfekte Sinnbild für BREATHLESS. Statt Selbstverzehrung ist es Selbsteskalation. Ein perpetuum mobile von Selbstreferenzen und Spiegelungen. Eine Wundertüte, die sich selbst speist und die Außenstehenden mit Sinn und Irrsinn bombardiert. Nicht John Malkovich, der in seinen Kopf steigt, sondern die beiden Metropolen im Südwesten der USA. Hollywood, Los Angeles und Las Vegas durch die Augen von Hollywood, Los Angeles und Las Vegas. Wollte Jean-Paul Belmondos Michel Poiccard noch Humphrey Bogart im fremden Land sein, da hält sich Jesse Lujack (Richard Gere in der Form seines Lebens) für den Silver Surfer, Jerry Lee Lewis und jeden Pistolen schwingenden Leinwandrebellen unterhalb der Hollywood Hills. Im Zentrum von glitzernder Oberfläche, Traumfabriken und Illusionskultur ist er ihr Produkt im doppelten Sinne. Weiterlesen…

Zoom In: Sex Apartments (1980)

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Das Schöne an roman pornos und pinku eigas ist ja, dass wirklich die ganze restliche Filmwelt darin aufgegangen ist … nur halt mit mehr entblößten Brüsten. Ich bin mir sicher, es gibt bestimmt auch eine Pinkfilmversion eines Spätwesterns. Bei ZOOM IN: SEX APARTMENTS finden wir uns aber in der Welt der Gialli wieder. Ein lederbehandschuhter Psychopath im Trenchcoat zündet Frauen vornehmlich an ihren private parts an und lässt sie elendig verbrennen. Ein Gemälde und die Vergangenheit bieten die Schlüssel zu dem Geheimnis des Mörders. Eine feurige Farbdramaturgie und die obsessive Ausstellung von spitzen metallenen Gegenständen tuen ihren Rest. Kurosawa Naosuke mag Dario Argento, es ist kaum zu übersehen. Weiterlesen…

Zum Tod eines seltsamen Filmemachers

Vor wenigen Tagen ist Ôshima Nagisa gestorben. Um genau zu sein am Dienstag den 15. Januar. Nach mehreren Schlaganfällen, die ihn seit 1996 ereilten, erlag er nun einer Lungenentzündung und, wie so oft gesagt wird, verliert die Filmwelt eine ihrer schillerndsten, besten, interessantesten usw. usf. Figuren. Einerseits ist das natürlich nur Augenwischerei, weil er seit über 13 Jahren keinen Film mehr vollendet hat und diese Erinnerung nur eine nostalgische Notiz in Presse und Fernsehen ist. Ohne seinen Tod interessiert sich kaum noch jemand für das Werk dieses seltsamen Filmemachers. Ich kann mir nicht vorstellen, dass in Japan der Aufschrei des Entsetzens nachhaltiger ist als anderswo, aber vielleicht täusche ich mich. Es wird ihm Respekt gezollt, weil er mal von Bedeutung war. Es wird kurz etwas Bohai gemacht, bevor er größtenteils vergessen oder in einen goldenen Kanon gezwängt wird, von wo aus Schüler und Studenten mit ihm gequält werden. Im Grunde eine riesige Sauerei, aber damit muss jeder leben, ob er nun Dostojewskij, Petronius, Huysmans oder James Whale heißt. Die Vergangenheit ist fort und wird nimmermehr lebendig werden. Besonders in einer Welt, in der das Alte und Vergangene mit Überholtheit und Minderwertigkeit aus Sicht einer heiligen Moderne, die weiß wie Dinge besser, spannender und intelligenter gemacht werden, gesehen wird. Ich will hier gar nicht rumheulen, ich habe mich lange damit abgefunden. Doch die Flut an halbgaren Nachrufen verdeutlicht nur wie vergangen die Zeit des Toten ist. Sie fühlen sich teilweise wie Spott an. Pflicht gegenüber einer Legende, die uns endlich nicht mehr mit ihrer physischen Präsenz vom abhaken abhält. Die Filmwelt beklagt einen Verlust, der keiner ist. Ôshimas Zeit war schon lange vor seinem Tod vorbei. Sein Tod ändert nichts. Es gibt einem nur die Chance an jemanden zu erinnern, der für einen noch nicht tot ist, der einen immer noch fasziniert, der einem immer noch etwas zu sagen hat, auch wenn er schon nur noch aus dem Sarg der Zeit spricht. In der Hoffnung, dass es jemanden interessiert.

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Die Liebesvögel – Küss mich da, wo ich es mag (1979)

Was tun?

Es ist nicht weniger als der Schlüsselfilm im Schaffen eines der fragwürdigsten Regisseure der deutschen Filmgeschichte. Und fragwürdig meine ich so wörtlich wie möglich. Kein anderer Regisseur wirft so viele Fragen auf … in so vielen Dimensionen. Doch ganz Auteur hat er sich zumeist an einem Thema abgearbeitet. Seine Filme sind bevölkert von Menschen die Sex haben, aber nicht weil sie wollen, sondern weil sie müssen. In ihren Gesichtern steht es geschrieben, auch wenn sie es zu verstecken versuchen. Wer sie zwingt? Es sind sie selber und ihre Ängste. Der Druck einer sich zunehmend offen sexualisierenden Welt lässt sie mit ihren als kümmerlich erlebten Gefühlen zurück. Sie sind nicht die Sexmonster, von denen überall berichtet wird, von denen sie denken, dass sie wie sie sein müssen. Einfache Gefühle haben sie und sie kommen sich klein vor. Angst vor Spott ist die Folge. Deshalb haben sie Sex … ohne Unterlass. Spaß und Lust fühlen sie nicht mehr, zu verkrampft ist ihre Wollen. Sie legen des Kaisers neue Kleider der Lust an und markieren ohne Ende. Sie lecken, ficken und stöhnen, doch entgegen der Intension sehen sie dabei gequält und deplatziert aus. Qualvolle Filme des unverständigen Vollzugs sind die Folge. Unerbittliche Werke, während denen der Zuschauer höchstens lacht, um nicht von der öden Tristesse dieser Sexhöllen verschlungen zu werden. Weil der Unglaube über das zu Sehende einen an die Grenzen des Wahnwitzes bringt. Weiterlesen…

100 Deutsche Lieblingsfilme #40: Aquaplaning (1987)

Phantasie der Entspannung

Die vom Wasser reflektierten Sonnenstrahlen tanzen auf dem 5-Meter-Turm. Immer wieder ist dieses Bild zu sehen. Jedenfalls am Anfang. Vom sanften Wogen dieser gleißenden Wärme geht eine ungemeine Ruhe aus, ob sie nun auf dem Turm, auf den Gesichtern oder auf den Körpern tanzt. Das Schwimmbad Neukölln ist geradezu ein Hort von meditativer Sicherheit… zumindest aus der Sicht von Herrmann Ort. Als seine Mutter in Rente geht, wird ihm das BAföG aufgrund fehlender Unterlagen gestrichen und er nimmt einen Job in besagter Schwimmanstalt an. Es ist nicht übermäßig schön, modern, sauber oder perfekt, aber hier findet er seinen Frieden mit der Welt.

Kaum etwas passiert, wenn er in der ersten Hälfte des Films durch die Anlage schlendert. Doch wer sich darauf einlassen kann, findet in Aquaplaning das, was Herrmann in seinem Schwimmbad erblickt. Es ist kaum mehr als ein Aufatmen. Ein befreites Aufatmen, nachdem all die Last, welche Filme oft niederdrückt, verschwunden ist. Vielleicht wird dieser Ballast auch erst bewusst, wenn sich die Schultern plötzlich so frei anfühlen. Und in Aquaplaning schaffte es Eva Hiller, ungekünstelt einen Mann durch ein Schwimmbad schlendern zu lassen, ihn aufatmen zu lassen und mit ihm den Zuschauer. Voller Selbstvertrauen umgeht sie blendende Dramatisierungen. Ihr Film ist einfach nur und kümmert sich nicht zwanghaft um Dramaturgie oder Aufbau einer Handlung. Um Action oder Pointen. Nirgends gibt es groß angelegte Kunstgriffe, die Aussagen oder Gefühle verdeutlichen. Auch lange Einstellungen, Montage oder ähnliche Kunstgriffe, welche dem Zuschauer mitunter nichts anderes vermitteln wollen, als dass sie sich ein sehr ernst zu nehmendes Kunstwerk ansehen, gibt es nicht. Kurz, sie verzichtet auf jeden Tand um ihren Film denkwürdig zu machen. Weiterlesen…