Film und Buch (#9): Samo Rugelj, Marcel Štefančič, jr. – Stari, kje je film? (2006)



Das erste slowenische Buch zum jüngeren südkoreanischen Kino war sicherlich eine der ersten nicht-englischsprachigen Publikationen außerhalb Koreas, die sich mit dem überraschenden Boom der nationalen Filmindustrie Südkoreas innerhalb eines überschaubaren Zeitrahmens auseinandersetzte (in diesem Fall geht es vorwiegend um die Jahre 1995 – 2005). Als publizistische Pionierleistung anzusehen, wird während der Lektüre zunehmend klarer, wie es ein solches Werk auf den slowenischen Buchmarkt schaffen konnte. In erster Linie scheint es nämlich nicht primär um die Darstellung der südkoreanischen Filmwirtschaft und Filmgeschichte zu gehen, als vielmehr um ein Plädoyer für eine zu ändernde slowenische (und im Grunde auch europäische) Filmpolitik. Geschrieben wurde es von zwei der profiliertesten slowenischen Filmautoren der letzten 20 Jahre, die beizeiten den Eindruck erwecken, den slowenischen Filmbuchmarkt seit der Unabhängigkeit von Jugoslawien im Jahre 1991 fast im Alleingang hervorgebracht zu haben.

Das Buch ist auf interessante und ansprechende Weise zweigeteilt. Der erste Teil ist als „Aufstieg des südkoreanischen Films“ (vzpon južnokorejskega filma) betitelt und besteht ebenfalls aus zwei Teilen. Zunächst versucht Autor Samo Rugelj die südkoreanischen Verhältnisse mit denen Europas, und die subventionierte europäische Filmindustrie mit der hauptsächlich ohne staatliche Unterstützung auskommenden südkoreanischen zu vergleichen. Werden anfangs noch argumentative Beispiele für die Überlegenheit des südkoreanischen Filmsystems ins Feld geführt, fährt Rugelj im zweiten Abschnitt schwerere Geschütze auf, und zeigt sich durch das Hinzufügen zahlreicher kommentierter Tabellen und Graphen, die den nationalen und internationalen Erfolgstrend des südkoreanischen Films der letzten 10 Jahre (1995 – 2005) faktisch untermauern sollen, konsequent bemüht seine Thesen zu einem logischen Abschluss zu führen, der keine Widersprüche duldet. Mit Polemik wird nicht gegeizt, und so erweckt das Buch schon früh den Eindruck eines vergleichsweise sittsam gekleideten Pamphlets oder Manifests, wie es in den 20er Jahren des letzten Jahrhunderts vielleicht auf filmtheoretischer Ebene formuliert worden wäre.

Im zweiten, als „Koreanischer Pop“ (korejski pop) betitelten Buchteil, greift Co-Autor Marcel Štefančič, jr. dann sprachlich noch einmal in die Vollen und spannt in einem ausgedehnten Essay einen Bogen von der südkoreanischen Filmgeschichte der 60er bis zur Gegenwart. Wie so oft bei Štefančič, erscheint das folgende Thesengewitter als gewagt-inspiriertes Gedankenkonstrukt eines Speedjunkies beim automatischen Schreiben, das zu ebensolchen Rauschzuständen aber auch zu matter Erschöpfung während des Lesevorgangs führen kann. Eingeklemmt zwischen Genie und Wahnsinn innerhalb filmpublizistischer Möglichkeiten, osszilliert der Text zwischen akribischen Auflistungen lexikalischen Detailwissens und skizzenhaftem Abhaken von Themkomplexen die einem Motivations- und Zeitmangel unterliegen, der auf der Vermutung beruht, dass Štefančič (für den der Kino nur eine Teilbeschäftigung zu sein scheint) bei seiner Produktionsmenge wahrscheinlich jeden Tag solch einen Text hervorbringen und auch noch mehrere Dutzend dazugehörige Filme sichten muss. Was auch immer man von Štefančič halten mag: Meiner Meinung nach lässt es sich nicht leugnen, dass aus seinen meist gesellschaftspolitisch motivierten Filmtexten, immer wieder brillante Erkenntnisse herauszulesen sind, die in ihrer Originalität den zeitweiligen Geistesblitzen eines Slavoj Žižek in nichts nachstehen. Im vorliegenden Werk versucht er aus der Beschaffenheit der Inhalte der neueren südkoreanischen Filme (und es erweckt den Eindruck als hätte Štefančič weit über 100 zwischen 1995 und 2005 entstandene Filme eingehend studiert) umfassende Rückschlüsse auf den kollektiven Zustand der südkoreanischen Psyche zu ziehen, was ihm zum großen Teil auch eindrücklich gelingt. Neben den Geschlechterrollen legt er dabei den Schwerpunkt vor allem auf die alles bestimmenden Beziehungen zu Nordkorea. Wie angedeutet, vermag es aber dem filmhistorisch nicht so bewanderten Leser Schwierigkeiten bereiten die Thesen durchgehend nachzuvollziehen. Zwar wird auf Fußnoten und weiteren akademischen Krimskrams verzichtet, jedoch spielt sich das meiste eben im Kopf Štefančičs ab. Vieles hängt davon ab, wie weit man bereit ist den Phantasiekonstrukten zu folgen. Denn der spielerische Umgang mit der paradoxen Realität unserer Welt und des Kinos welcher in der gängigen (und generell als „seriös“ bezeichneten) Filmliteratur vergeblich gesucht werden kann, beherrscht jede Seite von Štefančičs Schreiben. Ein im deutschen Sprachraum vergleichbarer Filmautor von luzidem Eigensinn wäre für mich Georg Seeßlen.

Wen könnte dieses Buch also interessieren oder begeistern? Durch die eigenwillige aber auch sinnvolle Zweiteilung ist meiner Meinung nach ein Kompendium entstanden das für Gegner der europäischen Film(förder)politik von Nutzen sein kann, sich aber vor allem an Filmstudenten und Enthusiasten richtet, die einen komprimierten Zugang zur Beschäftigung mit dem für Ausländer unübersichtlich erscheinenden südkoreanischen Film der jüngeren Geschichte suchen. Als anregende Einstiegslektüre, aus der man auch bei wiederholtem lesen Inspiration schöpfen kann, ist das Buch auf jeden Fall jedem Anhänger des asiatischen Kinos zu empfehlen. Und für jemanden der sich mit dem Schreiben über Film beschäftigt, bietet es Denkanstöße vielleicht auch mal selbst außerhalb gewohnter stilistischer Rahmen tätig zu werden.


Samo Rugelj, Marcel Štefančič, jr.: Stari, kje je film? : zgodba o korejskem filmskem čudežu
Erschienen in der Reihe Rdeča Premiera; Buchreihe Premiera, Nr. 58
Verlag Umco d. d., Ljubljana, 2006
1. Auflage (300 Stück), 136 Seiten

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