Warum ich dieses Jahr nicht mehr zur Berlinale gegangen bin

Eigentlich wollte ich zur diesjährigen Berlinale einen Artikel mit dem Titel und Thema „Warum ich nicht mehr zur Berlinale gehe“ (zu Ende) schreiben um ihn an dieser Stelle zu veröffentlichen. Irgendwie hat man ja das Gefühl, sich zu diesem Festivalgroßereignis in Deutschland äußern zu müssen. Und natürlich sich zu erklären, wenn man ewig nur rummotzt, zetert und stänkert – weil es ja doch immer wieder „auch Gutes und Großartiges“ zu sehen gibt. Natürlich gibt es auf der Berlinale auch schöne Filme zu sehen. Aber können die Filme was dafür? Und müssen sie dann unbedingt im Zusammenhang mit der Berlinale erwähnt werden?

Ich hatte einfach keine Lust mehr. Bin zu Hause geblieben. Und wurde krank, habe wenig gemacht. Und es war trotzdem besser, als die letzten 4 Jahre Berlinale. Und geschrieben habe ich dann doch nichts. Denn das war es mir einfach nicht mehr wert: Meine schöne Berlinalefreie Zeit mit sowas zu bekleckern. Wen dennoch interessiert warum, wieso, weshalb – und dass ich hoffentlich wieder erst eine Akkreditierung zur Berlinale nutzen werde, wenn Kosslick abgetreten ist, oder sich das Forum wieder ent-expanded hat (von mir aus das Expanded auch einfach in Forum rückbetitelt wird, und die restlichen Filmchen nach Hause geschickt werden) – kann das ziemlich toll an dieser Stelle nachlesen. Da flut/schwall-redet mir einer förmlich parallel aus der gepeinigten Seele, und auch wenn ich mit Knörer oft in vielem Anderen nicht übereinstimme, gibt es hier keine Zweifel: Ganz genau so ist es! Da liegt der Hund begraben! Danke, danke, danke!

Zum Schluss aber zumindest ein kleiner Auszug aus meinem persönlich-tänzelnden Textversuch mich der Berlinale zu erwehren: „Bye, Bye, Berlinale. Du hast Sehnsüchte in mir geweckt, ich habe mir Hoffnungen gemacht, und Avancen versucht, es lief zunächst auch gar nicht mal so schlecht. Aber schlussendlich hast du mich, trotz aller Bemühungen (deiner- wie meinerseits) enttäuscht, und ich habe dich verlassen. Wir passen wohl einfach nicht zusammen.“

Filmemacher in Deutschland

Sehr geehrter Herr Bundesgerichtshofpräsident, ich kann den Verdacht nicht loswerden, daß ich Ausländer bin.

aus: Vlado Kristl – Sekundenfilme. Frankfurt am Main. 1971

100 Deutsche Lieblingsfilme #22: Pünktchen und Anton (1953)

Emanzipierte Figuren die sich auf Augenhöhe begegnen, konsequent und selbstverständlich, in einem deutschen Film weit vor der Generation ’68. Pünktchen und Anton zeigt Kinder, die wissen was sie tun. Kinder die selbstbewusst, erfindungsreich, hellwach und in ihrer Persönlichkeit gefestigt sind. Der Film ist jedoch nicht einfach seiner Zeit voraus, sondern wie die besten Filme gänzlich in seiner Entstehungszeit verankert. So nah an der Realität wie man das von einem Studiofilm der 50er nicht unbedingt erwarten würde, lebt er dabei von der natürlichen Ausstrahlung seiner zwei Protagonisten. Anton, der ernsthafte, besorgte, gewissenhafte, und Pünktchen, die ausgelassenere, verspieltere, aber auch lebensklügere. Die beiden sind es, die alles in Gang halten. Die sich um die Eltern kümmern, die Lehrer belehren, die Erzieherinnen erziehen. Vor allem aber ist Pünktchen die Hauptfigur. Sie ist es, die Verbindungen schafft und das erzählerische Zentrum bildet. Ohne sie gäbe es den Film in dieser Form nicht. Gespielt wird Pünktchen von Sabine Eggerth, die die pointierte Beiläufigkeit der Regie großartig nachzuempfinden versteht. Thomas Engel fand hier seine Idealbesetzung.

Details, scheinbar beiläufige Dialoge und Momente sind dabei das Wesentliche. Indem das Nebensächliche in den Fokus rückt, gelingt es, Kästner kongenial auf die Leinwand zu übertragen. Es ist ein Film ohne konventionellen Spannungsverlauf, ein Film in dem, in der Tradition der Stummfilmkomödien, eine Situation zunächst wichtiger ist als sich daraus ergebende Konsequenzen. Faszinierend ist, dass Engel in jedem Moment weiß, was er tut. In einem Film, der anscheinend sein Debüt als Regisseur darstellt. Hier ist keiner, der eine Stimme sucht, sondern jemand der seine Sicht der Dinge verkündet und sich auszudrücken versteht. Direkt, einfach, schnörkellos. Der Film lebt vom Zusammenspiel seiner Elemente, der wunderbaren Musik, dem gelungenen Drehbuch, den bis in die kleinsten Nebenrollen großartig besetzten Schauspielern und der brillanten Kameraarbeit von Franz Weihmayr (Fährmann Maria, La Habanera, Liebe ’47).

Den wichtigsten Dialogaustausch der Erzählung kriegen wir dann folgerichtig auch nicht zu hören. In der zentralen Szene des Films findet Pünktchen nach langer Suche in der Stadt endlich Anton wieder. In einer einzigen Einstellung sehen wir sie aus einem Wagen steigen, und an der schwenkenden Kamera vorbei eine Treppe hinab rennen. Während die Kamera ihrer Bewegung zunächst folgt, bleibt sie, nachdem Pünktchen Anton auf der Treppe begegnet ist, auf Distanz und zeigt uns die Protagonisten in einen kurzen Dialog vertieft in Rückenansicht aus der Ferne, bis die beiden wieder die Treppe hinauf dem Bildausschnitt entgegen gerannt kommen, um den erneuten Schwenk überholend aus der Kadrierung zu verschwinden. In diesem kurzen Moment offenbart sich die Essenz von Engels inszenatorischer Raffinesse.

Ein Hauch von magischem Realismus durchzieht diesen Film. Zu finden sind das Interesse, die Sorgfalt und das Verständnis gegenüber den Figuren aus den frühen Filmen von Vittorio De Sica (man würde sich gar nicht wundern, würde Pünktchen ihrer Umwelt auch noch demonstrieren, wie man sich mit Hilfe eines Besens in die Luft erhebt um den Problemen des Alltags wie bei Miracolo a Milano (1951) zu entfliehen) oder den mexikanischen Werken Bunuels, mit denen Engels Film auch die rasche Skizzierung von sozialen Zuständen, sowie vor allem das sanfte Beharren auf der Unauflösbarkeit und Widersprüchlichkeit des Lebens teilt. Und natürlich hat Thomas wahrscheinlich auch viel von seinem Vater Erich Engel gelernt – an dem es vielleicht liegt, dass sich der Film für mich ständig nach DDR-Kino anfühlt – sowie in Sachen Timing und Rhythmus von Käutner, Lubitsch oder Wilder. Nicht jedoch Hommage oder Zitat, sondern eine Verwandschaft im Geiste verbindet ihn mit besagten Filmemachern. In der Literatur wäre aber neben Kästner der wichtigste ideele Verbindungspunkt wohl vor allem bei Astrid Lindgren zu finden. In der Tradition der Lindgrenschen Kinderhelden stehend, entdeckt man Pünktchen in dieser Verfilmung als Ahnherrin von Pippi Langstrumpf wieder.

Das Außergewöhnliche der filmischen Konzeption besteht aus diesem Blickwinkel betrachtet dann auch in der Verweigerung jedweder abschließenden Tragik. Obwohl die Ereignisse einen positiven Verlauf nehmen, und am Ende des Films das Happy End steht, wäre wenig anders, würde Anton von der Schule fliegen, würden Pünktchens Eltern sich scheiden lassen, und würde Antons Mutter sterben. Die Utopie in Pünktchen und Anton ist kein leeres Versprechen, kein fixer Glaube an Kinowunder, sondern die Emanzipation der Figuren von ihren Lebensumständen, der Glaube an den Menschen, der sich in der Freundschaft der Hauptfiguren spiegelt. Man spürt: egal was passiert, diese beiden werden es überstehen. Weil sie sind wie sie sind. Und die Umstände so, wie wir sie uns schaffen. Verkörpert wird das durch die Figur Pünktchens, die Gegensätze verbindet und Widersprüche aufhebt. Einfach so, durch die Kraft ihrer Überzeugungen.

Pünktchen und Anton – BRD, Österreich 1953 – 92 Minuten – Regie: Thomas Engel – Künstlerische Oberleitung: Erich Engel – Produktionsleitung: Hans Lehmann – Drehbuch: Maria Osten-Sacken, Thomas Engel, nach einer Vorlage von Erich Kästner – Kamera: Franz Weihmayr – Musik: Herbert Trantow, Heino Gaze, Carl de Groof – Schnitt: Anna Höllering – Bauten: Friedrich Jüptner-Jonstorff – Darsteller: Sabine Eggerth, Peter Feldt, Paul Klinger, Hertha Feiler, Heidemarie Hatheyer, Annie Rosar, Jane Tilden, Michael Janisch, Carl Möhner, Claus Kaap, Hans Putz, Hugo Gottschlich, Walter Varndal, Herbert Kroll, Maria Eis

100 Deutsche Lieblingsfilme #21: Wonnekloß (1972)

Wenn man Regisseure nach emotionalen Kategorien einteilen würde, so wäre Marran Gosov sicher bei den Melancholikern einzuordnen. Jedoch ist er wie viele Verzweifelte, die dem Selbstmitleid skeptisch gegenüberstehen, ein Satiriker. Und wie bei vielen Exilanten strahlt sein Werk einen Lebensunmut aus, der sich bewusst in einen Trotzoptimismus flüchtet. Gosov musste in der deutschen Filmszene der 60er wie von einem anderen Planeten gewirkt haben. Seine Filme sind nämlich nicht persönlich, weil er etwas zu erzählen hat, sondern weil es sonst gar keine gäbe. Und wenn man persönlich von vornherein schon am Ende ist, so gibt es von Film zu Film nur noch die Perfektionierung eines Schlusspunktes. Wonnekloß ist genau das: ein Vermächtnis, ein Testament, ein Fazit. Der Ausdruck einer Lebenserfahrung, aber auch der Erfahrung als Filmemacher in Deutschland.

Beginn: Comedian Harmonists, Splitscreen, Spaziergang durch die Stadt. Und alles ist bereits in diesen ersten Minuten Subversion. Die Neuerfindung als Zwangshandlung aus Instinkt. Wie so vieles im deutschen Film der damaligen Zeit, ist auch Wonnekloß ein Angebot für eine andere Form von Kino. Gosovs Methode ist die Improvisation, und die Rolle die dabei der Rhythmus einnimmt, ist von herausragender Bedeutung. Es geht um Verzögerung: fast jede Szene dauert, stolpert, tänzelt, über die gängige Präzision hinaus. Gosov ist dabei ein Meister des Timings, wie die Slapsticklegenden der Stummfilmära. Am einfachsten erkennt man das an seinem Musikansatz, der bereits zur Gänze in der Postmoderne angekommen ist, und Soundtrackpoeten wie Wong Kar Wai oder Quentin Tarantino vorwegnimmt.

Wonnekloß ist ein Abgesang auf ein Lebensgefühl, auf eine Art der Existenz, die nichts mit Zielen, sondern mit dem Augenblick zu tun hat. Und in seiner Großzügigkeit spendiert uns Gosov dadurch einige der pointiertesten Momente der deutschen Filmgeschichte: Der Besuch bei den Eltern, der Kampf mit der Gummipuppe, die Hilflosigkeit des Filmens. Es geht um Wunsch und Realität, und warum der Wunsch der Realität im Zweifellsfall vorzuziehen ist. Zumindest in der Utopie der Kunst. Ich stelle mir Gosov wie Sokrates in der Legende, von Schülern in der Todeszelle umgeben vor: milde lächelnd. Unbeugsam, ohne Konzessionen, mit dem Wunsch nach Transformation. Wonnekloß ist sein Vermächtnis.

Das Grundgefühl, die bittere Klarsichtigkeit als sanfte Ironie verkleidet, welche fast alle seine Lang- und Kurzfilme auszeichnet, findet sich wunderbar zusammengefasst in einer Beobachtung von Rainer Knepperges: In Schwabing fand ich im Sommer in einem Laden auf der Türkenstraße eine LP von Marran Gosov aus dem Jahr 1980. Weil sie ein Vermögen kostete, konnte ich nur den Text von der Rückseite der Plattenhülle in mein Notizbuch abschreiben: ‚Auch ich bin ein von Zukunftserfahrungen gebranntes Kind, zurückgefallen auf mich selbst und ahne schon die Gewissheit, dass am Ende nur jene Güte beweisen werden, die an nichts glauben.‘

Wonnekloß – BRD 1972 – 79 Minuten – Regie, Produktion und Drehbuch: Marran Gosov – Kamera: Bernd Fiedler, Helga Harnisch – Musik: Comedian Harmonists, u.a. – Schnitt: Sybille Mar – Darsteller: Dieter Augustin, Daisy von Lilienfeld, Hans Jacob, Dinka Mirkowatschki, Jan Odenthal, Toni Netzle, Fritz Pauli, Hanna Wördy, Michael Gordon, Ilona von Halem, Renate Zimmermann, Eva Pampuch, Bernd Fiedler, Dora Rau, Veith von Fürstenberg, Christian Friedel, Klaus Buszinski

Aus gegebenem Anlass

Endlich ist es soweit! Das neueste filmische Meisterwerk des legendären Nürnberger Kultfilmers Gerry Schuster erblickt nach langen Jahren der Postproduktion doch noch das Licht der Leinwand. Und das Warten hat sich gelohnt! Denn: vergleichbares zum „Schusterschen“ Filmuniversum gibt es im deutschen Kino kaum zu entdecken. Der vom Regisseur persönlich erstellte Trailer gibt an dieser Stelle dem geneigten Filminteressierten einen kleinen Einblick. Phoebe Phoenix ist jedenfalls eine Science-Fiction-Martial-Arts-Musical-Animations-Trash-Dramödie der besonderen Art. Definitiv eines DER Filmereignisse 2011, und hoffentlich schon bald im Kino ihres Vertrauens zu bestaunen. Wer es vor lauter Ungeduld und Vorfreude aber so gar nicht mehr aushält, dem empfehle ich sich einfach schon einmal dieses Animationskleinod (ebenfalls aus dem Hause Schuster) zu Gemüte zu führen.

Aus dem Pressetext: Phoebe Phoenix war die beste Leibwächterin von Peer Hoyshrek, einem der erfolgreichsten Musikproduzenten seiner Galaxie. Als sie ihren Beruf an den Nagel hängt und mit ihrer Funk-Band eine eigene Musiker-Laufbahn einschlägt, bleibt der Erfolg scheinbar aus. Doch als Hoyshrek eines Tages einen lästigen Konkurrenten beseitigen lässt, schafft es dieser kurz vor seinem Tod noch, Phoebe Phoenix brisante Informationen zukommen zu lassen. Hoyshrek hat ihre Musik, die er zuvor als zu unkommerziell abgelehnt hatte, heimlich in einem Paralleluniversum veröffentlicht, wo sie zum Nummer-Eins-Hit geworden ist. Phoebe versucht zunächst, den Skandal über die Medien öffentlich zu machen, doch einige Bandmitglieder entschliessen sich in ihrem Zorn zu einer unüberlegten, drastischen Maßnahme, was eine Folge von tragischen Ereignissen in Gang setzt..

PS: Im Trailer gibt es übrigens auch einen Eskalierenden Träumer in seiner vollen männlichen Pracht zu bewundern. 🙂

(Maruhi) shikijô mesu ichibar – Confidential: Sex Market (1974)


„I think Nikkatsu’s position in the industry is unique. It’s a large company, but we worked on one single concept, sex, for 18 years, and made a very large number of films. Having sex is an activity where we clearly show our true natures. Examining the relationships between men and women is one of the best ways to show the essence of human beings. So we thought that by working with the theme of sex, we could explore ourselves more deeply and express the very core of the world.“  – Noboru Tanaka




(Maruhi) shikijô mesu ichibar – Japan 1974 – 83 Minuten – Regie: Noboru Tanaka – Produktion: Yoshihiro Yuhki – Drehbuch: Akio Ido – Kamera: Shohei Ando – Musik: Yasuo Higuchi – Schnitt: Shinya Inoue – Szenenbild: Gunji Kawasaki – Darsteller: Meika Seri , Junko Miyashita, Genshu Hanayagi, Moeko Ezawa, Sakumi Hagiwara, Shiro Yumemura, Akira Okamoto, Akira Takahashi, Hyôe Enoki, Ikunosuke Koizumi, Nagatoshi Sakamoto, Kenji Shimamura, Kunio Shimizu, Saburô Shôji

Jön az öcsém (1919) – Ein Film von Mihály Kertész

 

Nachdem ich gestern vor dem Schlafengehen Károly Makks Szerelem (1970) gesehen hatte, und mich der ungarische Filmemacher Gábor Bódy schon seit einigen Tagen sehr beschäftigt, machte ich mich heute Vormittag im Internet auf die Suche nach mehr Informationen zu Bódy und dem ungarischen Kino im allgemeinen. Dabei stolperte ich nach einigen Stunden aber zufällig über etwas gänzlich Unerwartetes: den einzigen nach momentanem Wissensstand vollständig erhaltenen ungarischen Film von Mihály Kertész, einem Filmemacher den ich unter dem allgemein bekannteren Pseudonym Michael Curtiz schon seit längerem sehr schätze, als kostenlosen Stream im Internet.

Die Internetplattform Europa Film Treasures die den Film Online zur Verfügung stellt, scheint eine Initiative mehrerer europäischer Filmarchive zu sein, um wiederentdeckte und restaurierte Filme auch abseits von Kinovorführungen einer breiteren Öffentlichkeit zugänglich zu machen. Die regelmäßig erweiterte Seite stellt zudem Kontextualisierungen durch Hintergrundinformationen in mehreren Sprachen zur Verfügung. Alle Filme können dabei konsequent ebenfalls in unterschiedlichen Sprachen untertitelt gesehen werden.
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Film und Buch (#9): Samo Rugelj, Marcel Štefančič, jr. – Stari, kje je film? (2006)

Das erste slowenische Buch zum jüngeren südkoreanischen Kino war sicherlich eine der ersten nicht-englischsprachigen Publikationen außerhalb Koreas, die sich mit dem überraschenden Boom der nationalen Filmindustrie Südkoreas innerhalb eines überschaubaren Zeitrahmens auseinandersetzte (in diesem Fall geht es vorwiegend um die Jahre 1995 – 2005). Als publizistische Pionierleistung anzusehen, wird während der Lektüre zunehmend klarer, wie es ein solches Werk auf den slowenischen Buchmarkt schaffen konnte. In erster Linie scheint es nämlich nicht primär um die Darstellung der südkoreanischen Filmwirtschaft und Filmgeschichte zu gehen, als vielmehr um ein Plädoyer für eine zu ändernde slowenische (und im Grunde auch europäische) Filmpolitik. Geschrieben wurde es von zwei der profiliertesten slowenischen Filmautoren der letzten 20 Jahre, die beizeiten den Eindruck erwecken, den slowenischen Filmbuchmarkt seit der Unabhängigkeit von Jugoslawien im Jahre 1991 fast im Alleingang hervorgebracht zu haben.
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Pacific 231 (1949)

… oder Neues vom Hofbauer-Kommando.

 

Neulich auf der Herrentoilette.

Sano: Gestern habe ich einen erstaunlichen Film gesehen. Pacific 231 von Jean Mitry.

Andreas: Ah ja, ich erinnere mich. Von dem hat Ernst Hofbauer zu Beginn seiner Karriere oft gesprochen.

Sano: Wirklich? Ernst Hofbauer, der Schmuddelfilmer der Schulmädchenreihe hat sich in seiner Jugend für die filmische Avantgarde zu begeistern gewusst? Ich hätte nicht gedacht, dass so jemanden die Werke der Franzosen interessiert haben könnten.

Andreas: Was heißt interessiert? Das waren die Grundlagen von denen aus Hofbauer seine eigene Sicht auf die Welt, seinen eigenen Stil entwickelt hat. Die Schulmädchenreportfilme waren damals inhaltlich wie formal bahnbrechend, und haben die Möglichkeiten der Filmsprache in eine neue Hemisphäre dringen lassen. Ein Präzedenzfall der Filmgeschichte, dass die kommerziell erfolgreichste Filmreihe auch vom – neben Adrian Hoven – wichtigsten und unterschätztesten deutschen Nachkriegsregisseur hervorgebracht wurde. Pacific 231 ist dafür als Schlüsselfilm zu betrachten, der Samen aus dem dann später die Frucht hervorging.

Sano: Sie scherzen. Was hat denn der deutsche Kommerzfilm mit den französischen Theoriediskursen der 40er Jahre zu tun? Das sind doch zwei völlig unterschiedliche Welten.

Andreas: Das meinen Sie. Ein klassisches Fehlurteil. Nehmen wir uns beide. Vorhin saßen Sie in der Kabine neben mir. Und da haben Sie einen ganz schönen Haufen hingelegt, wenn ich das so sagen darf.

Sano: Woher wissen Sie denn das?

Andreas: Ihr Gestöhne war ja nicht zu überhören. Und dann die vielen Spritzgeräusche. Der Dampf der frischen Scheiße drang durch alle Ritzen und war sogar bis zur Decke zu sehen – so sehr hatten Sie mit sich zu kämpfen. Und als Ihr Schweißgeruch sich mit dem Duft der Scheiße vermischte…

Sano: Na hören Sie mal! Was hat das alles überhaupt mit Kino zu tun?

Andreas: Na, Sie haben etwas hervorgebracht. Und während Sie wahrscheinlich so dasaßen, sich nach getaner Arbeit den Hintern abwischten, und vielleicht auch Ihr Werk genauer ins Auge fassten, es mit anderen Ihnen bekannten Errungenschaften verglichen, benutzte ich meine Phantasie und ließ mich inspirieren. Die Scheiße, die ich mir vor meinem inneren Auge ausmalte war mit Sicherheit um einiges prachtvoller, als alles was Sie bis dahin in der Schüssel erblicken konnten. Wir hätten uns aus der Toilette begeben können ohne uns überhaupt zu begegnen. Und doch hätten Sie einen entscheidenden Einfluss auf mich ausgeübt.

Sano: Aber ich bitte Sie, das sind doch Verirrungen des Geistes. Wirre Assoziationen, aus einem unbedeutenden Moment geboren. Ich verstehe ja Ihren Gedankengang von Scheiße zu Hofbauer, auch angesichts der Tatsache, dass sich in den 70ern auf der Herrentoilette kulturgeschichtlich bedeutendes abgespielt hat, während im Sexfilm nur Prüderie und reaktionäres Heterogehabe zu sehen war. Aber um zu Mitry zurückzukehren: Der Dampf des Zuges ist eben nicht der Dampf der Scheiße. Er ist geboren aus dem Feuer der Revolution, dem Triumph des Geistes über die Materie, durch den Siegeszug des Kinos, der vollkommensten aller Künste, die uns aber erst der technische Fortschritt ermöglicht hat.

Andreas: Werter Kollege, lassen Sie es mich erklären. Pacific 231 ist der ultimative Geschwindigkeitsfilm. Von den Einstellungen her betrachtet, selbst vom Schnitt, haben den alle kopiert. Vor allem in Hollywood, Frankenheimer und so. Aber zur Vollendung, zur Applikation im Sinne des Erfinders wenn man so will, kam es erst bei Hofbauer, im Sexfilm. Die Körpermechanik, das Ächzen der Leiber, das Schnaufen und Stöhnen, vom langsamen Beginn bis zum drastischen Höhepunkt, konnte Hofbauer im Sinnesrausch der Lust seinem eigentlichen Bestimmungsziel zuführen. Seien wir mal ehrlich, Mitry hat keinen Sexfilm gedreht, weil das damals nicht erlaubt war. Auch nicht in der sogenannten Avantgarde. Hofbauer ging dann den erforderlichen Schritt weiter.

Sano: Aber meinen Sie nicht auch, dass Mitry sich von den Sowjets hat inspirieren lassen, von den Montagetheorien der 20er und 30er? Wenn man Pacific 231 zum ersten Mal ansieht, könnte man auch denken, dass Vertov oder Pudowkin, oder einer ihrer Schüler, den Film gedreht hätten. Für 1949 scheint er doch etwas veraltet. Eine Hommage, eine Fingerübung, die ich persönlich eher in die Debatten der damaligen Zeit, zum Glauben an „Bild“ oder „Realität“, zuordnen würde. Mitry also als Gegner der Mise-en-scène von Bazin. Er war ja 14 Jahre älter, wird in den 20ern mit Sicherheit vom sowjetischen Kino begeistert gewesen sein, und später auch von den Möglichkeiten des Tonfilms, wie sie Vertovs Entuziazm (1930) oder Pudowkins Dezertir (1933) entspringen. Bazin war da ja fast noch ein Kind, der dann später mit den klassischen Montagemodellen nichts mehr anzufangen wusste. Wenn ich mir überlege, was Bazin bei ähnlicher Thematik wahrscheinlich gedreht hätte …

Andreas: Papperlapapp! Diese ganze französische Kleingeisterei führt doch am Thema vorbei. Die eigentlichen Grundlagen sind doch schon viel früher, bei den Futuristen zu finden. Die haben die Neuerungen der im Grunde noch kleinbürgerlichen Impressionisten zu nutzen gewusst, und den Kern der innovativen Malerei des ausgehenden 19. Jahrhunderts hervorgeholt. Der Mensch als Maschine, die Welt als Fabrik. Das amorphe, wandelbare der Natur findet seine Fortsetzung in der menschlichen Kulturleistung. Und wo hat diese ihren Ursprung? Hofbauer wusste es. Im Geschlechtsakt kommt alles zusammen. Die Reibung der Körper erzeugt einen Druck der sich in kreativer Energie entlädt, wobei die Erfahrung von geistiger, körperlicher und seelischer Einheit auch das Bewusstsein der Zusammenhänge dieser Welt erzeugt. Das ist keine Theorie, das ist Praxis. Und Mitry muss das, wenn schon nicht verstanden, so zumindest gespürt haben. Abgestandene Thesen von Theoretikerdisputen und den Intentionen des Autors haben da doch keinen Platz. Hier geht es um Wesentlicheres. Und das erkennt man bei Hofbauer. Das Leid an der Unzulänglichkeit der bürgerlichen Sexualität im Angesicht der technischen Errungenschaften. Man müsste ficken wie ein Auto, eine Schreibmaschine oder eben ein Zug. Diese existentielle Krise, in die der Mensch infolge der Industrialisierung geraten ist, bildet Hofbauer ab. Mitry schuf mit seiner Bebilderung von Honeggers Musik nur die formalen Grundlagen dafür. Wenn Elisabeth Volkmann nach dem Koitus erschöpfte Zischlaute von sich gibt, ist die Analogie zur letzten Einstellung in Pacific 231 deutlich. Während Mitry dabei aber die Erhabenheit des Zuges filmt, wird bei Hofbauer die Verzweiflung des Menschen in den Vordergrund gerückt. Der Mensch will Zug werden, kann aber nicht.


Neue Texte für die deutsche Reihe

Ursprünglich war das alles ja etwas anders geplant gewesen. Zwei mal die Woche posten, kurze Texte, die Lust machen sollten auf die Filme. Und nach einem Jahr sollten die 100 dann voll sein. Das ganze Geriet schnell ins Stocken: Diskussionen übers Konzept, steigenden Ansprüche, und wie immer wenig Zeit für einen Blog der nur aus der Freizeit der Autoren gespeist wird. Im August gab es jetzt die letzten Texte, und die letzten Monate war es dann etwas ruhig geworden. Das soll sich ändern. Neues Jahr, neue Vorsätze, und vielleicht der Versuch 2011 die 100 doch noch voll zu bekommen? Wir werden sehen. Aber bevor es im neuen Jahr dann mit weiteren Texten und neuer Energie weitergeht, an dieser Stelle zur Überbrückung und als Versicherung, dass wir die Reihe definitiv weiterführen werden, zwei neue Texte von mir. Zwei Filme aus der DDR, beide in den letzten Wochen für mich entdeckt, und beide vielleicht thematisch etwas miteinander verwandt. Von Kurt Maetzig und Ulrich Weiß. Viel Spaß beim Lesen, und wie immer – viel Geduld mit uns allen. 😉

Foto (c): Schopf/Knake