Deutsche Lieblingsfilme #15 und #16 online

Mit zwei Filmen, die während des Nationalsozialismus gedreht worden sind, hat Sano zwei weitere Einträge für den ewigen Kanon der 100 besten deutschen Filmerzeugnisse verfasst. Jeweils genauer zu begutachten sind sie hier und hier.

Das Leben, Das Universum, und der ganze Rest

Liebe Blog-Gemeinde,

es ist leider Gottes Teil unserer elenden conditio humana, daß wir alle mehr oder weniger tiefgreifende Probleme haben, uns tag ein tag aus damit herumschlagen, Gesundheit, Beziehung, Karriere, gesellschaftliches und politisches Leben. Sie alle zwicken uns und drücken uns, nur weil wir eine, erschreckend simple Wahrheit einfach nicht wahr haben wollen, weil wir uns habituell selbst belügen und in unserem anerzogenen Masochismus einfach nicht gücklich sein wollen oder können. Daher haben uns wir, liebe Gemeinde, heute entschieden, mit diesem elenden Zustand bei uns allen ein für allemal ein Ende zu machen, einfach allen und jeden, der es hören will, auf einen Schlag darüber zu informieren, wie er mit einem Schlag all diese Läuschen ein für allemal aus seinem Pelz bekommt und fürderhin ein vor Glück, Zufriedenheit und noch viel wichtiger Geld, Schmuck und Autos nicht nur erfülltes, sondern geradezu überbordendes Leben führen wird. Darum, liebe Blog-Gemeinde, reichen wir einander die Hände, stimmen wir ein in den Chor der vier Prozent glücklicher, zufriedener über das alles umspannende und doch gar so simple Geheimnis aufgeklärter Menschen, mit der alten fränkischen Volksweisheit: Lieber reich und gesund als arm und krank!



100 Deutsche Lieblingsfilme #16: Ein Walzer für Dich (1934)

In einem Fantasiestaat tritt ein Tenor die Nachfolge als Herrscher an, während die bisherige Thronfolgerin abgesetzt wird, weil sie eine Frau ist. Es folgen ein paar kleinere Verstrickungen und Geschlechterrangeleien, bis schlussendlich das erwartete Happy-End eintritt. Bei so einem Thema kommen mir unverzüglich Vergleiche zu Lubitschs musikalischen Komödien der frühen 30er. Aber im Gegensatz zu Lubitch, bleibt bei Georg Zoch alles Skizze. Dem Präzisen tritt das Fahrige gegenüber, dem ausgeklügelten Humor kleine kabarettistische Späße. Und die Handlung wird mit einer Beiläufigkeit abgespult, dass jedem Drehbuchautor die Haare zu Berge stünden. Genau das macht aber den enormen Reiz dieses Kleinods aus. Viele Szenen scheinen improvisiert, oft wurde wohl auf eine wiederholte Aufnahme einer nicht vollständig gelungenen Szene verzichtet, und man hat das Gefühl den Schauspielern noch im Probenprozess zuzusehen. Insgesamt erweist sich die Zusammenführung von vier völlig unterschiedlichen Charakteren und deren unausweichliche Auflösung in zwei Liebespaare als Glücksgriff. Nichts passt so richtig zusammen in diesem Film, aber es spielt einfach keine Rolle. Neben der teilweise experimentierfreudigen Kameraführung und dem mäandernden Plot, sind es vor allem die Schauspieler die sich nach belieben austoben dürfen.

Ursprünglich war Ein Walzer für Dich – wie es auch der Titel bereits nahelegt – wohl um den damals erfolgreichen Sänger Louis Graveure konzipiert, der im Film immer wieder auf amüsante Weise schauspielerisch überfordert wirkt, sich aber vor allem durch seine zahlreichen Gesangseinlagen dennoch überzeugend über die Runden zu retten weiß. Heinz Rühmann und Theo Lingen sind heutzutage wahrscheinlich noch die bekannten Namen aus diesem Film. Wer mir jedoch mehr imponiert hat als diese zwei Herren, waren die beiden Hauptdarstellerinnen Camilla Horn und Maria Sazarina. Horn besitzt genuine schauspielerische Qualitäten, die sich in manchen Szenen tatsächlich entfalten können, während Sazarina durch ihre Unbekümmertheit und zwei großartige Tanzeinlagen zu überzeugen weiß, und durch ihre nonchalante Präsenz (so widersprüchlich es auf den ersten Blick auch erscheinen mag) so etwas wie den nötigen Ruhepol im ungezwungenen Durcheinander der filmischen Konstruktion bildet.

Im Grunde kann man Ein Walzer für Dich als Vorgänger der späteren Schlagerfilme die in Westdeutschland in den 60ern und 70ern so populär wurden betrachten. Was ihn jedoch von diesen unterscheidet, ist seine genuine Verspieltheit und das scheinbar damals noch vorhandene Interesse an der Musik, welches wohl mit der Neuheit des Tonfilms zusammenhing. Vieles erinnert auch einerseits an die ausgestellte Künstlichkeit mancher amerikanischer Musicals der frühen 30er (siehe z.B. Ray Enrights Dames), andererseits an die beginnende Screwball-Comedy gekoppelt mit den freizügigen Geschlechterdarstellungen vor der Durchsetzung des Hays-Codes. Das eine so „undeutsche“ und beiläufig anarchische Aufeinanderfolge von Sketchen und Musiknummern als Film verpackt noch 1934 die Zensurstellen der Nazis passieren konnte, spricht für die ganz eigenen Gesetzmäßigkeiten der Filmkunst.


Die Fassung die ich sehen konnte, war leider nur 78 Minuten lang, und entsprach wohl der 1954 wiederaufgeführten Version mit dem Titel Hilfe, ich bin Minister. Was genau fehlt, konnte ich nicht herausfinden, jedoch vermute ich, dass es sich vor allem um Filmrisse und schlecht erhaltenes Material handeln könnte, da die für die DVD abgetastete Kopie erhebliche Qualitätsschwankungen aufzuweisen hat. Eine zusätzliche Möglichkeit wäre das Fehlen der vollständigen Tonspur, bzw. ihre zu starke Beschädigung, da deren Restaurierung Anfang der 50er für einen Kinoneustart zu aufwendig gewesen sein muss.

Ein Walzer für Dich – Deutschland 1934 – 94 Minuten – Regie: Georg Zoch – Drehbuch: Hans H. Zerlett, Georg Zoch – Produktion: Vahayn Badal – Kamera: Willy Winterstein – Musik: Will Meisel – Liedtexte: Hans H. Zerlett – Schnitt: Alwin Elling – Bauten: Erich Czerwonsky – Darsteller: Louis Graveure, Heinz Rühmann, Camilla Horn, Maria Sazarina, Theo Lingen, Fritz Odemar, Adele Sandrock

Neues Buch über Rudolf Thome


Endlich ist das neue Buch über Rudolf Thome und seine Filme erschienen. Bisher gab es meines Wissens nach nur ein zwar sehr schönes, aber inzwischen doch schon arg überholtes Heft der Freunde der Deutschen Kinemathek (Nr. 66 – Rudolf Thome) aus dem Jahr 1983 (bestellt werden kann es im Internet z.B. noch hier).  Seitdem hat Thome, der mit zunehmendem Alter scheinbar immer fleißiger wird, bereits 18 weitere Filme abgedreht. Bei seinem neuesten Werk Das Rote Zimmer, das voraussichtlich nächstes Jahr in die Kinos kommt, hat er vor wenigen Tagen die Dreharbeiten abgeschlossen und sitzt gerade an der Montage. Thome dokumentiert seine Arbeit schon seit mehreren Jahren im Internet, wo man Einblicke in seine Drehbücher bekommt, und z.B. den täglich aktualisierten Bericht über die Dreh-  und Schneidearbeiten auf seiner Website mitverfolgen kann.

Weiterlesen…

100 Deutsche Lieblingsfilme #15: Der Engel mit dem Saitenspiel (1944)

„Sie sind zurückhaltend und dabei fühlt man sich beständig herausgefordert. Ihre Ruhe ist eine Art komplizierter Nervosität. Wenn sie hilflos sind besitzen sie dafür eine tödliche Sicherheit. Wenn sie bekümmert sind machen sie das mit einem heiteren Lächeln. Wenn sie sich freuen hat man das Gefühl sie sind im Grunde traurig. Kurz und gut: sie widersprechen eigentlich ständig auf eine bezaubernde Weise ihrer eigenen Existenz.“

Vielleicht sieht man den Schauspieler Heinz Rühmann am Besten als Regisseur. Dass er sich selbst zu inszenieren wusste, wird in jedem Film in dem er Auftritt klar. Wie er das macht, und was er damit ausdrücken möchte, sieht man jedoch deutlicher wenn er als Filmemacher auftritt. In Der Engel mit dem Saitenspiel führt er die Schauspieler durch ein Melodram das keines ist. Komödiantisch fängt es an, wobei es zunächst eigentlich nichts zu lachen gäbe. Dramatisch geht es weiter, und am unangenehmsten wird der Film als sich eigentlich schon alles aufgeklärt zu haben scheint. Innerhalb eines vor allem in den Nebenrollen brillanten Darstellerensembles (mit u.a. Erich Ponto und Lina Carstens) liegt der Fokus auf der Beziehung zwischen 2 Figuren, gespielt von Hans Söhnker und Rühmanns Ehefrau Hertha Feiler. Wenn sie ein Kind von ihm bekommt und er es erfährt, kriegen wir es nie zu Gesicht, spielt es selbst keine Rolle. Der Engel mit dem Saitenspiel versucht schon beinahe penetrant dem Sentimentalen aus dem Weg zu gehen, und alles Überflüssige aus der Inszenierung zu verbannen.

Während der Kriegszeit entstanden, spürt man das Unglück und die Verzweiflung im Verlauf des Films immer stärker, obwohl Rühmann die Handlung zunächst ins Jahr 1938 verlegt und auch später der Krieg nicht vorkommen wird. Keine Nazisymbole, keine Naziideologie. Vielmehr wird ein idealistisches Menschenbild gezeichnet, in dem die Protagonisten ihre Egoismen und Unsicherheiten überwinden müssen um glücklich zu werden. Jedoch ist es ein spezifischer Idealismus, denn wie im Märchen ist des einen Glück des anderen Pech, und das glückliche Ende eine unnötige Coda, eine nachträgliche Beruhigung, dass alles Schlimme einmal ein Ende hat. Rühmann zeigt die Menschen nicht nur wie er sie gerne hätte, sondern auch wie er sie sieht. Seine größte Stärke neben der präzisen Inszenierung von Worten und Räumen ist hierbei die Beobachtung. Oberflächlich opulent und innerlich reduziert besteht die eigentliche Stärke in der Widersprüchlichkeit von Allem das uns gezeigt wird. Nichts ist so wie es scheint: das Innere der Menschen kann man nur erspüren, und dennoch versucht Rühmann dem Zuschauer alles offen zu legen.

In einer der Schlüsselszenen des Films, sehen wir alle wichtigen Personen auf einer Verlobungsfeier versammelt. Sie lachen, sind scheinbar vergnügt, doch wie in den intimsten Augenblicken bei Yasujiro Ozu beherrscht Bitterkeit und Verzweiflung diesen Moment. Im Gegensatz zur Innerlichkeit und der Akzeptanz des Schickslas bei Ozu treibt Rühmann den Widerspruch zwischen Innen und Außen jedoch ins Absurde, um ihn in einer musikalischen Sequenz, die die Narration auf den ersten Blick unterbricht, ins Leere laufen zu lassen. Zwänge, Wünsche, Entschlüsse und Widersprüche sind von den Figuren erschaffen, die Bewegung verläuft bei Rühmann von Innen nach Außen. Erkenntnis folgt dadurch nicht aus Einsicht in die Welt, und ist nicht Akzeptanz. Erkenntnis ist Kampf, entsteht aus innerer Einsicht und basiert auf Entscheidungen. Vielleicht gibt es in der Welt von Heinz Rühmann nichts außer dem Menschen.

Der Engel mit dem Saitenspiel – Deutschland 1944 – 101 Minuten – Regie: Heinz Rühmann – Drehbuch: Curt Johannes Braun, Helmut Weiss – Produktion: Heinz Rühmann – Kamera: Ewald Daub – Musik: Werner Bochmann – Schnitt: Helmuth Schönnenbeck – Darsteller: Hertha Feiler, Hans Söhnker, Susanne von Almassy, Otto Graf, Hans Nielsen, Lina Carstens, Erich Ponto, Emil Hess, Paul Rehkopf

Gespräch mit Hélène Cattet & Bruno Forzani (AMER)

Schon vor einigen Tagen startete das jeden Sommer stattfindende Fantasy Filmfest in Berlin und tourt nun mit über 60 Filmen von 17.8. bis 9.9.2010 durch insgesamt acht deutsche Städte. Zu den präsentierten Filmen gehört unter anderem AMER, den wir nachdrücklich empfehlen möchten und der eindeutig zu den Filmen des diesjährigen Programms gehören dürfte, die am stärksten von einer Kinosichtung profitieren und daher nach Möglichkeit auf der großen Leinwand gesehen werden sollten. Wir sahen den Film bereits beim Filmfest München und ergriffen nach der Vorstellung kurzentschlossen die Gelegenheit, ein Interview mit den Regisseuren Hélène Cattet und Bruno Forzani zu führen, die sich als außerordentlich sympathisch und enthusiastisch erwiesen und im Gespräch den Eindruck bestätigten, dass es sich bei AMER um eine labour of love zweier leidenschaftlicher Giallo-Fans handelt. Weiterlesen…

Der Hofbauer-Report: Was Cineasten und Kritiker nicht für möglich halten!

Presseschau zu den neuesten Entwicklungen in der Hofbauer-Kontroverse

Eine ungewöhnlich heftige Kontroverse erschütterte in den vergangenen Tagen die Cine-Welt. Was sich in den letzten Wochen schon in einigen Kommentaren und Bewertungen ankündigte, fand mit der Veröffentlichung einer euphorischen Kritik sowie eines Kurzkommentars zu EROTIK IM BERUF auf Eskalierende Träume ihren vorläufigen Höhepunkt und sorgte innerhalb kürzester Zeit für eine bislang nicht für möglich gehaltene Welle an empörten Reaktionen und erhitzten Diskussionen. Die Brisanz der Debatte vermitteln einige ausgewählte Zitate aus Zeitungen und Zeitschriften, aber auch aus Interviews und Gesprächen. Auch aus dem Umfeld von Eskalierende Träume wurden zugleich weitere Pläne bekannt. Im Folgenden soll ein erster Überblick über die vielfältigen Kommentare gegeben werden. Weiterlesen…

Directed by Robert Hampton #1: Der Tod zählt keine Dollar (1967)





Riccardo Fredas einziger Western scheint wie eine Kriegserklärung an den Italowestern und seine filmischen Gesetzmäßigkeiten. Es ist unglaublich, mit wieviel diebischer Freude hier eine Genreübliche Geschichte in eine absurde Abfolge einzelner Sequenzen zerlegt wird und wie Freda die mondän-schwebende, zugleich schwermütige Unwirklichkeit seiner Horrorfilme in den spanischen wilden Westen verpflanzt, alledings ohne dabei, so wie Sergio Garrone zwei Jahre später mit DJANGO IL BASTARDO, einen Gothic-Horror-Western zu drehen.

Gemeinsam mit dem Kameramann seines Vertrauens, Gabor Pogany, setzt er den Großteil seiner Szenen, die oft ohne dramaturgischen Zusammenhang scheinen, in langen, statischen Totalen um, die sich meist nur im Schnitt brechen. Der Zoom, der Schwenk und der Close up, die drei essentiellen Eckpfeiler des Italowesterns, kommen selten bis nie zum Einsatz.

Der Close up entsteht meist nicht durch einen Zoom sondern durch einen Schnitt und taucht oft in unauffälligem Kontext auf. Der Schwenk ist beinahe immer getragen und weitgehend absent in den wenigen Actionmomenten. Der Zoom schließlich ist überwiegend zur kriechenden Langsamkeit verdammt. Geschwindigkeit speist sich meist erst aus den Aktionen des von Mark Damon mit anzüglichem Draufgänger-Gehabe gespielten Protagonisten, der gleich in der ersten halben Stunde einige der bizarrsten und unsinnigsten Schlägereien der Genre-Geschichte vom Zaum bricht. Ungewöhnlich für den sonst eher keuschen – allerdings nie verklemmten – Freda ist überhaupt die Vielzahl an Anzüglichkeiten, die hier ihren Weg in die Dialoge und vor allem in die Bilder gefunden haben.

In einer besonders amüsanten Sequenz kutschiert Mark Damon Pamela Tudor zu ihrer Farm. “Wissen Sie Harry, ich bin wirklich beruhigt, dass sie mich nach Hause bringen!” – “Na, das Wetter heute ist ja auch sehr schön!”.

Die Kamera filmt vom Pferderücken aus, Damons Hand mit den Zügeln ist das Zentrum des Bildes. In dieser Sequenz, wie auch in den meisten anderen entscheidenden Momenten des Films, verschlägt der Musikeinsatz die Sprache: In erbitterten Wortgefechten, die in anderen Western musikfrei verlaufen wären, tingelt Saloon-Musik, ein Streitgepräch zwischen Damon und Tudor bekommt einen campigen Bach-Verschnitt verpasst und die finale Schlägerei wird untermalt mit elektronisch verfremdeten, hallenden Grunztönen, die den Film endgültig dem anachronistischen Wahnsinn die Arme treiben. Und dann ist da doch wieder für einen Moment der gothische Freda, wenn die ersten Auftritte des namenlosen, schwarzgekleideten Rächers inszeniert werden wie die Auftritte des Killers in einem Giallo. Einem stummen Giallo. Nicht selten entweichen unvermittelt die Klänge aus den Bildern und für einen Moment herrscht eine irritierende Stille, bevor sich eine Sequenz in jenem herben, abstrakten Witz entlädt, der diesen eigentümlichen Anti-Italowestern beherrscht.

Was nach einer letzten, atemberaubenden Frivolität – Heldin: “Verzeih mir, dass ich einen armen Sheriff verdächtigt habe!” – Er, grinsend: “Na ja, die Strafe wird dementsprechend ausfallen!” – bleibt ist ein von schwer definierbarer gestalterischer Seltsamkeit, die sich exklusiv aus seinem Genre-Kontext ergibt, beherrschter Film. Den man ernstnehmen kann. Aber man muss nicht. Wie so oft bei Fredas Filmen bleibt der Regisseur selbst chryptisch und zuckt mit dem unmerklichsten Anflug eines Lächelns seine Schultern.







LA MORTE NON CONTA I DOLLARI – Italien 1967 – 87′ (Dt. Fassung), 93′ (It. Fassung)
Regie: Riccardo Freda (als George Lincoln) – Buch: Riccardo Freda, Luigi Masini – Kamera: Gábor Pogány – Schnitt: Luigi Amedei – Musik: Nora Orlandi, Robby Poitevin

>>> Directed by Robert Hampton #2: The Spectre (1963)
>>> Directed by Robert Hampton #3: Das Schwert des roten Giganten (1960)
>>> Directed by Robert Hampton #4: Hadschi Murad – Unter der Knute des Zaren (1959)
Directed by Robert Hampton #5: Geheimauftrag CIA – Istanbul 777 (1965)

Erotik im Beruf – Was jeder Personalchef gern verschweigt (1971)

Ein unfassbares Meisterwerk. Ein bißchen führt der Film das zuende, was Fassbinder wahrscheinlich immer gerne gezeigt hätte, sich aber nie zu filmen wagte: Den Deutschen nicht in seinem natürlichen Lebensraum (Gardinen-Küche mit Eckbank) sondern auf freier Wildbahn (Straße und Firma!) so zu filmen, wie er wirklich ist: Ein hundsmiserables, bis zur Elendsgrenze verkrampftes, verklemmtes und von Habsucht, Neiderei und alltagsfaschistischem Sex-Zynismus zerfressenes Sonderwesen. Wäre Fassbinder ein echter Dorfbuasch statt eines Arztsohns gewesen, er wäre zu diesem letzten, konsequenten Schritt fähig gewesen. Aber es macht nichts, dass er steckengeblieben ist im Feingespinst intellektueller Differenzierungswut. Steckengeblieben auf halber Strecke zum kackbraunen Herz des Deutschtums. Das braune Herz, in diesem dadaistischen Germano-Schocker repräsentiert durch das sleazokalyptische, geil-ekelerregende Finale, einen schunkelnden Betriebsausflug, auf dem selbst der stocksteifen und ungefickten Personalchefin alle Hemmungen abhanden kommen.

Das alles macht nichts, denn niemand versteht sich so brillant und mit soviel derber Konsequenz darauf, in die Jauchegrube deutscher Durchschnittlichkeit zu langen wie Ernst Hofbauer. Weiterlesen…

Nô (2003)

Der einzige Film auf der diesjährigen Berlinale der mich inspiriert hat direkt im Anschluß an die Sichtung etwas zu schreiben, war Sharon Lockharts . Nicht dass es keine anderen sehenswerten Filme gegeben hätte. Nur, so viele Assoziationen die auf den Zettel wollten (ich benutzte seit Ewigkeiten wieder Papier und Stift), drängten sich bei den übrigen Arbeiten nicht in meinem Kopf. Wie üblich, dauert es aber bei mir ein wenig bis ich manche Sachen hervorkrame oder Lust bekomme sie zu veröffentlichen. Das Standbild das ich oben eingefügt habe, scheint das einzig auffindbare zum Film zu sein. Nicht nur im Berlinale-Katalog (und in einigen wenigen Besprechungen im Internet) wurde es verwendet, sondern auch in der vorletzten Ausgabe von „cinema scope“, in der James Benning über den Film berichtet, den er vermutlich auch in Berlin gesehen hat. Und bereits während der Vorführung im Februar, in einer für eine Berlinale Vorstellung überraschend überschaubaren Runde, hatte ich mich gewundert, wer wohl so alles im Raum sitzen könnte.

ist kein ethnographischer Film im klassischen Sinne. Kein auf Film festgehaltenes Dokument eines Ereignisses, einer Situation oder einer Handlungsweise, bei der der Kameramann und/oder Regisseur versuchen würden nach Möglichkeit nicht in das ohnehin stattfindende Geschehen einzugreifen. Denn in ist alles für die Kamera inszeniert. Dennoch ist es ein Spielfilm, eine Rekonstruktion, die aber auch als Dokument gelesen werden kann. Was wir in vielen (vor allem älteren) Filmen sehen. und was sie immer auch zu Dokumentarfilmen macht, ist das tatsächliche Geschehen vor der Kamera zum Zeitpunkt der Aufnahme. Marlon Brando beim Spiel, die Pappkulisse eines Science-Fiction-Films aus den 50ern, die Studioaufnahmen bei Griffith. Sie sind alle immer noch so zu bewundern, wie sie in jenem Moment durch die Linse zu sehen waren. Im Gegensatz zum Trend der letzten 20 Jahre, in dem sich immer mehr Spielfilme zu Trickfilmen wandeln (denn die inzwischen allgegenwärtigen „Computer Generated Images“ im Spielfilmbereich sind nichts anderes als eine Weiterentwicklung der Matte Paintings), galt früher noch eher das Authentizitätsversprechen des Kinos. „What you see is what you get“. Wenn Anfang des 20. Jahrhunderts Schlachtenszenen, Krönungszeremonien und vieles mehr oft einfach im Atelier nachgespielt worden aind, lag das vielleicht nicht nur an der wenig entwickelten Tricktechnik und dem Pragmatismus mancher Filmemacher, sondern auch in einer anderen Wahrnehmungsweise von Realität. erscheint bei eingehender Betrachtung mit vielen Elementen dieses frühen Kinos verbunden.

Das Filmmaterial bildet bei der Aufnahme einen perspektivischen Raum ab. Wenn die horizontale Linie im Bildvordergrund nur wenige Meter Raum einnimmt, erhöht sich die Fläche im Hintergrund um ein Vielfaches. Daher ist es nur konsequent, wenn in die beiden Feldarbeiter die Strohhaufen nach vorne in Richtung Kamera kleiner stapeln.  Schließlich haben sie in ihrer Bewegung  innerhalb des Bildausschnittes mit dem Stroh unterschiedlich große Abschnitte auszufüllen, um das sichtbare Ackerland im Laufe des Schauspiels bedecken zu können. Was in der Realität auf einem rechteckigen Stück Land beobachtet irrational wirken würde, erscheint im Film folgerichtig. Der Film wirkt hierbei wie ein mathematisches Puzzle. Wir sehen immer nur den gleichen Bildausschnitt, doch indem die Figuren selbigen zunächst regelmäßig verlassen, erweitert sich der Raum potentiell ins Unendliche. Wir sehen nicht wohin sie verschwinden, ergänzen jedoch ihre unsichtbaren Aktionen aufgrund der Sichtbaren. Da sich die Figuren im Film immer in einem gleichmäßigen Tempo bewegen, verrechnet unser Gehirn die Zeit ihres Fernbleibens mit der auf diese Art zurückgelegten Strecke, woraus sich auch ein Teil unserer Auffassung des im sichtbaren Ausschnitt nicht wahrgenommenen Raumes ergibt. Sharon Lockhart spielt hier also mit verschiedenen Möglichkeiten der Bewegung in Raum und Zeit des Filmbildes, den Möglichkeiten ihrer Darstellung sowie Wahrnehmung. Die handelnden Personen ähneln in ihrer Anorndung Schachfiguren, wenn sie sich den gesamten Film über in präzisen Mustern bewegen. Hauptsächlich  in horizontaler und vertikaler Richtung unterwegs , spiegeln und überlagern sich ihre Bewegungen, wobei der Mann aufgrund seiner größeren Schnelligkeit oft den ersten „Zug“ zu machen scheint, auf den die Frau reagiert. Komplementäres herrscht vor, und während die Strohhaufen  auf die immer gleiche Art und Weise aufgehäuft werden, kommen mir Assoziationen zu Abzählreimen aus Peter Greenaways ebenfalls mathematischen Werken auf.

Wie dieser Ablauf in Wirklichkeit aussieht wissen wir nicht. Was wir sehen ist ein Ritual aus Fiktion und Realität. Lockhart macht uns diese (Re)Konstruktion jedoch bewusst, indem ihr Film eben auch davon handelt und sich selbst als solche ausstellt. Eine Verhandlung zwischen Gegebenheit und Idee, die im grunde jeder Film zu führen hat. Wenn aber im Laufe des Films einer der Arbeiter, eine Frau, sichtlich müde wird, und wir ihre Erschöpfung Stück für Stück beobachten können, ohne dass diese inszeniert wirkt, wird aber auch eine andere Art von Dauer spürbar, wird in diesem zunächst scheinbar mechanischen Schauspiel Arbeit als Erfahrung erlebbar. Durch den Versuch der durchgehenden Aufnahme, können wir in etwas über einer halben Stunde den dargestellten Arbeitsprozeß scheinbar unmittelbar miterleben. Dieses Geschenk der versuchten Authentizität ist aber dennoch immer Schauspiel.Wie im traditionellen Hollywoodfilm kann man auch bei vom unsichtbaren Schnitt reden, denn Lockhart ist hier ebenso bemüht diesen zu verschleiern, und den Zuschauer an das reibungslos inszenierte Geschehen zu binden. Dennoch ist ein Unterschied überdeutlich, denn nicht nur die Arbeit mit Schauspielern ist in einem Film mit so wenigen Schnitten eine Andere, erinnert eher an Theater als beobachtete Wirklichkeit, sondern auch die Lenkung des Zuschauers funktioniert etwas anders als gewohnt. Während man der Handlung ohne weiteres zu folgen vermag, treten Überlegungen zur technischen Apparatur des Kinos stärker als gewöhnlich in den Vordergrund. Dadurch befinden wir uns in einer paradoxen Situation, denn während die Zeiger der Uhr sich bewegen blicken wir gleichzeitig ins Gehäuse. Ein Spiel von Zeigen und Verdecken, in dem der Einsatz des Schnitts stellvertretend für die Herangehensweise des gesamten Films gesehen werden kann. Wird er einerseits versteckt und sozusagen „unsichtbar“ gemacht, erscheint er andererseits in eben dieser bewussten Verschleierung doch wieder aufs äußerste ausgestellt und „sichtbar“.

Der Reiz dieses Films liegt also in seiner präzisen Formulierung der filmischen Möglichkeiten, dem Ineinandergreifen von Kunst und Leben, der Vermittlung von Authentischem durch das Künstliche. Einerseits erfahren wir ähnlich der Sendung mit der Maus, auf welche Art Arbeitsvorgänge ablaufen, jedoch nicht durch Erklärung sondern durch Beobachtung. Eine Erfahrung auf diese Art vermittelt, wirkt um ein vielfaches exakter, reicher, lebensnaher als reine Information, da wir sie sozusagen in Echtzeit beobachten können obwohl sie filmisch komprimiert ist. Aber komprimiert wird uns zusätzlich auch eine Erfahrung des Filmemachens vermittelt. Ähnlich einem Dokumentarfilm über das Filmemachen selbst, sehen wir auch den Film bei der Arbeit, sehen den Vorgang seiner Entstehung indem wir ihn miterleben. Die Präzision der Information liegt wie es Bazin vielleicht ausdrücken würde, in ihrer Vielfalt, ihrer Reichhaltigkeit an Möglichkeiten der Auseinandersetzung. Durch Beschränkung und Fokusierung öffnen sich im Leben wie im Film oft andere Räume der Wahrnehmung. Und indem wir immer wieder zum Bekannten zurückkehren entdecken wir in ihm noch einmal etwas Neues.