Rudolf Lenz – Verzicht und die deutsche Seele
Heimat
Heimatfilm ist ein Thema mit vielen Missverständnissen. Heimatfilm, das sind beruhigende Aufnahmen von Wald, Wiesen und Bergen, von einer Natur, wo die Welt noch im Einklang ist. Das sind Filme voller privater Melodramen, in denen mehr oder weniger unbedeutende regionale Ereignisse wie Wilderei und profitgetriebene Abholzung das Höchste der Gefühle sind. Keine große Politik, keine drückende Vergangenheit, keine komplexen Abhandlungen komplexer Inhalte. Ihre Abkanzelung als Flucht vor einer Realität, in der Deutsch zu sein nach 1945 nicht mehr ganz einfach war, ist größtenteils selbstverschuldet. Denn diese strahlenden Cocktails von irrsinniger Harmoniesucht, populistischen Verkürzungen und weichgespülter Kantenlosigkeit sind teilweise nur mit geharnischter Seele zu ertragen. Und doch sind es gerade die Heimatfilme auf deren Rücken große Teile des Kampfes um eine (positive) deutsche Nachkriegsidentität ausgetragen wurden. Sie legen zudem die komplexen Möglichkeiten offen, welche das Wort Heimat als Identitätsstifter bietet und wie mit Schuld umgegangen werden kann. Wer sich mehrere von ihnen zu Gemüte führt, sollte es schnell merken, denn in der Vielzahl wird es deutlich … so schien es mir jedenfalls nach der auf ein Wochenende konzentrierten Sichtung diverser Heimatfilme.
HOHE TANNEN ist so ein Beispiel. Ein fröhliches Lustspiel voller Geschlechterverwechslung, Liebe und Städter auf dem Land. Jede grobe Inhaltsangabe verkennt aber den zentralen Punkt, der im Schatten dieser Schlagernichtigkeiten lauert. Denn jedes Mal wenn in HOHE TANNEN jemand von der Vergangenheit erzählt – und es geschieht nicht selten – dann erzählen diese mit selbstmitleidigem Ton von der Heimat, plötzlich von lostriefender Musik sekundiert. Sie erzählen von einem Paradise Lost, das so nah ist – über dem nächsten Bergkamm – aber in das sie nicht zurück können, weil nun eine Grenze die guten Leute von ihrer Heimat trennt. Sie weinen und verstehen das Unrecht nicht. Wie Kinder, die beteuern, dass sie den Grund ihrer Bestrafung nicht verstehen. Zusammen mit den Märschen von in Trachten geschmissenen Hundertschaften wäre der plötzliche Aufschrei, der den Einmarsch ins Sudetenland fordert, weit weniger überraschend, als dass es gut sein kann. HOHE TANNEN hat in seinem Klagegesang über die Heimat eine wirklich erschreckende Qualität.
Und die Frage, die ich mir dann immer stelle, ist, ob jemand der noch nie von Holocaust, Konzentrationslagern, Nazideutschland, 2. Weltkrieg, Annektierung, Hitlerkult und von Ein Volk, ein Reich, ein Führer gehört hat, ob dieser beim Anschauen von Heimatfilmen aus der Nachkriegszeit bis zum Niedergang des Genres in den 70ern etwas merken würde. Und ich glaube, dass es ab einer gewissen Anzahl und mit der nötigen Sensibilität möglich wäre. Es gibt immer mal ehemalige Soldaten und sehr oft das Lamentieren über die verlorene Heimat, die eben durch eine neue Grenze unerreichbar ist. Krieg und eine Niederlage liegen nahe. Warum aber kein Schimpfen auf die Gewinner, auf die Niederträchtigen, die Teile der Heimat geklaut haben? Warum dieses Schweigen, dieses absolute und riesige Schatten werfende Schweigen? Dass Menschen aufgrund ihrer ethnischen Zugehörigkeit industriell von einer kriegstreibenden Diktatur massengemordet wurden, die beständig ihre Legitimation durch das gesamte deutsche Volk gegeben sah und dies auch durch jubelnde Massen und schweigende Mehrheiten bestätigt bekam, das zu erraten bleibt in diesem systematisch aufgebauten Nebel schwer. Dass aber eine Schuld auf den einzelnen Leuten lag, der schon schwer in die Augen zu blicken war, wenn von einem gerademal Nichts getan wurde oder zu wenig, davon künden die Massen an Heimatfilmen. Heimatfilme, deren hermetisch abgeriegeltes Schweigen meist von einer beredten Ignoranz zeugt, die auf weit mehr als Nichtstun schließen lässt … in einem Genre, das sich nicht zuletzt von den Nazis hochgradig instrumentalisieren lassen hat und dessen Legitimation eh angegriffen war. Wer Deutschland nach Nazideutschland an Herz und Nieren spüren möchte, der schaue Heimatfilme. Je mehr sie es auch betonten, ein unschuldiges Vergnügen waren und sind sie nicht.
Der gerechte Jäger, der verderbende Wilderer
Einer der nicht nur erfolgreichsten Heimatfilme aller Zeiten, sondern einer der erfolgreichsten deutschsprachigen Filme überhaupt war ECHO DER BERGE, besser bekannt als DER FÖRSTER VOM SILBERWALD. Darin spielt ein österreichischer Schauspieler die Hauptrolle, der bestenfalls als uncharismatisch bezeichnet werden kann und der in Filmen wie FÖRSTERLIESEL, DER WILDERER VOM SILBERWALD und EINMAL NOCH DIE HEIMAT SEHEN diese Rolle des aufrechten Jägersmannes im Silberwald mehrmals aufwärmen sollte. Als Förster wusste er Millionen zu begeistern, weiß das VHS-Cover von HERBSTROMANZE zu berichten (wo er in einer einmaligen Tour-de-Force-Performance düsterer Gestelztheit die unangenehmen Zwischenräume des Heimatfilms nochmals ausbuchstabieren sollte), und auch wenn seine Karriere als deutscher Kinostar nur von kurzer Dauer war, so kam sein Erfolg mit dieser Rolle nicht von ungefähr. Spiegelte sie doch ein wahres deutsch-österreichisches Schicksal. Rudolf Lenz war es, der so durch seine (dargestellte) naive Reinheit/Nichtigkeit wie kein Zweiter ein Versöhner mit dem deutsch-österreichischen Los wurde.
Die Einzelheiten der Filme sind dabei gar nicht wichtig. Vielmehr ist bemerkenswert, worin sie übereinstimmen. Rudolf Lenz spielt stets einen Jäger, der in den Silberwald kommt und dort seine Heimat findet. Woher er kommt, wird nie angesprochen, seine Heimatlosigkeit nie thematisiert. Vielleicht liegt seine Heimat nun hinter einer neuen Grenze und er kann nicht zurück. Andere Gründe kann es kaum geben, dass ein so grenzenlos aufrechter Mann nicht zu wohin auch immer zurückkehren kann. Er wird zwar auch oft aus dem Silberwald gejagt, aber er findet immer wieder den Weg zurück und kann alle davon überzeugen, dass er unschuldig war, ist und immer sein wird.
Gnadenlos tugendhaft ist er. Sein Orgelspiel in der Kirche scheint sein einziges Laster zu sein, wo er versunken in die Tasten haut und den Pfeifen Töne von milder Gleichmut und Seligkeit entlockt. Und so passt er perfekt in den Wald, die Harmonie der Natur, wo schon die Menschen fremd sind. Und an diesem Punkt wird es auch schon wieder heikel, denn die nationalsozialistische Waldideologie lunzt hier deutlich um die Ecke. Der Wald als antimoderner Identitätsstifter, als Urgrund der deutschen Seele, der in Anmut und Schönheit vor Industrie und fortschrittlicher Verkommenheit zu schützen ist. Der Wald bringt Ruhe in einen, betäubt die Verwirrung, den die Gesellschaft auf die Seinen loslässt. Doch diese Fetischisierung von Flora und Fauna hat nichts von rassischem Kraftquell, Hermann und kraftvollen deutschen Eichen. Das Teutonische ist verschwunden und niemand marschiert aus diesem Wald los oder schreit aus diesem gegen den Feind. Rudolf Lenz und seine Tierchen korrumpieren diese Vorstellung eines deutschen Waldes mit ihrer Niedlichkeit. Dieser Wald ist ein Ort, in den sich in Fötusstellung gelegt wird, während der Daumen Richtung Mund wandert. Wenn die Häschen wieder hoppeln, die Uhus glotzen und das Licht durch die Baumkronen scheinend der Szenerie ikonisch den Heiligenschein aufsetzt, dann gibt einem dieser Wald die Absolution … doch so viel Ablass kann einem der Wald nicht geben, als dass aus ihm herausgeschaut werden könnte.
Der Feind dieser Harmonie, der in allen diesen Filmen auftaucht, ist der Wilderer. Der Teufel selbst, der in den Hort des Friedens eindringt und aus Geldgier, Rache oder Eitelkeit kapitale Böcke und Kaninchen schießt. Doch wer ist er? DER FÖRSTER VOM SILBERWALD ist der einzige der Filme, wo dieser nicht aus der Mitte der Dorf- und Berggemeinschaft kommt. Dort ist es ein Stadtmensch, von außen kommend. Doch in diesem ist es auch die einheimische Gemeinschaft, die den Wald mit massiver Abholzung bedroht. Der Feind ist vieldeutig, die Beute ist es nicht. Die Unschuld des Waldes steht auf dem Spiel und damit die der Menschen … denn davon können diese Filme nicht lassen, die Natur ist auch immer die des Individuums, sein reiner Zustand, der von unreinen Gefühlen und Gedanken bedroht ist. Der Wilderer ist so nicht nur der Unmensch, der außen auf einen lauert, Unmenschen wie Hitler, die einem (d.i. der Wald) die Unschuld rauben, sondern auch die Korruption im Menschen selbst – kommt er doch stets aus der Mitte der Gemeinschaft. Der Wilderer ist die Bedrohung Hass, Gier und ähnlich Unschönem zu erliegen.
Lustloser Asketismus des Messias‘ des Verzichts
Der Retter, der immer gewinnen wird, ist aber ein sonderbarer, nämlich Rudolf Lenz, der abgeschlaffte Deutsche. Verzicht ist seine Waffe. Er gibt sich mit der neuen Heimat zufrieden. Er gibt sich mit seinem kargen Leben zufrieden. Er findet sich mit den Schicksalsschlägen ab, die ihn von seiner Liebe trennen. Er gleicht die Fehler der anderen aus und sorgt für Ruhe, auch wenn er darunter leiden muss. In DER FÖRSTER VOM SILBERWALD wird er entlassen, da er die Identität eines zur Strecke gebrachten Wilderers deckt, dessen Gewehr er aus der Hand seiner großen Liebe kommend wähnt. In DER WILDERER VOM SILBERWALD biegt er Untaten und Schuldfragen für die Öffentlichkeit so zurecht, dass die Aufregung sich legt, auch wenn er abermals auf seine Liebe verzichten muss. Das Glück der Anderen liegt auf seinen Schultern wie ein Mühlstein, während die Verlockungen des Lebens an ihm abgleiten wie an Teflon. Nie wurde Askese so teilnahmslos ohne Verlangen und Lust hingenommen.
Rudolf Lenz ist niemand, mit dem jemand auf eine Party gehen möchte. Apathischer Ernst zeichnet ihn aus, der ihn zwar noch lächeln lässt, aber immer mit der Vorsicht, als ob hinter jeder kleinsten Aufgabe seines verkümmerten Frohsinns ein existenzieller Schrecken auf ihn lauert, der ihn droht zu zerreißen. Da er aber offenkundig der Held der Filme ist, fehlt das Mitleid. Er verzichtet auch gern darauf, irgendwie ist er einem ja auch sympathisch. Stattdessen wieder Tiere, Wald, ein fröhliches Kind oder ein harmloser Spaß. Mitgefühl, Angst, Ablehnung, Unglauben und argumentative Impotenz führen die wild sprießenden Winkel dieses selbstgewählten dementen Irrsins mit sich. Tränen können ob der Blüten dieser pathologischen Angst gelacht werden. Düster kann einem ums Herz werden. Sehr menschlich ist das.
Rudolf Lenz‘ Jäger könnte auch sehr gut eine Ausprägung von Hitlers Zitat – Was für ein Glück für die Regierenden, daß die Menschen nicht denken! – sein. Also er könnte dem Normalbürger Verzicht predigen und diesen so ruhig halten, während die Herrschenden Orgien feiern. Meine Unkenntnis des deutschen Heimatfilms zur NS-Zeit lässt Vergleiche im Grunde nicht zu. Aber im Vergleich zu anderen Möglichkeiten ist diese durchdringende Biederkeit schon wieder beruhigend. Rudolf Lenz hatte einfach eine unvergleichliche Qualität, er wollte nämlich nicht im Sudetenland einfallen. Beispielhaft verzichtete er auf Rache sowie Nostalgie und nahm hin, wo andere Filmfiguren mit der Trennung von der Heimat haderten. Millionen sahen zu und konnten ihre Pille durch das trüb-leuchtende Beispiel vom Jäger im Silberwald im Wissen das Richtige zu tun wenigstens selbstgerecht schlucken. Das ist nicht viel, aber auch schon was.
Ganz aussergewöhnliche Analyse mit hochspannenden Ergebnissen, leider fehlt ein Nachklapp zum heutigen Bergdoktor – oder besteht kein Bezug?
Darüber fehlt mir leider jegliche Information. Heutige Bergdoktoren befinden sich (noch) unter meinem Radar.