Endlich ist es soweit! Das neueste filmische Meisterwerk des legendären Nürnberger Kultfilmers Gerry Schuster erblickt nach langen Jahren der Postproduktion doch noch das Licht der Leinwand. Und das Warten hat sich gelohnt! Denn: vergleichbares zum „Schusterschen“ Filmuniversum gibt es im deutschen Kino kaum zu entdecken. Der vom Regisseur persönlich erstellte Trailer gibt an dieser Stelle dem geneigten Filminteressierten einen kleinen Einblick. Phoebe Phoenix ist jedenfalls eine Science-Fiction-Martial-Arts-Musical-Animations-Trash-Dramödie der besonderen Art. Definitiv eines DER Filmereignisse 2011, und hoffentlich schon bald im Kino ihres Vertrauens zu bestaunen. Wer es vor lauter Ungeduld und Vorfreude aber so gar nicht mehr aushält, dem empfehle ich sich einfach schon einmal dieses Animationskleinod (ebenfalls aus dem Hause Schuster) zu Gemüte zu führen.
Aus dem Pressetext: Phoebe Phoenix war die beste Leibwächterin von Peer Hoyshrek, einem der erfolgreichsten Musikproduzenten seiner Galaxie. Als sie ihren Beruf an den Nagel hängt und mit ihrer Funk-Band eine eigene Musiker-Laufbahn einschlägt, bleibt der Erfolg scheinbar aus. Doch als Hoyshrek eines Tages einen lästigen Konkurrenten beseitigen lässt, schafft es dieser kurz vor seinem Tod noch, Phoebe Phoenix brisante Informationen zukommen zu lassen. Hoyshrek hat ihre Musik, die er zuvor als zu unkommerziell abgelehnt hatte, heimlich in einem Paralleluniversum veröffentlicht, wo sie zum Nummer-Eins-Hit geworden ist. Phoebe versucht zunächst, den Skandal über die Medien öffentlich zu machen, doch einige Bandmitglieder entschliessen sich in ihrem Zorn zu einer unüberlegten, drastischen Maßnahme, was eine Folge von tragischen Ereignissen in Gang setzt..
PS: Im Trailer gibt es übrigens auch einen Eskalierenden Träumer in seiner vollen männlichen Pracht zu bewundern. 🙂
„I think Nikkatsu’s position in the industry is unique. It’s a large company, but we worked on one single concept, sex, for 18 years, and made a very large number of films. Having sex is an activity where we clearly show our true natures. Examining the relationships between men and women is one of the best ways to show the essence of human beings. So we thought that by working with the theme of sex, we could explore ourselves more deeply and express the very core of the world.“ – Noboru Tanaka
Nachdem ich gestern vor dem Schlafengehen Károly Makks Szerelem (1970) gesehen hatte, und mich der ungarische Filmemacher Gábor Bódy schon seit einigen Tagen sehr beschäftigt, machte ich mich heute Vormittag im Internet auf die Suche nach mehr Informationen zu Bódy und dem ungarischen Kino im allgemeinen. Dabei stolperte ich nach einigen Stunden aber zufällig über etwas gänzlich Unerwartetes: den einzigen nach momentanem Wissensstand vollständig erhaltenen ungarischen Film von Mihály Kertész, einem Filmemacher den ich unter dem allgemein bekannteren Pseudonym Michael Curtiz schon seit längerem sehr schätze, als kostenlosen Stream im Internet.
Die Internetplattform Europa Film Treasures die den Film Online zur Verfügung stellt, scheint eine Initiative mehrerer europäischer Filmarchive zu sein, um wiederentdeckte und restaurierte Filme auch abseits von Kinovorführungen einer breiteren Öffentlichkeit zugänglich zu machen. Die regelmäßig erweiterte Seite stellt zudem Kontextualisierungen durch Hintergrundinformationen in mehreren Sprachen zur Verfügung. Alle Filme können dabei konsequent ebenfalls in unterschiedlichen Sprachen untertitelt gesehen werden. Weiterlesen “Jön az öcsém (1919) – Ein Film von Mihály Kertész” »
Das erste slowenische Buch zum jüngeren südkoreanischen Kino war sicherlich eine der ersten nicht-englischsprachigen Publikationen außerhalb Koreas, die sich mit dem überraschenden Boom der nationalen Filmindustrie Südkoreas innerhalb eines überschaubaren Zeitrahmens auseinandersetzte (in diesem Fall geht es vorwiegend um die Jahre 1995 – 2005). Als publizistische Pionierleistung anzusehen, wird während der Lektüre zunehmend klarer, wie es ein solches Werk auf den slowenischen Buchmarkt schaffen konnte. In erster Linie scheint es nämlich nicht primär um die Darstellung der südkoreanischen Filmwirtschaft und Filmgeschichte zu gehen, als vielmehr um ein Plädoyer für eine zu ändernde slowenische (und im Grunde auch europäische) Filmpolitik. Geschrieben wurde es von zwei der profiliertesten slowenischen Filmautoren der letzten 20 Jahre, die beizeiten den Eindruck erwecken, den slowenischen Filmbuchmarkt seit der Unabhängigkeit von Jugoslawien im Jahre 1991 fast im Alleingang hervorgebracht zu haben. Weiterlesen “Film und Buch (#9): Samo Rugelj, Marcel Štefančič, jr. – Stari, kje je film? (2006)” »
Letztes Jahr verliefen alle Bestrebungen zu einem gemeinsamen Posting mit unseren gesammelten Jahreslisten im Sande. Diesmal haben wir uns fest vorgenommen, es nicht noch einmal so weit kommen zu lassen, sondern einige Tage nach unseren Entdeckungslisten dann auch die Jahreslisten mit unseren Favoriten des aktuellen Film- und Kinojahrgangs (weitgehend ungeachtet der häufig verzögerten regulären Starttermine, stattdessen am tatsächlichen eigenen Sichtungsjahr orientiert, ob Festival, Kinostart oder DVD-Import) folgen zu lassen – und das nicht weniger umfangreich und ausufernd. In einem nachgerade wahnwitzigen Kraftakt ist dieses Unterfangen diesmal ausnahmsweise tatsächlich geglückt, weshalb wir nun nachfolgend das neue Jahr gebührend mit der krönenden Fortsetzung des zum Abschluss des alten Jahres begonnenen Listenwahnsinns einleiten wollen…
Eine weit ausholende Einleitung dürfte sich an dieser Stelle erübrigen. Wie offensichtlich sein sollte, handelt es sich um die Fortführung der letztes Jahr eingeführten gesammelten Entdeckunglisten, dieses Jahr jedoch wohl noch einmal eine Spur umfangreicher und maßloser (was sich auch daran zeigt, dass es nun gleich mehrere zusätzliche Ergänzungslisten gibt und vermutlich noch mindestens eine weitere folgen wird), und erfreulicherweise diesmal sogar mit sechs statt fünf Teilnehmern. Bliebe vielleicht nur noch etwas zu sagen zur letztjährigen Ankündigung, dass „demnächst“ nach den Entdeckungslisten mit älteren Filmen auch die Jahreslisten mit den Favoriten des aktuellen Jahrgang folgen würden, was dann aufgrund jämmerlichen Versagens aller diesbezüglichen Vorhaben leider nun auch ein knappes Jahr später noch immer nicht passiert ist. Wir geloben jedoch Besserung und möchten die nun folgende, exzessive Sammlung von Zeugnissen unserer unerschrockenen Leidenschaft für Listen als Beweis für unsere nimmermüden guten Vorsätze betrachten. Nun sind wir gefeit für die listologische Aufarbeitung des Jahrgangs 2010… Weiterlesen “Ältere Filme, erstmals gesehen: Entdeckungen 2010” »
Sano: Gestern habe ich einen erstaunlichen Film gesehen. Pacific 231 von Jean Mitry.
Andreas: Ah ja, ich erinnere mich. Von dem hat Ernst Hofbauer zu Beginn seiner Karriere oft gesprochen.
Sano: Wirklich? Ernst Hofbauer, der Schmuddelfilmer der Schulmädchenreihe hat sich in seiner Jugend für die filmische Avantgarde zu begeistern gewusst? Ich hätte nicht gedacht, dass so jemanden die Werke der Franzosen interessiert haben könnten.
Andreas: Was heißt interessiert? Das waren die Grundlagen von denen aus Hofbauer seine eigene Sicht auf die Welt, seinen eigenen Stil entwickelt hat. Die Schulmädchenreportfilme waren damals inhaltlich wie formal bahnbrechend, und haben die Möglichkeiten der Filmsprache in eine neue Hemisphäre dringen lassen. Ein Präzedenzfall der Filmgeschichte, dass die kommerziell erfolgreichste Filmreihe auch vom – neben Adrian Hoven – wichtigsten und unterschätztesten deutschen Nachkriegsregisseur hervorgebracht wurde. Pacific 231 ist dafür als Schlüsselfilm zu betrachten, der Samen aus dem dann später die Frucht hervorging.
Sano: Sie scherzen. Was hat denn der deutsche Kommerzfilm mit den französischen Theoriediskursen der 40er Jahre zu tun? Das sind doch zwei völlig unterschiedliche Welten.
Andreas: Das meinen Sie. Ein klassisches Fehlurteil. Nehmen wir uns beide. Vorhin saßen Sie in der Kabine neben mir. Und da haben Sie einen ganz schönen Haufen hingelegt, wenn ich das so sagen darf.
Sano: Woher wissen Sie denn das?
Andreas: Ihr Gestöhne war ja nicht zu überhören. Und dann die vielen Spritzgeräusche. Der Dampf der frischen Scheiße drang durch alle Ritzen und war sogar bis zur Decke zu sehen – so sehr hatten Sie mit sich zu kämpfen. Und als Ihr Schweißgeruch sich mit dem Duft der Scheiße vermischte…
Sano: Na hören Sie mal! Was hat das alles überhaupt mit Kino zu tun?
Andreas: Na, Sie haben etwas hervorgebracht. Und während Sie wahrscheinlich so dasaßen, sich nach getaner Arbeit den Hintern abwischten, und vielleicht auch Ihr Werk genauer ins Auge fassten, es mit anderen Ihnen bekannten Errungenschaften verglichen, benutzte ich meine Phantasie und ließ mich inspirieren. Die Scheiße, die ich mir vor meinem inneren Auge ausmalte war mit Sicherheit um einiges prachtvoller, als alles was Sie bis dahin in der Schüssel erblicken konnten. Wir hätten uns aus der Toilette begeben können ohne uns überhaupt zu begegnen. Und doch hätten Sie einen entscheidenden Einfluss auf mich ausgeübt.
Sano: Aber ich bitte Sie, das sind doch Verirrungen des Geistes. Wirre Assoziationen, aus einem unbedeutenden Moment geboren. Ich verstehe ja Ihren Gedankengang von Scheiße zu Hofbauer, auch angesichts der Tatsache, dass sich in den 70ern auf der Herrentoilette kulturgeschichtlich bedeutendes abgespielt hat, während im Sexfilm nur Prüderie und reaktionäres Heterogehabe zu sehen war. Aber um zu Mitry zurückzukehren: Der Dampf des Zuges ist eben nicht der Dampf der Scheiße. Er ist geboren aus dem Feuer der Revolution, dem Triumph des Geistes über die Materie, durch den Siegeszug des Kinos, der vollkommensten aller Künste, die uns aber erst der technische Fortschritt ermöglicht hat.
Andreas: Werter Kollege, lassen Sie es mich erklären. Pacific 231 ist der ultimative Geschwindigkeitsfilm. Von den Einstellungen her betrachtet, selbst vom Schnitt, haben den alle kopiert. Vor allem in Hollywood, Frankenheimer und so. Aber zur Vollendung, zur Applikation im Sinne des Erfinders wenn man so will, kam es erst bei Hofbauer, im Sexfilm. Die Körpermechanik, das Ächzen der Leiber, das Schnaufen und Stöhnen, vom langsamen Beginn bis zum drastischen Höhepunkt, konnte Hofbauer im Sinnesrausch der Lust seinem eigentlichen Bestimmungsziel zuführen. Seien wir mal ehrlich, Mitry hat keinen Sexfilm gedreht, weil das damals nicht erlaubt war. Auch nicht in der sogenannten Avantgarde. Hofbauer ging dann den erforderlichen Schritt weiter.
Sano: Aber meinen Sie nicht auch, dass Mitry sich von den Sowjets hat inspirieren lassen, von den Montagetheorien der 20er und 30er? Wenn man Pacific 231 zum ersten Mal ansieht, könnte man auch denken, dass Vertov oder Pudowkin, oder einer ihrer Schüler, den Film gedreht hätten. Für 1949 scheint er doch etwas veraltet. Eine Hommage, eine Fingerübung, die ich persönlich eher in die Debatten der damaligen Zeit, zum Glauben an „Bild“ oder „Realität“, zuordnen würde. Mitry also als Gegner der Mise-en-scène von Bazin. Er war ja 14 Jahre älter, wird in den 20ern mit Sicherheit vom sowjetischen Kino begeistert gewesen sein, und später auch von den Möglichkeiten des Tonfilms, wie sie Vertovs Entuziazm (1930) oder Pudowkins Dezertir (1933) entspringen. Bazin war da ja fast noch ein Kind, der dann später mit den klassischen Montagemodellen nichts mehr anzufangen wusste. Wenn ich mir überlege, was Bazin bei ähnlicher Thematik wahrscheinlich gedreht hätte …
Andreas: Papperlapapp! Diese ganze französische Kleingeisterei führt doch am Thema vorbei. Die eigentlichen Grundlagen sind doch schon viel früher, bei den Futuristen zu finden. Die haben die Neuerungen der im Grunde noch kleinbürgerlichen Impressionisten zu nutzen gewusst, und den Kern der innovativen Malerei des ausgehenden 19. Jahrhunderts hervorgeholt. Der Mensch als Maschine, die Welt als Fabrik. Das amorphe, wandelbare der Natur findet seine Fortsetzung in der menschlichen Kulturleistung. Und wo hat diese ihren Ursprung? Hofbauer wusste es. Im Geschlechtsakt kommt alles zusammen. Die Reibung der Körper erzeugt einen Druck der sich in kreativer Energie entlädt, wobei die Erfahrung von geistiger, körperlicher und seelischer Einheit auch das Bewusstsein der Zusammenhänge dieser Welt erzeugt. Das ist keine Theorie, das ist Praxis. Und Mitry muss das, wenn schon nicht verstanden, so zumindest gespürt haben. Abgestandene Thesen von Theoretikerdisputen und den Intentionen des Autors haben da doch keinen Platz. Hier geht es um Wesentlicheres. Und das erkennt man bei Hofbauer. Das Leid an der Unzulänglichkeit der bürgerlichen Sexualität im Angesicht der technischen Errungenschaften. Man müsste ficken wie ein Auto, eine Schreibmaschine oder eben ein Zug. Diese existentielle Krise, in die der Mensch infolge der Industrialisierung geraten ist, bildet Hofbauer ab. Mitry schuf mit seiner Bebilderung von Honeggers Musik nur die formalen Grundlagen dafür. Wenn Elisabeth Volkmann nach dem Koitus erschöpfte Zischlaute von sich gibt, ist die Analogie zur letzten Einstellung in Pacific 231 deutlich. Während Mitry dabei aber die Erhabenheit des Zuges filmt, wird bei Hofbauer die Verzweiflung des Menschen in den Vordergrund gerückt. Der Mensch will Zug werden, kann aber nicht.
Ursprünglich war das alles ja etwas anders geplant gewesen. Zwei mal die Woche posten, kurze Texte, die Lust machen sollten auf die Filme. Und nach einem Jahr sollten die 100 dann voll sein. Das ganze Geriet schnell ins Stocken: Diskussionen übers Konzept, steigenden Ansprüche, und wie immer wenig Zeit für einen Blog der nur aus der Freizeit der Autoren gespeist wird. Im August gab es jetzt die letzten Texte, und die letzten Monate war es dann etwas ruhig geworden. Das soll sich ändern. Neues Jahr, neue Vorsätze, und vielleicht der Versuch 2011 die 100 doch noch voll zu bekommen? Wir werden sehen. Aber bevor es im neuen Jahr dann mit weiteren Texten und neuer Energie weitergeht, an dieser Stelle zur Überbrückung und als Versicherung, dass wir die Reihe definitiv weiterführen werden, zwei neue Texte von mir. Zwei Filme aus der DDR, beide in den letzten Wochen für mich entdeckt, und beide vielleicht thematisch etwas miteinander verwandt. Von Kurt Maetzig und Ulrich Weiß. Viel Spaß beim Lesen, und wie immer – viel Geduld mit uns allen. 😉
Viele Menschen, die in Ulrich Weiß‘ Abstecher interviewt werden sind ehemalige Ostdeutsche. Und viele von ihnen sind sich einig, dass eines im neuen Deutschland etwas verloren gegangen zu sein scheint: die Menschlichkeit. Wie kann es sein, dass Bewohner des Unrechtsstaates DDR, eines Staates der seine Bürger permanent mundtot zu machen versuchte, und jeden Anflug von Individualität als Angriff auf die herrschende Ideologie verstanden haben wollte, ausgerechnet diese Feststellung machen? 1991. Zwei Jahre nach der Wende?
Um diese Frage dreht sich der gesamte Film. Wo bleibt der Einzelne innerhalb revolutionär anmutender Prozesse? Und wie hat sich die Wiedervereinigung auf die Bewohner der ehemaligen DDR wirklich ausgewirkt? Große Teile des Films spielen während einer Zugfahrt von Ost nach West. Die Menschen sind müde, erschöpft, resigniert. Der Aufbruchstimmung nach dem Mauerfall, ist der Wunsch nach bürgerlichen Träumen gewichen. Und die meisten wünschen sich nur noch das mindeste: eine Arbeit zu haben.
Der Film fängt mit einer Fernsehansprache an. 1989: Friedrich Schorlemmer, spricht über Euphorie, Glücksvorstellungen, Neuanfang. Danach: die Gegenwart, 1991, zwei Jahre später. Wieder Schorlemmer, diesmal privat. Die Szene erdrückend, die Enttäuschung groß. Die Utopie einer angeblich freien Gesellschaft, in der der Einzelne mit der Freiheit nichts anfangen kann. Da nun scheinbar alles möglich ist, gibt es nichts mehr zu tun. Die Illusion würde sich gerne als Realität behaupten, doch die Aufnahmen des Films sprechen eine andere Sprache.
Als Friedrich der Große gegen Ende des Films in Potsdam seiner neuen Ruhestätte zugeführt werden soll, sind zahlreiche Gruppierungen angetreten um ihm die letzte Ehre zu erweisen. Ein Spektakel, das Jeder für sich und seine Interessen ausnutzen möchte, eine Selbstdarstellung, in der die Leichen von Friedrich und seinem Vater als Vorwand für diverse eigene Agenden in der Öffentlichkeit zur Schau getragen werden. Ein Aufmarsch Homosexueller, die den Anlass zur Anprangerung der Tatsache nutzen, dass ja anscheinend ein schwuler Kaiser mit allen Staatsehren bedacht wird, während in der gegenwärtigen deutschen Gesellschaft Homosexuelle immer noch wie der letzte Dreck behandelt werden, wird jedoch nicht gern gesehen. Deutschland wächst zusammen, heißt es über das Voice-Over von Helmut Kohl. Eine PR-Aktion für die Wiedervereinigung. Die feindliche Übernahme als große Versöhnungsinszenierung.
Abstecher ist ein großer Film. Nicht nur das Pendant zu den bestimmenden Fernsehbildern aus der Nachwendezeit, sondern im Grunde zu einem Film, wie ihn sich jeder Staatschef wünscht. Zur Propaganda der herrschenden Staatsmacht, zu einem Werk wie Leni Riefenstahls Triumph des Willens (1935), verhält sich Ulrich Weiß‘ Abstecher wie die notwendige Ergänzung, der unliebsame Bruder, das schwarze Schaf. Er ist eine gnadenlose Abrechnung mit der Wiedervereinigung und ihren Folgen, die die Abhängigkeit des Einzelnen von einer kollektiven Idee veranschaulicht. Wunsch und Realität liegen in der neuen BRD ebenso weit auseinander wie in der ehemaligen DDR. Die Möglichkeit für eine neue Gesellschaft, für eine neue Form des Miteinanders, wurde nicht wahrgenommen. Weiß ist bitter, denn die Realität ist bitter. Im Grunde hätte ’89 auch Krieg sein können. Der Sieger schreibt die Geschichte.
Vielleicht wird Abstecher von einer zukünftigen Kulturpolitik einmal als Beweis angeführt werden, dass es „damals“ ja auch andere, „kritische“ Stimmen gegeben hätte. Der Zuschauer wird sich jedenfalls, wie immer, auch dazu seine eigenen Gedanken machen müssen.
Abstecher – Deutschland 1992 – 65 Minuten – Regie und Drehbuch: Urich Weiß – Produktion: Andrea Hoffmann, Tony Loeser – Kamera: Johann Feindt, Eberhard Geick – Musik: Peter Rabenalt – Schnitt: Petra Heymann – Darsteller: Bewohner des wiedervereinigten Deutschland
Wenn man gemeinhin vom deutschen Film spricht, wird oft allzu schnell vieles vergessen. Über die Weimarer Republik, die NS-Zeit und das Nachkriegskino, ist man auch schon rasch bei den Oberhausenern, beim Neuen Deutschen Film und in der Gegenwart gelandet.
Die DDR ist ebenso Ausdruck deutscher (Film-)Geschichte wie deutscher Verdrängung; Parallelen zum Nazikino treten fast von Selbst auf. Wenn Maria im Film ihren Geliebten, der gleichzeitig auch Richter ist, fragt wie das Recht sich ändert, und warum es sich ändert, so antwortet er ihr: „Jede herrschende Klasse gibt ihr positives Recht als Naturrecht, als die allgemeine Glückseligkeit aus.“ Die DDR natürlich auch, schiebt er nach, aber mit größerem Recht.
Wenn man ins 20. Jahrhundert blickt, könnte man sich fragen, welcher deutsche Staat denn nun ein Rechtsstaat war, und wie deutsche Selbstbestimmung aussah. Aus heutiger Sicht scheint es klar – aber war das Kaiserreich ein größeres Unrecht als die Weimarer Republik, haben die Nazis die Macht ergriffen, während die DDR von der Arbeiterklasse hervorgebracht wurde, und hat der Westen Deutschlands von seinen Besatzern eine Verfassung geschenkt bekommen, die er nach der Wiedervereinigung an die frisch Hinzugekommenen weitergab?
Die Geschichtsschreibung steckt voller Mythen, und nicht anders verhält es sich mit der Filmgeschichte. Und diese Phantome, die Konstruktionen und Rechtfertigungsversuche des Geistes, scheinen sich bevorzugt einzuschleichen, wenn es um die Auseinandersetzung mit der eigenen Vergangenheit geht. Das Kaninchen bin ich wurde 1966 verboten, und durfte in der DDR nicht öffentlich vorgeführt werden. Es erscheint nicht als Zufall, dass er vor allem um die Verbindungen zwischen Vergangenheit und Gegenwart kreist.
Wenn ich mir den Film heutzutage anschaue, ist es schwierig zu entscheiden, was den Funktionären damals im Besonderen aufgestoßen haben mag. Den erwünschten Sozialistischen Realismus zeigt der Film sicher nicht, aber das hatte z.B. Berlin – Ecke Schönhauser fast zehn Jahre zuvor auch nicht gemacht. Statt Verbot gab es damals aber Auszeichnungen.
Vielleicht war das Unerhörte an diesem Werk, dass er den deutschen Faschismus als Kontinuitätslinie zeichnete, der in der DDR genauso zum Ausdruck kam, wie die überwunden geglaubten Jahrhunderte zuvor. Die Figur des Richters – mit seinen juristischen Argumentationen aber auch mit seinem Privatleben – hätte man so auch in die 30er Jahre verpflanzen können. Die Person und das Drama hätten genauso funktioniert. Es hatte sich eben nicht viel geändert.
Wenn man sogenannte Diktaturen als Sonderfälle der Geschichte darstellen, und ihre Filme sozusagen als Sonderlinien der allgemeinen Filmgeschichtsschreibung gleich mit ins Abseits stellen möchte, indem man sie vornehmlich als Zeitdokumente, als „historisch relevant“ betitelt, so übersieht man leicht die Kontinuität und die Verwandschaft, die Ähnlichkeiten des Einen mit dem Anderen, des Vergangenen und des Gegenwärtigen.
Nach über 40 Jahren seit Entstehung des Films, ist das Auffällige in erster Linie eben nicht das nihilistische Menschenbild, die marode Zeichnung der sozialistischen Gesellschaft, oder der schrankenlose Sexismus früherer Generationen. Erschreckend ist die Aktualität, die niederschmetternde Gewissheit, dass sich in der Gegenwart immer noch nichts geändert hat.
Das Schlussbild, in dem Angelika Waller als Maria Morzeck mit einem Leiterwagen in der Hand entschlossen ihren Weg zu gehen versucht, erweist sich somit nicht als historisch oder zeitverhaftet, sondern als universell. Und es ist auch keine Frau, die sich durchzusetzen versucht, sondern ein Mensch. Auch heutzutage noch – eine Utopie.
Das Kaninchen bin ich – DDR 1965 – 114 Minuten, ursprünglich 121 – Regie: Kurt Maetzig – Drehbuch: Kurt Maetzig, Manfred Bieler – Produktion: Martin Sonnabend – Kamera: Erich Gusko – Musik: Reiner Bredemeyer, Gerhard Rosenfeld – Schnitt: Helga Krause – Bauten: Alfred Thomalla – Darsteller: Angelika Waller, Alfred Müller, Ilse Voigt, Wolfgang Winkler, Irma Münch, Rudolf Ulrich, Helmut Schellhardt, Annemarie Esper, Willi Schrade, Willi Narloch, Bernd Bartoczewski