Japanischer Sexfilmregisseur verstorben



So oder so ähnlich könnten die vielen Nachrufe, über die ich seit Mittwoch stolpere, auch lauten. Im Bösen wie im Guten. Denn die Tatsache, dass Wakamatsu bis vor kurzem noch hauptsächlich als Sexfilmer verschrien war, ist eigentlich sehr schön. Genau das war er nämlich. Wie auch der überwiegende Teil der japanischen Filmemacher über fast zwei Jahrzehnte. Von Mitte der 60er bis in die 80er hinein dominierte in der japanischen Filmindustrie der sogenannte „pinke Film“ mit all seinen Abwandlungen und Verformungen. Die Regeln waren in diesen anfangs unabhängig produzierten, dann aber auch von den Studios im jährlich dreistelligen Ziffernbereich wie am Fließband entstehenden Filmen recht einfach: Solange etwa alle 10 Minuten eine Sexszene (oder was man früher dafür hielt) vorkam, war der Rest egal. Das Gleiche gilt im Grunde noch heute. Auch wenn der japanische Sexfilm mit dem Aufkommen des Videomarktes seine prominente Position allmählich verlor.

Wie man sich vorstellen kann, war der Sexfilm in Japan somit kein Nischenprodukt, und schon gar keine „Talentschmiede“ für angehende Regisseure, die sich darin ausprobieren konnten um später einmal „richtige“ Filme drehen zu dürfen, wie auch heutzutage gerne noch kolportiert wird. Nein, der Sexfilm war lange Zeit DAS dominante Filmprodukt auf dem Markt. Und Koji Wakamatsu, der laut zahlreichen Quellen bis zu seinem vorzeitigen Tod allein als Regisseur über 100 Filme gedreht haben soll, war einer seiner Vorzeigeautoren. „Autor“ auch deshalb, weil durch einen grotesken Zufall ausgerechnet ein Film von ihm 1965 Japan auf den Berliner Filmfestspielen vertrat, was zu zahlreichen Kontroversen, aber auch einer vorzeitigen Adelung Wakamatsus führte, von der er sich nicht mehr vollständig erholen sollte. Zuletzt bekam er für seinen Film „Caterpillar“ in Berlin ein paar Bären. Ein paar Jahre davor lief dort eine kleine Hommage an ihn.

Meine erste Begegnung mit den Filmen von Koji Wakamatsu hatte ich eben dort, auf der Berlinale 2008, als das Forum passend zu seinem damals jüngsten Film „United Red Army“ drei seiner älteren Filme zeigte. „Geschichten hinter Wänden“, „Zwei mal Jungfrau“ und vor allem „Ekstase der Engel“, der mich am meisten beeindruckte. Hier war ein Filmemacher mit einer eigenen Vorstellung von Kino. Mit Filmen, die sich an Themen und Tonarten heranwagten, die vielen zu heikel und zu komplex sind, versteckte er sich nicht hinter persönlichen Befindlichkeiten, sondern nutzte diese als Katalysator um gesellschaftliche Zustände zu beschreiben. Bei allem Nihilismus und der schier unerbittlichen Düsternis seiner Filme, stach aber eines vor allem heraus: Sein unbändiger Drang nach Freiheit, der selbst die größten Abgründe allein durch die Kraft des Willens zu überbrücken, und mit enervierender Kontinuität den einen Satz zu wiederholen schien: Wenn nicht heute, dann morgen. Der Kampf endet nie, denn er ist elementar. Sex war dabei ein Zeichen, ein Symbol, aber ein konkretes, ein fassbares, eines das dargestellt werden musste. Diese Kraft, diese Gewalt, dieser Drang nach Explosion weist jedes Mal klar über die finalen Fazits des kollektiven Versagens hinaus, den seine Filme immer aufs neue endgültig diagnostizieren.

„United Red Army“ ließ ich damals aus, was ich im Nachhinein bereute, aber 2010 war es wieder so weit, diesmal im Wettbewerb, wo ich seinen damals jüngsten Film „Caterpillar“ sehen konnte. Zuvor war es bereits endgültig um mich geschehen. Ich hatte seinen 1969 entstandenen „Running in Madness Dying in Love“ zu Hause auf meinem Laptop gesehen. Und was bis dahin noch teilweise unterschwellig geglüht hat, brach sich mit aller Kraft seine Bahn und überschwämmte alle meine Sinne: Wakamatsu ist ein Gigant, seine Filme unsterblich.

Mit „United Red Army“ gab es international dann auch wieder etwas mehr Aufmerksamkeit für diesen alten Fuchs des japanischen Kinos, der das prompt zu nutzen wusste, und nach fast 50 Jahren Aktivität erneut in eine hochproduktive Phase trat, die mit seinem plotzlichen Tod nun leider ein abruptes Ende genommen hat. Gerade noch als Asiens Filmschaffender des Jahres auf dem Festival in Busan ausgezeichnet, hatte er in diesem Jahr bereits drei neue Filme vorgestellt, die nun sein Vermächtnis bilden werden. Es bleibt zu hoffen, dass das wieder aufgekeimte Interesse an Wakamatsu auch nach seinem unerwarteten Todesfall weiter zunimmt (wie es das nach dem Tode ja meistens zu tun pflegt…) und noch viele seiner vergessenen Filme wieder in das Bewusstsein einer breiteren filminteressierten Öffentlichkeit gezerrt werden. Er, der sich scheinbar mühelos immer wieder neu erfinden konnte. Das japanische Kino der Gegenwart hätte einen Blick auf seine Filme jedenfalls dringend nötig.

Pressemeldungen über eine seiner letzten öffentlichen Reden kurz vor seinem Tod zitierten ihn abschließend meist wie folgt: „I wanted to tell them that I have not changed since I started in cinema,“ said Wakamatsu. „My intention was to talk to the people of Japan. Cinema is freedom and this must never change.“ Der Sexfilm ist genau das. War genau das. Zumindest in Japan. Zumindest in großen Teilen. Und ist es vielleicht immer noch: Eine absolute Befreiung – und dabei eine völlige Zusage an den Kommerz. Wie das zusammenhängt und wieso es überhaupt in dieser Form existieren konnte, ist eine Frage, die viele immer noch auf faszinierende Weise überfordert. Genauso wie Wakamatsus Filme den Zuschauer permanent überfordern. Sex ist… ja was eigentlich? Es lebe der Sexfilm! Es lebe Wakamatsu!

Dieser Beitrag wurde am Samstag, Oktober 20th, 2012 in den Kategorien Blog, Blogautoren, Filmschaffende, Hinweise, Sano veröffentlicht. Sie können alle Kommentare zu diesem Beitrag über den RSS 2.0 Feed verfolgen. Sie können diesen Beitrag kommentieren, oder einen Trackback von ihrer eigenen Seite setzen.

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