Der Löwe des gelben Meeres (1963)

Nach Christophs vorhergehendem wunderbarem STB-Ausrutscher-Langtext-Posting, habe ich mir überlegt es ihm wenigstens im Ansatz gleichzutun, und einen von mir noch ausstehenden STB-Kommentar (aus der problematischen Zeit vor unserem Providerwechsel) etwas auszubauen, und ebenfalls auf den Blog zu stellen. Eigentlich versuche ich ja meist nur Texte zu veröffentlichen, die aus einer Kombination aus Inspiration und Arbeit zu einem für mich zufriedenstellenden Ergebnis geführt haben, aber in diesem Fall möchte ich eine Ausnahme machen. Ich brauche nämlich einen Motivationsgrund anstelle einer möglichen Schreibblockade, die mich nach einem blöden Unfall vor ein paar Tagen aus Frustration überkommen hat. Statt einem längeren Eskalierende Träume Essay über einen älteren thailändischen Film der mir sehr imponiert hatte, gab es bei mir nach dem Stolpern über ein Stromkabel dank OpenOffice bug nur den kompletten Datenverlust und ein unlesbares Dokument zu begutachten, das sich auch nach mehreren Stunden herumklempnern nicht mehr reparieren ließ. Aus Vorsicht und Mißtrauen daher, erst einmal eine Sehempfehlung eines tollen japanischen Films, der mich vor ein paar Wochen überraschend zu begeistern wusste, bevor ich mich wieder an Texte wage, die mir mehr am Herzen liegen.

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Michele Placido, coole Gangster und die Mafia

Aus gegebenem Anlass: Eine Gangsterfilm-Glosse.



Beim wiederholten Dösen / Stichlesen durch diverse Aufstellungen von Titeln diesjähriger Festivallieblinge, nominell Venedig, entdeckte ich, dass Michele Placido schon wieder einen Gangster-Historienfilm gedreht hat. Nun ist es nicht so, als hätte sich der italienische (Alt-)Superstar als Regisseur bisher exzessiv mit Gangstern und Mafia befasst, doch eine glorreiche Vergangenheit in diversen antimafiösen Werken des großen Damiano Damiani (u. a. EIN MANN AUF DEN KNIEN, ALLEIN GEGEN DIE MAFIA), ebenso wie in Michele Soavis jüngerem Mafiaploitation-Revival ARRIVEDERCI AMORE, CIAO sowie einem krönenden Auftritt als Silvio Berlusconi in Nanni Morettis Polit-Schlomödie DER KAIMAN, wirft doch die Frage auf, was es denn mit diesen Vorlieben dieses italienischen Vaters der Nation auf sich hat. Denn sein neuer Film, VALLANZASCA – GLI ANGELI DEL MALE („Vallanzasca – Die Engel des Bösen“?) ist bereits sein zweiter Gangsterploitationer als Regisseur nach dem stilistisch beschissenen, aber interessant geschriebenen und spaßbringenden Unterweltaufstiegskitsch ROMANZO CRIMINALE, der nun erst fünf Jahre zurückliegt. Ist er vielleicht, so wie einst Gian Maria Volonté, eine Galeonsfigur des engagierten, antimafiösen, roten italienischen Kinos? Filme über die 68iger, den Nachhall des Erdbebens von Aquila oder politische Korruption im Nachkriegs-Italien lassen derartiges vermuten.
Oder vielleicht doch nur einer, der mit italienischen Mythen Tiefkühl-Calzoni füllt und sie dann als saucoolen Ramsch dem jubelnden Volk vorwirft? Die obszöne Kunstgewerblichkeit, mit der er seine Filme gerne einschmiert, sowie das nostalgische Machismo seiner perfide mit falben Schönlingen wie Kim Rossi Stuart (übrigens der Sohn von Giacomo „Die toten Augen des Dr. Dracula“ Rossi-Stuart!) besetzten Protagonisten könnten Indizien sein. Oder ist Placido am Ende vielleicht noch einer der alten Recken, die verdienstvoll gegen das Aussterben des Genrekinos in Italien ankämpfen? So wie die nach wie vor aktiven Claudio Fragasso und Dario Argento? Jedoch… Weiterlesen…

San Babila, 20 Uhr: Ein sinnloses Verbrechen (1976)

Nach BANDITI A MILANO (1968), einem Film der, ginge es in der Cinewelt mit rechten Dingen zu, schon längst als einer der größten Kriminalfilme der Filmgeschichte regelmäßig genannt würde, ist SAN BABILA ORE 20 dieses Jahr bereits der zweite Film von Carlo Lizzani, der mich in jeder Hinsicht überrannt und -rascht hat. Und das, obwohl gerade diese beiden Filme Geschwister sein könnten. Mehr dazu, hoffentlich, eines Tages in einer erschöpfenden Lobeshymne auf ersteren Film.
Der Ansatz, mit dem sich Lizzani hier dem Neofaschismus unter Jugendlichen nähert, ähnelt sehr demjenigen, mit dem Gus Van Sant in ELEPHANT (2003) den Amoklauf von Columbine interpretierte – Mögliche Ursachen werden vorgeschlagen, Schlussfolgerungen gibt es keine, Klischees werden sporadisch bewusst und präzise platziert. SAN BABILA ORE 20 ist ein Film der Gedanken- und Filmsplitter, die sich vor dem Auge zu faszinierenden, aber unordentlichen Gebilden assimilieren. Nicht selten lässt Lizzani, wohl ein Liberaler, aber dem Auftreten in seinen Film nach sicherlich kein so radikaler Linker wie etwa Elio Petri oder Pasolini, seine spürbare Rat- und Fassungslosigkeit in die Kamera laufen, filmt das eskalierende Mailand und seine fünf von ihrer faschistischen Freiheitsidee berauschten jungen Protagonisten in flüchtigen, gespenstischen, aber auch sehr kompakten, stämmigen Bildern, so wie Elio Petri etwa auch den Arbeiteraufstand in LA CLASSE OPERAIA VA IN PARADISO (1971) – mit dem sich Lizzanis Film den Co-Autoren Ugo Pirro teilt – ein wenig wie eine surreale Freakshow filmte. Weiterlesen…

Eskalierende Träume treibt sich herum


Für alle Leser, die die letzten zwei Monate vergeblich auf mehr Texte unserer Autoren gewartet haben, wird der Dezember (Providerwechsel sei Dank!) ein besserer Monat werden. Bevor es an dieser Stelle aber mit neuen Beiträgen weiter geht, noch ein kurzer Hinweis.

Da die meisten unserer Autoren auch der Veröffentlichung außerhalb von Eskalierende Träume nicht abgeneigt sind, haben sich Alex P. und ich entschieden bei der Negativ Adventskalenderaktion mitzumachen, bei der an 24 Tagen jeweils ein über- oder unterschätzter Film der letzten Dekade von täglich wechselnden externen Autoren vorgestellt wird .

Alex‘ Text zu Hollywood-Ausnahmeregisseur M. Night Shyamalan und seinem Film The Happening beschäftigt sich vor allem mit Glaubensaspekten in Shyamalans leider oft unterschätzten Meisterwerken, und ist am 03. Dezember erschienen. Mein Beitrag zu Sören Voigts Identitätsstudie Identity Kills ist seit heute online, und polemisiert auch ein wenig über das deutsche Filmschaffen. Die beiden Artikel sind jeweils hier und hier zu finden.

Bild: © Grey59 / pixelio

Providerwechsel vollzogen, Kommentarfunktion wieder aktiv

Wie der Titel bereits sagt: Der Providerwechsel ist dank unserer Admins abgeschlossen, die Kommentarfunktion sollte nun auch wieder für alle funktionieren. Noch gibt es ein paar kleinere Kinderkrankheiten, vor allem interne Links können teilweise noch an die falsche Stelle führen, einige Bilder werden nicht mehr angezeigt. Das wird von uns in den nächsten Tagen nach und nach bearbeitet werden. Falls unseren Lesern noch Fehler auffallen sollten: Ihr könnt uns dann gerne einen Kommentar hinterlassen oder per E-Mail kontaktieren.

Noch ein Hinweis: Unsere bisherige Hauptadresse http://www.eskalierende-traeume.de/blog funktioniert nicht mehr richtig, die neue Hauptadresse lautet einfach http://www.eskalierende-traeume.de. Falls ihr unsere Seite als Lesezeichen hinzugefügt habt, solltet ihr das eventuell überprüfen.

Edit: Falls es Probleme mit RSS-Readern geben sollte, hier nochmal die neuen Feed-Adressen:

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Kurzeinführung

Film und Buch (#0): Robert Zion – William Castle, oder die Macht der Dunkelheit (2000)

Einige Betrachtungen zur allgemeinen Wahrnehmung von Filmemachern
am Beispiel von William Castle.


Ursprünglich sollte dieser Text eine längere Abhandlung zu William Castle werden, die sich auf Grundlage von Robert Zions Buch (zugegebenermaßen etwas polemisch) mit der Problematik der Autorenfrage befassen sollte. Wie so manches, blieb es im Ansatz stecken. Da William Castle aber für mich DIE Entdeckung des letzten Jahres darstellte (u.a. hier zu erkennen), und ich ihn einerseits auf dem Blog nicht einfach vollständig unter den Tisch fallen lassen möchte, andererseits aber zur Zeit mit anderen Filmemachern beschäftigt bin, habe ich mich entschlossen, diesen alten Text in etwas bearbeiteter Form als Fragment zu veröffentlichen. Ich hoffe, dass er, wie so mancher nur in Bruchteilen erhaltene Film, zum Phantasieren und Weiterspinnen einlädt, und der Leser die fehlenden Abschnitte mit seinen eigenen Ideen füllt. Ich erinnere mich an dieser Stelle an Ausschnitte aus Max Linders  Be My Wife, die es auf einer DVD-Kompilation zu bewundern gab, und die mir trotz der großartigen vollständig zur Verfügung gestellten übrigen Filme am Besten gefallen haben. Zwar bin ich leider nicht Max Linder, aber ich hoffe, dass mancher der diese Zeilen liest, vielleicht im Mindesten ein Interesse am Fragmentarischen für sich entdeckt.

„Sicherlich war William Castle kein großer Regisseur, erst recht kein intellektueller Filmemacher, dem die Kritikerzunft lange Studien hätte widmen können – alles in allem sind seine Mise-en-scène, Schauspielerführung und Montage bestenfalls als routiniertes Handwerk zu bezeichnen.“

Hiert irrt Robert Zion, wenn er trotz großem Enthusiasmus für Castle und der im Buch angelegten versuchten Ehrenrettung seiner Person und seines Werks, seine Leistungen als Regisseur nicht betonen will. Castle als bloßen Handwerker hinzustellen, hieße einen der talentiertesten und raffiniertesten amerikanischen Filmemacher zu verkennen. Wie viele legendäre in Hollywood tätige Filmemacher sahen sich als bloße Handwerker? Alfred Hitchcock, Raoul Walsh, John Ford, und nicht zuletzt Charles Chaplin wären da zu nennen. Aber lediglich von der Selbstdarstellung und Selbstwahrnehmung eines Künstlers auszugehen, ist ein fataler Fehler, der nicht zuletzt in der Geschichte der Bildenden Künste zu maßlosen Überschätzungen einerseits, und völliger Unkenntnis andererseits geführt hat. Die Proportionen zu wahren, die Verhältnismäßigkeit im Urteil, war schon immer ein Problem von Kunstkritik – nicht zuletzt diejenigen zwischen verschiedenen Künstlerpersönlichkeiten. Genau das ist nämlich das Problem der etablierten Kritikerzunft, und der in diesem Zitat Robert Zions implizit angelegten höheren Einschätzung sogenannter „intellektueller“ Filmemacher.

Ich wünschte es gäbe eine Studie zu Norman Taurog und seiner Zusammenarbeit mit Elvis Presley mehr, und eine zu Ingmar Bergman weniger. Das wäre eine gerechtere und und auch weitsichtigere (Film-)Welt als all die Lobhudeleien und Thronerhebungen der sogenannten „seriösen“ Filmkritik, und eine seit Einführung der Auteur-Theory dringend benötigte Korrekturmaßnahme und Öffnung der Filmemachergeschichtsschreibung. Der immer noch gegenwärtige Tunnelblick weiter Kreise der Filmwissenschaften, was die Vielfalt der zu untersuchenden Gegenstände angeht, hängt natürlich mit einem in den letzten Jahrzehnten in großem Ausmaß geschwundenen Selbstbewusstsein von Filmliebhabern und ihrem Vertrauen auf die persönlichen Seherfahrungen zusammen, welches wohl im Zuge der Akademisierung und Verwissenschaftlichung von filmtheoretischen- und historischen Erkenntnissen aufgetreten ist, und auch zu einer vermehrten Zersplitterung der Filmkunst in „kommerzielle“, der „bloßen“ Unterhaltung dienende „Massenware“ einerseits und „persönlichen“, als „künstlerisch wertvoll“ erachteten „Individualwerken“ andererseits geführt hat.

Wenn sich Zion jedoch in einem anderen Abschnitt seines Buches für Bill Castle eine „hochtrabende, geschwätzige Abhandlung in Cahiers du Cinéma“ wünscht, dann liegt er mit seiner Einschätzung nicht nur näher an den Möglichkeiten die zu Castles Lebzeiten herrschten, sondern verweist auch auf die im Gegensatz zu den späteren Manifestationen stehenden ersten Entwicklungslinien der politique des auteurs. Denn was anderes haben die jungen Wilden von Godard, über Truffaut, und Chabrol, damals in den 50er Jahren gemacht, als das Abseitige, Verdrängte und Marginale zu bejubeln? Dabei ging es eben nicht darum, zu beweisen, dass ein Vertragsregisseur wichtigere Filme gemacht haben könnte als ein bis dato anerkannter Künstler, sondern vielmehr um die Parteinahme für persönliche Vorlieben.

Ein so „unwissenschaftliches“ Vorgehen scheint heutzutage in der publizistischen Landschaft weitestgehend als anstößig zu gelten und mit dem Bann der Nichtbeachtung belegt zu werden. Und so frönen die meisten Filmbuchautoren ihren persönlichen Leidenschaften wohl eher außerhalb von Veröffentlichungen im stillen Kämmerlein oder im Kreise von eingeweihten Gleichgesinnten – so sie denn überhaupt über den Tellerrand ihrer meist stark mittelbaren Filmerfahrungen hinaus zu blicken interessiert sind. Daher kann der Enthusiasmus und Verve den alten Cahiers-Kritikern, denen Robert Zion in seinem Buch an manchen Stellen auf erfrischende Weise Nahe kommt, zunächst einmal gar nicht hoch genug angerechnet werden. Die Problematik die sich daraus ergeben kann, besteht aber in einer neuen Absolutheit, die in den folgenden Jahren auch aufgetreten ist, und ihrerseits in den 60ern wiederum vieles verdrängt hat. In der deutschen Filmgeschichtsschreibung vielleicht stärker als in der französischen doch international sicher mit am stärksten zu beobachten in der fast völligen Missachtung des reichhaltigen italienischen Filmerbes vor dem Aufkommen des Neorealismus. Wenn Bazin wüsste, was sich unter anderem als Folge seiner Lobpreisungen von ihm bewunderter italienischer Filme im Nachhinein entwickelt hat, würde er sich im Grabe umdrehen!

Das Alte ist tot, es lebe das Neue! – seit der Erfindung des Films hat sich dieser Satz nie so falsch angehört wie in der heutigen Zeit. Das filmhistorische Gedächtnis scheint trotz immer größerer Materialfülle und Zugänglichkeit von Generation zu Generation verkrüppelter zu werden, und tot geglaubte Phantome gewinnen mit der Zeit wieder an Einfluß. Erhebt man ausgewählte Regisseure zu Aristokraten, so läuft man Gefahr den Pöbel zu erschaffen. Und um eine solche Entwicklung in der Betrachtung von Filmemachern abzulehnen, muss man beileibe kein Gegner der Autorentheorie sein. Denn wo immer einem heute ein Hauch von „Kultur“ um die Nase geweht wird, stinkt es meist ebenso wie in den Fernsehprogrammen der „Privaten“ gar fürchterlich.

Castles Mise-en-scène hat in den meiner Meinung nach gelungensten Momenten, und nach denen richte ich mich wie bei den meisten anderen Filmemachern auch (denn was ebenfalls oft vergessen wird: Ein Film besteht aus einer Aneinanderreihung unzähliger Momente, die durch ihr ständiges Ineinandergreifen immerfort eine unendliche Anzahl von Erfahrungspunkten erzeugen), eine immense Ausdruckskraft. In diesen Momenten, die einen packen, aufwühlen, oder irritieren, steht Castle keinem einzigen anerkannten Filmemacher in irgendeiner Weise nach. Er erschafft seine eigene Welt, mit eigenen Gesetzmäßigkeiten und eigenen Regeln. Das Problem ist daher wieder einmal dasjenige des sogenannten „Gesamtwerks“. Der fehlgeleiteten, aber immer noch nicht minder beliebten Behauptung, aus dem Stil eines Regisseurs EINEN und nur EINEN Stil herausdefinieren zu müssen, um dann seine anderen Werke bestenfalls verwerfen oder im schlimmsten Fall die gelungenen als Ausnahme oder Zufälle der (sozialen, ökonomischen) Umstände abstempeln zu können. Und welcher Kritiker hat überhaupt alle Filme jedes von ihm beurteilten Regisseurs gesehen? Heutzutage, im Zeitalter der kostengünstigen Reproduzierbarkeit auf unzähligen Trägermedien, wäre es eine Frechheit über einen Filmemacher Endgültiges aussagen zu wollen, ohne zumindest alle seine erhaltenen Filme in der ein oder anderen Form mehrmals untersucht zu haben – auch wenn man nicht, wie ich, die Annahme teilt, dass ein solches Unterfangen in jedem Falle eine Unverschämtheit bedeutet.

Bis in die späten 70er Jahre war so etwas jedoch Gang und Gebe. Wer hatte schon das Glück, eine vollständige Retrospektive eines Regisseurs auf einem Festival oder in der Kinemathek bestaunen zu können, wenn damals oft nicht einmal die Organisatoren von Festivals und die Betreiber von Kinematheken selbst alle Werke der als bedeutend eingestuften Filmemacher ausfindig machen konnten? Aus der Erinnerung heraus wurde geurteilt, ganze Szenen und Sequenzen wurden aus dem Gedächtnis herbeizitiert. Daran ist natürlich grundsätzlich nichts Falsches. Jedoch haben sich über die Jahrzehnte, nicht zuletzt durch massenhaftes Abschreiben und „Zitieren“ innerhalb von Fachkreisen, Vorstellungen und Ideen festgesetzt, die inzwischen nicht mehr so ohne weiteres aus den zahlreichen Filmgeschichtsschreibungen wegzudenken sind. Die mühselige Kleinstarbeit, sich im Laufe eines Cineastenlebens alle Filme eines Regisseurs anzusehen, kann hierbei auch nicht entschädigen. Schließlich ist auf die eigene Meinung von vor 10 Jahren schon kein Verlass – geschweige denn von 40 oder 50! Und über die Kritiker die ihre persönliche Einschätzung zu einem einmal gesehen Film auch noch nach Jahren unabhängig von der damaligen Rezeptionshaltung als zeitlos relevant darzustellen im Stande sind, möchte ich gar nicht erst viele Worte verlieren. Mitleid zu solch einer Person ist vielleicht noch das edelste, was sich da aufbringen lässt.

Wer kennt das nicht: „Ja, als Kind mochte ich Filme, von denen ich später herausfand dass sie doch nicht so toll waren.“ Herausfand… Mit 15, mit 20? Mit 30? Mit 40?

Wann ist das sagenumwobene Reifestadium der Erkenntnis denn erreicht, ab dem einem alles klar wird? Wohl dem, der kurz nach solcher Illusionsfindung von uns scheidet, um nicht seine Ansichten über die Welt wieder einmal neu überdenken zu müssen.

Alle Filme sind relevant, sind Kunst, sind genial und großartig. Es hängt nur davon ab, wer sie als solche wahrnimmt und in welchen Kontext sie gestellt werden. Eine Binsenweisheit, die für alle Bereiche des Lebens gilt, bei manch einem aber scheinbar nie ankommen wird. Wessen Ego die Welt umspannt, der erblickt nur sich: Unwandelbar, in Stein gehauen – was symbolisch mit dem Tod und der Mumifizierung gleichgesetzt, eigentlich Adjektive wie unseriös, irrelevant und unbedeutend hervorbringen müsste. Stattdessen werden Denkmäler im Wechsel errichtet und niedergerissen. An Vergänglichem, der Zeit verhaftetem, besteht nur im negativen Sinne museales Interesse.

Wenn Begriffe wie Schock, grell, Exploitation und Horror, weniger Wert sind als Intellekt, subtil, Einfühlungsvermögen und Humanismus, gerät man in die Falle der überwiegenden westlichen Sichtweisen innerhalb der Auseinandersetzungen mit Kunst während der letzten Jahrhunderte. Zumindest im Bereich der Bildenden Künste muss es aber wiederum in Grundzügen eine Gegenbewegung zu dieser heuchlerischen Auseinandersetzung gegeben haben, bedenkt man z.B. die Impressionisten, Futuristen, Dadaisten, Surrealisten oder die Pop-Art in der Einschätzung der Kritik. Neben dem Kategorisierungswahn scheint ein Problem jedoch immer noch unsere Welt in ihren Klauen gefangen zu halten: Das der Absicht des Künstlers und seiner intendierten Bedeutung des Werkes.

Hätte William Castle seinen billigen Filmen längere kunsttheoretische Abhandlungen folgen lassen, so wären sie zwar nicht erfolgreicher beim Publikum, aber sicherlich bei so einigen selbsternannten Filmexperten geworden. Denn auch wenn heutzutage einer auf die Leinwand kackt, muss er immer noch einen triftigen Grund dafür angeben oder zumindest etwas Großspuriges behaupten können. Einfach kacken geht nicht. „Ich musste halt mal“, oder „Ich liebe Scheiße auf weißer Leinwand“ ist immer noch nicht „in“. Nein, es muss ein kleiner Zettel daran kleben: „Kritik an der bürgerlichen Welt“ oder „Anti-Kunst“, denn simple Scheiße versteht unsereins eben nicht. Da muss es schon was Größeres sein. Das Problem unserer Zeit. Was hätte Diogenes wohl dazu gesagt…

Wenn Joe Dante sich erinnert, „Die 50er und 60er Jahre waren für mich ein Goldenes Zeitalter… Es war eine unschuldige Ära, und ich denke dabei an Roger Corman und William Castle, an Exploitation, an sehr billige und interaktive Filme“, so spricht er wahrscheinlich von seiner Wahrnehmung als Kind. Denn unschuldig war dieses Zeitalter ebenso wenig wie alle Anderen der Menschheitsgeschichte zuvor. Die Unschuld. Hach, was ist nicht schon alles mit ihr in Verbindung gebracht worden… Eine Fehleinschätzung, die sich zunächst auf die Anfänge der Filmgeschichte, und später auf Dokumentar, Trick- oder Experimentalfilme verlagerte, um heutzutage beim sogenannten „Trashfilm“ ihre Heimat zu finden. Dinge aufgrund von Äußerlichkeiten zu verurteilen liegt wohl in der Natur des Menschen. Um es mit den Worten der Aufklärung zu umschreiben: Wege aus der selbstverschuldeten Unmündigkeit sind eben hart und steinig.





 

william

Das trotz mancher Schwächen dennoch äußerst lesenswerte Buch ist erstmals im Corian-Verlag im November 2000 in deutscher Sprache erschienen. Ich möchte es an dieser Stelle nochmals JEDEM Filmliebhaber aufs nachdrücklichste empfehlen, und spreche Robert Zion meinen tiefen Dank aus, mich auf sehr unterhaltsame und persönliche Art William Castle und seinen Filmen näher gebracht zu haben. Und dem Corian-Verlag, das Buch überhaupt veröffentlicht zu haben. Meinem Wissen nach ist es immer noch das weltweit einzige umfangreichere Buch eines Filmenthusiasten über William Castle – seine eigenen biografischen Veröffentlichungen nicht miteinbezogen.

Odds & Ends (1959)

„I just got high and put it together.“


Anscheinend als Parodie auf amerikanische Experimentalfilme der 50er Jahre entstanden, ist Odds & Ends selbst ein Vertreter dieser Richtung.
Experimentalfilm – Für mich heißt das immer, dass ein Filmemacher auf die Suche nach etwas geht, etwas versucht, einen Anfang macht. Kein Statement, sondern ein Experiment. Natürlich ist der Begriff im späteren Kontext auch etwas unsinning. Alles was scheinbar nicht narrativ motiviert sein soll, und etwas schwer verständlich ist (sprich: Fragen aufwirft), wird gemeinhin als „Experimentalfilm“ bezeichnet. Eine Restkategorie für auf der Strecke gebliebenes. In diesem Fall erscheint diese fragwürdige Zuordnung jedoch ganz passend.

Odds & Ends ist ein wildes Durcheinander an Bildern und Farben, Stills und Bewegungsabläufen, begleitet von Musik und einer Stimme aus dem Off: Nonsensical Narration. Was parodiert werden soll ist nicht ganz klar, bzw. überdeutlich. Für mich funktionierte der Film aber als Experimentalfilm par excellence. Ein visueller Stimulus, der vor Einfällen und Phantasie überquillt, und auf eine Art geschnitten ist, dass man in die Knie gehen möchte. Der Kommentar und die Musik sind das akustische Hintergrundgeplätscher, welches jede Art von akustischer Untermalung ad absurdum führt. Das Gesehene spricht für sich – also auch ein genuiner Stummfilm. Die Parodie entspringt deshalb aus der Verbindung von Ton und Bild.

Bei mir löste alles einen Rausch aus, der meinen ganzen Körper ergriff und mein Herz schneller schlagen ließ. Wenn es auf der Seite der National Film Preservation Foundation heißt, die Regisseurin Jane Conger Belson Shimane [was] considered the “most gifted talent” of the “new San Francisco group,”, so glaube ich das aufs Wort. An instant classic.




Odds & Ends – USA, 1959 – 4 Minuten – Regie: Jane Conger Belson Shimane – Sprecher: Henry Jacobs – 16mm, Farbe

RE: John Frankenheimer

Abgespalten aus dem Kommentarbereich meines Sehtagebuchs aufgrund extraordinärer tagescinepolitischer Relevanz.

Happy Harry mit dem Harten schrieb on October 9th, 2010 at 03:03:

Sehr interessante Bewertungen zu Frankenheimer, machen richtig Lust es dir gleich zu tun und eine kleine Retro einzulegen. Bin mal gespannt, wie dir “Seconds” (sonst kenne ich nur noch “Ronin” und “Der Zug”) gefällt, in meinen Augen einer der progressivsten amerikanischen Filme der 60er und wirklich mal ein völlig unter Wert verkauftes Meisterwerk, so unbekannt wie der heute ist. “Harry Crown” wird jedenfalls schnellstmöglich geschaut. Gibt es vielleicht auch was schriftlich dazu? “Reindeer Games” und “Prophecy” kommen ja meist nicht so gut weg wie bei dir…

Eigentlich ist das gar keine Frankenheimer-Retro, die ich da veranstalte, sondern nur das Resultat der cineastischen Offenbarung, die mir ganz unerwartet und aus heiterem Himmel 99 AND 44/100 % DEAD und THE MANCHURIAN CANDIDATE (den ich mir aus Begeisterung für ersteren gleich am nächsten Tag angesehen habe) beschert haben. Nach einer Woche Frankenheimer bin ich völlig geplättet und glühe vor Begeisterung.
Aber gleichfalls ein wenig vor Enttäuschung: Der Mann muss einer der unterbewertetsten und auch missverstandendsten (was die Filme angeht, die keinen „Klassiker“-Status erreicht haben, angeht) amerikanischen Filmemacher überhaupt sein, den ich jetzt, ohne zu zögern, in einem Atemzug mit Hitchcock, Kubrick, Scorsese, Huston, Ford etc. nennen würde. Ich hatte mich nie für ihn interessiert, leider und glücklicherweise, denn die Zeit war, glaube ich erst jetzt reif für mich, ihn zu entdecken. Vor letzter Woche kannte ich nur ein Stück von BIRDMAN OF ALCATRAZ und GRAND PRIX, den ich ziemlich mochte, der mich allerdings auch nicht neugierig auf seinen Regisseur gemacht hatte, als ich ihn vor zwei Jahren überwältigenderweise auf 70mm sehen konnte. Und den hochgradig eigentümlichen THE HOLCROFT COVENANT, der mich vor einem Monat etwas neugieriger gemacht hat, den ich aber immer noch ein wenig in die Kategorie „Betriebsunfall“ eingeordnet hatte. Ich hielt es eben nicht so recht für möglich, dass dieser John Frankenheimer vielleicht ein subversives Spielkind im Kino-Sandkasten sein könnte – ich hatte mit seinem Namen immer nur solides “Craftmanship” verbunden, ein Vorurteil, welches anscheinend weiter verbreitet ist.

Da ich mir ganz und gar nicht sicher bin, dass ich in meinem momentanen Stadium der Überwältigung und aus dem diffusen Strom von Gedanken etwas Brauchbares (und Würdiges) aufs Papier bringen könnte, hole ich jetzt hier mal ein wenig aus, auch für meine geliebten Mitautoren, die sich ein natürliches Misstrauen gegenüber meinem ständigen Überschwang angeeignet haben und die einen grob umrissenen Einblick in meine frische Frankenheimer-Obsession erhalten sollten.;-)
Gestern Nacht habe ich SECONDS gesehen und bin sprachloser denn je weil er, wie du auch schon angerissen hast, wirklich zeigt, wie Frankenheimer durch die Decke gegangen ist zu seiner Zeit, in seinem System, in seiner Schule. Derartige Feststellungen sind für mich zwar immer eher sekundär (ich bin ja nicht Rajko), aber trotzdem: Ein Wunder, dass dieser Film ihm nicht seine Karriere ruiniert hat. Nicht nur der formale Exzess des Films. Nicht nur, dass er amerikanische Lebensmüdigkeit noch harscher aus dem Schatten reißt… Für seine Verhältnisse beinahe exzessiv harsch, da eine der vielen staunenswürdigen Eigenschaften seiner Filme seine mühelos ausbalancierte Beobachtungsgabe für soziale und politische Getriebe ist, die seine Feststellungen – die immer nur temporäre Gültigkeit zu haben scheinen – nie in die Gefahr der Anmaßung laufen lässt. Und trotzdem leistet er sich auch diese schrille Stilisierung, diese Comichaftigkeit (wenn man mich fragen würde, woran ich bei Frankenheimers visuellem Stil zuerst denke, würde ich vermutlich mit “schiefer Kamera” oder “Weitwinkel-Schangel” antworten) und dieser draufgängerische Leichtsinn, der seinen Bildern oft innewohnt. Und das sind dann einfach Bilder, deren amerikanischer Eskapismus auf eine, hm, europäisch anmutende Ruhe und Geduld treffen, eine Freude an der plötzlichen Zerstörung von Rhytmik – was dann häufig in Szenen mündet, die von entweder provozierender und / oder hypnotisierender bis surrealer sowie gelegentlich tatsächlich amüsant absurder Länge sind – in dem Sinn, dass er mit großen Genuss immer jeweils das hervorquellen lässt, für das im Studiokino normalerweise nie die Zeit bleibt (weil man es meist auch nicht haben möchte;-). Da kommt das Anzügliche, das Jämmerliche, das flüchtig Poetische, das runtergespielt Aggressive, das unbeabsichtigt Hämische, das zufällig Zärtliche, das dezent Perverse und das unbeachtet Tragische zum Vorschein für den kurzem Moment, den es sonst nicht oft vergönnt bekommt. Vielleicht können das auch wirklich nur sehr wenige Regisseure tatsächlich bannen und wenn dem so ist, würde das Frankenheimer nur noch höher platzieren. All diese neun Filme haben mir auch einen Mann gezeigt, der nicht nur die Ironie und das Risiko liebt, sondern der auch enorm verletztliche Figuren und Räume entwirft, tatsächlich verletztliche Filme dreht, die sich nicht gegen Widersprüche – stilistischer wie psychologischer Art – wehren. Das ist ihm dann wohl auch so schlecht bekommen, denn da Cineasten auch nur Menschen sind (man hält es ja kaum noch für möglich, aber doch!) und die Menschen Dinge, die für sie nicht zusammenpassen und die nicht augenscheinlich miteinander harmonisieren, nicht ausstehen können, können sie Frankenheimer auch nur dann so richtig doll ausstehen, wenn er sich als klassischer Filmemacher der alten Schule präsentiert und ihnen z. B. einen homogenen Politthriller wie THE MANCHURIAN CANDIDATE oder ein introvertiertes Quasi-Kammerspiel wie BIRDMAN OF ALCATRAZ vorsetzt.

Und auf der anderen Seite ist er eben der wahrscheinlich größte Actionregisseur, der mir, einem Ignoranten, der sich lange Zeit für Actionfilme (für Action natürlich schon) nie besonders interessiert hat, mit den Autorennen in GRAND PRIX und vor allem den Verfolgungsjagden in RONIN und REINDEER GAMES Freudentränen in die Augen treibt, der rein filmische Dynamik so innig begriffen hat, dass man vor einer einfachen Autoverfolgungsjagd atemlos in die Knie gehen und verzaubert “Kunst” hauchen möchte. Die Montage ist eine von Frankenheimers größten Stärken und er schneidet manchmal auch sehr gerne über die Köpfe der Schauspieler hinweg. ALL FALL DOWN zum Beispiel (Völlig vergessen, der Film. Kann mir nicht erklären, warum. Viel zeitloser und frischgebliebener als so mancher kanonisierter Jugend-Problemstreifen dieser Jahre) hat etwas sehr Kazaneskes an sich (nicht nur wegen der vielen Kazan-belasteten Mitwirkenden), aber in Momenten, die Kazan wahrscheinlich ehrfürchtig der stehenden Kamera und seinen Schauspielern überlassen hätte, setzt es bei Frankenheimer aus heiterem Himmel einen physischen Insert-Shot. Der Schnitt in SECONDS ist ja auch vollkommen unfassbar und furchteinflößend. Da entsteht tatsächlich durch das Zackige Schnittgewitter weit mehr Surrealismus als durch die Kamera selbst.

Überhaupt: Schauspieler und Orte bei Frankenheimer. Die Schauspieler saugt er immer bis zum letzten Tropfen aus, unterdrückt aber gleichzeitig den Schauspieler in dem Charakter so sehr, dass nie die Bedrohung eines theatralen Flairs aufkommt. Gerade auch in einem Film wie ALL FALL DOWN erkennbar – solche Filme machten Stars damals, um nach ihrem Hauptdarsteller-Oscar noch einen Nebendarsteller-Oscar abzustauben. Was man den Darbietungen von Stars in diesen Filmen leider auch oft anmerkt (nichts neues, das hat sich bis heute gehalten und ist penetranter denn je, da Stars heute in aller Regel keine… na ja.)
Der Schauspieler verschwindet also und mit ihm auch die Schauspielführung. Unglaublich. Ich habe das noch nie so natürlich gesehen und es wirkt bei Frankenheimer auch noch besonders intensiv, da er eigentlich keinen lästigen Realismus-Fetisch hat, der ihn ständig zu Spülwasser-Dampf, Straßenstaub oder natürlichem Licht anspornen würde. Realismus ist bei ihm ein filmischer Effekt wie jeder andere auch (ich liebe es) und das ist eine Tugend, die noch weit rarer ist als seine übrigen, die ich bereits aufgezählt habe (das nimmt hier leider auch gerade die Form einer Aufzählung an – klassisches Krankheitsbild unbeschreiblicher Euphorie). Filmischer Realismus – den halte ich schon seit längerem für ein Trugbild. Den gibt es so einfach nicht.

Und dann Locations bei Frankenheimer. Hier zeigt sich für mich ein besonders tiefes Verständnis der emotionalen und körperlichen Schlucht zwischen Leinwand und Kino, bzw. Kamera und Auge, Lichtquelle und Filmmaterial, etc. pp.
John Frankenheimer ist für mich ein Meister der Location. Nicht einmal so sehr der Location-Wahl sondern schlicht und einfach in seinem Umgang mit Locations, seinem Blick auf Locations, seiner Wahrnehmung bis hin zu seiner passiven Interpretation von Locations. Wenn er in RONIN Nizza filmt oder in THE CHALLENGE Japan, ist die Kamera nie Tourist, selbst wenn die Figuren es sind (Frankenheimer ist auch total multiperspektivisch und springt ständig, häufig unberechenbar, hin- und her. SECONDS ist da mit seiner extremen subjektiven Objektivität eine Ausnahme in meinem bisherigen Erfahrungsbereich).

Man spürt die Orte (nicht „erlebt“ – da käme dieses ärgerliche Realismus-Verständnis wieder ins Spiel). Man kann sie auf sich wirken lassen, oft auch innerhalb kurzer Momente. Sie sind begehbar, erstastbar, ohne dass mit der Kamera gewackelt würde, um uns zu signalisieren „Hey, ihr seid jetzt DA!“. Oder das man manipulativen Gebrauch von Direktton machen würde, um uns eine crispe Geräuschkulisse einzutrichtern, wie man es heute in diversen „naturgeschmäcklerisch“ verbrämten Arthouse-Pralinen antreffen kann (Um die Nerven einiger meiner Mitträumer nicht eskalieren zu lassen, will ich hier keine Titel nennen).
Die Orte leben immer und wirken eben gerade nicht wie Locations, die man für einen Film ausgesucht hat, sondern wie organische Instanzen, die ihren festen Platz haben neben den Darstellern und manchmal auch der Requisite. Es ist die ganz eigene Atmosphäre der Orte, die Frankenheimer an ihnen vorfindet und die einzufangen er versteht wie nur wenige andere. Es verstehen meiner Erfahrung nach überhaupt sehr wenige Filmemacher, ihren Drehorten auf Augenhöhe zu begegnen.
Die Locations sind Darsteller – aber eben nicht so, wie man manchmal über ein altes Schloss in einem Gothic-Horrorfilm sagt, es sei der Hauptdarsteller des Films. Wenn die Locations Schauspieler wären, wären sie also in Frankenheimers Filmen Laiendarsteller und keine method actors.
Gerade diese schwer greifbare, eigene Art, mit Orten und Gebäuden umzugehen, diese Art, die mit Realismus an sich nichts zu tun hat, weil es ausschließlich um Wahrnehmung und nicht um Eindrücke geht, macht Frankenheimers Filme ungeheuer sinnlich. Sie sind rauschende Sinnenfeste, auch REINDEER GAMES und PROPHECY sind Sinnenfeste.

Von letzterem versprach ich mir tatsächlich nur einen mäßigen Horrorfilm, der aber als Film an sich vielleicht interessant sein könnte. Bekommen habe ich einen Film, der als Film an sich und als Brainstorming zum damaligen politischen Schleudertrauma sehr interessant ist, der aber tatsächlich in allererster Linie zu meiner intensivsten und markerschütterndsten Horrorfilm-Erfahrung seit meiner inzwischen fast fünf Monate zurückliegenden Sichtung von Serradors EIN KIND ZU TÖTEN geriet. Unsereins ist bekanntermaßen ja nicht mehr allzu leicht von der Stelle zu bewegen in Sachen Horror. PROPHECY hat mir aber letztlich eine jener seltenen, herben Adrenalin-Duschen geschenkt, die mir seit meiner traumatischen jugendlichen Horrorfilm-Initiation mit Argentos L’UCCELLO DALLE PIUME DI CRISTALLO und Carpenters HALLOWEEN nicht mehr oft vergönnt sind. Der Film ist eine furios umgesetzte Achterbahnfahrt, die auf eine hinterhältig gewundene Spannungskurve baut, die dem ersten HALLOWEEN sehr ähnelt, nur der Bösewicht hier natürlich nicht das Monster, sondern die Quecksilbervergiftung des Flusses ist, die als Bösewicht mit einem melodramatischen Kunstgriff so eingeführt wird, dass mir, zum vielleicht ersten Mal bei einem „Verseuchte Umwelt produziert Mutantenmonster“-Film, tatsächlich mulmig zumute war. Dass das funktioniert, führe ich auf das m. E. überdurchschnittliche Drehbuch zurück, aber damit stehe ich wohl allein. Gerade die Charaktere in PROPHECY sind in meinen Augen ausnahmsweise einmal nicht amerikanische Täter, die sich für Opfer halten, sondern tatsächlich nur amerikanische Opfer, die im Gebirgswald, ihrer mythischen Wiege, gegen einen degenerierten Bären kämpfen – der Mythos selbst ist also degeneriert und unter diesem Gesichtspunkt wirkt dann vielleicht auch das indianische Element des Films nicht mehr ganz so ungelenk wie von vielen behauptet. Den Vorwurf, das Drehbuch sei reine Kolportage, kann ich nicht nachvollziehen. Es ist nicht allzu komplex, aber es ist weder simpel, noch psychologisch anmaßend. Aber ich gehöre ja auch zu denen, die eisern darauf beharren, dass Joe Eszterhas‘ SHOWGIRLS-Drehbuch eine Meisterleistung darstellt.

Frankenheimer hat Ende der 60iger in einem Interview festgestellt, dass seine bisherigen Filme ja doch sehr maskuline Filme gewesen wären, da er sich bisher nie so recht an weibliche Figuren herangetraut hat (glatte Lüge, wenn man sich die starken weiblichen Parts in ALL FALL DOWN, THE MANCHURIAN CANDIDATE oder SECONDS besieht). Das Paradoxe daran ist, dass er einerseits zwar recht hat, da es sich tatsächlich um sehr männlich dominierte Filme handelt, diese Filme andererseits jedoch denkbar weit entfernt vom Testosteron-Pathos zahlreicher anderer Prä-New Hollywood-Dramatiker und Mythologen ist. Chauvinismus, Männerfreundschafts-Romantik, distanzlose Parolen-Drescherei, selbst wenn sie nur “in character” wäre, habe ich bei Frankenheimer noch nicht entdecken können. Eigentlich haben seine Filme, von den Figuren her aufgerollt, etwas ausgesprochen ungeschlechtliches an sich, nicht selten sogar in Form einer leichten, aber merklichen Verschiebung, die manchmal dazu führt, dass die vermeintlichen Geschlechterrollen auf nahezu surrealistische Weise vertauscht werden. Mein letzter Frankenheimer war BLACK SUNDAY, etwas abstrakter betrachtet eine äußerst irritierende Travestie-Show mit Marthe Keller als agilem Rauhbein, Bruce Dern als diffuser “damsel in distress” und Robert Shaw als Ober-Transe, die pausenlos ihren Body-Suit wechselt. Unfassbar. Und natürlich nicht einmal halb so schrill, wie ich es hier klingen lasse. Es bleibt, wie das meiste, was an Frankenheimers Filmen so toll ist, ein elusives, unstetes und letztlich natürlich auch schangeliges, Metaebenenartiges Geflecht zwischen den Bausteinen, auf die es als Wirt es nicht angewiesen ist (was experimentellere oder auch einfach nur verspieltere Frankenheimer-Filme wie SECONDS, GRAND PRIX oder z. B. auch REINDEER GAMES beweisen), deren naheliegender und natürlich manchmal vorgeschriebener Gebrauch Frankenheimer aber eher entgegenkommt, weil er mit der Konvention, mit Genreregeln genau die Art von höllisch-nonchalantem Spaß hat, die nur jemand daran haben kann, der sie genauestens kennt und von Herzen liebt.
Gleichzeitig ist es ihm – oder war es ihm zumindest einmal – aber auch nicht ganz geheuer, denn dann liest man ihn wieder sagen (1969), dass Hitchcock ja eigentlich bei aller technischen Güte seiner Filme eben doch „a commercial director if there ever was one“ sei und dass er niemals mit Hitchcock tauschen wollen würde. Dieses manchmal etwas schizophren erscheinende Verhältnis zum Genre (wobei er tatsächlich meinte, dass er meist „character-driven action films“ im Sinn hätte) kommt perfekt zum Tragen in meinem Initiations-Funkenfilm 99 AND 44/100 % DEAD, dem ultimativen postmodernen, untertrieben surrealen Gangsterfilm, der all das schon so unendlich viel eleganter, reiner, klarer und reifer gesagt und getan hat, was die Filmemacher der 80iger und 90iger, die heute als „Postmodernisten“ gelten, so unendlich weniger klar, rein und um soviel selbstvereinnahmter und -bewusster nochmal (und immer und immer wieder und wieder) wiedergekäut haben.

Wenn Frankenheimer versucht, ganz klar und nüchtern Erzählkino zu machen, endet das eher in dem Malheur, dass er sich seinem eigenen Ehrgeiz zuliebe – und wie die meisten amerikanischen Filmemacher seiner Schule hält er das klassische Erzählkino natürlich für die Königsdisziplin – zurechtstutzt und seine assoziative Spontaneität wie die unglaublicher- wie anbetungswürdigerweise damit eng verbandelte Stilisierungswut einer Schlicht- und Kühlheit Platz macht, die mitunter etwas unbequem in “echtem” (s. o.) Film-Realismus mündet wie in ANDERSONVILLE, einem Film, der zwar von diesem Realismus gerettet wird, dessen dramaturgisches Konstrukt (das Drehbuch) offensichtlich diesen Ansatz nicht unterstützt. Es ist schon sehr tragisch, wie stiefmütterlich man Frankenheimer für den gesamten Rest seiner Karriere nach dem Einbruch der späten 70iger, behandelt hat von Seiten der Studious und Sender. Obwohl ich aus Frankenheimers Spätwerk bisher nur drei Filme kenne, empfinde ich den Unterschied zu seinem Früh- und Zentralwerk als extrem drastisch, weil man in diesen späten Filmen (in RONIN vielleicht nicht so sehr – aber RONIN ist im Endeffekt auch fast ein Remake von BLACK SUNDAY) zum ersten Mal ein Tauziehen zwischen dem Film und seinem Regisseur bemerkt, einen Konflikt, der nur in brillantem Chaos enden kann (so wie bei REINDEER GAMES), nicht aber in chaotischer Brillanz (Frankenheimers spezifische Brillanz).

Chaotische Brillanz. Davon sollte es einfach mehr geben. Viele der wenigen Regisseure, die dazu im Stande sind, haben sich bereits einen Platz in meinem Pantheon erobert und Frankenheimer hat auch schon seine Säule. Habe ich schon erwähnt, dass ich seine Filme als zutiefst elegisch und poetisch empfinde? Man traut sich ja fast nicht mehr, so etwas über Filme zu schreiben ohne sich der Schlöndorfferei schuldig zu machen.

BlackSunday
Seconds
99And44/100%Dead
AllFallDown
52PickUp
AllFallDown
99And44/100%Dead
Seconds
Andersonville
TheManchurianCandidate
BlackSunday
Seconds

Zitat der Woche

In 1973, fresh out of Syracuse University, the video artist Bill Viola went to visit a friend in San Francisco who took him straight from the airport to a camping trip in the desert. “We drove down to Death Valley and arrived at Zabriskie Point at midnight under a full moon. In the next two days, my life was changed,“ Mr. Viola recalled recently. “I realized that, growing up in New York, I’d never seen 75 miles straight in front of me in all directions at once.

“Two things happen. Your self shrinks to an insignificant black speck on the face of the planet that could be flicked off at any moment, like a little bug. You become humbled by the scope. The second thing that happens is your self expands. When you engage something in vision, literally a part of you goes out 75 miles to touch that, and you realize that what you see is not separate from your self.“


zitiert nach Don Shewey: An Artist Finds Poetry in Videotape
aus der US-amerikanischen Tageszeitung The New York Times
veröffentlicht am 08. November 1987