100 Deutsche Lieblingsfilme #33:
Das Schiff der verlorenen Menschen (1929)



Massive Spoiler im letzten Absatz!

Der Anfang nimmt sich zumindest aus heutiger Sicht fast wie ein kleiner, vereinender Brückenschlag aus. Der Franzose Maurice Tourneur, als Regisseur immer wieder in den USA aktiv, inszeniert einen deutschen Film – der damit anfängt, dass ein entflohener Sträfling durch ein impressionistisch im Wind wogendes Getreidefeld in eine deutsche Hafenstadt kommt und dort in einem expressionistisch von steilen Kanten und schiefen Winkeln gezeichneten abgelegenen Haus zur Seefahrt anheuert, und kurz danach gibt es in der Seemannsspelunke auch noch eine Schlägerei wie im Saloon eines Western: torkelnde Gestalten, ausgelassene Stimmung, es rumpelt und rempelt, Bier wird übereinander verschüttet und die Fäuste ausgepackt, bis alles kurz und klein geschlagen ist. Weiterlesen…

The Beast of Yucca Flats (1961)

Die Uhr tickt. Eine Frau zieht sich aus. Speckige Hände umgreifen ihren Hals. Lautlos. In der nächsten Szene überschlagen sich die Ereignisse. Ein Atombombentestgelände. Ein wichtiger Koffer. Der Eiserne Vorhang. Das Kindergesicht von Conrad Brooks. Eine Autoverfolgungsjagd. Schüsse.

„Get the briefcase!“

Die Stimme aus dem Off gehört einem Beat-Poeten:

„Flag on the Moon. How did you get there? Secret Data. Pictures of the Moon. Secret Data. Never before outside the Kremlin. Man’s first rocket to the Moon.“

Die gottverlassene Wüste. Mittendrin die dickste Kugel unter der Sonne, Tor Johnson, lias Dr. Joseph Javorsky.

„Yucca Flats. The A-Bomb.“

Die Bombe geht hoch. Noch nicht mal 9 Minuten Film. Weiterlesen…

100 Deutsche Lieblingsfilme #32: Heinrich (1977)

Manchmal ist es schwierig über einen Film zu schreiben. Zumindest, wenn man ehrlich sein will. Während dem Sehen hat man viele Ideen, oder auch viele Stimmungen und Gefühle. Bei den Ideen ist es oft schwierig sie zu rekapitulieren, bei den Gefühlen schwierig sie zu beschreiben, in Worte zu fassen. Heinrich ist so ein Film, ein Film der seine Ideen in Gefühlen und Stimmungen ausdrückt und sie selten verbalisiert (was auch immer das im filmischen Kontext heißen mag). Das bedeutet jedoch nicht, dass er kein intellektuelles Kino wäre, voll von Meinungen über die Welt, die es gilt, an den Mann (oder die Frau) zu bringen. Linkes, agitatorisches Kino eben, das immer auch didaktisch ist (man denke als Paradebeispiel mal wieder an die grundsätzliche Didaktik eines Jean-Luc Godard). Aber Heinrich ist eben auch leidenschaftlich, obsessiv und sinnlich im besten Sinne dieses aufklärerischen Kinos, dieses Kinos des „Neuen deutschen Films“ der 70er („jung“ im eigentlichen Wortlaut ist an den zumindest aus heutiger Sicht eher altherrenhaften und angestaubten pädagogischen Ansätzen dieser Filme wenig – auch wenn sie von Frauen gedreht wurden), indem er sich am Theater, an einer Tradition der Bühne, an ihren Präsentations- und Diktionsformen orientiert, ohne das genuin filmische Moment, die verfremdenden, naturalistischen oder hyperrealistischen Eigenschaften von Bild und Ton, von Klangkulisse, Licht, Farben, der Großaufnahme oder Totale, dem Schnitt und den sonstigen kinematographischen Besonderheiten der Kombinationsmöglichkeiten künstlerischer Ausdrucksformen auf und mit dem Aufnahmematerial, zu vernachlässigen. Weiterlesen…

Black Angel (1946)

Eine der besten Szenen von Black Angel gibt es gleich zu Beginn. Nachdem wir mit Mavis Marlowe die Femme Fatale des Films in einer verblüffend pointierten und ökonomischen Szenenfolge kennenlernen, und zwei männliche Personen eingeführt werden die mit ihr in Verbindung stehen, kommen wir mit dem dritten Mann zum Tatort der nun bereits ermordeten Dame. Die Tür ist angelehnt, und Kirk Bennett, der kurz darauf wegen des Mordes verurteilt werden wird, tritt ins Zimmer. Es läuft Musik, ein Stück namens „Heartbreak“, welches Marlowes von ihr verlassener Ehemann vor längerer Zeit für sie geschrieben hat, und das ihr den Durchbruch zu einer Karriere als Sängerin ermöglichte. Während Kirk im Vorzimmer wartet und das Musikstück zu Ende läuft, um im Plattenspieler gleich noch einmal von vorne zu beginnen (eine hypnotische Großaufnahme, von denen es im Film noch mehrere geben wird) Weiterlesen…

Moderato cantabile (1960)

Selten wurde sich im Film dieses Themas angenommen. Keine Liebesgeschichte. Nicht das Davor und nicht das Danach. Sondern irgendwo dazwischen. Jeanne Moreau, geplagt von ihrer Vergangenheit, möchte sterben. Jean-Paul Belmondo, verliebt, möchte mit ihr leben. Durch einen Mord aus Liebe kommt die Erinnerung an Vergangenes hervor. Moreau sehnt sich nach etwas, was sie nicht haben kann: Leidenschaft, Liebe, Gefühle – im Hier und Jetzt. Belmondo nähert sich ihr, durch den einzigen Weg den er erkennt. Sie möchte wissen, was geschah. Wieso der Mann die Frau ermordet hat. Belmondo erfindet davon ausgehend eine Geschichte, eine Geschichte für beide, indem er sich den Wünschen Moreaus annähert, weil er glaubt, dadurch seine eigenen verwirklichen zu können. Als er erkennt, dass dies ein Trugschluss war, verlässt er Sie.

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100 Deutsche Lieblingsfilme #30: Weiße Lilien (2007)

Weisse Lilien

His life’s final offer,
cut-price salvation ain’t at no level.
Lead me not into temptation.
I, church of truth, sell three steps to heaven,
suburban essentials, blemish-twisted patterns.
Don’t make me buy your apples of Sodom,
those fruits are bitter-strange and rotten.“

Weiße Lilien (2007)

Neustadt, die Stadt der Zukunft, eine grauenerregende Ansammlung von Betonklötzen mit 25 000 wohnlichen Grabkammern, deren Bewohner hier art- und klassengerecht verstaut und verwaltet werden können. Unter ihnen Hannah Schreiber (Brigitte Hobmeier), dieses filigrane rothaarige schüchtern-zaghafte Geschöpf, eine Mimose möchte man zunächst meinen, die sich im Grunde mit ihrem Posten als Telefonistin des Sicherheitsdienstes von Neustadt bescheidet, und wohl weiterhin fortfahren würde, all ihre eventuellen tieferliegenden Sehnsüchte – nach Liebe, Selbstbewusstsein, Transzendenz und Derartigem – in die Lektüre von Romanen und damit ins Fiktionale auszulagern, wäre da nicht ihr grenzpsychopathischer Mann Branco (Xaver Hutter), ebenfalls Angestellter des Sicherheitsdienstes mit Hang zur Gewalt, hartem Sex und ausgeprägtem Bücherhass, dessen Ausbrüche selbst Hannah zum Handeln zwingen. Weiterlesen…

Bedways (2010)

Es geht um Sex. Soviel steht fest. Und irgendwie auch um Liebe, Verlangen, Gefühle. Irgendwie. Denn das Interesse an Sex ist zwar da, aber die Abwesenheit von Sex auch, das Interesse an Nähe bei gleichzeitiger Abwesenheit von Nähe, das Erzeugen von Gefühlen bei Abwesenheit von Gefühlen, das Reden über Liebe bei Abwesenheit von Liebe. Es soll hervorgebracht, es soll hergestellt werden, da es herbeigewünscht wird. Das Mittel dazu ist ein Film. Nina ist die Hauptfigur, die diesen Film drehen will. Dazu hat sie Hans und Marie für Probeaufnahmen engagiert. Das Problem ist nur: Nina weiß nicht was sie will. Da hilft auch kein Sex. Denn Nina ist ein gebranntes Kind. Und nicht nur Nina. In Bedways sind alle Figuren unsicher, distanziert, verschlossen, haben sich eine Schutzhülle aufgebaut und tragen ihre Posen vor sich her, da sie Angst vor Verletzungen haben. Keine Jugendlichen mehr, aber auch noch nicht im eigenen Leben angekommen. Zumindest wenn man damit Dinge wie Verantwortung, Bewusstsein, Bestätigung im eigenen Ich und ähnliches assoziiert. Verlorene, ohne ein Bild von sich, ohne Vertrauen, und daher im Außen suchend, mit der Kamera tatsächlich nach diesem Bild suchend, in dem man erblicken könnte, was es ist, das fehlt. Die Kunst hat schließlich schon oft als Weg zur Erkenntnis gedient, als beliebtes Mittel um Selbstreflexion zu befördern. In Bedways geht es dabei aber gar nicht so sehr um Verlust oder Schmerz. Bedways ist keine melodramatische Nabelschau versehrter Persönlichkeiten: Denn die Figuren haben im Grunde ja noch nichts verloren, sondern sind Suchende. Suchende nach sich selbst. Wer sich noch nicht gefunden hat, kann sich schließlich kaum verlieren. Was aber auch ein Problem sein kann. Ein Dilemma. Weiterlesen…

Film und DVD: Angel Express – Director’s Cut (1998/2011)

„Ein großer, frecher, heißer Film, der einem die Augen aufreißt.“ (Rheinische Post)

„Ein provozierendes und polarisierendes Bilder-Mosaik, komponiert aus einem manifesten, anarchischen Stilwillen von einem jungen Wilden aus dem Berliner Underground.“ (Frankfurter Rundschau)

„Kahl hat eine nervöse Energie, die ihm im deutschen Kino so leicht keiner nachmacht.“ (Süddeutsche Zeitung)

RP Kahl, der den meisten Zuschauern wohl eher als Nebendarsteller aus zahlreichen Fernsehfilmen bekannt sein sollte (ich habe ihn zuletzt in Michael Kliers Farland (2003) in einer Kleinstrolle an der Seite von Laura Tonke entdeckt), ist auch Regisseur. Und seinen Einstieg begann er sogleich mit einem Kinofilm. Angel Express hieß das Ding, 1998 herausgebracht – ein Beginn, der keiner wurde. Kahl hat erst 2010 wieder einen Spielfilm realisieren können. Dazwischen Projekte, Versuche, Theater, Video, Performance, die 99Euro-Films und im Zuge davon auch ein wunderbarer dokumentarischer Streifen über vier deutsche Schauspielerinnen, Mädchen am Sonntag. Andere Filmemacher der 90er sind erfolgreicher gewesen, wiederum andere sind zur Filmhochschule gegangen und haben danach überhaupt nichts mehr gemacht. RP Kahl ist einer der ungebändigten, ungezügelten, nach wie vor enthusiastischen. Einer, der sich nicht vom Establishment vereinnahmen lassen will und seinen eigenen Weg zu gehen versucht. Ein deutscher Independentfilmer – im besten Sinne. Weiterlesen…

100 Deutsche Lieblingsfilme #29: Regine (1934)

Das Reizvolle am Übergang von der Stummfilmzeit zum Tonfilm sind für mich die stilistischen Umbrüche, das Ungeschickte und Unfertige, welches man in den Filmen Ende der 20er und Anfang der 30er oft zu entdecken meint. Der Zwang, aber auch das Interesse, sich um neue Arten der Filmsprache zu bemühen, und der Versuch Eigenschaften des stummen Films in den Sprechenden zu überführen. Regine ist auf den ersten Blick so ein Film. Jedoch nur auf den ersten. Denn wir schreiben bereits das Jahr 1935, und auf dem Regiestuhl sitzt mit Erich Waschneck ein echter Meister, der nichts dem Zufall überlässt, bzw. diesen immer seinen eigenen Zwecken zuzuführen versteht. Am ehesten erinnerte mich das alles an Boris Barnets Okraina (1933), einen Film der ebenso präzise wie freimütig mit seinen Einfällen zu jonglieren versteht, und dem innerhalb des Ganzen immer wieder einzelne Miniaturen gelingen, die dem Zuschauer jedes Mal aufs Neue das Gefühl verleihen einem Zauberkunststück beizuwohnen. Das vermeintlich Leichte und Einfache ist aber oft mit dem größten Aufwand verbunden und der Eindruck von Spontaneität verdankt sich meist intensiver Arbeit. Weiterlesen…

Streets of Fire (1984)

Neulich den Soundtrack zu Walter Hills Streets of Fire als deutsche LP in einem Ein-Euro-Shop entdeckt, und zwei Tage später den Film in OmU von einer slowenisch-kroatischen DVD geguckt, die ich schon länger zu Hause herumliegen hatte. Nach 4 mehr oder weniger erfolglosen Versuchen innerhalb der letzten 10 Jahre, war es höchste Zeit Walter Hill endlich für mich zu entdecken. Ich muss gestehen, es hat geklappt. Auf dem Backcover der LP finden sich nachfolgende, in meinem Geburtsjahr von Walter Hill verfasste Zeilen zu seinem Film, und ich habe ihnen, außer ein paar Screenshots der gesichteten DVD, nichts hinzuzufügen.

STREETS OF FIRE, is, by design, comic book in orientation, mock-epic in structure, movie-heroic in acting style, operatic in visual style and cowboy-cliche in dialogue. In short: a rock ’n‘ roll fable where the Leader of the Pack steals the Queen of the Hop and Soldier Boy comes home to do something about it.

Since I much prefer films that make people remember things they’ve forgotten to those that try to discover something new, in STREETS OF FIRE, I tried to make what I would have thought was a perfect movie when I was in my teens – I put in all the things I thought were great then and which I still have great affection for, custom cars, kissing in the rain, neon, trains in the night, high-speed pursuit, rumbles, rock stars, motorcycles, jokes in tough situations, leather jackets and questions of honor. Weiterlesen…