Atemlos (1983)



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Ein Gegenpart zu Ouroboros, der sich selbst in den Schwanz beißenden und fressenden Schlange, ist mir nicht bekannt. Wenn es diesen gibt, dann wäre dieser das perfekte Sinnbild für BREATHLESS. Statt Selbstverzehrung ist es Selbsteskalation. Ein perpetuum mobile von Selbstreferenzen und Spiegelungen. Eine Wundertüte, die sich selbst speist und die Außenstehenden mit Sinn und Irrsinn bombardiert. Nicht John Malkovich, der in seinen Kopf steigt, sondern die beiden Metropolen im Südwesten der USA. Hollywood, Los Angeles und Las Vegas durch die Augen von Hollywood, Los Angeles und Las Vegas. Wollte Jean-Paul Belmondos Michel Poiccard noch Humphrey Bogart im fremden Land sein, da hält sich Jesse Lujack (Richard Gere in der Form seines Lebens) für den Silver Surfer, Jerry Lee Lewis und jeden Pistolen schwingenden Leinwandrebellen unterhalb der Hollywood Hills. Im Zentrum von glitzernder Oberfläche, Traumfabriken und Illusionskultur ist er ihr Produkt im doppelten Sinne.

Einerseits ist der hippelige, zwangsneurotisch Coole Jesse Lujack wie eine tragische Figur aus einem Cassavetesfilm. Wie Cassavetes selbst schäumt er, redet ohne Unterlass und brennt ständig. Nur ist es mitunter kaum auszuhalten, dieser Kasper und Gockel. Er verschlingt Comics, Filme und lebt in einer Welt, die in ihren bunten Farben und kulissenartigen Straßen jeden Kontakt zur Realität verloren hat. Er ist ein moderner Mensch. Irgendeiner. So wie ich Jesse Lujack bin. Wie Lars von Trier Jesse Lujack ist, der in einer Pressekonferenz anlässlich von DOGVILLE meinte, dass er auch in den USA aufgewachsen ist … ohne jemals da gewesen zu sein. Aus den Bildschirmen, Comics, Zeitungen und Büchern, von den Leinwänden, Werbetafeln und Zeitschriftenauslagen werden wir mit Ideologien und Mythen überzogen …  und die aus Südkalifornien und Südnevada sind die Speerspitze der großen hegemonialen Kultur des 20. Jahrhundert. Wie Lujacks Love Interest Monica Poiccard (Valérie Kaprisky) sitzen wir vor einer Leinwand, in ihrem Fall läuft darauf GUN CRAZY, und lassen uns von den Helden und Schurken Ideale vorleben, denen wir nacheifern. Monica befindet sich dabei in den Armen dieses Mannes, von dem sie nicht weiß, ob sie ihrer Liebe nachgeben soll und ihm nach Mexiko folgen, oder ob sie ihre Haut und ihr Leben in Sicherheit bringen soll. Doch die Bilder auf der Leinwand versichern ihr, wie schön es ist ihren Gefühlen nachzugeben. Sie übernimmt die Sätze, die sie hört und möchte sich damit ausdrücken. Und Jesse Lujack imitiert in seinem Leben nur das Aufregendste dieser Sinnangebote. Sein Schrei zu Jerry Lee Lewis‘ Breathless giert nach Ekstase. Er taumelt zwischen der Welt und den Lügen, die er lebt, die er zu Wahrheiten macht, weil er glaubt je ekstatischer er sich benimmt, umso ekstatischer lebe er. Er erzählt Monica, dass Jerry Lee Lewis angehört werden kann, dass dieser es so meint, wie er es singt. Und er selbst kreischt und hampelt, damit jeder es weiß, dass er es ebenso meint.

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Doch diese eben angerissene mehr oder weniger halbgare Kulturkritik, die seit Godards AUSSER ATEM und zur Zeit seines Remakes schon zum Allgemeinplatz gewordenen ist, auf dieser reitet BREATHLESS wie auf einem wilden Stier, den er immer mehr anstachelt. Denn die Figur Jesse Lujack ist eben auch nur Produkt, die Erfindung aus dieser kunterbunten Hegemonie … und BREATHLESS weiß es … unterstreicht es hemmungslos. Die Rückprojektionen bei der Autofahrt, die gemalten Hintergründe, die teilweise ausgelutschte und anachronistische Musik, das wunderschöne, grelle Rot, die fragmentierten Bilder, die Comiczitate, der vor Pathos strotzende Enddialog, all sie bedienen nicht einfach nur Hollywoodkonventionen, sie stellen sie aus, übertreiben sie und machen sie zum Mittelpunkt. Die ganze Reflexion über die Figuren und den Einfluss der Kultur auf diese, ist ebenso in eine Reflexion eingebaut, dass dieser Film nur Reflexion und Teil des zu Reflektierenden ist.  Jede scheinbare Verehrung trägt so auch gleich Skepsis in sich, wie jede scheinbare Kritik an einer verdummenden Fast Food Gesellschaft („Oh Gott, er weiß nicht wer Faulkner ist, dieser Silver Surfer Leser.“) auch schon ein bewunderndes Leuchten in den Augen mit sich führt (Wer mag nach dem Film nicht Jerry Lee Lewis hören?). Bezeichnenderweise endet BREATHLESS auf den Ruinen von Errol Flynns Anwesen.

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Die Veränderungen im Plot zwischen AUSSER ATEM und ATEMLOS sind so zwangsläufig, auch wenn die Hommage voller Anlehnungen und Kopien von Einstellungen und Dialogen des Originals ist. Die abstrakten Verweise von Godards Paranoia auf die Unmöglichkeit von anderen Menschen zu wissen, was sie denken, werden zugunsten der einfachen menschlichen Probleme eingeglättet. Wie in AUSSER ATEM ist der Kern die Geschichte des kleinkriminellen Copkillers, der mit einer Frau fliehen möchte. Doch diese ist sich nicht sicher, ob sie ihr Leben aufgeben soll. Sie sind beide aber nur die Extreme, in unserer Brust. Er ist das Gefühl. Wohingegen Monica rationell ist. Sie sind der Gegensatz aus Leben und Planen. Abgeklärtheit und Neugierde. Gegenwart und Zukunft. Fiktion und Realität. Es eh nicht besser wissen und Unsicherheit. Irrationalität und Vernunft. Handeln und Zögern. USA und Europa. Es ist auch ein vulgärer Film über den Todestrieb. Doch auch dieser Kampf in BREATHLESS frisst sich selbst. Er geht unter in dem überzogenen Hollywoodkitsch und den Spiegelfechtereien zwischen Realität und Fiktion. Erst handeln, kann diesen Kampf kurzzeitig beenden. Diesen Film schauen und auf Antworten warten, ist sinnlos. Er dreht sich ums ich selbst, tanzt und derwischt … und weht einem seinen Wind ins Gesicht.

Breathless – USA 1983 – 96 Minuten
Regie: Jim McBride – Buch: L.M. Kit Carson, Jim McBride – Produktion: Martin Erlichman – Kamera: Richard H. Kline – Schnitt: Robert Estrin, Rachel Igel – Musik: Jack Nitzsche – Darsteller: Richard Gere, Valérie Kaprisky, Art Metrano, John P. Ryan, William Tepper, Robert Dunn, Garry Goodrow, Lisa Jane Persky, James Hong, Waldemar Kalinowski, Nora Gaye

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3 Antworten zu “Atemlos (1983)”

  1. Manfred Polak on Dezember 15th, 2013 at 16:08

    Ein Gegenpart zu Ouroboros, der sich selbst in den Schwanz beißenden und fressenden Schlange, ist mir nicht bekannt. Wenn es diesen gibt, dann wäre dieser das perfekte Sinnbild für BREATHLESS. Statt Selbstverzehrung ist es Selbsteskalation. Ein perpetuum mobile von Selbstreferenzen und Spiegelungen.

    Vielleicht Indras Netz?

  2. Robert on Dezember 18th, 2013 at 11:33

    Das ist etwas wenig dynamisch. 🙂

  3. Sano Cestnik on Oktober 31st, 2014 at 15:37

    Eskalierende Träume eben. Was will man mehr? 😀

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