Geborgte Filme – endlich gesehen! #3: The Apartment (1960)
„Das Appartement“ ist inzwischen der achte Film, den ich von Billy Wilder gesehen habe. Und ich muss sagen, vielleicht bin ich doch kein besonders großer Anhänger dieses Hollywoodtitanen, der wie so viele in den 30er Jahren aus Deutschland auszog, und die Welt das Lachen lehrte. Es ist tatsächlich so, dass mir Wilder am Besten gefällt, wenn es nichts zu Lachen gibt. Five Graves to Cairo (1943) und auch Sunset Blvd. (1950) finde ich großartig. Das Pathos, die Verzweiflung, das Lächerliche aber auch bedrohliche an Rommel und an Norma Desmond. Erich von Stroheim und Gloria Swanson, zwei Giganten des Stummfilms, die sich auch im Tonfilm pudelwohl fühlen, und alles an die Wand spielen, was ihnen begegnet. Überlebensgroß. Das Gewöhnliche, Alltägliche, die normalen, durchschnittlichen Leute die Wilder in seinen Komödien gerne in den Mittelpunkt stellt, gehen an mir vorbei. Jack Lemmon in „Manche mögen’s heiß“ (1959) oder Tom Ewell in The Seven Year Itch (1955). Komödiantisches Talent mögen sie besitzen, auch Marilyn Monroe ebenso wie Shirley MacLaine, und Jack Lemmon ist in manchen Szenen schon besonders gut. Aber auch bei ihm, ziehe ich die reine Verzweiflung dem humoristischen Kabinettstück vor. Wenn ich sehe, auf Welche Art seine Manierismen z.B. in Glengarry Glen Ross (1992) – sowieso einem der besten Schauspielerfilme ever – instrumentalisiert werden, gehe ich wahrlich in die Knie. Vielleicht liegt mein relatives Desinteresse an den „cleveren“ Filmen Wilders auch an meinem relativen Desinteresse an Komödien und Satiren aller Art, vor allem der aufgeweckten Sorte. Humor ist wirklich etwas schwer bestimmbares.
Wenn mir die trübe Welt von „Das Appartement“ ebenso egal war, wie die Figuren, die sich darin bewegen, liegt das nicht an den Qualitäten des Drehbuchs, der Inszenierung, oder der Schauspieler, und auch nicht daran, dass der Film unrealistisch wäre (was er nicht ist), oder zu nah am Leben (was er ist). Schon eher liegt es an der Unmöglichkeit sich bei Wilders Filmen mit irgendeiner Figur zu identifizieren. In den Filmen, die ich bisher von ihm kenne, bleibt der Zuschauer immer auf Distanz, ist Beobachter des Geschehens. Die Typen, die Wilder entwirft, sind immer sehr nah an der Realität, und trotz aller Überzeichnung könnten es der Nachbar oder die Nachbarin sein. Aber sie sind mir meist unsympathisch. Vielleicht geht es nur mir so, aber der Zynismus und die Abgeklärtheit Wilders scheinen mir in seinen Komödien ungenügend überdeckt, woraus bei mir kein Lachen über die Verzweiflung, sondern eher eine Verzweiflung über das Lachen zustande kommt. Wie bei den volkstümlichen deutschen (Schlager)komödien, bei denen jedes Lächeln der Schauspieler eine Verkrampfung im Zuschauer hervorzurufen imstande ist. Nur, Wilder ist, im Gegensatz zu manch anderen, ein mehr als begabter Regisseur. Aber er ist mir doch oft nicht entschlossen genug. Der Neorealismus hätte ihm gut zu Gesicht gestanden, und auch der pechschwarze Zynismus einer waschechten Groteske. So wie es ist, komme ich mit dem gespaltenen Gesicht seiner Filme, einerseits lachend, andererseits weinend, nicht zurecht. Das Unbehagen zeugt jedoch nicht von der verstörenden Kraft des Künstlers, sondern aus der Verstörung über die Zurückhaltung und Angepasstheit von Wilders Kritik. Bei aller Ehrlichkeit, scheint er das gleiche Problem wie Bunuel nach dem Ende seiner viel zu kurzen surrealistischen Phase gehabt zu haben: Den Zuschauer immer bei der Hand nehmen zu wollen.
Was mich in „Das Appartement“ wirklich beeindruckt hat, war das Setdesign. Bei einem Film der fast nur in Innenräumen spielt und die Klaustrophobie und Einsamkeit der Großstadt New York im Studio nachzustellen versucht, entfaltet die Künstlichkeit einen eigenen Realismus. Die Bürohallen in schwarz-weiß haben etwas futuristisches, und bei den Appartementszenen weht ein Hauch von film noir à la Citizen Kane durchs Bild. In dieser Umgebung kann man eigentlich nur durchdrehen, denn etwas Natürliches existiert nicht mehr. Schön ist in diesem Kontext die Szene mit den endlosen Parkbänken, die den Überfluss des Materiellen aufzeigt, in dem sich alle Figuren ausnahmslos bewegen. Wie bei Sirk, finden wir hier das Unbehagen an der Moderne, und den Versuch der Überwindung von Entfremdung durch menschliche Annäherung. Der Wunsch nach Liebe als Ausdruck nach Gefühl in einer toten Welt. Wer Plastik begehrt, wird selbst zu Plastik. Dass das Gegenüber nur vorübergehenden Halt zu geben vermag, schmerzt bei Sirk aber tiefer. Der Horror des „American Way of Life“, der ewige Leerlauf des Fortschritts und die Schicksalsgläubigkeit der Massen – bei Wilder ist das leider oft nur eine Farce.
Hätte zwar nicht gedacht, dass ausgerechnet du dich an so etwas sekundärem wie ausbleibenden Identifikationsangeboten störst, aber darüber hinaus kann ich das überhaupt nicht nachvollziehen. Lemmons Figur lädt meines Erachtens sehr dazu ein, mit ihr mitzufühlen und – trotz allen Kummers – auch zu schmunzeln.
Was du im zweiten Absatz schreibst, das trifft für mich eher auf – vermeintliche – Regiegrößen wie Kubrick zu.
Ich finde, bei Wilder lacht man oft nicht mit, sondern über die Figuren. Auch wenn es ein sympathisches Schmunzeln ist. Für mich herrscht immer eine starke Außenperspektive vor. Alles erstmal nichts Negatives, sondern nur mein Eindruck. Habe halt das Gefühl, dass ich mich wie jüngst z.B. bei Haneke, einerseits auf die Figuren konzentrieren soll, und auch mit ihnen mitfühlen – ohne mich jedoch mit ihnen zu identifizieren, da Wilder mir über ihr Verhalten und ihre Interaktion mit der Welt noch eine „subtile“ Botschaft vermitteln möchte. Ich fände Wilder ohne den verdeckten moralischen Impetus, bzw. ohne diese (für mich) eindeutige Zweigleisigkeit, wohl angenehmer. Eine Möglichkeit wäre mehr Identifikationsangebote (also in diesem Fall weniger Zynismus). Die Andere mehr Distanz (mehr Zynismus). So wie es ist, sehe ich einen Regisseur, der mit der Welt hadert, gleichzeitig den Zuschauer unterhalten möchte, und darüber hinaus auch noch eine Lehre über die Welt vermitteln möchte, ohne dass diese Dinge eine reflektierte Symbiose eingehen würden. Mich stört dieses „Versteckspiel“ eher, als das es mich animiert.
Deine Aussage zeigt für mich, dass man auf unterschiedliche Konzeptionen von Film, unterschiedlich reagiert. Und es viel damit zu tun hat, was für „Ansichten“ man sympathisch findet. Die Art wie eine Person redet mag einem ebenso unangenehm und ärgerlich erscheinen, wie die Art in der sich eine starke Regieperson durch ihre FIlme ausdrückt. Eben alles eine Frage der eigenen Disposition, warum einem Film X zusagt, und Film Y nicht.
Wir operieren nicht nur im Schreiben sondern auch im Denken ständig mit Adjektiven, die es dem menschlichen Geist unmöglich machen objektive Aussagen zu fällen. Was für den einen beruhigend erscheint, ist für den anderen verstörend. Und die (moralische wie affektive) Wertung bestimmter adjektive unterliegt ebenso unterschiedlichen Auslegungen.
Bei den Identifikationsangeboten störe ich mich daher, dass ich Filme, ähnlich wie Christoph, nicht intellektuell sondern emotional angehe. Für mich sind sie nicht so sehr ein Artefakt das verstanden, sondern vielmehr gefühlt werden muss. Und fühlen tut jeder Mensch anders (verstehen aber natürlich auch). Und Filmkritik ist für mich nach Möglichkeit die Darlegung der eigenen Rezeptionsweise – weshalb mich auch immer genausosehr interessiert wer über ein Thema schreibt oder berichtet, das wie also mindestens ebenso wichtig wie das was ist.
Ja, mir geht das mit Wilder und leider Komödien generell eigentlich ganz genauso. Humor lasse ich mir vorzugsweise von Trash oder von Filmen, die es nicht vornehmlich darauf angelegen, ein Feuerwerk des Spaßes zu sein, verabreichen. Eine gewisse Überheblichkeit oder zumindest ein Gefühl der Überlegenheit den Figuren gegenüber gehört m. E. zu den Grundvorraussetzungen der Gattung, weswegen sie mir nie sonderlich zugesagt hat. Und bei Wilder hört man eben auch immer das Rascheln der Drehbuchseiten, so kunstvoll konstruiert er seine Gags. Tatsächlich ist auch mein Liebling SUNSET BOULEVARD. Es ist nicht so, dass meine letzte Wilder-Komödie (A FOREIGN AFFAIR) mich nicht ausgiebig bespaßt hätte, aber irgendwie bleibt dabei für mich nie eine über den Film hinaus andauernde Faszination zurück und was der Film an abstrakteren Impulsen ausgesendet hat, versickert letztlich im kunstfertigen (kunstgewerblichen?) Labyrinth des Drehbuchs.
Tatsächlich ist Wilder vergleichsweise zynisch (mehr als beispielsweise Lubitsch m. E.) und vielleicht wirken seine Melodramen und Noirs deswegen auf mich auch organischer.