Zoom In: Sex Apartments (1980)



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Das Schöne an roman pornos und pinku eigas ist ja, dass wirklich die ganze restliche Filmwelt darin aufgegangen ist … nur halt mit mehr entblößten Brüsten. Ich bin mir sicher, es gibt bestimmt auch eine Pinkfilmversion eines Spätwesterns. Bei ZOOM IN: SEX APARTMENTS finden wir uns aber in der Welt der Gialli wieder. Ein lederbehandschuhter Psychopath im Trenchcoat zündet Frauen vornehmlich an ihren private parts an und lässt sie elendig verbrennen. Ein Gemälde und die Vergangenheit bieten die Schlüssel zu dem Geheimnis des Mörders. Eine feurige Farbdramaturgie und die obsessive Ausstellung von spitzen metallenen Gegenständen tuen ihren Rest. Kurosawa Naosuke mag Dario Argento, es ist kaum zu übersehen.

Folglich ist die Realität auch einem verschwitztem Angsttraum gewichen. Wir befinden uns in einer Zwischenwelt, die eine Frau während der längeren Abwesenheit ihres Mannes besucht. Erholung vom Alltag und Erregung sucht sie. Der Preis ist ihr egal … zumindest fast. Ein größtenteils verlassenes Trabantenviertel einer Großstadt umringt von ewigen Steppen und Einöden bietet ihr den Abenteuerspielplatz ihres Vertrauens. Alles ist auf den ersten Moment schlüssig und vorstellbar, aber die Zusammensetzung lässt den Wind von Einsamkeit und alptraumhafter Beklommenheit durch die leeren Gebäude blasen. Hier möchte sie ihren ehemaligen Liebhaber wiedertreffen und das alltägliche Drüberrutschen ihres Mannes gegen Lust eintauschen. Doch schon auf der Reise dorthin wird sie von besagtem Psychopathen vergewaltigt. Anzünden tut er sie nicht. Ein wichtiger Fakt. Der Rest ist taumeln … durch Wahrheiten und Möglichkeiten, Sex und Gewalt, Erregung und Entsetzen. Was am Ende bleibt ist die Sicherheit den Faden verloren zu haben, aber auf die sympathischste Weise. Denn wer will Auflösungen, wenn ein Film in einem Rausch aus Spiegeln, Feuerfontänen und Sex einer unsicheren Anzahl von Leuten (von 1 bis 3 ist alles möglich) vergeht, der einem Kopf und Hose platzen lässt.

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Es ist aber nicht einmal sicher, ob wir den Faden tatsächlich verloren haben. Was Kurosawa schafft ist so faszinierend wie unglaublich (menschlich). Denn der Täter wird uns von Beginn an präsentiert. Mit Neonschrift und Ausrufezeichen auf dessen Stirn. Der Liebhaber trägt ständig Lederhandschuhe und spitze Stechinstrumente mit sich rum. Es ist dermaßen offensichtlich, dass es nicht mal offensichtlich zu sein scheint, als er einen Kanister über eine nackte Frau entleert und mit einem Feuerzeug in der Hand erwischt wird. Die Wunder von Unsicherheit und Paranoia wurden nie besser genutzt. Wenn er alles abstreitet, obwohl nur die letzte Bewegung zum Anzünden fehlte, dann möchte ein Teil in uns ihm glauben. Jedenfalls tat ich es. Wie wenn jemand auch nach der achten Tracht Prügel noch glaubt, dass sich derjenige gegenüber ändern wird. Weil es eben möglich ist. Unsere Phantasie kann sich alles ausmalen und Kurosawa treibt es bis zum Äußersten. Er zeigt alles klar, offen und mit Unterstreichungen und trotzdem zweifeln wir, trotzdem bleibt irgendwas immer vage. Sicherlich reißt er sein Gebäude gegen Ende bewusst ein und leitet uns auf feurigen Fußstapfen in einen flotten Dreier … aus Menschen und möglicherweise existierenden Psychopathen, aber selbst das ist nur die Krone des paranoiden Exzesses. Das Lachen, das durch die Gänge hallt.

Doch nicht nur in den Ritzen seiner Geschichte spielt Kurosawa ein perfides Spiel. Vor allem sind es die Figuren, die er nie auf einfache Muster runterbricht. Es sind Menschen von denen wir nicht wissen, was sie tun, und die es selbst auch nicht wissen. Da ist zum Beispiel dieses Mädchen, welches durch die Müllhalde streift um sich zu erleichtern. Doch während sie pisst, bemerkt sie die Verbrennung eines der Opfer. Sie fängt nicht an zu schreien, wegzulaufen oder sonst etwas. Sie treibt Pauline Réage die Schamesröte ins Gesicht und reibt ihre entblößte Scham, durch den Anblick erregt, an den schäbigen Pappen und Müllresten, die sie umgeben. Sie drückt ihr Gesicht in Essensreste und beginnt genussvoll zu mampfen. Hätte ich so reagiert? Vielleicht nicht. Kann ich sie verstehen? Irgendwo schon … wie es möglich ist jeden Menschen irgendwo zu verstehen. Fühle ich mit ihr? Auf jeden Fall. Wer kann bei soviel unschuldigem Genuss urteilen, statt dem wohligen Teil des Entsetzens nachzuspüren? Wahrscheinlich viele. Ich nicht. Solche Szenen erinnern mich nur daran, dass so viel möglich ist, so viele Gefühle, und dass die Leute schlussendlich immer seltsam sind. Sehr seltsam und faszinierend.

Zûmu in: Bôkô danchi – Japan 1980 – 68 Minuten
Regie: Kurosawa Naosuke – Buch: Katsura Chiho – Produktion: Nakagawa Yoshihisa – Kamera: Mori Masaru – Schnitt: Nabeshima Jun – Musik: Takada Shin – Darsteller: Miyai Erina, Azusa Yôko, Ôyagi Yôko, Araragi Yûko, Iida Beniko, Kageyama Hidetoshi, Katagiri Yûko, Matsukaze Toshikatsu, Midorikawa Setsu, Mori Midor, Seidô Ren, Shiga Keijirô, Takagi Rei, Yamaji Miki

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Dieser Beitrag wurde am Samstag, August 10th, 2013 in den Kategorien Ältere Texte, Blog, Blogautoren, Essays, Filmbesprechungen, Robert veröffentlicht. Sie können alle Kommentare zu diesem Beitrag über den RSS 2.0 Feed verfolgen. Sie können diesen Beitrag kommentieren, oder einen Trackback von ihrer eigenen Seite setzen.

3 Antworten zu “Zoom In: Sex Apartments (1980)”

  1. Filmforum Bremen » Das Bloggen der Anderen (12-08-13) on August 12th, 2013 at 21:08

    […] – Ein pinku eiga, der vom Giallo und vor allem Dario Argento inspiriert ist? Das ist schon mal sehr spannend. Robert stellt auf Eskalierende Träume den japanischen Film „Zoom In: Sex Apartments“ von 1980 vor, und was er berichtet, klingt schon recht wild und bizarr. […]

  2. Sano Cestnik on August 14th, 2013 at 14:45

    Muss ich mir jetzt auch anschauen. Allein wegen der von dir so schön beschriebenen Szene des hemmungslosen sich-im-Dreck-Wälzens. Deine Beschreibung macht mir da den Mund wässrig. Und Filme, die sich hingebungsvoll dem Suhlen in was auch immer hingeben, kann es sowieso nicht genug geben.

  3. Sano Cestnik on März 12th, 2014 at 11:38

    Gerade eben gesehen, hilflos im Netz nach Texten gesucht, dann aber lieber deinen gleich nochmal gelesen. Es ist wie du es sagst, so sah ich den Film nun auch. Dein Text las sich zuvor aber natürlich völlig anders, da hab ich mir wohl nur die Stellen rausgepickt, die ich verstanden habe. Ich glaube, manchmal überliest man einfach alles. Wie man manchmal alles übersieht, oder ertwas nicht glauben will, sooft es einem auch begegnet, wie du so schön schreibst. Es muss ja immer irgendwie weitergehen.

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