Michele Placido, coole Gangster und die Mafia



Aus gegebenem Anlass: Eine Gangsterfilm-Glosse.



Beim wiederholten Dösen / Stichlesen durch diverse Aufstellungen von Titeln diesjähriger Festivallieblinge, nominell Venedig, entdeckte ich, dass Michele Placido schon wieder einen Gangster-Historienfilm gedreht hat. Nun ist es nicht so, als hätte sich der italienische (Alt-)Superstar als Regisseur bisher exzessiv mit Gangstern und Mafia befasst, doch eine glorreiche Vergangenheit in diversen antimafiösen Werken des großen Damiano Damiani (u. a. EIN MANN AUF DEN KNIEN, ALLEIN GEGEN DIE MAFIA), ebenso wie in Michele Soavis jüngerem Mafiaploitation-Revival ARRIVEDERCI AMORE, CIAO sowie einem krönenden Auftritt als Silvio Berlusconi in Nanni Morettis Polit-Schlomödie DER KAIMAN, wirft doch die Frage auf, was es denn mit diesen Vorlieben dieses italienischen Vaters der Nation auf sich hat. Denn sein neuer Film, VALLANZASCA – GLI ANGELI DEL MALE („Vallanzasca – Die Engel des Bösen“?) ist bereits sein zweiter Gangsterploitationer als Regisseur nach dem stilistisch beschissenen, aber interessant geschriebenen und spaßbringenden Unterweltaufstiegskitsch ROMANZO CRIMINALE, der nun erst fünf Jahre zurückliegt. Ist er vielleicht, so wie einst Gian Maria Volonté, eine Galeonsfigur des engagierten, antimafiösen, roten italienischen Kinos? Filme über die 68iger, den Nachhall des Erdbebens von Aquila oder politische Korruption im Nachkriegs-Italien lassen derartiges vermuten.
Oder vielleicht doch nur einer, der mit italienischen Mythen Tiefkühl-Calzoni füllt und sie dann als saucoolen Ramsch dem jubelnden Volk vorwirft? Die obszöne Kunstgewerblichkeit, mit der er seine Filme gerne einschmiert, sowie das nostalgische Machismo seiner perfide mit falben Schönlingen wie Kim Rossi Stuart (übrigens der Sohn von Giacomo „Die toten Augen des Dr. Dracula“ Rossi-Stuart!) besetzten Protagonisten könnten Indizien sein. Oder ist Placido am Ende vielleicht noch einer der alten Recken, die verdienstvoll gegen das Aussterben des Genrekinos in Italien ankämpfen? So wie die nach wie vor aktiven Claudio Fragasso und Dario Argento? Jedoch…
Ist er nicht in seinen mafiaerotischen Rollen immer ein wenig zu manieriert bemüht um angelische Dämonie, bzw. dämonische Angelik? Überhaupt, diese Mafiaerotik funktioniert gar nicht mehr, nicht zuletzt, da es seit nunmehr 38 Jahren THE GODFATHER gibt und das würdevolle Altern aus Placido bedauerlicherweise einen würdevollen italienischen Übervater gemacht hat. Der schnittige, ständige Triebhaftigkeit mit sich schleifende Placido-Hecht einstiger Tage gehört leider auch schon dem Kosmos verblichenen italienischen Kino-Glamours an und reiht sich nahtlos neben die Mumifizierung von Claudia Cardinale, die maskenhafte Zombiefizierung von Ornella Muti, die supernette TV-Zweitkarriere von Fabio Testi oder die verwahrloste Veronkelung von Franco Nero ein. Aber ich schweife in superfizielle Nebensächlichkeiten ab…
Ich wüsste doch sehr gerne, was Placido in italienischen Talkshows (die er bestimmt beehrt) so von sich gibt zu seinen Filmen und inwiefern sich sein Status in Italien vergleichen ließe mit dem Status den in Deutschland, sagen wir, solch geradezu ikonoklastische Überväter des seriösen Schundkinos wie Bruno Ganz oder Armin Müller-Stahl innehaben? Es ist sehr schade, dass sich Placido in seinem jüngsten Werk anscheinend keine paternale Torten-Rolle gegönnt hat – ein Bruch in seinem Oeuvre?
Vermutlich müßige Spekulation. Vorerst gilt es nur, sich auf VALLANZASCA – GLI ANGELI DEL MALE zu freuen, einen Film, von dem ich mir nichts geringeres verspreche als einen hochgradig billigen, superfiziellen Gangsterploitation-Film, wie ihn dieses Jahr vielleicht einheimische Radieschenregisseure a là Uli Edel oder Dennis Gansel gedreht hätten, wären sie Italiener.

Dieser Beitrag wurde am Montag, Dezember 13th, 2010 in den Kategorien Aktuelles Kino, Ältere Texte, Blog, Blogautoren, Christoph, Festivals, Filmschaffende veröffentlicht. Sie können alle Kommentare zu diesem Beitrag über den RSS 2.0 Feed verfolgen. Sie können diesen Beitrag kommentieren, oder einen Trackback von ihrer eigenen Seite setzen.

4 Antworten zu “Michele Placido, coole Gangster und die Mafia”

  1. Sano on Dezember 13th, 2010 at 12:56

    Der Trailer sieht schon sehr stylish und trashig aus. Könnte Spaß machen – informiere mich also, wenn du den Film in die Finger bekommst. 🙂

    Übrigens habe ich mir in den letzten Tagen mal wieder ein paar Teile der ziemlich langen Fantagiro-Fernsehfilme von einem deiner Favoriten, Lamberto Bava angesehen. Erwähnenswert wegen Kim Rossi-Stuart, der da wohl seine Paraderolle als Schönling zu spielen hatte. Finde ihn übrigens als Schauspieler äußerst talentiert (oder ist das in deinen Augen das berühmte „gegen den Strich“ besetzen? 😉 ), und er dreht ja inzwischen wohl auch Filme als Regisseur.
    Weißt du was darüber?

    Ansonsten scheint aber in Italien (wie in den meisten europäischen Ländern) das Fernsehen das Kino gefressen zu haben. Was bekanntlich beiden zum Nachteil geworden ist.

  2. Schwanenmeister on Dezember 13th, 2010 at 22:39

    Movies & Sports berichtete bereits lang, breit und vor allem fundiert im Mai:

    http://negativespace.blogger.de/stories/1631471/

    Und Damon Wise (Empire) war in Venedig ein großer Fan, aber der findet allgemein sehr viel gut – das hat also keine allzu große Aussagekraft. Ich freue mich trotzdem. Dt. Kinostart, wenn nicht mehr verschoben wird, ist 3. Februar.

  3. Christoph on Dezember 14th, 2010 at 03:58

    @ Schwanenmeister: Stimmt, das habe ich damals sogar gelesen, aber einfach wieder vergessen. 😆 Bin nämlich ein begeisterter Leser von diesem „Movies and Sports“.^^

    Leider wird der wohl wieder überall nur deutsch synchronisiert laufen..

    @ Sano:
    Kann schon sein, dass der Kim etwas kann. Ich habe ja eigentlich überhaupt nichts über ihn als Schauspieler geschrieben sondern etwas von „falben Schönlingen wie…“. Auch falbe Schönlinge können theoretisch mit Können glänzen, auch wenn Rossi Stuart das in Placidos ROMANZO CRIMINALE (wo aber eigentlich niemand mit Können glänzt) nicht getan hat. Vielleicht sind seine Regiearbeiten, von denen ich durch dich gerade zum ersten Mal höre, besser als seine Darbietungen vor der Kamera.
    Die Fantaghirò-Filme würde ich inzwischen ja doch gerne einmal wiedersehen, da sich mir, wie du weißt, in der Zwischenzeit in Lamberto Bavas TV-Horrorfilmen die luftige Schangel- und campige Filmebenen-Verschachtelungskunst offenbart hat und da schreckt mich das Label „TV-Fantasy für Kinder“ bei Fantagiro dann auch nicht mehr ab.

    Ansonsten ist es dem Italienischen Kino genauso ergangen wie dem Deutschen, nur dass die Italiener natürlich noch mehr verloren haben als die Deutschen, da sie schon immer etwas… äh… vielseitiger waren.

  4. Sano on Dezember 16th, 2010 at 02:58

    Was du zu den Fantaghirò-Flmen wohl sagen wirst… Erinnere mich an deine Reaktion zum Pippi Langstrumpf-Film, den wir letztens zusammen angeschaut haben. Und das ist noch einmal ein ganzes Stück drunter, naja was sage ich da, im Grunde noch einmal in einem eigenen Universum – wenn du verstehst was ich meine…

    Wie auch immer. Ich brauche mehr Lamberto Bava. Und Michele Soavi. Und überhaupt. Ersteinmal werde ich mich aber an weitere Fulcis ranmachen. Versprochen. 😉

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