Manchmal bringt einem auch die Überzeugung, dass auch zu den problematischten Filmen auf die ein oder andere Weise vielleicht doch ein Zugang zu finden wäre, der sie wenigstens bis zu einem bestimmten Maß zu ihrem Recht kommen lässt, sowie der Wille, eher nach den gelungenen als den misslungenen Seiten zu suchen, nichts mehr. Wider Erwarten ist der neue Film von Jim Jarmusch ein solcher Fall. Nicht, dass ich ein übermäßig großer Jarmusch-Fan wäre (habe allerdings auch nichts gegen ihn), aber der Trailer machte mir tatsächlich viel Lust auf den Film, während der Verriss von Roger Ebert und die Abweisung des Films in Cannes nicht wirklich abschreckten, sondern eher zusätzlich neugierig machten. Viel mehr hatte ich vorab nicht mitbekommen, weil es sich nicht selten als sinnvoll erweist, die eigene Rezeption nicht durch allzu ausgiebige Vorab-Informationen ungewollt im Übermaß beeinflussen zu lassen. Geändert hätte es wohl nichts daran, dass mir „The Limits of Control“ vollkommen schal und tot erscheint. Ein lebloses Konstrukt. Was nicht zwingend etwas schlechtes sein muss, weil sich auch unter einer solchen Maßgabe auf vielerlei Weise Gewinnbringendes entwickeln kann. Das Potenzial dazu ist auch im vorliegenden Fall fast durchgehend vorhanden. Es geht in weiten Teilen des Films um nicht viel mehr als einen mysteriösen namenlosen Mann, der viel läuft und wartet und Kaffee trinkt und gelegentlich andere mysteriöse namenlose Menschen trifft – dann werden Streichholzschachteln ausgetauscht und ein Weisheit suggerierender Spruch gereicht, und das alles in einer Darbietung, die Brücken zu Gangster-, Agenten-, Rache- oder Auftragskiller-Filmen, bevorzugt lakonischer französischer Art, zu schlagen versucht. Dieser äußerst reduzierte inhaltliche Minimalismus, die exzessive Stilisierung des Films und sein verblüffend umfassender Verzicht auf Psychologisierung wären ein ausgezeichneter Ansatz zu einer Reflexion über Zeichensysteme, über Codierungen filmischer Narration und Genre-Mechanismen gewesen. Ein konsequentes Überdrehen der Ästhetik ins Abstrakte, ins Surreale oder zumindest Ambivalente hätte den Stil dabei womöglich ein tragendes Eigenleben entwickelt lassen, in der tatsächlichen Ausführung jedoch läuft die Gestaltung schnell zielsicher auf einen Nullpunkt zu, der keine Möglichkeiten mehr eröffnet und kein Interesse generiert. Die Bilder und Kompositionen lassen an ihrem glatten, öden Hochglanz-Chic alles abperlen, sind in ihrer Leblosigkeit nur noch Behauptung und Demonstration. Bei einer anderen Arbeit von Kameramann Christopher Doyle, „Invisible Waves“, nannte Cargo- und Perlentaucher-Kritiker Ekkehard Knörer eine nicht unähnliche Art der Bebilderung „totgeboren“, was wohl recht treffend ist, mir im dortigen Fall allerdings noch ausgesprochen funktional und erstaunlich stimmig im Sinne einer Entsprechung und Übersetzung von Innen- in Außenwelten erschien (zugegebenermaßen hat ein Zweitsichtungsversuch Zweifel an diesem Eindruck entstehen lassen). Bei „The Limits of Control“ wiederum schlägt all das Gewollte und Drapierte, das um seiner selbst Willen Eingerichtete, Dekorierte, Ausgestellte voll durch, weil der Film sich nicht für Innenwelten, Emotionen oder Zustände interessiert (für Motivation oder Psychologie ohnehin nicht, wobei das keineswegs ein grundsätzlicher Nachteil ist) und zudem mit seiner Absage an jede Art von Lebendigkeit und (sozialem) Wahrhaftigkeitsgehalt dieser Praxis der Bebilderung erst recht den Resonanzboden entzieht, sie stattdessen an einen Gesamtzusammenhang verweist, in den sie sich kaum fügen will, so sehr wie jedes Bild nur für sich selbst steht und nur auf sich selbst gerichtet ist. Die penetrante, plumpe Aufdringlichkeit der (wenigen) Dialoge und der erzählerischen Struktur, die inhaltliche und formale Abläufe immer wieder als nicht zu hinterfragenden, klugen Einfall heraus zu kehren und als nur allzu bewusstes und beabsichtigtes Mittel zu betonen versucht, macht es nicht besser. Weil den Bildern zudem jede Offenheit zum Entrückten, alles Schwebende und Fließende und Uneindeutige abgeht, prallt auch die vom Film und seinen Figuren immer wieder nahegelegte (richtiger: gepredigte) Bedeutungs- und Möglichkeitenvielfalt, etwa ins Eingebildete oder Träumerische hinein, an ihrer sterilen, starren Oberfläche ab. Inhalt und Form lassen jede Kreativität, jeden Einfallsreichtum vermissen, von Verspieltheit ganz zu schweigen. Es ist noch nicht einmal so, dass ich die Dekoration um ihrer Selbst Willen prinziell ablehnen würde (im Gegenteil kann sich daraus mit der entsprechenden Originalität und Leidenschaft Tolles entwickeln), aber in diesem kalten Hochgestylten ist keine Lust, keine Experimentierfreude, kein Fetischismus, stattdessen lediglich Leere und ein mit punktuell forcierter Bedeutungsschwere angereichertes, konstruiertes, uninspiriertes Nichts ohne innere Spannung, ohne Faszinationskraft, Bewegung, Dynamik, Intensität. Eine Totgeburt, fürwahr, die sich spätestens ab der Hälfte zum quälend öden Ärgernis auswächst und jede Lust erlahmen lässt, sich die nichtsdestotrotz mitschwingenden bzw. aufgedrückten Diskurse (ob zur Philosophie oder zur Genre-Historie, denn selbst die Verweise zum Gangsterfilm à la Melville kommen kaum über die Behauptung hinaus) doch irgendwie zu erkämpfen. In seinem Präsentationsduktus ist der Film fast noch schlimmer als die jüngsten Werke von Kim Ki-Duk, und im Gegensatz zu den letzten Ausfällen von Coppola oder Argento noch nicht einmal mit Humor zu nehmen, nicht trotz, sondern gerade wegen all der hier weiterhin vorhandenen technischen Professionalität, die aber den Spielraum des Zuschauers eben nicht erweitert, sondern bis zum Ersticken verengt und limitiert. Kurzum: der Tiefpunkt meines bisherigen Kinojahres, nicht nur eine saftige Enttäuschung, sondern ein Totalausfall, der in der zweiten Hälfte zur Unerträglichkeit tendiert.
(Nachtrag: kurios, dass ich zwar an Knörers „Invisible Waves“-Text dachte, mir aber glatt entging, dass er, wie ich mir eigentlich spätestens nach Ansicht des Films hätte denken können, auch bereits zu „The Limits of Control“ einen Verriss mit ähnlichem Tenor schrieb – und dabei so präzise die entscheidenden Punkte trifft, dass ich mir wohl fast die Hälfte meines Textes hätte sparen und darauf verweisen können. Was soll’s, von diesem Film kann ohnehin nicht oft genug abgeraten werden.)
Jean-Luc Godard würde wahrscheinlich eine andere Bezeichnung bevorzugen, aber ich nenne das einfach mal ganz trivial-anglizistisch den Trailer, bzw. den Teaser seines (wie zumindest ich insgeheim hoffe) nicht nur nächsten, sondern auch letzten Lang“films“ SOCIALISME (vorraussichtlich im Cannes-Wettbewerb 2010, nehme ich an).
Meine zugegebenermassen exzessive, aggressiv-ablehnende Haltung zu Godard ist in der Vergangenheit unter mir und meinen werten Mit-Autoren schon häufig Anstoss fuer blutrünstige Diskussionen gewesen und angesichts dieses Clips, der wahrscheinlich den fertigen Film angemessen wiederspiegelt, zweifle ich keinen Moment daran, dass Godard, unter allen lebenden Autorenfilmern mein ganz persönlicher „pain in the ass“, mir in einem Jahr mit diesem „Film“ (sofern ich ihn mir zumuten sollte) ganz ähnliche Tiraden ekstatischen Hasses entlocken wird wie mit NOTRE MUSIQUE vor knapp vier Jahren. Immerhin scheint sich JLG nun auch der allgemeinen HDV-Euphorie angeschlossen zu haben, was natürlich irgendwie interessant ist.
Übernächstes Wochenende, am Samstag, den 6. Juni und Sonntag, den 7. Juni, findet in der Schauburg Karlsruhe das 2. Widescreen-Weekend mit dem Thema „In VistaVision, Technicolor und Perspecta sound“ statt. Nachdem die Schauburg sich mit ihrem alljährlichen und in dieser Form in Deutschland einzigartigen Todd-AO-70mm-Festival (das dieses Jahr nunmehr zum fünften Mal stattfinden wird, traditionell am ersten Oktober-Wochenende) bereits einen Namen gemacht hat, was die Wiederbelebung historischer und heute nahezu ausgestorbener Kinoformate angeht, wird dieses Spektrum seit letztem Jahr mit den immer am ersten Juni-Wochenende stattfindenden Widescreen-Weekends zusätzlich erweitert. Letztes Jahr lag der Schwerpunkt auf CinemaScope und 4-Kanal-Magnetton, dieses Jahr werden im Rahmen des VistaVision-Themas acht Filme gezeigt, darunter Meilensteine dieses Formats wie „Vertigo“ (in einer Restauration als 70mm-Kopie) und selten gezeigte Schätze wie „One-Eyed Jacks“ (als 35mm-Reduktionskopien im Technicolor-Druckverfahren, das im Gegensatz zu alten 70mm-Kopien keinerlei Farbfading verspricht) aufgeführt. Alle wichtigen Informationen zu diesem Festival gibt es an dieser Stelle, für weiterführende Informationen zu VistaVision im Allgemeinen ist zudem das Widescreenmuseum zu empfehlen.
***
Was gerade Fragen von Kinohistorie, Technik, Projektion sowie vergangene und zukünftige Umwälzungen hinsichtlich des Kinos als Filmaufführungsort betrifft, gibt es immer wieder interessante Beiträge im Blog „Kinoperspektiven“, dessen ursprünglicher Berliner Fokus sich schnell zu allgemeinen Betrachtungen erweitert hat, gelegentlich allerdings auch in ganz andere Bereiche abschweift.
***
Was weniger historisch, sondern eher am aktuellen Betrieb orientierte deutsche Filmfestivals angeht, steht Ende Juni das Filmfest München an. Hinsichtlich des Programms ist bislang lediglich bekannt, dass die alljährliche Retrospektive sich dieses Jahr Stephen Frears widmet und der ebenfalls alljährlich vergebene (und von der Aufführung einiger Werke des jeweils Ausgezeichnenten begleitete) CineMerit-Award an Michael Haneke verliehen wird. Beides nun nicht gerade besonders originelle Entscheidungen, eigentlich sogar, gerade im Zusammenspiel, das am wenigsten spannendste Retro-Angebot des Filmfestes München der letzten Jahre, aber das hängt sicherlich auch mit meiner Auffassung zusammen, dass ich bei Festival-Retrospektiven entweder selten zu sehende (bzw. selten ins Bewusstsein gerückte) Entdeckungen, wie sie in letzten Jahren die Retrospektiven zu Herbert Achternbusch oder der Makhmalbaf-Familie anboten, oder visuell überragende Werke, die von einer Wiederbegegnung auf der großen Leinwand besonders profitieren, bevorzuge. Beides trifft im vorliegenden Fall eher nicht zu, weil beide Filmografien weitgehend problemlos verfügbar und bekannt sind, während mich bei kaum einem der Filme beider Regisseure (obwohl ich einige ihrer Werke sehr schätze) eine Sichtung auf großer Leinwand übermäßig reizt. Aber da hat eben jeder seine eigenen Präferenzen. Andererseits kommt mir das auch recht gelegen, weil ich mich nach der Retro-Dominanz der Berlinale beim Münchner Filmfest ohnehin weitgehend auf die aktuellen Filme konzentrieren wollte. Dahingehend wird sicherlich auch dieses Jahr wieder einiges aus dem Cannes-Programm nachgespielt werden, wobei ich vor allem auf einige Filme der Cannes-Nebensektionen hoffe, während der Wettbewerb trotz vieler großer Namen dieses Jahr nach den Berichten zu urteilen offenbar dann letztlich doch nur wenige große Filme aufzubieten hatte (die ständigen unfertigen Fassungen, wie dieses Mal bei Tarantino und Noé, sind auch so ein Fall für sich) – einen „Vengeance“, „Wild Grass“, „A Prophet“ oder „Antichrist“ würde ich mir aber natürlich dennoch jederzeit gerne anschauen wollen. Noch viel schöner wären allerdings einige der auch dieses Jahr wieder ziemlich grandiosen Cannes-Restaurationen (allen voran natürlich „A Brighter Summer Day“), aber die schaffen es üblicherweise leider nur in den seltensten Fällen nach Deutschland. Ansonsten gibt es das komplette Programm des Filmfestes München ab 10. Juni auf der Homepage, im Rahmen einer Pressekonferenz wird es aber wohl bereits am 4. Juni vorab bekannt gegeben. (Nachtrag: einen ersten groben Überblick über die Filme der einzelnen Sektionen gibt es nun in der Pressemitteilung vom 4. Juni anlässlich der Programm-Pressekonferenz. Konkrete Filmtitel werden darin allerdings nur vereinzelte genannt.)
***
Zwei auf ihre Weise bemerkenswerte Trailer sind in letzter Zeit aufgetaucht zu, nun ja, doch eher verwunderlich anmutenden neuen Filmen von Enzo G. Castellari und Werner Herzog.
Zum Einen: der Trailer zu „Caribbean Basterds“, ein offenbar in Venezuela gedrehter „Clockwork Orange“-Rip-Off mit Ego-Shooter-Anleihen, der zunächst eher den Eindruck eines billig runtergedrehten Actioners für den schnellen Videotheken-Verzehr macht. Jedenfalls sieht das nicht gerade nach dem Spätwerk eines erfahrenen Kinoregisseurs aus, sondern eher nach einer durch den DV-Look dezent amateurhaft anmutenden Schlock-Granate, aber gerade die unverhohlene Exploitation-Attitüde inklusive des schönen Einfalls, das falsch geschriebene „Basterds“ von Tarantinos neuem Film zu übernehmen, nachdem Tarantino seinerseits den Titel von Castellaris „Inglorious Bastards“ übernommen hatte, ist vielleicht nicht ohne Reiz und angenehm trashig dürfte das Ganze ohnehin werden (den nun schon seit vielen Jahren geplanten letzten großen Italowestern von Castellari mit Franco Nero würde ich indes sicherlich bei weitem lieber endlich in Produktion gehen sehen), weckt aber auch Erinnerungen an die Flut von preisgünstigen DV-Exploitern, die ein anderer Italo-Exploitation-Veteran, Bruno Mattei, in den letzten Jahren vor seinem Tod (2007) überwiegend auf den Philippinen abgedreht hat.
Zum Anderen: der (Promo-)Trailer zu „Bad Lieutenant“, dem schon seit der ersten Ankündigung vielerseits mit Befremden erwarteten Copfilm von Werner Herzog mit Nicolas Cage. Der Trailer scheint die Aussagen, es würde sich nicht um ein Remake handelt, zu bestätigen, denn die Ähnlichkeiten mit dem Film von Abel Ferrara halten sich, vorsichtig ausgedrückt, offenbar wirklich sehr in Grenzen. Vielmehr stellt der ziemlich unfassbare Trailer mit seinen One-Linern und dem Overacting von Cage ein Werk für die Fußstapfen des „Wicker Man“-Remakes in Aussicht. Ein (womöglich auch in der ein oder anderen Weise durchaus beabsichtigter, im Sinne von humorig angelegter) wahnwitzig-bizarrer Totalausfall wäre vermutlich auch reizvoller als ein lahmer Geht-so-Film. Wirklich Gutes verspricht dieser Trailer jedenfalls wahrlich nicht, Spaß macht er dafür umso mehr…
***
Und in eigener Sache: ja, noch immer sind die Eskalierenden Träume noch nicht wirklich in Schwung gekommen, noch immer gibt es kein halbwegs brauchbares eigenes Blogdesign (oder wenigstens einen Banner), und noch immer gibt es technische Probleme. Zwar gibt es durchaus Absichten, das in Angriff zu nehmen, aber bei einem gerade in seiner Gesamtheit eben doch recht lethargischen und chaotischen Haufen (von dem so mancher, ich bspw., auch immer wieder mal in diesem fiesen Kreislauf steckt 😉 ) liegen Absichten und Taten halt manchmal etwas auseinander. Besonders deutlich zeigt sich das am Beispiel der diesjährigen Berlinale, die vier von uns durchgehend besucht haben, und eigentlich war geplant, zeitnah dann auch vier verschiedene Rückblicke zur Berlinale zu posten. Was wurde daraus? Drei Monate später hat keiner von uns Vieren auch nur eine Zeile Rückblick geschrieben – das spricht wohl für sich… Deshalb lässt sich auch weiterhin wohl nicht wirklich absehen, wann hier regelmäßiger als bisher Leben in der Bude ist bzw. das Ganze überhaupt mal wirklich startet. Mal sehen, was die nächsten Monate bringen, zumindest gibt es schon ein paar neue Ideen, und potenzielles Material in Form von selbst geführten Interviews und angefangenen Essays haben ein paar der Aktiven ohnehin bereits zu Genüge angesammelt, und dieses Material wird hoffentlich auch Verwendung finden. Nun, diese Anmerkungen nur mal am Rande.
Nach WHERE THE WILD THINGS ARE, der im Oktober in die amerikanischen Kinos kommen soll, hat Spike Jonze sich bereits der nächsten Verfilmung eines Bilderbuches angenommen : Taro Gomis beliebtem Klassiker EVERYONE POOPS. Bevor man sich den Trailer dazu zu Gemüte führt, sollte man vorher allerdings unbedingt den Trailer zu WHERE THE WILD THINGS ARE gesehen haben (hier z.B.).
EVERYONE POOPS TRAILER
Definitiv einer der am Liebevollsten gemachten Faketrailer, die ich in letzter Zeit gesehen habe.
Kino in Afrika – an was denke ich da zuerst? Meist an ausländische Darstellungen afrikanischer Lebenswelten durch französische, englische oder internationale Koproduktionen, oft mit Starbesetzung, einem wichtigen Thema, und guten Absichten. An Klassiker des afrikanischen Films, inszeniert von Djibril Diop Mambéty oder Ousmane Sembene und junge afrikanische Filmemacher, die heutzutage immer noch oft aus dem Ausland heraus operieren, wie z.B. der Kameruner Jean-Marie Téno. Und natürlich an Nollywood. Der Boom des nigerianischen Films, auf DV gedreht und zunächst auf Video vermarktet, ein ganz eigenes afrikanisches Phänomen, das Nigeria als Nation inzwischen neben den USA und Indien an die Spitze der globalen quantitativen Filmproduktion katapultiert hat.
Somit erwarte ich mir auch nicht viel Neues, als ich mich am gestrigen Freitag um 15.30 Uhr in Ermangelung eines Radios vor meinen PC setze, um mir auf Bayern 2 die Sendung Kino in Afrika: Die Wüste lebt anzuhören. Doch ich werde überrascht. Der angenehme, konzentrierte und informative Kommentar zeigt ein aufrichtiges Interesse an den Sorgen und Nöten afrikanischer Filmemacher, und ermöglicht durch die Verflechtung von Interviews und Hintergrundinformationen einen kompakten Einblick in Afrikas rege Kinoszene. Denn dass es hier, jenseits von Nollywood, primär um Kino geht, wird an den Schwerpunkten deutlich. Zwar werden auch Hoffnungen und Probleme der neuen digitalen Medien angesprochen, doch bleibt der Fokus auf 35mm gerichtet. Anhand der Länder Burkina Faso, Senegal und Marokko werden die Kernthemen Filmfestival, Filmhochschule, Filmproduktion und Kinosterben in 25 Minuten gekonnt herausgearbeitet.
Bei mir persönlich kam während des Beitrags nicht nur keine Langeweile auf, sondern auch das Gefühl alles schon mal so oder ähnlich gehört und gelesen zu haben stellte sich nur selten ein. Gebannt lauschte ich dem Livestream, und hätte nach der knappen halben Stunde gerne noch mehr gehört. Wunderbar unaufgeregt gestaltet, fühlte ich mich durch den Hörgenuß animiert mir nach der Sendung auch noch selbst Gedanken über das Thema zu machen – auch jenseits von Afrikas Zukunft. Der Beitrag ist definitv keine publizistische Eintagsfliege, sondern im traditionellen Sinne ein bereicherndes Erlebnis zum wieder-hören.
Wer ihn verpasst hat, muss sich jetzt aber nicht ärgern und mit meinem kurzen Umriss begnügen. Bayern 2 bieten auf ihrer Homepage nicht nur die komplette Sendung als Podcast zum anhören und herunterladen an, sondern für alle hörunwilligen Leseratten auch noch ein Manuskript. Was will man mehr?
PS: Die beiden Links zum direkten anhören bzw. download funktionierten bei mir zwar nicht, aber mit dem Realplayer (mit dem man auch fast alle Youtubeclips und ähnliches auf seinen Rechner bannen kann), hatte ich das Teil trotzdem in einer(!) Sekunde auf meinem Laptop. Habe aber gerade entdeckt, das das alte „Ziel speichern unter…“ doch noch funktioniert. War wohl zu naheliegend, um es sofort zu versuchen…
Oder: Der deprimierende Fall der heiligen Oscar-Kuh 2009
Warum fühlt man sich außerstande, dem strahlenden Lächeln dieses Films – zumindest sieht es danach aus – mit einem ebensolchen zu antworten? Wen kann man dafür verantwortlich machen, dass THE CURIOUS CASE OF BENJAMIN BUTTON, die Adaption eines an sich so vielversprechenden, theoretisch inspirierenden Stoffes, verfilmt von einem der interessantesten Hollywood-Regisseure unserer Zeit, künstlerisch so haushoch gescheitert ist? Eine kurze Überlegung zu der Veränderung des amerikanischen Studiosystems könnte der Beantwortung dieser Frage dienlich sein.
Wie es aussieht, wenn ein Film in seinem Produktionskontext von wirtschaftlichen Kalkulationen zermahlen und zu einem unförmigen Klumpen einzelner Fetzen zerknetet wird, hat die Filmgeschichte uns in enzyklopädischem Umfang in so ziemlich jeder möglichen Spielart gezeigt. Nicht nur der berüchtigte Fall eines nach Fertigstellung drastisch gekürzten und veränderten, ausladenden Werkes sondern auch der weit weniger berüchtigtere, ungleich brutalere Fall des noch während der Dreharbeiten abge- und ersetzten Regisseurs. Denn handelte es sich um eine nachträgliche Kastration, bestand immer noch die Chance auf eine spätere Transplantation des Entfernten, eine Restauration des zerkratzten Gemäldes.
Gewaltakte dieses Ausmaßes finden heute in Hollywood nur noch selten statt, das Kontrollsystem der Studios funktioniert perfekter denn je und lässt allzu arge Entgleisungen künstlerisch in den Wolken schwebender Regisseure nicht mehr so ohne weiteres zu. Oder aber, es wird unter den Tisch gekehrt um das Gesicht vor der Presse zu wahren. Die Filmgeschichte hat uns da schließlich zu aufgeklärten Menschen gemacht, die es außerordentlich gemein und niederträchtig finden, wenn einem armen Regisseur von rohen Produzenten sein Werk und seine Vision entrissen wird um des profanen Wettbewerbs willen. Diese Banausen.
Im Wesentlichen aber scheint man in der Traumfabrik heute schon im Vorfeld mögliche Risiken dieser Art soweit wie möglich auszumerzen, auf diplomatischer Ebene. Mach den Film so oder gar nicht. Wenn er überhaupt gemacht wird, dann so und nicht anders, sonst wird es ein Flop. Akzeptiere den Kompromiss, er ist besser als nichts. Wenn du dies, das und jenes sowie sonstiges tust, darfst du ansonsten machen was du willst.
Genau diese Zersetzung, dieses ordinäre Gegenteil von Risikobereitschaft und couragierter Publikumsdressur, ist letztlich für die verheerende Situation des aktuellen amerikanischen Mainstream-Kinos verantwortlich und sorgt für Unbefriedigendes, Enttäuschendes, Ärgerliches, Banales, Charakterloses, vornehmlich, sobald das Budget eine gewisse rote Marke übersprungen hat.
THE CURIOUS CASE OF BENJAMIN BUTTON hat diese Marke mit 150 Millionen $ ganz eindeutig weit hinter sich gelassen. Und auf die Diskussion, inwiefern die krumm, ungesund und verzerrt gewachsene Wirbelsäule dieses künstlerisch völlig windschiefen Films nicht die „Schuld“ von DavidFincher, immerhin – ob verdientermaßen oder nicht sei dahingestellt – das Wunderkind der postmodernen Schwingungen im amerikanischen Mainstream der 90iger, ist, möchte ich mich keinesfalls einlassen. Die Schuld trägt hier jeder und niemand, eher noch das soeben grob umrissene Phänomen der diplomatischen Sterilisierungs-Strategien denn eine bestimmte personifizierbare Institution.
Jedenfalls ist THE CURIOUS CASE OF BENJAMIN BUTTON als Film eben dem grausamen Schicksal seines Protagonisten gleich mit erlegen: Ebenso wie Benjamin Button keine Ausbildung einer Persönlichkeit, kein Reife-Prozess im irdischen Sinn oder schlicht und ergreifend eine mentale Unabhängigkeit von seiner Umwelt vergönnt ist [eher noch wird ihm all das mit völliger Beiläufigkeit vorenthalten], so bleibt all das auch dem von ihm erzählenden Film versagt. Ganz genauso wie Benjamin mit Erfahrungswerten – die er aber stets nur in abstrahierter Form erhält, behandelt und angesehen als Kind im Körper eines Greises und als Greis im Körper eines Teenagers – jongliert, ohne daraus ein wirklich pragmatisch verwertbares Resümee zu ziehen, so spielt auch der um seinen redundanten Prozess des Heranwachsens modellierte Film Ping Pong mit den Anforderungen, die an ihn gestellt werden, und zahllosen brillanten Einfällen seines Regisseurs, die dieser, aus welchen bei ihm liegenden Gründen auch immer, nicht in Einklang bringen kann mit den Anforderungen, von denen man nicht glauben möchte – wohl aber könnte – dass er sie auch an sich selbst stellt.
Denn THE CURIOUS CASE OF BENJAMIN BUTTON ist zuletzt wegen seiner unfassbar reizvollen und filmisch wahnsinnig herausfordernden Prämisse so kurios, sondern wegen der völligen Fahrig- und Biederkeit, mit der er zerfällt – in erbärmlichen, vulgären Acadamy-Kitsch der übelsten und schleimigsten Sorte und den leidenschaftlichen sowie – wenn er sich denn im Film einmal über einen gewissen Zeitraum und eine gewissen Anzahl von Szenen halten kann, ohne von ersterem unterbrochen zu werden – überzeugenden Versuch, ein episches Kino der Merkwürdigkeiten und Widersprüche im Formalen zu entwerfen. Dieses erinnert zwar – um im zeitgenössischen Kontext zu bleiben – stets ein wenig an die bemüht artifiziell-skurrile Keksdosen-Ästhetik eines Jean-Pierre Jeunet und an die ungesund-blässlichen, bzw. irritierend schrillen Moritaten eines Tim Burton, scheint sich aber eben dieser Assoziationen bewusst zu sein. Und deswegen unternimmt regelmäßig unterbewusst Versuche, mit schmelzender Geste zu demonstrieren, wie schwierig es ist, einen Stoff wie diesen heute, nach über hundert Jahren Filmgeschichte voll von epischen, ewigen, überlebensgroßen Film-Monumenten, noch so zu verfilmen, das sowohl der künstlerischen Leistung des Filmemachers Souveränität zugestanden werden kann als auch den Schatzmeistern hinter ihm.
Nur ein sentimentaler Höhepunkt eines Films, der vielleicht ein sentimentaler Schmachtfetzen höchsten Ranges hätte sein können, wäre er ein Produkt des Studiosystems der 40iger oder 50iger Jahre:
Benjamin trägt seinen sterbenden Vater – der stets unter Wert verkaufte Jason Flemying setzt mit diesem Part einige der wenigen darstellerischen Marksteine des Films – durch den verwucherten, in dekorativ-sinistres Graublau eingebetteten Garten einer alten Villa auf einen Bootsteg, um ihm, seinem jahrelang anonymen Vater, als Abschiedsgeschenk einen bezaubernden Sonnenaufgang über dem Meer zu schenken. Das pastellene Dottergelb des Sonnenstreifens am verhangenen Horizont, selbstredend sorgfältig aus CGI generiert, mischt sich mit den lieblich das Ohr umschmeichelnden und verklebenden Streichern Alexandre Desplats, der seinen Stil offenbar, wie schon sein berühmter Landsmann Maurice Jarre zu seiner Zeit (und wir wollen hier nicht vergessen, dass Jarres Hollywood-Einstand seine majestätische Vertonung des klassischen Über-Epos LAWRENCE OF ARABIA war), zunehmend amerikanisiert und im schlimmsten Fall in einigen Jahren das Niveau des späten John Williams erreicht hat. Und nach einer Totalen der beiden hintereinander sitzenden Männer vor dem Sonnenaufgang, schneidet Fincher abrupt zu einem Close up des Vaters. Hinter dem sich in nur geringer Entfernung, in Unschärfe gehalten und leise raschelnd, Benjamin niederlässt und, immer noch in der Unschärfe, seinen Vater mustert, ganz so, als könnte er dessen ausdrucksloses Gesicht vor sich sehen. Ein ebenso simpler wie virtuoser Kontrast in einem Schnitt, der die Situation überspitzt aber punktgenau erfasst. Und dann filmt Fincher zwischen den beiden Männern hindurch auf die sahnige Retorten -Sonne am Horizont und lässt Pitts Off-Stimme eine neuerliche, schlüpfrige Banalität von sich geben. Aufbau und Zerstörung einer Szene und ihrer Wirkung. Und alle Wirkung, die der Film sporadisch in seinen teils erschlagenden Bildern erzielt, wird stets dann zurück in den Boden der vor Pathos triefenden Konzession an den Massengeschmack zurückgeworfen, eingestampft bevor sie sich zurGänze entfalten kann. In dieser Sequenz liegt Fluch und Segen des Films, seine Ambition und sein Scheitern.
Sublime Licht- und Schattenspiele wie in der Episode um Elizabeth (Tilda Swinton), dem vermutlich einzig stimmigen Abschnitt des Films, wechseln sich ab mit „schönen Bildern“ aus der Konserve. Und man blickt plötzlich wieder zurück auf Finchers Erfolgsfilme SE7EN und FIGHT CLUB, in denen der ehemalige Videoclip-Regisseur mit ebenso vereinnahmendem wie flüchtigem visuellen Potenz-Geprotze „seine“ düstere Ästhetik des grünlichen Dämmerlichts, der Neonröhren und der ewigen, feuchtglänzenden Regennächte „erschuf“ – und mit ihr zwei der am vehementesten um Eindruck heischenden Kultobjekte der jüngeren Filmgeschichte, ätherischen Dunkel-Kopfkitsch für nachwachsende Kino-Generationen.
Und eben das ist das letzte, was man von Fincher nach seinem nüchternen Obsessions-Thriller ZODIAC erwartet und erhofft hatte. Wo Fincher dort eine multiperspektivische Studie über die Mechanismen, die Ökonomie und die populären Regeln der Figurenzeichnung im Film vornahm, fährt er in Benjamin Button seinen Charakteren bei jedem Anflug einer Unklarheit über den Mund und erklärt ihre emotionale Verfassung – und nur die – bis ins Detail, ein Gewaltakt, der sich kontinuierlich und blutig mit derangestrebten mystischen Aura, die sie umgeben soll, beißt. Was hier visuell impliziert und schlussendlich erzählerisch produziert wird, findet nie zusammen. Die erdrückende Dunkelheit, die über allem liegt, evoziert kaum die der Geschichte theoretisch innewohnende Tragik sondern scheint vielmehr das hysterische Pathos verschleiern zu wollen, dass ebenso erwünscht wie unliebsam scheint – von Seiten der Verantwortlichen. Es sind eher unbequeme Details, die dem Film seine dramaturgische Würde erhalten. Selten scheinen Benjamins Begegnungen mit Elizabeth und Daisy mehr als purer Sex zu sein – keiner der beiden traut sich zu, eine verbindliche Beziehung mit Benjamin, dem „völlig anderen“ und doch profillosen Mann zu führen und als er und Daisy endlich glücklich vereint sind, fallen sie doch lediglich in einen pragmatischen Genussrausch, trotz des Vorsatzes, sich niemals dem bürgerlichen Lebensrhythmus und Materialismus zu ergeben. Hier parfümiert sich der Film sogar kurzzeitig mit einem Hauch von Selbstironie, bevor er erneut mit seinem schwerfälligen Katz-und-Maus-Spiel zwischen inszenatorischer Passion und scheinheiliger Beschwörung einer scheinpoetischen Individualismus-Fantasie fortfährt.
So hantiert Fincher über zweieinhalb Stunden mit einem Füllhorn aufregender Einfälle zwischen sporadischem Ernst und anbiederndem Schwachsinn mit dem Ergebnis, dass man seine in Interviews gelegentlich bekundete Leidenschaft für das klassische Erzählkino verwünscht. Wie viel Scheitern die Produzenten auf sich nehmen müssten und wie viel Fincher selbst, das möchte und sollte man wahrscheinlich auch nicht mit Gewalt beurteilen wollen. Ich würde das insbesondere deswegen nicht tun, weil ich mir, trotz einer gesteigerten Skepsis gegenüber David Fincher, nicht recht sicher bin, ob THE CURIOUS CASE OF BENJAMIN BUTTON eher ein gescheiterter oder nur ein verunglückter Film mit starkem Fundament ist. Warum das nicht? Weil dieser pompöse filmische Kandisklumpen, egal wie peinlich oder großartig er zu welcher Zeit auch immer ist, nie mit sich ins Lot kommt und keine Balance findet – und so mit diversen ärgerlichen wie spannenden Ecken und Kanten aufwartet. Das müsste eigentlich zu dem Schluss führen, dass er, egal ob Schund oder rund, in jedem Fall interessanter und herausfordernder sein sollte als beispielsweise Robert Zemeckis’ FORREST GUMP, ein Musterbeispiel perfekt ausbalancierten und glatten Academy-Kitschs mit dem BENJAMIN BUTTON in Kritiken mit bemerkenswerter Beharrlichkeit und beeindruckender Undifferenziertheit permanent verglichen wird, mit dem überflüssigen, aber stets hämischen Hinweis, dass beide Filme auf das Konto des gleichen Drehbuchautoren gehen. Was wiederum dafür spricht, dass in diesem kuriosen Fall kurioserweise David Fincher nicht einmal mehr halb so ernst genommen wird wie einst. Und das ist wiederum, bei aller Faszination dieser bizarren kinematografischen Mutation, nicht besonders kurios – aber auch sehr schade.
Angesichts der Tatsache, dass mein Festival dieses Jahr überraschend gut angefangen hat, und ich bisher noch keinen(!) Film gesehen habe den ich nicht mochte, hatte ich die Motivation diesen Thread aufzumachen, um allen Interessierten ein kurzes Feedback über bisherige Sichtungen zu ermöglichen.
Ich mache gleich mal den Anfang und werde nach dem Vorbild von Lukas die Filme mal grob in drei Kategorien einordnen.
EDIT: Das mit den drei Kategorien, und somit mit bewertenden Einordnungen, klappt leider doch nicht. Bin halt meist nicht mehr für Bewertungen zu haben, und kann langsam nichts mehr damit anfangen. Damit das hier aber aus Zeitgründen nicht nur eine Auflistung aller gesehen Filme wird (was ich aber auf Anfrage gerne auch noch machen kann), gibts jetzt zumindest zwei Kategorien von mir: „Herausragend“ und „Ich rate ab“. Wobei letztere für manchen vielleicht durchaus wie die berühmten Filmdienstkritiken funktionieren könnte – ein Spaß der besonderen Art. 😉
Herausragend
Az Grafinyata „Ich, die Gräfin“ (Petar Popzlatev / Bulgarien / 1989) Igla „Die Nadel“ (Rashid Nugmanov / UdSSR / 1988) Optimistitscheskaja tragedija „Optimistische Tragödie“ (Samson Samsonow / UdSSR / 1963) Kutya éji dala „Nachtlied des Hundes“ (Gábor Bódy / Ungarn / 1983) Schwitzkasten „Clinch“ (John Cook / Österreich / 1978) The Exploding Girl (Bradley Rust Gray / USA / 2009)
Ich rate ab
Bisher immer noch keinen Zelluloidmüll zu Gesicht bekommen, und obwohl Ivy Hos „Claustrophobia“ für mich einer Folter schon sehr nahe kam, ist er für Fans von Hong Sang-soo uneingeschränkt zu empfehlen.
Auch wenn ich angefangen habe mich ein wenig von Herzog zu entfremden, so freue ich mich nach seinem soliden, oscarnominierten ENCOUNTERS AT THE END OF THE WORLD (auf den man in Deutschland als Kino- oder wenigstens DVD-Start immer noch vergeblich wartet), schon sehr auf seine Neuverfilmung, bzw. Fortsetzung von Abel Ferraras BAD LIEUTENANT, der nicht nur seinen ersten Zusammenprall mit Hollywood markiert (RESCUE DAWN als Quasi-Remake seines eigenen Werkes, noch dazu im Dschungel gedreht, zählt irgendwie nicht so richtig), sondern auf den ich vor allem wegen des Aufeinandertreffens von Herzog und dem Handlungsort New Orleans sehr gespannt bin. Wer immer noch Zweifel daran hegt, ob eine Quasi-Fortsetzung von Ferraras Meisterwerk Sinn macht, der sollte sich vielleicht einmal Herzogs gewohnt coole Reaktion auf den Ferrara-Diss, der der Crew der Neuverfilmung den Tod an den Hals wünschte, durchlesen.
Und Herzog befindet sich schon wieder inmitten der Dreharbeiten zu einem neuen Projekt mit dem Namen MY SON, MY SON, WHAT HAVE YE DONE?, einem Low-Budget-Horrorfilm, der sich um einen Mann dreht, der inspiriert von einem Sophoklesdrama seine eigene Mutter mit einem Schwert köpfte. Angekündigt wurde das Projekt auf dem letztjährigen Filmfestival in Cannes von Herzog und dem Produzenten des Films – keinem geringeren als David Lynch persönlich.
Screen Daily und Fangoria berichten nun über den Cast des Films, der sehr spannend aussieht: Michael Shannon, Willem Dafoe, Chloe Sevigny, Grace Zabriskie und Udo Kier sind mit dabei.
Und als ob das alles nicht schon aufregend genug wäre kehrte Herzog für die Dreharbeiten zu MY SON auch noch zum legendären Urubamba-Fluss zurück, wo er schon AGUIRRE und FITZCARRALDO drehte, wie er in einem Interview mit dem BFI verriet. Gefilmt werden soll übrigens ähnlich wie bei INLAND EMPIRE komplett in DV. Wenn man es so nennen will also nach NOSFERATU Herzogs zweiter Ausflug ins Horrorgenre und es spricht einiges dafür, dass MY SON, MY SON, WHAT HAVE YE DONE ähnlich außergewöhnlich geraten wird.
An dieser Stelle der Versuch einer Sammlung von Links zu filmbezogenen Internet-Portalen und Blogs, die zeitnah über die Berlinale berichten. Ergänzungen, Korrekturen und Hinweise sind ausdrücklich erwünscht und werden dankend angenommen.
Hier eine erste spontane und freilich ebenso subjektive wie unvollständige Sammlung von Links zu Seiten, bei denen erfahrungsgemäß mit zeitnahen Berlinale-Berichten/Besprechungen oder Weiterverlinkungen zu rechnen ist (vorerst überwiegend deutsche Seiten, weil mir bei den internationalen Seiten ein bisschen die Übersicht fehlt, welche davon von der bzw. über die Berlinale berichten – auch und gerade hier werden Hinweise dankend entgegen genommen):
Noch mal genauer zum Berlinale-Programm, das seit letzten Dienstag nun vollständig veröffentlicht ist. Eine große Enttäuschung ist die Hommage an Maurice Jarre, bestehend lediglich aus zwei (David-Lean-70mm-)Filmen, die zudem ohnehin in der Retrospektive gezeigt werden. Da hätte ich mir dann doch entschieden mehr erhofft, ein paar seiner Arbeiten mit Georges Franju wären bspw. im Kino sicher toll gewesen. So gestaltet sich das aber, gerade im Vergleich zur letztjährigen Hommage an Francesco Rosi, die rund ein Dutzend Filme umfasste, als eine ziemlich dürftige Angelegenheit. Vielleicht ist der Grund dafür auch ein wenig in der enormen Kostenintensität der 70mm-Retrospektive zu suchen, dort wiederum kann man sich jedoch über die Terminierung der Filme auch nur kopfschüttelnd wundern – dass die meisten Filme dieser Retrospektive lediglich ein einziges Mal gezeigt werden, und sich dabei teilweise sogar ersatzlos zeitlich überschneiden (!), ist eigentlich in jeder denkbaren Hinsicht unverständlich und ärgerlich. Nichtsdestotrotz freue ich mich besonders auf einige äußerst seltene Archivkopien, die dort zu sehen sein werden. Mittlerweile gibt es online auch die Kopien-Nachweise der Retrospektive. Demzufolge ist jedoch von BEN-HUR, obwohl es sicherlich einer der ultimativen 70mm-Filme ist, eher abzuraten, weil nur eine zwar farblich wohl noch gut erhaltene, aber im Bildformat von 2,76:1 auf 2,21:1 beschnittene ‚flat‘-Kopie gezeigt wird. Auch LAWRENCE OF ARABIA ist problematisch, weil Kopienmaterial, Farben und Licht jener neuen Kopie leider eher missglückt sind, wie ich vergangenes Jahr beim 70mm-Festival in Karlsruhe feststellen durfte. Hier sollte man sich also nicht zu viele Hoffnungen machen, auch wenn das natürlich Meckern auf hohem Niveau ist und eine 70mm-Kopie immer noch eine 70mm-Kopie ist und als solche wahrlich nicht alle Tage zu sehen. Ganz allgemein ist für einen möglichst originalgetreuen Eindruck vom Todd-AO-Verfahren dennoch ein Blick auf ältere Archiv- oder Erstaufführungs-Kopien eher zu empfehlen (von denen glücklicherweise ja auch einige bei der Berlinale gezeigt werden), denn das dort meistens unvermeidliche (im Falle der Berlinale-Kopien aber wohl ohnehin nur leichte) Farbfading ist problemlos verschmerzbar, wenn man dafür bessere Schärfe und vor allem unerreichten 6-Kanal-Magnetton bekommt, mit dessen Klangwucht der DTS-Ton der neuen Kopien nicht annähernd mithalten kann. Aber genug des kleinen Exkurses, und stattdessen noch ein Blick auf die anderen älteren Filme auf der Berlinale: im recht umfangreichen Panorama-Special ist bei genauerem Hinsehen für mich letztlich doch nur TAPAGE NOCTURNE, der rare zweite Filme von Catherine Breillat, Pflichtprogramm, im Forum-Special sind dagegen alle drei Filme essentiell, nämlich der restaurierte ARAYA und die beiden Filme von John Cook. Auch hier im Gegensatz zu letztem Jahr ein schmäleres Angebot, spontan fallen mir direkt sechs ältere Forum-Specials von 2008 ein (drei Mal Wakamatsu, MY BROTHER’S WEDDING, W.R. – MYSTERIEN DES ORGANISMUS, THE EXILES). Aus persönlicher Sicht ist es nun wahrlich nicht gerade der beste Deal, angesichts einer schlagartigen Verdoppelung der Akkreditierungsgebühr nun gleichzeitig plötzlich nur noch die Hälfte solcher Filme und Restaurationen zu sehen zu bekommen. Nun ja. Ausgesprochen interessant ist hingegen das Filmprogramm von Forum expanded, einiges davon habe ich mir als persönliche Pflichtveranstaltungen markiert, vor allem die Vorführung von WHEN IT WAS BLUE von Jennifer Reeves in 16mm-Doppelprojektion mit Live-Musik dürfte eine Gelegenheit sein, die man so schnell nicht noch mal bekommt. Aber auch ALL FALL DOWN von Philip Hoffman, LUNCH BREAK von Sharon Lockhart und die Filme von Ludwig Schönherr (dabei vor allem das Programm #1 mit ZOOM und DAS UNBEKANNTE HAMBURG) versprechen einiges, ebenso Wilhelm Heins MATERIALFILM PERFORMANCE, der aber leider nur ein Mal zu ungünstiger Zeit gezeigt wird. Auch Heinz Emigholz‘ SENSE OF ARCHITECTURE würde ich gerne sehen, der läuft aber an allen drei Aufführungen zeitgleich mit besonders seltenen Filmen/Kopien der 70mm-Retrospektive, was ihn dann schon aus rein pragmatischen Gründen ausscheiden lässt (zumal er im Gegensatz zu Emigholz‘ früheren Arbeiten in HD ist, sich in seiner materiellen Erscheinung also über kurz oder lang sogar im Heimkino reproduzieren lässt, was bei 70mm eben genau nicht der Fall ist). Das Hauptprogramm des Forums ist ansonsten wie meistens eine durchaus zwiespältige Angelegenheit, zumal man von den südkoreanischen Filmen und den US-Independents bereits eher ernüchterndes liest. Werde mich dort wohl eher auf die deutschen, japanischen und lateinamerikanischen Filme konzentrieren, auf letztere vermutlich auch verstärkt in Panorama und Generation, wobei es mir in beiden Kategorien noch immer an wirklicher Übersicht mangelt. Der Wettbewerb verheißt bei näherem Hinsehen wie befürchtet nicht wirklich Gutes – während es letztes Jahr mit Hong Sang-soo und Johnnie To wenigstens etwas aus dem Rahmen fallende Namen (mit zwei sehr schönen Filmen überdies) gab, gibt es bei der 2009er Auswahl momentan eigentlich keinen einzigen Film, den ich dort zwingend sehen müsste. Ein paar Glückstreffer oder Geheimtipps (letztes Jahr gab’s dort immerhin LAKE TAHOE zu sehen) dürften sich trotz allem dort verbergen, es ist nur noch nicht recht abzuschätzen, welche das sein könnten. GIGANTE könnte sich als solcher entpuppen, aber auch ein totaler Reinfall sein. Ansonsten behalte ich mal ABOUT ELLY, LITTLE SOLDIER und MILK OF SORROW im Fokus, und Moodysson, Tavernier und Costa-Gavras, aber allesamt eher als Lückenfüller, wenn sie sich im persönlichen Zeitplan gerade anbieten. Die meisten anderen Wettbewerbs-Filme starten ansonsten ohnehin in absehbarer Zeit regulär im Kino, und den Angelopoulos hole ich vielleicht nach der Berlinale noch in München nach. Ansonsten nehme ich im Berlinale Special sehr gerne PINK von Rudolf Thome mit, sofern er sich einbauen lässt (was bei De Oliveira und Olmi wohl leider eher nicht klappt). Das also vorerst mal zu meinen Festival-Planungen. Manches wird darüber hinaus sicherlich auch von Spontan-Entscheidungen, von zu füllenden Lücken im Zeitplan oder von kurzfristig aufgeschnappten Empfehlungen oder Warnungen abhängen.
In Form von Listen und Aufzählungen geäußerte Betrachtungen zum persönlichen Kinojahr 2008, das für mich weniger im laufenden Kinobetrieb, sondern überwiegend irgendwo zwischen Festivals und Retrospektiven stattfand…
Um trotz akuten Zeitmangels ein bisschen zur Blog-Belebung beizutragen, poste ich einen vor einiger Zeit für entsprechende Foren-Threads erstellten Jahresrückblick, der neben einem Blick auf die persönlichen Lieblingsfilme des aktuellen 2008er-Jahrgangs auch herausragende Kinoerlebnisse mit älteren Filmen (ob auf Festivals, bei Retrospektiven oder in Repertoire-orientierten Programmkinos) mit einbezieht, zumal ich im vergangen Jahr, wie bereits 2007, trotz einer dank Festivals sehr hohen Zahl an gesehenen aktuellen Filmen letztlich trotzdem mehr alte als neue Filme im Kino gesehen habe. Und überhaupt verdammt oft im Kino war, was neben dem cinephilen privaten Umfeld und einem ziemlich grandiosen regionalen Kinoangebot auch mit einer gestiegenen Zahl an Filmfestivalbesuchen zusammen hängt (StummFilmMusikTage Erlangen, Berlinale, Filmfestival Türkei-Deutschland, Fantasy Filmfest Nights, Filmfest München, Fantasy Filmfest, 70mm-Festival Karlsruhe, Asiafilmfest München). Schade in diesem Zusammenhang vor allem auch, dass viele der dort gesehenen Filme bislang noch keinen regulären deutschen Kinostart hatten und bei einigen auch keiner mehr zu erwarten ist. Die oft verspäteten, nicht selten auch ganz ausbleibenden Aufführungen vieler auf Festivals und in anderen Ländern durchaus auf Anerkennung oder Begeisterung stoßender Filme bleiben nach wie vor ein großes Ärgernis des regulären deutschen Kinostartplans. Um diesen Umstand aber letztlich doch Rechnung zu tragen, belasse ich es nicht nur bei meiner ‚eigentlichen‘, aus dem deutschen Kinoalltag heraus teils exotisch anmutenden Jahresliste, sondern füge noch eine zweite (quasi ‚gefilterte‘) Jahresliste hinzu, die lediglich aus Filmen mit regulärem deutschen Kinostart besteht. Und zur besseren Einordnung noch kurz ein bisschen Statistik für Interessierte: ich habe insgesamt 112 neue Filme gesehen (sowohl Festivalpremieren als auch Kinostarts), davon: 105 im Kino, 107 in OV/OmU (wobei ich in den Listen dennoch überwiegend die deutschen Titel der Filme verwendet habe). Aber nun die Listen selbst…
Jahresliste 2008 – Favoriten des aktuellen Jahrgangs (Festivalentdeckungen & Kinostarts):
1. In the City of Sylvia(José Luis Guerín) 2. The Sky, the Earth and the Rain(José Luis Torres Leiva) 3. Lake Tahoe(Fernando Eimbcke) 4. Soul of a Demon(Chang Tso-chi) 5. Paranoid Park(Gus Van Sant) 6. La Rabia(Albertina Carri) 7. No Country for Old Men(Joel & Ethan Coen) 8. RR(James Benning) 9. United Red Army(Kôji Wakamatsu) 10. Silent Light(Carlos Reygadas) 11. Wolke 9(Andreas Dresen) 12. So finster die Nacht(Tomas Alfredson) 13. The Happening(M. Night Shyamalan) 14. Flight of the Red Balloon(Hou Hsiao-hsien) 15. Couscous mit Fisch(Abdellatif Kechiche) 16. Night and Day(Hong Sang-soo) 17. Das Gelübde(Dominik Graf) 18. Timecrimes(Nacho Vigalondo) 19. Loos ornamental(Heinz Emigholz) 20. Control(Anton Corbijn)
Pleasures (not guilty):
Sparrow (Johnnie To) Honeydripper (John Sayles) 36 Steps (Adrián García Bogliano) Burn After Reading (Joel & Ethan Coen) Chanson der Liebe (Christophe Honoré) Vicky Cristina Barcelona (Woody Allen)
Honorable Mentions:
Los Bastardos (Amat Escalante), Time to Die (Dorota Kedzierzawska), Just Anybody (Jacques Doillon), Das jüngste Gewitter (Roy Andersson), There Will Be Blood (Paul Thomas Anderson), Martyrs (Pascal Laugier), Wall-E (Andrew Stanton), Tokyo Sonata (Kiyoshi Kurosawa), Waltz With Bashir (Ari Folman), Glue (Alexis Dos Santos), Pas Douce (Jeanne Waltz), Schmetterling und Taucherglocke (Julian Schnabel), Gomorrha (Matteo Garrone), The Muzzled Horse of an Engineer in Search of Mechanical Saddles (Khavn De La Cruz), Weiße Lilien (Christian Frosch), Jesus Christus Erlöser (Peter Geyer), We Own the Night (James Gray), Orz Boyz (Yang Ya-Che), Before the Devil Knows You’re Dead (Sidney Lumet), Mad Detective (Johnnie To, Wai Ka-Fai), Into the Wild (Sean Penn).
—
Alternative Jahresliste 2008 – Favoriten unter den Filmen mit regulärem Kinostart (in einem Fall lediglich reguläre DVD- und TV-Erstveröffentlichung):
1. PARANOID PARK (Gus Van Sant) 2. NO COUNTRY FOR OLD MEN (Joel & Ethan Coen) 3. RR (James Benning) 4. WOLKE 9 (Andreas Dresen) 5. SO FINSTER DIE NACHT (Tomas Alfredson) 6. THE HAPPENING (M. Night Shyamalan) 7. COUSCOUS MIT FISCH (Abdellatif Kechiche) 8. DAS GELÜBDE (Dominik Graf) 9. CONTROL (Anton Corbijn) 10. SPARROW (Johnnie To)
—
Ein Rückblick zu meinen Kinohöhepunkten abseits des aktuellen Jahrgangs:
Das letztlich konkurrenzlos beste Kinoerlebnis des Jahres war SPIEL MIR DAS LIED VOM TOD von Sergio Leone. Obwohl ich den Film vor Jahren bereits zwei Mal im Kino sehen konnte, war es atemberaubend, Leones Meisterwerk endlich mal wieder auf der (diesmal zudem wirklich sehr) großen Leinwand zu sehen, wo er so sehr hingehört wie kaum ein zweiter Film, und bei jenem Saal-Leinwand-Verhältnis, das fast schon IMAX-Dimensionen hatte, entfaltete Leones Film eine geradezu beängstigende Wirkung, wunderschön und todtraurig zugleich. Es ist immer noch und immer wieder der ganz große persönliche Lieblingsfilm, und es war ein Kinobesuch, von dem ich noch drei Tage später regelrecht benebelt war. Aber auch sonst gab es bereits vor diesem völlig unerwarteten Herbst-Höhepunkt weitere denkwürdige Leone-Kinoerlebnisse übers Jahr verteilt, zunächst im Frühjahr endlich eine Kinosichtung von ES WAR EINMAL IN AMERIKA (was trotz ärgerlicherweise gesundheitlich angeschlagenem Zustand sehr toll war) und im Sommer dann noch FÜR EIN PAAR DOLLAR MEHR.
Weitere besondere Kinoerlebnisse als dicht gebündelter Fließtext: CRASH, früher nicht sonderlich gemocht, habe ich nach Jahren zufällig zum Berlinale-Abschluss abseits des Festivals wieder gesehen und bin vollkommen elektrisiert worden, sogar so sehr, dass er direkt zu meinem Cronenberg-Liebling aufgestiegen ist. Einen enormen Aufstieg legte auch Argentos INFERNO hin, den ich innerhalb weniger Tage dann gleich zwei Mal im Kino gesehen habe, genau wie den wundervollen SASORI: DEN OF THE BEAST – in Sachen Nippon Classics habe ich darüber hinaus LADY SNOWBLOOD sehr genossen und bin von TOKYO DRIFTER in einem 500-Plätze-Saal auf Scope-Leinwand erschlagen worden. Ebenfalls auf Riesen-Leinwand in einem ehemaligen IMAX-Saal machte auch Roegs WENN DIE GONDELN TRAUER TRAGEN mächtig Eindruck. Das Wiedersehen mit Altmans MCCABE & MRS. MILLER erwischte mich zunächst nur beim unbeschreiblichen Anfang und Ende voll, weil zwischendrin die bis zur Unverständlichkeit scheppernde Tonspur nicht nur beim Dialogverständnis für ziemliche Beeinträchtigung sorgte, doch der Film entfaltete dann in den folgenden Monaten eine dermaßen intensive Nachwirkung, dass er zu einem absoluten Lieblingsfilm gereift ist. Das geschah endlich auch mit Kubricks BARRY LYNDON, mit dem ich früher meine Probleme hatte, der mich nun aber völlig hingerissen hat. Dichte Endzeitatmosphäre verströmte nach längerer Zeit mal wieder THE TERMINATOR, während AGUIRRE von makelloser Kopie einen ungleich stärkeren Sog als beim ersten Kinobesuch bei der Herzog-Retro beim Filmfest München 2007 entwickelte. Eines der schönsten Double Features des Jahres (mit zwei Mal Jack Cardiff, einmal Kamera, einmal Regie) gab es bei einem spontanen Tagestrip mit Freunden nach München: zunächst eine wundervolle Technicolor-Kopie von BLACK NARCISSUS, die sich aber zeitlich etwas mit dem nachfolgenden KATANGA überschnitt. Weil allgemein große Lust auf Letzteren vorherrschte, entstand die nerdige Idee, dessen Vorführer beinahe bestechungsartig zum Verzögern des Vorstellungsbeginns zu überreden, um später dann schnell vom einen zum anderen Kino zu hetzen, was sich allerdings selten so ausgezahlt hat wie hier. Zwei sagenhafte Filme, und von keinem der beiden hätte ich auch nur eine Minute verpassen wollen. Ein anderes sehr stimmungsvolles, wenn auch nicht selbst zusammen gestelltes Double Feature bot sich beim Fantasy Filmfest mit THE CITY OF THE DEAD und TASTE THE BLOOD OF DRACULA, von denen man wohl kaum geglaubt hätte, sie mal in einem Multiplex-Saal zu sehen zu bekommen. Man kann nur hoffen, dass es beim FFF auch zukünftig, wenn schon keine Retro, dann wenigstens solche kleinen Klassiker-Specials geben wird. Eine regelrecht hypnotisierende Wirkung übte LOLA von Jacques Demy auf mich aus (DIE REGENSCHIRME VON CHERBOURG schlugen kaum minder ein, da kam es aber nicht so unerwartet), und eigentlich lässt sich das auch von Wakamatsus äußerst dichtem GO, GO SECOND TIME VIRGIN sagen. Riesen-Bild und großes Orchester sorgten in ihrer Verbindung bei Murnaus Großtat TABU für manch beinahe rauschartigen Moment. Eine denkwürdige Aufführung erlebte Wenders‘ SILVER CITY REVISITED (der, wenn man sich auf ihn einließ, einen ganz eigenen Rhythmus und Sog entwickelte) als Abschluss eines Kurzfilmabends: ich hatte es zuvor noch nie erlebt, dass das eigentlich immer disziplinierte und geduldige Publikum des Münchner Filmmuseums nicht nur lauthals Verärgerung kund tat, sondern in stetigem Strom letztlich innerhalb kürzester Zeit die Hälfte der knapp Hundert Zuschauer den Saal verlassen hat… Eine Nachmittagsvorstellung von KING KONG – FRANKENSTEINS SOHN bot hingegen nicht nur schönstes Monsterkino, sondern auch einen Hauch von Zeitreise, und es kam ein bisschen das Gefühl auf, einer der heute längst ausgestorbenen 70er/80er-Jahre-Nachmittagsjugendvorstellungen (wo man seinerzeit offenbar auch bevorzugt japanisches Monsterkino angeboten bekam) beizuwohnen. Zeitreise in die Sixties bot auch GIRL ON A MOTORCYCLE, den ich 2008 sogar gleich zwei Mal in zwei verschiedenen Städten sah, wobei nach der nicht ganz optimalen ersten Sichtung die zweite Leinwandbegegnung an einem regnerischen Sommerabend eine besondere, entrückte Stimmung entfaltete. Die speziellen Farben, die Materialität und Texturenbeschaffenheit von gut erhaltenen Sixties-Filmkopien und den Anblick von Catherine Deneuve bzw. Michèle Mercier habe ich hingegen selten so genossen wie in BELLE DE JOUR und HEISSE NÄCHTE. Tatsächlich in besonderer Weise von ihrem Format lebten wiederum die 70mm-Aufführungen von THE LAST VALLEY und GRAND PRIX sowie eine rare 3-D-Vorführung von INFERNO – VERHÄNGNISVOLLE SPUREN. In seiner Aufführungskonzeption außergewöhnlich war auch das mit verspätetem deutschem Start noch ins Kino gelangte GRINDHOUSE-Doppelprogramm (ein zweiter Durchgang wurde beim Rodriguez-Teil jedoch schon fast zur Geduldsprobe, während ich von Tarantinos Film beim vierten Mal und auch von den Fake-Trailern gar nicht genug bekommen kann), während es tatsächlichen Trash eher bei anderen Gelegenheiten gab, etwa bei der monatlich fortgesetzten Kino-Aufführung der LIEBESGRÜSSE AUS DER LEDERHOSE-Reihe (auch hier: Zeitreise, gewissermaßen), wobei derlei einen guten Kontrast zu experimentellen Filmen wie Framptons ZORN’S LEMMA oder, wenn man so will, auch zu Godards ONE PLUS ONE (allein wegen der nachfolgenden Reaktion eines Freundes denkwürdig) bildete. Beste Möglichkeiten in einzelne Filmografien einzutauchen boten schließlich diverse Retrospektiven, ob nun Antonioni (DIE ROTE WÜSTE war, was sowohl Film als auch Kopie angeht, eine Offenbarung, und BERUF: REPORTER oder LA NOTTE im Kino auch ganz besondere Erlebnisse), Wong (AS TEARS GO BY und CHUNGKING EXPRESS bereiteten am meisten Wiedersehensfreude, während es mir im dritten Anlauf dann doch endlich noch gelang, mich vom großartigen DAYS OF BEING WILD völlig einnehmen zu lassen), Bunuel (DER WÜRGEENGEL und SUSANA), Käutner (GROSSE FREIHEIT NR. 7 ragte besonders heraus), Peckinpah (ich kam nicht umhin, die Chance zu nutzen, 12 seiner 14 Kinofilme endlich im Kino zu sehen, wobei STRAW DOGS besonders intensiv, JUNIOR BONNER aber umso erstaunlicher und THE BALLAD OF CABLE HOGUE schlichtweg magisch war), Bresson (der Kino-Höhepunkt war MOUCHETTE), Fassbinder (HÄNDLER DER VIER JAHRESZEITEN und ANGST ESSEN SEELE AUF stachen durch die Leinwandwirkung ihrer Farbgestaltung besonders hervor) und schließlich Angelopoulos (seine Mammutwerke DIE WANDERSCHAUSPIELER und DER GROSSE ALEXANDER waren im Gegensatz zu den teils durchwachsenen Spätwerken sehr eindrucksvoll). Bemerkenswert viele erfreuliche Überraschungen bot außerdem das deutsche Kino der 60er und 70er Jahre, wobei ATLANTIS – EIN SOMMERMÄRCHEN bezauberte, DIE TOTE VON BEVERLY HILLS verblüffte und ENGELCHEN ODER DIE JUNGFRAU VON BAMBERG vollkommen hinreißend war, während MATHIAS KNEISSL und ICH LIEBE DICH, ICH TÖTE DICH endgültig den schlagenden Beweis lieferten, dass es in den vielen unbekannten Winkeln der deutschen Filmgeschichte unglaublich viel Erstaunliches zu entdecken gibt. Richardsons MADEMOISELLE hat mich ziemlich unerwartet allein schon wegen seiner atemberaubenden visuellen Gestaltung völlig vom Hocker gehauen, Borowczyks LA BÊTE legte auch noch mal zu und DIE FABELHAFTEN BAKER BOYS war im Kino nicht nur aufgrund des außergewöhnlich langen und interessanten Publikumsgesprächs mit dem anwesenden Michael Ballhaus ein tolles Erlebnis, während mir neben GET CARTER, TOD IN VENEDIG und OUT OF THE PAST jetzt gerade noch DIE HANDSCHRIFT VON SARAGOSSA und DER ZAUBERER VON OZ in den Sinn kommen (und unterstreichen, dass ein erheblicher Teil der Kinoerlebnisse mit älteren Filmen aus Wiederbegegnungen bzw. meist erstmaligen Leinwandsichtungen von bereits bekannten Filmen bestand, die dabei nicht selten vom zusätzlichen Entfaltungsspielraum der Kinopräsentation profitierten), bevor ich lieber aufhöre, weil sich hier der cinephile Wahnsinn und eine Selbstbeschränkung vermissen lassende Aufzählungswut irgendwie schon wieder viel zu sehr Bahn gebrochen haben…