STB Sano 2013

„Diejenigen, die das Textverfassen als eine Tätigkeit ansehen, die nicht nur asozial (allein) vonstatten geht, sondern dabei auch etwas Asoziales herstellt, habe ich immer gut verstanden.“

Michael Baute (in: kolik.film, Sonderheft 16, 2011)

“Imagine an eye unruled by man-made laws of perspective, an eye unprejudiced by compositional logic, an eye which does not respond to the name of everything but which must know each object encountered in life through an adventure of perception. How many colors are there in a field of grass to the crawling baby unaware of ‚Green‘? How many rainbows can light create for the untutored eye? How aware of variations in heat waves can that eye be? Imagine a world alive with incomprehensible objects and shimmering with an endless variety of movement and innumerable gradations of color. Imagine a world before the ‚beginning was the word‘.”

Stan Brakhage

„Und dann würde ich wieder runter gehen, mich wieder zu meinen Freunden setzen und mir insgeheim den Rest von seinem Samen von den Zähnen lecken.“

Silvia Szymanski

“Processes do not occur in space but define their own spatial frame. The concept of space is embedded in or internal to process.”

David Harvey (in: Steven Shaviro: Post Cinematic Affect)
[—> the same applies to the concept of time]

„Rajko, ist nicht Shining auch für dich als Kubrickabgetörnter wegen des Genres noch am interessantesten, oder wird zuwenig geslasht oder wie ist das?”

Paul Hasenbein

„Ja, TANZ DER TEUFEL sah ich zusammen mit meiner Nebesitzerin, die schon exzessiv Sex hatte, wie sie mir nicht müde wurde zu erzählen, als gefühlt fünft-sechst Kopie von bundesweit beschlangnahmten VHS im Disco-Keller ihrer Eltern. Ich will ihn mir so in Erinnerung behalten. Für immer.”

Sebastian Selig

„Definitv NUR für die Hartgesottenen geeignet!”

meiklsan

„Es ist diese Begegnung als Konsumtion der Filme, in der sich deren Produktion erst vollständig realisiert.”

Peter Nau

„Die vom Feuilleton geforderte Beurteilung des Kunstwerks ist die Quelle der Unsicherheit, die zum Anpassungszwang an die Koryphäen führt. Eine Art ästhetische Norm als die durchschnittliche öffentliche Meinung, repräsentiert und geprägt von der Gesamtheit der Kritiker, setzt sich hinter ihrem Rücken und dem ihrer Leser durch. Die Leute beginnen, fremd und losgelöst von ihren ureigensten Erfahrungen, auf Kunst zu reagieren.”

Peter Nau

„Marran Gosov steht erschütternd über allen Filmemachern, die im Deutschland der späten 60iger und frühen 70iger Jahre Filme gemacht haben. Außer vielleicht Roger Fritz.”

Christoph Draxtra

Da ich seit Einführung von Roberts Sehtagebuch von seinem Wertungssystem begeistert bin, werde ich es Christoph gleichtun und die Inspiration ergreifen, um ebenfalls ein extrapoliertes persönliches Vokabular von Zustandsbeschreibungen einzuführen. Da ich Bewertungen aber grundsätzlich ablehnend gegenüberstehe, wird es sich dabei nicht um ein lineares, verständliches oder gar erklärbares System handeln und ich bin selbst gespannt, wie es sich entwickeln wird. Die Nennung der gesichteten Filme wird ebenfalls unvollständig sein und meiner Willkür unterliegen, und gelegentliche Textergüsse unter den Filmtiteln sind nicht auszuschließen.

Meine alten Sehtagebücher: 2012, 2011, 2010.


Legende:
/wiederholt gesehen/
auf Filmmaterial gesehen – (70mm, 35mm, 16mm, 8mm, u.ä.)
Hyperlink

Die Auflistung erfolgt soweit verfügbar bzw. notwendig nach:
Originaltitel in lateinischer Transkription „deut./int. Titel“ [Anmerkungen]
Regie Jahr der Fertigstellung Produktionsland – Bewertung





August


Chat’s Romance
Bertrand Fèvre 1988 Frankreich – kurz und knackig

So sollten mehr Kurzfilme sein, überhaupt mehr Filme. Die meisten Filme sind zu lang. Dieser hier bringt alles was er macht auf den Punkt und vergeudet nicht die Zeit des Zuschauers, sondern macht den Wert jedes Augenblicks erfahrbar. Die ersten Trompetentöne sind der Wahnsinn.


Die flambierte Frau
Robert van Ackeren 1983 BRD – Ultrakunst

Wie heißt es so schön als Untertitel bei George Moorse‘ ein Jahr zuvor entstandenem Brandmale: Aus der Unterwelt der Gefühle. Anfang der 80er, Cinema du look, Eiszeit der Gefühle. Eine reiche Zeit für eine bestimmte Art des deutschen Kinos. Die Kamera von Jürgen Jürges ist mal wieder der Wahnsinn. Kein Wunder, Ackeren war ja selbst Kameramann gewesen (später musste ich an Deadlock denken). Der Film ist das Gegenteil von kommerziell – wie das ein Hit werden konnte ist mir schleierhaft. Aber Eckhart Schmidts Der Fan war ja zur gleichen Zeit auch sehr erfolgreich. Sehr erstaunlich, das alles. Vermutlich war es eine neue Art die Welt zu spiegeln. Einfach, klar und direkt. Scheinbar schnörkellos, sozusagen. Aber wie so oft, ist das nur die Oberfläche (aber was für eine!). Ansonsten bei Ackeren: Eine eigene Welt, ein eigener Stil, eine Mischung aus Andrzej Zulawski und einem Touch Maurice Pialat. Für mich auf jeden Fall ein deutscher Zulawski. Absolut. Und immer wieder hauen sie mich um, aufs neue um, diese deutschen Filmemacher mit ihren großartigen Kameramännern. Und Hanns Zischler, auch immer wieder ein Genuss. Am Schluss wird Gudrun Landgrebe tatsächlich flambiert. Der Film muss alles auf den Punkt bringen, düster ist das, düster, und ab und zu darf man lachen, damit es einem im Hals stecken bleibt. Klar und einfach, klar und einfach. Wenn ’s doch nur so wäre.


L’année des méduses „Teuflische Umarmung“
Christopher Frank 1984 Frankreich – toll

Hatte als Jugendlicher mal Ausschnitte dieses Films im Fernsehen erwischt, Abends beim Zappen, und war kurzzeitig hängengeblieben. Ich glaube, eigentlich habe ich (dann) etwas anderes geguckt, aber in den Werbepausen immer mal wieder umgeschaltet. Im Gedächtnis hängen geblieben sind mir nächtliche Spaziergänge auf kopfsteinpflasterartigen, südlichen Sommer-Ferien-Hitzenächten, die Rivalität zwischen Mutter und Tochter, und vor allem der Moment, als die Mutter in einer dieser erleuchteten Nächte zum ersten Mal das Boot betritt, und wie sie dabei von ihrer Tochter beobachtet wird, von Valerie Kaprisky. Im Grunde also einer dieser (unterschwellig) düsteren französischen Filme, in denen viel geredet wird.
Meine Erinnerung hat mich nicht getäuscht, und ich bekam im Grunde, was ich mir erhofft hatte. Am Anfang taucht die Kamera aus dem Meer auf, und es läuft tolle Musik von Nina Hagen über den Credits – zwischendurch wird sie die Handlung noch weitere Male mit ihren Songs untermalen und kommentieren. Am Ende sehen wir eine Qualle in Großaufnahme einsam und behäbig im Meer treiben. Ein schönes Ende, ich musste an das Ende von Being John Malkovich denken. Wasser scheint Subjekte vor der Kameralinse auf eine Art isolieren zu können, wie es in der Luft selten so plastisch gelingt. Denn im Wasser ist man visuell stärker geborgen und gefangen, und auch das schwerelos Schwebende wird an der Luft weniger wahrgenommen. Vielleicht ist Luft einfach nicht so fotogen wie Wasser – man will ihr immer noch etwas hinzufügen, Staub, Licht, Rauch. Luft erscheint uns zu gewöhnlich, zu allgegenwärtig, als das wir sie noch gesondert wahrnehmen. Wasser hingegen hat immer noch das Potential einer Parallelwelt, fast ein bisschen wie ein anderes Universum.
Leider wurde der Film damals (und in Deutschland wohl besonders) hauptsächlich wegen der Erotik wahrgenommen und auf diese reduziert (dabei hat der Film in dieser Hinsicht nicht wirklich viel zu bieten). Kaprisky hatte danach nach eigenen Aussagen erst einmal keinen Bock mehr. Verständlich. Kurz zuvor war sie noch unter viel Medienrummel in Andrzej Zulawskis La femme publique aufgetreten, der interessanterweise 1975 Franks La nuit americaine unter dem Titel L’important c’est d’aimer verfilmt hatte. Es ist beinahe zu schön um wahr zu sein, wenn man sich vor Augen führt, mit welchen Filmen die Karriere von Kaprisky Anfang der 80er so richtig Fahrt aufnahm. Vor diesen beiden Wunderwerken hatte sie ja noch mit Richard Gere unter der Regie von Virtuoso Jim McBride in Breathless mitgespielt. Schon seltsam, dass ein solcher Hattrick einer jungen Schauspielerin damals wohl selten in einem positiven Licht wahrgenommen worden ist.
Jedenfalls muss ich mir weitere Filme von Christopher Frank anschauen. Von seinen Romanen sind aber anscheinend nur zwei ins Deutsche übersetzt worden (und das Englsiche bietet wohl auch nicht mehr). Also muss ich auch endlich mein fransösisch aufbessern. Aber bis dahin lese ich halt eines seiner erhältlichen Bücher auf Deutsch, vermutlich Josepha.
Die Kameraarbeit in L’année des méduses stammt übrigens von Renato Berta, einem der Stammkameramänner von Jean-Marie Straub und Danièle Huillet, der vor allem in den 90ern auch ein paar Filme von Resnais fotografiert hat.


Heist
David Mamet 2001 USA/Kanada – ok

Mein zweiter Film unter der Regie von David Mamet, und wie meine erste Begegnung mit Mamet, vor 15 Jahren mit House of Games (1987), war es eine zwiespältige Angelegenheit. Ich mag Mamet, vor allem als Dialogschreiber, aber von seinen Qualitäten als Regisseur bin ich noch nicht ganz überzeugt.
Mamet spielt gerne mit Erscheinungen, es geht um Twists und Turns, Täuschung und Selbsttäuschung. Das Problem ist, das Mamet immer noch eine Schippe drauflegen will, immer noch eine unerwartete Wendung mehr, ohne jedoch den Rhythmus des Films daran anzupassen. Er versteht scheinbar nicht, oder es erscheint ihm nicht relevant genug, dass jeder Moment seine Zeit braucht sich zu entfalten, und es kontraproduktiv wirkt, wenn man manchen Wendungen mehr Aufmerksamkeit widmet als anderen. Denn dadurch erscheinen die einen nicht motiviert, während andere schon klar sind, bevor sie erzählerisch überhaupt zu Ende geführt worden sind. Vor allem bei Heist-Movies ist das eine schlimme Sache, wenn kein Gleichgewicht in der Struktur vorhanden ist, bzw. der Film der vorgibt wie ein Uhrwerk abzulaufen ins straucheln gerät. Indem Mamet glaubt, den Zuschauer täuschen zu können, im Endeffekt vielleicht sogar schlauer sein zu können als der Zuschauer (was immer ein Fehler ist), läuft er Gefahr, den Zuschauer, bei dem das nicht der Fall ist, zu langweilen. Wer spielt, sollte sich immer auf ein Spiel einlassen.
Aber was weiß ich, vielleicht war das auch eine Sache der Produzenten, die einen kürzeren Film haben wollten, und nicht wussten an welchen Stellen man schneiden darf, und an welchen nicht. Der Backup-Plan von Mamet, für den Film, ist sozusagen schief gegangen. Im Trailer, den ich mir nach dem Film angesehen habe, waren typischerweise Szenen enthalten, die im fertigen Film dann leider nicht mehr vorkamen. Und ich hätte mir einfach mehr gewünscht. Mehr Fleisch an den Knochen. Der Mensch lebt nicht von Luft allein.
Wenn man also schon mit Genrekonventionen jongliert, dann richtig. Wie es ist, ist es immer noch ein guter Film, ein sehenswerter Film. Nur was er sich an emotionalem Tiefgang aufzubauen scheint, verspielt er im Verlauf der Handlung zusehends, was an Eleganz aufscheint, wird durch Plumpheit konterkariert. Um einen Satz aus dem Film zu paraphrasieren: Vielleicht sollte sich Mamet jemanden vorstellen der besser Regie führen kann als er selbst, und sich überlegen, wie derjenige es gemacht hatte. Und vor allem: Keine Schauspieler aus Gefälligkeit casten. Nach dem Film konnte ich mir keinen einzigen Grund vorstellen, warum Rebecca Pigeon die weibliche Hauptrolle gespielt hat. Außer natürlich, sie wäre mit dem Regisseur verheiratet…
So ist das, Mr. Mamet, wenn die Dinge zu offensichtlich sind, während man versucht, sie so geschickt wie möglich zu kaschieren, oder wenn das verspielte Element nur noch auf seine Konstruiertheit verweist. Vor Heist hatte ich mal wieder Henri Verneuils Lautlos wie die Nacht geguckt, einen Heist-Film der wenig verspricht, und alles hält, der gerade in seiner oberflächlichen Einfachheit seine Genialität beweist. Die Dialoge stammen von Michel Audiard, ebenfalls ein genialer Kopf wenn es um kunstfertige Sprachspiele und ausgefeilte Plotkonstruktionen geht. Nur ist das ein Film für die Ewigkeit, während Heist im Vergleich dazu lediglich eine Fingerübung bleibt. Weil er es versteht das Wesentliche vom Unwesentlichen zu trennen, sich Zeit zu nehmen, und seine Figuren nicht zu bloßen Funktionsträgern zu degradieren. Und weil er sich nicht zu viele Gedanken um den Zuschauer macht, sondern sich stattdessen voll und ganz auf die Inszenierung konzentriert, so dass man danach den Namen Henri Verneuil nur noch mit ehrfürchtigem Schauder in den Mund zu nehmen wagt, wann immer man der Magie des Kinos gedenkt, der man immer wieder so gerne und bereitwillig erliegt – wenn der Film einen nur lässt und wenn er nichts zu beweisen hat.


Qi mou miao ji: Wu fu xing „Winners and Sinners“
Sammo Hung Kam-Bo 1983 Hongkong – Spaßbombe, die Zweite

Ein Nonsensfilm wie er im Buche steht, ein Fest der Sinne, eine fast schon kulinarische Angelegenheit wenn es um Liebhaber des Humors geht.
Wie beim Kungfu gelingt ein wahnsinnig toller Rhythmus aus Action und Entspannung, aus Auf- und Entladung. Ein Film wie in der Hängematte konzipiert. Und der Zuschauer liegt mit drin. Ich habe die Figuren danach so sehr ins Herz geschlossen, dass ich mir eine ganze Flut von Nachfolgefilmen, ganze Staffeln von Spin-Offs wünschen könnte. Wenn das dem selbstgenügsamen Geist dieser Produktion nicht entgegenlaufen würde. Am liebsten möchte ich dieses tolle Lied aus dem Film auswendig lernen, und solange mitsingen, bis auch ich in die fröhliche Runde Aufnahme finde. Manchmal wünscht man sich wirklich ein Hongkonger zu sein.


L’aile ou la cuisse „Brust oder Keule“
Claude Zidi 1976 Frankreich – Spaßbombe

Die deutschen Dubtitles der DVD, die mich immer wieder in meinem Genuss des französischen Originals irritierten, versprechen ein wahres Delirium.
Aber wie kann man ohne die Intonation von de Funès leben – und vor allem: Ohne seine rein mimischen und lautmalerischen Momente? Die deutsche Synchronisation stellt jedenfalls nocheinmal andere Genüsse als das zurückhaltendere Original in Aussicht.


Die Tür mit den 7 Schlössern
Alfred Vohrer 1962 BRD/Frankreich – filmischer Verzicht

Furchtbar, grausam, ein akuter Fall von Plotitis. Ein Fall für den Doktor, dem dieser Film aber wahrscheinlich auch nur nacherzählt werden würde.
Alles trübt hier vor sich hin, bis zum bitteren Ende, die poetischen Momente dürfen nicht für sich stehen, auch sie müssen zugekleistert werden.
Ein Zirkus, irgendwie auch ein Delirium, weil am Ende nachdem alles toterklärt wurde alles noch viel weniger Sinn macht als zuvor. Alles, alles. Aus der Cocktailschule „alles rein und einmal gut durchschütteln“. Wohl bekomms.


Juli


Gräfin Mariza
Rudolf Schündler 1958 BRD – schmierulant

Der Schmier fließt in Strömen in dieser herzhaft tristen Wundertüte, diesem statischen Füllhorn des blödelnden Frohsinns von Sleaze-Maestro Rudolf Schündler. Eine Adaption einer Adaption des Shakespearschen Verwechselspiels, von dem ich gerne die früheren Verfilmungen sehen würde – vor allem die von Richard Oswald aus dem jahre 1932. In Erinnerung an manch frühe deutsche Tonfilmoperette, male ich mir aus, was man mit dem parodistisch-melodramatischen Stoff mithilfe ein wenig inszenatorischer Raffinesse Anfang der 30er vielleicht alles machen konnte. In dieser intensiv das bundesrepublikanische Zeitgefühl der 50er atmenden Variante, wirken die Schauspieler meist, als ob sie unter wechselnden Einflüssen der verschiedenartigsten legalen und illegalen Narkotika stünden, wobei sie sich manchmal sogar singend dem Wahnsinn nähern dürfen. Meist beherrscht aber der heitere Schmier die begrenzte Szenerie, dass einem Augen und Ohren abfallen wollen. Der Ultraschmier lugt dabei häufig um die Ecke, besipielsweise wenn ein um seine Nachbarin werbender Ungar in einem mimischen Delirium, unter Zuhilfenahme seiner Tanz- und Sangeskünste, seinem dichterischen Talent freien Lauf lassen darf: „Süßes Mädel von der Pußta, heut geht’s dir gut. Denn ein Kuss hier und ein Kuss da, der geht ins Blut. Wenn dich brennt mein wildes Feuer, so Mund an Mund; Gulaschsaft und viel Tokajer, das ist der Grund – und, und, und! Süßes Mädel von der Pußta, oh bist du süß. Wenn mir auch beim Tanz am Schluss da, weh tun die Füß‘. Trotzdem tanz ich heiter weiter, ja und ich schrei – hei! Weil man das in der Pußta muss dabei.“ Was braucht man an Zweideutigkeiten mehr?
Wahrlich, ein keckes Vergnügen.


Boarding Gate
Olivier Assayas 2007 Frankreich/Luxemburg – naja

Leidlich spannendes Geplänkel im kleinkriminellen Milieu, als Variation von Assayas‘ leider ebenso unprickelndem und überkonstruiertem Demonlover. Diesmal gibt es bessere Dialoge und das Ganze ist eher als Charakterstudie einer ausgearbeiteteren Hauptfigur angelegt (Asia Argento, bezaubernd wie immer), wird aber letztendlich durch lahme Genreelemente verwässert, und versandet dann in ähnlich durchschaubaren und unmysteriösen „Verwicklungen“. Das Kamerakonzept geht hier im Gegensatz zu Demonlover aber überhaupt nicht mehr auf, da alles noch überdeutlicher auf bestimmte Dinge hininszeniert ist. Dabei ist es wenig hilfreich, dass die Regie (und damit leider auch ich als Zuschauer) im Verlauf der Handlung immer weniger bei der Hauptfigur bleiben mag, um stattdessen lieber in „blindem“, vorwärtshastendmn Eifer mehr zu wissen und zu erzählen, womit die zahlreichen Wendungen und möglicherweise als „intensiv“ intendierten Momente nur noch ähnlich einfallslos zusammengeschnitten erscheinen wie in einem durchschnittlichen Horrorfilmremake aus dem Hollywood der letzten 20 Jahre. Wirklich schlecht ist das nicht, aber Asia Argento (und Michael Madsen) zu verschenken ist dann schon eine Leistung. Da der Film mit jeder neuen Szene an (ursprünglich durchaus vorhandener) Originalität verliert, hätte Assayas vielleicht lieber jemand anderen das Drehbuch schreiben lassen sollen – oder am Besten einfach was gänzlich anderes inszeniert. Und nocheinmal: Die Kameraarbeit ist in ihrer ausgestellten Banalität teilweise wirklich fast schon erbärmlich (keine einzige visuelle Idee weit und breit)! Bei Assayas! … Und er scheint grundsätzlich nicht in der Lage, sich aus der melodramatischen Grundkonstellation mit etwas anderem als mit Klischees befreien zu können. Warum er den Versuch, aus dem möglicherweise als eng empfundenen Korsett eines bewährten Melodramschemas auszubrechen, in diesem Fall überhaupt unternimmt, bleibt mir allerdings ein Rätsel. Von den mir bisher bekannten Filmen hat für mich keines seiner späteren Werke auch nur ansatzweise so gut funktioniert wie sein kammerspielartiger L’enfant de l’hiver (1989), in dem die grundlegenden Schwächen durch die Konzentration auf zwei Personen (und teilweise auch einen Raum und eine Zeit) größtenteils verblassten. Das einzige was mich jetzt in Boarding Gate halbwegs fesseln konnte, waren dann auch die zwei Beziehungsgespräche zwischen Asia Argento und Michael Madsen, in denen die Dynamiken einer verhinderten Liaison in ausführlicher Nachvollziehbarkeit durchexerziert wurden. Das ist an sich nichts Neues, aber zumindest solides Dialogkino in dem sich vermutlich viele Zuschauer wiederfinden können. Der Rest ist diesmal leider nur Verpackung. Dann doch lieber nocheinmal Demonlover gucken? Ne, irgendwie klingt das auch nicht verlockend. So bitter es klingt, aber vermutlich sollte Assayas einfach bei seinen autobiographischen Bezügen bleiben, und den Thriller Leuten überlassen, die mehr davon verstehen (oder denen das von der charakterlichen Disposition her eher liegt). Sonst gerät er nur in die Gefahr sich selbst zu überschätzen, und von Dingen zu erzählen, von denen er keine Ahnung hat. Das klingt jetzt vielleicht alles schlimmer als es letzten Endes ist, da sich der dünnhäutigen Oberfläche von Boarding Gate ein durchaus ansprechendes klassisches Drama verbirgt. Wens interessiert, mag die Potentiale bergen, und sich während der Sichtung einen phantasievolleren Film erträumen.


Kong Zi „Konfuzius – Nur seine Weisheit war noch mächtiger als sein Schwert“
Mei Hu 2010 China – verzichterischer Großschunkel

Ein weiterer Jesusfilm, diesmal aus China. Und ich möchte beinahe behaupten, die Chinesen beherrschen den Jesusfilm besser als wir. Denn nicht nur tragen die Leute schönere Namen und haben allgemein weniger Zweifel am Erlöser, auch bei mir als Zuschauer setzte irgendwann die Bereitschaft zu jedweder kriegerischen Auseinandersetzung aus, während ich mehr und mehr im faltigen Antlitz des Meisters versank. Ich habe zwar wenig gelernt, aber nach Ansicht dieses Films fühle ich mich zumindest zu einem besseren Menschen berufen. Vielleicht ist der große Strahl der Erleuchtung auch ein kleines Bisschen auf mich gelenkt worden. Jedenfalls wurde ich eifrig betätschelt und möchte die frohe Botschaft nun weitertragen: Danke für diesen guten Morgen, danke für jeden neuen Tag. Danke, dass ich all meine Sorgen auf dich werfen mag. Danke für alle guten Freunde, danke, oh Herr, für jedermann. Danke, wenn auch dem größten Feinde ich verzeihen kann. Danke für meine Arbeitsstelle, danke für jedes kleine Glück. Danke für alles Frohe, Helle und für die Musik. Danke für manche Traurigkeiten, danke für jedes gute Wort. Danke, dass deine Hand mich leiten will an jedem Ort. Danke, dass ich dein Wort verstehe, danke, dass deinen Geist du gibst. Danke, dass in der Fern und Nähe du die Menschen liebst. Danke, dein Heil kennt keine Schranken, danke, ich halt mich fest daran. Danke, ach Herr, ich will dir danken, dass ich danken kann.


Milyang „Heimlicher Sonnenschein“
Chang-dong Lee 2007 Südkorea – in Ordnung

Heimlicher Sonnenschein. Der Titel des Films ist so sprechend und banal wie der Film selbst. Die Protagonistin Shin-ae zieht in eine Stadt mit diesem putzigen Namen, da ihr verstorbener Mann daher stammt. Das sagt sie zumindest. In Wirklichkeit ist sie aber wohl eher auf der Flucht, aus Seoul, vor ihrer Familie, vor ihrer Welt, die ihr nicht passt und die sie sich nicht passend machen kann. In Milyang will sie mit ihrem kleinen Sohn einen Neuanfang versuchen. Doch nachdem dieser stirbt, wird sie wieder mit sich selbst konfrontiert – sie hat (und will) ja sonst niemanden – bis sie nicht mehr vor sich weglaufen kann. Das aber nur am Ende. Eigentlich ein gewohntes Sozialdrama, das uns Chang-Dong Lee hier präsentiert. Wenn da nicht ein paar Besonderheiten wären. Zunächst einmal die interessanteste (und vielleicht einzig interessante) Figur im Film: Jong Chan, gespielt vom großartigen Kang-ho Song, den man aus vielen, auch international erfolgreichen, südkoreanischen Filmn kennt. Er ist sozusagen Shin-aes Doppelgänger, ihr Spiegelbild, die andere Seite der Medaille. Er ist neben Shin-ae ebenfalls durchgehend im Film, wenn auch nicht immer vor der Kamera, präsent, vom Beginn an, als er auf ihren Hilferuf erscheint, und ihr stehen gebliebenes Auto wieder startklar machen will (er schafft es nicht, aber nimmt sie bei sich mit) bis zur letzten Einstellung des Films, in der er ihren Spiegel hält (um wenigstens so zu tun, als ob er ihr ein bisschenen helfen könnte, statt hilflos rumzustehen). Er scheint eine Zuneigung zu Shin-ae entwickelt zu haben, wenn auch unklar ist wieso und inwiefern – das ist aber auch egal. Seine naiv offenherzige und unbeholfene Art alles hin- und anzunehmen passt schön zu ihrer kontrollsüchtigen Verschlossenheit. Schade ist, dass der Film seine alltäglichen Banalitäten mehr oder weniger durchdekliniert, und wenig Interesse an den Figuren als solchen zeigt, als an seinen ausgestellten Entwicklungsschemata, die er nach Art eines moralisch angehauchten Bilderbuchs ablaufen lässt, eine Seite nach der anderen. Jeder Mensch, der schon einmal große Verluste erlitten hat, und dies nicht akzeptieren konnte, wird mit der Protagonistin mitfühlen können. Leider ist „Secret Sunshine“ aber mehr Gesellschafts- als Charakterstudie, bzw. eine Gesellschafsstudie im gewand einer Charakterstudie. Als solche interessiert sich der Film nicht wirklich für seine Figuren, nimmt sich kaum Zeit für sie, nur soviel, dass sie deutlich machen können was sie deutlich machen sollen, und dass sie enthüllen, was sie transportieren. Das klingt jetzt ein wenig schlimmer als es letztendlich ist, und ein bisschen Humor zeigt Lee als Regisseur durchaus: Fast immer wenn intradiegetisch motivierte musikalische Szenen eingearbeitet sind, hat man was zu lachen: Sei es als Shin-ae Jong Chan des Nächtens von der Straße durch eine Glasscheibe beim selbstvergessenen Karaoke beobachtet, sei es, wenn in der Kirche gesungen wird, oder wenn Shin-ae eine Runde Gläubiger mit einer persönlichen Musikeinlage schockiert. Aber ich habe mich danach gefragt, für wen Lee diesen Film möglicherweise gedreht hat? Und wie bei den Schulmädchenreport-Filmen der 70er, kann ich mir trotz zahlreicher Indizien darauf keine befriedigende Antwort geben. Für mich jedenfalls nicht, da ich nicht in der Lage war dem Film irgendetwas Substantielles zu entlocken. Es ist wie es ist, wie wir es alle kennen, und wie Jong Chan es zu Beginn des Films bereits ausformuliert: Milyang ist ein Ort wie jeder andere auch. Vielleicht ist es das, was uns Lee durch seinen Film zeigen will: Dass keine der Figuren in der Lage ist, zu irgend einer anderen eine offene und ehrliche Beziehung aufzubauen. Nicht einmal die Mutter zu ihrem Sohn. Und dass es in einer solchen Welt unsinnig ist, sich an anderen Personen, an Äußerlichem, an vorgegebenen Strukturen orientieren zu wollen. Shin-ae die den ganzen Film auf der Flucht ist, dabei aber auf ihrer Kommunikation mit der Welt beharrt (das heißt: sie kommuniziert mit niemandem, verlangt aber gleichzeitig permanent, dass die Dinge so ablaufen wie sie will) ist das wandelnde Paradox, das, was der Film ausbuchstabiert: Weil sie Kontrolle und Macht anstrebt ohne die Welt zu akzeptieren, weil sie ihre Vorstellung durchsetzen will, ohne sich über ihre eigene Identität im klaren zu sein, steht sie sich permanent selbst im Weg. So wie sie geliebt werden möchte, aber nur sich selbst liebt, so hasst sie die Anderen auch nur wie sie sich selbst hasst. Ein wenig krankt wohl auch dieser Film an dem was er eigentlich darstellen will, in der (Re)präsentation seiner selbst: Die schreckliche Banalität und Oberflächlichkeit der gegenwärtigen südkoreanischen Gesellschaft ist eben genau das. Einmal gibt es aber doch einen großen magischen Moment, als eine Ahnung von einem anderen Ausdruck, einer anderen Zeit, durch den Film weht und sich Lee während einer musikalischen Minute die Direktheit und Simplizität in der Erzählung erlaubt, um die er sonst eher herumzunavigieren versucht.


Utamaro: Yume to shiriseba „Utamaro’s World“
Akio Jissoji 1977 Japan – trunderlich

Jissojis Film pendelt zwischen filmischer Moderne und Postmoderne, mit humanistischem Habitus und einem Hang zu Bildern die den 80ern entsprungen sein könnten. Ästhetisch unentschlossen, dennoch perfektionistisch, inhaltlich unsicher, dennoch fortwährend seinem Ziel entgegenschreitend. Wenn er sich Zeit lässt, und mal nichts passieren muss, entsteht eine schöne eigenwillige Atmosphäre, die aufgrund der (minimal) eigenwilligen Bildkompositionen, der Balance zwischen Klassizismus und Innovation, zum Sehen verleitet. Die männlichen Heldenfiguren sind große Verzichter, die weiblichen Vorbilder in Ansätzen rebellisch. Kunst als Trunst, Minimalismus im Angesicht des Willens zum Exzess. Das Innehalten vor dem Höhepunkt, die Furcht vor der Welt, das grässliche der dargestellten Zeit, und die beteuerung des Lebenswillens in einer absolut Lebensfeindlichen Umgebung. Eine Allegorie auf das Japan der späten 70er? Jedenfalls ist der Film inhaltlich-ästhetisch für mich ein gültiges Musterbeispiel für das japanische Kino seiner Zeit. Der Umbruch sollte noch kommen.
Ich vermute mal, dass diese FIlm für Jissoji eher untypisch sein könnte, bzw. nur eine Facette einer vielschichtigen Schaffenszeit über die Jahrzehnte. Eher zufällig gesehen, muss ich mir jetzt mal die anderen Filme von Jissoji ansehen, die ich vor einigen Jahren per Post zugeschickt bekam. Hoffentlich mindestens genauso wunderlich, aber ein bisschen weniger Konvention. Ein Wunschtraum, wie Utamaro’s Welt?
PS: Wie ich gerade feststellen musste, bin ich Jissoji doch bereits begegnet, und zwar in dem „Kompilationsfilm“ Ranpo jigoku (Rampo Noir, 2005), in dem mich aber nur die erste Episode von Suguru Takeuchi zu begeistern wusste. Jissoji und auch Hisayasu Sato(!) enttäuschten hingegen mit für meinen Geschmack in jeder Hinischt durchschnittlicher „Qualitätsware“. Hmm, vielleicht schau ich mir den Film in 10, 15 Jahren nochmal an (wenn ich mit den Filmemachern – und eventuell auch den Erzählungen – vertrauter bin).


Juni


Man of Steel „Mann aus Stahl“
Zack Snyder 2013 USA/Großbritannien/Kanada – suuuuuper


Bad Film „Schlechter Film“
Sion Sono 2012 Japan – Ultrakunst

Wahnsinn, Wahnsinn, Wahnsinn!!!!! Hier lugt wahrlich beständig die Ultrakunst um jede Ecke. Wer gedacht hat Sono könnte nach Love Exposure nichts Vergleichbares mehr abliefern, der hat sich geschnitten. Ich traue mich kaum es zu sagen: Aber Bad Film könnte noch besser sein. Aber zumindest hat Love Exposure die intensiveren Einzelszenen und ein gelungeneres Ende. War Love Exposure der Befreiungsschlag, wäre Bad Film die ultimative künstlerische Selbstfindung. Material von 1995, geschnitten mit dem Stil von 2012. Eine Verschmelzung des heutigen mit dem früheren Selbst. Wobei den Bildern nach zu urteilen die Phase um 1995 weitaus fruchtbarer gewesen sein muss als die heutige. Aber es gibt nichts gegen Reife einzuwenden, wenn sie wie bei Sono in der Lage ist, sich den verkrusteten Gewohnheiten immer noch entgegenzustemmen.
Eine Mitguckerin meinte nach dem Film zu mir, Bad Film hätte ihr alles gegeben, was sie sich von den Ishii-Filmen (vergeblich) erhofft hatte. Tja, da hatte sie natürlich Shuffle verpasst. Und „Burst City“ lief ja leider nicht in der Retro.


Shiatsu oja „The Master of Shiatsu“
Sogo Ishii 1989 Japan


Shuffle
Sogo Ishii 1981 Japan – ekstatisch

Ich sehe selten Filme, bei denen ich mir wünsche, ich hätte sie inszeniert. Wahnsinn. Das Bittere: Was will man danach noch drehen, was noch sagen? Einen besseren Film kann kein Filmemacher der Welt in seiner weiteren Karriere hinlegen. Es bleibt nichts anderes übrig, als sich danach neu zu erfinden. Filmische Perfektion. Waaaaahnsinn! Ich glaube ich würde nach so einer künstlerischen Leistung in eine lange Depression verfallen. Vielleicht hat Ishii versucht diese mit „Burst City“ auszutreiben? Der Kamera- und Schnitteskapade kann nur eine frenetischere Wiederholung, also der Versuch der absoluten Entkörperlichung des Films folgen. Nach einer Flasche Gift gibt es einen ganzen Eimer davon. Ach was weiß ich. Auf jeden Fall hat Ishii 8 Jahre später mit „The Master of Shiatsu“ einen (fast) genauso schönen Film gedreht. Man kann also darauf hoffen irgendwann einfach noch einmal etwas ebenso großartiges zu schaffen. Aber wie gesagt: Neuerfindung. Andererseits: Sabu hat durch permanente Wiederholung zu sich gefunden, und mit „Blessing Bell“ (2002) gelang ihm dadurch auch der Kulminationspunkt. Ach, was weiß ich.
Nachtrag: Die akustische Inszenierung in Ishiis Filmen ist meist mindestens so toll wie die Visuelle, wenn nicht gar das eigentliche Highlight. Für Hinweise darauf, wie man des Noise-Scores von Shuffle (oder auch nur Teilen davon) habhaft werden könnte, wäre ich mehr als dankbar.


Kashikoi inu wa hoezu ni warau „Shady“
Ryohei Watanabe 2012 Japan – inspirierend

Zu Weihnachten wünsche ich mir, dass jemand die erste Stunde des Films in exakt dem gleichen Stil als pure Liebesgeschichte verfilmt. Bitte.


Ginga-tetsudo no yoru „Nacht auf der galaktischen Bahnlinie“
Gisaburo Sugii 1985 Japan – verstrahlt

Es wurde berichtet, nun endlich gesehen. Die christliche Symbolik hat mich während der Sichtung ein wenig unangenehm irritiert, aber Italien, 30er Jahre, ok. Die Musik bleibt immer noch das Beste, der Score von Haruomi Hosono wirkt bewusstseinserweiternd, und erinnerte mich in weiten Teilen an Yoshihiro Kannos ähnlich sphärischen Score zum im gleichen Jahr erschienenen „Angel’s Egg“ von Mamoru Oshii.
Ein neuer Lieblingsfilm.


Die Schatzinsel [deutsche Fassung]
Wolfgang Liebeneiner 1966 BRD/Frankreich – träge

Wer kennt das nicht, die Sonne scheint, man liegt in der Hängematte und die Welt steht einfach da, die Luft mal zum greifen dicht, mal verflüchtigt unelementar. Die Zeit setzt aus, man könnte ewig so daliegen. In den besten Momenten nähert sich Liebeneiners Inszenierung der Schatzinsel diesem sublimen Zustand der Weltvergessenheit. Und das in einem Zeitmedium. Genial. Leider traut er sich dann doch nicht oft, und meist gibt es für die Figuren doch noch irgendwas zu tun. Aber diese großartige Idee, diese inspirierende Stimmung bleibt. Der Film nicht. Unfassbar auch, wie sich der Film um Dinge wie Spannung, Logik und Kohärenz keinen Deut zu scheren scheint, obwohl die Inszenierung vorgibt sich genau darum zu drehen. Vielleicht ist das Alles Unfähigkeit auf höchstem Niveau, und ich gebe zu, ich habe mich beim Zuschauen immer wieder geschämt, wie wenn man einem kleinen dicken Kind dabei zusieht, wie es stundenlang versucht einen hoch hängenden Apfel vom Ast zu pflücken, während die funktionstüchtige Leiter am Baumstamm lehnt. Aber was weiß ich, vielleicht ist das alles Performance, und das Kind hat Spaß am Springen. Und bis zum nächsten Film hat es massiv ab- und zugenommen und räkelt sich gemütlich lümmelnd mit der Frucht seines Erfolges auf dem Rasen.
Ob ich die 350 Minuten dieser Inszenierung noch ein zweites Mal durchhalten würde kann ich zum gegenwärtigen Zeitpunkt noch nicht abschätzen (allein beim Gedanken daran schreit mein ganzer Körper gequält auf), aber der Rhythmus hat wie gesagt etwas von Lav Diaz, 40 Jahre vor Lav Diaz.


Mai


/The Lost World: Jurassic Park/ „Vergessene Welt – Jurassic Park“
Steven Spielberg 1997 USA – verschenkt

Reichlich belangloses, okayes, verkürztes Erzählkino, das für meinen Geschmack viel zu viele Chancen ein Spektakel zu bieten auslässt, sich aber nicht entscheiden kann, was es denn nun sein will: Narration oder Attraktion. Die Anfangssequenz ist großartig, vieles für sich interessant, am Stück und als Ganzes war das aber eher ermüdend und uninspiriert. Ein Film zum Abhaken.


Il fiore della passione „Forbidden Affairs“ [falsches Bildformat / deutsche Synchro]
Joe D’Amato 1990 Italien – schöööön

Dass der gute Joe mal sowas dreht? Hätte ich nie gedacht.
Aber Geschenk gerne angenommen.


Le Mans
Lee H. Katzin 1971 USA – bin verliebt

Flirren, Rattern, Schweigen, Stöhnen, Krächzen, Flitzen, Blicke, Blicke, Blicke, noch mehr Schweigen. Steve McQueen hat sich und dem Kino ein Monument errichtet, und ich gehe in die Knie. Ultrakunst wäre zu wenig gesagt!

11 Antworten zu “STB Sano 2013”

  1. Schwanenmeister on Juni 24th, 2013 at 21:23

    „Skyfall“ konnte nicht das Ende sein. Schön, dass es hier weitergeht!

  2. Sano Cestnik on Juni 24th, 2013 at 22:36

    This is the End, beautiful friend, the end.
    Neues Jahr, neues Glück. 😀

  3. Robert on August 8th, 2013 at 12:20

    Dir ist schon bekannt, dass WINNERS AND SINNERS Teil einer glaube ich fünf- oder sechsteiligen Reihe ist. Deine Gelüste werden hier nicht abgewürgt. 🙂

  4. Sano Cestnik on August 8th, 2013 at 12:32

    Sehr schön, sehr schön. 😀
    Hab danach auch noch ein bisschen auf Imdb rumgewühlt, mich aber in den Konvoluten ausländischer Titel nicht eindeutig zurechtfinden können – aber zumindest auf zwei Quasi-Nachfolger bin ich selbst gestoßen. Hab aber denke ich einiges davon eh zu Hause bei meinen Hongkong-DVDs rumstehen, und werd da genauer stöbern, wenn die Nachwirkung von WINNERS AND SINNERS wieder etwas abgeklungen ist.

    Ob die Fortsetzungen die ausgelassene Unbekümmertheit des Originals wahren? Solange Sammo Hung Regie führt und Richard Ng weiterhin prominent an Bord bleibt, kann aber vermutlich wenig schiefgehen. 😉

    Hab WINNERS AND SINNERS übrigens gleich mal dem Sven angedreht, damit diese Filmperle sich im ET-Kosmos ausbreitet. Falls du den bei deiner umfangreichen Hongkonglektüre bisher noch nicht gesehen haben solltest – unbedingt anschauen!

  5. Robert on August 8th, 2013 at 13:03

    Habe ich in meiner Jugend öfter im Fernsehen gesehen, war dann aber immer etwas enttäuscht, weil die meist als Jackie Chan Vehikel angekündigt waren und er dann sowenig mitgespielt hat. Ich weiß gar nicht, ob er bei dem Teil überhaupt dabei war. Jedenfalls habe ich mir schon lange vorgenommen, ihnen eine zweite Chance zu geben. Wahrscheinlich war ich in meiner Jugend auch nicht so reif um albern zu sein. 😀

  6. Sano Cestnik on August 9th, 2013 at 18:02

    Für mich sind das alles Neuentdeckung verpasster Möglichkeiten meiner Jugend. War damals auch schon zu abgehoben, um so „kruden“ ausländischen Billigproduktionen überhaupt eine Chance zu geben. Und dann auch noch mit deutscher Blöedelsynchro – dieser Art Klamauk bin ich damals bewusst aus dem Weg gegangen. Und Jackie Chan war natürlich auch nichts für mich.

    Diese ganze alberne Ausgelassenheit musste ich erst wieder in den letzten Jahren schätzen lernen. Die Pubertät scheint mir da etliche Synapsen blockiert zu haben, die mich noch inn meiner Kindheit befähigten die Vorzüge von Spencer-Hill Komödien oder auch Leuten wie Louis de Funes ausgiebig zu genießen. So sind diese Sichtungen für mich gerade besonders überraschende Begegnungen mit ganz frühen, verschütteten Leidenschaften, die durch die Jahr(zehnt)elangen Durststrecken in dieser Richtung nun umso heller Erstrahlen und ihre ganz eigene, intensive Duftnote verbreiten.

    Das Tolle ist dann auch die seltsame Wahrnehmung, als ob meine Begeisterung für diese Art von Kino nie weg gewesen wäre, da ich – im Gegensatz zu vielen anderen (früh)kindlichen Filmerfahrungen – in meinen ersten cinephilen Jahren keine ernüchternden „Zwischenbegegnungen“ hatte, die mich zunächst einmal, ob der vermeintlich fehlenden filmischen Qualitäten, ernüchtert zurückgelassen hätten.

  7. Mr. Vincent Vega on August 15th, 2013 at 13:32

    Soll das Zitat von Paul nahe legen, ich sei ein Gorebauer?

  8. Sano Cestnik on August 15th, 2013 at 18:17

    Ich vermute Paul hat sich nur ein wenig unbeholfen ausgedrückt. Jedenfalls fand wohl lediglich ich das in dem Kontext (so) lustig. Du hast da soweit ich weiß nicht weiter nachgehakt.

  9. Paul on August 16th, 2013 at 00:01

    Oha, das war doch nur so spontan salopp dahergeschrieben…ich hatte Rajkos Faible für Horror- (und im speziellen eben auch Slasherfilme, die mich persönlich noch immer sehr wenig interessieren), und seine Abneigung gegen Kubrick und dessen Großtaten im Kopf, und wollte ganz wertschätzend nachfragen, ob es da vielleicht einen gemeinsamen Nenner gibt… 😉

    War nicht wirklich als Provo gemeint, aber immerhin findet es Sano lustig. 😀

  10. Sano Cestnik on August 16th, 2013 at 01:17

    Du bist natürlich alles andere als ein Gorebauer, Rajko, ja beinahe das glatte Gegenteil, wenn ich das so sagen darf. 😉 Aber die Dinge leben von Kontrasten.

  11. Mr. Vincent Vega on August 19th, 2013 at 04:03

    Also gut, um das abzuschließen: Mein Shining-Missbehagen hat auf jeden Fall nichts damit zu tun, dass in ihm etwa zu wenig „geshlasht“ würde. 😀

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