Klaus Lemke – Malakoff Kowalski – Andere Leute

La camera nel labirinto

Ein Film, der wabert, der sich hebt und senkt wie ein atmender Körper. Ein organischer Film, in dem der psychologische Widerspruch einer Narration keinen Platz findet. Eine halbe Stunde vergeht, ohne dass etwas erzählt wird.

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Film und Buch (#4): Mario Leis – Leni Riefenstahl (2009)

„Wer sich Ärger einhandeln möchte, sollte über Leni Riefenstahl schreiben“

Die Vorliegende im Herbst 2009 veröffentlichte Ausgabe in der Reihe rowohlts monographien, ist die Neueste (inzwischen wahrscheinlich aber auch nicht mehr) Auseinandersetzung mit der vielgescholteten Vorzeigefilmemacherin des dritten Reichs, über deren Leben und Wirken weltweit inzwischen mehr als 100 Bücher erschienen sind. Ein Tropfen auf den heißen Stein also, bei einer Persönlichkeit, an der sich zeitlebens die Geister geschieden und die Gemüter erhitzt haben. Gefangen zwischen der offensichtlichen Funktion als visuelle Erfüllungsgehilfin eines dikatorischen Staates, und dem selbst formulierten künstlerischen Anspruch einer unabhängigen Visionärin, ist Leni Riefenstahl als Spiegelobjekt gesellschaftlicher Vorstellungen vom Zusammenspiel zwischen Kunst und Leben auch weiterhin aktuell. Und vor allem so lässt sich dieser biographische Abriss von Mario Leis auch lesen.

Behandelt wird zunächst auf 7 Seiten die Kindheit und Jugend, und darauf aufbauend in einem größeren Abschnitt von 40 Seiten ihre erste Karriere als Tänzerin, sowie ihre Auftritte und ihre Mitarbeit an den deutschen Bergfilmen der 20er und 30er Jahre. Ihren Verwicklungen mit den Nationalsozialisten und ihren bekanntesten Regiearbeiten der 30er Jahre wird mit 45 Seiten der größte Raum gewidmet. Ihre dritte Karriere als Fotografin wird unter dem Aspekt der Nubabildbände auf weiteren 30 Seiten untersucht, und abschließend folgt eine kurze Betrachtung ihrer Wahrnehmung in den Medien der letzten 4 Jahrzehnte.

Der Zwiespalt in der Behandlung von Riefenstahl lässt sich an der Überschrift „Propagandistin oder Künstlerin?“ eines Artikels von Alice Schwarzer ablesen. Die Weigerung jemanden vielleicht als Propagandist und Künstler, Nazi und Visionär – als angenehm und unangenehm in einem – wahrnehmen zu müssen, zieht sich als roter Faden durch den kompletten Band, indem immer wieder Apologeten wie Gegner Riefenstahls zitiert werden, und somit nicht nur die beidseitige Inszenierung der Popfigur Leni deutlich herausgearbeitet, sondern auch ein akkurates Bild unserer dualistischen Zivilisation gezeichnet wird. Durch die komprimierte Zusammenstellung zahlreicher Meinungen und Äußerungen Dritter, entsteht wie nebenbei auch ein kleiner Einblick in die (westliche) Kulturgeschichte des 20. Jahrhunderts und die anhaltende Unfähigkeit Deutschlands zur Auseinandersetzung mit dem Nationalsozialismus.

Unangenehm berührt hat mich an der Schreibweise die wiederholte Tendenz, Riefenstahls Leistungen auf allen Bereichen, die historisch bisher nicht unumstritten anerkannt worden sind, herabzuwürdigen. Dabei zeigt sich für mich vor allem in den frühen Kapiteln und der Einschätzung Riefenstahls als Tänzerin, Schauspielerin und Regisseurin, eine Voreingenommenheit des Autors. Unangenehm deshalb, weil die persönlichen Vorwürfe nicht wirklich offen zu Tage liegen, weil sie nicht direkt vorgetragen oder zur Diskussion gestellt werden, sondern auf Umwegen und über Zitate anderer in einer Weise in die Fomulierungen hineingearbeitet sind, welche das Buch und seinen Autor vordergründig stets sachlich und unparteiisch erscheinen lassen möchte (was sich in Zeiten der political correctness für eine Monographie leider wohl immer noch „so gehört“). Die regelmäßig aufblitzenden Seitenhiebe gegenüber Riefenstahls Schaffen und Charakter werden dabei als ironische Spitzen verkleidet.

In dieser Monographie erklärt sich Leni Riefenstahls Leben und Werk vor allem aus ihrer Kindheit und Jugend und ihrem Wirken im 3. Reich. Für einen Menschen der über hundert Jahre gelebt hat, und bis zu seinem Tod künstlerisch aktiv geblieben ist, erscheint diese Sichtweise doch sehr beschränkt. 1945 war sie schließlich gerade einmal 43 Jahre alt. Nichtsdestotrotz, ist das Buch flüssig geschrieben und eignet sich aufgrund der Fokussierung auf die bekanntesten und kontroversesten Aspekte von Riefenstahls Leben und die unglaubliche Vielzahl und Dichte an Informationen hierzu, ausgezeichnet als Einführung. Darüber hinaus ist es als schmales Taschenbuch sehr handlich, jeweils interessant und passend bebildert, und graphisch sorgfältig und professionell gestaltet. Wer aber außer einer Auflistung der üblichen Diskursaspekte eine vielschichtigere Auseinandersetzung mit Leni Riefenstahl lesen möchte, ist hier fehl am Platz. Sicherlich ist so eine Leistung von einer 150-seitigen Monographie auch gar nicht zu erwarten – eine differenziertere Herangehensweise an die Bewertung einer Persönlichkeit und ihres künstlerischen Schaffens jedoch schon.


Mario Leis: Leni Riefenstahl.
rowohlts monographien begründet von Kurt Kusenberg, herausgegeben von Uwe Naumann.
Rowohlt Taschenbuch Verlag, Reinbeck bei Hamburg, November 2009.
1. Auflage

Dominik Graf in „Senses of Cinema“

In der neuen Ausgabe:

Ein unbedingt lesenswertes, wieder einmal faszinierend-stimulierendes und vor allem vorbildlich ausladendes Interview mit unser aller Liebling Dominik Graf, natürlich auf englisch. Natürlich und Glücklicherweise. Vielleicht wird man ihn, irgendwann, eines Tages, auch außerhalb Deutschlands einmal entdecken. Die vereinzelten internationalen Festival-Auftritte seiner letzten Kinofilme (also mehr oder weniger nur DER FELSEN und DER ROTE KAKADU) haben dafür freilich nicht ausgereicht.

Allerdings ist es eigentlich ohnehin utopisch, auf eine Revision des internationalen Bilds vom vor allem aktuelleren deutschen Kino zu hoffen (Bei allem, was älter als 20 Jahre ist, braucht man sich diese Hoffnung ohnehin nicht mehr zu machen). Im Ausland kennt und liebt man zumeist den DOWNFALL und die LIVES OF OTHERS und hält sie für exzentrische Kunstfilme. Kann man auf so eine Revision noch hoffen, wenn die weitläufige Meinung darüber im eigenen Land schon von der Annahme grundsätzlicher Biederkeit, Trocken-,  Blödsinnig-  oder sozialer Selbstmitleidsseeligkeit geprägt ist? Vermutlich werden die meisten Leser der „Senses of Cinema“ mangels Berühungspunkt (wahrscheinlich kann nicht einmal die entfernte Ahnung eines irgendwo einmal aufgeschnappten Filmtitels bei Graf als solcher dienen) über dieses Interview hinweglesen, außer den ganz harten Cinemenschen. Und die können bei Interesse erst einmal auf der Untertitel-Barriere herumkauen. Auf selbige verweist auch Marco Abel, der dieses Interview führte und übersetzte – und hofft, dass sich daran in der Zukunft etwas ändern wird. Da hoffe ich doch gleich mal mit.

Geborgte Filme – endlich gesehen! #3: The Apartment (1960)

„Das Appartement“ ist inzwischen der achte Film, den ich von Billy Wilder gesehen habe. Und ich muss sagen, vielleicht bin ich doch kein besonders großer Anhänger dieses Hollywoodtitanen, der wie so viele in den 30er Jahren aus Deutschland auszog, und die Welt das Lachen lehrte. Es ist tatsächlich so, dass mir Wilder am Besten gefällt, wenn es nichts zu Lachen gibt. Five Graves to Cairo (1943) und auch Sunset Blvd. (1950) finde ich großartig. Das Pathos, die Verzweiflung, das Lächerliche aber auch bedrohliche an Rommel und an Norma Desmond. Erich von Stroheim und Gloria Swanson, zwei Giganten des Stummfilms, die sich auch im Tonfilm pudelwohl fühlen, und alles an die Wand spielen, was ihnen begegnet. Überlebensgroß. Das Gewöhnliche, Alltägliche, die normalen, durchschnittlichen Leute die Wilder in seinen Komödien gerne in den Mittelpunkt stellt, gehen an mir vorbei. Jack Lemmon in „Manche mögen’s heiß“ (1959) oder Tom Ewell in The Seven Year Itch (1955). Komödiantisches Talent mögen sie besitzen, auch Marilyn Monroe ebenso wie Shirley MacLaine, und Jack Lemmon ist in manchen Szenen schon besonders gut. Aber auch bei ihm, ziehe ich die reine Verzweiflung dem humoristischen Kabinettstück vor. Wenn ich sehe, auf Welche Art seine Manierismen z.B. in Glengarry Glen Ross (1992) – sowieso einem der besten Schauspielerfilme ever – instrumentalisiert werden, gehe ich wahrlich in die Knie. Vielleicht liegt mein relatives Desinteresse an den „cleveren“ Filmen Wilders auch an meinem relativen Desinteresse an Komödien und Satiren aller Art, vor allem der aufgeweckten Sorte. Humor ist wirklich etwas schwer bestimmbares.

Wenn mir die trübe Welt von „Das Appartement“ ebenso egal war, wie die Figuren, die sich darin bewegen, liegt das nicht an den Qualitäten des Drehbuchs, der Inszenierung, oder der Schauspieler, und auch nicht daran, dass der Film unrealistisch wäre (was er nicht ist), oder zu nah am Leben (was er ist). Schon eher liegt es an der Unmöglichkeit sich bei Wilders Filmen mit irgendeiner Figur zu identifizieren. In den Filmen, die ich bisher von ihm kenne, bleibt der Zuschauer immer auf Distanz, ist Beobachter des Geschehens. Die Typen, die Wilder entwirft, sind immer sehr nah an der Realität, und trotz aller Überzeichnung könnten es der Nachbar oder die Nachbarin sein. Aber sie sind mir meist unsympathisch. Vielleicht geht es nur mir so, aber der Zynismus und die Abgeklärtheit Wilders scheinen mir in seinen Komödien ungenügend überdeckt, woraus bei mir kein Lachen über die Verzweiflung, sondern eher eine Verzweiflung über das Lachen zustande kommt. Wie bei den volkstümlichen deutschen (Schlager)komödien, bei denen jedes Lächeln der Schauspieler eine Verkrampfung im Zuschauer hervorzurufen imstande ist. Nur, Wilder ist, im Gegensatz zu manch anderen, ein mehr als begabter Regisseur. Aber er ist mir doch oft nicht entschlossen genug. Der Neorealismus hätte ihm gut zu Gesicht gestanden, und auch der pechschwarze Zynismus einer waschechten Groteske. So wie es ist, komme ich mit dem gespaltenen Gesicht seiner Filme, einerseits lachend, andererseits weinend, nicht zurecht. Das Unbehagen zeugt jedoch nicht von der verstörenden Kraft des Künstlers, sondern aus der Verstörung über die Zurückhaltung und Angepasstheit von Wilders Kritik. Bei aller Ehrlichkeit, scheint er das gleiche Problem wie Bunuel nach dem Ende seiner viel zu kurzen surrealistischen Phase gehabt zu haben: Den Zuschauer immer bei der Hand nehmen zu wollen.

Was mich in „Das Appartement“ wirklich beeindruckt hat, war das Setdesign. Bei einem Film der fast nur in Innenräumen spielt und die Klaustrophobie und Einsamkeit der Großstadt New York im Studio nachzustellen versucht, entfaltet die Künstlichkeit einen eigenen Realismus. Die Bürohallen in schwarz-weiß haben etwas futuristisches, und bei den Appartementszenen weht ein Hauch von film noir à la Citizen Kane durchs Bild. In dieser Umgebung kann man eigentlich nur durchdrehen, denn etwas Natürliches existiert nicht mehr. Schön ist in diesem Kontext die Szene mit den endlosen Parkbänken, die den Überfluss des Materiellen aufzeigt, in dem sich alle Figuren ausnahmslos bewegen. Wie bei Sirk, finden wir hier das Unbehagen an der Moderne, und den Versuch der Überwindung von Entfremdung durch menschliche Annäherung. Der Wunsch nach Liebe als Ausdruck nach Gefühl in einer toten Welt. Wer Plastik begehrt, wird selbst zu Plastik. Dass das Gegenüber nur vorübergehenden Halt zu geben vermag, schmerzt bei Sirk aber tiefer. Der Horror des „American Way of Life“, der ewige Leerlauf des Fortschritts und die Schicksalsgläubigkeit der Massen – bei Wilder ist das leider oft nur eine Farce.

Zitat der Woche

Filmfest München 2010: Fazit – Kurzbewertungen und Listen

Schon bei der vorletzten Berlinale hatten wir eigentlich geplant, abschließend eine Wertungs-Übersicht aller von ET-Autoren gesehenen Filme zu erstellen, was damals und auch sonst seither (wie so vieles) dann aber doch bei jeder Gelegenheit aufs Neue im Sande verlief. Beim diesjährigen Münchner Filmfest, bei dem wir zu dritt wohl letztlich rund ein Drittel des über 200 Filme umfassenden Programms abgedeckt haben, klappt es nun aber doch endlich mal. Genauere Anmerkungen zu einzelnen Filmen folgen demnächst vielleicht noch in gesonderten Beiträgen, hier soll es zunächst nur um ein nicht weiter erläutertes Fazit in Form von Wertungen und Listen gehen.

Anmerkung: das 10er Wertungssystem wird von allen drei Bewertern in der Verteilung recht unterschiedlich ausgelegt (die 6 drückt beim Einen womöglich eine ähnliche Wertschätzung wie die 7 eines Anderen aus etc.) und ist insofern natürlich nur bedingt vergleichbar, sondern jeweils vor allem im Kontext der jeweiligen Auslegung zu sehen. Und wie sich von selbst verstehen sollte, ist das alles natürlich auch nicht in Stein gemeißelt.

Abkürzungen:
() = unter Vorbehalt (wegen ungünstigen Sichtungsumständen bzw. starker Müdigkeit)
* = bereits gesehen gehabt (und beim Filmfest nicht nochmal gesehen)
** = wiederholt gesehen

Filmtitel (gemäß Filmfest-Ankündigung)Alexander P.AndreasChristoph
36 VUES DU PIC SAINT LOUP
(Jacques Rivette)
78*8
ACCIDENT
(Cheang Pou-Soi)
7.5*9
AMER
(Hélène Cattet, Bruno Forzani)
6.589
DIE AUTOBIOGRAFIE DES NICOLAE CEAUSESCU
(Andrei Ujica)
98.59.5
BELAIR
(Bruno Safadi, Noa Bressane)
7
BERGBLUT
(Philipp J. Pamer)
1
CAFÉ NOIR
(Jung Sung-Il)
(5)
CARLOS
(Olivier Assayas)
9.510
COPIE CONFORME
(Abbas Kiarostami)
43
THE DARK HOUSE
(Wojtek Smarzowski)
3
DES HOMMES ET DES DIEUX
(Xavier Beauvois)
6.58
DEUX DE LA VAGUE
(Emmanuel Laurent)
7
DEV. D
(Anurag Kashyap)
68.5
THE DOUBLE HOUR
(Giuseppe Capotondi)
7
DRAQUILA – ITALY TREMBLES
(Sabina Guzzanti)
6.5
UN DÍA MENOS
(Dariela Ludlow)
7
EIGHTEEN
(Jang Kun-jae)
77.5
THE FOUR TIMES
(MIchelangelo Frammartino)
67.5
GREETINGS FROM THE WOODS
(Mikel Cee Karlsson)
3.5
HOTEL ATLÂNTICO
(Suzana Amaral)
4.5
I TRAVEL BECAUSE I HAVE TO, I COME BACK BECAUSE I LOVE YOU
(Marcelo Gomes, Karim Aïnouz)
7
I WISH I KNEW
(Jia Zhang-Ke)
6.5
ILLÉGAL
(Olivier Masset-Depasse)
3(3)
IN THE WOODS
(Angelos Frantzis)
6910
JE SUIS HEUREUX QUE MA MÈRE SOIT VIVANTE
(Claude & Nathan Miller)
969.5
LOS JÓVENES MUERTOS
(Leandro Listorti)
78.59
KHARGOSH
(Paresh Kamdar)
5.53.5
DER LETZTE ANGESTELLTE
(Alexander Adolph)
6.57
DAS LETZTE SCHWEIGEN
(Baran Bo Odar)
5.56.5
LIFE DURING WARTIME
(Todd Solondz)
4.5
LIKE YOU KNOW IT ALL
(Hong Sang-soo)
8*7.5
LITTLE BABY JESUS OF FLANDR
(Gust Van den Berghe)
5
LOLA
(Brillante Mendoza)
7*
LSD: LOVE, SEX AUR DHOKHA
(Dibakar Banejee)
5.55
MR. NICE
(Bernard Rose)
68
MUNDANE HISTORY
(Anocha Suwichakornpong)
76.5
MY SON, MY SON, WHAT HAVE YE DONE?
(Werner Herzog)
6.568.5
PAJU
(Park Chan-ok)
7.58.5
PERSÉCUTION
(Patrice Chéreau)
6.55
THE PORTUGUESE NUN
(Eugène Green)
49.54
POSSESSED
(Yong-Joo Lee)
6
DIE PRINZESSIN VON MONTPENSIER
(Bertrand Tavernier)
9.5
REDLAND
(Asiel Norton)
668.5
LE REFUGE
(Francois Ozon)
6.5
THE ROAD
(John Hillcoat)
7
SHIT YEAR
(Cam Archer)
7
THE STRANGER’S LAND
(Xavier Marrades)
7
TE CREÍS LA MÁS LINDA… (PERO ERÍS LA MÁS PUTA)
(José Manuel Sandoval)
8
TETRO
(Francis Ford Coppola)
7.579
TODOS VÓS SODES CAPITÁNS
(Oliver Laxe)
8
TRANSIT
(Philipp Leinemann)
6
UNCLE BOONMEE WHO CAN RECALL HIS PAST LIVES
(Apichatpong Wheerasethakul)
4.593.5
UNTER DIR DIE STADT
(Christoph Hochhäusler)
379
VALHALLA RISING
(Nicolas Winding Refn)
6.569.5
DER WANDERER
(Avishai Sivan)
7
WHITE MATERIAL
(Claire Denis)
7.57.5
A WHITE NIGHT
(Masahiro Kobayashi)
24.5
WOMAN ON FIRE LOOKS FOR WATER
(Ming Jin Woo)
8
ZAPPING-ALIEN@MOZART-BALLS
(Vitus Zeplichal)
2
***
Ältere Filme, erstmals gesehen:
DER BALL
(Ulrich Seidl)
7.5
BRÜDER LASST UNS LUSTIG SEIN
(Ulrich Seidl)
7.5
DER BUSENFREUND
(Ulrich Seidl)
67
COPACABANA MON AMOUR
(Rogério Sganzerla)
9.510
EINSVIERZIG
(Ulrich Seidl)
7
GOOD NEWS: VON KOLPORTEUREN, TOTEN HUNDEN UND ANDEREN WIENERN
(Ulrich Seidl)
5
ICH WILL DOCH NUR, DASS IHR MICH LIEBT
(Rainer Werner Fassbinder)
8.5
DIE LETZTEN MÄNNER
(Ulrich Seidl)
8.5
LOOK 84
(Ulrich Seidl)
7.5
DER WIND WIRD UNS TRAGEN
(Abbas Kiarostami)
(5)
ZUR LAGE: ÖSTERREICH IN SECHS KAPITELN
(Ulrich Seidl, Michael Glawogger, Barbara Albert, Michael Sturminger)
8
***
Unsere inoffiziellen Eröffnungs- und Abschlussfilme in Münchner Kinos abseits des Festivals:
THE HILLS HAVE EYES
(Wes Craven)
88**9
JAGDSZENEN AUS NIEDERBAYERN
(Peter Fleischmann)
9.58.59

Und im Folgenden in Listenform…

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Film und Buch (#1): David Bordwell – Visual Style in Cinema (2001)

1999 besuchte David Bordwell, auf Einladung des Instituts für Kunstgeschichte der Ludwig-Maximilian-Universität München, die deutschen Lande, und ermöglichte, begleitet von Filmvorführungen innerhalb von 4 Vorlesungen an 4 Tagen, in kurzer Abfolge, einen Einblick in sein Verständnis von Film. So heißt es jedenfalls im Vorwort dieses Buches, das (in der mir vorliegenden Ausgabe) die Vorträge aus dem Englischen ins Deutsche übersetzt und in jeweils 4 Kapitel aufgeteilt hat. Der Band erschien 2001 beim Verlag der Autoren, und ist in seiner Art eine Seltenheit, wobei er soviel ich weiß bisher nur in Deutschland aufgelegt worden ist. Während und nach dem Lesen wünschte ich mir vor allem eines: 1999 bei den Lectures dabeigewesen zu sein. Bordwell äußert sich präzise und eloquent, und es muss noch um ein vielfaches intensiver und anregender gewesen sein ihn im Originalton vor sich zu sehen – sozusagen das 35mm Erlebnis im Kino, statt der synchronisierten DVD zu Hause. Der Vorteil gegenüber dem Vortrag ist natürlich (wie immer beim Lesen) das Innehalten, Zurückblättern, die individuellere Handhabung, bei der die Auseinandersetzung mit der Zeit von größerem Nutzen sein kann. Insofern ist es dem sorgfältig redigierten Text auf vorbildliche Art und Weise gelungen das Ereigniss verständlich zu übertragen, was nicht zuletzt der Auswahl und inhaltlichen Einbindung zahlreicher Einzelbilder aus fast allen von Bordwell besprochenen Filmen zu verdanken ist.

Das besondere an Bordwells Vorträgen im Münchener Arri-Kino, war nach Meinung des Herausgebers, die Kombination von Wort und Bild durch die Vorführung zahlreicher Videosequenzen und die Projektion mehrerer hundert Dias, auf deren Grundlage die analytischen Argumentationen aufgebaut zu sein schienen, wobei es sich hierbei fast ausschließlich um die Übernahme von Frames aus den Filmen selbst, und nicht um Standbilder im klassischen Sinne, also am Set aufgenommene, oder sonstwie bearbeitete Pressebilder zu Werbezwecken handelte. Der Nachteil hierbei, ist die (je nach Zustand der verwendeten Filmkopie oder des Negativs) schlechtere Bildqualität. Der unschätzbare Vorteil jedoch – und bei Bordwell spielt dieser Umstand glücklicherweise in allen seinen Werken eine wesentliche Rolle – das Originalformat, oder zumindest eine versuchte Annäherung daran. Einen Film im falschen Bildformat zu sehen, heißt eben den Film niemals wirklich „gesehen“ zu haben, und eine Bildanalyse die sich mit der Kadrierung beschäftigt, führt sich durch Verwendung optisch beschnittener Filmsequenzen selbst ad absurdum. Bordwell gilt nicht nur deshalb, als einer jener Filmtheoretiker, die sich vor allem um die konkrete Beschäftigung mit dem Bild verdient gemacht haben. Dass es selbst unter Filmwissenschaftlern oft immer noch nicht relevant zu sein scheint, Filmausschnitte im richtigen Bildformat zu präsentieren, belegen nicht nur zahlreiche Veröffentlichungen, sondern (zumindest in Deutschland) auch der schäbige Umgang mit Filmpräsentationen an Universitäten. Eine Selbstverständlichkeit wird somit im Werk von Bordwell zu einer Auszeichnung. Traurig aber wahr.

Die Filmbilder sind im vorliegenden Buch sorgfältig in den Text eingefügt, kommentieren und ergänzen ihn, wobei ein weiterer unschätzbarer Vorteil gegenüber manch anderer ähnlich gelagerter Filmliteratur zum Vorschein kommt. Die Bildfolgen erscheinen nicht im Anhang und werden vom Verlag auch nicht als gnädige Fußnote zum theoretischen Fabulieren behandelt. Ebensowenig wurde ein vielleicht schön anzuschauendes graphisches Konzept erarbeitet, das jedoch über einen illustrierenden Charakter nicht hinausreicht. Vielmehr bedingen sich Form und Funktion, wie beim Film, gegenseitig auf die vielgerühmte Art: Das Ganze ist mehr als die Summe seiner Teile. Bei aller Freude gilt es aber nicht zu vergessen, dass ein Film eine zeitliche, mit einer bestimmten Geschwindigkeit ablaufende, Abfolge von Bildern darstellt, die sich immer nur als Bewegung oder Dauer wahrnehmen lassen. Stillstand im Kino existiert somit nicht, und die exakt definierte Bewegung in Raum und/oder Zeit ist eine der Besonderheiten des Erlebens von Film. Dadurch stellt die Beschäftigung mit Einzelbildern eine Art Anomalie dar, die ebenso wie die Analyse von Satzstrukturen im Gegensatz zur Wahrnehmung des (Lese)flusses stehen kann. Natürlich stellt sich hierbei die Frage, ob Filme kontinuierlich gesehen werden müssen, oder ob inzwischen ein massenwirksamer Paradigmenwechsel stattgefunden hat, bei dem der Zuschauer, zumindest im sogenannten „Heimkinobereich“, den Film beliebig oft anhalten, vor- und zurückspulen und auf eine Art bearbeiten kann, die früher nur demjenigen zugänglich war, der sich im Besitz des Filmmaterials befand. Darauf wird in dem Buch jedoch (bedauerlicherweise?) nicht eingegangen.

Das Problem, wenn man so will, besteht also darin, dass die Analyse von Einzelbildern im Endeffekt weniger über die Wahrnehmung des eigentlichen Bildablaufs aussagen kann, als man vielleicht annehmen möchte. Wenn wir durch eingehendere Betrachtung von Filmbildern Erkenntnisse erhalten können, die über das Gesehene während der Projektion hinausreichen, haben wir eine verzerrte Wahrnehmung in Kauf zu nehmen, die in vielen Fällen in einen Widerspruch zwischen bewegtem und gefrorenem Bild führen muss. Bild ist nicht gleich Bild. Sicherlich ist das einer der Hauptgründe, warum die Kunstgeschichte mit dem Film als Bildkunst bisher meist eher wenig anfangen konnte. Wenn Bordwell sich während der Vorträge als fähiger Kunsthistoriker erweist, sollten wir ihm das jedoch nicht negativ auslegen, sondern die Beschränkung von bzw. auf bestimmte Instrumaterien, als eine von zahlreichen Methoden ansehen, die nicht weniger Effektiv ist als andere, und uns dabei auf Bordwells eigenen Ausspruch besinnen: „Grand Theory will come and go, but research and scholarship will endure.“

Die wirklich relevanten Fehleinschätzungen entstehen beim vorliegenden Buch meiner Meinung nach nur, wenn Bordwell über die Wirkung von bestimmten Darstellungsformen spricht, dabei vom Spezifischen ins Allgemeine wechselt, und es sich für mich so liest, als ob er Behauptungen gerne als allgemeingültige Aussagen verstanden haben möchte. Nehmen wir folgendes Beispiel: Nachdem ich Bordwells Ausführungen zu bestimmten Sequenzen in David Wark Griffiths The Battle at Elderbush Gulch (1913) gefolgt war, wollte ich mich bei der Sichtung, zunächst des Films und daraufhin wiederholter einzelner Ausschnitte, bestimmter Wirkungsweisen versichern und Aussagen überprüfen. Dabei hatte ich bei einer der behandelten Einstellungen das Bedenken, dass meiner Meinung nach ein dreisekündiger Ausschnitt oft anders wahrgenommen wird, als es eine zeitintensivere Analyse nahelegen kann, sowie bei einer anderen Abfolge, das Problem der Zeitlupe beim Fußball. Was bei „genauerer“ Betrachtung als brutales Foul erscheint, war im Spiel vielleicht wirklich nur eine leichte Berührung. Trotzdem erkennt man an diesem Beispiel, dass ich Bordwells Ausführungen sehr anregend fand, und mir zu vielen Aspekten selbst eine Meinung bilden wollte. Und eben hier liegen Bordwells Stärken: den Blick zu öffnen und Anstöße zur weiteren Auseinandersetzung zu geben, also genau das, was man sich von Vorträgen erhoffen kann.

Bei der Bildanalyse liegt Bordwells Fokus in diesem Werk meist auf der Choreographie von Personen, und sein analytisches Genie offenbart sich meiner Meinung nach vor allem bei der Beschreibung des Verhaltens von Personengruppen innerhalb einer Plansequenz. So gelingen ihm beim Aufzeigen der präzisen Choreographie und Dramaturgie innerhalb der einminütigen Stummfilme der Brüder Lumière, sowie beim hellsichtigen Sinnieren über das Abwenden einer Figur von der Kamera im japanischen Kino, großartige Kabinettstückchen. Und wenn er über mehrere Seiten die inszenatorische Brillanz von Victor Sjöströms Ingeborg Holm (1913) beschreibt, möchte man die Passagen mit den dazugehörigen Bildern nicht nur immer und immer wieder lesen und betrachten, sondern wenigstens vorübergehend auch den Blick von Bordwell auf diesen Film ganz und gar als den eigenen erleben. Denn in „Visual Style in Cinema“ liegt der Genuß im Detail.


David Bordwell: Visual Style in Cinema. Vier Kapitel Filmgeschichte.
Herausgegeben und mit einem Vorwort versehen von Andreas Rost.
Aus dem Amerikanischen ins Deutsche übersetzt von Mechtild Ciletti.
Verlag der Autoren, Frankfurt am Main, 2001.
1. Auflage.