Nach WHERE THE WILD THINGS ARE, der im Oktober in die amerikanischen Kinos kommen soll, hat Spike Jonze sich bereits der nächsten Verfilmung eines Bilderbuches angenommen : Taro Gomis beliebtem Klassiker EVERYONE POOPS. Bevor man sich den Trailer dazu zu Gemüte führt, sollte man vorher allerdings unbedingt den Trailer zu WHERE THE WILD THINGS ARE gesehen haben (hier z.B.).
EVERYONE POOPS TRAILER
Definitiv einer der am Liebevollsten gemachten Faketrailer, die ich in letzter Zeit gesehen habe.
Elia Kazan-Reihe, 9. Film – Ein knapper und konfuser Versuch, THE ARRANGEMENT zu (er)fassen.
An einem Wochentag wie jeder andere verlässt der erfolgreiche Werbefachmann Eddie Anderson (Kirk Douglas) seine Frau Florence (Deborah Kerr) und sein Luxus-Anwesen um sich auf den Weg zur Arbeit zu machen. Weniger als eine Stunde später liegt er im Krankenhaus. Ein Selbstmordversuch. Kollegen, Familie und Freunde sind schockiert. Warum sollte ausgerechnet Eddie, der doch „alles“ hatte im Leben, Selbstmord begehen? Nach Eddies Genesung wird er nachts von Alpträumen gequält und verfällt in einen merkwürdig apathischen Zustand. Florence nimmt ihn ins Kreuzverhör. Und entfesselt nach und nach eine Flut von Erinnerungen in Eddie, an seine Affäre mit der attraktiven und eigenwilligen Gwen (Faye Dunaway). Er spürt, dass er zu jenem bürgerlichen Bilderbuch-Leben voller Verlogenheiten ebensowenig zurückkehren kann wie daraus völlig ausbrechen…
Existenzialistische Engpässe sind für uns gemeines Publikum ja tendenziell um ein vielfaches faszinierender, wenn sie sich in der elusiven Welt des Glamours, der Reichen, Berühmten, der zweibeinigen Wirtschaftswunder entladen. Da entfaltet sich dann das meiste dramatische Potenzial deshalb, weil man sich nicht an die eigenen, schäbigen existenziellen Konflikte erinnert fühlt, die sich in dieser Scheinwelt deshalb so unwirklich anfühlen, weil die Licht- und Schattenseite von Öffentlichkeit und Privatem so durchsetzt ist mit einer Profanität, die Normalsterbliche niemals verstehen werden können, weil sie weder Millionäre mit Luxus-Villa, Pool und Privatflieger sein werden und waren, und weil sie stets nur die Schattenseite, nämlich das Private, gekannt haben.
Verbunden mit dieser simplen Skizze, die für das Image von Hollywood immer besonders prägend war und immer bleiben wird – nur vielleicht auf nicht mehr gar so mythische Weise wie einst – speisen sich aus THE ARRANGEMENT, dem Film des vom anfänglichen Hollywood-Wunderkind zum späteren Hollywood-Außenseiter avancierten Elia Kazan, eine Menge obskurer Diskurse. Als Produkt der Traumfabrik ist THE ARRANGEMENT, im Erscheinungsbild einer von Kazans teuersten und glamourösesten Filmen [Kazan gab später in Interviews an, dass er es, retrospektiv gesehen, vorgezogen hätte, den Film als kleine Independent-Produktion zu drehen anstatt als großen Hollywood-Film], in prachtvollen Technicolor-Scope-Bildern von BEN HUR-Kameramann Robert Surtees eingefangen, zunächst keine befriedigende Erfahrung. Als Sicht auf die Traumfabrik ist er befremdlich, weil er durch Kazans freie Vermischung von Biographischem und Fiktionalem in der Figur von Eddie Anderson (Kirk Douglas), einem Werbefachmann, sich der Traumfabrik nur abstrakt annähert und sich bewusst von dieser mythisch verklärten, monströsen Industrie distanzieren möchte. Als kritische Sicht auf die Übel einer bürgerlichen Existenz und deren mögliche Potenzierung mit wachsendem Wohlstand funktioniert THE ARRANGEMENT schon gar nicht. Denn gerade die äußerlich perfekt mechanisch arbeitende Maschinerie eines solchen Wohlstandes zwingt Eddie so unbarmherzig wie anders unvorstellbar zur Konfrontation. In Eddie steckt nicht nur Kazan selbst, in ihm ist auch der Kazan-typische, im Kern jugendliche und / oder unreife Sturm-und-Drang-Charakter enthalten, wie er in EAST OF EDEN (1955) von James Dean, in SPLENDOR IN THE GRASS (1961) von Warren Beatty und in AMERICA, AMERICA (1963) von Stathis Giallelis verkörpert wird. Und Eddie ist hier und da auch ein umgekehrtes, ent-dämonisiertes Spiegelbild von Andy Griffiths manisch-lustvollem und gedankenlos-zerstörerischen „Lonesome Rhodes“ aus A FACE IN THE CROWD (1957).
THE ARRANGEMENT ist Kazans Experimental-Film – und sein filmischster. Nie hat er seine Ambition, Wirklichkeitsnähe, wenn nicht sogar puren Realismus zu erzeugen, kaschiert zugunsten eines illustren, „cinephileren“ Profils. Und die Vorwürfe, man würde seinen Filmen stets seine Bühnenherkunft negativ anmerken, scheint er meist gelassen genommen zu haben. Nach dem kruden und unmittelbaren, stellenweise beinahe dokumentarischen Straßen-Realismus von AMERICA, AMERICA zeigt THE ARRANGEMENT Kazan mit einem Maximum an Stilwillen, bzw. Willen zur Stilisierung. Von völlig grotesken, satirischen Einzelszenen über poetisch verschleierte Traumbilder bis hin zu Comic-artigen, dezidiert surrealen Einschüben und subjektiver Kamera reichen die formalen Instrumente, mit denen Kazan seinen Roman, eine Sammlung persönlicher Anekdoten, Betrachtungen und Zwischenbilanzen seines Lebens, in zwei Stunden purstes Kino einzufassen versucht. Wo AMERICA, AMERICA unter der extremen Eigenverantwortung, die Kazan sich aus Respekt vor dieser Quasi-Mini-Chronik seiner Familie aufbürdete, litt, profitiert die freimütig konfuse Erzählstruktur und sinnliche Gestaltung von THE ARRANGEMENT enorm von Selbstzerfleischung und -bemitleidung seines Autors. In dem atemlosen Changieren von Eddie zwischen rücksichtslosem Selbstverwirklungstrieb und weinerlicher Orientierungslosigkeit ist eine der vielleicht unzugänglichsten subjektiven Erzählperspektiven im semibiographischen US-Mainstream-Kino zu finden – Die Frage, ob und inwiefern THE ARRANGEMENT Aufschluss geben kann über die Persönlichkeit seines Schöpfers, wäre hinderlich.
Eine klare Linie zwischen Selbstironie, übergeordneter Wahrnehmung einer Kunstfigur durch ihren Erfinder und sentimentaler Leutseligkeit lässt sich kaum ausmachen. Trotz aller vermeintlich banalen und melodramatischen Entwicklungen, die sich aus Eddies Sehnsucht nach einer Auflösung des „Arrangements“ und seiner gleichzeitigen Unschlüssigkeit ergeben, lässt Kazan ihm eine autarke, eigene Mystik – wie auch diesem um ihn gescharten Gruselkabinett schleimiger „Saubermänner“. Sich selbst lässt er gehen. In Interviews hat sich der gebürtige Grieche, der im Film der Melange der Kulturen eine eigene, komplizierte und für die spezifisch audiovisuelle Gestaltung maßgebliche Rolle zukommen lässt, oft selbstkritisch über jene Filme, bzw. Film-Abschnitte geäußert, in denen er sich „gehen ließ“. Unter der Vorbedingung, sein geschriebenes Wort, seine eigenen Erlebnisse zu visualisieren, ist ihm, vielleicht nur teilweise bewusst, die Kontrolle entglitten. Man kann sich nur schwer vorstellen, dass dieser zwischen erzählerischer Gegenwart und Vergangenheit sowie verschiedenen Stilrichtungen wie ein Tennisball hin- und herhüpfende Film mit seiner fragmentarischen Struktur – die in jedem Abschnitt auf die Unmittelbarkeit des dramaturgischen, einzelnen Tableaus hinarbeitet – überhaupt auf einem Roman basiert. Wenn Kazan den Film mit einem alltäglichen Morgen im Hause Anderson beginnt und die Morgentoilette und das Familien-Frühstück am Pool in säuberlich symmetrischen und pastellfarbenen Bildern inszeniert wie einen von Eddies Zigaretten-Werbespots, wenn er unvermittelt den imaginären Gewaltausbruch, denn Eddie sich erträumt angesichts von Gwens neuem Liebhaber mit grellbunten Schrifttafeln, die in typischem Comic-Jargon Schlaggeräusche beschreiben, versetzt, wenn er mit langen Zooms Eddie aus seiner Realitäts-Flucht herausholt – dann sieht man einen Hollywood-Veteranen, der seine grenzenlose Neugier auf die suggestiven visuellen Möglichkeiten des Kinos, spät, aber doch in die Tat umsetzt. Und das genau in Verbindung mit diesem Stoff, weil er es zuvor kaum gewagt hatte, dass gewichtige, nicht selten kritische Material, dass er zusammen mit Autoren wie Tennesse Williams, Budd Schulberg oder John Steinbeck in freundschaftlicher Kollegialität bearbeitete. Auf sich allein gestellt mit einzig und allein seiner eigenen künstlerischen Identität, wildert Kazan sich durch den Katalog der großen Hollywood-Bilder – mit einem zugegebenermaßen vielleicht unbeabsichtigten, aber unbestreitbar spürbaren Ansatz von dem, was man inzwischen mit wegwerfender Beiläufigkeit als Postmoderne bezeichnet.
THE ARRANGEMENT ist mit seinen zahllosen zusammengeworfenen Ideen, seinem zerfahrenen Aufbau [gemessen am Maßstab klassischer Filmdramaturgie], seinen perspektivischen Wechseln, seinem willkürlich anmutendem Pendeln zwischen Sarkasmus und Melancholie, komplizierten Charakteren und ständig wechselnden dramaturgischen Strategien sowie stilistischen Experimenten, ein Koloss von Film, dem man zunächst eher Verwirrung und Erstaunen entgegenbringen kann – besonders in Kenntnis von Kazans vorherigem Schaffen – denn Begeisterung oder reine Faszination. Aber nachdem man die Reizüberflutung und Vielfalt der Einfälle, Polemiken und Fragen verdaut hat, bleibt das Gefühl, einen zuvor stets rastlosen Filmemacher in einem seltenen und produktiven Moment der Harmonie mit sich selbst erlebt zu haben. Einen kurzen Moment, in dem Ego und Selbstverachtung zueinander finden, in dem die ewig miteinander ringenden Erzählmedien und Kunstformen Theater und Kino einen Waffenstillstand einlegen [und zwar nebeneinander und nicht, wie früher bei Kazan, miteinander] und in dem ein Hollywood-Dramatiker der alten Schulde den Bogen über seine Zeit hinaus spannt, mit altmodischen und fortschrittlichen Stilmitteln einen zeitgenössischen Konflikt zu einem gleichermaßen modernen wie klassischen Film verarbeitet. Das moralische Chaos, in das Kazans Charaktere in der Regel durch ihre diffuse Selbstwahrnehmung gestürzt werden, war selten so extrem, aussichtslos und monströs. Dass Kazan dabei auf eine beispiellos treffende und kongeniale Besetzung bauen kann und deren Potential bis zur bekannten Grenze ausreizt, muss dabei gar nicht mehr erwähnt werden. Vielleicht nur indirekt, wie mit letzterem Satz mehr oder minder geschehen. Nur nicht so indirekt, wie so vieles in diesem erstaunlichen Film unvermittelt zu uns durchsickert – oder auch verweigert, ausgespart oder minimalisiert wird.
Am Rand noch der Hinweis auf die US-DVD von Warner. Im Gegensatz zu der deutschen Scheibe, die schon aufgrund des falschen Bildformates 1:1,85 indiskutabel und ohnehin schon out of print ist, kann man THE ARRANGEMENT hier im Original-Format in wirklich atemberaubender Bild- und Farbqualität erleben (der Ton ist, warum auch immer, nur in 1.0 Mono, ansonsten aber makellos, englische Untertitel lassen sich zuschalten), die umso überraschender ist angesichts der Tatsache, dass sich die Popularität und Bekanntheit des Films in Grenzen hält und man in Veröffentlichungen solcher Titel bei den Majors ja gerne etwas weniger Sorgfalt investiert. An Extras gibt es immerhin eine jener Original-Kurzdokumentationen, wie sie damals im Fernsehen in zeitgenössischen Äquivalenten zu zweifelhaften Formaten wie „Kino, Kino“ u. ä. gezeigt wurden. 6 viel zu kurze Minuten lang werden Interview-Schnipsel mit Kazan, Kirk Douglas, Deborah Kerr, Faye Dunaway, Richard Boone und Hume Cronyn von 16mm-Impressionen der Dreharbeiten illustriert (oder umgekehrt, je nach Betrachtungsweise). Und natürlich den sehr reißerischen und sehr schönen Kinotrailer (leider in Pan & Scan), der mir während meiner ersten Annäherungen an Kazan seinerzeit bei einer kleinen Recherche in der IMDb sofort klar machte, dass es sich bei diesem Film wohl um etwas ganz besonders interessantes handeln dürfte. Eine sehr empfehlenswerte DVD, die den außergewöhnlichen Reizen und Werten des Films voll und ganz Genüge tut.
THE ARRANGEMENT – USA 1969 – 126 Minuten – Regie, Produktion und Drehbuch: Elia Kazan, Kamera: Robert Surtees, Musik: David Amram, Schnitt: Stefan Arnstein, Darsteller: Kirk Douglas, Faye Dunaway, Deborah Kerr, Richard Boone, Hume Cronyn, John Randolph Jones
Quellen: „Kazan on Kazan“ von Michel Ciment, Secker & Warburg Ltd.
DELLAMORTE DELLAMORE war für mich der erste Film, den ich von Michele Soavi gesehen habe, sieht man von seiner Dokumentation über die Filme seines prominenten Förderers Dario Argento ab. Und was für ein Fest war dieses herrlich verschwurbelte Meisterwerk doch!
Schon nach den ersten Minuten des Film ist klar, es handelt sich gar nicht in erster Linie um einen Zombiefilm, wie viele Online-Reviews glauben machen, auch nicht um einen Horrorfilm im eigentlichen Sinne. Der Friedhof aus dem Gruselbilderbuch, der Assistent des Friedhofswärters, der stark an Tor Johnson in Ed Woods unvergesslichem Trashmeilenstein PLAN 9 FROM OUTER SPACE erinnert und nicht zuletzt Dellamortes (Rupert Everett) ausgestellte Coolness stellen von Anfang an klar: Der Film ist ein postmodernes Spiel mit Klischees und Zitaten, an denen der Film wahrlich keinen Mangel hat. Leider kenne ich das italienische Genrekino zu wenig um etwaige Anspielungen zu erkennen, aber zumindest Hitchcocks VERTIGO dürfte wohl zu den Lieblingsfilmen von Soavi gehören und ein paar Klassiker der phantastischen Malerei wie Magrittes KUSS und Böcklins TOTENINSEL verwurstet er auch in das dennoch vollkommen originelle und immer aufs Neue überraschende Potpourri aus Einfällen, das mal an Tim Burton, mal an schwarzhumoriges dänisches Popkino und wahrscheinlich an zahlreiche mir unbekannte italienische Genrefilme anklingt.
Auf dem Friedhof der italienischen Kleinstadt Buffalora kommt der ein oder andere Tote schonmal nach sieben Tagen als Wiedergänger zurück. Doch das ist alles nicht so schlimm, den Friedhofswärter Francesco Dellamorte (Mädchenname der Mutter: Dellamore!) und sein scheinbar debiler und ziemlich aufgeschwemmter Helfer Gnaghi (François Hadji-Lazaro) haben schon lange eine Routine darin entwickelt, den lästigen Untoten mit Pistole oder auch rudimentärem Spatenende den Schädel zu zertrümmern, um ihnen so endgültig die wohlverdiente Sargruhe zu verschaffen. Kompliziert wird es für die beiden mit dem Tod so gut vertrauten Männer, als die Liebe in ihre in sich geschlossene Welt genießerischer Morbidität tritt. Eine rätselhafte Fremde mit nekrophilen Neigungen (Anna Falchi), scheinbar eine um ihren viel älteren und erst kürzlich verstorbenen Mann trauernde Witwe, verdreht dem Gerüchten im Dorf zu Folge impotenten Friedhofswärter den Kopf, während Gnaghi vom vorlauten Töchterlein des Bürgermeisters (Fabiana Formica) derart angetan ist, dass er sie vor lauter Nervosität erstmal so richtig vollkotzt. Doch das ist alles erst der Anfang einer Folge von immer groteskeren Ereignissen, die sich in ihrer Unfassbarkeit ständig zu überteffen scheinen und den Zuschauer von einem hysterischen Lachanfall in den nächsten stürzen, und das nicht ohne, dass man dabei auch noch echte Anteilnahme am Schicksal der Antihelden nimmt und sich fast unmerklich poetische und philosophische Elemente in den frei dahinfließenden Film flechten.
Die Handlung tritt denn auch vor den vielen herrlichen Einfällen und den liebevoll gezeichneten Haupt und Nebenfiguren zurück. Ob Glühwürmchen, die eher wie riesige blau brennende Papierkügelchen an schön sichtbaren schwarzen Fäden (2. Anspielung auf PLAN 9?) wirken, über den dick eingenebelten und von knorrigem Astwerk überwucherten Friedhof schweben, ob der Bürgermeister, die bei einem Motorradunfall entstellte Leiche seine Tochter für seine Wahlkampagne fotografieren lässt oder ob sich wieder die reguläre Friedhofsbesuchern Signora Chiaromondo (Claudia Lawrence) zum Stelldichein mit den Toten einfindet – ein gewisser General bringt ihr nämlich immer eine Flasche Sambuca mit – das Herz aller absurdiitäts- und surrealismuslüsternen Zuschauer wird verwöhnt. Ein quasselnder abgetrennter Kopf in der Ruine eines Fernsehers und eine Horde von Pfadfinderzombies verleihen dem Ganzen nochmal so richtig Pep, während Dellamorte ab und an bedeutungsschwangere Dialoge mit dem Tod persönlich führt und in diversen Formen von seiner großen toten wahren Liebe heimgesucht wird. VERTIGO lässt grüßen.
DELLAMORTE DELLAMORE gehört zu jenen Filmen, die auf wunderbare Weise ziel- und richtungslos dahinmäandern und sich schließlich zur breiten Mündung ins Meer der Assoziationen öffnen, in dem zumindest einige von uns Cinephilen doch nur zu gerne planschen. Ohne zu viel zu verraten kann gesagt werden, dass das Twist-Ende dem ganzen nochmal einen wundervollen Hauch romantischer Ironie verleicht und ein bißchen an das Meisterwerk der Gebrüder Quay INSTITUTE BENJAMENTA erinnert.
Dieser Artikel ist eine Ergänzung und Erweiterung eines früheren Beitrags von mir, gepostet im November 2008: Ein Versuch
Damals wollte ich meine aktualisierte Top 100 posten, d. h. die 100 Filme die mir gerade am meisten bedeuteten. Da die Formatierung und ein paar andere ästhetische Gesichtspunkte zu diesem Zeitpukt jedoch etwas zu kompliziert zu bewerkstelligen schienen, verschob ich die vollständige Auflistung aller Filme immer weiter in die Zukunft, wobei sich verständlicherweise die Zusammenstellung und Platzierung der Filme wieder zu ändern begann.
Da meine Einstellung und mein Blick auf einzelne Filme stimmungs- und sichtungsabhängig ist, und jeder Tag die Welt verändern kann, handelt es sich bei solchen Listen meist um Momentaufnahmen. Daher habe ich mich nun entschlossen, die vollständige Auflistung, wie ich sie im November letzten Jahres notiert hatte, zu veröffentlichen. Der jetzige Zeitpunkt benötigt zwar eine neue Zusammenstellung, doch wäre diese nicht mehr oder weniger relevant als die Letzte. Somit unternehmen wir also noch einmal eine kurze Zeitreise…
21. Hakob Hovnatanyan Sergej Paradjanov Sowjetunion 1965 22. Possession Andrzej Zulawski Frankreich 1981 23. La Jetée Chris Marker Frankreich 1962 24. Trys dienosDrei Tage Sharunas Bartas Sowjetunion 1991 25. Dead Man Jim Jarmusch USA 1995 26. Moe no SuzakuDie Ahnung Suzakus Naomi Kawase Japan 1996 27. Elvira Madigan Bo Widerberg Schweden 1967 28. Au-delà de la haineBeyond Hatred Olivier Meyrou Frankreich 2005 29. Hao nan hao nuGood Men, Good Women Hou Hsiao-hsien Taiwan 1995 30. Pola X Léos Carax Frankreich 1999
31. Wandâfuru raifuAfter Life Hirokazu Koreeda Japan 1998 32. Zabriskie Point Michelangelo Antonioni USA 1970 33. Few of UsWir sind wenige Sharunas Bartas Litauen 1996 34. Nema-ye NazdikClose Up Abbas Kiarostami Iran 1990 35. Groundhog Day…und täglich grüßt das Murmeltier Harold Ramis USA 1993 36. Bonnie and ClydeBonnie und Clyde Arthur Penn USA 1967 37. Umberto D. Vittorio De Sica Italien 1952 38. Les quatre cent coupesSie küßten und sie schlugen ihn François Truffaut Frankreich 1959 39. Ben-Hur William Wyler USA 1959 40. MidaregumoZerrissene Wolken Mikio Naruse Japan 1967
41. The Wizard of OzDer Zauberer von Oz Victor Fleming USA 1939 42. ÖrökbefogadásAdoption Márta Mészáros Ungarn 1975 43. Loulou Der Loulou Maurice Pialat Frankreich 1980 44. Eureka Shinji Aoyama Japan 2000 45. Batalla en el cieloBattle in Heaven Carlos Reygadas Mexiko 2005 46. Andrei RublyovAndrei Rubljow Andrej Tarkowskij Sowjetunion 1966 47. Heaven’s GateDas Tor zum Himmel Michael Cimino USA 1980 48. Novecento1900 Bernardo Bertolucci Italien 1976 49. Der Aufenthalt Frank Beyer DDR 1983 50. Klassenverhältnisse Danièle Huillet, Jean-Marie Straub BRD 1984
51. La pirateDie Piratin Jacques Doillon Frankreich 1984 52. Paris, Texas Wim Wenders BRD 1984 53. Hotaru no hakaDie letzten Glühwürmchen Isao Takahata Japan 1988 54. Marseille Angela Schanelec Deutschland 2004 55. TopâzuTokio Dekadenz Ryu Murakami Japan 1992 56. Meikyu-tan Shuji Terayama Japan 1975 57. Suna no onnaDie Frau in den Dünen Hiroshi Teshigahara Japan 1964 58. Sans soleil Chris Marker Frankreich 1982 59. Ying chun ge zhi FengboDer Letzte Kampf des Lee Khan King Hu Taiwan, Hong Kong 1973 60. Dzieje grzechuGeschichte einer Sünde Walerian Borowczyk Polen 1975
61. The Thief of BagdadDer Dieb von Bagdad Ludwig Berger, Michael Powell, Tim Whelan UK, USA 1940 62. Zina Ken McMullen UK 1985 63. Conan the BarbarianConan, der Barbar John Milius USA 1982 64. Mia aioniotita kai mia meraDie Ewigkeit und ein Tag Theo Angelopoulos Griechenland 1998 65. Tarzan, the Ape ManTarzan, Herr der Affen John Derek USA 1981 66. Tenshi no tamagoAngel’s Egg Mamoru Oshii Japan 1985 67. OffretDas Opfer Andrej Tarkowskij Schweden 1986 68. MoonlightingSchwarzarbeit Jerzy Skolimowski UK 1982 69. Majo no takkyûbinKikis kleiner Lieferservice Hayao Miyazaki Japan 1989 70. The Night of the HunterDie Nacht des Jägers Charles Laughton USA 1955
71. Forrest Gump Robert Zemeckis USA 1994 72. The New World Terrence Malick USA 2005 73. KoridoriusKorridor Sharunas Bartas Litauen 1994 74. Joshuu sasori: Kemono-beyaSasori: Den of the Beast Shunya Ito Japan 1973 75. Bad ma ra khahad bordDer Wind wird uns tragen Abbas Kiarostami Iran 1999 76. NotoriousBerüchtigt Alfred Hitchcock USA 1946 77. Ran Akira Kurosawa Japan 1985 78. Saikaku ichidai onnaDas Leben der Frau Oharu Kenji Mizoguchi Japan 1952 79. Monsieur HireDie Verlobung des Monsieur Hire Patrice Leconte Frankreich 1989 80. IdioterneIdioten Lars von Trier Dänemark 1998
81. The Reflecting SkinSchrei in der Stille Philip Ridley UK, Canada 1990 82. Trilogia I: To Livadi pou dakryzei Trilogie: Die Erde weint Theo Angelopoulos Griechenland 2004 83. Kôfuku no kane Blessing Bell Sabu Japan 2002 84. Tokyo senso sengo hiwThe Man Who Left His Will on Film Nagisa Oshima Japan 1970 85. Wong gok ka moonAs Tears Go By Wong Kar Wai Hong Kong 1988 86. Sud praladTropical Malady Apichatpong Weerasethakul Thailand 2004 87. To vlemma tou OdysseaDer Blick des Odysseus Theo Angelopoulos Griechenland 1995 88. Xiao cheng zhi chunFrühling in einer kleinen Stadt Mu Fei China 1948 89. Zwischen zwei Kriegen Harun Farocki BRD 1977 90. Suspiria Dario Argento Italien 1977
91. Gertrud Carl Theodor Dreyer Dänemark 1964 92. Le chiavi di casaDie Hausschlüssel Gianni Amelio Italien 2004 93. Demanty nociDiamanten der Nacht Jan Nemec Tschechoslowakei 1964 94. Bu jianThe Missing Lee Kang-sheng Taiwan 2003 95. Dai-bosatsu togeThe Sword of Doom Kihachi Okamoto Japan 1965 96. The WindDer Wind Victor Sjöström USA 1928 97. Invisible Waves Pen-Ek Ratanaruang Thailand 2005 98. Magnificent ObsessionDie wunderbare Macht Douglas Sirk USA 1954 99. Sanma no ajiEin Herbstnachmittag Yasujiro Ozu Japan 1962 100. Die Erben Walter Bannert Österreich 1982
Kino in Afrika – an was denke ich da zuerst? Meist an ausländische Darstellungen afrikanischer Lebenswelten durch französische, englische oder internationale Koproduktionen, oft mit Starbesetzung, einem wichtigen Thema, und guten Absichten. An Klassiker des afrikanischen Films, inszeniert von Djibril Diop Mambéty oder Ousmane Sembene und junge afrikanische Filmemacher, die heutzutage immer noch oft aus dem Ausland heraus operieren, wie z.B. der Kameruner Jean-Marie Téno. Und natürlich an Nollywood. Der Boom des nigerianischen Films, auf DV gedreht und zunächst auf Video vermarktet, ein ganz eigenes afrikanisches Phänomen, das Nigeria als Nation inzwischen neben den USA und Indien an die Spitze der globalen quantitativen Filmproduktion katapultiert hat.
Somit erwarte ich mir auch nicht viel Neues, als ich mich am gestrigen Freitag um 15.30 Uhr in Ermangelung eines Radios vor meinen PC setze, um mir auf Bayern 2 die Sendung Kino in Afrika: Die Wüste lebt anzuhören. Doch ich werde überrascht. Der angenehme, konzentrierte und informative Kommentar zeigt ein aufrichtiges Interesse an den Sorgen und Nöten afrikanischer Filmemacher, und ermöglicht durch die Verflechtung von Interviews und Hintergrundinformationen einen kompakten Einblick in Afrikas rege Kinoszene. Denn dass es hier, jenseits von Nollywood, primär um Kino geht, wird an den Schwerpunkten deutlich. Zwar werden auch Hoffnungen und Probleme der neuen digitalen Medien angesprochen, doch bleibt der Fokus auf 35mm gerichtet. Anhand der Länder Burkina Faso, Senegal und Marokko werden die Kernthemen Filmfestival, Filmhochschule, Filmproduktion und Kinosterben in 25 Minuten gekonnt herausgearbeitet.
Bei mir persönlich kam während des Beitrags nicht nur keine Langeweile auf, sondern auch das Gefühl alles schon mal so oder ähnlich gehört und gelesen zu haben stellte sich nur selten ein. Gebannt lauschte ich dem Livestream, und hätte nach der knappen halben Stunde gerne noch mehr gehört. Wunderbar unaufgeregt gestaltet, fühlte ich mich durch den Hörgenuß animiert mir nach der Sendung auch noch selbst Gedanken über das Thema zu machen – auch jenseits von Afrikas Zukunft. Der Beitrag ist definitv keine publizistische Eintagsfliege, sondern im traditionellen Sinne ein bereicherndes Erlebnis zum wieder-hören.
Wer ihn verpasst hat, muss sich jetzt aber nicht ärgern und mit meinem kurzen Umriss begnügen. Bayern 2 bieten auf ihrer Homepage nicht nur die komplette Sendung als Podcast zum anhören und herunterladen an, sondern für alle hörunwilligen Leseratten auch noch ein Manuskript. Was will man mehr?
PS: Die beiden Links zum direkten anhören bzw. download funktionierten bei mir zwar nicht, aber mit dem Realplayer (mit dem man auch fast alle Youtubeclips und ähnliches auf seinen Rechner bannen kann), hatte ich das Teil trotzdem in einer(!) Sekunde auf meinem Laptop. Habe aber gerade entdeckt, das das alte „Ziel speichern unter…“ doch noch funktioniert. War wohl zu naheliegend, um es sofort zu versuchen…
Zeitgenössische Kritiken des Films, in denen von einer allzu starken Emotionalisierung des bedeutenden Themas, von peinlichem Overacting des in der Tat geradezu unmenschlich aufspielenden Gian Maria Volontè und unsachlichem Fatalismus die Rede ist, sind zu ärgerlich, um sie ohne weiteres wegzuwischen. In einer Schlüsselszene, deren Vorgänge Lulù (Volontè) dazu bewegen werden, sich den Studenten anzuschließen und die Rebellion der Arbeiter anzutreiben und -führen, ist er immer noch unsicher und verärgert über diese von ihm als lächerlich empfundene Eigenmächtigkeit der lautstarken „Muttersöhnchen“ – „Geh nach Hause zu deinem Papa!“ brummt er und fährt davon. Das gleiche möchte man denn auch jenen Kritikern wünschen, die sich seinerzeit in eben jenen prätentiös-zynischen Elfenbeinturm zurückzogen, den Elio Petri hier bewusst, demonstrativ verlassen hat. Er wollte nicht [nur] einen intellektuellen Aufklärungsfilm drehen, eine verstandesgemäße Aufarbeitung des Themenkomplexes, er wollte viel mehr, er wollte die Wut der Betroffenen filmisch umsetzen, wollte einen Film, in dem die Monotonie der Maschinenarbeit genauso erdrückend wirkt wie die explodierende Energie ihres Aufstandes und des dafür stellvertretenden Lulù ansteckend. Ein Film von einem der führenden linken Regisseure Italiens, nicht für ein ebensolches Publikum sondern auch für die Arbeiterklasse selbst. Die gebündelte Energie, die dieser Film ausstrahlt, der Instinkt und zugleich die trockene Berechnung, mit der er stets die richtigen Extreme wählt, die bestechende Milieu-Schilderung und die völlig vereinnahmende, unwiderstehliche Unmittelbar- und Aufrichtigkeit, mit der er all das fühlbar macht – mal mit wildem Realismus, mal mit unbehaglicher, surreal anmutender Stilisierung – sollte etwaige Kritik an dieser zweifelsohne auch partiell manipulativen und „entintellektualisierten“ Vorgehensweise eigentlich erübrigen. Denn so zieht der Film direkt an der Wurzel, der ewige Zwiespalt der Arbeiter und des sie bevormundenden Systems wird offensichtlicher als offensichtlich (Zitat RECLAMS FILMLEXIKON: „Manches ist hier doch allzu laut, zu deutlich…“) und die Gewinne wie die Verluste dieser Rebellion bei allem Geschrei, aller Raserei und allem Chaos, stets so formuliert, dass Undifferenziertheit als Vorwurf gegen Petris Idee eines sozialpolitischen Manifests eigentlich nur mit vorsätzlichem Mutwillen und einer ordentlichen Dosis Arroganz aufrecht erhalten werden kann. LA CLASSE OPERAIA VA IN PARADISO ist der absolute Glücksfall eines solchen Films, eines Appells, der sich eben jener einfachen, nahe liegend(st)en Mittel bedient, deren vom bildungsbürgerlichen Konsens angetriebene Verpönung ihre Wirksamkeit und Integrität nur noch indirekt unterstreicht. Einen so couragierten, unverfrorenen und dabei im Kontext beinahe unparteiischen Appell-Film wie diesen bekommt man nur selten zu Gesicht. Kapitalismus-Kritik als melodramatischer Horrorfilm, sozusagen. Die Minorität profitiert von einer biederen und manierlich sachlichen Faktensammlung wie zuletzt unter anderem Volker Schlöndorffs fernsehspielartigem STRAJK, einem beispielhaften Reflexionspräservativ. Jeder kann von einem puren, reinen, echten und rohen Film wie LA CLASSE OPERAIA VA IN PARADISO profitieren und schon alleine der geizige, aber markerschütternde Einsatz von Ennio Morricones frostig-brutal stampfendem, minimalistischen Score sagt hier mehr Essentielles aus als es den meisten entsprechenden filmischen Meta-Diskussionen überhaupt gelingt.
LA CLASSE OPERAIA VA IN PARADISO – Italien 1971 / Regie: Elio Petri / Drehbuch: Elio Petri, Ugo Pirro / Kamera: Luigi Kuveiller / Musik: Ennio Morricone / Schnitt: Ruggero Mastroianni
Darsteller: Gian Maria Volontè, Mariangela Melato, Gino Pernice, Renata Zamengo, Ezio Marano, Luigi Diberti
Wer kennt sie nicht, die Tschechoslowakei. Ein weiterer Vielvölkerstaat unserer östlichen Nachbarn, mit zahlreichen kulturellen und politischen Ursprüngen. Doch halt – dast stimmt ja nicht mehr wirklich. Nach 1945 eher ein Staat der Tschechen und Slowaken, wurde die ČSR ab 1960 zur ČSSR, genauer gesagt zur Tschechoslowakischen Sozialistischen Republik. Und heute kann sich wohl auch keiner mehr daran erinnern. Das Millenium ist vorbei, die europäischen Staaten haben sich immer weiter spezialisiert (das Schlagwort der 80er war Unabhängigkeit), doch vom Kapital im Mantel der EU scheinen sie heute bereits wieder eingeholt. Was in 20 Jahren nicht alles passieren kann…
Ich gebe es zu – ich bin nie in der Tschechoslowakei gewesen. Und als es mit ihr 1990 zu Ende ging, war ich gerade einmal 6 Jahre alt. Dennoch konnte ich mich in der Folgezeit nicht wirklich damit zufrieden geben nun zwei Staaten statt des Einen vor mir zu sehen. Ob das etwas mit meiner Ablehnung der Multiplikation unter dem Deckmantel des Schulmathematik-Traumas zu tun hat, oder doch eher mit meinem persönlicheren Erlebnis des Zerfalls von Jugoslawien zusammenhängt, möchte ich an dieser Stelle nicht erörtern. Klar ist für mich vor allem eins. Wie auch immer die nun getrennte Tschechische und Slowakische Filmproduktion diese letzten 20 Jahre rigoroser Umwälzungen filmisch registriert hat, zu mir ist davon wenig durchgedrungen. Ich möchte nicht sagen, dass ich die Erzeugnisse dieser beiden jungen Staaten in dieser Zeit ignoriert hätte, und dass mich bei meinen cinephilen Reisen durch die Filmgeschichte die Gegenwart nicht interessiert. Aber ich habe das Gefühl, dass die Tschechen und Slowaken entweder nur wenig zur Lage und Entwicklung der neuen Nationen zu sagen hatten, oder es die Verleiher und Festivals außerhalb der beiden Staaten einfach nicht interessiert hat. Fakt ist, dass die tschechischen und slowakischen Filme seit dem Zusammenbruch der ČSSR nur sporadisch ihren Weg auf westliche Leinwände gefunden haben, und in der politischen wie sozialen Kultur des heutigen Europas (von der ästhetischen gar nicht zu sprechen) scheinbar so gut wie keine Rolle mehr spielen. Das war nicht immer so. Wir erinnern uns – tschechoslowakische Filme vor und nach dem Prager Frühling, Neue Welle, politisches Bewusstsein. Vielleicht verweist diese vermeintliche (internationale) Abwesenheit von politischen und ästhetischen Merkmalen ja lediglich auf die gesamteuropäische Krise des individuellen Ausdrucks, der „Globalisierung“, wenn man es denn so nennen will. Oder es ist nur eine filmpolitische Neuorientierung, der wiederholte Versuch eines paneuropäischen Koproduktionsfilms, diesmal jedoch unter verschärften wirtschaftlichen Bedingungen.
Dass in Europa heutzutage meist weniger Filme produziert werden als noch vor 30 Jahren dürfte bekannt sein. Ob es deshalb auch weniger brisante, gewagte, ausdrucksstarke und verspielte Werke geworden sind, ist schwer zu sagen. Durch den kapitalistischen Geldwall dringt jedenfalls weit weniger spektakuläres auf (deutsche?) Leinwände als durch den eisernen Vorhang je zurückgehalten wurde. Und Kultur – wer interessiert sich im globalisierten Sumpf der Verweise noch für Kultur?
Doch will ich an dieser Stelle keinen politischen Essay verfassen, denn meine assoziativ-fragmentarische Zustandsbeschreibung ist mehr eine Hinführung an das eigentliche Thema. Denn was immer man auch von filmhistorischen Veränderungen halten mag. Tatsache bleibt, dass ich seit dem Zusammenbruch der Tschechoslowakei keinen wirklich interessanten Film aus dieser Region mehr zu Gesicht bekommen habe. Und dass mir die Filme der 60er und 70er Jahre aus heutiger Sicht noch um einiges radikaler und visionärer erscheinen als es früher bereits der Fall war. Vielleicht hängt es damit zusammen, dass sich inzwischen so vieles, damals jedoch so wenig geändert hat. Das Gefühl der Stagnation, des Stillstandes und des Gefangenseins, muss in den 70ern wohl ausgeprägter vorhanden gewesen sein als heute. Jedenfalls wurde es bewusster wahrgenommen. Und zu entdecken gilt es diese beiden Jahrzehnte tschechoslowakischer Filmkunst (und natürlich auch die vorangegangenen 50er, sowie die nachfolgenden 80er) heutzutage, aufgrund mangelnder Möglichkeiten, nicht mehr so sehr im Kino, sondern vor allem auf DVD. Damit möchte ich nicht andeuten dass diese Werke auf der großen Leinwand nichts mehr zu suchen hätten. Ganz im Gegenteil. Doch zu Zeiten der Informationsflut, des Geschichtsüberflusses wie Überdrusses, stirbt die Kinolandschaft aus, und die Vielfalt entflieht ins Digitale. Wenn uns die letzten Zehn Jahre schon keine großartigen tschecho-slowakischen Neuentdeckungen auf die Leinwände gebracht haben, so wurde doch für die Digital Versatile Disc einiges an Schätzen wieder ausgegraben. Und was sich in den Archiven nicht alles findet! Untertiteln und dem Internet sei Dank, kann sich der interessierte Filmliebhaber ungeahnte Schmuckstücke ins Heimische Wohnzimmer holen (und ich spreche hier nicht von Torrents und Subs die auch zahlreich durchs Netz schwirren). Der geneigte (anglophile) Filmfreund kann inzwischen aus über 200 untertitelten Original DVDs wählen, die den Einfallsreichtum und die Originalität der Filmproduktion der Tschechoslowakei in einem neuen Licht erstrahlen lassen. Und darunter fallen zum Glück nicht nur die allseits beliebten Märchenfilmen sowie die viel gerühmten Autorenwerke, die in geringerer Anzahl (und meist mittelmäßiger Qualität) auch außerhalb der beiden Staaten ab und zu erschienen sind. Nein, mit Kreditkarte, Paypal oder meist schon einer funktionierenden Bankverbindung, kann man direkt auf das Gebiet der ehemaligen ČSSR und ihrer Produkte zugreifen, und wer auf Untertitel verzichten kann oder gleich die (beiden) Sprache(n) lernen möchte, sieht sich vom Angebot inzwischen schier erschlagen.
Für alle Uneingeweihten und Neuankömmlinge (und auf Wunsch unserer Leser 😉 ) möchte ich daher an dieser Stelle einige Links und Tipps aufzählen um der Vielfalt einen überschaubaren Zugang an die Seite zu stellen.
Zunächst einmal gibt es eine inzwischen zwar schon wieder etwas veraltete, doch immer noch sehr hilfreiche Auflistung von englisch untertitelten DVDs, auf dem sehr informativen aber leider nicht mehr aktualisierten Blog Closely Watched DVDs.
Außerdem habe ich zwei Tschechische/Slowakische Internetshops ausfindig gemacht, von denen einer teilweise mit einem englischen Navigationsmenü ausgestattet ist und definitv auch Produkte ins Ausland importiert: www.dvdr.cz sowie www.dvdedice.cz
Für diejenigen denen das navigieren auf diesen beiden Websites zu kompliziert sein sollte, gibt es aber auch die bewährten Leute von Xploited Cinema (hier von mir auf 2 Filme von Václav Vorlícek verlinkt). Die Auswahl ist jedoch weit geringer, und die Discs auch nicht ganz billig…
Wer der Sprache etwas mächtiger ist, oder auch nur gewillt sich im Tschechischen oder Slowakischen zu versuchen, dem sei auch die einheimische Vaiante der Imdb unter www.csfd.cz ans Herz gelegt. Zumindest die Kenntnis einer slawischen Sprache sollte man aber schon mitbringen um sich auf der Seite einen Überblick verschaffen zu können.
Und für alle die sich von meinem Post etwas anderes erwartet hatten, habe ich als Entschädigung ein paar Links auf Youtube ausgegraben. Der User paatyia hat auf seinem Kanal einige Klassiker in teils hochauflösender Qualität hochgeladen, die man sich komplett ansehen kann – manche sogar mit englischen Untertiteln!
Mit den Links zu zwei meiner Lieblingsfilme möchte ich daher dieses Poting abschließen. Genießt sie solange sie zugänglich sind, oder bestellt sie euch per DVD! Es lohnt sich. 😎
Oder: Der deprimierende Fall der heiligen Oscar-Kuh 2009
Warum fühlt man sich außerstande, dem strahlenden Lächeln dieses Films – zumindest sieht es danach aus – mit einem ebensolchen zu antworten? Wen kann man dafür verantwortlich machen, dass THE CURIOUS CASE OF BENJAMIN BUTTON, die Adaption eines an sich so vielversprechenden, theoretisch inspirierenden Stoffes, verfilmt von einem der interessantesten Hollywood-Regisseure unserer Zeit, künstlerisch so haushoch gescheitert ist? Eine kurze Überlegung zu der Veränderung des amerikanischen Studiosystems könnte der Beantwortung dieser Frage dienlich sein.
Wie es aussieht, wenn ein Film in seinem Produktionskontext von wirtschaftlichen Kalkulationen zermahlen und zu einem unförmigen Klumpen einzelner Fetzen zerknetet wird, hat die Filmgeschichte uns in enzyklopädischem Umfang in so ziemlich jeder möglichen Spielart gezeigt. Nicht nur der berüchtigte Fall eines nach Fertigstellung drastisch gekürzten und veränderten, ausladenden Werkes sondern auch der weit weniger berüchtigtere, ungleich brutalere Fall des noch während der Dreharbeiten abge- und ersetzten Regisseurs. Denn handelte es sich um eine nachträgliche Kastration, bestand immer noch die Chance auf eine spätere Transplantation des Entfernten, eine Restauration des zerkratzten Gemäldes.
Gewaltakte dieses Ausmaßes finden heute in Hollywood nur noch selten statt, das Kontrollsystem der Studios funktioniert perfekter denn je und lässt allzu arge Entgleisungen künstlerisch in den Wolken schwebender Regisseure nicht mehr so ohne weiteres zu. Oder aber, es wird unter den Tisch gekehrt um das Gesicht vor der Presse zu wahren. Die Filmgeschichte hat uns da schließlich zu aufgeklärten Menschen gemacht, die es außerordentlich gemein und niederträchtig finden, wenn einem armen Regisseur von rohen Produzenten sein Werk und seine Vision entrissen wird um des profanen Wettbewerbs willen. Diese Banausen.
Im Wesentlichen aber scheint man in der Traumfabrik heute schon im Vorfeld mögliche Risiken dieser Art soweit wie möglich auszumerzen, auf diplomatischer Ebene. Mach den Film so oder gar nicht. Wenn er überhaupt gemacht wird, dann so und nicht anders, sonst wird es ein Flop. Akzeptiere den Kompromiss, er ist besser als nichts. Wenn du dies, das und jenes sowie sonstiges tust, darfst du ansonsten machen was du willst.
Genau diese Zersetzung, dieses ordinäre Gegenteil von Risikobereitschaft und couragierter Publikumsdressur, ist letztlich für die verheerende Situation des aktuellen amerikanischen Mainstream-Kinos verantwortlich und sorgt für Unbefriedigendes, Enttäuschendes, Ärgerliches, Banales, Charakterloses, vornehmlich, sobald das Budget eine gewisse rote Marke übersprungen hat.
THE CURIOUS CASE OF BENJAMIN BUTTON hat diese Marke mit 150 Millionen $ ganz eindeutig weit hinter sich gelassen. Und auf die Diskussion, inwiefern die krumm, ungesund und verzerrt gewachsene Wirbelsäule dieses künstlerisch völlig windschiefen Films nicht die „Schuld“ von DavidFincher, immerhin – ob verdientermaßen oder nicht sei dahingestellt – das Wunderkind der postmodernen Schwingungen im amerikanischen Mainstream der 90iger, ist, möchte ich mich keinesfalls einlassen. Die Schuld trägt hier jeder und niemand, eher noch das soeben grob umrissene Phänomen der diplomatischen Sterilisierungs-Strategien denn eine bestimmte personifizierbare Institution.
Jedenfalls ist THE CURIOUS CASE OF BENJAMIN BUTTON als Film eben dem grausamen Schicksal seines Protagonisten gleich mit erlegen: Ebenso wie Benjamin Button keine Ausbildung einer Persönlichkeit, kein Reife-Prozess im irdischen Sinn oder schlicht und ergreifend eine mentale Unabhängigkeit von seiner Umwelt vergönnt ist [eher noch wird ihm all das mit völliger Beiläufigkeit vorenthalten], so bleibt all das auch dem von ihm erzählenden Film versagt. Ganz genauso wie Benjamin mit Erfahrungswerten – die er aber stets nur in abstrahierter Form erhält, behandelt und angesehen als Kind im Körper eines Greises und als Greis im Körper eines Teenagers – jongliert, ohne daraus ein wirklich pragmatisch verwertbares Resümee zu ziehen, so spielt auch der um seinen redundanten Prozess des Heranwachsens modellierte Film Ping Pong mit den Anforderungen, die an ihn gestellt werden, und zahllosen brillanten Einfällen seines Regisseurs, die dieser, aus welchen bei ihm liegenden Gründen auch immer, nicht in Einklang bringen kann mit den Anforderungen, von denen man nicht glauben möchte – wohl aber könnte – dass er sie auch an sich selbst stellt.
Denn THE CURIOUS CASE OF BENJAMIN BUTTON ist zuletzt wegen seiner unfassbar reizvollen und filmisch wahnsinnig herausfordernden Prämisse so kurios, sondern wegen der völligen Fahrig- und Biederkeit, mit der er zerfällt – in erbärmlichen, vulgären Acadamy-Kitsch der übelsten und schleimigsten Sorte und den leidenschaftlichen sowie – wenn er sich denn im Film einmal über einen gewissen Zeitraum und eine gewissen Anzahl von Szenen halten kann, ohne von ersterem unterbrochen zu werden – überzeugenden Versuch, ein episches Kino der Merkwürdigkeiten und Widersprüche im Formalen zu entwerfen. Dieses erinnert zwar – um im zeitgenössischen Kontext zu bleiben – stets ein wenig an die bemüht artifiziell-skurrile Keksdosen-Ästhetik eines Jean-Pierre Jeunet und an die ungesund-blässlichen, bzw. irritierend schrillen Moritaten eines Tim Burton, scheint sich aber eben dieser Assoziationen bewusst zu sein. Und deswegen unternimmt regelmäßig unterbewusst Versuche, mit schmelzender Geste zu demonstrieren, wie schwierig es ist, einen Stoff wie diesen heute, nach über hundert Jahren Filmgeschichte voll von epischen, ewigen, überlebensgroßen Film-Monumenten, noch so zu verfilmen, das sowohl der künstlerischen Leistung des Filmemachers Souveränität zugestanden werden kann als auch den Schatzmeistern hinter ihm.
Nur ein sentimentaler Höhepunkt eines Films, der vielleicht ein sentimentaler Schmachtfetzen höchsten Ranges hätte sein können, wäre er ein Produkt des Studiosystems der 40iger oder 50iger Jahre:
Benjamin trägt seinen sterbenden Vater – der stets unter Wert verkaufte Jason Flemying setzt mit diesem Part einige der wenigen darstellerischen Marksteine des Films – durch den verwucherten, in dekorativ-sinistres Graublau eingebetteten Garten einer alten Villa auf einen Bootsteg, um ihm, seinem jahrelang anonymen Vater, als Abschiedsgeschenk einen bezaubernden Sonnenaufgang über dem Meer zu schenken. Das pastellene Dottergelb des Sonnenstreifens am verhangenen Horizont, selbstredend sorgfältig aus CGI generiert, mischt sich mit den lieblich das Ohr umschmeichelnden und verklebenden Streichern Alexandre Desplats, der seinen Stil offenbar, wie schon sein berühmter Landsmann Maurice Jarre zu seiner Zeit (und wir wollen hier nicht vergessen, dass Jarres Hollywood-Einstand seine majestätische Vertonung des klassischen Über-Epos LAWRENCE OF ARABIA war), zunehmend amerikanisiert und im schlimmsten Fall in einigen Jahren das Niveau des späten John Williams erreicht hat. Und nach einer Totalen der beiden hintereinander sitzenden Männer vor dem Sonnenaufgang, schneidet Fincher abrupt zu einem Close up des Vaters. Hinter dem sich in nur geringer Entfernung, in Unschärfe gehalten und leise raschelnd, Benjamin niederlässt und, immer noch in der Unschärfe, seinen Vater mustert, ganz so, als könnte er dessen ausdrucksloses Gesicht vor sich sehen. Ein ebenso simpler wie virtuoser Kontrast in einem Schnitt, der die Situation überspitzt aber punktgenau erfasst. Und dann filmt Fincher zwischen den beiden Männern hindurch auf die sahnige Retorten -Sonne am Horizont und lässt Pitts Off-Stimme eine neuerliche, schlüpfrige Banalität von sich geben. Aufbau und Zerstörung einer Szene und ihrer Wirkung. Und alle Wirkung, die der Film sporadisch in seinen teils erschlagenden Bildern erzielt, wird stets dann zurück in den Boden der vor Pathos triefenden Konzession an den Massengeschmack zurückgeworfen, eingestampft bevor sie sich zurGänze entfalten kann. In dieser Sequenz liegt Fluch und Segen des Films, seine Ambition und sein Scheitern.
Sublime Licht- und Schattenspiele wie in der Episode um Elizabeth (Tilda Swinton), dem vermutlich einzig stimmigen Abschnitt des Films, wechseln sich ab mit „schönen Bildern“ aus der Konserve. Und man blickt plötzlich wieder zurück auf Finchers Erfolgsfilme SE7EN und FIGHT CLUB, in denen der ehemalige Videoclip-Regisseur mit ebenso vereinnahmendem wie flüchtigem visuellen Potenz-Geprotze „seine“ düstere Ästhetik des grünlichen Dämmerlichts, der Neonröhren und der ewigen, feuchtglänzenden Regennächte „erschuf“ – und mit ihr zwei der am vehementesten um Eindruck heischenden Kultobjekte der jüngeren Filmgeschichte, ätherischen Dunkel-Kopfkitsch für nachwachsende Kino-Generationen.
Und eben das ist das letzte, was man von Fincher nach seinem nüchternen Obsessions-Thriller ZODIAC erwartet und erhofft hatte. Wo Fincher dort eine multiperspektivische Studie über die Mechanismen, die Ökonomie und die populären Regeln der Figurenzeichnung im Film vornahm, fährt er in Benjamin Button seinen Charakteren bei jedem Anflug einer Unklarheit über den Mund und erklärt ihre emotionale Verfassung – und nur die – bis ins Detail, ein Gewaltakt, der sich kontinuierlich und blutig mit derangestrebten mystischen Aura, die sie umgeben soll, beißt. Was hier visuell impliziert und schlussendlich erzählerisch produziert wird, findet nie zusammen. Die erdrückende Dunkelheit, die über allem liegt, evoziert kaum die der Geschichte theoretisch innewohnende Tragik sondern scheint vielmehr das hysterische Pathos verschleiern zu wollen, dass ebenso erwünscht wie unliebsam scheint – von Seiten der Verantwortlichen. Es sind eher unbequeme Details, die dem Film seine dramaturgische Würde erhalten. Selten scheinen Benjamins Begegnungen mit Elizabeth und Daisy mehr als purer Sex zu sein – keiner der beiden traut sich zu, eine verbindliche Beziehung mit Benjamin, dem „völlig anderen“ und doch profillosen Mann zu führen und als er und Daisy endlich glücklich vereint sind, fallen sie doch lediglich in einen pragmatischen Genussrausch, trotz des Vorsatzes, sich niemals dem bürgerlichen Lebensrhythmus und Materialismus zu ergeben. Hier parfümiert sich der Film sogar kurzzeitig mit einem Hauch von Selbstironie, bevor er erneut mit seinem schwerfälligen Katz-und-Maus-Spiel zwischen inszenatorischer Passion und scheinheiliger Beschwörung einer scheinpoetischen Individualismus-Fantasie fortfährt.
So hantiert Fincher über zweieinhalb Stunden mit einem Füllhorn aufregender Einfälle zwischen sporadischem Ernst und anbiederndem Schwachsinn mit dem Ergebnis, dass man seine in Interviews gelegentlich bekundete Leidenschaft für das klassische Erzählkino verwünscht. Wie viel Scheitern die Produzenten auf sich nehmen müssten und wie viel Fincher selbst, das möchte und sollte man wahrscheinlich auch nicht mit Gewalt beurteilen wollen. Ich würde das insbesondere deswegen nicht tun, weil ich mir, trotz einer gesteigerten Skepsis gegenüber David Fincher, nicht recht sicher bin, ob THE CURIOUS CASE OF BENJAMIN BUTTON eher ein gescheiterter oder nur ein verunglückter Film mit starkem Fundament ist. Warum das nicht? Weil dieser pompöse filmische Kandisklumpen, egal wie peinlich oder großartig er zu welcher Zeit auch immer ist, nie mit sich ins Lot kommt und keine Balance findet – und so mit diversen ärgerlichen wie spannenden Ecken und Kanten aufwartet. Das müsste eigentlich zu dem Schluss führen, dass er, egal ob Schund oder rund, in jedem Fall interessanter und herausfordernder sein sollte als beispielsweise Robert Zemeckis’ FORREST GUMP, ein Musterbeispiel perfekt ausbalancierten und glatten Academy-Kitschs mit dem BENJAMIN BUTTON in Kritiken mit bemerkenswerter Beharrlichkeit und beeindruckender Undifferenziertheit permanent verglichen wird, mit dem überflüssigen, aber stets hämischen Hinweis, dass beide Filme auf das Konto des gleichen Drehbuchautoren gehen. Was wiederum dafür spricht, dass in diesem kuriosen Fall kurioserweise David Fincher nicht einmal mehr halb so ernst genommen wird wie einst. Und das ist wiederum, bei aller Faszination dieser bizarren kinematografischen Mutation, nicht besonders kurios – aber auch sehr schade.
Angesichts der Tatsache, dass mein Festival dieses Jahr überraschend gut angefangen hat, und ich bisher noch keinen(!) Film gesehen habe den ich nicht mochte, hatte ich die Motivation diesen Thread aufzumachen, um allen Interessierten ein kurzes Feedback über bisherige Sichtungen zu ermöglichen.
Ich mache gleich mal den Anfang und werde nach dem Vorbild von Lukas die Filme mal grob in drei Kategorien einordnen.
EDIT: Das mit den drei Kategorien, und somit mit bewertenden Einordnungen, klappt leider doch nicht. Bin halt meist nicht mehr für Bewertungen zu haben, und kann langsam nichts mehr damit anfangen. Damit das hier aber aus Zeitgründen nicht nur eine Auflistung aller gesehen Filme wird (was ich aber auf Anfrage gerne auch noch machen kann), gibts jetzt zumindest zwei Kategorien von mir: „Herausragend“ und „Ich rate ab“. Wobei letztere für manchen vielleicht durchaus wie die berühmten Filmdienstkritiken funktionieren könnte – ein Spaß der besonderen Art. 😉
Herausragend
Az Grafinyata „Ich, die Gräfin“ (Petar Popzlatev / Bulgarien / 1989) Igla „Die Nadel“ (Rashid Nugmanov / UdSSR / 1988) Optimistitscheskaja tragedija „Optimistische Tragödie“ (Samson Samsonow / UdSSR / 1963) Kutya éji dala „Nachtlied des Hundes“ (Gábor Bódy / Ungarn / 1983) Schwitzkasten „Clinch“ (John Cook / Österreich / 1978) The Exploding Girl (Bradley Rust Gray / USA / 2009)
Ich rate ab
Bisher immer noch keinen Zelluloidmüll zu Gesicht bekommen, und obwohl Ivy Hos „Claustrophobia“ für mich einer Folter schon sehr nahe kam, ist er für Fans von Hong Sang-soo uneingeschränkt zu empfehlen.
Auch wenn ich angefangen habe mich ein wenig von Herzog zu entfremden, so freue ich mich nach seinem soliden, oscarnominierten ENCOUNTERS AT THE END OF THE WORLD (auf den man in Deutschland als Kino- oder wenigstens DVD-Start immer noch vergeblich wartet), schon sehr auf seine Neuverfilmung, bzw. Fortsetzung von Abel Ferraras BAD LIEUTENANT, der nicht nur seinen ersten Zusammenprall mit Hollywood markiert (RESCUE DAWN als Quasi-Remake seines eigenen Werkes, noch dazu im Dschungel gedreht, zählt irgendwie nicht so richtig), sondern auf den ich vor allem wegen des Aufeinandertreffens von Herzog und dem Handlungsort New Orleans sehr gespannt bin. Wer immer noch Zweifel daran hegt, ob eine Quasi-Fortsetzung von Ferraras Meisterwerk Sinn macht, der sollte sich vielleicht einmal Herzogs gewohnt coole Reaktion auf den Ferrara-Diss, der der Crew der Neuverfilmung den Tod an den Hals wünschte, durchlesen.
Und Herzog befindet sich schon wieder inmitten der Dreharbeiten zu einem neuen Projekt mit dem Namen MY SON, MY SON, WHAT HAVE YE DONE?, einem Low-Budget-Horrorfilm, der sich um einen Mann dreht, der inspiriert von einem Sophoklesdrama seine eigene Mutter mit einem Schwert köpfte. Angekündigt wurde das Projekt auf dem letztjährigen Filmfestival in Cannes von Herzog und dem Produzenten des Films – keinem geringeren als David Lynch persönlich.
Screen Daily und Fangoria berichten nun über den Cast des Films, der sehr spannend aussieht: Michael Shannon, Willem Dafoe, Chloe Sevigny, Grace Zabriskie und Udo Kier sind mit dabei.
Und als ob das alles nicht schon aufregend genug wäre kehrte Herzog für die Dreharbeiten zu MY SON auch noch zum legendären Urubamba-Fluss zurück, wo er schon AGUIRRE und FITZCARRALDO drehte, wie er in einem Interview mit dem BFI verriet. Gefilmt werden soll übrigens ähnlich wie bei INLAND EMPIRE komplett in DV. Wenn man es so nennen will also nach NOSFERATU Herzogs zweiter Ausflug ins Horrorgenre und es spricht einiges dafür, dass MY SON, MY SON, WHAT HAVE YE DONE ähnlich außergewöhnlich geraten wird.