Film und Buch (#4): Mario Leis – Leni Riefenstahl (2009)



„Wer sich Ärger einhandeln möchte, sollte über Leni Riefenstahl schreiben“

Die Vorliegende im Herbst 2009 veröffentlichte Ausgabe in der Reihe rowohlts monographien, ist die Neueste (inzwischen wahrscheinlich aber auch nicht mehr) Auseinandersetzung mit der vielgescholteten Vorzeigefilmemacherin des dritten Reichs, über deren Leben und Wirken weltweit inzwischen mehr als 100 Bücher erschienen sind. Ein Tropfen auf den heißen Stein also, bei einer Persönlichkeit, an der sich zeitlebens die Geister geschieden und die Gemüter erhitzt haben. Gefangen zwischen der offensichtlichen Funktion als visuelle Erfüllungsgehilfin eines dikatorischen Staates, und dem selbst formulierten künstlerischen Anspruch einer unabhängigen Visionärin, ist Leni Riefenstahl als Spiegelobjekt gesellschaftlicher Vorstellungen vom Zusammenspiel zwischen Kunst und Leben auch weiterhin aktuell. Und vor allem so lässt sich dieser biographische Abriss von Mario Leis auch lesen.

Behandelt wird zunächst auf 7 Seiten die Kindheit und Jugend, und darauf aufbauend in einem größeren Abschnitt von 40 Seiten ihre erste Karriere als Tänzerin, sowie ihre Auftritte und ihre Mitarbeit an den deutschen Bergfilmen der 20er und 30er Jahre. Ihren Verwicklungen mit den Nationalsozialisten und ihren bekanntesten Regiearbeiten der 30er Jahre wird mit 45 Seiten der größte Raum gewidmet. Ihre dritte Karriere als Fotografin wird unter dem Aspekt der Nubabildbände auf weiteren 30 Seiten untersucht, und abschließend folgt eine kurze Betrachtung ihrer Wahrnehmung in den Medien der letzten 4 Jahrzehnte.

Der Zwiespalt in der Behandlung von Riefenstahl lässt sich an der Überschrift „Propagandistin oder Künstlerin?“ eines Artikels von Alice Schwarzer ablesen. Die Weigerung jemanden vielleicht als Propagandist und Künstler, Nazi und Visionär – als angenehm und unangenehm in einem – wahrnehmen zu müssen, zieht sich als roter Faden durch den kompletten Band, indem immer wieder Apologeten wie Gegner Riefenstahls zitiert werden, und somit nicht nur die beidseitige Inszenierung der Popfigur Leni deutlich herausgearbeitet, sondern auch ein akkurates Bild unserer dualistischen Zivilisation gezeichnet wird. Durch die komprimierte Zusammenstellung zahlreicher Meinungen und Äußerungen Dritter, entsteht wie nebenbei auch ein kleiner Einblick in die (westliche) Kulturgeschichte des 20. Jahrhunderts und die anhaltende Unfähigkeit Deutschlands zur Auseinandersetzung mit dem Nationalsozialismus.

Unangenehm berührt hat mich an der Schreibweise die wiederholte Tendenz, Riefenstahls Leistungen auf allen Bereichen, die historisch bisher nicht unumstritten anerkannt worden sind, herabzuwürdigen. Dabei zeigt sich für mich vor allem in den frühen Kapiteln und der Einschätzung Riefenstahls als Tänzerin, Schauspielerin und Regisseurin, eine Voreingenommenheit des Autors. Unangenehm deshalb, weil die persönlichen Vorwürfe nicht wirklich offen zu Tage liegen, weil sie nicht direkt vorgetragen oder zur Diskussion gestellt werden, sondern auf Umwegen und über Zitate anderer in einer Weise in die Fomulierungen hineingearbeitet sind, welche das Buch und seinen Autor vordergründig stets sachlich und unparteiisch erscheinen lassen möchte (was sich in Zeiten der political correctness für eine Monographie leider wohl immer noch „so gehört“). Die regelmäßig aufblitzenden Seitenhiebe gegenüber Riefenstahls Schaffen und Charakter werden dabei als ironische Spitzen verkleidet.

In dieser Monographie erklärt sich Leni Riefenstahls Leben und Werk vor allem aus ihrer Kindheit und Jugend und ihrem Wirken im 3. Reich. Für einen Menschen der über hundert Jahre gelebt hat, und bis zu seinem Tod künstlerisch aktiv geblieben ist, erscheint diese Sichtweise doch sehr beschränkt. 1945 war sie schließlich gerade einmal 43 Jahre alt. Nichtsdestotrotz, ist das Buch flüssig geschrieben und eignet sich aufgrund der Fokussierung auf die bekanntesten und kontroversesten Aspekte von Riefenstahls Leben und die unglaubliche Vielzahl und Dichte an Informationen hierzu, ausgezeichnet als Einführung. Darüber hinaus ist es als schmales Taschenbuch sehr handlich, jeweils interessant und passend bebildert, und graphisch sorgfältig und professionell gestaltet. Wer aber außer einer Auflistung der üblichen Diskursaspekte eine vielschichtigere Auseinandersetzung mit Leni Riefenstahl lesen möchte, ist hier fehl am Platz. Sicherlich ist so eine Leistung von einer 150-seitigen Monographie auch gar nicht zu erwarten – eine differenziertere Herangehensweise an die Bewertung einer Persönlichkeit und ihres künstlerischen Schaffens jedoch schon.


Mario Leis: Leni Riefenstahl.
rowohlts monographien begründet von Kurt Kusenberg, herausgegeben von Uwe Naumann.
Rowohlt Taschenbuch Verlag, Reinbeck bei Hamburg, November 2009.
1. Auflage

Dieser Beitrag wurde am Mittwoch, Juli 14th, 2010 in den Kategorien Ältere Texte, Blog, Blogautoren, Filmbücher, Filmschaffende, Sano veröffentlicht. Sie können alle Kommentare zu diesem Beitrag über den RSS 2.0 Feed verfolgen. Sie können diesen Beitrag kommentieren, oder einen Trackback von ihrer eigenen Seite setzen.

2 Antworten zu “Film und Buch (#4): Mario Leis – Leni Riefenstahl (2009)”

  1. Alexander S. on Juli 15th, 2010 at 19:11

    Leider habe ich mich mit Riefenstahl noch so gut wie gar nicht beschäftigt, kenne auch noch keinen Film von ihr, aber irgendwann werde ich das wohl nachholen müssen!

    Dass in dem Buch vor allem ihr Schaffen im 3. Reich behandelt wird ist irgendwie klar, schließlich sind das ihre bekanntesten Werke. Hat sie außer diesen Nuba-Bildbänden denn überhaupt noch so viel künstlerisch gemacht nach 1945? Ich kenne mich da zu wenig aus, sehe aber gerade im Netz, dass sie 2002 noch so einen Unterwasser-Naturfilm gemacht hat… Kennst du den?

    Diese schreckliche „political correctness“ ist wirklich eine Seuche, weil sie die Auseinandersetzung und realistische Betrachtung so vieler Aspekte der Kultur völlig verzerrt, der Titel von Schwarzers Artikel spricht in der Tat Bände: entweder sie ist eben eine böse Nazi-Propagandistin, dann muss ihr Werk auch automatisch ganz furchtbar kitschig oder ästhetisch mangelhaft oder naiv oder gestümpert sein, oder sie ist eben doch eine Künstlerin, dann kann sie natürlich niemals eine echte Nazisse gewesen sein, wurde nur missbraucht und hat Buße getan, indem sie dann gezeigt, dass „Neger auch schön sein können“…

  2. Sano on Juli 17th, 2010 at 23:04

    Ich kenne von Riefenstahl auch nur wenig, und über sie ebenso. Hab mal als Jugendlicher „Triumph des Willens“ auf ner alten VHS aus der Bücherei ausgeliehen, und das wars im Grunde. Aber man kriegt ja trotzdem so einiges mit…

    Dieser Dualismus in den Köpfen der Leute ist wirklich eine Katastrophe, und grassierte ja auch unter Filmfans aufs übelste. Wenn A gut, dann B schlecht. Es ist schon erbärmlich, wenn man Unterschiede nicht aushalten kann, und meiner Meinung nach bereits problematisch, wenn diese von vornherein als Widersprüche empfunden werden. Der Anspruch auf Einheitlichkeit ist dabei nicht nur in der Kunst eine teuflische Forderung.

    Ich finde es ebenso problematisch wenn Tarantino auf die Frage nach der besten weiblichen Filmemacherin mit Riefenstahl antwortet. Nicht im Kontext des spezifischen Gesprächs und Themas, (und es ist durchaus kritisch, wenn Tarantino in einem deutschen Interview die – wie ich es empfinde – vor allem hierzulande kontroverse Riefenstahl als persönlichen Liebling benennt, zumal, da es im Kontext seines antifaschistischen „Inglourious Basterds“ geäußert wird), sondern schon die Frage. Frauen werden ghettoisiert. So als ob Filme von Regisseurinnen ein eigenes Genre wären. Natürlich sind Filme von Frauen anders als Filme von männlichen Regisseuren, aber das sind nicht ihre Spezifika. Genauso wenig wie das Wesen eines Nazis ist, dass er ein Nazi ist.

    Und ich brauche Riefenstahls Werk nicht zu kennen, um mich darüber zu beschweren, dass es nicht auf die bekanntesten Aspekte reduziert werden kann. Eine interessante Frage wäre ja zum Beispiel, was hat sie zwischen 1945 und 1965 getan? Das ist dann eben die Aufgabe des Biographen (oder in diesem Fall des Autors der Monographie) sich damit zu beschäftigen, und antworten darauf zu liefern.

    Wie kann ich das klar ausdrücken? Wenn z.B. die Riefenstahl zeitlebens gerne Tischdeckchen gehäkelt hat, wer bin ich zu behaupten, dass ihre Filme wichtiger waren? Also etwas polemisch gesagt, lieber auch ein Buch über Leni beim Häkeln, als Band 89 über ihre Verehrung für den Führer.

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