STB Robert 2025 I

„Und dieses Bild trug das quälend Eintönige an sich, das alle jene Eindrücke kennzeichnet, die tagtäglich so und so oft wie Hausierer die Schwelle unserer Wahrnehmung überschreiten, und rief in mir weder Neugierde noch Überraschung hervor.“ (Der Golem)

„Das Rationale (d.h. das vom Verstand Aufzulösende) ist fast immer das nicht Wesentliche und eigentlich ein Schleier, der die Gestalt verhüllt. Soweit aber eine Seele einen Leib braucht, – es ist ja gar nichts dagegen zu sagen – muß der Künstler seine Mittel zu Darstellung aus der rationalen Welt herausgreifen. Dort, wo er selbst noch nicht zur Klarheit, oder eigentlich zur Ganzheit durchdrungen, wird das Rationale das künstlerisch Unbewußte überwuchern.“ (Gustav Mahler)

„Mais le sombre indigo des nuits d’été
Est la caresse consolante à nos yeux dépités
… Lilas frais et mauves pervers
Rhododendrons où les phalènes vont se pâmer
… Orangés calmes des couchants d’automne
Orangés tristes des feuilles tombées
… Voici le bleu mystique des soirs.“
(Le Poème des couleurs)


Wertung: Ich kann nichts mit Zahlen zur Bewertung anfangen. Deshalb gibt es hier ein prosaisches System. Eine Skala ist mit der Qual verbunden, Filme in eine lineare Ordnung zu quetschen. Deshalb hat die Wertung zumindest eine Y-Struktur für freieres Atmen. Die Einstufungen radioaktiv und verstrahlt reflektieren, dass ein Film in seiner eigenwilligen Qualität es einem nicht einfach macht, ihn einfach zu genießen. Wertungen in Klammern verweisen auf das ein oder andere Nickerchen beim Schauen.

Legende: Ist im Grunde selbsterklärend. Wenn hinter der eckigen Klammer eine Zahl steht, dann gibt sie die Anzahl der Sichtungen wieder. Je höher die Zahl, desto mehr ist sie geschätzt. Da ich mit Fernsehen und Kino aufgewachsen bin, wo nur gekennzeichnet wurde, wenn ein Film nicht in deutscher Sprache lief, tue ich das schändlicherweise auch. (OmU=Originalfassung mit Untertiteln, OmeU=Originalfassung mit englischen Untertiteln, OF=Originalfassung, EF= englischsynchronisierte Fassung, OZmeU=Originalzwischentitel mit englischen Untertitel) Hinzu kommen die Zeichen ł, wenn der Film gekürzt war, und ≠, wenn ich mitbekommen haben sollte, dass das Format nicht hinhaute. Ein kleines K hinter einem Titel bezeichnet einen Kurzfilm (bis 15 Minuten), während ein kleines M einen mittellangen Film (16 bis 60 Minuten) kennzeichnet.


Vorangegangene Sehtagebücher:
2012/II | 2013/I | 2013/II | 2014/I | 2014/II | 2015/I | 2015/II | 2016/I | 2016/II | 2017/I | 2017/II | 2018/I | 2018/II | 2019/I | 2019/II | 2020/I | 2020/II | 2021/I | 2021/II | 2022/I | 2022/II | 2023/I | 2023/II | 2024/I | 2024/II

to be continued … und zwar hier

Juni
Montag 30.06.

Mädchen Mädchen!
(Dennis Gansel, D 2001) [stream]

gut

Umgeben von sexueller Prahlerei versuchen drei Mädchen nicht abgehängt zu sein, und ihre verkrampften Versuche Sex zu genießen, töten jeden Genuss … oder sie treffen hanebüchene Entscheidungen, mit wem sie glauben, Sex genießen zu können. Die so verdrängten Gefühle kommen aber wieder, wenn diese weit wegscheinen (Fahrradfahren) oder wenn sich resigniert ausprobiert wird (Sexchat). Manchmal ist es einfach nur oll, manchmal derber Qualitätsspaß.
Dem jungen Mann namens Schädel wird zum Zweck der Rache ein Potenzmittel verabreicht. Seine Strafe ist Lust, die sich nicht kaschieren lässt und eine Verunmöglichung des Alltags. Er verlässt daraufhin das Klo nicht mehr, wo er an die Decke pisst, weil seine enorme Latte sich nicht nach unten biegen lässt. Er wird diabolisch und seltsamerweise damit bestraft, dass er Scham für seine Erektion zu spüren bekommt.

Final Destination
(James Wong, USA 2000) [blu-ray, OF] 3

großartig

Nicht der Tod greift die Teenager an, wie diese glauben, sondern die allmächtigen Drehbuchautoren. Nicht der Tod holt sie, weil sie ihm von der Sense gesprungen sind, sondern sie dürfen die Flugzeugexplosion überleben, damit sie möglichst sadistisch in den Tod geschickt werden können und nicht mit einem einfachen Zerfetzen davonkommen. Gourmetmorde für die Feinschmecker.

Sonntag 29.06.

Daddy’s Home 2 / Daddy’s Home 2 – Mehr Väter, mehr Probleme!
(Sean Anders, USA 2017) [blu-ray, OmeU]

großartig

Die zwei Extreme des ersten Teils (Mark Wahlberg als unsensibler Muskelmacho und Will Ferrell als zärtlicher Hypersensibler) werden noch potenziert und mit den Vätern der Väter (Mel Gibson und John Lithgow) gedoppelt. Das Ergebnis ist wie ein Tennismatch: Von links geht es nach rechts, und von rechts nach links, immer von einer Katastrophe zu seinem Gegenteil und katastrophalen Äquivalent. Und wir sitzen in der Mitte und können uns normal fühlen … wenn wir nicht von der argen Fremdscham des Films hinweggefegt werden.
Am Ende müssen die Harten weicher werden und die weichen Härter, aber das Schöne ist, dass sich niemand grundsätzlich ändern muss, sondern die Differenzen und die Persönlichkeiten bestehen bleiben. Oder anders: Die Konflikte lösen sich nicht, sondern die krassen Eigenschaften der einen finden sich nun auch bei den anderen.

20.06. – 28.06.
Il cinema ritrovato

Sonnabend 28.06.

Kurzfilmvorprogramm
(Diverse) [DCP]

tba.

Le Tour de France (Newsreel, F 1925)
Italie. Le Président Mussolini en vacances sur le lac de Piana dei Greci (Newsreel, F 1925)
*****
Radfahrer und der Duce auf Staatsbesuch bei der Mafia. Letzteres ist natürlich nicht zu sehen, sondern wurde bei der Einführung erklärt.

La cavalcata ardente
(Carmine Gallone, I 1925) [35mm, OZmeU]

gut

Ein Film der Augen, des Starrens, des auf andere Herabblickens, des Wahrheit in den Augen Sehens … und eines Poeten, der sich mehr über die Ankunft Garibaldis freut als über das Wiedertreffen mit seiner Geliebten … und eines Antagonisten mit einer bösartig überkämmten Glatze … und einer Verbrecherbande, die für die Liebe kämpft, aber nicht für Garibaldi.

Kurzfilmvorprogramm
(Diverse) [Diverses]

tba.

Gus Visser and His Singing Duck (Theodore W. Case, USA 1925) [35mm] – großartig
Charleston Dancing at Starlight Park (Newsreel, USA 1925) [DCP] – gut
Faisant encore mieux que Daniel, des girls américaines dansent dans la cage aux lions (Newsreel, F 1925) [DCP] – großartig
Trailer: Das Spielzeug von Paris (Michael Kértész, A 1925) [35mm] – großartig
*****
Ein Sänger hält eine Ente auf dem Arm, die an den richtigen Stellen seines Lieds quakt. Die Frage ist nur, was seine rechte Hand macht, die irgendwo poseits der Ente versteckt ist. In einem Newsreel tanzt eine Frau Charleston auf einem wackligen Tisch. Löwen springen daraufhin über Frauen, die zu ihnen in den Käfig kommen, und in bester Hongkongmanier folgt auf den unglaublichen Stunt gleich dessen Wiederholung in Zeitlupe. Und ein Trailer macht das, was er soll: er gibt mir das Gefühl einen alle Begierden befriedigenden Film zu verpassen, wenn ich ihn nicht sehe.

The Pleasure Garden / Irrgarten der Leidenschaft
(Alfred Hitchcock, USA 1925) [DCP, OZ]

gut +

Aus dem Tanzmilieu, in dem Dekadenz zu Erfolg führt, Erfolg zu Dekadenz und die Tugendhaften Hintergrundtänzerinnen bleiben, bricht der Film irgendwann zum Malariafieberliebesdrama in ein orientalisch-pazifischen Land auf, wo Perversling so sein können, wie sie sind. Inkl. Hunden, die Untugend riechen können, Geistern und einem berühmt machenden Tanz, bei dem ich zuerst dachte, dass das Gehopse die Tanzende blamiert. Einziges Manko ist Hitchcocks Buchstäblichkeit. Spürbar treibt den Film die Lust am Bösen und Verdorbenen an, nur sind sie noch nicht stilistisch ausgearbeitet und Teile schablonenhafter Kontraste zwischen guten und schlechten Charakteren.

Kurzfilmprogramm: The Goldstaub Fund
(Diverse, F 1905) [35mm]

tba.

Les Trois phases de la lune (Pathé Frères) – gut
Charles Voisin: Flugversuche auf der Seine (Newsreel) – gut
Le Mât de Cocagne (Pathé Frères) – gut
Petit Voleur de pommes (Pathé Frères) – ok
Fâcheuse méprise (Pathé Frères) – gut
Le Nègre gourmand (Pathé Frères) – tba.
La Poule aux oeufs d’or (Gaston Velle) – großartig
Visite de la douane (Pathé Frères) – gut
La Lotion magique (Pathé Frères) – großartig
L’Album merveilleux (Gaston Velle) – gut
Cascades de feu (Pathé Frères) – großartig
*****
Wunderbar: eine Frau, die größere Brüste haben möchte, und ein Glatzkopf, dem es nach Haaren dürstet, verwechseln ihre magischen Lotionen. Ihm wachsen zwei Brüste auf dem Kopf und ihr riesige, busenförmige Haarberge auf dem Brustkorb. Das historische Zeitfenster, in dem die Farrelly-Brüder daraus ein abendfüllendes Meisterwerk gemacht hätten, war kurz. In dieses fiel der Film nicht, und doch: so eine Idee ist fast unindensandsetzbar.
Ansonsten ging es um moralisch korrekte Eier, die ihrem Besitzer Gold schenkten und Dieben nur Fledermäuse, Kinder, die an Maibäumen hängen, die Verwechslung von Weihwasser und einem Farbeimer, Feuerwerk und oftmals Pathécolor, ein Verfahren, bei dem Farbe mechanisch und damit schneller auf die Bilder aufgetragen werden konnte. Oder: fantasievolle Kurzfilme, wie sie auch von den Lumières, die realistischeren, und Méliès, die Spezialeffekt getriebenen, stammen könnten.

Allotria
(Willi Forst, D 1936) [35mm] 2

fantastisch

Die Exposition stellt mit bester Laune Dominosteine (die besten) auf, die ihm Rest des Films aberwitzige Bahnen folgend einstürzen. Rühmanns passiver Rennfahrer wird genüsslich leiden gelassen, in dem erzählerisch und optisch seiner Macht beraubt nicht vom Platz kommt. Wohlbrücks Schönling, dem alles gelingt, wird auf den Boden der Tatsachen geholt, in dem ihm vorgetäuscht wird, dass ihm gar nichts gelingt. Sie werden in Alpträume versetzt, in denen die einfachsten Dinge nicht einfach nicht funktionieren – wie in der Szene, in der Rühmann einfach nur unbemerkt zu seiner Frau ins Bett möchte und es auf immer noch neue Wege verunmöglicht wird. Die Konstruktion ist entrückt, der Witz unbekümmert und kreativ, der Schmerz real.

まごころ / Sincerity
(Naruse Mikio, J 1939) [35mm, OmeU]

großartig +

Wie FLOATING CLOUDS ist dies ein ungewöhnlicher Film in der Filmographie Naruses, deren Filme so oft um ein Heim strukturiert sind. Hier sind wir oft draußen und an ständig anderen Orten. Einerseits ist dies der Film von Kindern, die erkennen müssen, dass ihre Eltern auch nur Menschen sind, dass sie eine Vergangenheit haben und ein Leben abseits des Elternseins, dass die Welt nicht feststeht und sich entwickelt. Andererseits strebt der Film eine moralische Lehre an, in denen Erwachsene über Lügen und Aufrichtigkeit lernen müssten, aber alles nur über Schuld und Schulden definieren. Kurz vor Schluss gipfelt alles in der selbstgerechten Rede eines Mannes und einem Kind, dass mit einer Puppe einsam und verlassen durch die Weite zieht, um etwas richtig zu stellen, sich aber vor allem dem Abgrund der Beziehungen der Erwachsenen entziehen will. Es endet in der jubelnden Verabschiedung von Soldaten in den Krieg. Die Kinder jubeln, weil sie die Welt der Erwachsenen noch nicht durchsteigen, die Erwachsenen, weil ihre Welt der Schuld aufgeschoben wird und mit einer Lüge transzendiert.

Stage Door / Bühneneingang
(Gregory La Cava, USA 1937) [DCP, OF]

großartig

Ein Hotel für (mittellose) Schauspielerinnen bietet den Hintergrund für eine religiöse Wundergeschichte – Kay (Andrea Leeds) hatte einen Erfolg an der Bühne, nur wird sie trotzdem nicht wieder besetzt, sie verglüht, verhungert, wird zerstört, doch ihr Tod wird zum Opfer, das Terry (Katharine Hepburn), vorher ganz Kopf, nun mit einem Herz ausstattet und damit das Unmögliche möglich macht – und der Wiederkehr des ewig Gleichen – Jean (Ginger Rogers) ist nur eine in einer Reihe von Eroberungen des Theaterproduzenten Anthony Powell (Adolphe Menjou), der sich nicht einmal die Mühe macht, sich für jede seiner Flammen eigene Sprüche und Hintergrundgeschichten auszudenken, der nur immer wieder die selbe Rolle aufführt. Ein Panoptikum von Charakteren, die zusammen eine Familie bilden und die bis in alle Ewigkeit schnippische Schlagabtäusche liefern müssen, um nicht vom Leid weggefegt zu werden. Es ist alles im Fluss und doch immer gleich.

Freitag 27.06.

Mortu Nega / Those Whom Death Refused
(Flora Gomes, GBI 1988) [DCP, OmeU]

gut

Zwei Formen von Einigkeit. Während des Unabhängigkeitskriegs besteht sie einfach – Soldaten und Zivilisten laufen, laufen und laufen, stets sind sie in Bewegung, immer auf ein Ziel gerichtet; es macht den größten Teil des Films aus. Nach dem Krieg, die Unabhängigkeit ist erreicht, starten die Zweifel, Fußverletzungen brechen auf und machen bettlägerig, Einigkeit ist etwas, dass mit Gewalt erzwungen werden muss und plötzlich nicht mehr so positiv besetzt ist. Der Struggle endet nie, nimmt nur andere Gesichter an.
Aber Unterschiede bestimmen den Film schon während der gelebten Einigkeit. Die Soldaten tragen nämlich Uniformen, die sie in ihrer Umwelt untergehen lassen sollen, während Diminga (Bia Gomes), eine Frau auf der Suche nach ihrem Mann und Stabilität, im Speziellen und Frauen im Allgemeinen farbenfrohe Kleider tragen, mit denen sie aus der Umgebung herausstrahlen.

Adam’s Rib / Ehekrieg
(George Cukor, USA 1949) [35mm, OF]

großartig

Einerseits werde ich das Gefühl nicht los, dass die Karten bei diesem Geschlechterkampfehekriegs die Karten gezinkt sind. Ein Ehepaar steht sich vor Gericht gegenüber. Eine Frau hatte auf ihren fremdgehenden Ehemann und seine Geliebte geschossen, aber nicht getroffen. Die Ehefrau/Verteidigerin (Katherine Hepburn) argumentiert, dass sie freizusprechen sei, weil sie, wäre sie ein Mann, nicht verurteilt werden würde. Sie reproduziert den Sexismus, den die bekämpfen möchte, während ihr Mann/der Ankläger (Spencer Tracy) letztendlich den moralischen Sieg davontragen muss, weil er universalistisch argumentiert – niemandem darf Selbstjustiz erlaubt sein. Überhaupt ist er ein Vorzeigeehemann, gegen den zu rebellieren absurd wirkt.
Andererseits ist die Ruhe, mit der der Mann sich einfach im Recht sieht und gar kein Problem sehen will, enervierend, und der Kampfeswille der Frau wird gerade dadurch nur umso verständlicher. Beide erfahren die sie umgebende Gesellschaft und ihre Position grundsätzlich unterschiedlich und es zeigt sich an allen Enden. Dieser Film, in dem Cukor, Hepburn und Tracy vor Spiellaune nur so sprühen und alles zu einem Zirkus (inkl. Saltos schlagender Artisten) wird, ist so vll. doch bei aller Lust am Quatsch auch noch ein komplexes Gesellschaftsbild.

Kurzfilmprogramm: Naturalism & Dreams
(Diverse) [35mm]

tba.

Bateaux sur le Nil (Pathé Frères, F 1905) – großartig
La Métallurgie au Creusot (Pathé Frères, F 1905) – großartig
Au Pays noir (Ferdinand Zecca, F 1905) – gut
Le Cachemar du caïd (Pathé Frères, F 1905) – gut
Au Bagne (Ferdinand Zecca, F 1905) – gut
The Dancer’s Dream (J.H. Martin, USA 1905) – gut
Au Pays des glaces (Pathé Frères, F 1905) – gut
*****
Laut der Einführung hat Charles Pathé einst gesagt: Les rêves ne peuvent pas être filmés, car ils viennent d’un autre monde. Das Träume also nicht gefilmt werden können, da sie aus einer anderen Welt stammen.
Nun waren es aber gerade die beiden Filme des Programms, die einfach nur etwas dokumentieren wollten, das sich vor ihrer Kamera befand, was am Traumhaftesten wirkte. Die Segel der kleinen Schiffe auf dem Nil, ihre Bewegungen im Wind, ihre Anordnung zueinander, die lebendige Struktur, die entstand: Es hatte einen Effekt wie bei einer Lavalampe. Die Metallarbeiter, das Glühen des Metalls in der Dunkelheit, die rote Viragierung: Es waren Blicke in eine andere Welt. Kurz: der naturalistische Teil des Programms war tatsächlich der entrückte. Und ihre größte Stärke ist vll. einfach auch, dass sie ein irreales Fenster in eine Welt bilden, die es nicht mehr gibt, von der wir durch Raum und Zeit getrennt sind.
Die folgenden Geschichten über Grubenunglücke, Alpträume, den Strafvollzug, Träume und Polarexpeditionen zeigten hingen vor allem Schauspieler in Kulissen. Sie wirken real, vll. weil sie Verständliches verständlich kommunizieren. Weil ihre Welt abgeschlossen, klein und gerichtet war. Der Zauber, dass Bilder sich auch bewegen können, ist hier schon eine Normalität. Und erst die Spezialeffekte holen ihn zurück, erst das Wasser, dass die Klarheit der Bilder kurz zerstört, erst die Dämonen, die in Rauchwolken verschwinden, die Frau, die zwischen schwimmenden Fischen zu sehen ist, erst die Sirenen im Eis geben den Bildern eine Künstlichkeit, die sie öffnet und doch einen kleinen Traumeindruck verschafft.

Strongroom
(Vernon Sewell, UK 1962) [35mm, OF]

großartig

Zwei Menschen ersticken in einer Stahlkammer. Die Zeit läuft. Besitzen die Einbrecher, die sie dort zurückließen, die Moral, sie zu retten und wenn ja, wie? Zieht die Polizei die richtigen Schlüsse aus den wenigen Indizien, die sie hat? Tick Tick Tick … No bullshit.

はたらく一家 / The Whole Family Works
(Naruse Mikio, J 1939) [35mm, OmeU]

großartig +

Das dramatische Grundproblem ist einfach. Der älteste Sohn einer Familie bekommt das Angebot einer Dualen Ausbildung. Tagsüber würde er als Sekretär arbeiten und damit sein Leben und die Abendschule für eine bessere Zukunft finanzieren. Nur bräche damit nicht nur sein dringend notwendiges bisheriges Einkommen für seine Familie weg, auch würde es wohl eine Kettenreaktion auslösen und seine drei nächstjüngeren Brüder würde wohl Ähnliches anstreben. Für die Mutter ist der Sohn ein verantwortungsloser Verräter, für den Vater stellt sich aber die Frage des Films: lässt er seine Söhne innerhalb der Armut der Familie langfristig verkümmern, kann dafür das Auskommen der gesamten Familie mit noch drei weiteren Kindern bestreiten, oder lässt er seine vier ältesten Söhne ziehen und ihr Leben verbessern zum Preis, dass die Zurückbleibenden massive Probleme bekommen werden, ihr Leben überhaupt zu bestreiten. Das Leid ist unabwendbar, nur wofür entscheidet er sich, für was entscheiden sich die Söhne? Das Leid in der nahen Gegenwart oder das in der Zukunft?
Naruse reduziert es gnadenlos auf diesen Konflikt. Hier die hochtalentierten Söhne, die wir nachdrücklich beim Sprachelernen usw. gezeigt bekommen, da die Anzeichen der schon herrschenden Armut, die Wohnung, die Kleider, die Sorgen des Vaters nicht vollends abzurutschen. Und weil es nichts zu bereden, sondern nur zu entscheiden gibt, sitzen die Beteiligten oft rum und grübeln – wenn es nicht gerade Anschuldigungen gibt. Das Schweigen ist aber das Schlimmere, weil in ihm die Klaustrophobie des Films völlig zu sich kommt. Der Film endet mit drei der Söhne, die Purzelbäume schlagen, und doch haben wir keine Happy End gesehen. Der Konflikt ist nicht gelöst, die Ausweglosigkeit bleibt unter der (übereilten, unwissenden) Fröhlichkeit bestehen.
Die Kopie war nicht besonders gut und auch nicht sehr hell, aber selbst so schien es mir, dass Naruse die Armut gleich auch noch in karge Lichtverhältnisse gesteckt hat. Größtenteils spielt der Film sowieso in der Nacht. Düsternis, der Film.

Festival
(Murray Lerner, USA 1967) [35mm, OF]

gut

Vier Jahre des Newport Folk Festivals (1963 – 1966) werden zusammengefasst, als wäre es eins gewesen, als gäbe es keine Widersprüche. Bob Dylans kontroverser elektrischer Auftritt von 1965 wird gezeigt, als wäre nichts. Es folgen Auftritte von Howling Wolf und The Butterfield Blues Band, die auch mit elektrischen Gitarren auftraten, wie um das einst Umstrittene zu normalisieren. Und vll. ist das auch das große Anliegen des Films, dass eine riesige Masse von Aufnahmen so montiert wird, dass das Bild einer großen Gemeinschaft entsteht. Das Durcheinander aus Auftritten, Interviews und Jams erweckt schlicht den Eindruck des Heimvideos einer epischen Familienfeier. (Und gerade Pete Seeger geht während seinen Auftritten allein oder mit anderen Stars dermaßen in seiner Musik auf, dass es nicht schwerfällt sich vorzustellen, wie Legenden entstehen, dass er mit einer Axt auf die Verstärker Dylans losgegangen sein soll, scheint es doch seine heilige Folkerfahrung und die Einheit zu spalten.)
Übrigens ist Johnny Cash mit einem Lied vertreten, während Peter, Paul and Mary einzeln oder geschlossen immer und immer wieder auftauchen. Sie haben das Festival sicherlich regelmäßiger besucht als Cash – er war 1964 auch schon mit elektrischen Gitarren aufgetreten, was nicht überall gut ankam, aber Dylan wohl beeinflusste –, aus heutiger Sicht ist es aber schon bizarr, sind die einen doch fast vollständig aus dem kulturellen Gedächtnis verschwunden, während der andere dort immer noch ungebrochen vorhanden ist.

Donnerstag 26.06.

禍福 前篇 / Learn from Experience, Part One
(Naruse Mikio, J 1937) [35mm, OmeU]

großartig

Im Grunde ist es ein ausgewachsenes Melodrama, in dem ein verantwortungsloser Mann seine Probleme versucht auszusitzen und so das Drama erst anfacht und in dem ein Vater droht – wie ein kleines Kind, das solange die Luft anhält bis es bekommt, was es will – Seppuku zu begehen, wenn sein Sohn nicht die Frau heiratet, die er vorgesehen hat – in seinen Worten lautet es ungefähr, dass der Sohn sein Projekt sei, dass sich doch vollenden lassen müsse. Wieder ist es aber vor allem auch ein Film der Details, in dem Dinge entscheidend sind wie der Umstand, dass die Männer, die in einen Raum gehen, ihre Sandalen einfach von den Füßen fallenlassen, während die Frauen ihre (und die der Männer) umdrehen, damit beim Verlassen gleich wieder in sie geschlüpft werden kann.

Kurzfilmvorprogramm
(Diverses) [Diverses]

tba.

Le Boxeur Siki assassiné à New York (Newsreel, F 1925) [DCP]
La Société secrète du Ku Klux Klan défile à Washington (Newsreel, F 1925) [DCP]
Red Pepper (Arvid E. Gillstrom, USA 1925) [35mm, TschechZmeU] – gut
*****
Die erste Newsreel verkündet per Titel den Tod des Boxers Siki. Es folgen zwei kurze Aufnahmen eines Boxers. Weil ich Siki nicht kenne, aber um den sehr freien Umgang der Newsreels mit Wirklichkeit weiß, war ich unsicher, ob er es war. Vll. auch, weil die Bilder durch die Restauration sehr scharf und klar waren. Es wirkte nicht mehr wie Archivausnahmen von 1925. Nur zwei Einstellungen von einem Boxer waren zu sehen, und ich war ganz verunsichert. O tempora, o mores.
Die zweite zeigt einen Marsch des Ku-Klux-Klans durch Washington. Und es ist das eine zu wissen, dass der Klan früher viel offener aufgetreten ist, ihn aber zu Tausend mit offen gezeigten Gesichtern bei einer eigenen Parade durch die Hauptstadt marschieren zu sehen, ist etwas ganz anderes.
Es folgte noch eine Komödie mit Al St. John. Diese spielte in Kulissen, in denen er schon zehn Jahre zuvor mit Roscoe Arbuckle und Buster Keaton zu sehen war. Auch der Film selbst schien die Entwicklungen der letzten Jahre ignoriert zu haben. Nur war St. John inzwischen allein zurückgeblieben.

Body and Soul
(Oscar Micheaux, USA 1925) [DCP, OZ]

ok

Mehr noch als RED PEPPER davor ist dies ein Film, der für 1925 schon völlig veraltet inszeniert scheint. Immer wieder die gleichen Einstellungen, in denen vor uns der Raum der Handlung wie eine Bühne liegt. Sicherlich gibt es sowas wie Großaufnahmen – eine der Rettungen des Films ist Paul Robsons schmierige Präsenz als diabolischer Priester in diesen –, aber grundsätzlich ist alles sehr statisch, langsam und umständlich.
Ich bin während des Films auch einmal kurz eingeschlafen, als der Priester mit einer jungen Frau alleingelassen wird. Ich erwachte, als die Szene gerade vorbei ist. Nachträglich habe ich mir erschlossen, was passiert sein muss. … nur wurde später das Entscheidende der Szene erst in einer Rückblende als Twist gezeigt. Nun frage ich mich, was ich denn eigentlich verschlafen haben muss … von diesem Film der alles so ausführlich zeigt, dass es bald redundant wirkt.
Gänzlich ohne Redundanz: Sobald die Handlung an ihren düstersten Punkt angekommen ist – eine Tochter ist vergewaltigt, Leben sind zerstört und genommen, und ein Akt christlicher Nächstenliebe gegenüber einem Psychopathen (er wurde nicht an die Polizei verraten) hat dazu geführt, dass noch ein Mord geschah –, folgt eine andere Version des Endes, ohne Tod, dafür mit sozialem Aufstieg und Glück. Nur ist nicht ganz klar, ob kurz vor Schluss aus einem Alptraum erwacht oder ob sich vor dem Grauen der Schicksalsschläge und der eigenen Schuld in einen süßen Traum gerettet wurde.

2 minutter for sent / 2 Minutes Late
(Torben Anton Svendsen, DK 1952) [DCP, OmeU]

ok

Wenn der Film sich vll. nicht auf die triste Suche nach einem Mörder in Rückblenden konzentrieren würde, sondern auf das hysterische Melodrama, das nur nebenher geschieht, aber inhaltlich wie audiovisuell – das Pendeln des Telefonhörers vor der Leiche wie das Ticken der Namen im Kopf – den doch Rest überragt, dann, ja dann …

The Captain Hates the Sea
(Lewis Milestone, USA 1934) [35mm, OF]

großartig

Eine Kreuzfahrt, und der Film schürzt nur ein wenig Geschichte vor. Größtenteils genießt er das Hin und Her der Wellen und vertreibt sich die Zeit zwanglos mit etwas Unsinn. Unmengen an Alkohol fließen, die Drei Stooges bilden in ihrem ersten Filmauftritt das Restaurantorchester, der Kapitän versucht unbemerkt den enormen Bart eines Mannes in die abendliche Suppe zu stupsen und Akim Tamiroff spielt einen mexikanischen General, der seine Familie verlässt, um heimzukehren, wo er in respektlosen Fröhlichkeit über die Unbeständigkeit der mexikanischen Revolution erschossen wird, woraufhin doch noch in seinem zu Boden gefallenen Hut das Bild seines Sohns offenbart wird und es plötzlich doch noch tragisch ist. Die Unbeständig- und inhaltliche Anspruchslosigkeit machten dies wohl zum Besten der Milestone-Filme dieses Jahr in Bologna … weil ich sein Meisterwerk RAIN nicht nochmal sah.

禍福 後篇 / Learn from Experience, Part Two
(Naruse Mikio, J 1937) [35mm, OmeU]

gut

Weite Teile des Films ist der Ehemann abwesend. Solange freunden sich seine Ehefrau und seine von ihm verlassene Freundin an und werden zu hingebungsvollen Müttern seines illegitimen Kinds – die Ehefrau drängt jede Ahnung, wen sie da aufgenommen hat, umgehend weg. Harmonie in immer sonnigeren Bildern bestimmt den Film. Die Rückkehr des Mannes bringt dem Baby Fieber und führt zu einem bitteren Happy End. So beiläufig und problemlos lässt es Naruse geschehen, dass es gar nicht so hundsgemein wirkt, wie es tatsächlich ist.

São Paulo, Sociedade Anônima / São Paulo, Incorporated
(Luiz Sérgio Person, BR 1965) [DCP, OmeU]

ok

Das Leben eines Mannes, der kein Sinn für etwas außerhalb seiner selbst hat. Er arbeitet und wird Boss, angehen tut es ihn nicht. Er ist korrupt, nicht weil er so gierig wäre, sondern weil alles egal scheint. Er hat Affären und heiratet, weil er eine drängende Libido besitzt. Das Drumherum ist aber lediglich Stress mit Frauen, die etwas von ihm wollen, Zwang. Von Gegenständen einer Konsumentengesellschaft scheint er umgeben, und es wundert schon, dass er nicht einfach sein Leben lang zu Prostituierten geht.
Gerade die letzte Szene legt eine Verwandtschaft mit FIVE EASY PIECES nahe, nur hat Person weniger Sinn für Musik, Atmosphäre und einzelne Szenen. Die nicht chronologisch geordneten Augenblicke seines Films sind wie Improvisationen über einem einzigen Thema, bei der sich harmonisch nichts ändert. Von Anfang bis Ende drückt sich das aus, was nach wenigen Minuten verstanden ist.

Mittwoch 25.06.

Døden er et kjærtegn / Death Is a Caress
(Edith Carlmar, N 1949) [35mm, OmeU]

ok

Eine Geschichte wird aus der Sicht einer Nicht-Identität, eines schweigenden Manns, erzählt, der sich immer von den Umständen gezwungen sieht. Seine Libido ist Teil dieser Umstände. Dass er seine Verlobte verlässt und später die tatsächlich geheiratet Frau tötet, ist aus dieser Perspektive dem Druck verschuldet, den die reiche, hysterische, jüdische (? – zumindest steht bei seinem ersten Besuch bei ihr eine Menora im Flur) aufbaut. Es ist im Grunde wie bei RASHOMON, nur dass die alternative Erzählung fehlt, und mehr noch wie in fast allen Filmen des Programmschwerpunkts der Noirs im Nachkriegs Skandinavien (minus Finnland): Überall nur hilflose Männer.
Aber dafür ist der Film wenigstens hier und da verspielt und hat damit den anderen Beiträgen etwas voraus. Unser Protagonist läuft bspweise per Überblendung durch eine Uhr, bei der die Zahlen durch Schnapsgläser ersetzt sind – immer wieder gibt er sich nämlich schönen Sequenzen von Suff hin. Oder er schläft mit seiner Verlobten zu Beginn, die Kamera schwenkt dessen züchtig auf das Radio auf dem Beistelltisch und von dort weiter zum Sessel vor diesem, in dem seine Vermieterin schläft. Ohne Schnitt haben wir wie durch Zauberhand den Raum gewechselt.

A Walk in the Sun / Landung in Salerno
(Lewis Milestone, USA 1945) [35mm, OF]

gut

Der Spaziergang des Titels führt ein US-amerikanisches Platoon in Italien vom Strand zu einer acht Meilen entfernten Brücke, die sie zerstören sollen. Eingefangen wurde es in wunderschönen Schwarzweißbildern (Kamera: Russell Harlan), die die Klaustrophobie des schnell führungslosen, zwischen Sanddünen gefangenen Platoons – nichts Entscheidendes zu sehen, von draußen kommen Schlachtgeräusche oder absolute Ruhe –, Schießereien mit Panzern und unsichtbaren Gegnern, godardesk am Straßenrand brennenden Panzern oder die angenehme Weite eines sonnigen Tages mit dem Tod im Hinterkopf einfangen.
Optisch ist Milestone ein Meisterwerk gelungen. Nur besteht das Drehbuch Robert Rossens zu 95% aus gekünstelten Mono- und Dialogen über den Dreck unter den Nägeln von G.I.s und vergleichbar preziösem, schriftstellerisch hochwertigem Schmus, mit dem sich eine Handvoll farbenfroher Charaktere endlos zum Ausdruck bringt. Um dem Ganzen die Krone aufzusetzen, gibt es hin und wieder auch noch Baritongesänge über unsere Haudegen auf ihrer melancholischen Reise gen Tod. Parallel zu seiner Schönheit ist der Film kaum auszuhalten.

Flicka och Hyacinter / Das Mädchen mit den Hyazinthen
(Hasse Ekman, S 1950) [35mm, OmeU]

nichtssagend

Eine Variante von CITIZEN KANE, in der der Nachbar einer Selbstmörderin sich aufmacht herauszufinden, wer sie war und was sie zu ihrem Freitod brachte. Er redet mit Gefährten – vor allem den Männern ihres Lebens, einem kühlen Soldaten, einem impulsiven Künstler und einem selbstverliebten Schauspieler – und wir sehen in Rückblenden (dieses Mal aber nicht chronologisch) ihr Leben. Und das Rätsel ist, was ihr der Name Alex bedeutet, den sie im Schlaf aussprach. Der Twist, wer Alex ist, war damals wahrscheinlich radikal, der Film, in dem von sich selbst besessene Männer ihre Frau verkennen, taugt aber weder als Melodrama, noch als kunstvolles Mosaik eines Lebens. Ich bin etwas ratlos, wo der Reiz liegen soll.

Еврейское счастье / Jüdisches Glück
(Alexei Granowski, UdSSR 1925) [35mm, OZmeU]

gut

Zwischenzeitlich sucht der Film sein Glück in Surrealität – mit den monumentalen Treppen des Hafens von Odessa, absurden Plots über die Rettung der USA durch eine Schiffsladung ukrainischer Bräute und absurdem Geschehen, wie dem Verladen der besagten Frauen wie Vieh auf ein Containerschiff. Solange der jüdische Tramp des Films aber wach ist und an seiner Suche nach dem schnellen Geld scheitert, ist es leider nur halbwegs vergnüglich und nicht ansatzweise so kreativ, wie wenn er träumt.

Maskerade
(Willi Forst, A 1934) [35mm] 2

fantastisch

Wohlbrück wird gegen Ende – mit einer Kugel in der Brust, nicht mit einem Stück Apfel im Rachen – wie Schneewittchen aufgebahrt. Ein Märchen, ein traumhafter Film ganz Stil, null Alltäglichkeit.

The Three Bears k
(Connie Rasinski, Mannie Davis, USA 1939) [DCP, OF]

ok

Situationen, die ich super witzig finde: Auf einer überfüllten italienischen Piazza wird beim Open-Air-Kino ein US-amerikanischer Cartoon gespielt, bei dem die titelgebenden Bären dicke, klischeehafte italienische Akzente haben und Dinge sagen wie: Eat-e your-e spaghetti.

Five Easy Pieces / Ein Mann sucht sich selbst
(Bob Rafelson, USA 1970) [DCP, OF] 2

großartig

Den Fünf einfachen Klavierstücken des Titels (von Chopin, Bach und Mozart) stehen vier Countrysongs von Tammy Wynette entgegen. Die Weite der USA – aufgespannt zwischen Texas und Washington – reicht von der Wüste bis zum dichten, regnerischen Mischwald, vom Trailerpark bis zum stilvollen bürgerlichen Haus, von White Trash ohne Bindungen bis zur intellektuellen, tiefverwurzelten Musikerfamilie. Robert Eroica Dupea (Jack Nicholson) hat die Flucht von einem ins andere angetreten, kehrt nun zurück und trägt all die Gegensätze in sich, weshalb er zu platzen droht.
Rafelson interessiert sich aber nicht für das große Drama, sondern die einzelnen Momente, in denen es aus Bobby herausbricht. Wenn der ölverschmierte Bohrturmarbeiter mit Schutzhelm auf einem auf einen fahrenden Transporter geschnallten Piano Chopin spielt. Wenn er die Abendunterhaltung seiner Familie verabscheut, sich aber auch für die Einfachheit seiner Verlobten schämt und fast vor Ausweglosigkeit toll wird. Nicht die USA interessieren ihn, sondern die Individuen darin, die ihm sichtlich mit all ihren Fehlern am Herz liegen und die ihn amüsieren.

Dienstag 24.06.

浮雲 / Floating Clouds
(Naruse Mikio, J 1955) [DCP, OmeU] 4

fantastisch

Drei Dinge, die ich nicht mehr so vor Augen hatte:
1. Im Hausflur des heruntergekommenen, kleinen Hauses, in dem Kengo (Mori Masayuki) zwischenzeitlich unterkommt, fährt erst ein Kind mit dem Dreirad durch den viel zu engen Gang und taucht wie etwas aus einem Alptraum in Kengos Wohnungstür auf, später spielen dort drei Kinder ruhig und bewegungslos. Die Angst vor Nachwuchs und dem Scheitern an diesem ist hier eine triste Horrorvision am Rand.
2. So sehr sich der Film dem Zeigen von körperlicher Nähe verweigert, so sehr ist das haltlose Ziehen durch die Trümmer eines einstmals blühenden Landes – aufgebaut durch Krieg und Ignoranz gegenüber den Opfern – und durch die Trümmer einer mal blühenden Liebe vollkommen durch Sex bestimmt. Abstrakter Schmier eben.
3. Das exotische Thema, das beim Beginn in Indochina erklingt, wo die Liebe zwischen Kengo und Yukiko (Takamine Hideko) das einzige Mal glücklich ist, ist wiederholt zu hören, wenn die beiden später doch immer wieder miteinander die Straßenzüge entlang gehen.

The North Star
(Lewis Milestone, USA 1943) [35mm, OF]

ok

Dieser Hollywoodfilm beginnt als unkompromittiertes Kolchosenmusical, in dem sogar russisch gesungen wird. Nur eben mit Dana Andrews und Farley Granger. Der Kalte Krieg, zeitlich so nah, war doch noch weit entfernt. Doch dann überqueren Deutsche Bomber die Grenze zur Sowjetunion und greifen das Dorf der Handlung an. Zu den Klängen der Internationale zeigt uns der Film die Leichen gesäumten Straßen – völlig bizarr und unangemessen hören die Völker die Signale, die triumphalen der Musik und die entsetzlichen eines Massakers. Es folgt ein steifer Durchhaltefilm, der wiederholt zeigt, dass Milestone Parolen und Wahnsinn zu inszenieren weiß, sich aber für das Uninteressantere der beiden deutlich mehr interessiert.

John og Irene / John and Irene
(Asbjørn Andersen, Anker Sørensen, DK 1949) [DCP, OmeU]

nichtssagend

Wiederholt töten in DERRICK Vergewaltiger ihre (designierten) Opfer, weil sie den Frauen, als Zeugen auftauchen, den Mund zu lange und intensiv zuhalten. Es geht dabei um Männer, die sich nicht als böse Menschen verstehen und davon überrascht werden, was in ihnen schlummert. Auch hier stirbt jemand, weil Zeugen ihn nicht hören sollen – eine (versuchte) Vergewaltigung gibt es jedoch nicht –, und der Mörder kämpft darum, das Bild von sich als guten Menschen aufrecht zu erhalten. Nur eben in einem Film, der nur durch sein Schwarzweiß und das Fehlen Derricks von einer der öderen Folgen der Serie zu unterscheiden ist.

Edge of Darkness / Aufstand in Trollness
(Lewis Milestone, USA 1943) [35mm, OF]

ok +

Ein Dorf in Norwegen dient als patriotischer Anschauungsunterricht. Dort sammelt sich der Widerstand hinter Errol Flynn, und die Nazi-Besatzungsmacht wird heroisch abgeschüttelt. Die heroische Kriegspropaganda ist dabei plump, wenn bspweise immer wieder Richtung Kamera Reden gehalten werden und Kollaborateure psychologisch an ihren Taten leiden müssen. Sie ist brüchig, wenn fragende Stimmen über das Vorgehen in einer Versammlung mundtot gemacht werden und die demonstrierte Einigkeit erschreckend erzwungen wirkt, wenn der Widerstand in einem Dorf mündet, in dem vor Leichen kaum ein Schritt möglich ist. Sie ist cartoonesk, wenn der entschieden pazifistische Pfarrer von den Nazis doch dazu gebracht wird, zur Tommy Gun zu greifen, oder wenn die Kamera, die entschiedenen Gesichter des Widerstands abfährt, aber weniger Menschen zeigt als leblose, leicht zerlaufene Wachsfiguren. Vll. lässt sich Milestones Œuvre der Zeit am besten als grobschlächtige Monumentalepik beschreiben, die wenigstens immer auch seltsam ist.

君と行く路 / The Road I Travel with You
(Naruse Mikio, J 1936) [35mm, OmeU]

gut

Zwei verschobene, parallele Liebestragödien, die zwei Generationen zeigen, die nicht aufeinander eingehen und aneinandervorbeireden – die jungen Leute kommunizieren mit Jazz und westlicher Klassik und kapseln sich so ab. Gegen Ende gibt es einen Autounfall, Naruse greift im Anschluss auf die rasenden Montagetechniken seiner Stummfilme zurück und der Film ist plötzlich befreit von der Schwere endlosen Redens.

حياة معلقة / A Suspended Life
(Jocelyne Saad, LB/F 1985) [DCP, OmeU]

gut

Wie in PERMANENT VACATION zieht jemand durch eine postapokalyptische Großstadt und trifft seltsame, leicht surreale Figuren. Nur bildet hier nicht New York die Kulisse, sondern das kriegsgebeutelte Beirut und überhaupt geht es nicht um einen Post-Burroughs-Post-Punk-Stromer ohne Ziel, sondern eine junge Frau, die von Männern umgeben ist, die schon als Kind konditioniert wurden, die Reinheit ihrer Schwestern wie ein Bluthund zu überwachen, und von einem Krieg, der kultivierte, aufgeschlossene Leute zunehmend verschwinden lässt und schießwütige Macker produziert, die Vögel abschießen, weil sie ja feindliche Spione sein könnten. Saads Film ist so gleichzeitig lebendiger, luftiger und packender als Jarmuschs Film, auch wenn die mäandernd verträumte Realität mit den wichtigen Themen doch noch ein wenig krampfhaft poetisch ist.

Montag 23.06.

Summertime / Traum meines Lebens
(David Lean, UK/USA 1955) [35mm, OF]

fantastisch

Ein Liebesfilm als Paranoiathriller. Eine alte Jungfer (Katharine Hepburn) reist nach Venedig und hat im Hinterkopf, dass sich vll. etwas erfüllen könnte. Das Märchen tritt auch wirklich ein – sie verliert dabei einen Schuh auf einer Treppe – und nimmt die Form der Liebe an, nur stellt sich immer wieder der Moment ein, in dem sich alles als Lüge offenbart – einmal wird sie in Form eines roten Glases, das nicht die zweihundert Jahre alte Antiquität ist, als die sie es kaufte, sondern eine moderne Fabrikation, so nah vor die Kamera gehalten, dass mit diesem nur noch der enthüllte Schein das Bild ausfüllt. Die Erfüllung ihres Traums ist nur solange real, wie sie an dessen Wirklichkeit glaubt – eine Sicherheit kann es nicht geben.
Das Sicherste ist vll. noch die körperliche Präsenz. Beim ersten Treffen von Jane (Hepburn) und Renato (Rossano Brazzi) sitzen sie so, dass sie sich nicht sehen bzw. kann Renato nur ihren Hinterkopf sehen. Lean inszeniert es aber so, als lasse das Schicksal sie einander spüren. Nach schicksalsträchtigen Augenblicken der Ahnungen, das jemand Entscheidendes/Beunruhigendes anwesend ist, finden sich ihre Blicke. Wenn dies aber kein Märchen ist und die Paranoia recht hat, was sehen wir dann? Vll. zwei Menschen die einander riechen, die ihre Animalität zu spüren bekommen … und im Fall von Jane den Horror vor dem sich ankündigenden Fallenlassen. Das ist sicherlich eine eigenwillige Lesart, aber wieder, wie in INTERLUDE, sprechen Brazzis Lippen von Sex, machtvoller, unbändiger Lust, von Perversion. Vor allem hat der Film aber auch seinen unverfrorensten, witzigsten Moment, als Renato Jane anherrscht, dass sie ihre Ravioli essen solle und damit sehr unzweideutig meint, jetzt endlich doch mit ihm schlafen solle und die Sperenzchen lassen. Mit Hepburn und Brazzi treffen jedenfalls zwei ganz unterschiedliche Atmosphären aufeinander.
Der oben verwendete Begriff der alten Jungfer gefällt mir übrigens ganz und gar nicht. Mir fehlt nur leider eine bessere Bezeichnung, weil es mir und ich glaube auch dem Film nicht darum geht, dass sie unverheiratet, ledig und mglweise Jungfrau ist, sondern dass sie erstmals aus dem Käfig ihres sonstigen Lebens (Büroarbeit, nichts los, enge Grenzen des Möglichen) freigekommen scheint, dass sich die Welt ihr nun neu, weit und schön wie nie eröffnet. Dass es bei ihre eben um was anderes geht, als lediglich plötzlich ausbrechende Leidenschaft, die sich in Brazzi manifestiert. Hinter dem Lächeln Hepburns, hinter ihrer ewig zerbrechlichen Oberfläche scheint jedenfalls eine tiefe Angst und Trauer zu stecken. Die Angst vor der Selbsterkenntnis mglweise, die Angst davor die Kontrolle zu verlieren sicherlich. Es ist gewiss nicht nur der Sex, der sie beunruhigt, auch die Nähe von Kindern – unverantwortliche, halbkriminelle Entitäten – scheint ihr ein Terror, an den sie sich erst gewöhnen muss. Wo Brazzi Lust kommuniziert, stecken in ihr Brüche und Weiten.
Nach zwei Paranoiamomenten hat Lean aber nicht das Herz, um den Film in offene Qual ausbrechen zu lassen. Zu verträumt und schön ist das technicolorfarbene Licht in seinem Venedig, zu irreal die Szenerie der antiken Lagunenstadt. Selbst die Morgenglocken kündigen kein böses Erwachen an, sondern den Aufbruch ins Glück. Nur vollendet sich die Liebe nicht in der folgenden güldenen, ans Alberne grenzende Montage der amourösen Seligkeit und schon gar nicht im lauwarmen tragischen Ende. Der Horror, der hier paranoid spürbar wird, ist die Vorstellung, dass ihre Selbstkontrolle gesiegt hat, dass sie ihre Liebe, ihre Erfüllung zu einer kitschigen Urlaubserzählung domestiziert hat und sich Renato und seine Körperlichkeit haben zähmen lassen, dass ihr bürokratischer Hintergrund sich durchsetzte. Dass nicht der Traum und die Erfüllung siegten, obwohl es so aussehen könnte.

Sylvia Scarlett
(George Cukor, USA 1935) [35mm, OF]

fantastisch

Ein Melodrama, in dem fluchtartig das Land verlassen werden muss, wird zur Gaunerkomödie wird zur Schaustellerlandpartie wird zum absurden Liebesdrama mit Selbstmord, Selbstzerstörung und Masken, die nicht fallen, sondern zum bitteren Amüsement heruntergerissen werden, wird zur Liebeskomödie. Ein wunderschön fotografierter Film wider die Realität und wider den guten Geschmack, der frei und unbeschwert dahin schlendert, wohin ihn Beine und Imagination tragen. Und Cary Grant – kurz bevor aus Archie Leach schließlich DER Cary Grant wird – spielt einen enervierenden Unsympathen, der aber, weil er von Cary Grant gespielt wird, doch immer der Schönste, Sympathischste und unerreichbar Beste auf der Leinwand bleibt.

董夫人 / The Arch
(Tang Shu-Shuen, HK 1968) [DCP, OmeU]

großartig

Ein Melodrama deutet sich an. Zur Ehre einer Lehrerin und Witwe wird am Dorfeingang ein kaiserlichbesiegelter Bogen aufgestellt, der ihre Tugendhaftigkeit bezeugt. Nur muss sie während des Baus einen General beherbergen und beide verlieben sich. Sehnsuchtsvoll schauen sie sich aus der Ferne an. Und was zwangsläufig geschehen muss, geschieht nicht. Der General löst sein Problem etwas pervers, aber innerhalb der Grenzen traditioneller Tugendvorstellungen. Und ihr bleibt nur ihre Tugend.
Das Ergebnis ist ein Slow Burner, weil das Drama sich einfach nicht einstellen möchte, weil der Film immer wieder das Geschehen einfrieren lässt und nur Schock und Unfähigkeit, Begierden und gesellschaftliche Normen zu vereinen, herrschen. Die Tugend ist für die Frau so nichts anderes als ein lebendiges Grab, so die klaustrophobische Erkenntnis dieses impressionistischen Stillstands.
*****
Eigentlich hätte nun RIGHT ON! (Herbert Danska, USA 1971) [16mm, OmfU] folgen müssen. Leider schien nach ca. 10 – 15 Minuten einfach der Film gerissen zu sein. Dann war vll. noch die Projektorenlampe kaputtgegangen und schließlich, als es doch hätte weitergehen sollen, kam kein Strom mehr beim Projektor an. Die Vorstellung wurde abgebrochen, weil zeitnahe keine Rettung in Sicht war. Bis dahin hatte ich erstmals einen Film gesehen, der durch ein selten verwendetes, aber auch instabiles Farbverfahren einen Blaustich hatte – während die Original Last Poets darüber poetisierten, dass die Zeit vorbei ist, blue zu sein. Und in den französischen Untertiteln der Kopie wurde James Brown faszinierenderweise mit Jimmy Noir übersetzt – sicherlich, weil sein Nachname später ohne Vornamen für die allgemeine afroamerikanische Erfahrung einsteht, aber das hätte vll. doch anders gelöst werden können.

雪崩 / Avalanche m
(Naruse Mikio, J 1937) [35mm, OmeU]

großartig

Wiederholt fällt wie ein Schleier über die Bilder und plötzlich hören wir die inneren Monologe der Figur, die sich gerade im Bild befindet. Und indem wir kurze, prägnante, selbstoffenbarende Monologe zu hören bekommen, zeigt sich mehr als die Figur selbst die Trennwand zwischen ihr und den anderen, die Trennwand zwischen jedem und seinen Mitmenschen. So wie es den anderen Figuren unmöglich ist, zu hören, was die Zuschauer hier zu hören bekommen, ist es uns unmöglich zu wissen, was andere denken. Nicht dass die Geschichte eines Mannes, der die Wahl seiner Frau bereut – sture Männer treffen auf flexible oder nicht existente Frauen – zu einem Thriller wird, bedingt den Schrecken dieses Films, sondern die existentielle Einsamkeit, die nebenher kommuniziert wird.

噂の娘 / The Girl in the Rumor m
(Naruse Mikio, J 1935) [35mm, OmeU]

großartig

Ein Sakeverkäufer sucht nach einem neuen Rezept – bzw. panscht er seinen Sake mit sonst was, um Geld zu sparen. Seine Mätresse möchte, jetzt wo seine Kinder erwachsen und seine Frau lange tot ist, bei ihm einziehen. Seine älteste Tochter wartet darauf, ob die arrangierte Ehe zustande kommt, die die aufdringlichen Verwandten an ihre Familie herantragen. Seine jüngere Tochter, eine Moga (kurz für Modern Girl), tanzt zu Jazz und hat eine Affäre mit dem Mann, den ihre Schwester heiraten sollte, der aber sie vorzieht – von seiner Familie sanktioniert. Und sein Vater hat sich zwar zur Ruhe gesetzt, säuft aber den ganzen Tag und hält sich nicht an das universelle Motto Don’t get high on your own supply.
Der Film ist so gleichzeitig für seine knappe Laufzeit (54 Minuten) enorm vollgepackt und doch nur eine Ansammlung von Miniaturen verschiedener Vorfälle. Das sich ergebende Mosaik erzeugt abermals (per Parallelmontagen) enormen Druck auf Leute in prekären Situationen. Sein Herz findet sich aber in einer beiläufigen Szene. Die ältere Schwester, immer noch in der Schwebe über ihre Ehe, obwohl alle um sie wissen, dass sie nicht zustande kommen wird, fährt auf einem Schiff unter einer Brücke entlang. Oben, weit entfernt sieht sie ihre Schwester mit ihrem potentiellen Ehemann, während die Schwester tief unter sich auch erkennt, wenn da entlangfährt. Alle verbindet ihre Schutzschilder, mit denen sie sich vor Blicken, vor dem Erkennen durch andere schützen, und der größte Schmerz des Films ist, wenn die Leute den Blicken durch ihre Mitmenschen freigegeben werden und erkannt sind.

Arch of Triumph / Triumphbogen
(Lewis Milestone, USA 1948) [35mm, OF] 2

verstrahlt

Zunehmend hält der Film an, immer weniger läuft zusammen, immer arbiträrer wird es, der Ausstattungsmuff mit gestelzten Dialogen übernimmt. Der Film einer Welt, in der nichts mehr passt.

Sonntag 22.06.

女人哀愁 / A Woman’s Sorrows
(Naruse Mikio, J 1937) [35mm, OmeU]

großartig +

Die GESCHICHTE DER O ohne Sex – bzw. mit einer sehr eignen Form von Sex: Thomas G. meinte während des Festivals, dass Naruses Filme sowas wie abstrakten Schmier bieten würden. Hiroko (Irie Takako) dient der Familie ihres Ehemanns ergeben und erfüllt von ihrem Mann alleingelassen den Schwiegereltern und deren weiteren Kindern alle Wünsche. Sie droht in ihrer Ergebenheit nicht nur ihre Individualität, sondern ihr Selbst zu verlieren. Ihr Mann geht dessen nach der Arbeit saufen und treibt sich dort wohl auch mit Frauen rum, weil er seine eigene Frau aus der Ferne bewundern und nicht beschmutzen möchte. Und als Dienstmagd und Puppe beginnt sie – trotz weiterer innerer Gegenwehr – zu verstehen, wie modern sie, die selbsterklärte Konservative, in Wirklichkeit ist.
Dem emotionalen Stau Hirokos Schweigen stehen Parallelmontagen, Rufe und die Albernheit ihrer nicht auf Distinktion bedachten eigentlichen Familie entgegen, mit denen ihre Passivität belagert und langsam abgetragen wird. Die Kälte ihrer arrangierten Ehe und die Bitterkeit ihrer Rolle als traditionelle Ehefrau liegen wie ein Senkblei auf ihr, und von außen, durch die Inszenierung und liebevollere Menschen, durch Running Gags – wie Hausaufgaben, bei denen einem Jungen einfach nicht geholfen wird – werden ihr so lange kleine Schnitte zugefügt bis diese zu Running Wounds geworden sind.

Alice Adams
(George Stevens, USA 1935) [35mm, OF]

gut

Der Plot führt zu einem groß ausgestellten Abendessen, bei dem alles schiefgeht. Der Witz, mit dem minutiöse Vorbereitungen und Hoffnungen, ein ideales Bild zu genieren, in einer Katastrophe tausender kleiner Niederlagen gipfeln, und der Terror in Katharine Hepburns Lächeln, das sie immer weniger aufrechterhalten kann und hinter dem sich eine Leere andeutet, in dem nichts ist, außer dem Wunsch ideal zu erscheinen, ist nicht weniger als sensationell. Die ausgelassene, heitere Stimmung der Komik und der schmerzliche Krampf der Tragik sind zu einer beeindruckenden Einheit geworden. Nur ist der Rest eher wie Fred MacMurray, der als Love Interest Katharine Hepburns nur da ist – bzw. nicht mehr aus seiner Rolle macht –, um rumzustehen, verständnisvoll zu lächeln und keinen Grund für Unsicherheiten zu bieten. Oder anders: Ein Film zweier Formen von Lächeln, die nicht zusammenfinden wollen.

清作の妻 / Seisaku’s Wife
(Masumura Yasuzō, J 1965) [DCP, OmeU]

großartig

Ein Dorf zu Beginn des 20. Jahrhunderts, eine Außenseiterballade, ein Gesellschaftsportrait. In der Mitte der Gemeinschaft herrschen einstimmiger Jubel, Kriegsbegeisterung und feuchtfröhlicher Suff. Diese Normalität konstituiert sich dabei auf dem Rücken der Außenseiter und mit Gehässigkeit gegenüber den Ausgeschlossenen. Die Ausgesonderte buchstäblich am Rand des Dorfes ist Okane (Wakao Ayako), eine reiche, junge, wunderschöne Witwe, die in ihrer Jugend von ihren Eltern an einen alten, inzwischen verstorben Sack verschachert wurde. Die Animositäten ihr gegenüber entladen sich gegen Ende in einer kollektiven Maßregelung, einem Zusammenschlagen, das wie eine Vergewaltigung aussieht.
Nur geht es Masumura in seinem kontrastreichen Schwarzweiß nicht nur um die bittere Ausstellung dieses Allgemeinplatzes psychosexueller, neidzerfressener Gesellschaftskonstitution, sondern um Seisaku (Tamura Takahiro), einen Mustersoldaten, einem Vorbild für alle. Jemand, der zu Sonnenaufgang auf einen Hügel steigt und auf seine extra gegossene Glocke haut, um das Dorf von ausgestellter Position zu wecken, um das Dorf dem Ideal einer gesunden, tüchtigen Produktivität zuzuführen. Er wähnt sich an der Spitze der Gesellschaft, aber damit ist er eben nicht in ihrer Mitte und als Außenseiter zwangsläufig dem Untergang geweiht.
Masumura geht dabei weder dezent, noch zurückhaltend vor. Gleich zu Beginn sehen wir Okanes erste Ehe, die nicht weniger ist als gesellschaftlich anerkannte, auf Monogamie ausgerichtete Prostitution. Wiederholt will sie wegrennen, aber er fängt sie ein, weil ihr Körper – mehr interessiert ihn an ihr auch nicht – doch ihm gehört. Die tragische Liebesgeschichte von einsamen Seelen, die Masumura irgendwo auch erzählt, ist so umgeben von der Lust die Verkommenheit der Normalität ohne Umwege ins Bild zu stellen. Ein trauriger Film von sensationeller Arschigkeit ist es also.

ريح السد / Man of Ashes
(Nouri Bouzid, TUN 1986) [DCP, OmeU]

gut

Impressionen einer ständigen Flucht ohne Ausweg. Ein junger Mann soll heiraten, nur flieht er hysterisch vor jedem Anzeichen weiblicher Nähe. Dabei wird zum Höhepunkt der Dramatik eine Katze am Schwanz geschwungen, Traumata des selbsterlebten Kindesmissbrauchs im Puff überwunden und die Mutter des Mannes wird in assoziativen Schnitten immer wieder mit Prostituierten gleichgesetzt. In seinen Spitzen ist es also ziemlich abenteuerlich, hin und wieder gibt es Ruhepunkte, wie die verständnisvolle Unterredung mit einem gesellschaftlich ausgegrenzten Juden, der einzigen Figur, der das Herz ausgeschüttet werden könnte, und schön fotografiert ist es auch noch, nur ist das Treten auf der gleichen Stelle doch ein wenig zu selig für die Klaustrophobie der Situation, oder nicht entspannt und offen genug.

妻よ薔薇のやうに / Wife! Be Like a Rose!
(Naruse Mikio, J 1935) [35mm, OmeU]

fantastisch

Kimikos Vater (Maruyama Sadao) lebt in einem Dorf mit seiner Mätresse (Hanabusa Yuriko). Sie (Chiba Sachiko) bricht also auf, um ihn zurückzuholen und damit die ordentlichen familiären Verhältnisse wiederherzustellen. Doch am Ende steht die Erkenntnis, dass perfekte Familien immer höchstens die anderen sind, dass die Existenz ihrer Eltern, beides auf ihre Weise Träumer, der harten Arbeit anderer zu verdanken ist und dass ihr eigenes Leben auf einer Lüge basiert. Vll. auch, dass sie Eltern und Perfektion, den Traum eines geordneten Lebens nicht braucht, um in den Widersprüchen des Lebens gegenüber zu treten.
Es ist ein Naruse Film, weshalb es mit gebrochenen Herzen und Stiff Upper Lips endet. Womöglich ist es aber auch sein spaßigster Film. Die wie immer reichhaltigen Details betonen dieses Mal eben deutlich mehr den gewitzten Trotz der Figuren und die Absurdität, statt der Tragik des Ganzen. Bspweise bereitet Kimiko für ihren Vater, den sie kurz vor einem Besuch wähnt, ein luxuriöses Essen vor. Wir sehen die Einkäufe, die Zubereitung, das Warten, währenddessen Kimikos Freund (Ōkawa Heihachirō) Haikus über seinen Appetit schreibt und sich zum tapferen Samurai des Hungers stilisiert, und die Erkenntnis, dass der Vater nicht kommen wird. Was mit dem Essen, das so verlockend aussieht, geschieht, sehen wir aber nicht. Es ist eine der brutalsten Auslassungen der Filmgeschichte. Oder: der Film ist vll. nicht so wild wie Naruses Stummfilme, aber doch voller exzentrischer Einstellungen, Blockern und Eigenheiten. So unterhält sich Kimiko mit ihrem Vater irgendwo auf dem Land. Im Schnitt-Gegenschnitt der Unterhaltung sehen wir hinter dem Vater ausschließlich hellen Himmel, während Kimikos Hintergrund von einem dunkeln, bewaldeten Hügel ausgemacht ist. Irgendwann drehen sich die beiden umeinander, weshalb nun der Himmel hinter Kimiko ist und der Wald nun hinter dem Vater. Nur sind sie nie on the same page, wie im Englisch gesagt wird. Es gibt die offensichtlichen Lacher, aber mehr noch findet sich die Absurdität in der Konstruktion dieser filmischen Welt.

The Decline of Western Civilization
(Penelope Spheeris, USA 1980) [35mm, OF]

großartig

Black Flag wohnen in einer ehemaligen Kirche spottbillig zur Miete. Drummer Robo lebt darin in einem Kabuff, einem Quasikapselhotelraum in dem einfach nur eine Matratze liegt und in dem auch kaum mehr Platz ist. Lee Ving, der Sänger von Fear, beschimpft sein Publikum minutenlang wüst, bevor wir erstmals sehen, dass die Band auch Musik für dieses spielen. Bob Biggs, Betreiber des Punk-Fanzines Slash, erzählt wie er mit minimalen Mitteln zum überregionalen Sprachrohr der Szene werden konnte, zum erfolgreichen Plattenlabel überdies. Ein Clubbesitzer steht in den Hügeln über L.A., und im Versuch zu erklären, warum Punk aufkommen und zu so wüsten Auftritten führen konnte, dass viele Punkbands Hausverbot in den Clubs der Stadt haben, dreht er sich um und verweist auf den Smog, der über dem selbsterklärten Paradies hängt. Und während im Mittelteil des Films noch eher poppiger Punk gespielt wird, kesselt der Film diesen mit Black Flag und den Germs zu Beginn und den Circle Jerks und Fear ein, mit dem Geknüppel des aufkommenden Hardcorepunks, bei dem das Publikum irgendwas zwischen Tanz und gewalttätigem Aufstand betreibt.
Im Film werden immer wieder Langeweile und Frust genannt, um Punk zu erklären. Es zeigen sich aber vor allem die einfachen Möglichkeiten eines radikalen Selbstausdruckes, mit denen sich aus der heuchlerischen und rigiden Enge der Gesellschaft ausbrechen lässt. Es muss nur auf ihren Luxus und ihre Sauberkeit verzichtet werden. Zerstörung (Machos, die ihre Unsicherheit mit Überkompensation begegnen, mit Homophobie und Misogynie), Selbstzerstörung (das Germs Sänger Darby Cash, die Veröffentlichung des Films nicht mehr miterlebte, ist im Angesicht des Films leider wenig überraschend), aber auch Suche nach Alternativen, nach Utopien, Gerechtigkeit und Selbstbestimmung fallen in dem Portrait der L.A.-Punkszene zusammen.
Es ist aber eben auch ein riesiger Spaß, der vor Energie strotzt. Nicht zuletzt, weil Widersprüche nicht gekittet werden, sondern stehen gelassen sind.
Eine Randnotiz oder vll. auch das Zentrale: Fear-Sänger Lee Ving kam mir schrecklich bekannt vor, obwohl ich mit seiner Band bisher kaum Berührungspunkte hatte. Ein kurzer Blick ins Internetz offenbarte, dass dies schon der dritte Film war, den ich dieses Jahr mit ihm gesehen hatte. In FLASHDANCE spielt er einen Stripclubbesitzer und in CLUE das Mordopfer Mr. Body. Es zeigt durchaus wie fruchtbar und trotz dem gegenteiligen Eindruck divergent diese Szene war.

Sonnabend 21.06.

Christopher Strong
(Dorothy Arzner, USA 1933) [DCP, OF]

gut

Gegen Ende möchte Cynthia Darrington (Katharine Hepburn) einen Höhenflugrekord aufstellen und startet mit ihrem massiven fliegenden Phallus in die Lüfte. Während ihr dabei zunehmend der Sauerstoff und die Ruhe ausgehen, setzten Rückblenden ein, die uns nochmal die Stationen vorführen, die sie hierher brachten … und rein dramaturgisch wäre es wahrscheinlich die bessere Lösung gewesen, den Film mit diesem Höhenflug zu beginnen und die Geschichte als Rückblende zwischen das sich aufbauende Leid der Pilotin Darrington zu schneiden. Ihren sich aufbauenden Schmerz in der klaustrophobischen Kabine mit ihrem sich aufbauenden Schmerz einer Liebesgeschichte zu verbinden, in der Lieben, neben seinen potentialen einer emotionalen und nicht zuletzt konformistischen Erfüllung, auch ein Erstickungstod ist. Eine stets unabhängig gebliebene Draufgängerin verliebt sich doch noch und zwar in einen Buchhalter (Colin Clive als die Figur des Titels, als obskures Objekt der Begierde), der nachts nichts lieber macht als seine Steuererklärung. Und der ihr ihre Unabhängigkeit rauben möchte. Er hat Angst um sie bei ihren Abenteuern wie Weltumrundungen, er will eine Frau in seinem Heim. Vll. hätte die direkte Parallelentwicklung dem tollen Cast und den tollen Kostümen Hepburns, die sich von einer exzentrischen Motte zu einer Todesschwadronpilotin entwickelt, mehr Chancen zur Entfaltung und der Geschichte mehr Punsch gegeben, als diese brave chronologische Abarbeitung.

Kurzfilmprogramm: Alice Guy and la Gaumont
(Diverse, F 1905) [Diverse]

tba.

La Esmeralda (Alice Guy) [DCP] – ok
Le Tango (Alice Guy) [35mm] – ok +
Les Maçons (Alice Guy) [35mm] – ok +
Voyage en espagne (Alice Guy) [DCP] – gut
Chien jouant à la balle (Alice Guy) [DCP] – großartig
Le Chemineau (Albert Capellani) [35mm] – gut
*****
Wird Film 1905 noch als Bühne ohne Ton eingesetzt, auf der eine Geschichte wie DER GLÖCKNER VON NOTRE-DAME erzählt wird, braucht es einen historischen Geist, der sich vorstellt, dass wir nicht von audiovisuellen Eindrücken umgeben wären, um darin noch den Zauber der ersten bewegten Bilder zu sehen … und damit etwas Faszinierendes/Packendes. (In LE CHEMINEAU geht ein Schauspieler aber auch schon auf die Kamera zu, und diese wird auch geschwenkt: Die Auflösung des Bühnenartigen wird sich noch ziehen, aber sie setzt halt auch schon früh ein.) Sobald aber ein Hund mit einem Clown Ball spielt und den Ball immer wieder hoch in die Luft stupst, dann haben wir es immer noch mit aufregendem Kino zu tun – mit einem potentiellen TikTok-Hit gar. Mein Highlight war entsprechend LE TANGO bzw. ein Kind darin. Eine junge Tänzerin führt in dieser dokumentarischen Miniatur den Tango und ihre Fähigkeiten darin vor, während die Familie musizierend um und hinter ihr angeordnet steht. Die Tänzerin versprüht Freude, aber vor allem ist die Szenerie in Ernst getaucht. Der Inszenierung der Kunstfertigkeit und Respektabilität dieser eigenen Identität steht aber ein kleines Kind entgegen, dass nahe neben der Tänzerin sitzt und Kastagnetten spielen soll. Sie ist vll. zwei Jahre alt und weiß nicht, was um sie herum los ist. Mal versucht es zu tun, wie ihm geheißen, ohne den Ansprüchen entsprechen zu können, mal sitzt es herum, guckt die Holzplaketten in ihrer Hand an und sich irritiert um. Frühes Kino und Familien- wie Internetvideos unterscheiden sich hier kaum. Historische Entwicklung war in diesem Programm also mehr als spürbar, war das zu Sehende doch ganz anders als das, woran wir inzwischen gewohnt sind, und doch ist Veränderung ebenso als Illusion wahrnehmbar.

Hallelujah, I’m a Bum
(Lewis Milestone, USA 1933) [35mm, OF]

verstrahlt

Ein Durcheinander aus politischem Depressionsmusical und einer Liebesgeschichte. Hier singen die Penner, die auf ihre Weise Teil der Gesellschaft sind und keine Ausgestoßenen, über ihre Freiheit, während ein Straßenfeger (Harry Langdon), der so heruntergekommen wie die Obdachlosen aussieht, sich etwas auf seine Arbeit und sein Klassenbewusstsein einbildet – auch mittels Songs dargebracht. Dort die Liebesgeschichte, in der der König der Bums (Al Jolson als Bumper) sich in die Geliebte (Madge Evans) des Bürgermeisters (Frank Morgan – der Zauberer von Oz, der hier schon einen passenden Satz über eine Heimkehr sagt) verliebt, als sie ihr Gedächtnis verliert – eine Geschichte also, die die rudimentäre Dramaturgie liefert, um die einzelnen Szenen zusammenzuhalten, und den Schmerz, der den sonstigen Irrsinn erdet, der sonst wohl völlig abdriften würde.
Lange ist der Film dabei so übermütig, wie seine sentimentale, realitätsvergessene Welt. Wenn Madge Evans bspweise suizidal über eine Straße läuft und die Autos irrsinnig nah vor und hinter ihr langrasen, wenn Bumpers Rückkehr in den Central Park Eisensteins STREIK neu erträumt, wenn das Trockenen von Kleidern züchtig-lüstern vorführt, dass wir einen Pre-Code-Film sehen. Gleichzeitig bleiben die Musicalnummern ziemlich steif inszeniert und bringt der Liebesfilm, sobald er ernst macht, den Übermut des Films fast zum Erliegen. Es handelt sich also auch um einen filmischen Bum.

乙女ごころ三人姉妹 / Three Sisters with Maiden Hearts
(Naruse Mikio, J 1935) [35mm, OmeU] 2

großartig +

Der erste Tonfilm Naruses beginnt als Quasiremake seines letzten Stummfilms. Wieder führt eine Montage aus Straßenszenen in ein Kaleidoskop der Widersprüchlichkeit der (japanischen) Moderne, die über mehrere Personen dargestellt wird. Auch gibt es wieder kaputte Socken, die die prekären Verhältnisse einer Figur aufzeigen uswusf.
Nur stehen nun nicht die Schicksale von Freundinnen lose nebeneinander, sondern sie verschränken sich durch die familiäre Verbindung. Drei Schwestern: Chieko (Umezono Ryuko) ist eine Folies Bergère-Tänzerin, die sich in einen gutbürgerlichen Mann verliebt, O-Some (Tsutsumi Masako) eine Shamisenspielerin, die die Schuld aller noch Schwächeren auf sich lädt, und O-Ren (Hosokawa Chikako) eine Unabhängige, die nicht mehr bei der Familie wohnt und zwischen Kriminalität und Respektabilität, zwischen Moderne und Tradition schlingert, die ihren Mann mit ihrer Modernität krank macht. In ihnen zeigt sich ein Land zwischen französischen Tänzen, deutschen Schlagern und japanischer Straßenmusik, zwischen Kimonos und westlicher Kleidung, zwischen Gewinnern und Abgehängten einer sich rasant entwickelnden kapitalistischen Gesellschaft, zwischen neuen Möglichkeiten für Frauen und weiterhin übermächtigen Rollenbildern.
Der große Bogen ist hochdramatisch. In ihm büßen die Jüngeren für die Sünden der Älteren, in ihm leiden die, die nicht leiden lassen, in ihm lassen die leiden, die nicht leiden können. Vor allem findet Naruses Film mit dem Zusatz von Ton umgehend zu viel mehr Ruhe. Die ausdrucksvollen Kamerafahrten verschwinden kurzerhand, der Schnitt eskaliert zu keiner Zeit in eine dahinjagende Montage. Und selbst wenn hier noch jemand buchstäblich einen Messerstich ins Herz erfährt, den sie vor aller Welt verstecken möchte, zeichnet sich hier doch schon der entsprechende Stil Naruses ab, der Beiläufigkeit sucht, vor der Darstellung der großen Dramen zurückschreckt und die Leute mit ihren kaschierten Wunden umso wirkungsvoller einfängt, je mehr sie darum schweigen.

Of Mice and Men / Von Mäusen und Menschen
(Lewis Milestone, USA 1939) [35mm, OmeU]

ok +

Die Steinbeck-Verfilmung ist völlig überdefiniert. Die Musik, die von Wiederholungen geprägten Dialoge, die Personenkonstellation, noch die emotionalste Szene: alles ist lediglich da, um auf die letzte Szene hinzuarbeiten. Alles wird zum Werkzeug, um uns zum finalen tragischen Gnadenschuss zu führen. Und dieser verliert gerade darum seine Kraft, da der Schuss nun einen ganzen Film im Rücken hat, der ihn rechtfertigt, da dem Schießenden von allen Seiten die Hände auf dem Rücken gelegt werden, die ihm versichern, dass es sein muss.

Freitag 20.06.

La Vérité sur Bébé Donge / Die Wahrheit über unsere Ehe
(Henri Decoin, F 1952) [DCP, OmeU]

ok

Das letzte Bild zeigt ein Auto, das von uns wegfährt. Immer mehr verliert es sich in der Dunkelheit der Nacht, bis es nur noch ein leuchtender Punkt ist. Ein letzter Fleck im leinwandfüllenden Schwarz. Decoins Film hat jede Menge Stil und ist ziemlich schön … zumindest optisch. In die Schönheit eingelassen wurde aber eine Erzählung, deren hochdramatischen Dialoge lediglich einem konstanten Brabbeln gleichen.
In Rückblenden wird erzählt, wie es dazu kam, dass François Donge (Jean Gabin – der eine Ohnmacht im Krankenbett so spielt, wie Marion Cotillard ihr Versterben) von seiner Frau (Danielle Darrieux) vergiftet im Krankenhaus landete. Er ist ein pragmatischer Macher, der sich elegant und selbstverständlich nimmt, was er will. Sie, Baby genannt, eine Romantikerin, die von der unbestimmten, gleichgültigen Welt und Präsenz ihres Mannes emotional vergletschert. Zu spät erkennt er – ist ihm relevant –, dass er sie wirklich liebt, dass er sie nicht wie ein Ding behandeln kann.
Mit anderen Worten: Es geht um eine tragische Liebe und unzeitgleiche Gefühle, um eine luxuriös ausgestatte höhere Gesellschaft mit ihren Empfängen, um lockerleichte Szenen, in denen die Figuren ihren emotionalen Kern kaschieren und das Drehbuch diesen doch auszustellen versucht, um Leute, die andere und sich selbst verkennen. All das zusammen ergibt stickig-theatrales Geschehen, das sich im Kreis dreht und das nicht Aussprechen möchte, was es doch die ganze Zeit sagt.
Vll. muss ihn nochmal sehen, wenn ich nicht so übernächtigt bin und keine dreizehn Stunden Zugfahrt in den Knochen habe. Nur habe ich wenig Lust, da zu viel auf Gabin ausgerichtet ist, dessen Appeal mir weiterhin verschlossen bleibt.

Mittwoch 18.06.

The Paradine Case / Der Fall Paradin
(Alfred Hitchcock, USA 1947) [blu-ray, OF]

gut

In meiner Phantasie ist es ein Meisterwerk, weil alles Interessante ins Leere läuft und sich nur dort, in der Vorstellung, entfalten kann. Charles Laughtons episch inszenierte sexuelle Belästigung von Ann Todd – bei der es nicht schwerfällt, eine autobiographische Skizze von Hitchcock hineinzulesen – hat nur vage assoziative Konsequenzen. Charles Coburn, lange eines der Highlights des Films, will mitten im Film, mitten in einer Gerichtsverhandlung Gregory Pecks Aufmerksamkeit erlangen, verschwindet stattdessen aber einfach aus dem Film. Ethel Barrymores völlig manische Ehefrau mit wahnsinnigen Augen darf nur hier und da ohne größere Anbindung an den Rest den Film kurzzeitig an sich reißen. Gerade zu Beginn übernehmen Schmier, Wagemut und ungeheure Gefühle das Geschehen, aber zunehmend verschwinden es – wahrscheinlich da David O. Selznick den ursprünglichen dreistündigen Cut auf knapp zwei Stunden herunterkürzte; das Entnommene ist durch eine Havarie auf immer verloren. In meiner Vorstellung ist klar, dass er den psychosexuellen Wahnsinn entfernt hat, das Packende. So bleibt ein konzentrierter Film, in dem ein Anwalt (Peck) seine Mandantin (Alida Valli) metaphorisch vor Gericht vergewaltigt und sich als Vergewaltiger selbst erkennt. Das real Vorhandene ist interessant, aber eine bessere Version geistert durch den Nebel in meinem Kopf.

Dienstag 17.06.

限りなき舗道 / Street Without End
(Naruse Mikio, J 1934) [DVD, OZmeU] 2

großartig +

Wenn die 180-Grad-Regel nur eingeführt wurde, damit Naruse einem mit seinen ständigen Achsensprüngen und der damit einhergehenden Verunsicherung das Herz brechen kann, dann hätte es sich schon gelohnt.

Montag 16.06.

The Strange Love of Martha Ivers / Die seltsame Liebe der Martha Ivers
(Lewis Milestone, USA 1946) [blu-ray, OF] 2

ok

Das hätte etwas werden können. Wenn:
– 80% der mehr als überdeutlichen Dialoge gekürzt worden wären
– die überflüssige Nebenfigur Toni entfernt worden wäre und mit ihr die völlig deplatzierte Lizabeth Scott
– jemand anderes als der Kraftmeier Kirk Douglas für den unsicheren Jungen gecastet worden wäre
– Van Heflin viel öfter in Stanwycks und Douglas‘ perversem Gothic-Horror-Ehegefängnis eingesperrt gewesen wäre, statt als Agent der Freiheit mühsam und langwierig nach einer guten Ehe für sich selbst zu suchen
– jemand ohne rauchige Raspelstimme besetzt worden wäre (Stanwyck, Heflin, Douglas und Scott sind zu viel des Guten)
– jemand den Film inszeniert hätte, der mehr getan hätte, als Menschen vor einen identitätslosen Hintergrund zu stellen und gelegentlich eine diabolische Treppe zu zeigen – ok, wenn Martha Ivers zweimal durchdreht, wirkt Milestone engagiert
– Rózsas Musik abgeschwächt worden wäre oder mit etwas Emotionalerem unterlegt als mit mühsam deklarierenden Schauspielern (Scott, Douglas) und Schauspielern, die das Beste aus den Dialogen machen (Heflin, Stanwyck)
Aber: Stanwyck ♥ und ihre Garderobe!

Sonntag 15.06.

夜ごとの夢 / Every-Night Dreams
(Naruse Mikio, J 1933) [DVD, OZmeU] 2

fantastisch

Der Kapitalismus: ein Kind fragt ständig nach neuen Geschenken, während in den arg bescheidenen Verhältnissen schon alles mit Spielzeug vollgestellt ist; und die Eltern tun trotz der sie zerfressenden Armut alles, um das Kind wie ein schwarzes Loch des Wollens vergeblich zu befüllen. Der Aufbruch in die Moderne: die Frau hat einen erfüllenden Job in einer Bar, wo erratisch gelöster Tanz herrscht, nur ist sie durch ihre (schäbige) Unabhängigkeit verrucht, während ihr Mann zwar als Vater taugt, aber nicht als klassischer Mann und das reicht eben nicht. Eine filmische Konfrontation voller Details eines Lebens, das verunmöglicht ist.
Ein schöner Gedanke von Catherine Russell in THE CINEMA OF NARUSE MIKIO: In Naruses Filmen gibt es oft Verkehrsunfälle, woraufhin Leute im Krankenhaus liegen. Je mehr die Moderne den Menschen also überfordert und gefährdet, verbessert sich im Gleichschritt auch die Heilungsmethoden – damit die Ausbeutung weitergehen kann.

腰弁頑張れ / Flunky, Work Hard! m
(Naruse Mikio, J 1931) [DVD, OZmeU] 2

großartig

In einer Komödie von Naruse ist die Pointe der Geschichte dann eben auch, dass ein Junge vom Zug überfahren wird, weil sein Vater lieber Eltern anderer Kinder Unfallversicherungen andreht, statt sich um das eigene Kind zu kümmern … oder ihm eine Unfallversicherung zu kaufen. Der Kapitalismus und seine Ausbeutung reichen nicht, das Schicksal muss die Leute auch noch verlachen. Und doch, ein witziger, lockerer Film, irgendwo.

Sonnabend 14.06.

The Naked Gun: From the Files of Police Squad! / Die nackte Kanone
(David Zucker, USA 1988) [DVD, OF] 10

fantastisch

Als ich den Fernseher in Beschlag nahm, suchte Lotti Z. (9 Jahre) das Weite. Sie blieb fast den gesamten Film verschwunden, obwohl sie kurz vorbeikam, als Frank Drebin begann Ajatollah Chomeini zu verprügeln, was sie überraschenderweise sehr witzig fand. Schade eigentlich, weil ich gar nicht mehr wusste, wie zotig der Film war, und es wäre doch interessant gewesen, zu sehen, wann sie gelacht und wann sie es ignoriert hätte … und wann ich bei Erklärungsversuchen ins Schwitzen gekommen wäre.

The Gold Rush / Goldrausch
(Charlie Chaplin, USA 1925) [blu-ray, OZmU]

gut

Zwei formidable Kurzfilme – ein Haus steht auf einer Klippe und droht zu kippen, also Slapstick-Vergnügen mit Leuten, die irgendwie versuchen zurechtzukommen, aber mit einem Bein schon in der Niederlage stehen; ein naiver junger Mann sitzt allein zu Sylvester und wartet auf die Angebetete, die woanders Party macht, während er träumt, wie bezaubernd er doch sein könnte, also ein Melodrama, dessen Bitterkeit hinter einem Schleier bezaubernd-zerbrechlichen Glücks gesteckt wird – und jede Menge ganz nettes Zeug. Lotti Z. wiederum war von der Schuhessszene mehr als überzeugt.

誤判 / The Prosecutor
(Donnie Yen, HK/CHN 2024) [digital, OmeU]

gut

Donnie Yen lächelt alle Widerstände hinweg, wenn er mal nicht auf sie einschlägt. Sage ich beim Perlentaucher.

Freitag 13.06.

Holiday / Die Schwester der Braut
(George Cukor, USA 1938) [blu-ray, OF] 3

fantastisch

Nachdem ich Cukors Film das erste Mal zu später Nacht gesehen hatte, konnte ich nicht schlafen, so aufgewühlt und beglückt war ich. Damals hatte ich sicherlich noch Hoffnung, dass aus mir jemand werden könnte, der ein klein wenig wie Johnny Chase (Cary Grant) sei, ein ungebundener Reisender des Lebens, doch vll. bin ich doch eher wie Ned (Lew Ayres) geworden, der sich taub trinkt, weil ihm der Mumm fehlt. Später habe ich ihn dann mal mit zwei Freunden gesehen, die ihn lautstark als blöd und albern deklarierten. Die Sichtung machte keinen Spaß, klar, und wurde wahrscheinlich auch abgebrochen. Mir war danach klar, dass ich keinen der beiden heiraten wollte – wider diese Erkenntnis, die doch so klar war, hatte ich noch später doch eine Beziehung mit einer der beiden, aber das ist eine andere Geschichte. Und doch war ich mir nie mehr sicher, ob nicht doch mein junges Ich falsch lag. Nun bin ich mir ziemlich sicher, dass jeder, der diesen Film nicht mag, ein Herz aus Stein hat oder für seinen übermütigen, naiven, deprimierenden Frohsinn noch nicht bereit ist.

Donnerstag 12.06.

醉拳二 / Drunken Master II
(Lau Kar-Leung, HK 1994) [blu-ray, OmU]

fantastisch

Lange habe ich gewartet, um dieses mutmaßliche Meisterwerk ungeschnitten, im richtigen Format und mit O-Ton zu sehen. Und ich wurde nicht enttäuscht, sage ich auf critic.de. Was aber viel zu wenig erwähnt wird, ist, was für eine unglaublich alberne Stephen-Chow-Schau Anita Mui abzieht.

Mittwoch 11.06.

君と別れて / Apart from You
(Naruse Mikio, J 1933) [DVD, OZmeU] 2

fantastisch

Penibel baut Naruse einen ordentlichen, klar strukturierten Film. Die Szenenübergänge vollziehen sich fast durchweg per assoziativem Schnitt – von einer Uhr zur nächsten bspweise –, die Bildaufteilung ist klar aufgeteilt – wenn, dann wird die Einstellung links verlassen; rechts sitzt die in sozialen Situationen gefangene Person (teilweise herrscht ein Tanz von Leuten, die nach links wollen) –, selbst die impulsiven Kamerafahrten und Achsensprünge kommunizieren klar Verständliches. Doch nicht die Schönheit des Geschaffenen ist das Ziel, sondern deren genussvolle Zerstörung. Kurz vor Schluss sitzen unsere drei Protagonisten in einem Krankenzimmer, und die Bilder schnell alternierenden Bilder scheinen nach einer passenden Perspektive zu suchen, nach einer (neuen) Balance, kann aber keine mehr finden. Das emotionale Beben des Films hat alles eingerissen.
Die Erzählung handelt von Konfrontationen. Zwischen Jung und Alt, Verantwortung/Erwachsensein und Parasitentum/Jugend. Die Kamera fährt immer wieder frontal auf Gesichter zu, die sich wie Fäuste entgegenstehen … oder doch ausweichen. Ein Sohn verachtet seine Mutter, weil sie nichts Besseres als eine Geisha ist. Eine Tochter verachtet ihren saufenden, arbeitslosen Vater, der das idyllische Paradies, in dem er lebt, seiner Familie zur Hölle macht – so die dezente Ahnung des Gezeigten.
Der Sohn und die Tochter lieben sich, doch die Liebe hat keine Chance. Zu groß ist die Lust des Films an schmierigen Männern, absurden Feierbiestern und verwöhnten Ignoranten. An Männern also, die allesamt nicht oder zu spät erkennen, wer und was sie sind. Zu spät, wenn wegen ihnen wieder eine junge Frau in die Prostitution – mutmaßlich, Naruse spricht wie so oft nicht aus, was die bittere Konsequenz war, ist oder sein wird – verkauft wurde. Damit macht sich der Film zwar gemein mit diesen Männern, weil er seine Lust strukturell auf dem Leid der Frauen aufbaut. Aber Naruse ist eben immer nur bedingt ein struktureller Filmemacher, sondern auch immer einer der Details, der Architektur, der Momente, in denen ihm die Frauen nicht als leidende, sondern als kämpfende Subjekte am Herzen liegen.

Dienstag 10.06.

Scarface / Narbengesicht
(Howard Hawks, USA 1932) [DVD, OF] 3

großartig

Ich hatte mehr manisch-depressiven Wahnsinn vonseiten Tonys (Paul Muni) in Erinnerung und viel, viel mehr grenzdebilen Comic Relief von Angelo (Vince Barnett). Beides setzt Hawks zu meinem Argwohn leider nur dosiert ein. Dafür waren mir die inzestuösen Untertöne völlig entfallen, was als Ersatz durchaus in Ordnung geht.

Montag 09.06.

The Man Who Knew Too Little / Agent Null Null Nix
(Jon Amiel, USA 1997) [stream, OmeU]

gut

Bill Murray schafft es einen naiven Einfaltspinsel, der nicht versteht, was um ihn geschieht, so zu spielen, als ob er auf alles um sich herabblickt und ihnen seinen Sarkasmus tongue-in-cheek unter die Nase reibt.

A Farewell to Arms / In einem anderen Land
(Frank Borzage, USA 1932) [blu-ray, OF] 3

fantastisch

Zwei Krankenpfleger verlieben sich während des Ersten Weltkriegs und ihre besten Freunde versuchen die Beziehung zu sabotieren. Die beste Freundin von Catherine (Helen Hayes) sieht in Frederic (Gary Cooper) nur einen Störenfried, der das Leben ihrer Freundin zerstören wird. Der beste Freund (Adolphe Menjou) von Frederic will ihn davor beschützen, dass dieser sein freies, ungebundenes Leben aufgibt und sich damit unglücklich macht. Und alles, was der Film im Grunde tut, ist diesen beiden rechtzugeben, indem er ihnen die ganze Zeit unrecht gibt.

Sonntag 08.06.

蛇形刁手 / Die Schlange im Schatten des Adlers
(Yuen Woo-Ping, HK 1978) [DVD] 13

großartig

Im selben Jahr wie DRUNKEN MASTER entstanden gibt es nicht sonderlich viele Unterschiede, was Cast, Handlungsorte und Geschichte angeht. Nur ist dieser geradliniger und handelt nicht von Leuten, die aus Suff unbesiegbare Bewegungen ziehen, sondern um jemanden, der von der Natur (einer Katze) lernt, noch besser zu werden. Dieser ist deshalb der etwas Schwächere der beiden.

Fényes szelek / Schimmernde Winde
(Jancsó Miklós, H 1969) [blu-ray, OmeU]

großartig

Der erste Farbfilm Jancsós strahlt formlich vor satten Farben. Die Leute müssen deshalb auch nicht mehr gedankenvoll durch die Gegend laufen, sondern dürfen nun singen und tanzen. Die Pointe des Films ist aber – wir sind schließlich bei Jancsó –, dass genau diese ausgestellte Fröhlichkeit nur Hohn für die Zuhörer im und die Zuschauer des Films darstellt.
Nach dem Zweiten Weltkrieg stürmen ein paar Studenten eine Klosterschule und möchten gerne mit den dortigen Schülern diskutieren. So sagen sie. Nur diskutieren sie nicht. Sie stellen drei plump kommunistische Fragen und dann singen sie auch schon wieder Volkslieder und so. One Love, One Race, stimmt alle mit ein. Dem Glück der Befreiung nach dem Weltkrieg und der Aufbruchsstimmung der 68er – die Kleidung und vor allem deren Farben sehen gerade nicht nach überstandenem Krieg aus – tritt Jancsó lustvoll ins Gemächt. Nicht nur weil die Polizei schon im Hintergrund mitarbeitet und zu sortieren beginnt, sondern weil die naive Front der Fröhlichkeit und Gemeinschaft, die doch nur alle retten möchte, nur eine fragile, klägliche Fassade ist, die alsbald in Schauprozessen, Verhaftungen und willkürlichen Machtwechseln endet.
Botschaft und Handlung würden wahrscheinlich nur Bruchstücke der eh schon knappen Laufzeit brauchen, wenn es konzentriert erzählt würde. Jancsós ewig langen Einstellungen, die es ausdehnen, dienen aber nicht einer etherischen Schönheit, sondern sind schon für sich ein ratloser, trunkener Tanz durch eine Welt der Ideologien und der Macht, die am Ende alle Menschen zusammentreibt. Und die Mischung aus fehlendem Kontext – wir müssen uns die Zusammenhänge selbst erschließen –, dem Rein- und Rauswabern der Figuren aus dem Sichtfeld der Kamera, und dass sie doch unsere einzigen Identifikationspunkte bleiben, sind wir dem ganzen gegenüber auf Distanz und doch ist es direkt an uns – weil diese wunderschöne Auslieferung an etwas, das nicht zu verstehen, sondern nur zu erahnen ist, ein universell-existentielles Gefühl sein dürfte.
(Seine Qualität ist aber auch die Achillesferse des Films: diese Sänger gingen mir unfassbar auf die Nerven.)

Sonnabend 07.06.

醉拳 / Sie nannten ihn Knochenbrecher
(Yuen Woo-Ping, HK 1978) [DVD, OmeU] 2

großartig

Albernes Tohuwabohu um Essen, soziale Gerechtigkeit und (sexuelle) Anmaßung plus irgendwas mit alle-Leute-einer-Rebellion-auslöschen bildet sowas wie eine Struktur für den Schaukasten, in den die reale(!) Kampfkunst des trunkenen Boxens gestellt wird. Jackie Chan lernt alle acht Techniken des Stils, sich richtig zu betrinken und führt uns alles ausgiebig vor. Und manchmal reicht das vollkommen, um einen enorm schönen Film zu bekommen.

Freitag 06.06.

발레리나 / Ballerina
(Lee Chung-hyun, ROK 2023) [stream, OmU]

großartig

Diverse Arten von Actioninszenierung. Selbst ein trauriges Morden durch die Reihen der Gegner gibt es. Dafür kaum Reden darüber, was los ist. Einfach Geschehen um Missbrauch, (lesbische) Liebe und Rache an Männern, denen ihre Männlichkeit sehr wichtig ist.

Poltergeist
(Tobe Hooper, USA 1982) [blu-ray, OmU] 2

großartig

Die Exposition und das Finale sind sa-gen-haft. Ich muss ihn aber demnächst nochmal schauen, weil ich immer noch ratlos bin, was die Mitte mit den Geisterjägern soll.

Donnerstag 05.06.

Knock Knock
(Eli Roth, USA/CHL/D 2014) [stream, OmU]

gut

Ein Film mit simplen Vergnügen. Der Rape&Revenge-Thriller lässt den Rape weg, um den Mann (Keanu Reeves), der klar um seine Unschuld weiß, weil er doch nicht nein sagen kann, wenn Frauen über ihn herfallen, lustvoller quälen zu können, um ihn seinen beiden weiblichen Peinigern entgegenrufen zu lassen, dass sie es doch gewollt hatten.

Mittwoch 04.06.

Ο θίασος / Die Wanderschauspieler
(Theo Angelopoulos, GR 1975) [DVD, OmeU] 2

gut

Ein ziehender Schauspieltrupp kommt sieben Jahre nach dem Zweiten Weltkrieg an einem Bahnhof an und die Erinnerungen an die Naziinvasion, die Besetzung durch die Alliierten (Briten) und den Bürgerkrieg holen sie ein. Erinnerungen, wie sie nach und nach dezimiert wurden – durch Geheimpolizei, Soldaten, Partisanen –, wie die Aufführung ihres Stückes stets durch Zeitgeschichte unterbrochen wurde. Sie irren durch die Zeit, durch den Nebel, durch die Raketen und Gewehrsalven … nur um am Ende vor dem Krieg anzukommen. Als ob sie sich nie von der Vergangenheit lösen können.
So ließe es sich vll. am besten beschreiben. Mir fehlt aber ein wenig die Orientierungslosig- oder die Dringlichkeit. Es gibt bspweise den Nazi, der eine Frau vergewaltigen möchte. Um der Gewalt zu entgehen, willigt sie in den Sex ein, indem sie ihn bittet, sich halt auszuziehen. Wir sehen in einer langen Einstellung nur ihn – wie er grinst und nach und nach seine Uniform ablegt. Als er fertig ist, nimmt sie seine Kleider und geht raus. Sein Lächeln verschwindet, während er es langsam realisiert, was gerade vor ihm geschieht. Ohne seine Uniform war er scheinbar nur noch ein nackter Mann.
Ich mag diese Miniatur über Macht, Uniformen und die Macht von Blicken, sie passt sich aber auch in einen klaren Film ein, der hier und da kleine Schönheiten bereithält, der immer auch einen kleinen Schalk im Nacken hat, aber statt diese Dinge zu kultivieren, nur seinem Schema von Traurigkeit in langen Einstellungen folgt, die teilweise Vergangenheit und Gegenwart in einer einzigen verschränken. Drama, Intensität oder Kargheit verwehrt er sich für einen gleichbleibenden Grad von Melancholie.

Ballerina
(Len Wiseman, USA 2025) [DCP]

großartig +

In wie weit Len Wiseman wirklich Regie geführt hat und ob er in den letzten Jahren Pause vom Kino zu einem guten Regisseur geworden ist, kann jeder für sich entscheiden. Eine Baller-Ina ist jedenfalls von der Kette gelassen, sage ich bei critic.de.

Dienstag 03.06.

Jesse James / Jesse James – Mann ohne Gesetz
(Henry King, USA 1939) [blu-ray, OF] 2

großartig

Ein ungünstiges Aufeinandertreffen: Umstände, die Verbrecher formen, – die Eisenbahngesellschaft besteht auf sein Kapitalismus gegebenes Recht, Leute kriminell ausbeuten zu können, und verfolgt jeden skrupellos mit der Polizeimacht des Staates, der dieses Recht in Frage stellt, – prallen auf Jesse James (Tyrone Power), einen geborenen Rebellen, der sich nur zu gern provozieren lässt, um seine Überlegenheit in kämpferischen Auseinandersetzungen zu beweisen. Immer wieder kreist der Film, um die Frage, was Jesse James zu Jesse James macht, die Umstände, seine Persönlichkeit – hier reicht den Film oft ein Leuchten in den Augen von Tyrone Powers, um dieses Argument einzubringen – oder doch die suchtartige Wirkung der Kriminalität – einmal in ihren Fängen sei es kaum mehr möglich, sich von ihr zu lösen. Aber an einer Antwort zeigt sich kein Interesse. Es ist nur Teil der Lust am Genuss eines suchtkranken Robin Hood. Degen bzw. Pfeil und Bogen wurden nämlich zwar gegen Pistolen getauscht und Rüschenhemden bzw. Strumpfhosen gegen Cowboyhütte, aber ansonsten ist dies eben ein Mantel-und-Degen-Film.

Le Souffle au cœur / Herzflimmern
(Louis Malle, F/BRD/I 1971) [blu-ray, OmeU]

gut +

Die erste Hälfte stürmt ein gutbürgerliches, respektables Haus … und zwar mittels seiner Bewohner. Der Vater ist Arzt, klinische Sauberkeit und Regeln bestimmen sein Domizil. Seine Frau (Lea Massari) und jugendlichen Söhne haben damit aber nichts am Hut. Sie johlen, toben, greifen jede Form von Macht und Achtbarkeit an. Selbst wenn unser Protagonist (Benoît Ferreux als 14-jähriges Nesthäkchen Laurent) einfach nur in Ruhe masturbieren will, rüttelt es ununterbrochen an der Tür und der ganz Vorgang wird zur großen Party gemacht. Keiner der Beteiligten weiß, wann ein Scherz zu weit gegangen sein könnte.
In der zweiten Hälfte geht Laurent mit seiner Mutter auf Kur. Und eigentlich ändert sich kaum etwas, weil auch sie anarchische Fremdkörper in einem Heim aus Snobs bleiben. Und doch sind sie nun in der Minderheit, was den Film kippen lässt. Statt wilder Zerstörung, folgt intime Auslotung. Mutter und Sohn finden sich aufeinander zurückgeworfen und suchen (sexuellen) Halt aneinander.
Der Inzest wird von langer Hand vorbereitet und behutsam aufgebaut – womit der Film aber seinen ätzenden Drive verliert. War er zuvor ein Bürgerschreck, der seine Provokationen – ohne großen Sinn dafür zu zeigen, dass es Provokationen sind – in den Film stellte, aus Lust an der Freude, weil es eben auch ungehindert über Laurent kommt, nimmt hier das Bewusstsein, etwas außer der Norm zu zeigen, zu. Malle lässt sich routiniert auf das kunstvolle Portrait einer Jugend ein, dass er davor umging.

Montag 02.06.

Frau Bu lacht
(Dominik Graf, D 1995) [DVD]

fantastisch

Dieser Krimi über Menschenhandel ist spannend, sehr witzig, sehr traurig, erschreckend, lyrisch und teilweise völlig krude. Das Erstaunlichste ist aber, wie selbstverständlich das alles zusammenpasst, wie selbstverständlich dieses standardisierte Abendprogramm einem aufzeigt, was im deutschen Film alles ohne Probleme möglich sein könnte.

A Perfect World / Perfect World
(Clint Eastwood, USA 1993) [blu-ray, OF] 3

fantastisch

Es ist sicherlich nicht das Entscheidende, aber trotzdem schön: Dies könnte auch als Entschuldigung für den dritten DIRTY HARRY-Film gelesen werden, wo Harry mit seiner Kollegin nur Frauen-bedingten Stress hat. Laura Dern hingegen wird hingegen nie Witzfigur gemacht und darf Machos beherzt in die Eier treten.

Sonntag 01.06.

Harry Potter and the Goblet of Fire / Harry Potter und der Feuerkelch
(Mike Newell, UK/USA 2005) [blu-ray] 2

nichtssagend

Ein Potpourri bestenfalls. Harry muss sich mit unkontrollierbaren Drachen und bedrohlichen Wasserwesen auseinandersetzen, aber das größte Problem ist es Mädchen anzusprechen und die Eifersucht des besten Freundes zu verstehen. Hier etwas Staunen, da etwas Dramatik. Es wird groß zu einer Weltmeisterschaft gereist, nur um sie gleich wieder zu verlassen. Voldemort kommt wieder. Mit knapper Aufmerksamkeitspanne geht es hin und her, zwischen angerissenen losen Ideen und Filmen, die hier und da auch nach was aussehen. Aber schon kurz nach dem Film, weiß ich eigentlich wieder nichtmehr, was eigentlich los war. Zumindest wie der Geist eines Mädchens versucht, Blicke auf Harrys Pimmel zu erhaschen, während er wichtige Rätsel löst, ist mir ganz angenehm in Erinnerung geblieben.

J.B.1
(José Bénazéraf, F 1976) [blu-ray, OmeU]

großartig

Ein Lauftext zu Beginn und Ende, ein Gedichtvortrag gegen Ende, mehr Platz bekommen Wörter nicht. Folglich bleibt es weitestgehend bei Bild und Musik, die sich aber auch nochmal in jeweils zwei mehr oder weniger klare Ausprägungen aufteilen.
Immer wieder wechseln sich auf der Bildebene Sexszenen mit den Dreharbeiten der ebenselben ab. Zwei verschiedene Formen von Arbeit vll. – die der Lust und die des Porträtierens derselben. Oder eben das Produkt und die Arbeit dahinter. Auffällig ist auch die Überzahl der nackten Frauenkörper vor und die Überzahl der angezogenen Männer hinter der Kamera. Aber Bénazéraf geht es nicht um eine klare Dualität und Entgegenstellung, sondern um Verbindungen und fließende Übergänge. Zwischen den Spielszenen und den Doku-Elementen werden dementsprechend keine Grenzen gezogen. Stattdessen mäandert der Film spielerisch hin und her.
Ebenso wechseln sich zwei Arten von psychedelischem Rock ab – repetitiv werden dabei die immer gleichen Stücke verwendet. Einmal bestimmen die verzerrten Gitarren und die drückende Energie das Klangbild, dann wieder die sehnsuchtsvollen Melodien und der schwebende, wortlose Frauengesang. Hier die treibende, unnachgiebige Kraft, da das Treiben- und Fallenlassen in eine Wolke. Beiden Spielarten ist gemeinsam, dass sie sichtlich von Ennio Morricone beeinflusst sind – falls sie nicht sogar gleich aus seiner Feder stammen. (Ich glaube nicht, bin mir aber nicht sicher.) Jedenfalls auch hier eine Mischung aus Gegensätzen und Zusammenhängen.
Die beide Wechselbewegung vollziehen sich aber gerade nicht parallel. Nicht das eine Bildmaterial mit der einen Musik und das andere mit dem anderen. Die Lieder laufen ungestört weiter, auch wenn aus dem Porno mal wieder die Doku wird und vice versa. Mal wechselt es während einer Szene, mal mit ihr. Es bleibt willkürlich.
Bénazéraf möchte sichtlich nicht analysieren oder etwas Klares erzählen, sondern einen lyrischen Porno machen, der nicht durch eine Geschichte strukturiert wird, aber etwas von sich beinhaltet. Was nicht einfach heißt, dass er sich beim Drehen und Regie führen sehen lassen wollte, scheint mir, sondern die Seltsamkeit und Gemeinschaft eines Drehs einfangen. Der Film legt jedenfalls nahe, dass er seine Arbeit gerne nachging, aber nicht unbedingt in einer elysischen Schönheit aufging, sondern die ungeheuren Gefühle und sie aufzunehmen auch ein bisschen ungeheuerlich fand.
Übrigens gibt es einen traurigen Spanner, der sich selbst einen bläst, weil er nicht Teil einer Orgie im Wald sein kann, und zwischen all dem Heterosex auch ein, zwei schwule Einschübe. Auch hier: Grenzen waren nicht unbedingt Bénazérafs Ding.

Mai
Freitag 30.05.

Look Who’s Talking Now! / Kuck‘ mal, wer da jetzt spricht!
(Tom Ropelewski, USA 1993) [stream] 2

ok

Ich hätte schwören können, dass ich den dritten Teil noch nie zuvor gesehen hatte. Nach wenigen Minuten wurde ich aber eines Besseren belehrt. Ein paar nette Traumsequenzen, Travolta tanzend und eine liegen gelassene SUSI UND STROLCH-Referenz später, hätte ich aber auch nicht sagen können, was an diesem netten, nur zuweilen seltsamen Film, in dem Hunde statt Babys dem Zuschauer verständlich sind und eben diese Hunde die Beziehung zwischen Travolta und Alley spiegeln, hätte jetzt unbedingt hängen bleiben sollen. (Zumindest weiß ich jetzt, wo eins dieser Gifs herkommt, die so hochfrequent durch Internet geistern.)

The Phoenician Scheme / Der Phönizische Meisterstreich
(Wes Anderson, USA/D 2025) [DCP, OmU]

großartig

Auf critic.de sage ich auf etwas elaboriertere Weise eigentlich nur, dass dieser Film Andersons mir nach seinen letzten Werken mal wieder sehr gefallen hat.

Donnerstag 29.05.

Der Ball m
(Ulrich Seidl, A 1982) [DVD]

großartig

Repräsentanten einer Kleinstadt sitzen hinter ihren Tischen und erzählen steif davon, dass der jährliche Schulball vonnöten ist, damit das Leben, das nur auf Funktionieren aus ist, für die Menschen im Ort erträglich bleibt. Für sie scheint sich ihre Argumentation nicht dubios anzuhören. Schüler und Schülerinnen erzählen in ihren bald zum Einsatz kommenden Kostümen davon, dass sie sich auf den Ball freuen, unterstreichen aber, dass sie nicht über die Stränge schlagen werden und dass Frauen, die nur Fetzen tragen, und Konsorten nichts mit ihnen zu tun haben. Der Musiklehrer lädt derweil zum fröhlich angefeuerten, ganz lieblichen verpackten Drill, für den Eröffnungstanz. Immer geht es hin und her zwischen ihnen. Und der Ball besteht schließlich aus besoffenem Gesang, Schunkeln und steifen Tänzen. Eine dokumentarische Studie über Tristesse, die nie anklagt, sondern traurig wahrnimmt und unterstreicht.

Wochenend m
(Wolfram Paulus, A 1981) [DVD]

gut

Kurze Fragmente eines fragmentierten Lebens, in dem es kaum noch einen erzählerischen wie lebensweltlichen Zusammenhang gibt und in dem es nur noch auf den Zerfall hinarbeitet. Ein Wochenende in einem dokumentarisch direkten Stil und mit viel ästhetisch hochwertigem dreckigen, eiskalten Schnee.

The Criminal Code / Das Strafgesetzbuch
(Howard Hawks, USA 1930) [blu-ray, OF]

großartig

Als ich 2011 das erste Mal beim Il cinema ritrovato zu Bologna war, lief u.a. eine Retrospektive mit den Filmen Howard Hawks‘. Bei den beiden Stummfilmen, die ich sah, wurde in den jeweiligen Einführungen quasi gebetsmühlenartig erwähnt, dass Hawks kein guter Stummfilmregisseur gewesen und die Limitierung auf die Bilder eine Limitierung für seinen (später kultivierten) Stil gewesen sei.
Walter Huston spricht hier als Staatsanwalt und späterer Gefängnisdirektor Mark Brady viel, sehr viel – und sehr offensiv darüber, was die Geschichte dem Zuschauer vll. näherbringen soll. An seiner Figur ist am nachdrücklichsten abzulesen, dass THE CRIMINAL CODE auf einem Theaterstück basiert. Nun war Hawks eben auch kein Regisseur, der sich einfach nur auf Sprache ausruhte.
Einerseits ist Brady eben auch ein König der Kompartimentierung, der wortgewandt darüber erzählen kann, wie der unbedarfte Angeklagte Robert Graham (Phillips Holmes) mit ihm als Verteidiger keinen Tag Gefängnis bekommen würde, ihn aber als sich auf das Strafgesetzbuch berufender Staatsanwalt doch nicht mit weniger als zehn Jahren davonkommenlässt. Seine Worte sind nichts Wert, weil sie sich mal so, mal so auslegen lassen, weil er mal als Vater, mal als Direktor, mal als Gouverneurskandidat handelt.
Ihm stellt Hawks Ned Galloway (Boris Karloff) entgegen. Ebenso jemanden, der nach einem Code handelt, der aber kaum Worte benutzt, stattdessen mit Karloffs breiten Körper unaufhaltsam durch die Gegend schlurft und macht, was seiner Meinung gemacht werden muss. Zentral führt er einen Mord aus, der von allen Gefängnisinsassen begleitet wird. Um die Wärter abzulenken, machen sie einen Lärm, der sich wie ein durchgedrehter Vogelkäfig anhört, irgendwas zwischen Zwitschern und einer Motorsäge. Der 1930 noch ganz junge Filmton ist hier nämlich nicht zwangsläufig nur Sprache, sondern auch atavistische, markdurchdringende Getön, dass nicht auf ganz andere Weise kommuniziert.

Clash by Night / Vor dem neuen Tag
(Fritz Lang, USA 1952) [blu-ray, OF]

gut

Im letzten Drittel gehen mit der Theaterstückverfilmung die Pferde durch. In breiten, stürmischen Mono- und Dialogen erklären die Hauptfiguren ihren Antrieb und ihre Symbolik, auf dass sie jeder versteht, und die Nebenfiguren erfüllen auf gleiche Weise ihren Zweck im Plot. Vorbei ist die Zeit, in der Blicke aus dem Fenster und eine wacklige Hand beim Eingießen von Kaffee gereicht hatte, nun war die Zeit der ausgestellt cleveren Worte. Nur zähmten und zügelten den emotionalen Brand, den sie eigentlich entfachen sollten und auf den uns die wiederkehrenden Bilder von Wellen, die gegen Klippen schlagen, und Wolken, die durch die Nacht ziehen, vorbereiteten. Der größte Reiz lag nun darin, dass wir Barbara Stanwycks Stimme halt noch mehr hören durften, und der Film, der mit Unterhemden auf dem zärtlichen Körper Stanwycks und auf den breiten Schultern Robert Ryans viel, unaufdringlich und intensiv zu erzählen wusste, verstummte nun wortgewaltig.

Les Deux gouines / The Two Dykes
(José Bénazéraf, F 1975) [blu-ray, OmeU]

großartig

Die zwei Lesben des Titels kann ich zwar bei bestem Willen nicht ausmachen, dafür ist es eben ein mega garstiger Film, in dem Eltern an Kindern und Kinder an Eltern versagen und Politik, Gesellschaft und Geschlechterkampf Menschen pervertieren … alles über Inzest, Vergewaltigung, Missbrauch und Betrug artikuliert. In Bildern teilweise surrealer Brutalität und schäbiger Direktheit. Poetisch-melancholische Ausweglosigkeit als Tortenguss.

Mittwoch 28.05.

Look Who’s Talking too / Kuck‘ mal, wer da spricht 2
(Amy Heckerling, USA 1990) [stream] 4

gut +

Das Gleiche nochmal, nur wurde es eskaliert. Elias Koteas* spielt als kleiner, unordentlicher bis psychopathischer Bruder von Kristy Alley mit, womit sich ihre Beziehung zu John Travolta doppelt, aber auch die Beziehung des Jungen zu seiner neuen kleinen Schwester. Und weil damit alle Konflikte doppelt und dreifach im Film wirken, ist er auch gleich eine Schippe wilder und druckvoller. Am besten ist aber eine anthropomorphe Toilette, die mit dämonischer Stimme vom Jungen Tribute in Form von Pippi und Kacka verlangt und dabei blaues Toilettenwasser spuckt.
*****
* Koteas ist so sagenhaft schlecht synchronisiert, dass es zuweilen wirkt als hörten wir seine Gedanken wie bei den Kleinkindern, so wenig passt sein Reden zu Bewegungen, Atmosphäre und so.

Dienstag 27.05.

Look Who’s Talking / Kuck‘ mal, wer da spricht!
(Amy Heckerling, USA 1989) [stream] 4

gut

Aus mir schon wieder entfallenen Gründen hatte ich Lotti Z. (9 Jahre) vom Konzept des Films erzählt, und nun wollte sie ihn unbedingt sehen. Deshalb habe ich ihn wieder nur in der Synchro mit Thomas Gottschalk gesehen und nicht im Original mit Bruce Willis. Aber da selbst Tommy die Show mit dem anthropomorphen Baby – wir hören die Gedanken eines völlig ausgebildeten Bewusstseins, dass in ein Baby bzw. in ein Spermium (natürlich nicht in die Eizelle) eingesperrt ist – an sich reißt, nehme ich an, dass Bruce auch nichts sonderlich Besonderes veranstalten wird.
Neben diesem Spaß ist es aber ein ziemlich einfühlsamer, witziger und erstaunlich phantasievoller Film über eine Frau (Kristie Alley – mir ist jetzt erst aufgefallen, wie klein ihr Gesicht ist), die zwischen ihren Bedürfnissen, zwischen staubiger Sicherheit und chaotischer Belebung zerrieben wird. Für sich und ihr vaterloses Baby – der tatsächliche Vater (George Segal) darf mit seinen Auftritten eindrucksvoll beweisen, dass er kein Vater, sondern ein Arsch ist – sehnt sie sich nach dem einen, nur lässt sich der der Wunsch aus einem Leben, das nur aus Sicherheit, d.i. Steuerberatung, besteht – ihre Eltern sitzen (wie sie eigentlich auch) stets über Taschenrechnern und Papierkram –, mit einem Taxifahrer (John Travolta) auszubrechen, dessen Leben in einem stets anarchistischen Verkehr nach ständigen Improvisationen verlangt, kaum deckeln. Und eigentlich ist es fast schon radikal, wie der Film sich nur für die Bedürfnisse einer Mutter und eines Kindes interessiert und die Männer des Films lediglich als Ausprägungen ihrer Persönlichkeit behandelt.

Sahara
(Zoltan Korda, USA 1943) [blu-ray, OF]

großartig

Die Leute sind vor allem da, um wortreich und symbolträchtig zu zeigen, wer im Zweiten Weltkrieg gewinnen wird, nämlich die polynationale Zusammenarbeit und nicht der niederträchtige Unterdrückungsapparat. Eigentlicher Hauptdarsteller ist aber der Sand, durch denen sich die Raupen eines Panzers mühselig walzen, der an der schwitzigen Haut und den vertrockneten Lippen klebt, der in alle Ritzen dringt und in der schönste Szene des Films wie Wasser aussieht, so fluide fließen die hauchfeinen Körner, der eine epische existentielle Widrigkeit ist.

Montag 26.05.

Jancsó Kurzfilme
(Jancsó Miklós, H 1953-1986) [blu-ray, OmeU]

tba.

Jelenlét [The Presence] (1965) – gut
Második jelenlét [The Presence II] (1978) – gut
Harmadik jelenlét [The Presence III] (1986) – gut
Ősz Badacsonyban [Autumn in Badacsony] (1954) – ok
Arat az orosházi ‚Dózsa [Harvest in Orosháza] (1953) – gut
*****
Ein Weinerntefilm, der neben der Propaganda für das glückliche gemeinschaftliche Leben in Kolchose – falls es in diesem Fall anders heißen sollte, entschuldige ich mich für meine nachlässige Wortwahl – kaum etwas zu zeigen findet, und ein Weizenerntefilm, der sehr wohl gern in der Natur und bei den Menschen verweilt und nur nebenher etwas pflichtschuldige Propaganda betreibt. Zuvor aber drei Filme über zerstörte Synagogen, in denen Leute auftauchen und beten, in denen einerseits wieder Leben präsent ist, andererseits ein Trauma allgegenwärtig.

Sonntag 25.05.

Csend és kiáltás / Stille und Schrei
(Jancsó Miklós, H 1968) [blu-ray, OmeU] 2

großartig +

Dem Film fehlt vll. ein unerklärlicher Tanz im Birkenwald (STERNE AN DEN MÜTZEN) oder surreale Brechungen (THE ROUND UP), dafür ist er der Kärgste von Jancsós loser Trilogie über Menschen, die einer sie verlachenden Staatsmacht ausgeliefert sind – obwohl oder gerade weil er hier mit seinen ewigen schnittlosen Einstellungen erstmals richtig ernst macht. Außer diesen bezaubert nichts mehr. Stattdessen Leute und Beziehungen die vage und nur erahnbar bleiben, und die doch das Erlebnis als (größtenteils) machtloses Wesen in diese Welt geworfen zu sein, perfekt einfangen.

His Girl Friday / Sein Mädchen für besondere Fälle
(Howard Hawks, USA 1940) [blu-ray, OF] 3

großartig +

Um mal festzuhalten, aus welchen Verhältnissen ich stamme: Bei meiner ersten Sichtung, ist mir gar nicht aufgefallen, wie Cary Grant kategorisch keine Tür für Rosalind Russell aufhält und kein Gepäckstück abnimmt. Gesehen habe ich es sicherlich schon, aber mir nicht so viel dabei gedacht. Es hat tatsächlich diverse Hollywoodfilme gebraucht, in denen Männern vorgeworfen wird, dass sie kein romantisches Material seien, weil sie Frauen nicht die Autotür aufhalten würden, dass ich dies als emanzipatorische Geste des Films genießen und darüber lachen konnte.

Sonnabend 24.05.

Io sto con gli ippopotami / Das Krokodil und sein Nilpferd
(Italo Zingarelli, I 1979) [DVD] 9

gut +

Allein wegen der Szene, in der Terence Hill langsam beginnt einen Gangster anzulächeln und, als dieser auch seine Mundwinkel hebt, ruckartig ein steinernes Gesicht aufsetzt und abermals langsam, sehr langsam zu lächeln beginnt, liebte ich diesen Spencer-Hill-Film sehr. Es ist auch immer noch toll, ebenso wie die Bürgerschreckessen und brüderlichen Frotzeleien, aber spürbar tritt sich die hier fast sklavisch verfolgte Formel langsam aus.

Csillagosok, Katonák / Sterne an den Mützen
(Jancsó Miklós, H/UdSSR 1967) [blu-ray, OmeU] 3

fantastisch

In der Mitte des Films führen Soldaten der Weißen – im Englischen heißt der Film THE RED AND THE WHITE, er spielt während des postrevolutionären Bürgerkriegs in Russland und handelt im Grunde nur davon, wie weiße Soldaten rote jagen und vice versa, je nachdem, wer die Oberhand hat – ein paar Krankenschwestern in einen Birkenwald. Dort müssen sie, die Schwestern, miteinander zur Musik eines Grammophons tanzen, während die Männer nur zuschauen. Ohne das mehr geschieht, dürfen die Frauen nach dem Tanz gehen und der befehlshabende Offizier läuft schweigsam in den Wald und wird langsam von den Birken verschlungen. Die Käfige, in denen wir sitzen, können so schön und so seltsam sein.

Kamerával Kosztromában / With a Camera in Kostroma k
(Jancsó Miklós, H 1967) [blu-ray]

ok

Die wiederkehrenden Bilder von Jancsó in nichts als Speedo-Badehosen am Filmset zwischen völlig seriös bekleideten Schauspielern, Statisten und Mitarbeitern werten diesen Hauch von Nichts eines Doku-Essays über die Dreharbeiten von THE RED AND THE WHITE schon entscheidend auf.

Freitag 23.05.

Late Night with the Devil
(Cameron Cairnes, Colin Cairnes, USA 2023) [stream]

nichtssagend

Ein wenig Exorzismus, ein wenig Nostalgie, ein wenig Drastik, zu viele Erklärungen, zu viel (zu wenig belebtes) Konzept, ein Cast nur aus Karikaturen: Ein nicht weiter schlimmer Zeitvertreib.

Une femme mariée: Suite de fragments d’un film tourné en 1964 / Eine verheiratete Frau
(Jean-Luc Godard, F 1964) [DVD, OmU] 3

gut

Eine Frau, zwei Männer. Sie, Charlotte (Macha Méril), eine BH-Werbung immer im Nacken, erzählt beiden das Nötige, damit die parallelen Beziehungen am Laufen bleiben, während beide Männer vor allem an Charlottes Körperteilen und dem alleinigen Anspruch darauf interessiert sind. Ist sie bei einem Mann, folgen entweder sich gleichende Diskussionen oder die gleichen fragmentierten Bilder ihrer Beine, ihres Bauchs, ihrer Hände, die gestreichelt und gehalten werden, ¬– der Film funktioniert zuweilen wie ein Bewegtbilddiaprojektor. Was ein Essay ergibt, das quasi von einer Spiegellinie in der Mitte des Films strukturiert ist, das die Unterschiede beider Beziehungen herabspielt und das uns erzählt, dass Männer alle das Gleiche wollen und Ehe nun wirklich nichts Befriedigendes sein kann uswusf. – was wie immer wunderschön gefilmt ist (Kamera: Raoul Coutard), für den frühen Godard aber ein wenig karg und wenig verspielt bleibt. Diese Skizze einer verheirateten Frau fehlt entweder die Spritzigkeit oder die Tristesse, vor allem der prätentiöse Aufbau ist sichtbar. Nur wenn sich Charlotte zwischen der familiären Wohnung und den Orten der Affäre durch Paris wie eine Spionin bewegt, die ihre Verfolger abschütteln müsste, bekommt das alles eine gewisse Leichtigkeit. Und dann ist auch klar, warum sie sich dieser doppelten Belastung des Gleichen aussetzt, weil der Nervenkitzel dazwischen wenigstens ein wenig entschädigt.

Donnerstag 22.05.

Sechse kommen durch die Welt
(Rainer Simon, DDR 1972) [DVD] 5

verstrahlt +

Ich mag den Schnitt des Films sehr. Gerade die einzelnen Sprünge von Bild zu Bild, sie verletzten die etablierten Regeln vll. nicht offensiv, aber sie sind doch wiederholt komisch. Die Bilder passen nicht ganz nacheinander, die gewohnte Perspektive kam nicht, der Zeitabstand ist nicht ganz sicher, wie bei … naja … entschleunigten Jump Cuts. Wie Solos von Thelonious Monk, der mit seinen gespreizten Fingern doch immer noch die Taste drückt, gerade noch so, bevor es eigentlich zu spät gewesen wäre.
Vor allem dachte ich aber, dass dies der eigenwilligste, surrealste Film sein würde, den ich mir heute zu Gemüt führe. Weit gefehlt.

Risky Business / Lockere Geschäfte
(Paul Brickman, USA 1983) [blu-ray, OF]

radioaktiv

Wie es halt manchmal ist: Ich machte mir eine Teeniekomödie über einen Jugendlichen, der eine Woche sturmfrei hat und sicherlich einige zweifelhafte Entscheidungen trifft, an und wusste am Ende nicht zu sagen, was da über mich hinweggerollt war. Und am erstaunlichsten war, wie alles ineinandergreift und wie aus einem Guss scheint, als entspräche dies größtenteils doch den Vorstellungen einer handelsüblichen Komödie des Genres. Wenn ich mir aber aufzähle, was alles seltsam war, dann steht plötzlich Frankensteins Monster – aus unterschiedlichsten Leichenteilen zusammengeschustert – vor mir.
– Kommen Joel Goodson (sic!; Tom Cruise) und Sex in Berührung, dann folgen fast zwangsläufig Kindheitsbilder und ähnliches, die die Unschuld zu verabschieden scheinen. Seine Mutter findet dann am Ende logischerweise auch einen kleinen, für andere unsichtbaren Riss in ihrem artsyfartsy Kunstglasei auf dem Kamin. Ihr Sohn hat seine Aufgabe (Ordnung im Haus zu halten und damit auch das Ei zu schützen) verfehlt und ist für sie gestorben.
– Träumt Joel jedoch von Sex, dann endet es in Visionen von Versagensangst. Nicht sexuelles Unvermögen begründen diese, sondern das Scheitern an den Erwartungen seiner Eltern. Bspweise wird er von der heißen Dusche mit einer Fremden zu einem Uniaufnahmetest versetzt, wo er nur zwei Minuten Zeit hat. Dem Wunsch nach Befriedigung steht eine Gesellschaft entgegen, die auf Wertschöpfung aus ist. Überall die Marker des Drills des Kapitalismus. Früh lernt sich, wer Geld machen möchte.
– Joel lernte in dieser Umwelt/seiner psychologischen Konstitution die Prostituierte Lana (Rebecca De Mornay) kennen und eine ewiges Hin und Her aus Romantik und bösem Erwarten (der auf den Sex folgende Verlust von Geld und Wertgegenständen/Statussymbolen) entsteht. Zusammen bauen sie die fragile Utopie des Films: einen Puff im elterlichen Haus, in dem Mitschüler für ihre Befriedigung bezahlen und Joel Geld verdient. Männer dieser Leistungsgesellschaft (Joels Vater und ein Vertreter Princetons) sind verzückt. Sex und Gewinnschöpfung endlich vereint.
– Mitschülerinnen bleiben in den Hintergrund der wenigen Bilder in der Schule verbannt. Es besteht nicht mal die Möglichkeit sich bei ihnen einen Korb zu holen oder durch fehlende sexuelle Erfahrung zu versagen. Sex ist in diesem Film über junge Männer nur der mit Prostituierten. Einerseits einem abgesicherten Umfeld, andererseits mit Traumwesen, deren Identität im Schatten bleibt, die sich jeder Enthüllung über ihren Körper hinaus verwehren.
– Durchzogen ist der Film von Bruchstellen. Immer wieder scheint der Film an einem Ende angekommen, es wird abgeblendet und dann folgt etwas, das inszenatorisch und erzählerisch ein Traum, eine Traumerfüllung sein könnte. So wie der Wind die Blätter durch die Gegend und Türen aufweht, macht er das Geschehen irreal und romantisch und damit völlig weich.
– Joel und Lana werden einmal in einer Schnellbahn ein hochromantisches, sexuelles Abenteuer erleben. Bevor es aber zum Koitus kommen kann, muss ein Obdachloser aus der Bahn entfernt werden, der sie gähnend anstarrt. Erst wenn die Angst vor dem Ausschluss aus der Gesellschaft gebannt ist, ist Liebe, so flüchtig sie auch ist, möglich.
– Auch die Entstehungszeit des Films ist heute fremd. Schamhaare in Komödien für ein breites Publikum sind inzwischen Mangelware, damals aber noch völlig ok, wie es scheint.
Jedenfalls waren mit dem und mehr Realität, Traum, Sex, ödipale Psychologie, die protestantische Ethik des US-amerikanischen Kapitalismus sowie die Ästhetik von kitschiger Romanze und absurder Teeniekomödie inklusive Autoverfolgungsjagden so eng verzwirbelt, dass es eine explosive Mischung für mein Gehirn ergab. Vor allem aber: ich habe gelacht, fühlte eine starke Melancholie, mich erregt, habe Gedanken gekaut und war entsetzt, was will es mehr.

Dienstag 20.05.

The Hunger / Begierde
(Tony Scott, UK 1983) [DVD, OF] 2

fantastisch

Klar, es geht um bluttrinkende, ewig lebende Vampire, die ausgewählte Leute in nicht ganz so potente Mitstreiter umgewandelt. Vampirismus ist dabei das Symbol für Sucht, Sex, Eitelkeit und fehlende Skrupel. Es ist alles nicht zu übersehen. … Gerade durch den beständigen Ägyptenschangel – kurze Impressionen aus der Antike zeigen das Land der Pharaonen als anscheinenden Ursprung dieses Vampirismus, immer wieder baumelt ein als Dolch zu verwendender Anch-Kettenanhänger im Bild – hat es aber gehörig Mumien-Schlagseite. Geht es doch um existentiell vereinsamte lebende Tote, die sich in Mullbahnen aus Zivilisation, Kultiviertheit und Stil einbalsamiert und dem Tod und dessen Grauen den Anschein der Schönheit gegeben haben.
Es hat die Form eines Diptychons. Erst der langsame, sich ziehende Tod eines Vampirs zweiter Generation (David Bowie) und damit den Verlust des Seelenpartners der Vampirfürstin (Catherine Deneuve) – sehr deutlich steht die Frage im Raum, wer denn ewig leben möchte, wenn die Liebe sterben muss, nur dass der Preis (Mord und Verlust von Geliebten und Jugendlichen, die ihr Leben noch vor sich hätten) dann doch gern gezahlt wird. Darauf folgt das Angebot des ewigen Lebens an eine Ärztin (Susan Sarandon), die dies wissenschaftlich zu erreichen sucht, nun aber erkennt, dass der Rausch lesbischen Sexes – erregendem, hochsymbolischem Biss in die Armbeuge, dort Einstiche zurücklassend – auch ausreichen könnte – nur: kann sie auch auf den geliebten Mann (Cliff DeYoung), einem penetranten Schnüffler, der sofort erkennt, wenn etwas nicht richtig ist, zugleich toxische Männlichkeit und moralische Instanz des Films, verzichten?
Scott formt seinen Film dabei weniger aus brutalem Bluttrinken, sondern aus Zeit und der Ästhetisierung von Verfall (Dekadenz). So legt er schlicht keinen Wert auf eine straffe Dramaturgie. Elegisch lässt er das Geschehen dahinschreiten. Die assoziativen Montage aus Leidenschaft, Sex, Tierversuchen, Blut, Vergangenheit, Gothpunk – Bauhaus rufen emblematisch Undead! Undead! Undead! in den Film – funktionieren zwar wie ein Stroboskopgewitter, sie bringen aber keine Geschwindigkeit. Eine zentrale Szene spielt sich im Wartezimmer eines Instituts ab, in dem die Verlängerung und Erhaltung des Lebens erforscht wird. Dort sitzt aber nur ein alternder Mann, der wartet und wartet. So viel im Film auch los ist, so bleibt er vor allem Atmosphäre. Das darin gelebte Leben bleibt ein Warten auf den Tod, so sehr alle ihn auch mit Leidenschaft und Emotionslosigkeit abzuwehren versuchen. Das Ergebnis ist ein unkonzentrierter, intensiver Blumenstrauß der Eindrücke und Assoziationen, in dessen auserlesener Umarmung wir feststecken.
Das Zentrum und den Fluchtpunkt des Films, aber nicht seine Hauptfigur, ist Catherine Deneuves Hauptvampir und kalte Hitchcock-Blonde, ein Wesen von statuenhafter, emotionsreduzierter Eleganz. Haupthandlungsort ist ihre Villa und deren weite Räume. In diese sind Marker von Kunst, Kultur und Geschichte eingelassen sind. Vor allem bestehen sie aber aus stilvoller Leere. Staub, Widriges und Tod (als Ziel und Rest des Lebens) ist auf den Dachboden verbannt, wo ehemalige Geliebte in Särgen liegen. Licht fällt in diese Villa nur punktuell und expressiv. Und je länger der Film dauert, desto nachdrücklicher wehen darin Stoffbahnen, als wickle sich die Eleganz ab und offenbart – wunderschön, stilvoll, eine Zelebrierung – den Tod und den Verfall, der hinter dieser Grazie wartet.
Das Grauen ist so nicht die Gewalt, sondern die Selbsterkenntnis, wenn einen all der verfaulte, verdrängte Ballast der eigenen Identität einholt und zu packen bekommt. Besonders schön: am Ende stehen ein ratloser Polizist (Dan Hedaya) in der leeren Villa und kann sich einfach keinen Reim daraus machen, wo diese doch so feine und schöne Lady abgeblieben ist, diese unzweifelhaft makellose Oberfläche, die sie noch vor Kurzem hier in ihrem schönen Reich empfangen hat. Das kann doch keine Lüge gewesen sein?

Montag 19.05.

L’Homme qui voulait violer le monde / Black Love
(José Bénazéraf, F 1973) [blu-ray, OmeU]

tba.

Ein Vorhang geht auf. Dahinter warten Afroamerikaner, angezogen wie eine Gang an einer Straßenecke. Doch sie gehen zu einer Bühne und setzen sich an ein Podium, wo sie über Macht, Geld und die schwarze Community diskutieren. Ob Bénazérafs Film im Folgen wieder von solchen täuschenden ersten Eindrücken handelt, weiß ich nicht zu sagen, weiß ich doch nicht recht, was ich eigentlich gesehen habe. Einer von den Podiumsdiskutanten brennt mit dem Geld nach Paris durch. In seiner Gegenwart werden sich nackte Frauen, die sich auch mal darüber unterhalten, ob sie eher wie Figuren von Botticelli oder Raffael aussehen, aneinander reiben, während er meist sprach- und regungslos zuschaut. Gangster sind auf seiner Spur, die ihre Pistolen wie einen Phallus im Schritt halten und ihren Willen mit sexueller Gewalt zu erlangen versuchen. Eine undurchsichtige Frau von verwaschener Rassenzuordnung scharwenzelt dazwischen herum. Die Bilder verfremden und verformen, zeigen Verfremdetes und Verformtes, … und viel nackte Haut und eintönige Reiberei aneinander. Ein minimaler Hauch von Handlung, Geschehen und Entwicklung, aber Myriaden aus Stil. Die Männer am Podium werden es nie verlassen und potenzlos warten müssen – ist dies ein Film der argumentiert, dass gehandelt und nicht geredet werden muss, in dem aber nichts geschieht?

Sonntag 18.05.

Salto Mortale
(Viktor Tourjansky, BRD 1954) [DVD]

großartig

Das zentrale Liebesdreieck zwischen dem verbal peitschenden Löwenbändiger (Philip Dorn), der plötzlichen Zirkusdirektorin (Margot Hielscher) und dem Cowboy-und-Indianer-Bankkaufmann (Karlheinz Böhm hier schon mit den Augen eines Triebtäters) funktioniert höchstens halbwegs, weil der Film eigentlich auch gar nicht das Herz hat eine wild brennendes Drama zu werden und deshalb lieber auf all die Figuren drumherum konzentriert – und damit auf die Versuche ohne Netz und doppelten Boden trotzdem leben, trotzdem zu lachen. Der singende Clown in der Manege, der seine Enkelin tot glaubt, ist vll. die intensivste Clown-Szene außerhalb von HE WHO GETS SLAPPED.

Mission: Impossible – The Final Reckoning
(Christopher McQuarrie, USA 2025) [DCP, OF]

ok +

Zu viel selbstbesoffenes Rekurrieren auf die Geschichte der Filmreihe und die eigene Bedeutung, zu viel sentimentale Beweihräucherung, nie etwas falsch gemacht zu haben, zu viel Infodump, zu viel Tom Cruise rennt, weil das hier so gehört und so weiter, aber viel Liebe meinerseits, für das wiederholten Starren ins Gesicht von Hayley Atwell, die sich natürlich nur als leider ziemlich reduzierte Figur fragt, wie sie hier reingeraten ist, und dafür dass Esai Morales nicht nur wieder als Wiedergänger von Lindenstraßen Erich Schiller (Bill Mockridge) einen Bösewicht geben darf, sondern erstaunlich saftig und fies per Pointe aus dem Film verabschiedet wird – der Jugendliche, der seiner Mutter jeden Sonntagabend in seinem Zimmer Obdach bot, damit sie LINDENSTRASSE gucken konnte, fühlte sich sehr glücklich. Ach ja, und die U-Boot-Szene, eine Actionszene in Zeitlupe, ist toll.
Übrigens: MISSION: IMPOSSIBLE schaue ich mit erhöhter Paranoia. Was dazu führt, dass mich nicht die Wendungen – jemand zieht seine Maske ab und ist jemand anderes – überraschen, sondern deren Ausbleiben. Wie im Vorgänger erwartete ich mehrmals, dass das, was wie ein scheiternder Plan aussieht, mit eingepreist war und sich später offenbart, dass alles so lief, wie von Beginn geplant. Im Angesicht einer alles sehenden und alles wissenden KI bleibt es allerdings aus. Nicht mit den Gehirnwindungen, sondern nur mit Ausdauer und der Fähigkeit, sich nicht abschütteln zu lassen, mit Körperlichkeit ist die Wissenskrake zu besiegen.

Sonnabend 17.05.

The Lives of a Bengal Lancer / Bengali
(Henry Hathaway, USA 1935) [blu-ray, OF]

großartig

Wenn wir den Titel wörtlich nehmen, dann sehen wir einen allgemeinen britischen Lanzer bei der Aufrechterhaltung des großen britischen Kolonialreichs … aufgeteilt in mehrere Iterationen möglicher Reifegrade – vom trotzigen Jungspund (Richard Cromwell) bis zum geduldigen, alles ertragen könnenden General (Guy Standing) – oder Klassenzugehörigkeiten – vom rummaulenden, impulsiven Schotten (Gary Cooper) bis zum ironischen Stiff-Upper-Liper (Franchot Tone). Mit diesen vier Leuten wird im Grunde darüber meditiert, welche brutale Kraftanstrengung die Erhaltung eines Selbst – alle vier kommen an den Rand des für sie Hinnehmbaren – und der britischen Kolonien ist – der Film diskutiert nie moralische Implikationen, sondern endet in einem Moment totalen Wahnsinns und Zusammenbruchs, einer Ehrenparade, und lässt jeden allein damit zurück. Vor allem ist es aber Karl Mays Orient Zyklus zur Abhängkomödie verformt, bei der am Ende ein Pferd feierlich eine Medaille verliehen bekommt, weil der Reiter schon tot ist – und es ist unklar, ob der Zuschauer hier lachen oder weiterweinen soll.

ラブホテル / Love Hotel
(Sōmai Shinji, J 1985) [blu-ray, OmeU] 2

fantastisch

Hegel bemerkte irgendwo, daß alle großen weltgeschichtlichen Tatsachen und Personen sich sozusagen zweimal ereignen. Er hat vergessen, hinzuzufügen: das eine Mal als Tragödie, das andere Mal als Farce. Weltgeschichte also. Eine Vergewaltigung wiederholt sich, und zwei Leute – Nami und Muraki, ist dies doch Teil des Zyklus von Drehbuchautor Ishii Takashi – erleben ihre Niederlagen doppelt, einmal als düsteres Drama, einmal als melodramatische Farce.
Erst will Muraki (Terada Minori) jemanden vergewaltigen, damit er seinem leeren Leben noch etwas hinzufügt – vor seinem geplanten Selbstmord. Dann will Nami (Hayami Noriko) nochmal von Muraki vergewaltigt werden, damit sie sich nach der Trennung von ihrem Liebhaber vll. begehrt und nicht so allein fühlt. Erst ist das Love Hotel, der Ort der Handlung, ein dämonisch verschlungener Ort des Exzesses, dann eine Absteige mit schimmligen Wänden. Oder: Nami möchte ins Hafenbecken springen, später sucht sie Muraki ihre Ohrringe, die sie dort mglweise verlor, als er sie vom Beckenrand wegzog. Erst dunkle Nacht, das erste unklare Aufeinandertreffen nach der Vergewaltigung von vor zwei Jahren. Bei Tag sehen wir erst, dass die Pier mehr Loch als Stein ist, dass beide gestern leicht hätten gemeinsam fallen können. Auf ihr reden nun zwei Leute um den heißen Brei. Alltag.
Diese ewige Wiederkehr an die gleichen Orte, die wir aus anderen Perspektiven gezeigt bekommen, suchen Leute halt in der einer simplen Wiederholung, nur erfahren sie, mit einem emotionalen Vorschlaghammer, dass niemand zweimal in den gleichen Fluss steigen kann und von der Unzeitgleichigkeit des Zeitgleichen. Ist Murakis Ambition, mit seinem Leben etwas anzufangen, bereits fast den ganzen Film abgestorben, sehen wir Nami erst dabei zu, wie sie in einer tristen Welt, die bestenfalls mal dämonisch leuchtet, verbrennt.
Die Einstellungen sind lang und distanziert, aber nicht kalt. Eher vorsichtige Blicke in eine fragmentierte Welt voller Spiegel d.h. Brechungen und Dopplungen – in Namis Apartment sitzt eine übergroße, bizarre Puppe, die Farce von (ihrer) Unschuld. So würde vll. Mizoguchis Kino aussehen, wenn er mit der gleichen Eleganz etwas mehr den Sensibilitäten von Emile Zolas Naturalismus nachgegeben und mehr Sex, Wahnsinn und Gewalt gezeigt hätte.

Szegénylegények / Die Hoffnungslosen
(Jancsó Miklós, H 1966) [blu-ray, OmeU] 3

großartig

Mit dem eigenen Über-Ich anderthalb Stunden über sich selbst lachen, über die vergeblichen Versuche beim Tigern zwischen drei, vier nicht weit voneinander entwegten Orten einen Ausweg aus unserem Gefängnis zu finden. Ein Film über das Leben unter faschistischen Umständen oder einfach über unsere leidvollen Versuche, irgendwie doch noch voran zu kommen.

Indián történet / An Indian Story k
(Jancsó Miklós, H 1962) [blu-ray, OmeU]

ok

Die Fotos der nativen Amerikaner sind faszinierend, der Off-Kommentar, der leicht sarkastisch das Unrecht ihrer Verdrängung und ihrer großflächigen Tötung erkenntnisarm wiederkäut ist es nicht.

Freitag 16.05.

I Saw the TV Glow
(Jane Schoenbrun, USA 2024) [stream, OF]

gut

Die Nostalgie trifft mich zielgenau. Nicht wegen TWIN PEAKS, sondern dem Jugendlichen in mir, der THE ADVENTURES OF PETE AND PETE auf Nickelodeon schaute und der mit der schwammigen Realität dieses zuckersüßen Fiebertraums von einer Serie nicht ganz klarkam. Und der vor allem mit kaum vorhandenen Englischkenntnissen vor THE MAXX saß, einer Zeichentrickserie auf MTV, in der die Hauptfigur nicht weiß, ob sie ein Obdachloser ist oder ein Monster in einem Paralleluniversum, in dem es nicht von einer Sozialarbeiterin bedrängt wird, sich zu bessern, sondern diese aus Gefahren rettet – wobei kaum zu unterscheiden war, welche der beiden Realitäten mehr Horror war. Es gibt mir über die Erinnerung das Gefühl wieder, dass Fernsehen etwas Gefährliches sein konnte, dass mehr war als leicht einzuordnende Bilder vor einem, dass doch nicht richtig sein kann, dass ich das gucken darf – überhaupt das bittersüße Gefühl, dass jemand einen vor Bildern und Erkenntnissen beschützen möchte. Leider verliert sich der Film nach etwa einer Stunde und will auf eine deprimierende, melodramatische Pointe heraus. Was an sich nicht schlimm ist, aber dafür führt er eben das zuvor Ungreifbare einem klaren Sinn zu und verliert seine Kraft. Vll. liegt es aber auch an Justice Smith, der nie den gehemmten Trauerkloß ablegt, und schlicht so endet, wie sich die ganze Zeit andeutete.

The Other Boleyn Girl / Die Schwester der Königin
(Justin Chadwick, USA/UK 2008) [stream, OmeU]

ok +

In einem Film, in dem ein König (Eric Bana) die Geschichte der Welt entscheidend ändert, weil er nur zärtlich sein kann, wenn die begehrte Frau sich ihm hingibt, ansonsten aber seine ewig dürstende Libido alles in Brand stecken lässt, in dem eine Schwester (Natalie Portman) all ihre Unsicherheit und Egoismus in den Hass auf die reine, perfekte Schwester (Scarlett Johansson) steckt, in dem ein Duckmäuser (Mark Rylance) seine Töchter wegen Reichtum und Einfluss hemmungslos verschachert, in diesem schrecken ein Bruder und seine Schwester vor dem Akt des Inzests zurück, der ihnen – ihren Kalkulationen nach – ihr Leben retten könnte. Hier veranschaulicht sich, dass diese eigentlich ganz schöne Soap Opera vor allzu viel Dreck zurückschreckt und lieber seine Schauspieler in ausgestellt schönen Einstellungen ihren ehrbaren Text brav aufsagen lässt.

Donnerstag 15.05.

Monsieur Aznavour
(Grand Corps Malade, Mehdi Idir, F/B 2024) [stream, OmU]

großartig

Eigentlich läuft hier so ziemlich alles falsch, aber ich finde aus gutem Grund. Mehr dazu auf critic.de.

Dienstag 13.05.

The Front Page
(Lewis Milestone, USA 1931) [blu-ray, OF]

gut

Optisch ist Milestones Film viel filigraner und schaulustiger als Hawks‘ Remake HIS GIRL FRIDAY. Erstaunlich kreist die Kamera zuweilen um einen Tisch, energische Plansequenzen fang einen Schritt ein, der von der Meinung kündet, dass dem Schreitenden die Welt gehöre. Nur hängt dieser zeitweiligen Schönheit das Drehbuch wie ein Stein um den Hals. Die Nebenfiguren sind völlig überdefiniert und bringen, zumindest solange sie in einer Abhängkomödie Platz bekommen, noch Schwung. Sobald es aber um Hildy Johnsons (Pat O’Brien) kommende Heirat, Walter Burns‘ (Adolphe Menjou) Versuche des Zurückhaltens seines Starreports und einen geflohenen zum Tode Verurteilten geht, zerrt sich das undefinierte, ausgedehnte Häufchen. Dass Hawks die sexuelle Attraktion zwischen Johnson und Burns betont, ist die einfache, zwangsläufige Rettung, die hier niemand wahrnahm.

Montag 12.05.

Ab morgen wird sich alles ändern m
(Andreas Gruber, A 1980) [DVD]

großartig

Im Radio läuft durchgängig der Soundtrack der 1960er. Die durch eine triste Stadt und ein ruinöses monumentales Gewächshaus – dem Palmenhaus in Schönbrunn nicht unähnlich – tingelnden Jugendlichen leben aber sichtlich in der Zeit von No Future. Und nach dem Film bleibt eigentlich nur die Frage: Zukunft, was soll das schon sein?

Sonntag 11.05.

Indiana Jones and the Kingdom of the Crystal Skull / Indiana Jones und das Königreich des Kristallschädels
(Steven Spielberg, USA 2008) [blu-ray] 2

gut

Ein Best-of der bisherigen Filme, bei dem Mystik gegen Außerirdische getauscht wird, Nazis gegen Sowjets, ein Vater gegen einen Sohn, ansonsten wird alles an seinen Stellen belassen. Achterbahnfahrten nehmen vll. etwas mehr Platz ein, wofür das anthropologische Staunen an den Rand gedrängt wird. Kurz: Schon schön, aber der alte Schwung ist hin.

Das merkwürdige Kätzchen
(Ramon Zürcher, D 2013) [DVD]

fantastisch

DER SPATZ IM KAMIN fühlt sich mit Sicht auf diesen Vorgänger wie das höher budgetierte, stärker herausgearbeitete Remake eines Überraschungserfolgs an. Eigentlich ist alles gleich, nur ist das Original kürzer, luftiger und nicht so penetrant. Der Grad des innerfamiliären Terrors ist so unklar wie fast alles in diesem einfachen Film. Vll. sehen wir Ausschnitte eines trägen Tags in einer Küche (größtenteils), oder eine Zeitschleife sich ewig wiederholenden Beobachtens, Identitätperformens und Drangsalierens. Ein Film des absoluten Ablenkens.

Sonnabend 10.05.

Le Feu follet / Das Irrlicht
(Louis Malle, F 1963) [blu-ray, OmeU] 2

großartig

Ein Erzähler führt uns in den Film, der detailliert die Szenerie beschreibt. Jemand befindet sich im Moment. Von einem giftigen Abschiedsbrief werden wir aus dem Film geschmissen, in dem jemand allen anderen die Schuld für seinen Selbstmord gibt. Dazwischen zeigt sich jemand, der Lebensentwürfe abgrast und einen sucht, gegen den nichts spricht. Die Schönheit des Überdrusses und eine joviale Arschigkeit bilden den Film.

Comes a Horseman / Aufstand der Aufrechten
(Alan J. Pakula, USA 1978) [blu-ray, OmeU]

großartig

Ein halbes Jahr nachdem DALLAS seine Erfolgsgeschichte begann, startete dieser Film mit einem Tycoon namens J.W. Ewing in den US-amerikanischen Kinos – inkl. dem Zerwürfnis zweier Freunde und Geschäftspartner, das weiterhin nachwirkt, und einem Ölvorkommen. Nur zeichnet sich das Melodrama hier eher ab und bricht im Hier und Jetzt nur selten aus. Immer wieder werden uns malerische Panoramaaufnahmen gezeigt, und hinten in den Rockys stehen die dunklen Wolken schon bedrohlich und schlagen schon mit ihren Blitzen aus. Bei unseren Figuren ist das Wetter aber noch ganz gut.
Die drei Hauptdarsteller (Jane Fonda, James Caan, Jason Robards) gleichen den Felsen am Horizont, und das Wetter bildet ihr gegenwärtig nur erahnbare Innerlichkeit ab. Regelmäßig reiten die Leute durch Wälder und Hügel und fangen in energetischen Aufnahmen Rinder ein. In der Natur erleben sie sich eindrucksvoll als potente Wesen. Den Rest des Films – in den Mikro- und Makroebenen ihrer Gesellschaft – versteinern sie aber im Angesicht ihrer Hilflosigkeit. Zwischenmenschliche Nähe, die nahende kommerzielle Ausbeutung eines kurz nach dem Zweiten Weltkrieg noch an den Wilden Westen gewahrenden Landstrichs durch Banken und Ölunternehmen: es brodelt in ihnen. Höchstens die Familienfehde sorgt fern der Kühe für entschiedenes Agieren.
An einer straffen Dramaturgie ist Pakula sichtlich nicht interessiert. Er mäandert durch die unausgesprochenen Begierden, Ängste und andeutungsreichen Vergangenheiten, die jeder mit sich rumschleppt. Nur hier und da Flammen die Akteure auf. Der Film sieht dabei super aus, vor allem wenn er in die Landschaft schaut oder in Jane Fondas verkniffenes Gesicht. Ihm geht es nicht um die Erzählung, sondern um das gespannte, lockere Beobachten felsiger Menschen.

Freitag 09.05.

Der Spatz im Kamin
(Ramon Zürcher, CH 2024) [stream]

ok +

Vor dem Familientreffen, bei dem eine ziemlich normale Familienhälfte auf eine ziemlich dysfunktionale – fünf Menschen: zwischenmenschlicher, stiller Terror gegenseitiger Verachtung – trifft, fliegt ein Spatz aus dem Kamin. Während des Treffens bespannen Frauen unter der Dusche masturbierende Männer, Kinder werden von der Mutter psychisch und physisch misshandelt, meist durch gebellte Befehle und Nichtbeachtung, die Kinder schießen mit immer mehr Verachtung und Zerstörung von der Mutter wichtigen Dingen zurück, und der Vater turtelt mit der Geliebten. All dies aber immer an möglichst öffentlichen Stellen, dass auch ja jemand vorbeikommt und es sieht. Der Spatz, der aus dem Kamin gelassen wurde und nun öffentlich sein Unwesen treibt, ist eben diese Dysfunktionalität, die nicht mehr still hinter geschlossenen Gardinen geschieht.
In der letzten halben Stunde, nach einem quasi Nervenzusammenbruch der Mutter holt der Film noch ihre mitschwingende Besessenheit durch den Geist ihrer Mutter noch an die Oberfläche. Die stillen und nur manchmal ausbrechenden Marker des gegenseitigen Scheiterns aneinander wird zum atmosphärischen Mysterythriller mit Hexen und Geisterhäusern. Und doch bleibt vor allem das endlose Melken des immer gleichen Symbols hängen.

The Last Voyage of the Demeter / Die letzte Fahrt der Demeter
(André Øvredal, USA 2023) [stream, OmeU]

ok

Immer wieder soll es laut den Dialogen um den Widerstreit aus Wissenschaft und Glaube gehen. Eine Wissenschaft, die alles erklären kann. Ein Glaube, der bedingt, dass die Mächte des Bösen in dieser Welt ihr Unwesen treiben. Nur finden die hochtrabenden Diskurse keinen Widerhall jenseits der Worte, und überhaupt sind sie hohl und fürchterlich träge – gerade, weil die Hauptfigur, abgesehen von einer Bluttransfusion, einfach nur an die Wissenschaft glaubt, statt sich für sie einzusetzen. So ist dies ein ziemlich schöne B-Film, in dem eine charismatische Schiffbesatzung von der Pest/einer riesigen Fledermaus nach und nach umgebracht wird, nur ist Øvredal leider der Meinung etwas kulturell Hochwertigeres daraus machen zu müssen, ohne eine Ahnung zu haben wie.

Donnerstag 08.05.

Csend és kiáltás / Stille und Schrei
(Jancsó Miklós, H 1968) [blu-ray, OmeU]

großartig

Gehen. Hin und her. Gedankenverloren, gedankenvoll. Ohne Ende. Zwischen den wenigen Häusern und Erhebungen einer Ebene, die so weit reicht, wie die Augen tragen. Und doch tigern unsere Protagonisten hin und her, als befänden sie sich in einem Käfig. Was sie ja auch im Grunde sind. Nach dem Ersten Weltkrieg wird der Versuch einer sozialistischen/kommunistischen Machtergreifung niedergeschlagen. Die faschistischen Militärs laufen überlegend, wie sie ihre Macht pervers nutzen können oder was ihnen möglich ist. Die Bauern laufen, auf der Suche nach einem Weg nicht Opfer der perversen Staatsmacht zu werden oder überlegen, wie weit sie klandestin handeln können. Der Film ist dabei aber nicht an Lösungen interessiert, sondern von einer diebischen Freude am Feststecken in einem weiten Feld nicht vorhandener Möglichkeiten getragen, am dünsten in der eigenen Paranoia. Im Gegensatz zu LA VEUVE knallen hier nicht die Schnitte, sondern in langen Einstellungen wird melancholisch, enttäuscht, fatalistisch auf einen möglichen Schlag gewartet. … und der kommt wirklich, weshalb der Film auch STILLE UND POINTE hätte heißen können.

Mittwoch 07.05.

La Veuve / The Randy Widow
(José Bénazéraf, F 1974) [blu-ray, OmeU]

fantastisch

Eigentlich könnte alles ganz locker sein. Ein Ehemann bringt zwei Anhalterinnen mit nach Hause, die Freundinnen der Frau, die zu Besuch kommen, haben etwas gegen Kleidung, dafür viel Lust auf Befriedigung. Kulisse ist ein luxuriöses Landhaus, die Darsteller sind schön und eigentlich wollen fast alle das Gleiche. Nur sind da auch noch die Eheleute und ein Film, dem Lust und gute Laune zu wenig sind. Er, der Mann, hat wohl Erektionsprobleme und es sind sicherlich seine sadistischen Fantasien, die immer wieder wie Peitschenhiebe unvermittelt in den Film knallen. Sie hat die Schnauze voll von ihrem passiv-aggressiven Ehemann und der Auslebung der Lust anderer. Für sie sind die Einstellung oft Gefängniszellen, in denen sie missmutig thront und in denen ihre Augen brennen, während andere sie mit Lippen, Zungen und Körperteilen bedrängen.
So ist der Weg zur Penetration – die aber nie kommen wird, aber dazu später mehr – dornig, mit Lust und Hass aufgeladen und vor allem ausgedehnt. Das Geschehen: Erst reden Leute, dann reden nackte Frauen, dann fingern sich nackte Frauen, eine bindet sich darauf den Strap-on um, später schläft auch noch ein Mann mit einer Frau und schließlich kommt das Gewehr für die garstige Ejakulation des Films. Bénazéraf lässt seinen Film nämlich statt Sperma Galle spucken. Oder anders: wo die Leute in CAFÉ FLESH unfähig zur Befriedigung wie der VHS-Porno-Konsument vor dem Geschehen sitzen und verdrossen Außenseiter des Schauspiels bleiben, da sitzen hier zwei mitten in der freien Liebe und könnten eigentlich nur kotzen. Weil die ungeheuren Gefühle hier eben auch ungeheuer und ungeheuer komplex sind.
Dabei kommt es in diesem Softcore-Porno nie zu einer realen Penetration. Der Strap-on wird sichtlich unter den Körper der anderen Frau geschoben oder einfach nur an diesen gehalten. Der Penis der einen heterosexuellen Sexszene liegt einfach nur schlaff herum – und ist dabei ständig zu sehen. Es ist durchaus so, wie wenn die Bewegungen von Musikern im Film nicht synchron zur Musik sind. Sicherlich, Film ist immer nur Behauptung, aber in diesem Fall passt die physische Realität nicht. Wenn auf ein Becken geschlagen wird, dann müsste es knallen. Wenn eine Taste am Klavier gedrückt wird, dann müsste es klingen. Wenn dem nicht so ist, dann ist es irritierend und es weist eben auch die artifizielle Natur des Films – was eben als Stilmittel eingesetzt wird und womit gelebt werden muss. Bei der Musik verstehe ich es aber, da beherrscht der Schauspieler vll. kein Instrument oder die Synchronität zwischen spontanem Musizieren und dem verwendeten Song ist aus diversen möglichen Gründen nicht gegeben. Hier liegt es aber an Sittlichkeit, während das Echte durchaus möglich gewesen wäre. Wie auch immer, dass hier nicht versteckt wurde, dass es nie zu einer Penetration kommt, sondern dass es noch ausgestellt wurde, finde ich auf einer basalen Ebene sehr frustrierend und ich erkenne mich als pervers, in seiner Penetranz ist es aber schon wieder witzig.

Dienstag 06.05.

Last Breath
(Alex Parkinson, USA/UK 2025) [digital, OmeU]

gut

Woody Harrelson hat ein wenig zu wenig Zeit auf der Leinwand und überhaupt wenig zu tun. Sagt mein Text für den Perlentaucher indirekt.

Montag 05.05.

Clue / Alle Mörder sind schon da
(Jonathan Lynn, USA 1985) [stream]

nichtssagend

Ich glaube, dass der Film in der deutschen Synchronisation schon sehr viel verliert, aber vor allem muss ich den Film nochmal schauen, wenn ich darauf vorbereitet bin, dass meistens, wenn das Gefühl aufkommt, dass mal wieder eine Pointe fällig wäre, ein Mann eine Frau begrapscht. Jedenfalls habe ich lange keinen Film mehr gesehen, der dermaßen bemüht ist, witzig zu sein, ohne es zu meistens sein – der Kommunismus-Running Gag und der rennende Tim Curry mal ausgenommen.

Sonntag 04.05.

Inglourious Basterds
(Quentin Tarantino, USA 2009) [blu-ray, OF] 4

großartig

In der Kellerkneipe lässt Tarantino seinen Filmnerd komplett von der Leine und suhlt sich in seinem Wissen über die deutsche Filmkultur – die Szene findet darin mehr Sinn als erzählerischen. Ich fand es nun schon so enervierend wie Brad Pitt, wenn er nicht gerade Italienisch spricht. Aber der Rest ist durchaus super und selbst besagte Szene hat August Diehl.
*****
Übrigens habe ich mir die blu-ray nur gekauft, weil ich den Hitler-Portraitmaler auf der DVD nicht so gut als Bob Ross-Wiedergänger erkennen konnte. So weit ist es mit mir inzwischen.

魔性の香り / Scent of a Spell
(Ikeda Toshiharu, J 1985) [blu-ray, OmeU]

großartig

Einerseits der luftige Liebesfilm einer flüchtigen Affäre, der zum Paranoiathriller wird, da unsere Hauptfigur einfach nicht glauben kann, so viel Glück zu haben. Das Karge, Sachliche der Realität mit den zarten Gefühlen – erstaunlicherweise sind die Sexszenen tatsächlich ziemlich erotisch – von den Blumen der Fantasie eingeholt wird und die ausgeschmückt zu sehenden Vorstellungen dessen, was sein könnte, das Einfache zerfleischt. Hier das Schweben der Gefühle, da die körperliche Gewalt, die sein könnte. Oder eben ein zurückgelehnter Roman Porno, der zum tragischen, düsterromantischen Psychothriller wird, bei dem Regen alles flutet und die Erinnerung an Feuerwerk alles porös macht.

Freistadt
(Fritz Lehner, A 1976) [DVD]

großartig

Ich habe die Interviewten kaum verstanden. Aber es geht, hoffe ich, auch nicht um das wenige Gerede, sondern um die Kamerafahrten durch die Gassen einer Stadt, die im Mittelalter kurz aufblühte und nun nur noch in der Architektur die Rest des einstigen Glanzes bewundern kann, und die Blicke der Kamera durch Fenster von innen nach außen und von außen nach innen, womit die Blicke des Fremden – die Anwohner verschwinden schnell, wenn sie sich entdeckt fühlen aus den Fenstern – und die Blicke auf das Eigene durch eine Trennlinie, auf eine bescheidene Tristesse, die mal etwas war, nachgestellt werden. Kamera: Xaver Schwarzenberger.

Sonnabend 03.05.

Indiana Jones and the Last Crusade / Indiana Jones und der letzte Kreuzzug
(Steven Spielberg, USA 1989) [blu-ray, teilw. OF] 11

großartig

Leider sowas wie eine Entschuldigung für TEMPLE OF DOOM und seine ganz eigene Interpretation der Figur aus RAIDERS. Letzterer wird entsprechend großflächig kopiert, nur mit weniger Bond und abenteuerlicher Comic-Action, sondern mit Trivia-Such-Respektabilität, die in Richtung von Ron Howards Robert-Langdon-Filme weist. Kurz: RAIDERS minus Schwung. Aber die Chemie zwischen Harrison Ford und Sean Connery ist fabelhaft, einige Gags und Idee – die Erklärung für die Möwenaufscheuchung – sind sensationell und Spielberg inszeniert selbst diese vertrocknete Pflaume noch so, dass sie sich ziemlich saftig anfühlt.

Indiana Jones and the Temple of Doom / Indiana Jones und der Tempel des Todes
(Steven Spielberg, USA 1984) [blu-ray, OF] 14

fantastisch

Der Vorspann sowie der Prolog verbeugen sich direkt vor Busby Berkeley oder früheren Gangsterfilme wie SCARFACE. Aber auch der Rest des Films bleibt ein Melting Pot, in dem B-Movies der 1930 wie die Fu-Manchu-Filme und noch älterer Literatur wie die Kindergeschichten von Charles Dickens aufgehen … nur eben mit einem megalomanen Glanz und dem Willen eine große Oper daraus zu machen. Vor allem eine Oper in einer Wahnwelt mit sexueller Chemie … fast sogar mit Sex, nur werden stattdessen die Brüste der Statue einer nackten Frau gepackt, um in ein feuchtes, schleimiges Loch mit Fallen und Zähnen zu gelangen, in dem der Verlust des Verstandes wartet, der erst mit der Tötung des begehrten Objekts endet. Ein Film der Dr. Freud beglückt hätte.

Freitag 02.05.

Raiders of the Lost Ark / Jäger des verlorenen Schatzes
(Steven Spielberg, USA 1981) [blu-ray, OF] 12

großartig +

Spielbergs Bond-Film – nur gibt es ein einziges Bond- bzw. Jones-Girl, dafür jede Menge Ausgrabungsstätten, Tempel, Inschriften und Sand. So sehr unser Actionheld also von jungen Studentinnen in der Vorlesung angehimmelt wird, so ist sein Metier doch – oder gerade – nicht der Sex, sondern die Archäo – und Anthropologie, das (Besser-)Wissens. Oder anders: Steckt Bond gern seinen Penis in Veginas, steckt Indiana Jones gern Stäbe in staubige Steinlöcher, was ihn zum Schatz führt.

Hatari!
(Howard Hawks, USA 1972) [blu-ray, OF]

großartig +

Großwildjäger jagen und fangen in atemberaubenden aufgenommenen Sequenzen – der Dreck der Savanne fliegt einem förmlich in den Mund, und wer doch mitbekommen sollte, dass sein Sitz nicht wie die Jeeps vor einem irrsinnig wackelt, dürfte im ersten Moment irritiert sein – Tiere. Es sind die Nachwehen des Imperialismus Ende des 19. und Anfang des 20. Jahrhunderts, in dem Leute aus dem Westen nach Afrika kommen und nehmen, was sie bekommen können. Ein bisschen ist es auch, als spiele der Film Arche Noah. Nicht nur wird eine gewisse Quote von allen Arten gefangen, auch sind die Jäger ein bunt gemischter Haufen: zwei Iren, ein Deutscher, ein Franzose, ein Mexikaner, eine US-Amerikanerin. Für’s Karma muss ich demnächst aber doch mal wieder DAS KROKODIL UND SEIN NILPFERD schauen, wo es nicht ums Fangen, sondern das Freilassen von Tieren geht.
Frauen jagen und fangen Männer, Männer jagen und fangen Frauen. Und manchmal werden die Businessfrauen von ihren Elefanten(großen )Kindern wieder eingefangen, weil sie wie sonst in Filmen der Zeit nur Männer fliehen wollen. Das Paarungsverhalten der Männchen und Weibchen ist hier ein atavistisches Mysterium und ein Hort von Jux und Tollerei.
Vor allem aber ist dies das filmische Äquivalent zur Exotica von Les Baxter: eine grundlegende Entspannung ist zum Genuss mit vielen fremden Aromen angereichert.

Donnerstag 01.05.

¡Three Amigos! / Drei Amigos!
(John Landis, USA 1986) [stream, OmeU] 3

großartig

In seinen besten Momenten werden Pointen bereitwillig in den Sand gesetzt (Mailplane – ich will mir gar nicht vorstellen, wie das übersetzt wurde) oder Jahrhundertgags wunderbar umgesetzt (The Invisible Swordman – wie bei Mailplane muss ich lachen, wenn ich nur daran denke). Gerade einen Tag nach WISE GUYS finde ich ihn aber einen Tick zu gefällig. Weder übertreibt er es mit seiner Albernheit, noch wagt er größere Irritation.

The Dark Half / Stephen Kings Stark
(George A. Romero, USA 1993) [blu-ray, OF]

gut +

Die Verfilmung eines Romans, in dem ein Autor (King) mit den Geistern kämpft, die in ihm schlummern, mit seinem sich materialisierenden Alter-Ego, das durch kein Über-Ich zivilisiert wurde. Als Slasher ist sie oft wenig inspiriert und wenig blutig. Ein Mann taucht aus den Schatten auf und schwingt ein Rasiermesser. Spiegelungen und Zwillinge durchziehen den Film, irgendwas geschieht. Fern der eigentlichen Motive ist Romeros Film aber doch sensationell, wenn bei einer OP ein lebendiges Auge in einem Hirn gefunden wird oder vor allem wenn die Spatzen un- bzw. mythologisch halbwegs erklärt fliegen und den Bildschirm und die Tonspur mit Flattern fluten.
Es ist aber auch der Film einer Ehefrau (Amy Madigan), die erkennen muss, was in ihrem Mann (Timothy Hutton) schlummert. Nämlich die Verehrung einer Karikatur von Männlichkeit. Dieser erklärt, dass sein Alter-Ego mutig, geradeheraus und nicht peinlich sei. Dabei ist dieser pseudo-elegante Teddy-Boy-Verschnitt nichts anderes als eine Witzfigur, der verunsichert seine dicken Eier beweisen muss. Der packendere Horror des Films ist nicht, die Macht, die von dem ausgeht, was im Autoren schlummert, sondern wie lächerlich es ist und wie unfähig er scheint, es zu erkennen.

April
Mittwoch 30.04.

Champagner für Zimmer 17
(Erwin C. Dietrich, BRD/CH/I 1969) [DVD]

gut

Wir dürfen der Polizei beim Denken zuhören, ihnen beim Saufen und Pornohefteangucken im Büro zuschauen und erleben, wie sie Zeuginnen verantwortungslos in den Tod gehen lassen, während sie doch eigentlich einen Call-Girl-Ring zerschlagen wollen. In einer ungemein gemütlichen Geschwindigkeit. Dietrich scheint uns mürbe machen zu wollen, um uns dann doch mit surreal-kitschigen Interieurs und unnütz eingebautem erotischen Ausdruckstänzen, die Puff-Syndikatboss Hebrert Fux fast einschlafen, normale Touristen aber jubeln lassen, die Sinne zu rauben.

Wise Guys / Wise Guys – Zwei ausgeschlafene Jungs
(Brian De Palma, USA 1986) [stream, OF]

verstrahlt +

Das Problem des Films ist vll. auch, dass er zu einer Zeit entstand, als es Komödien wie TOP SECRET oder ¡THREE AMIGOS! gab. Gerade zu Beginn schafft es De Palma auch zuweilen fast schon diese Überdrehtheit zu erreichen – die Szene in der Danny DeVito das Auto des Mafiabosses starten muss, wie ein Vorkoster für Autobomben, ist einer der großen komödiantischen Momente der 1980er. Nur steuert der Film danach viel deutlicher in andere Gewässer, nämlich in eine allumfassende Zerstörung des guten Geschmacks. Mit Virtuosität werden Konzepte wie Funktionieren, Können und Timing zerstört. Der große Spaß des Films ist eben, wie alles krepiert und in die Hose geht. Doch wie DeVitos Figur, der, egal was er aus dem bisherigen hätte lernen müssen, doch wieder in die Casions rennt und Unsinn macht, lässt sich De Palma nicht davon unterkriegen, was alles schiefgeht und macht einfach kämpferisch und mit einer diebischen Freude an dieser Karambolage weiter. Hier und da habe ich gelesen, dass De Palma keine Komödie können würde. Ich glaube aber ganz im Gegenteil, dass De Palma einfach nur einen bizarren Sinn für Humor hat. Und es sind die die zwei Diopter-Splitscreens, die ihn als Regisseur verraten, sondern gerade dieser Humor, der schon in seinen frühen Filmen zu finden war.

Dienstag 29.04.

Tarzan and the Mermaids / Tarzan in Gefahr
(Robert Florey, USA 1948) [DVD, OmeU]

verstrahlt

Der Plot ist ein einziges hin und her. Überspannt dürfen die Leute zwischen Tarzans Wohnung, exotischen Vorposten der Zivilisation, einer abgelegenen, lateinamerikanischen Insel mit einem scheinheiligen Götterkult und dem (auch hier: eher lateinamerikanischen) Dschungel hin und herreisen. Und doch ist es ein einziges Feststecken in den ständig wiederverwendeten Bildern und einer Geschichte, die nicht vorankommt.
Die Produktion muss katastrophal gewesen sein. Stürme zerstörten die Kulissen in Acapulco, Sol Lesser, der Produzent, erlitt einen Herzinfarkt, jemand aus der Filmcrew wurde von einem Motorboot überfahren, ein Stuntdouble Weißmüllers kam ums Leben und dieser erlitt einen Sonnenbrand – was irgendwie erwähnenswert scheint. Es ist dem Film sichtlich anzusehen, dass nicht alles so gedreht wurde, wie es angelegt war. Die räumliche Kohärenz ist zuweilen ziemlich abenteuerlich und eigentlich fast schon surreal. Der Effekt ist, dass dieser Teil sich noch weniger als die zuvor in einer realen Welt abzuspielen scheint.
Das was Florey aber drehen konnte, sieht sagenhaft aus. Die Unterwasseraufnahmen (in einem ausstaffierten Pool), die Inseln, die Tempel, deren Götter, die irrsinnigen Sprünge von Klippen, der Sänger mit seinen absurden Songs: Es ist ein Fest der Schauwerte und des Guckens. Dieser letzte Tarzan-Film mit Johnny Weißmüller überwindet quasi alles, was dramaturgisch von Interesse wäre, und erschafft eine weiche, fiebrige Traumwelt.

Montag 28.04.

Piglet’s Big Movie / Ferkels großes Abenteuer
(Francis Glebas, USA 2003) [DVD] 3

ok

Ein paar kleine Ideen, die wie die Songs von Carly Simon mal mehr, mal weniger beliebiges Füllmaterial zu etwas Größerem – einer Filmreihe bzw. der Karriere einer Sängerin – bieten.

Sonntag 27.04.

Straume / Flow
(Gints Zilbalodis, LV/B/F 2024) [DCP]

gut +

Eine Katze schaut in den Fluss und erkennt sich langsam selbst. Ein Lemur schaut in einen Spiegel und erkennt nur das Bling Bling. Beide erleben mit einem Capybara, einem Sekretär und einem Hund ein esoterisches Abenteuer, während die Welt langsam vollständig überflutet wird. Es muss entschieden werden, was wichtig im Leben ist, vor allem wird und kann aber gestaunt werden: die Farben der Fische im Wasser, die mysteriösen Katzenstatuen und Tempel, die Bewegungen des Wassers und der erstaunlichen Lebewesen darüber und darin. Nur irgendwie wurde ich das Gefühl nicht los, dass das Konzept einen Tick zu übermächtig ist. Zurecht wurde der Film hier und da mit den Filmen des Studio Ghiblis verglichen … wo es dort aber eigentlich immer einen unaufgelösten Rest gibt, rumliegendes Zeug und Dinge, die sonst wie interpretiert werden können, aber nicht müssen, – zumindest bei den Filmen mit einer ähnlich entspannten Herangehensweise – ist hier alles viel klarer eingepreist. Und für einen symbolistischen Film schlägt er mir einfach zu wenig über die Stränge und ist schlicht nicht kitschig oder großspurig genug.

Die Schulmädchen vom Treffpunkt Zoo
(Walter Boos, BRD 1979) [DVD, ≠] 2

großartig

Junge Männer und Frauen sind ahnungslos, bzgl. dieses kuriosen Dings Sex. Sie versuchen erste Erfahrungen zu machen oder stellen anderen Unsinn mit ihren Körpern an. Mit den Elternhäusern kultiviert der Film zudem eine triste bundesdeutsche Realität. Im Kern setzt Boos die Report-Filme also fort, nur assimiliert er ein klein wenig die bittere Härte von CHRISTIANE F. Es werden nicht mehr nur wie bisher Spritzen (auf Klos) gesetzt, sondern auch heruntergekommen auf einem Moped durch die Großstadt gesaust und sich für Drogen verkauft. Selbstzerstörerischer Lebenschic, reißerische Morde in der Villa eines Schwulen, frivole Perversitäten und eine gespenstische Gruppenvergewaltigungen nehmen also mehr Platz ein und bedrängen die Spaßigkeit noch mehr als bisher. Zusammen ergibt es einen melancholischen Film von Jugendlichen – süchtig oder nicht –, die die besseren Wege, die klar vor ihnen liegen, einfach nicht einschlagen wollen. Die bittere Pille ist, dass das Heroin vll. gekickt werden kann, sich selbst kann aber nicht losgeworden werden.

Sonnabend 26.04.

I Was a Male War Bride / Ich war eine männliche Kriegsbraut
(Howard Hawks, USA/UK 1949) [blu-ray, OF]

großartig

Die Screwball-Komödie eines Mannes, der sich von der Potenz einer Frau bedroht fühlt und deshalb im Nachkriegsdeutschland mehr an ihr zu beißen hat als an seinem Auftrag – irgendwas mit Schwarzmarkt. Howard Hawks und Cary Grant: Es ist ein ganz klassischer Film, in dem wir bekommen, was wir erwarten … und doch wirkt es wie der Gegenentwurf zu BRINGING UP BABY – Ann Sheridan ersetzt Katharine Hepburn. Ganz entspannt wird hier nämlich durch den Nervenzusammenbruch geführt und die Zurückhaltung des Vulkans genossen. Früh kommt die Liebe und wenn es fast schon zu gemütlich wird, beginnt auch noch die Bürokratie Grant zu entmannen. Er muss sich zur Ehefrau eines heimkehrenden Soldaten erklären, um in die USA einreisen zu dürfen. Und der wohltemperiert schrille Film dreht doch noch durch.

Freitag 25.04.

Havoc
(Gareth Evans, USA/UK 2025) [stream, OF]

gut +

In Hongkong wurde sich auch stets bei den Hollywood-Actionkrachern der 1980er bedient, nur wurde dabei einen feuchten Kehricht auf ein gutes Drehbuch gegeben. Evans macht sowas wie einen Hongkong-DIE-HARD, das mit einem viel zu gewichtigen Drehbuch ausgestattet ist. Mehr dazu auf critic.de.

Donnerstag 24.04.

Stützen der Gesellschaft
(Detlef Sierck, D 1935) [blu-ray]

großartig

Gegen Ende nehmen die groben Ellipsen zu. Leute tauchen unvermittelt in B auf, obwohl sie gerade noch in A waren, uswusf. Und ich weiß nicht, ob bei der digitalisierten Kopie Teile fehlten oder ob Sierck das Ende und damit die Moral nur hinter sich bringen wollte. Die Adaption eines Stücks von Ibsen ließ zuvor eben gar nicht erst alle möglichen Dramen ausbrechen, sondern konzentrierte sich auf die tragische und moralische Niederwerfung des Konsuls Bernick (Heinrich George), eines Heuchlers.
Erzählt wird die Geschichte einer Verdrängung. Bernick verdankt seinen Reichtum und sein Ansehen Lügen und der Verleumdung Unschuldiger – nur sind sie zum Glück weit weg, in Südamerika. Doch nicht nur die sirksche Raumdekoration wird sich gallig gegen ihn wenden, sondern auch die weggeschobene, vergessene Schuld wird wiederkehren und ihn brechen.
George gibt Bernick den Körper eines Monuments. Der Konsul lässt zwar eine Büste von sich mitten in der Stadt aufstellen, aber im Körper seines Darstellers findet er die massivste Statue seiner selbst. Nur wenn er auf einen persönlichen Leidtragenden seines Handelns trifft, wird er weich und nachgiebig. Denn er ist nicht wirklich böse und skrupellos, sondern ein eingebildetes Kind, das zu Notlügen greift, um das eigene Selbstbild zu retten. Am beeindruckendsten ist, wenn sich der drucksende, weiche Kindmann mit den sanften Augen aufstellt und zur Säule seiner eigenen Potenz wird, sobald jemand seine Gewichtigkeit anzweifelt.

Mittwoch 23.04.

The Black Dahlia
(Brian De Palma, USA/F/D 2006) [blu-ray, OF] 2

ok +

Wahrscheinlich war es keine gute Idee, die Verfilmung des Romans zu schauen, den ich gerade zu Ende gelesen habe. Nur hatte das Buch so gar keine Erinnerung an den Film erwecken wollen, den ich vor ein paar Jahren so gern geschaut hatte. Das große Problem war vor allem, dass ich jetzt verstand, was los war, während ich bei der ersten Sichtung höchstens ahnte. Während ich vorher also durch eine Alptraumwelt gezerrt wurde, in der hinter allen Ecken und Treppenabsätzen diabolische Gesichter lauern konnten, die einen aus unbekannten Gründen erdrosseln wollten, schreiende Frauen hinter Häusern auftauchten, die etwas schrecklich gesehen hatten, wo Mafiosi einen ohne Vorwarnung im Feuerofen entsorgen, weil es eben so üblich scheint, da konnte ich mir nun einen klaren und einfachen Reim daraus machen und der Schauer erstickt unter den Erkenntnissen.
Oder anders: Gerade, wenn De Palma Irritation orchestriert, dann ist der Film weiterhin sensationell, wenn er aber versucht den Schlingen des mäandernden Romans zu folgen, dann funktioniert kaum etwas … und leider macht zweites den größten Teil aus. Gerade dass die erste Stunde des Films den Roman mit wenigen Eingriffen fast gänzlich übernimmt, sorgt dafür, dass die zweite Stunde gnadenlos verdichten und verknappen muss. Mit wenigen Ausnahmen heißt das, dass alles einer rigorose Zielführung und Verwerfung diverser aufgebauten Potentiale bedeutet. Scarlett Johansson wird bspweise als undurchsichtige, möglicherweise höchst perverse Figur eingeführt, nur wird ihre Kay Lake dann zur Hausfrau gezähmt, die von Männern in großen Dialogen Dinge fordert. Überhaupt kämpft der Cast eher, als dass er spielt … und jemand wie Aaron Eckharts Lee Blanchard gleicht eher einer Gardine, die vom Plot hin und her gewedelt wird, ohne dass es irgendwie interessant wäre. Vor allem ist das vergilbte Grading des Films mehr als zweifelhaft. Schade eigentlich.

Dienstag 22.04.

Amer
(Hélène Cattet, Bruno Forzani, B/F 2009) [blu-ray, OmU] 2

großartig

Der Film besteht aus drei Teilen, die aufeinander folgen und, wenn die Aufteilung auch nicht ganz symmetrisch ist, so doch grob jeweils eine knappe halbe Stunde ausmachen:
1. Ein junges Mädchen sitzt in einem Alptraum fest. In ihrem weiten Kinderzimmer ist sie den Blicken aus dem Nebenzimmer, in dem eine Hexe zu leben scheint, ausgesetzt, während auf der anderen Seite die Eltern wild kopulieren. Tod und Sex ergeben ein ungemütliches Zauberreich der Belagerung und des beklommenen Forschens.
2. Das Kind, nun eine Jugendliche, entflieht der elterlichen Aufsicht in der Tristesse einer Jahrhunderte alten, steinigen, engen Dorfgasse und trifft in der erreichten Weite auf Rocker, die ein bedrohliches sexuelles Begehren in ihr wecken.
3. Die Jugendliche, nun eine Frau, kehrt in die inzwischen leerstehende Villa ihrer Kindheit zurück. In dieser jagt sie ein lederbehandschuhter Killer – falls es sie nicht selbst ist, die hier die Rasierklinge an die Hälse anlegt. Erst der Tod stillt die Begierde.
Im Treppenhaus des Hauses hängt ein großes Portrait von Sigmund Freud. Cattet und Forzani machen es sich also zum Spaß auch noch darauf hinzuweisen, dass ihr Film vor allem ein psychologisches Vexierspiel bereithält, das sich aus impressionistischen Motiven des Unbehagens an der Grenze von Gefahr und Sexualität zusammensetzt.
In dem ersten Teil durchsucht das Mädchen den Raum, in dem ihr toter Großvater aufgebahrt liegt. Ständig wird zu den geschlossenen Augen der Leiche geschnitten. So wie damit die Bedrohung akzentuiert wird, ist es keine Möglichkeit, dass er irgendwann die Augen öffnet, sondern eine Frage der Zeit. Die Welt der Frau in allen drei Zeitebenen ist so nie eine sichere oder idyllische, die irgendwann zerstört wird, sondern von Beginn an ein Ort der Auslieferung an Augen, Hände und Klingen. AMER ist dadurch ein wenig eindimensional in seiner ständigen Intensität, intensiv ist es aber eben doch.

Cattet-Forzani-Kurzfilm-Collection
(Hélène Cattet, Bruno Forzani, B 2001-2004) [blu-ray, OmU]

tba.

Catharsis (2001) – nichtssagend
Chambre jaune (2002) – ok +
L’étrange portrait de la dame en jaune (2004) – ok
La fin de notre amour (2003) – gut
*****
Die frühen Kurzfilme sind noch nicht mit den klassischen Soundtracks aus Italo-Western und Gialli unterlegt. Überhaupt ist das Stilpastiche noch sehr dezent. Die Filme zeigen so eher rumplige Versionen der kommenden Werke der beiden Regisseure – manche sind sehr rumpelig –, aber auf gewisse Weise auch die Essenz des Kommenden, die Sexualisierung der Durchtrennung von Körpergrenzen.
Fast alle sind dabei ganz oder zum großen Teil Stop-Motion-Filme. In dem Fall heißt das, dass wir von Foto zu Foto springen, die Teile einer Bewegtbildeinstellung hätten sein können und einfach nur einzelne Momente aus dieser herausgreifen. Beispielsweise statt einer Tür die aufgeht und jemand erscheint in ihr, drei Bilder: Tür – offene Tür – Person in der Tür. In den Langfilmen der beiden gibt es das zwar nicht mehr in dieser Reinform, aber trotzdem fühlte es sich sehr vertraut an. Dort spielen sie viel mehr mit statischen Großaufnahmen, zwischen den gesprungen wird, und Zooms oder kurzen Bewegungen innerhalb der Einstellung, mit denen innerhalb des Bilds gesprungen wird. Aber auch dort sind die Bilder fest definiert und zeigen uns filmische Verliese, die vom Schnitt rhythmisiert werden.

Montag 21.04.

Appointment with Death / Rendezvous mit einer Leiche
(Michael Winner, USA/UK/ISR 1988) [DVD] 2

großartig

Ustinov bekommt kaum Platz für seine Poirot-Schau, dafür ist es ein Fest exzentrischer Kameraeinstellungen und exzentrischer Personen.

Schulmädchen-Report 12. Teil: Wenn das die Mammi wüßte
(Walter Boos, BRD 1978) [digital]

gut

Die eine zwangsläufige Episode, in der eine junge Frau die sexuellen Übergriffe eines vorgetäuschten Arztes zu genießen beginnt, ist schon blöd. Ansonsten gibt es gerade für Boos wenig verklemmtes Brustgehopse, sondern Non-Stop-Nonsense inkl.:
– eine irre Sequenz, in der eine junge Frau mit den eifersüchtigen Vorstellungen des Liebeslebens ihres Bruders verschmilzt und ihn damit in den Tod treiben wird.
– der Horror eines zerrütteten Haushalts, der eine junge Frau in Perversion – was sie darunter versteht, im Grunde aber einfach Lust an der Lust –, Prostitution und Drogensucht abgleiten lässt. Die Plansequenz, in der sie ihren erhängten Bruder findet, ist fast schon so düster wie SEARCHING von John Krish.
– die absurde Landpartie einer Schulklasse, die über anschauliches Lehrmaterial von den Schweinen zu einer kopulierenden Klasse im Heu führt.
– das eine Bild aus der Saune, wohin ein französischer Austauschschüler vor den ihn verfolgenden Frauen geflohen ist, die ihn aber auch hier belagern, während im Hintergrund ein schmerbäuchiger Mann sitzt.

Sonntag 20.04.

Astérix et Cléopâtre / Asterix und Kleopatra
(René Goscinny, Albert Uderzo, F/B 1968) [blu-ray] 8

großartig

Mit seinen Songs ist dies ein Ausreißer unter den Asterix-Filmen, der hier und da auch weiter experimentiert. Zum Beispiel wird versucht neue Piraten zu installieren, aber weder in den Heften, noch in den Filmen werden sie wieder auftauchen.

Only Angels Have Wings / S.O.S. Feuer an Bord
(Howard Hawks, USA 1939) [blu-ray, OF]

fantastisch

Ein Film von Kameradschaft und Männern, die ihre Leben für unbedeutende MacGuffins (die Post) riskieren. Nur dem größten Abenteuer gehen sie aus dem Weg, der Liebe und den eigenen Emotionen.
Hawks steckt die Piloten, die ständig fliegen und den es um Freiheit geht, in beklemmender Enge fest. Die Anden bleiben ein Wort, das nur hier und da mit einem Condor ausstaffiert wird und das lediglich synonym für unwägbare Gegenden, Nebel und eine Endstation steht. Jeder Flug scheint ein Akt des Wahnsinns zu sein, um die Station, den mehr oder weniger einzigen Handlungsort, zu verlassen und in die Dunkelheit, die Einsamkeit und das üble Wetter aufzubrechen.
Sein Film ist aber nicht klaustrophobisch, sondern eine launige (De-)Konstruktion eines verunsicherten männlichen Gefühlshaushalts, einen rumpligen Abenteuerspielplatz mit Musiknummern, Dopplung von Paaren sowie Frauen und Wiederholungen (Kopfwaschungen oder Münzwürfe). Frauen werden zu Männern, Männer zu Frauen, und die Liebe ist erst möglich, nachdem der beste Freund des Mannes stirbt.

Sonnabend 19.04.

Man’s Favorite Sport? / Ein Goldfisch an der Leine
(Howard Hawks, USA 1964) [blu-ray, OF] 4

großartig

Abigail Paige (Paula Prentiss) hat damit zu kämpfen, einen Mann mit Kastrationsängsten einzufangen. Am Ende stellt sie ihm eine Falle, in der er sich männlich fühlen kann. Im Vergleich zu den früheren Hawks-Komödien ist es fast schon geriatrisch. Dafür ist diese Entspannung ein Hort anzüglicher Symbole:
– Roger Willoughby (Rock Hudson) gibt Ratgeber raus, wie man/Mann richtig angelt. Seine Fähigkeiten, mit langen Ruten umzugehen, sind aber nur vorgetäuscht. Und sein Zelt kann er auch nicht aufstellen. Er ist König all der männlichen Schwindler, die ihre Identität – oder den Besitz von Haaren – nur vortäuschen.
– Abigail Paige wird häufig mit Fischen gleichgesetzt und hat dann auch noch einen Fisch in der Hose.
– zwei sich liebende Dominatoren (Abigail und Roger) küssen sich, worauf zu zwei Lokomotiven – d.i. zwei Penissen – geschnitten wird, die kollidieren. Es ist eine Liebe ohne Tunnel.
Ein wunderbares Alterswerk also.

Freitag 18.04.

O Brother, Where Art Thou?
(Joel Coen, USA 2000) [DVD] 7

verstrahlt

Das White Washing der Südstaaten, in denen der Klan nur eine Kuriosität ist und wo niemand Probleme mit Rassenmischung hat, wenn nur gute Musik gemacht wird, ist schon eine Abscheulichkeit, aber ansonsten gibt es leider nichts, in dem ein Film wie SINNERS, der zumindest in diesem Punkt glänzt, mithalten könnte.

Snow White and the Seven Dwarfs / Schneewittchen und die sieben Zwerge
(David Hand, USA 1937) [blu-ray] 4

gut

Wahrscheinlich ein sehr persönliches Problem, aber ohne die Zwerge und ihre ausgestellte Erziehung wäre dies sehr wahrscheinlich ein Meisterwerk.

La Femme infidèle / Die untreue Frau
(Claude Chabrol, F/I 1969) [DVD, OmU] 2

großartig

Das Remake (siehe 10. Januar) konzentriert sich mehr auf die Perspektive der Frau und ihre sexuellen Bedürfnisse – wie Adrian Lyne sie versteht. Hier wird diese Subjektivität nur angerissen. Sie (Stéphane Audran) ist die Puppe, die in eine Eheroutine eingesperrt wurde. Dass ihr Mann (Michel Bouquet) kein sexuelles Interesse mehr an ihr hat, hat Chabrol jedoch in ein tristes Monument des Verzichts gegossen. Und dadurch, dass ihre Sicht ausgelöst ist, dadurch, dass wir nur ahnen können, was ihr Lächeln am Ende bedeutet, wird sie vieldeutiger und interessanter … und eben weniger festgelegtes Objekt der Inszenierung.
Chabrol, der Hitchcock hier etwas zu oft zitiert (PSYCHO) und einen Kommissar sich ständig diabolisch wissend an die Nase greifen lässt, belässt es beim Gerüst seiner Vorlieben. Die Destruktion der bürgerlichen Ehe trägt der Film deshalb etwas zu offen am Revers. Aber die Kamerafahrten, die Tristesse, die surreale Nichtwelt des kunstvoll eingerichteten Schlafzimmers die Fragmentierung der Frau, die teilweise zu spät ins Bild läuft, sind schon ziemlich mega.

Donnerstag 17.04.

Humain, trop humain / Menschliches, Allzumenschliches
(Louis Malle, René Vautier, F 1974) [blu-ray, OmU]

großartig

Als Bonus zu ACHT STUNDEN SIND KEIN TAG das Essay über die Arbeit in einem Autowerk. Verschiedene Stationen werden ohne Erklärung gezeigt … und manche Arbeit verlangt etwas Kunstfertigkeit, wenn bspweise auf eine Kofferraumtür gehämmert werden muss, bis sie richtig schließt, gerade zu Beginn und Ende müssen die Arbeiter – Menschen wie Roboter, von Maschinen nur durch die Schnuten zu unterscheiden, die sie ziehen – aber kleinste Handgriffe endlos wiederholen. Zwischendrin: eine Automesse, Gerede und Klugscheißer.

Mittwoch 16.04.

Tarzan and the Huntress / Tarzan wird gejagt
(Kurt Neumann, USA 1947) [DVD, OF]

ok

Cheeta und Boy werden von der Moderne verführt. Sie verraten die Schönheit der ständigen Tieraufnahmen für einen Kompass respektive für eine Taschenlampe an die üblichen lokalen Königsmörder und Agenten einer verdorbenen Moderne (Großwildjäger).

Sinners / Blood & Sinners
(Ryan Coogler, USA 2025) [DCP]

ok

Für den Rest des Monats habe ich endlos John Fahey gehört. Mehr ist aber irgendwie nicht geblieben. Mehr dazu bei critic.de.

Dienstag 15.04.

Drei Männer im Schnee
(Kurt Hoffmann, A 1955) [blu-ray]

großartig

Identitäten werden bei einem Urlaub vertauscht. Ein Multimillionär (Paul Dahlke) wird für einen Habenichts gehalten und erfreut sich daran, mal wieder wie ein solcher behandelt zu werden. Ein Arbeitsloser (Claus Biederstaedt) – aber kein Lumpenproletarierer, sondern ein Promivierter, bei dem das Wirtschaftswunder noch nicht greift – wird für einen Multimillionäre gehalten und genießt widerwillig verwöhnt zu werden. Ein Butler (Günther Lüders) muss so tun, als sei er wohlhabend. Es ist ihm aber eine Qual nicht dienen zu dürfen, sondern Skifahren zu müssen.
Während sie die Klassenunterschiede aufheben, schneit es, weil das Weiß des Schnees alles gleich macht und ein Märchenwunderland – mit irrealen Telefonzellen und feuchtfröhlichen Skifahrdesastern – entstehen lässt. Und in diesem Lustspiel, in dem ständig Verbrüderung getrunken wird, verbünden sich die bald unzertrennlichen Freunde eines Urlaubs gegen die Aasgeier, die auf die Aufrechterhaltung von Klassentrennung bestehen.
Zwischen dem manierlich-expressiven Schauspiel des restlichen Casts ist Biederstaedts Lächeln eine Zuckerbombe. In einem Fort betont es seine Unschuld. Imho wirkt es gerade deshalb immer so bedrohlich.

Sonntag 13.04.

Murder by Death / Eine Leiche zum Dessert
(Robert Moore, USA 1976) [DVD] 6

gut +

Die erste Hälfte fand ich wie immer mega, die zweite Hälfte, in der der Film in den patzigen Trollmode schaltet und nicht mehr liebevoll parodiert, schien mir dieses Mal so, als habe ich sie mir bisher schöngeredet. Vll. störte mich aber auch, muss ich zugeben muss, die überdrehte Misogynie von Sam Diamond/Sam Spade (Peter Falk) in Anwesenheit von Lotti Z. (9 Jahre) ein wenig – weshalb mein Eindruck mit Vorsicht zu genießen ist.

Casualties of War / Die Verdammten des Krieges extended cut
(Brian De Palma, USA 1989) [blu-ray, OF] 2

gut +

Ennio Morricones Soundtrack ist sensationell, nur nicht für diesen Film. Schon wieder wird mit einer Panflöte das Selbstmitleid von Männern gezeichnet, die die Vergewaltigung einer Frau verarbeiten müssen – und dafür ist dieses grimmige Portrait militärischer Strukturen irgendwie der falsche Platz, und eigentlich ist es an sich schon schlimm.

Sonnabend 12.04.

3 x Ehe m
(Detlef Sierck, D 1935) [blu-ray]

gut

In Douglas Sirks RASHOMON – gesehen in der Stummfilmversion – wird jeder Wahrheitssuche schließlich der Mund verboten, weil es in Ehen nicht darum gehen soll, Recht zu haben, sondern Kinder zu bekommen.

El Dorado
(Howard Hawks, USA 1966) [blu-ray, OF]

großartig +

Robert Mitchum hat sichtlich riesigen Spaß daran, mal einen Comic-Relief-Sidekick zu spielen und stellt sogar Arthur Hunnicutts skurrilen Western-Kautz ein wenig in den Schatten. Und James Caan wird zwar als Running Gag durch seinen Hut entstellt, aber schon damit, wie er sich bewegt und wie er schaut, kommt er nicht wie eine Bigger-Than-Life-Filmfigur daher, sondern wie ein normaler, kleiner (affektierter) Mensch, womit er ein wenig Fremdkörper ist, aber eben auch schon Richtung New Hollywood weist. Und ein John Wayne Western, der als RIO BRAVO mit etwas mehr Perspektive auf Frauen beschrieben werden kann, ist es auch noch.

Rio Lobo
(Howard Hawks, USA 1970) [blu-ray, OmeU]

großartig

Die riesige Exposition ist ziemlich ok, wenn dann jedoch Jack Elam von der Leine gelassen wird und er wie später bei THE CANNONBALL RUN einen ungläubig mit dem Gedanken zurücklässt, dass er mal ein ernstzunehmender Schauspieler war, dann bleibt kein Auge trocken. Vor allem aber ist es Howard Hawks WUNDERSCHÖNER, in dem Frauen Cowboys erklären, dass es nicht ok ist, sie zu begrapschen.

Der eingebildete Kranke m
(Detlef Sierck, D 1935) [blu-ray]

ok +

Louis de Funès ohne Adrenalin ist gleich Erhard Siedel. Vll. ließe es sich auf die Gleichung bringen, beide spielen ähnliche Rollen in ihren jeweiligen Molière-Verfilmungen, nur ist der eine pure Konfrontation, während der andere pausbäckig doch eigentlich kein Arg möchte, wenn alle nach seiner Pfeife tanzen sollen.

His Girl Friday / Sein Mädchen für besondere Fälle
(Howard Hawks, USA 1940) [blu-ray, OmeU] 2

großartig

Bewusst möchte Hildy (Rosalind Russell) ein ruhiges, geregeltes Leben als Frau in einer Ehe, sobald sie aber Adrenalin und Fabulierlust in ihrer alten Zeitungsredaktion wieder packen, sieht es ganz anders aus. Oder: Hier der klare, gesellschaftlich anerkannte Ort in einer Familie, dort die Lust, die Realität formen und mitbestimmen zu können. Bzw.: Hier die Gelackmeierten, die den Anstand wahren und auf ihr Glück warten – Hildys Verlobter und ihre Schwiegermutter –, dort die, die es in die Hand nehmen.
Es beginnt mit einer schönen, kunstfertigen Plansequenz. Danach spielt der Film mehr oder weniger an wenigen eng umgrenzten Handlungsorten, in denen aber mit Maschinengewehrmündern gesprochen und die Kunst zu Telefonieren Im Dschungel schwarzer Phalli (den Telefonen) zelebriert wird.

Freitag 11.04.

L’Étrange Couleur des larmes de ton corps / Der Tod weint rote Tränen
(Bruno Forzani, Hélène Cattet, B/F/L 2013) [blu-ray, OmU]

großartig

Diese präzise, aber eskalierende Stilnachstellung der Gialli lässt den Plot, den es damals in Italien halt doch immer noch gab, fahren. Alles, was wie ein Zusammenhang in der Handlung erscheint, ist im Grunde nur die paranoide Behauptung des Zuschauers. Stattdessen gibt es eine Ansammlung von Motiven bzgl. Blut, geistiger Umnachtung, Haut durchfahrenden Klingen, das Durchstoßen von Körpern – durch eine Körperöffnung hinein, durch eine Wunde hinaus. Der Plot fällt, wie auch das körperliche und geistige Korsett zerstört werden, in einer endlosen, sinnlichen Spirale des Zerfließens in nie nachlassender Intensität.

Acht Stunden sind kein Tag (Episode 5) Irmgard und Rolf
(Rainer Werner Fassbinder, BRD 1972) [blu-ray]

großartig +

Den Abschluss bildet eine abermals etwas didaktische Folge, aber Klaus Lowitsch als vorausdenkender Unternehmenschef, das Essen, bei dem ein einfache Frage gestellt werden soll, die Liebenden, die sich trauen, und das Ende, bei dem die Arbeiter langsam zu verstehen beginnen, dass sie nicht gewonnen, sondern sich selbst übers Ohr gehauen haben, bieten wieder so viel bitteren zwischenmenschlichen Schabernack, dass es eine Freude ist.

Τοπίο στην ομίχλη / Landschaft im Nebel
(Theo Angelopoulos, GR/F/I 1988) [DVD, OmU]

ok

Ein elegisches, absurdes Roadmovie über zwei Kinder, die über den Balkan wandern, auf der Suche nach etwas, das es nicht gibt. Mit melancholischer Musik, absurden Tableaus, Nebel und Regen bildet Angelopoulos eine Sammlung seltsamer, trauriger, verlorener Bilder. Und um die Tristesse noch trister zu machen, um halt noch etwas dieser Galerie zuzufügen, wird ein leidendes Pferd real von einem Auto über eine matschig-vereiste Straße geschleift. Nur um nochmal einer Fröhlichkeit woanders im Bild etwas Bitteres entgegenzustellen. Später wird ein Mädchen vergewaltigt. Nicht weil es davor und danach sonderlich eine Rolle spielen würde, sondern nur um nochmal schnell etwas zu zerstören und sich dann an der Trauer zu laben. Diese faule Niedertracht der beiden Momente – was anderes will sich mir da nicht zeigen – reißt die Qualitäten des Films in den Abgrund, das virtuose Auge für die Tristesse, … gerade weil der Rest nicht so viel anders funktioniert. Zumindest die New-Wave-Punk-Disco ist mega.

Zwei Windhunde m
(Detlef Sierck, D 1934) [blu-ray]

großartig

Kapitalismus ist Lug und Trug, und der beste Investor ist der, der kein Geld hat, aber davon ausgeht, dass andere schon für ihn einstehen werden: Eine kleine Schrulle.

Donnerstag 10.04.

Acht Stunden sind kein Tag (Episode 4) Harald und Monika
(Rainer Werner Fassbinder, BRD 1972) [blu-ray]

fantastisch

Eine Komödie verliebter Heiratswilliger, denen ein Panoptikum fürchterlicher, dysfunktionaler oder gerade etwas schwieriger Ehen und Beziehungen vorgesetzt wird – selbst Sanftmut-MVP Gregor (Werner Finck) muss für dieses Vorhaben ungehalten sein. Am Ende findet aber sogar Kurt Raabes Vampirkleinbürger sein Herz.

Wunderschöner
(Karoline Herfurth, D 2025) [DCP]

großartig

Am Ende müssen die Männer brave aufsagen, dass sie sich mehr anstrengen, damit es überhaupt ein Happy End geben kann, damit der Pessimismus davor doch noch irgendwie gebrochen werden kann. Etwas viel Botschaft vll., aber Karoline Herfurth hat vor allem ein gutes Auge für die Unsicherheiten ihrer Figuren.
Nora Tschirner ist hier übrigens ausgiebig in einer Zeitlupe zu sehen. Es funktioniert nicht, weil sie keine Zeit braucht, sondern Energie.

Mittwoch 09.04.

Acht Stunden sind kein Tag (Episode 3) Franz und Ernst
(Rainer Werner Fassbinder, BRD 1972) [blu-ray]

großartig +

Etwas weniger ist los als in den vorherigen Folgen, etwas zu sehr wird sich auf die Beschwörung des Arbeiterklassenethos und von Zusammenhalt konzentriert. Aber wenn Franz (Wolfgang Schenck) sich im Suff um Kopf und Kragen redet, Oma eine neue Oma besorgt, mit der ihr Schwiegersohn (Wolfrid Lier) nach ihrem Auszug zanken kann, wenn Rüdiger (Herb Andress) nach seinem Verrat im Regen steht, dann kann sich eigentlich nicht beschwert werden, dass dies keine abermalige Sause wäre.

The Last Showgirl
(Gia Coppola, USA 2024) [DCP, OmU]

gut +

Rauschige Bilder, die gerade zu Beginn ein wenig zu nah sind – wenn Pamela Anderson und Jamie Lee Curtis im Verhältnis zu ihrer Umwelt, zu Las Vegas, zu einer Welt von Glamour- und Jugendwahn stehen und wenn sie aus dieser herausstechen, ist der Film am besten und am gelöstesten.
Erzählt wird eine Form von Drogendrama. Shelly (Anderson) hat als Showgirl nämlich einen Platz gefunden, an dem sie sich mag und wohlfühlt. Im zunehmenden Alter und als gescheiterte Mutter wird sie aber nun von allen Seiten bedrängt anzuerkennen, dass der Traum aus ist, dass es ihre Droge nicht mehr für sie gibt. Dass ihr Traum schon immer verrottet war. Über die Laufzeit kämpft sie – mit derselben sanften, hohen Stimme wie Marilyn Monroe, die keinen Argwohn wecken möchte, mit Verhaspelungen, die sie als völlig ungefährlich inszenieren, als nie erwachsen gewordene Egoistin. Der Film zerreißt sie nach und nach, aber nicht, weil er ihr ihre Fehler vorrechnen möchte, sondern mit ihren Schwachpunkten in ihrem Don Quichote-Kampf um Weiterleben ihres Traums durch eine glitzernde Welte gleiten lässt, die sie nicht mehr haben möchte.
Persönliche Anmerkung: Kiernan Shipkas Rolle hätte ruhig größer sein dürfen.

Dienstag 08.04.

Acht Stunden sind kein Tag (Episode 2) Oma und Gregor
(Rainer Werner Fassbinder, BRD 1972) [blu-ray]

fantastisch

Ein Pendel zwischen sozialem Horror, alberner Komödie, tiefer Kummer und kleinem Glück. Vom Italo-Western-Striptease mit Liebeskummer zur Demo, bei der eine Horde Kindergartenkinder die Gänge einer Stadtverwaltung von oben bis unten anmalen, bis hin zu zwei Rentnern, die sich eine Aufgabe suchen und beschwingt durch die Straßen Kölns hüpfen. Und wie gesagt, hinter dem fröhlichsten Moment lauern stets die trostlosen Gefühle, nur wartet auch hinter den bitteren Moment der heitere Widerstand – es ist die Utopie der Serie.

Ο Μελισσοκόμος / Der Bienenzüchter
(Theo Angelopoulos, GR/F/I 1986) [DVD, OmU]

gut +

Marcelo Mastroianni spielt Spyros, einen Miesepeter, der nicht erst gefragt werden muss, welche Laus ihm über die Leber gelaufen ist, weil ihn sichtlich alles nervt. Es ist Frühling, die Kinder sind aus dem Haus, das Vatersein ist abgewickelt – also kann er auch seine Frau hinter sich lassen. Die Blumen blühen, seine Bienen müssen zu ihnen gebracht werden – also bricht er in ein Roadmovie auf. Nur ist es stets diesig, die Sonne bricht nie durch, seine Bienenvölker sterben nach und nach, er fährt sie nur hin und her, stellt sie ab, genießt nichts am Vorgang – er tut seine Pflicht als einer der letzten seiner Art. Nirgends will sich Freiheit/Befreiung oder der Weg, der ein Ziel ist, einstellen. Schnee, Regen und Wind, verlorene Kindheiten, die Dreistigkeit der Jugend, die unverschämterweise voller Lebenswille ist: Spyros steckt im Alter fest und ist verloren in einer Gegenwart, die ihn nicht braucht, die kein dritter Frühling sein will.
Unterwegs liest er eine junge Frau (Nadia Mourouzi) auf. Vom Alter könnte sie seine Tochter sein, weshalb lange nicht klar ist, ob er ihn eine Ersatztochter gefunden hat oder ob sie die unheimlichen Gefühle in ihm weckt – oder dubioser Weise beides zusammen. Aber Mastroianni wurden nicht umsonst gecastet. Blut, Sex und Popmusik dringen jedenfalls mit ihr in den Film. Diese bringen aber kein Leben, sondern potenzieren Frust und Kummer des alten Mannes.
Ich muss gestehen, dass ich mich auf einen Bienenzüchter gefreut hatte, aber ich wurde wie Spyros enttäuscht. Stattdessen bekam ich ein fast schon klassisches US-amerikanisches Roadmovie – nur mit den Mitteln Angelopouloses. Der Film ist tief traurig, er schießt die Botschaft aber auch aus allen Rohren. Gleich die erste Einstellung zeigt einen Tisch, ein trostloses Testament einer unterbrochenen Party, die durch den Regen nach innen fliehen musste. Dazu klimpert ein Klavier extradiegetisch traurige vor sich hin. Doppelt und dreifach wird die Schwermut unterstrichen. Bei aller Schönheit und Wahrheit des Ganzen, bei allen garstigen Ausbrüchen, peinlichen Begebenheiten und Überspannung bis ins Absurde ist es mir doch zu sehr ein Trauerkloß.

Montag 07.04.

Acht Stunden sind kein Tag (Episode 1) Jochen und Marion
(Rainer Werner Fassbinder, BRD 1972) [blu-ray]

fantastisch

Schon der Auftakt – der Loriot-Sketch der Geburtsfeier einer Oma (Luise Ullrich – Star Hochbaums VORSTADTVARIETÉ und Ophüls‘ LIEBELEI), in dem Kinder geschlagen werden – fühlt sich wie der Schlag in die Fresse Fernsehdeutschlands an. Mit gammligen von Praunheim-John-Waters-Kitsch, beschwingtem Jux, fröhlichen Sympathen, bitteren menschlichen Abgründen, sozialem Terror über die zwischenmenschliche Kälte in Deutschland und didaktischer Erklärung des Klassenkampfs ist dies quasi die Sesamstraße für das Proletariat. Die Anzahl der menschlichen Bestien (Kurt Raab als düsterer Graf von Zahl, Irm Hermann, Herb Andress) ist zwar gering, aber durch die Fabriken, Ämter und tristen Restaurants, in denen sich alles selig gesoffen wird, durch das Festsitzen in einer gesellschaftlichen und inszenatorischen Stasis ist der Strom von Trauer und Verbitterung noch unter den fröhlichsten Abschnitten der Erzählung enorm.

Schulmädchen-Report 8. Teil: Was Eltern nie erfahren dürfen
(Ernst Hofbauer, BRD 1974) [digital, ≠]

ok +

Wie kann daraus schlau geworden werden? Einerseits ist es der entspannteste der bisherigen Report-Filme, die ich bisher sah, der kaum an fiesem Kram interessiert ist, der vll. sogar sowas wie sexpositiv gegenüber und für junge Frauen ist, andererseits steht er aber auch eher auf der drögen Seite der Dinge, bei dem es schon bemerkenswert ist, wenn ein Spanner mal sehenswert in einen See geworfen wird.

Sonntag 06.04.

La Flor
(Mariano Llinás, ARG 2018) [blu-ray, OmU]

großartig +

Ein Film, sechs Geschichten (mit den jeweils gleichen vier Schauspielerinnen in den unterschiedlichen Hauptrollen – oder auch nicht), eine Handvoll Genre, vierzehn Stunden und fünfunddreißig Minuten Laufzeit (inklusive Gebrauchsanweisungen, die uns Llinás von der Bank eines Rastplatzes aus gibt, mit Musik choreographierten Pausen und einem monumental langen Abspann).
1. Im Horrorfilm nimmt jemand die Augen einer Mumie an sich. Eine Katze und eine Frau agieren nach Kontakt mit dieser wie besessen – wenn sie nicht schlafen, toben sie und stellen eine Lebensgefahr für ihr Umfeld dar. Um Zuständigkeit wird gestritten und mit der eigenen Position im sozialen bzw. beruflichen Gefüge gerungen. Immer wieder bestimmen Unschärfe und Schärfeverlagerung die Bilder, oder wir sehen zwar Leute, die etwas Grauenerregendes oder Entscheidendes anschauen, nur bekommen wir den Gegenschnitt nicht, der zeigt, was sie sehen. Unser Blick ist wie der der Mumie limitiert.
2. Die Telenovela im Musikermilieu – Llinás meint fälschlicherweise, er reiche uns ein Musical – erzählt von einem zerbrochenen Schlagerduo und ihren unterschiedlichen Perspektiven auf ihre gegenseitige Liebe. Es ist die Geschichte eines Endes, dass nicht möglich ist. Erstmals wird hier das Motiv der Liebe als Kampf um Sieg und Niederlage eingeführt, und solange noch eine Rechnung offen ist, geht es eben weiter. Bzw. geht es um Gift als Antriebsmotor, das Gift der Leidenschaft oder das eines Skorpions, das in einem okkulten Subplot zur Verjüngung eingesetzt werden kann. Die Bilder werden dabei noch mehr eingeengt, da die etwas mehr als zwei Stunden der Episode größtenteils aus Schuss und Gegenschuss bestehen. Trotz divergierender Sichten auf die Vergangenheit herrscht dadurch Klaustrophobie.
3. Der Agententhriller bildet mit über fünf Stunden Laufzeit den quantitativ größten Teil. Eins der Highlights von LA FLOR ist, wenn Llinás nach ca. 80 Minuten wieder an seiner Raststätte sitzt und uns sagt, dass das noch nicht die Pause ist, uns vorrechnet, wie lange es noch dauert, und uns Glück wünscht. Nach diesem kleinen Insert beginnt das Procedural des Kidnappens eines gekidnappten Wissenschaftlers auszufransen. Immer mehr gewinnt nun der poetische Offenkommentar an Bedeutung und verwandelt mit den Hintergrundgeschichte der vier Agentinnen das Geschehen in ein Bilderbuch des Vergangenen. Die Bilder unterlegen nurmehr das Wort – soweit die mannigfaltige der Realität der Bilder von einem kargen Zeichensystem wie der Sprache dominiert werden kann. Eine widerständige, ruhige, karge Gegenwart wird so durch eine blumige Vergangenheit (mit rumpeligen Kostümen) überschrieben. Die Bilder – Llinás spielt exzessiv mit Unschärfen, Farben und den Kamerablenden – fransen dabei ebenso aus wie die Erzählung. Zentrales Thema ist der Verrat an Land und Auftraggebern … und ob auszumachen ist, wann er einsetzt.
4. Das Meta-Drama über einen Filmregisseur, der seine vier Hauptdarstellerinnen nicht mehr erträgt und deshalb loszieht, um Bäume zu filmen, enthält ein Essay über die Möglichkeiten Bäume zu filmen und einen Baummonster- und Hexenfilm, bis es schließlich im Mysterythriller mündet. Nach der Mumie, dem Partner und der Vergangenheit, die abgehängt werden sollen, aber nicht abstreifbar sind, ist es nun das eigene Konzept, das einen gefangen hält, obwohl der Druck kaum noch auszuhalten ist – diese Episode endet nach zwölf Stunden und ca. vierzig Minuten der gesamten Laufzeit. Der Regisseur verrät sich derweilen selbst und gibt anderen dafür die Schuld. Alles ist am zerfallen, was geschehen sein wird ein Mysterium. Und Bäume, obwohl fest und mehr oder weniger statisch, sind die größten Verräter, weil sie sich nicht so filmen lassen, wie sie auf das Auge des Betrachters wirken.
5. Das Remake von Renoirs unfertigen PARTIE DE CAMPAGNE spielt sich ohne Vergewaltigung und Ton ab – nur die Sequenz, die Flugzeuge am Himmel zeigt, während unten auf der Erde miteinander geschlafen wird, ist mit Tonfetzen des Originals unterlegt. Alles ist klar, auch wenn uns über die Bilder hinausgehende Informationen vorenthalten werden.
6. Ein Stummfilmfragment, das alles abschließt. Vier Frauen entkommen nach Jahren der Gefangenschaft in die Freiheit/die Wüste und verraten sich.
Nachdem die Zeltplane von der Kamera entfernt wird, die für die verschwommene, pseudoaltersbedingte Textur der Bilder der letzten Episode sorgte, sehen wir, wie das Filmteam das Ende ihrer Anstrengungen feiert, das Equipment zusammenpackt und sich jemand unter den Sternenhimmel setzt. Dabei wird in einer endlos scheinenden Einstellung der Abspann gezeigt. Und für uns bleibt nach diesem Film über das Ende des Kinos und wie mit ihm weiter umgegangen wird, die Frage, wer hier wen verrät. Wir das Kino? (Ich sage mal: die Perspektive eines Menschen mit einem gesunden Verhältnis zum Medium Film.) Oder das Kino uns? (Godards Perspektive.)

Sonnabend 05.04.

Pretty Woman
(Garry Marshall, USA 1990) [DVD, OmeU]

großartig

Offenbart sich in HOW TO MARRY A MILLIONAIRE der Mentsh, wenn dieser den Drang aufgibt, einen Eindruck von elitärer Klasse zu erwecken, und stattdessen der Lust nachgibt, einfach mal einen Burger im Diner zu essen. Im Gegensatz dazu offenbart es sich hier, sobald dieser die emotionale Kraft einer Oper erkennt. Die Prostituierte Vivien Ward (Julia Roberts) eignet sich mit dem Operngenuss aber nicht deren gehobene kulturelle Klasse an, sondern geht in der Schönheit der Fiktion auf.
Ursprünglich war das Drehbuch von PRETTY WOMAN wohl ein hartes Drama, Marshalls endgültiger Film erzählt aber ein Märchen. Der Millionär Edward (Richard Gere) liest Vivien zufällig auf dem Straßenstrich auf und will sie eigentlich nur für ein paar Tage als Begleitung während seines Aufenthalts in L.A. engagieren. Die erste Stufe des Märchens stellt das zeitlich begrenzte Ende der Armut dar. Mit seiner Kreditkarte kann sie sich neu einkleiden, während sie in einer riesigen Suite eines Luxushotels wohnt. Die zweite Stufe schwingt auch schon von Beginn an mit: Beide verlieben sich, und er wird als Ritter auf einer weißen Limousine reiten, um sie aus ihrer Aschenputtel-Wirklichkeit zu befreien.
Gleichzeitig erlebt der Räuberkapitalist Edward eine Wandlung. Vivien lässt durch ihre Schönheit, Ungezwungenheit und natürlichen Klasse Menschlichkeit in ihm keimen. Edwards Kompagnon, der Anwalt Stuckey (Jason Alexander), ist der Gegenpol dazu. Er verkörpert den Nihilimus Edwards, der nur Reichtum und Erfolg auf Kosten anderer anerkennt. Während sich Vivien märchenhaft ihre Realität entledigt, nennt Stuckey sie weiterhin nachdrücklich eine Prostituierte und behandelt sie auch so. Er ist der Agent einer obszönen Wirklichkeit, der Wahrheit, die das Märchen wegzuätzen droht.
Über diese beiden Pole – etwas, das zu schön ist, um wahr zu sein*, und ein niederträchtiges Missachten alles Schönen und Richtigen als Fiktion –, zwischen denen Edward aufgespannt und die ihn zeitweise zu zerreißen droht, funktioniert die Dramaturgie einer selbstreflexiven, schmalzigen Romanze. Seinen größten Spaß hat und macht der Film aber, wenn er verspielt und dann doch noch düster Prostitution und (Turbo-)Kapitalismus gleichsetzt. In den Aufmotz- und Einkaufszenen erniedrigt sich ein Verkäufer gnadenlos, wenn ihm nur möglichst viel Geld versprochen wird. Ein Verkäufer der Sorte, die in Leuten ohne Vermögen kaum mehr als Lumpenproletariat sehen. An allen Ecken verkaufen sich Leute oder ziehen mit ihrem/für Geld andere über den Tisch. Und gerade diese Dimension macht das Märchen nötig, weil dieser Abgrund nur mit einem Zuckerüberzug erträglich ist.
Nicht weniger gruselig ist, wie sehr dieser Film als Reaction-Shots-Massaker inszeniert ist. Leute drehen sich andauernd um, schauen Vivien et al nach und drücken ihre Zustimmung, Abneigung, Entsetzen aus. Nichts ist in dieser Welt wichtiger als die eigene Wirkung. Vivien und ihre Freundin spielen mitunter aus Trotz die Fratze, die andere in ihnen sehen und provozieren, so entkommen sie der ewigen Bewertung aber gerade nicht. Und überhaupt ist es sowieso besser einen Hotelmanager selig grinsen zu lassen, als nicht anerkannt zu sein. Auch hier: lieber das Märchen als die Realität der Unangepasstheit.
*****
* Wie sehr dies ein Märchen ist, zeigte sich ja unmittelbar nach dem Erfolg des Films und wie schäbig die Presse daraufhin mit Julia Roberts umging, die ja auch nur so erfrischend war wie ihre Vivien.

Sleeping with the Enemy / Der Feind in meinem Bett
(Joseph Ruben, USA 1991) [stream, OmeU]

gut

Das böse Erwachen aus dem Märchen, das ein Jahr zuvor noch PRETTY WOMAN (für Julia Roberts Figur) war. Hector Berlioz’ SYMPHONIE FANTASIQUE, eingesetzt als wäre es ein Imitat des Themas von CAPE FEAR und nicht das Original, verwandelt das Nahen des Märchenprinzen zu einem Akt des Terrors.
In der Mitte wird das Leben in einer US-amerikanischen Kleinstadt als seliger Traum genossen. Laura (Julia Roberts) ist vor ihrem sie schlagenden, einsperrenden und terrorisierenden Ehemann (Patrick Bergin) geflohen, und schon als sie in ihren neuen Wohnort einfährt, zeigt dieser sich als sonnenbeschienenes Versprechen von Heil. Sie betritt einen Traum, nachdem der Alptraum überstanden ist. Nach den brutalistischen Designs in Schwarz und Grau folgen Holz, Wildwuchs, Natur und gedeckte Farben, eine strahlende Normalität.
Erst als sie sich erneut verliebt, kehrt der Alptraum langsam wieder. SLEEPING WITH THE ENEMY ist nämlich nicht die Geschichte der Flucht vor einem Mann, sondern die Gefahr, dass sich jeder Mann als Psychopath offenbaren kann. Ihre neue Flamme (Kevin Anderson) bringt eben nicht nur parallel den Mann wieder, der seiner totgeglaubten Frau auf die Spur kommt, sondern ist selbst nie Teil eines selenruhigen Traums, sondern ein Unsicherheitsfaktor.
Diese Dopplung der Männer und auch die Szene, in der der Traum mittels Tanzes und artifiziellem Sternenhimmel in einer Theaterszenerie noch zauberhafter wird als PRETTY WOMAN mit seinem weißen Ritter auf weißer Limousine, sind sehr toll. Aber während Marshalls Film fast platzt, sitzt Rubens Film die Fratze des Bösen (eines besitzergreifenden Ehemanns) und den Gegensatz von Traum und Alptraum ein bisschen zu sehr aus.

Das Mädchen vom Moorhof
(Detlef Sierck, D 1935) [blu-ray]

fantastisch

Zwei Happy Ends bieten sich am Ende offensiv an, eins bitterer als das andere. Kurz davor müssen ein Vater und Sohn durch die Blumenbögen einer doch noch gecancelten Heirat laufen und werden der gesellschaftlichen Peinlichkeit ihrer schweren Entscheidung nochmal feierlich ausgesetzt. Sierck zeigt hier schon die Giftigkeit seiner großen Melodramen der 1950er Jahre. Gleichzeitig ist er gleich noch witziger als in APRIL, APRIL! Es ist der Sonnenaufgang des Douglas Sirk.
Wie bei Antonioni gibt es bereits tote Zeit, und den Silent Bob-Stick von Kevin Smith weiß Sierck auch und vor allem besser zu verwenden. Ein ungemein moderner Film also auch – der mit seinen Rauchschwaden und düster-spaßigen Dorftrottel-Propheten die Dunkelromantik des Althergebrachten aber nicht fahren lässt.
Sehr schön: Ellen Frank als Verlobte, die zu ihrer Rolle passend wie ein High Society-Schickse aussieht, die jemand in Bauernkleider gezwängt hat.

Το βλέμμα του Οδυσσέα / Der Blick des Odysseus
(Theo Angelopoulos, GR/F 1995) [DVD, OmU]

gut

Als ich mich im Anschluss meiner ersten DEAD MAN-Sichtung anfing ernsthafter mit Filmen auseinanderzusetzen, kam DER BLICK DES ODYSSEUS im Fernsehen. Harvey Keitel spielte mit, die TV Spielfilm ließ ihn ziemlich gut erscheinen, also nahm ich ihn auf. Nach fast der Hälfte des Films machte ich aus – kurz bevor eine meterhohe Leninstatue liegend verschifft wird –, die Langeweile wollte einfach nicht fruchtbar erscheinen. Aus heutiger Sicht war es vll. nicht die schlechteste Entscheidung, weil diese erste Hälfte die deutlich bessere ist und ich das Kommende vll. noch ermüdender gefunden hätte. Aber wer weiß, vll. hätte mir das Folgende damals dann sogar noch besser gefallen.
In der ersten Hälfte schwebt die Kamera jedenfalls durch Gesellschaft, Geschichte und persönliche Obsessionen, also durch Menschenmengen, Erinnerungen und Träume … ohne die Übergänge allzu deutlich zu machen. Das Ergebnis ist ein Film über einen multidimensionalen Abschied – vom Leben, von Nationen, von einem Zeitalter, vom Kino, deren Ende sich ankündigt. Kälte, Eis, Regen und Nebel sind die Marker von Isolation. Warum also die Fenster des Taxis hochdrehen, wenn draußen der Schneesturm wütet.
Das Ende zeigt Sarajevo mitten im Krieg und schafft mit diesem eine Vision gesellschaftlicher Apokalypse. Der Tanz im Nebel – als unwirkliche Möglichkeit des Glücks – und der Tod im Nebel – als nur zu reale Möglichkeit eines baldigen Endes, mit dem dann weitergelebt werden muss – ineinander übergehen.
Dazwischen reist Keitel durch das ehemalige Jugoslawien in einen immer spürbareren Krieg hinein. Die Gesellschaft verschwindet, er ist auf sich zurückgeworfen. Selbst das Schweben lässt nach. Zurück bleibt die verlorene Geschichte eines Einzelnen, der nach Unschuld sucht. Die vielschichtige Melancholie fällt in sich zusammen. Alte Männer trauern hier über den Zustand der Welt, und diese eine wenig interessante Trauer wird so sehr überhöht, dass neben ihr nichts mehr bestand hat.

Laissez bronzer les cadavres / Leichen unter brennender Sonne
(Hélène Cattet, Bruno Forzani, B/F 2017) [blu-ray, OmU]

großartig

Als Neu! 1973 ihr zweites Album aufnahmen, ging ihnen das Geld aus. Die B-Seite des Albums besteht deshalb aus zwei Liedern, die immer wieder aber in unterschiedlichen Geschwindigkeiten und unterschiedliche manipuliert abgespielt werden. In einer noch jungen Remix-Kultur war es ein damals umstrittenes, aber bis heute faszinierendes, toll anzuhörendes Experiment.
In zweierlei Hinsicht machen Cattet und Forzani das Gleiche. Erstens nehmen sie bekannte Stilticks des italienischen Kinos der 1960er und 1970er Jahre und machen diese zum zentralen Ausdrucksmittel ihrer Filme. Die Musik, die Einstellungen, die nur Augenpaare zeigen, die Reißzooms, die drückende Sonne: immer und immer wieder werden die audiovisuellen Klischees eines Genres aneinandergereiht, während das Erzählerische darüber verwaist. Zweitens verfilmen sie hier ein Hard-Boiled-Krimi von Jean-Pierre Bastid, den sie in ewige Wiederholungen zerstückeln, die das Gleiche aus immer noch einer anderen Perspektive zeigen. Auch nicht, weil es für die Erzählung wichtig wäre. Stattdessen zerreißt sich das Einfache und Karge und wird eine Abfolge von Remixen seiner selbst.
Das Ergebnis ist – anders als bei Neu! – eine nervliche Überbelastung, eine konstante Extremsituation und ein Mosaik aus Sinneseindrücken. Eine Mischung aus einem Nervenzusammenbruch und einer drückenden, von allen Ecken wiederkehrende Begierde. Der Film eines Feststeckens (in sich).

Freitag 04.04.

How to Marry a Millionaire / Wie angelt man sich einen Millionär
(Jean Negulesco, USA 1953) [blu-ray, OF] 2

großartig

Drei Frauen wollen reich heiraten, und ihr ergaunertes Luxusappartement leert und füllt sich entsprechend der zu- und abnehmenden Hoffnung auf Erfolg mit schicken Möbeln. Am Ende siegt die Liebe, sobald jemand gefunden ist, der genauso wenig Durchblick hat wie man selbst, sobald jemand so viele Baumstämme in der Hose hat wie im von ihm beförsterten Wald, so dass sogar Eis und Schnee gegen Sonne und Strand als Ziel ausgetauscht werden, und man am Ende gelernt hat zu lieben, was man am Anfang zum kotzen fand, oder sobald eben mit knirschenden Zähnen akzeptiert ist, dass Selbsthass und Verleumdung von der eigenen profanen Seele nicht glücklich machen wird. Eine wunderschöne, schön unrund getimte Cinemascope-Komödie.

Schulmädchen-Report 4. Teil: Was Eltern oft verzweifeln läßt
(Ernst Hofbauer, BRD 1972) [digital, ł]

verstrahlt

Auf die Horrorshow des dritten Teils folgt die Rolle Rückwärts und ein gesetzterer Teil. Gleichzeitig verengt sich das Konzept noch mehr. Weder werden Straßeninterviews eingebunden, noch wird betont, dass dies wahre Geschichten seien, aus denen Schlüsse gezogen werden müssten. Was jedoch bis zum Schluss gleichbleiben dürfte: die armen, von ihren Schülerinnen bedrohten Lehrer.
Drei der Episoden:
1. Ein von deutschen Eltern adoptierte afrikanische Schülerin wird von einem Haufen Schülerinnen in einen Keller gelockt, wo sie von drei Jungs vergewaltigt wird. Ihr Freund (Sascha Hehn) kommt ihr zur Hilfe, doch der Off-Kommentar wird lakonisch anmerken, dass auch er sie nach Monaten der Schikane von außen verlässt. Vor allem wird zu der Episode psychologisch erklärt, wieso die Schülerinnen und Schüler so auf sie reagieren – die Jungs sind sexuell neugierig, die Mädchen deshalb eifersüchtig. Die Eltern sollen also nicht enttäuscht sein und verteufeln. Es ist noch bitterer und hoffnungsloser als der soziale Terror von KATZELMACHER.
2. Ausnahmsweise darf Rinaldo Talamonti einen Sexprotz mit was dahinter spielen. Drei neugierige junge Frauen verführen ihn und fliehen irgendwann, weil er unersättlich ist und sie von so viel Befriedigung übermannt sind.
3. Zwei Entjungferungen werden gegenübergestellt – de Sades Duo von Justine und Juliette in klein. Eine fängt eben an, rumzumachen, eine (Ingrid Steeger) macht es aus Liebe. Die eine ist unrettbar seelisch verloren, die andere wird glücklich, weil ihre Bedürfnisse der Moral der bürgerlichen Gesellschaft entsprechen. So sehr die gute Laune hochgehalten wird, so bedrückend ist es eben doch immer.

Donnerstag 03.04.

Hundra / Warrior Queen
(Matt Cimber, I/USA/E 1983) [DVD]

gut

Ein Schlachtenoper – theatralische Musik zelebriert unzählige Zeitlupen – bildet den Auftakt. Barbaren fallen in ein Dorf von Kriegerinnen ein, das sich von allen Vertretern des männlichen Geschlechts zurückgezogen hat. Für die Fortpflanzung wird in die Welt gezogen; männliche Babys werden weggegeben. Die Frauen werden diese Schlacht verlieren, zu keiner Sekunde lässt die Inszenierung einen Zweifel, doch sie verkaufen ihre Haut teuer. Eine Kriegerin penetriert einen Vergewaltiger mit dem Speer, der ihr in die Brust steckt, und nimmt ihn so mit in den Tod. Das Finale wendet diese Tragik in einen Triumph – die Musik ist nicht so dominant, die Zeitlupen bleiben aber. Eine Kriegerin tötet dabei die männlichen Machthaber eines der vielen Orte männlicher Dominanz, und mehrere (Sex-)Sklavinnen werfen ihre Ketten ab.
Zwischen diesen beiden Entscheidungen im Kampf der Geschlechter – Frauen sind sämtlich an einzelne Männer oder männliche Machtstrukturen versklavt, bis weit in den Film grunzen die Männer nur, um sich zu artikulieren – gibt es kaum Zeitlupen und doch scheint der Film hier wie im Treibsand festzustecken. Ein paar offene Konflikte gibt es, meist ist dies aber eine Fish-Out-of-Water-Komödie, in der eine Barbarin lernen muss, ihr Aussehen an gängige Standards anzupassen, damit auch jemand mit ihr schlafen will, während sie gleichzeitig ihren Kampfgeist dadurch nicht verlieren darf. Nur scheint sich aber niemand klar zu machen, wie absurd das alles ist – mal abgesehen von dem einen Angriff eines Braveheart-Zwergen in der Steppe, der völlig losgelöst vom Film höchst seltsam bleibt –, weshalb dieser Abenteuerfilm weder in Lust, Laune und Albernheit aufgeht, noch seine Welt mit vollem Ernst seine Blüten entfalten lässt. Viel zu oft gibt er sich mit seinen Aufhängern zufrieden.

Mittwoch 02.04.

Another German Tank Story
(Jannis Alexander Kiefer, D 2024) [stream]

ok

Wunderschöne ostdeutsche Tristesse in einem tristen Film. Mehr dazu beim Perlentaucher.

Dienstag 01.04.

April, April!
(Detlef Sierck, D 1935) [blu-ray]

gut

Sirk ist sichtlich ein Lubitsch, Geschwindigkeit ist nicht sein Ding. Die Leute, die hier im ihrem eigenen Saft kochen, werden von ihm so auch nicht bedrängt und ihr Leid wird nur wenig forciert. Entsprechend gibt es einiges, was für den Film spricht – das Gesicht des Prinzen von Holsten-Böhlau (Albrecht Schoenhals) sieht jugendlich und frisch aus, bis er lächelt und es überall Falten schlägt –, und diverse leider liegengelassenen Möglichkeiten – die beiden Initiatoren des Aprilscherzes sind die vll. launigsten Charaktere und doch recht bald aus dem Film verschwunden. Aber ein Film, der Demokratie dort erkennt, wo der Adel mit dem gemeinen Volk Bockwurst isst, während der neureiche Aufsteiger Kaviar mit den Lügen der eigenen Gewichtigkeit spiest, der kann einfach nie und nimmer nicht gut sein.

März
Montag 31.03.

La Morsure / Meine letzte Nacht mit einem Vampir
(Romain de Saint-Blanquat, F 2023) [stream, OmU]

fantastisch

Das mit der Yound Adult Version eines Jean Rollin Films in meinem Text für critic.de habe ich eiskalt bei Pavao V. geklaut. Es ist einfach zu treffend.

Sonntag 30.03.

Death on the Nile / Tod auf dem Nil
(John Guillermin, UK 1978) [DVD] 7

fantastisch

Bis zum Mord ist es eines der großen Meisterwerke der Filmgeschichte, danach ist es nur noch ein sensationeller Film. Und Lotti Z. (9 Jahre) wusste bei DAS BÖSE UNTER DER SONNE nicht mehr, wer die Mörder waren. Hier war es ganz anders. Auf alle heftigen Szenen zeigte sie sich vorbereitet und kündigte sie an. Von Beginn weg, philosophierte sie darüber, was die Mörder tun und tun werden, welches Spiel sie und der Film mit uns treiben. Die Bilder hatten sich sichtlich eingebrannt. Welcher der beiden Filme zumindest der eindrücklichere Film ist, war mehr als deutlich.

Ein Mädchen namens Willow
(Mike Marzuk, A/D 2025) [DCP]

ok +

Alles zum Themenkomplex Willow lernt den Wald kennen ist supi: Staunen, Entspannen und Abhängen. Alles was über ihre auf sich zurückgeworfene Erfahrung hinausgeht – sie (Ava Petsch) lernt, dass sie eine Hexe ist, sie muss aber drei Mithexen finden, um ihre Potentiale zu entfalten; sie muss den Wald vor Investoren retten – ist abgehetzt und wie ein Fremdkörper in ihrem selbstgenügsamen Naturgenuss. Für jede weitere Hexe interessiert sich der Film jedenfalls immer weniger, und Lotti (Mary Tölle), die vierte Hexe, wird nur noch pflichtschuldig untergebracht. Und die beiden Investoren Geier & Geier (Melika Foroutan & Michael Ostrowski) dürfen ihr Potential als schmierige Bösewichte auch erst im überdrehten Finale entfalten.
Im Roman ist Grimmoor ein Buch, dass in seine Seite schreibt, um zu kommunizieren. Dass es im Film etwas filmischer sein muss, kann ich verstehen. Dass Max Giermann seinen Grimmoor als in Pappmaché gewickeltes Heinz Erhardt-Imitat spielt, musste aber nicht sein.

Schulmädchen-Report 3. Teil: Was Eltern nicht mal ahnen
(Ernst Hofbauer, Walter Boos, BRD 1972) [digital]

tba.

Suchten die ersten beiden Teile nach Ausgleich und betrieben ein schelmisches Spiel, will der dritte Teil höher, weiter, krasser hinaus. Um relevant zu bleiben und sich nicht zu wiederholen, scheint das Ziel, bisher Verschwiegenes auszuleuchten. Kleine Juxe oder Lolita-Träumereien – die Angst vor subjektiv sexualisierten jungen Frauen – bilden nun die Minderheit, während der edgy Kram dominiert. Inzest, Mädchenhandel, Vergewaltigungen, Triebtäter oder Doktorspiele mit Lehrern oder 10-jährigen Cousins: entweder liegt der Horror in der dargebotenen Unschuld oder in der grimmigen Inszenierung. Erst der Abschluss des Ganzen setzt auf die Versöhnung (mit dem Zuschauer) und bietet etwas Romantik.
Die Umfragen und Kontextualisierungen sind zwar so launig wie zuvor, sie rücken aber bereits an den Rand … und sind alsbald kein Teil der Reporte mehr.

Sonnabend 29.03.

Evil Under the Sun / Das Böse unter der Sonne
(Guy Hamilton, UK 1982) [DVD] 11

fantastisch

Lotti Z. (9 Jahre) wollte mal wieder einen Hercule Poirot-Film sehen, also hatten wir tags zuvor mal einen Zeh in die Serie mit David Suchet gehalten. Die Folge mundete ihr aber nicht so, vor allem entsprach Suchet zu wenig dem, was sie an Poirot mochte. Also schlug sie vor, dass wir doch die Filme mit Ustinov nochmal schauen könnten, zugucken, wie er ständig Indizien groß in die Kamera hält, wie um den Zuschauer zu foppen – Du wirst deren Wichtigkeit trotzdem nicht erkennen, ha! –, oder wie er nur mit den Unterschenkeln im Wasser schwimmt, um sich mit den Normalsterblichen, soweit es ihm möglich ist, gemein zu machen. Lotti war beim Filmschauen glücklich, und ich war stolz, dass sie Qualität zu erkennen weiß.

Bus Stop
(Joshua Logan, USA 1956) [blu-ray, OF]

gut

Die erste Hälfte zeigt einen jungen Mann, der umgeben von Cowboys auf einer Farm aufwuchs. Von Frauen hat er keine Ahnung, nun möchte er sich aber eine anschaffen und geht in die große Stadt – wo er einen Engel so erlegen möchte, wie es mit Rindern erlernt hat, mit Lasso und Wucht. Don Murray spielt dabei einen quasi-Incel auf Steroiden, der Film ist folglich die grelle Komödie eines irrsinnigen Testosteronbündels, der sich für einen Gentleman und die Welt in Atem hält.
Die zweite Hälfte wandelt sich dann aber langsam in ein theatrales Liebesdrama, in dem er gezähmt wird und lernt, die Realität und die Bedürfnisse anderer anzuerkennen. Für Cherie (Marilyn Monroe) und auch sein restliches Umfeld ist das natürlich mehr als wünschenswert, für den Film bedeutet es ein klar umrissenes Siechen gen Ende.
Am spannendsten ist aber, wie Marilyn Monroe zurechtgemacht wurde. Sie steckt nämlich unter einer dermaßen dicken Pudermaske, dass sie zuweilen so bleich wie Donald Sutherland in CASANOVA aussieht. Nicht das Bombshell-Pin-Up wird betont, wenn sie ungesund und fehlgeleitet aussieht. Zudem singt sie in ihrer tacky Bühnenshow ausgestellt rumpelig – gerade deshalb ist es auch eines der Highlights abseits der Urschreie Murrays. Während nun eine Komödie über sie hereinbricht, weist ihre Selbstzerstörung in ihrer artifiziellen Heruntergekommensein schon Richtung eines New-Hollywood-Seelendramas. Und so sehr die Mechanik des Theaterstücks sie zu retten sucht, so bleibt doch der Puder und die erschreckende Fahlheit ihres Gesichts bis zum Ende eindrücklich bestehen.

Freitag 28.03.

Pieseň o sivom holubovi / The Song of the Grey Pigeon
(Stanislav Barabáš, CS 1961) [DVD, OmeU]

gut

Zu Beginn wird einer Taube ein Flügel gebrochen – ein Junge beschießt sie mit einer Schleuder. Am Ende fliegt sie wieder los – ein anderer Junge hatte sie gepflegt. Dazwischen zieht die Ostfront über die Slowakei dahin. Nazideutschland verliert zunehmend an Grund und irgendwann ist es verschwunden. Doch die Episoden des Films, die diesen langsamen, steinigen Weg der Befreiung von Nazikollaborateuren und der Wehrmacht nachzeichnen, wird uns aus der Perspektive von Kindern präsentiert. Und so hoffnungsvoll das Symbol der Taube auch ist, so naiv* die Perspektiven oft sind, so schlafwandlerisch bewegt sich der Film darauf zu, dass die Unschuld stirbt, dass Trauma und Mienenfelder als Erbe bestehen bleiben werden.
Immer wieder findet es dabei schöne Bilder, in denen Tristesse und Anmut zusammenfallen – der reißende Bach in einer idyllischen Natur, an dem ein Wandertag entlangführt, das vor den Pflug gespannte Pferd im Schnee, die als heilige drei Könige verkleideten Kinder, die für sadistische Soldaten tanzen müssen –, meist wird aber nur funktionell die Dramaturgie der zeitlichen und seelischen Veränderung erarbeitet … die von Beginn weg mehr oder weniger klar ist.
*****
Wobei naiv tatsächlich heißt: der erwachsene Blick auf den naiven Blick der Kinder auf die Komplexität des Ganzen, der offenbart, dass es vll. nie ganz so komplex war, wie es schien.

Agatha Christie’s Poirot (Episode 1) The Adventure of the Clapham Cook
(Edward Bennett, UK 1989) [stream]

ok

Musik und Ausstattung versuchen Nostalgie zu erzeugen – wieso ein Rennrad in einer Außenszene die Ausstaffierung des Vergangenen bricht, habe ich mir noch nicht ganz erschließen können. Und David Suchet versucht uns als Poirot, als kauziger, ein wenig eingebildeter, aber grundsympathischer Onkel einzufangen. Vll. ist mein Problem mit der Folge deshalb, dass auch noch die Leiche und die zwischenmenschlichen Animositäten an den Rand geschoben werden, dass es schon viel, viel zu heimelig wird.

Der neue Schulmädchen-Report 2. Teil: Was Eltern den Schlaf raubt
(Ernst Hofbauer, BRD 1971) [digital, ł, ≠]

verstrahlt

Ein Physiklehrer wird von seinen sexualisierten Schülerinnen in den Tod getrieben. Vergewaltiger machen ihre Opfer mit Heroin gefügig. Das Pendel schwingt aus und zeigt uns die Gewalt, die Tragik und den Schmutz, den die neue sexuelle Offenheit mit sich bringe. Da sind aber auch die Eltern, die sich zwar aufregen, die sich aber eingestehen, dass sie früher im Grunde auch nicht anders waren. Das Pendel schwingt also auch zurück und versucht eine ruhige Perspektive zu gewinnen, dass vll. doch ein wenig Hyperventilieren bei den zugrunde liegenden Diskursen zu finden ist.
Zwischen Hysterie und Versöhnung, zwischen albernen Chosen und bitterer Raserei, zwischen Warnung und Verständnis geht es hin und her, weshalb der zweite Teil auch wie ein Versuch scheint, zwischen den Generationen zu vermitteln. Den jungen Leuten soll ihr Platz gelassen werden, die Bedenken sollen aber zur Geltung kommen.
Vor allem ist es aber ein Film der Frauenkörper – die ja exponentiell öfter zu sehen sind als nackte Männer. Klar ist es Voyeurismus und männlicher Blick, aber eben auch das Portrait der Macht, die von diesen Körpern auf die Männer auszugehen scheint. Macht, die die Männer im direkten Gegenzug entmachtet. Die Ausstellung der Körper erzeugt deshalb gerade das Portrait der Männer, die sie anschauen. Die Frauen sind das Mittel, um ihre Verfassung sichtbar zu machen.

Donnerstag 27.03.

Beau Travail / Der Fremdenlegionär
(Claire Denis, F 1999) [stream, OmU]

fantastisch

Für ein paar Tage besuchen wir die Fremdenlegion. Da die Soldaten eigentlich nie einen Einsatz haben, sehen wir sie bspweise bügeln und Wäsche aufhängen. Ein wenig bekommen wir also etwas wie einen Film über eine Klassenfahrt oder anderes Abhängen. Mehr als den Haushalt zu besorgen, üben die Männer jedoch für die kommenden Schlachten, für den Krieg. Sie stählen und disziplinieren ihren Körper wie sie mit den Hausarbeiten ihren Alltag disziplinieren.
Handlungsort ist größtenteils eine karge, steinige Wüste, die das azurne Blau des Wassers aus Meeren und Flüssen abzuweisen scheint. Denis zeigt immer wieder Küsten et al, deren Fels wie ein Panzer die Frische des Nass abwehren. Auch die diversen Discoaufenthalte zeigen uns Frauen aus Distanz, Frauen dort trüben. Zwar wird von der Suche nach heterosexuellem Sex gesprochen, er wird aber nie wirklich Teil der gezeigten Realität. Das Weiche, Auflösende wird beständig abgewehrt.
Stattdessen zeigt der Film einen Fetisch – aus der Perspektive Galoups (Denis Lavant), der auch das Voice Over sprechen darf: Männerkörper. Harte, felsige Männerkörper. Eine ihrer Übungen sieht aus, als ob sie üben, sich zu umarmen. Immer wieder fallen sie sich mit nackten Oberkörpern in die Arme, aber fest, mit Nachdruck, als ob das die einzige Form von Zärtlichkeit ist, die ihre stählernen Panzer noch zulassen.
Die eingeblendeten Titel erinnern an Jean-Luc Godard, Michel Subor spielt zudem Bruno Forestier und darf mehr als dreißig Jahre später nochmal seine Rolle aus dessen LE PETIT SOLDAT aufgreifen. Aber dies ist kein Essay über Männlichkeit, jedenfalls nicht offensiv und schon gar kein godardsches. Stattdessen geht der Film in wunderschönen, begehrlichen Eindrücken auf und erzählt melancholisch von diesen Ganzkörpererektionen, die alles außer Bitterkeit auf Distanz halten.

Dienstag 25.03.

Schulmädchen-Report: Was Eltern nicht für möglich halten
(Ernst Hofbauer, BRD 1970) [digital, ł]

verstrahlt

Der erste Teil ist tatsächlich auch das Dokument einer Zeitenwende. Der Film schaut nämlich nicht auf Schulmädchen, sondern auf einen Generationenkonflikt, der durch aufbrechende Moralvorstellungen entsteht. Neben den jungen Frauen geht es eben auch, wenn nicht sogar mehr um die Eltern, die es nicht für möglich halten, dass ihre Werte und Vorstellungen von Sexualität und Moral vll. fehlgeleitet sein könnten.
Die Rahmenhandlung geht den Muff in den Köpfen der Elterngeneration direkt an, die Straßenbefragungen suchen nach unterstützender Empirie. In der offenen Suche nach Wahrheit werden gleich noch Tabus und Altersgrenzen hinterfragt. Nur stehen diesem ausgestellten Ernst Spielszenen entgegen, in der die ganze Hysterie in grelle Karikaturen überführt wird. Wenn Kolben pumpen, Pferde ficken und schwallender Matsch zwei Liebende in einen riesigen Cumshot taucht, dann scheint zumindest Seriosität nicht die Wahl der Mittel.
Junge Frauen wachsen jedenfalls laut Film heran, die den armen Männern das Leben schwer machen werden, während die sie gleichzeitig zunehmend wie Freiwild behandeln dürften. Meistens läuft es hier noch auf ersteres hinaus. Dabei sind die jungen Frauen aber weder Opfer, noch Täter, sondern selbstbestimmte Wesen, die über sich selbst entscheiden und sich nicht mehr unbedingt verstecken wollen. Es ist erstaunlich, gerade beim Ruf der Reihe.
Die Bitterkeit der in den direkt folgenden Teilen immer zentraler wird, ist hier aber auch schon eingewoben. Nur ist sie noch ein kurzer Moment, in dem ein Schulmädchen davon erzählt, eine Vergewaltigung abgewendet zu haben. Die Bilder der Rückblende sprechen aber eine ganz andere Sprache. Gerade hier, im Schmerz, fehlt die Hysterie aber völlig. Auch dies spricht für diesen ersten Teil.
Und am Ende führt sich dann noch die Rahmenhandlung ad absurdum. Der Elternrat, der über einen Fall von Unzucht zur Schulzeit zu Gericht sitzt und nach etlichen Beispielen, was Psychologen heute wissen, dass Sexualität in der Jugend eine Suche ist, kein Vergehen, und was Schulmädchen inzwischen alles als normal empfinden, zum Freispruch gelangen, kommt raus, dass der Psychologe ein abgekartetes Spiel betrieb und die urteilten zwar weiterhin Bedenken haben, aber nicht als unmodern gelten wollten. Es könnte das Motto des Films sein: Mit diesem abgekarteten Spiel will der Film selbst nicht als unmodern gelten, wie auch die porträtierten Jungen und Mädchen vll. auch nur ihre Abgeklärtheit spielen.

Sonntag 23.03.

Snow White / Schneewittchen
(Marc Webb, USA 2025) [DCP]

ok

In der Besetzung und Bedeutungsaufladung der beiden Hauptfiguren ist dies eine gelungene Neuinterpretation dessen, was denn Schönheit – bzw. im englischen Fairness – bedeutet. Darüber hinaus wird aber nicht sehr viel geboten. Der Wald war 1937 etwa noch einer der Hauptdarsteller, jetzt sieht er beliebig aus und bleibt strikt eine nett ausgeleuchtete Bühne. Expressive Schönheit wird durch die Optik eines ARD-Degeto-Märchens ausgetauscht. Schönheit bleibt hier ein beschränkt bearbeitetes Feld.
Vor allem ist der Film aber überladen, weil er es allen recht machen möchte. Schneewittchen ist beispielsweise nicht mehr Vollzeiterzieherin der Zwerge und hat Bedeutung über Küche und Herd hinaus. Nur werden die Zwerge dadurch Randfiguren, wenn nicht gar fast völlig überflüssig, und doch werden sie mitgeschleppt, weil sie doch dazugehören. Darüber hinaus sind sie zu computergenerierten Fabelwesen geworden, um Kleinwüchsige von diesen Märchenklischees zu trennen. Damit Letztere dadurch aber nicht unsichtbar gemacht werden und darf ein Kleinwüchsiger in einer Räuberbande mitspielen. Und damit es nicht nach Almosen aussieht, muss ihm natürlich auch noch eine halbwegs wichtige Rolle angedichtet werden. Es ist aller Ehren wert, aber uninspiriert umgesetzt, weshalb alles mit Kram vollgestellt ist.

Sonnabend 22.03.

Dead Man
(Jim Jarmusch, USA 1995) [DVD, OF] 4

großartig +

Die Erstausstrahlung von Jarmuschs Film hatte ich mir wegen Neil Youngs Beteiligung und dem bei Viva 2 gesehenen Musikvideo zum Soundtrack aufgenommen. Die zwei Stunden des Films waren am nächsten Tag die längsten zwei Stunden meines bisherigen Lebens – THE UNTOUCHABLES war bis dahin für mich anspruchsvolles Kino gewesen. Ich war aber dermaßen fasziniert, dass ich mich danach zunehmend ernsthafter mit Filmen auseinandersetzte.
In den frühen 2000ern kam in einem Kino bei mir um die Ecke eine Jim Jarmusch Retro und ich dürfte mir alle seine Filme bisher nur im Fernsehen gesehenen Filme nochmal angeschaut haben. Sicher bin ich mir aber nur bei DEAD MAN, da diese Vorstellung für mich sowas wie ein religiöse Erfahrung war. Ich huldigte den Bildern, der Atmosphäre, den Witzen. Nach zwei völlig versunkenen Stunden trat ich mit wackligen Knien wieder in die normale Realität.
Danach habe ich ihn nie nochmal geschaut. Mit jedem neuen Film war ich zunehmend von Jim Jarmusch enttäuscht und auch die Wiedersehen mit Filmen wie NIGHT ON EARTH verliefen nicht so berauschend. Halbbewusst wollte ich mir vll. die Erinnerung an das Kinoerlebnis nicht zerstören. Nun habe ich mich mit ein paar (alten) Freunden zum Filmschauen verabredet, eine schlug DEAD MAN vor und so kam es jetzt doch zum Wiedersehen.
Es war – wie zu erwarten – nicht die religiöse Erfahrung von damals. Schon allein, weil ich ihn mit Augen schaute, die prüften, ob ich damals irrte, als ich dem Film huldigte. Ich konnte aber auch vielmehr einordnen. Mir war bewusst, wann Jarmusch seinen typischen skurrilen Sachen macht, wann der Film deutlich bei APOKALYPSE NOW abkupferte. Vor über zwanzig Jahren hatte ich Iggy Pop erkannt. Crispin Glover, Michael Wincott, Billy Bob Thornton oder selbst Robert Mitchum hätten mir deutlich weniger gesagt, wenn ich sie denn erkannt hätte. Robby Müllers Kameraarbeit erschien mir nicht mehr wie die Definition von Schönheit. Und dass Johnny Depps William Blake von einem Magic Indian begleitet und geleitet wird, hätte ich damals auch nicht gewusst. Es war nicht mehr diese große, schöne Einheit, sondern ein Film unter vielen mit so seinen Macken.
Früher faszinierte mich der Film auch zunehmend, je länger er andauerte, je mehr er – Blake und der Film – in seiner Erfahrung aufging. Sehr schön finde ich immer noch die Schwarzblenden und das damit einhergehende Aufwachen und Einschlafen in dieser scheinbar überwältigenden Traumwelt des Sterbens. Nun finde ich gerade die Exposition am besten, wo er in eine neue, andere Welt überwechselt und noch keine Anbindung an sie gefunden hat. Als er noch ein Außenseiter ist, der vor einem Buch mit sieben Siegeln steht. Hier sieht gibt es auch vermehr die Momente, wo die Tricks artifizielle und nach Méliès aussehen, wie der künstliche Sternenhimmel und die unechten, wunderschönen Rauchschwaden aus den Schornsteinen.
Das Problem ist aber, dass dies kein normaler Film für mich ist. Wohl nie mehr sein wird. Ob ich es will oder nicht, gehört er mehr zu mir als Filme, die ich heute vll. viel gelungener und aufregender finde. Irgendwie kann ich ihn deshalb nur noch relativ zu früher betrachten. Aber es gäbe schlimmere Filme für einen solchen Status.

Jugendliche
(Peter Patzak, Walter Kindler, A 1972) [DVD]

großartig

Sechs Jugendliche aus sechs Bundesländern* und unterschiedlichen Klassen haben alle die gleichen Probleme mit den Eltern, die das Leben der nächsten Generation zu bestimmen/ersticken suchen. Die Männer sollen ihre Haare kürzen. Die Frauen sich nicht rumtreiben – eine wird sogar jede Nacht weggesperrt. Macht was Soldes! Wobei dieses zuweilen etwas zufällig ausgesucht scheint: Mathematik statt politischem Engagement. In direkten, kaum stilisierten Schwarzweißbildern herrscht die Trunst vergilbter Lebenswelten.
*****
* Manchmal verstand ich problemlos, was gesprochen wurde, manchmal eher weniger. Ich nehme an, dass es mit diesen örtlichen Verschiebungen zusammenhing.

Freitag 21.03.

Harley Davidson and the Marlboro Man / Harley Davidson und der Marlboro-Mann
(Simon Wincer, USA 1991) [stream, OF]

ok +

Schon die Exposition besteht nur aus melancholischen Besserwissermachos, die uns beweisen dürfen, wie cool und draufgängerisch sie sind. Alles Drumherum arbeitet ihnen zu. Leider sind die Zuarbeiten so mittel und die Figuren von Mickey Rourke und Don Johnson lediglich die Aufwärmung ihrer Star Persona, dass es sich erstaunlich schnell abnutzt. Sabrina Z. kam gegen Ende, setzte sich und der Film brachte sie umgehend zum Lachen. Ich kannte es da bereits auswendig und freute mich für sie, dass es bei ihr noch frisch wirkte.

I Like Movies
(Chandler Levack, CA 2022) [stream, OmU]

gut

Ich hatte einen Indiefilm wie vom frühen Kevin Smith erwartet. In seinen besten Momenten ist es das aber gerade nicht. Mehr dazu bei critic.de.

Donnerstag 20.03.

Exit… nur keine Panik
(Franz Novotny, A 1980) [DVD]

großartig

Beim Schauen des zweiten Teils während des auswärtigen Filmkongress des Hofbauer-Kommandos hatte ich mir vorgestellt, dass der erste Teil sicherlich kohärenter gewesen sein muss – sollte er doch ein riesiger Erfolg gewesen sein. Aber nichts dergleichen. Es ist das gleiche Chaos aus Schmäh, impulsivem Handeln und Anstürmen gegen den Verliererblues. Nur steht neben Hanno Pöschl dieses Mal nicht Helmut Berger (der andere), sondern Paulus Manker. Statt einem laufenden Schluck Wasser besitzt Plachinger hier die gleichen toxischen Potentiale wie Kirchhoff (Pöschl). Folglich ist der erste Teil noch roher, mehr Punk und Rotze gegen Anstand und Macht, die mit viel weniger Melancholie eingefangen wird. Dieser jugendlichere der beiden Filme fühlt sich deshalb auch weniger wie ein Flucht an, sondern wie ein Treibenlassen mit Druck unterm Kessel.

Mittwoch 19.03.

La Chimera
(Alice Rohrwacher, F/I/CH 2023) [stream, OmU]

großartig

Mit der Zeit verliert alles seinen Glanz, doch irgendwann, mit der Dauer, kommt der Wert zurück. Als archäologischer Fund wird noch das Profanste etwas Besonderes. Rohrwacher erzählt nun von einer Gruppe, die von diesem Wert der Zeit leben, von Grabräubern, die Raubbau an der Vergangenheit betreiben, statt sich nach vorne zu wenden. Kinder sind in dieser Welt folglich fast Gespenster – unsichtbare Potentiale, die sich in den Fugen der porträtierten Realität verstecken.
In der Mitte der archäologischen Glückritter findet sich Wünschelrutenwunderkind Arthur (Josh O’Connor), der nicht mehr ganz so jung ist, für sein Alter ziemlich verbraucht aussieht und dessen schäbiger Leinenanzug an seinen fettigen Körper herumflattert. Sein Müffeln ist ihm jederzeit anzusehen – die Witze über seine stinkenden Socken zu Beginn braucht es eigentlich gar nicht. Genau diese Speckigkeit ist das Zentrum des Films, der sich kaum für die Dramaturgie einer Geschichte interessiert, in der sich Arthur am Ende symbolisch wäscht und einen Blick in Richtung Zukunft riskiert. Wichtiger sind Rohrwacher die Texturen des Alters und der Zeit. Alte Musik, Fresken, tausende Jahre alte Gräber, vergilbte Villen, verfallene Lauben, surreale Erinnerungen einer verfolgenden Vergangenheit und Isabella Rossellini rahmen das Schlenderns Arthur durch die Zeit. Die Hilflosigkeit dieser Rückwärtsgewandtheit scheint eigentlich ganz schnuggelig.
*****
Apropos heruntergekommene Typen: Seit letzten Mittwoch war ich wieder auf Arbeit, weil Sitzen viel angenehmer als Liegen war. Freitag folgte dann die Nachfolgewurzelbehandlung, die immer noch eine Entzündung vorfand. Weil die diversen Formen von Kopfschmerz nicht nachlassen wollten, weil der Druck nasennah unter der Wange zunahm, weil die Gerüche des Nasenschnoderns, der wohl aus den Nebenhöhlen kam, besorgniserregend war, bin ich zum normalen Arzt. Folge waren zwei Tage Krankschreibung und der Tipp mit Nasenspray die Nebenhöhlen ständig freizuhalten – und mit den Schmerzmitteln nicht so zu geizen, es war schließlich eine Wurzelbehandlung. Vor allem die freie Nase führte zu schneller Besserung. Ich wusste bisher nur, dass es Teufelszeug ist, dass die Schleimhäute zerstört. Da die Heilung sich aber noch zog, verfluchte ich diese Wundermittel nun, weil es so gut half, jedoch nur eine Woche am Stück angewendet werden darf. Wenigstens war schon seit gestern unter der Wirkung von Ibus und Nasenspray auf der Couch liegen und Film gucken wieder eine angenehme Sache.

Hour of the Gun / Die fünf Geächteten
(John Sturges, USA 1967) [stream, OF]

großartig

Der Osten – Kapitalismus in Form ziviler, bürgerlicher Ordnung – steht wie eine dunkle Wolkenwand am Horizont. Er kündet vom Ende des Westens, jeder im Film sieht es heraufziehen.
Großgrundbesitzer Ike Clanton (Robert Ryan) ist ein gesetzter, grauer Mann, der keinen Sinn für Unfug mehr besitzt. Die Weite des Westens ist für ihn die Weite des Gesetzes – wie er es für sich auslegen, bestimmen und umsetzen kann. Über Leichen geht er, um für die neue Ordnung gewappnet zu sein. Er braucht Macht und Einfluss, um seine Position in Zukunft halten zu können und nicht unterzugehen.
Spieler Doc Holliday (Jason Robards) ist ein Zyniker, ein Gentleman Joker, der dem Kommenden ins Gesicht lacht. Auch er ist ergraut, aber dabei kein bisschen weise. Lieber lässt er sich von seinem Feuer – seiner Tuberkulose – verzehren, als sich einer Ordnung unterzuordnen.
Wyatt Earp (James Garner) steht zwischen diesen beiden. Er ist ein Idealist, der erkennen muss, dass Fortschritt Widerspruch bedeutet, dass Gesetze und aufrechte Bürger auch nur auf ihre Weise ihren Vorteil wahren. Sein Haar ist noch schwarz, er ist ein Klumpen von einem Mann, der als Mensch gewordenes Pokerface kaum zu lesen ist – falls da überhaupt Innerlichkeit besteht – und der in seiner Trägheit seinen Weg nicht so schnell ändern kann.
Dies ist nicht der Film von einem dieser drei, sondern einer Welt, die sich für die Zukunft bereitmacht. In Schlaglichtern wie Gerichtsverhandlungen, Rachefeldzügen, dem Sammeln von Verbündeten, in kleinen Handlungen, zur Solidierung der eigenen Position, bringt sie sich in Stellung und guckt, was am Ende auf sie wartet.
Es startet mit der Schießerei am O.K. Corral – mit dem Sturges GUNFIGHT AT THE O.K. CORRAL endete, weshalb dies eine völlig verdrehte, freie Fortsetzung sein könnte. Danach folgt Passivität. Virgil (Frank Converse) und Morgan Earp (Sam Melville) werden nacheinander getötet, während Wyatt auf Gesetz und Ordnung vertrauend dasitzt. James Garner ist bis weit in den Film hinein kaum eine handelnde Figur. Nur zuletzt offenbart sich sein makabrer, zynischer Rachefeldzug, von dem aus es kein Weg zurück gibt. Auf die Gegenwart wartet nur der Tod in der Zukunft.

Tombstone
(George P. Cosmatos, USA 1993) [stream, OF]

großartig

Wyatt Earp (Kurt Russell) ist unentschlossen. Eigentlich möchte er seriös werden, sich eine geregelte Existenz aufbauen, ein reicher Biedermann werden, aber sein Umfeld und seine Triebe drängen ihn zu idealistischer Gangsterjagd, Ehebruch und Schießereien. Doc Holliday (Val Kilmer) ist ein todessehnsüchtiger Feuerteufel, der mit diebischer Freude und sehr viel Eleganz seinen verschlungenen Lüsten nachgibt. Hier der Mann, für den Erotik eine keusch bekleidete Frau auf einer im Studio künstlich gebauten Blumenwiese bedeutet, dort der Mann, der alles zu etwas Erotischem macht. Hier ein seriöser Schauspieler, da einer der vor Lust und Exaltation regelrecht brennt.
Dieser Western, dieser Film der Schnurrbärte, dem es um die Zivilisierung des Westens geht, um die Eindämmung der Regellosigkeit und der Macht des Stärkeren, wird von diesem Paar angetrieben, dass mit dem Verhältnis zu dieser rationellen Ordnung hadert … und ist selbst zwischen diesem zerbrochen. Hier das kultivierte Epos einer Familie und ihres Zerbrechens, das symptomatisch für eine Ära steht, dort Blitz und Donner, Kitsch, Lust und Laune, wild eingebaute Argumente über die Existenz Gottes, fehlende Zurückhaltung.
Was zum Problem wird, sobald Earp seine Brüder verloren hat und zum Racheengel anwächst, der von Kugeln nicht getroffen werden kann – über den sich seine Mitmenschen wundern, dass er nicht über Wasser laufen kann. Zwei Montagen mit Feuerschwert bringen die Abrechnung. Der Film, der zwischen Herrn in schwarzen Mänteln und Frauen in hellen Kleidern, zwischen Relevanz und dem Ausschluss von dieser, der zwischen Dualitäten aufgespannt war, fällt mit sich zusammen und ist nur noch eins … die Spannung fällt ab.

Gunfight at the O.K. Corral / Zwei rechnen ab
(John Sturges, USA 1967) [stream, OF]

gut +

Die Gegenüberstellung zweier Arten zu lieben. In der einen Liebe wird für den anderen alles gegeben, in der anderen gibt es Grenzen dafür, was jemand bereit ist zu tun – bzw. führen Obsessionen gleich zur gegenseitigen Zerstörung. Die erste Liebe ist die zwischen Wyatt Earp (Burt Lancaster, hier ein erstaunlich steifer Beamter) und Doc Holliday (Kirk Douglas, der als Wrack doch noch Drive in seine Figur bekommt), die Liebe zwischen Männern. Die andere ist die zu ihren Frauen, für die sie ihre Männlichkeit aufgeben müssten, so wie sie sie verstehen – als Gang zu Schießereien, in denen Leute zwischen den Pferden, kraftvollen Tieren, die ihnen ein Versteck bieten, nicht zu erkennen sind und wo leider gemacht werden muss, was gemacht werden muss.

Sex-Träume-Report
(Walter Boos, BRD 1973) [DVD, ≠]

gut

Der Ablauf ist immer der gleiche: erst erzählt uns ein Passant – fast durchgängig sind es Männer, klar – von einem ihrer Sexträume, den sie haben, worauf die Realität folgt, in der sich der Traum in irgendeiner Form erfüllt (hat). Nur sind die Träume viel schöner inszeniert, bunter, verspielter, opulenter, während die Realität, egal wie divergent die Umstände sind, immer nur das gleiche Gehoppel bereithält. Traumerfüllung ist, so entsteht kein Zweifel, ein schlimmer Biedermann.

Dienstag 18.03.

The Electric State
(Joe Russo, Anthony Russo, USA 2025) [stream, OF]

uff

Jedes Auftreten von Emotionalität ist hier, in diesem Abenteuer, in dem jemand den Tod des geliebten Bruders verwinden muss, entweder schlussendlich eine Pointe oder ein Plot Devise. Während der Film also seiner Hauptfigur klarzumachen versucht, wie gesund es ist, sich seinen Gefühlen zu stellen, traut er es sich zu keinem Zeitpunkt. Stattdessen Meme auf Meme. Und das ist das mit Abstand traurigste des Films.
Umsäumt wird dies mit einem politischen Gleichnis, dass nirgendwo anecken will und so großangelegt ist, wie es auch nichtssagend bleibt … und das Jason Alexander viel zu früh aus dem Film entlässt.

Madame Web
(S.J. Clarkson, USA 2024) [stream, OF]

gut

Die Bebilderung meines komplett irrealen Wunschtraums: mit einem Schild die Brocken eines brennenden, explodierenden Feuerwerklagers – d.i. der ganze Schmerz der Jugend – vom eigenen Kind abhalten. Sicherlich nichts was sich umsetzen lässt, wohl auch nichts, was wünschswert ist, aber doch ein schöner Gedanke … und auch ein überraschend bescheidener, schöner Film mit fast durchweg sympathischen Figuren.

Der Ostfriesen-Report: „O mei, haben die Ostfriesen Riesen!“
(Walter Boos, BRD 1973) [DVD, ≠]

ok +

Wie der VERTRETER-REPORT ist dies kein Report mehr. Obendrauf ist DER OSTFRIESEN-REPORT auch kein Omnibusfilm aus verschiedenen kurzen Geschichten/Sketchen aus verschiedenen Lebenswelten. Stattdessen gibt es eine Geschichte, in der die immer gleichen Figuren in die immer gleichen Situationen geraten – zwei Stripclubbetreiber aus München suchen in Ostfriesland nach neuen Attraktionen (und etwas Spaß ohne die Verlobte). Vll. fängt es so zumindest den Stand der Report-Filme als Ganzes ein: Änderung ist nur noch oberflächlich. Und vll. ist dies sogar die Essenz, den die Reihe erreicht hat, wenn Hofbauer und moralische Debatten wegfallen.
Die nachgespielten Ostfriesenwitze, die erbärmlichen Männer, die an Frauen leiden, weil diese im Leben und im Bett Ansprüche stellen, und die tragischen Frauen, die in der Liebe zu solchen Männern gefangen sind, wenn sie sich nicht selbstbestimmt für die Lust mit wechselnden Partnern entscheiden: zuweilen steckt doch noch Faszinierendes in dieser spielfilmlangen Erstarrungserscheinung, in der Lachen ein Akt der Verzweiflung ist – als flehentlicher Zwang der Protagonisten, uns zum Mitlachen zu bewegen.

Montag 17.03.

Paul’s Experience m
(Michael Greive, NL 2012) [blu-ray, OmU]

ok

Ein Experiment: ein 50-minütiger Film, der von einem professionellen Team gedreht wird, und einer, dessen Einzelteile von unterschiedlichen Teams einer Internetcommunity gedreht wurden. Beide basieren auf einem Drehbuch, dessen erste Minuten von einer Drehbuchautorin vorgegeben wurden, wie es weitergeht, wird stufenweise aus den Ideen der Community zusammengesetzt. TRICKED ist der Teil, der vom professionellen Team unter der Regie von Paul Verhoeven gedreht wurde. Und wahrscheinlich wurde auf der blu-ray die kurze Doku über die Erfahrung aus Sicht des Regisseurs vorangestellt, weil dieser Schaffungsprozess im fertigen Produkt kein bisschen zu erkennen ist.
Verhoeven nennt den Prozess immer wieder abenteuerlich und spannend. Es endet aber damit, dass er einen kohärenten Film mit einer runden Dramaturgie haben möchte, dass er den Prozess zu beschneiden und unter Kontrolle zu bringen versucht. Wodurch ein Dokument entsteht, dass kaum den Vorgang aus Schreiben und Drehen sowie dessen Zusammenspiel eingefangen bekommt, dafür aber einen Mann, der darum kämpft das Spannende und Abenteuerliche einzufangen – sein Sieg ist dem kommenden Film anzusehen. Und das ist nicht nur nicht viel, sondern irgendwie auch traurig … gerade bei Verhoeven.
Dafür habe ich aber gelernt, wie sein Name eigentlich ausgesprochen wird. Ich kannte bisher nur die englische Aussprache, nun werde ich ihn immer richtig aussprechen: Verhuufe(n).

Steekspel / Tricked m
(Paul Verhoeven, NL 2012) [blu-ray, OmU]

gut

Dem Cadavre Exquis TRIANGLE kann viel vorgeworfen werden, aber wenigstens ist in diesem das zugrundeliegende Experiment – ein Filmteam unter Tsui Hark drehte eine halbstündige Exposition, eines unter Ringo Lam drehte den halbstündigen Hauptteil und eines unter Johnnie To drehte den halbstündigen Abschluss, Vorgaben wie ein fertiges Drehbuch gab es nicht – zu jeder Zeit anzusehen. Hier sind weder verschiedene Autoren, Handschriften oder gar Brüche zwischen Einzelteilen spürbar. Alles ist wie aus einem Guss. Das Spannende fällt so weg und übrig bleibt eine nette schwarze Komödie über Betrug und strategisches Handeln als Lebensinhalt. Zumindest Verhoevens Lust am Schmier kommt durchweg zu Geltung.

Sonntag 16.03.

Harry Potter and the Prisoner of Azkaban / Harry Potter und der Gefangene von Askaban
(Alfonso Cuarón, UK/USA 2004) [blu-ray] 4

großartig

Die Ironie des Films liegt darin, dass es um Horrorhäuser, peitschende Weiden, seelensaugende Gruselkutten, entflohene Wahnsinnige, unerträgliche Realitäten, Werwölfe und kaum kontrollierbar Tiere geht – also um Marker einer Realität, in der Harry Eltern unumkehrbar tot sind, in der betont wird, dass sich damit abgefunden werden muss, in der sich einige der Grauen als ein zukünftiges Glück offenbaren –, und dann besteht der halbe Film aus einer Zeitreise, mit der schnell mal ein Mann und ein Tier vorm Tod gerettet werden. Die Bitterkeit dieses meist fröhlichen Abenteuerfilms wird dadurch nur größer.
Ansonsten: Gary Oldman reitet auf einem Hypogreif mit zwei jungen Zauberschülern fröhlich über eine Zauberschule – es sieht aus, als wäre es für ihn die am schwierigsten zu spielende Szene in seiner langen Karriere gewesen.

Liebe zwischen Tür und Angel – Vertreterinnen-Report
(Ralf Gregan, BRD 1973) [DVD, ł]

gut

Das Namensanhängsel Report ist schon 1973 nur noch ein Wort ohne Inhalt. Hier gibt es nur eine Ansammlung sexueller Anekdoten, die zu keinem sonst wie behaupteten Erkenntnisgewinn führen. Und Gregan mag sichtlich Sex, also dehnt er das Gehopse – eine freudlos freudige Repräsentation von Sex ohne Sinn für Erotik – aus und dünnt den Rest aus. Sich räkelnde Körper bestimmen große Teile des Films.
Und trotzdem: die frivole Musik zur Öffnung eines Slips; der Vertreter, der sich in einen Teppich einrollt, um sich vorm vermeintlich heimkommenden Ehemann zu verstecken, aber nun die Füße des nächsten wahllosen Beischläfers ins Gesicht bekommt, ohne sich bewegen zu können – Männer werden austauschbar; die Seance und die Vertreterversammlungen, bei denen alte Säcke junges Fleisch beurteilen und genießen; die Kamera, die den Lautsprecher eines Grammophons penetriert, während daneben die junge Frau mit dem auf den Dachboden abgeschleppten Vertreter schläft – gerade dieses ganze Drumherum ums Gehopse ist so kreativ, absurd, erschreckend, dass es traurig ist, wie schwunglos die Abarbeitung an der Lust ansonsten ist.

Sonnabend 15.03.

Tarzan and the Leopard Woman / Tarzan und das Leopardenweib
(Kurt Neumann, USA 1946) [DVD]

gut

Ein weiterer Schritt innerhalb der rasanten Globalisierung von Tarzans Welt. Lebte er früher fast unerreichbar, abgeschlossen auf einem Plateau, kommen inzwischen die Leute nicht nur regelmäßig vorbei, auch scheinen die arabischen und indischen* Landstriche, die er besucht, gleich ums Eck zu liegen.
Gegen diese Globalisierung kämpfen nun Leopardenmenschennazis, ein okkult-faschistisch organisierter Stamm, der gegen Verwestlichung, Zivilisation und Ausbeutung kämpft. Einerseits ist dem Film nämlich anzusehen, dass Hollywood ein paar Jahre Antinazipropaganda in den Knochen stecken – so sehr scheinen diese fiktiven Afrikaner Nazis zu sein, dass ihnen nur SS-Uniformen und Armbinden fehlen. Andererseits präsentiert er eine Vision, wie sich in diesem Hollywood undankbare Bewohner der künftig so genannten Dritten Welt vorgestellt werden, die die Gaben des Fortschritts nicht anerkennen – als Abenteuerfilm. Es erreicht zwar nie dessen Glorie – hier werden sich nur Leopardenfelle umgeworfen und Krallen an die Hände gesteckt –, aber hier kann doch schon das Aufziehen des Monuments INDIANA JONES UND DER TEMPEL DES TODES gesehen werden, der sich im antiimperialen Kampf um Unabhängigkeit nur die wahnhaften Bestrebungen zu kategorischen Rückschritt in okkulte Manie erkennt.
Aber all das ist auch irgendwie egal, denn endlich ist es soweit: Cheetah ist nicht mehr nur der Schlingel, der die Show an sich reißt, sondern die offizielle Heldin des Films, die Tarzan und alle anderen rettet.
*****
* Auf sie wird anscheinend zurückgegriffen, weil die Bilder, die bisher für das riesige Afrika gefunden wurden, mit Dschungel und Kolonialposten erschöpft sind. Entweder also ein mittels Fantastik gemachter Kommentar über das Zusammenrücken der Welt im Laufe des 20. Jahrhundert oder: Hauptsache Exotik.

Waterworld
(Kevin Reynolds, USA 1995) [blu-ray, OF] 4

großartig

Die chaotische schwarze Endzeitkomödie über einen eingefleischten Junggesellen, der gegen seinen Willen eine Familie bekommt und diese schikaniert. Der nichts als Verachtung für diese Eindringlinge in seiner perfekt geölten Maschine täglicher Abläufe hat. Der Film beginnt unmittelbar damit, wie der Mariner (Kevin Costner) in ein Glas pisst, den Urin durch eine Vorrichtung laufen lässt, unten gefiltertes Wasser erhält und es umgehend wieder trinkt. Er ist autark, er ist ein Fels, er ist eine Insel.
Sonnige, blaue Weite bestimmt den Film. Doch überall, wo Menschen in dieser überschwemmten Welt noch Fuß fassen können, herrschen Rost, Schrott, Schimmel und Verfall vor. Das Idealwetter scheint auf sich raufende, hinterhältige Typen, die nur an sich denken und Frauen als Befriedigungsware wahrnehmen – Helen (Jeanne Tripplehorn) scheint es verinnerlicht zu haben. Die ganze Welt ist also sowas wie eine riesige heruntergekommene Männer-WG. Und Dennis Hopper spielt den perfekten Anführer dieser Welt, einen Prä- bzw. Post-Trump-Politiker, der alles in sein Mikro ruft, was ihm Resonanz und Privilegien zu versprechen scheint.
Natürlich geht es darum, dass der Mariner sich nicht nur mit Frau und Kind arrangiert, sondern gleich auch noch Dryland (zumindest) findet, einen festen Grund zwischenmenschlicher Gemeinschaft. Und weil die Welt der Egomänner so übermächtig ist, begeht er Massenmord an den schlimmsten von ihnen und damit an den Fesseln, die ihn in seinem alten Leben zurückhalten.

Freitag 14.03.

Guilty Bystander
(Joseph Lerner, USA 1950) [stream, OF]

großartig

Schweiß, Alkohol, Schmutz und Schimmel: eine Lebenswelt im Zerfall.
Zuerst wird die Welt ausgeweitet. Eine Frau (Faye Emerson) will einen Detektiv (Zachary Scott) sprechen. Sie ist seine Ex-Frau, der gemeinsame Sohn wurde entführt. Von Schreibtisch zu Schreibtisch führt die Suche des Ex-Cops. Hinter diesen, auf sowas wie Thronplacebos findet er seltsame, fragile Formen von Autorität. Oder er trifft auf Barhockern Existenzen, die genauso verschüttet sind wie seine. Wo er auch hinkommt, überall nagt es an ihm, an den Personen, an der schäbigen Realität.
Die Suche nach dem Kind ist für den Alkoholiker, der seine Karriere und sein Selbstbild verloren hat, aber auch eine Suche nach sich selbst. Je mehr er in die Welt da draußen gelangt, desto deutlicher wird, dass seine Probleme immer schon zu Hause ihren Ursprung hatten. Weshalb der Film zu einer Reinigung der eigenen Umstände mit Schwert und Feuer wird, um einen gebrochenen Mann völlig verstrahlt wieder ins Paradies gelangen zu lassen, in eine saubere, generische Welt, die vll. auch schon wieder nur mit Alkohol ertragbar ist.

Donnerstag 13.03.

Chaos: The Manson Murders / Chaos: Die Manson-Morde
(Errol Morris, USA 2025) [stream, OF]

ätzend

Sprechend ist zum Bsp., wenn Tom O‘Neill, einer der Talking Heads im Film und Autor der Vorlage, einen zentralen Moment erklärt, der die Manson Family ins Fadenkreuz der Ermittlungen brachte. Susan Atkins hatte gegenüber ihren Mitinsassen im Gefängnis von den Tate-LaBianca-Morden geprallt. Diese gaben es weiter, und so fand die Polizei die richtige Fährte der seit Monaten gesuchten Mörder. Nur meint O’Neill, dass die Insassen dort nicht zufällig waren, sondern eingeschleust wurden, um die Inszenierung der den Behörden bereits bekannten Täter zu starten. In einem Nebensatz erwähnt er, dass die Insassen wie Atkins Semiprostituierte gewesen seien und deshalb perfekte Gesprächspartner abgaben. Nun fragt Errol Morris aber nicht nach, wie er auf die Idee kommt, dass jemand eingeschleust wurde, oder was der Plan dahinter sei, sondern möchte wissen, was Semiprostitution sein könnte. Und so ignoriert seine Doku jede Möglichkeit einer Vertiefung, sondern fliegt unzusammenhängend durch etwas, das am ehesten eine schlechte Satire auf Verschwörungstheorien ist. Mehr dazu bei critic.de.

Dienstag 11.03.

La Vie d’Adèle – Chapitres 1 et 2 / Blau ist eine warme Farbe
(Abdellatif Kechiche, F/B/E 2013) [stream, OmU]

gut

Ellipsen schlucken alte Freunde, Schulabschlüsse, Wohnungssuchen, fast alles also, was das Verhältnis zwischen Adèle (Adèle Exarchopoulos) und Emma (Léa Seydoux) nicht direkt betrifft. Drei Jahre werden mitunter fast ohne filmische Repräsentation übersprungen. Es jagt voran und es bleibt nur das Entscheidende der erblühenden und gelebten Liebe, ihres Fehlens, der Risse im Glück.
Diese Liebe ist für Adèle alles und basiert größtenteils auf Körperlichkeit. Was auf der einen Seite heißt, dass Adèle zu Beginn zwar ein reiches Schul- und Familienleben hat, später aber höchstens noch ihren Job abseits der Beziehung zu haben scheint. Und selbst die Affäre mit einem Kollegen scheint nur Reaktion auf die Probleme in der Beziehung zu sein und das Gefühl ungenügend zu sein. Schnell und ohne große Kontextualisierung lässt der Film erst das Umfeld verschwinden und lässt seine Protagonistin dann brutal in der Leere zurück, die sie sich schuf.
Andererseits die Körperlichkeit, der Kechiche enormen Platz lässt. Sie drückt sich halbwegs subtil durch einen enormen Arschfetisch in den Bildern aus, aber auch weit weniger subtil durch lange, genüssliche Sexszenen, in denen Adèle und Emma von all den inszenatorisch nachdrücklich betonten sozialen Unsicherheiten befreit scheinen und einfach sie selbst sein können. Die Lust an der Lust teilen sich so die Figuren wie der Film.
Seltsam ist nur teilweise das Licht. An einer Stelle machen sich die beiden Kerzen im Schlafzimmer an, um Atmosphäre zu haben … und doch werden sie von Scheinwerfern mit kaltem Weißlicht von der Seite beschienen. Ihre Schatten werden förmlich an die Wand gepresst. Und mit diesem Licht wird indirekt vor allem die Filmcrew außerhalb des Bildes sichtbar, aber eben auch der Zuschauer als Voyeur spürbar. Es wirkt, als solle auch der Moment ihrer Kommunion durch das Bewusstsein unserer Blicke befleckt werden.
Überhaupt die Kameraarbeit: sehr oft werden soziale Situationen in wackligen Nahaufnahmen eingefangen, als solle den Gesichtern und damit den Gefühlen nahgekommen werden oder sich ein Eingesperrtsein kundtun. Beides funktioniert nicht, die Nähe ist schlicht sinnlos und am ehesten Ausdruck der Wichtigtuerei eines Films, der schon sehr schön ist, zu oft aber nach zu großem Geltungsbewusstsein hinter der Kamera aussieht. Und auch die epische Laufzeit von drei Stunden tut dem flüchtigen Ansatz nur bedingt gut.

Fast X
(Louis Leterrier, USA 2023) [stream, OF]

gut +

Die nachhaltige SAW- und MCU-Werdung stört ein ansonsten wunderbares Zerstörungsfest. Aber mit Momoas bemühten Camp hatte ich auch meine Probleme, doch Lukas F. hat mich hier dann doch eines besseren belehrt. Wenn der Abschluss der Geschichte dann endlich kommt, werde ich es nochmal versuchen und es vll. alles etwas anders sehen.

There’s No Business Like Show Business / Rhythmus im Blut
(Walter Lang, USA 1954) [blu-ray, OF]

gut

Es gibt nur den Hauch einer Handlung, dafür viele reichhaltige Revue-Auftritte mit durchgedrehten Kostümen und endlosen Versuchen, der Realität zu entkommen. Die Cinemascopebilder bleiben dabei meist auf Distanz und beobachten ohne Schnitt. Ein Film als Bühne von Können und campiger Selbstentwürfe.

Rosso sangue / Absurd
(Joe D’Amato, I 1981) [blu-ray, EF] 2

großartig

Es beginnt mit zwei Leuten, die nacheinander auf die Kamera zulaufen. D’Amato verliert keine Zeit, seine Interessen zu erreichen. Später wird aber vor allem mit dem Auto durch die Nacht gefahren. Statt selbst in Bewegung zu sein, wird sich sitzend treiben gelassen. Nur suchen die Fahrenden ohne Fährte nach einem genetisch manipulierten Übermenschen (George Eastman als psychopathischer Wolverine). Statt willenlosem Tragenlassen, also eine Bewegung zum Horror hin. Passivität (sitzen und feststecken) und Aktion (suchen und sich wehren) sind wie in einem Alptraum unlösbar verschmolzen.
D’Amato spielt zudem noch mehr mit dem Gegensatz aus Weite und Enge. Die geräumige, sonnige Landschaft von ANTROPOPHAGUS wird durch die Nacht in einer Kleinstadt ersetzt, durch eine endlose Weite, die doch erdrückend ist. Und in dieser schleicht ein Boogeyman, der ungreifbare Ahnung bleibt, bis er zupackt. Der dramaturgisch zwei Kindern umkreist, bis er endlich an ihrem Haus ankommt, eine traumatische Erfahrung zufügt und sie infiziert. Blutig und bildgewaltig stellt D’Amato heraus, dass der Wahnsinn bei ihm keinen Außen, kein Entkommen kennt. Endlos liegt er um uns, ewig bereit sich aus dem Nichts zu verdichten, zu zupacken und alle Unschuld zu korrumpieren.

Montag 10.03.

Horizon: An American Saga – Chapter 1 / Horizon
(Kevin Costner, USA 2024) [stream, OF]

nichtssagend

Das Leitmotiv des Films sind Leute, die sich ein Werbeprospekt für Horizon anschauen. Für einen fruchtbaren Landstrich, der nur auf Siedler warten soll. Wir wissen aber, dass die bisherigen Siedlungswellen alle von den Apachen, die ihr Land nicht aufgeben wollen, massakriert wurden. Und doch kommen immer neue Siedler, die auf den Horizont schauen und sich von diesem etwas Besseres als ihr Hier und Jetzt versprechen. Die am Horizont eine blühende, freie, prosperierende Zukunft sehen. Symbolisch wird die Geschichte der USA auf einen Platz konzentriert und der amerikanische Traum als Blick auf den Horizont zusammengefasst, der Leute antreibt, die wie eine Pflugschar durch den Kontinent jagen und dabei Fortschritt bringen, aber auch Tod und Verderben nicht zu knapp.
Gezeigt werden uns diverse Perspektiven von Siedlern, die schon da sind, und Siedlern, die kommen. Von Militärs, die ausbaden müssen, dass der Strom nie endet und zwangsläufig in Blut enden wird. Von Apachen, die die kommende Bewegung der Verdrängung deutlich spüren und zwischen Akzeptanz und Gegenwehr zerrissen sind. Von Cowboys, die einfach nur durchs Land wandern und so ruhig wie möglich überleben wollen, und von Frauen, die von Machoclans wie Dinge behandelt werden. Es gibt rudimentäre chinesische und noch rudimentärere afroamerikanische Perspektiven, als wolle Costner sein Land und den Mythos seiner Gründung aus allen möglichen Blickwinkeln einfangen.
Nur fühlt sich das Ergebnis – zumindest beim ersten Teil – nicht wie ein wuseliges Portrait vieler Perspektiven an, sondern wie eine didaktische Aufarbeitung des Westens. Die Möglichkeiten, die die Zukunft dem Land bringt, werden in vielsagenden Dialogen und Monologen aufgesagt, damit jeder versteht. Wo John Ford meist nur eine Geschichte erzählte und darauf vertraute, dass der Zuschauer den Mythos und das Drumherum einzuordnen weiß – oder sich einfach nicht dafür interessierte, was der Zuschauer mitnimmt und was nicht –, da fühlt es sich hier an, als solle dieses durchaus fordsche Projekt alles aus zu buchstabieren.
Einige der Geschichten sind interessant (Costners Roadmovie mit der Prostituierten am meisten), oft fühlt sich das Geschehen wie eine Wiederkehr tausendfach gesehener Tropen an. Und überhaupt wirkt es wie das vorbereitende, aber an sich nicht wichtige Hinwirken auf etwas Späteres. Mal sehen, was die kommenden Teile also bringen.
Eine Nebenbemerkung: die Militärs reden von indigenious und aboriginal people, die am Rand auftauchenden Schwarzen werden nie ausgegrenzt, verfolgt oder ähnliches. Es ist so absolut, dass der Eindruck entsteht, dass es keinen Rassismus zu der Zeit gäbe. Gerade bei der umfassenden Perspektive, nach der Costner zu streben scheint, wirkt es doch wie eine unlautere Schönfärberei.

The Zero Theorem
(Terry Gilliam, UK/F/ROM 2013) [stream, OF]

ok

Während und nach meiner Krankheit um das vorletzte Februar Wochenende herum hatte sich Schnodder in meiner Nebenhöhle angesammelt. Dieser hatte schließlich Ende letzter Woche per Entzündung an einer meiner Zahnwurzeln dazu geführt, dass die Nerven des entsprechenden Zahns langsam abstarben. Tags zuvor hatte ich nun eine Wurzelbehandlung beim zahnärztlichen Notdienst. Meine rechte Gesichtshälfte fühlte sich dieser Tage dementsprechend an, als hätte mir ein Boxer einen Schlag verpasst. Schlafen konnte ich auch nicht so gut.
Was uns also zu THE ZERO THEOREM führt. Mehrmals bin ich den Umständen geschuldet eingeschlafen, und mein größtes Problem mit dem Film ist, dass ich nicht das Gefühl hatte, dass mir etwas fehlte. Die Gegenüberstellung von grauer, lustfeindlicher Askese und buntem Kommerzialismus, von Glauben und Nihilismus – allesamt werden als Sackgassen dargestellt –, ist einfach so offensichtlich und nutzt die immer gleichen Mittel, um immer wieder das immer Gleiche zu artikulieren. Alles läuft auf ein Bonmot hinaus, wonach Qohen (Christoph Waltz) gerade sein Leben verschwendete, weil er an einen tieferen Sinn in ihm glaubte, und der Film ruht sich auf dieser einen Sentenz aus. Vll. ist mein Problem auch, dass das Digitale nicht zu Gilliam zu passen scheint, weil seine Welt dadurch nicht mehr mit Leidenschaft erstellt wirkt, sondern wie von der Stange erstanden.

ピストルオペラ / Pistol Opera
(Suzuki Seijun, J 2001) [DVD, OmeU] 2

nichtssagend

BRANDED TO KILL im DER GESCHMACK DES GRANATAPFEL-Modus, oder: ein Kino der Posen, das es nicht mal bei seiner zumindest vorhandenen Schönheit – der eine Pluspunkt, den der Film besitzt – belassen kann, sondern am Ende noch eine Meditation über den Kriegstrieb der Menschheit gewesen sein muss. Suzuki hat ja immer gesagt, dass er eben machte, was ihm Spaß bereitete. Nur wirkt gerade hier alles wie Geste und nicht wie Lust.
*****
Auch hier bin ich wegen der bei THE ZERO THEOREM genannten Gründe immer mal eingeschlafen. Während ich es dort bedauerte, muss ich gestehen, dass ich hier froh war, da ich es so schneller hinter mir hatte. Für einen Kurzfilm wäre diese Abfolge von poetischen Einstellungen wirklich toll. Für zwei Stunden empfand ich es als Tortur.

Antropophagus / Der Menschenfresser
(Joe D’Amato, I 1980) [blu-ray, OmeU] 2

großartig +

Weil ich vier Tage zuvor hier und da eingenickt war, wollte ich etwaige Lücken schließen. Zwar konnte ich feststellen, dass ich von den entscheidenden Geschehnissen fast nichts verpasst hatte. Umso mehr aber von einem Film, dessen Hauptaugenmerk auf laufenden Menschen liegt. Sie laufen durch eine leere, vormoderne Stadt, über einen Friedhof, durch Wald und Wiese, durch mit Skeletten befüllten Höhlen, durch klaustrophobische Häuser, hinter deren Spiegeln das Grauen versteckt wird. Oder sie fahren Boot und Seilbahn, Hauptsache ist, dass es ohne Hektik irgendwohin geht. Entspannung und paranoider Fatalismus, weil hinter jeder erreichten Ecke der Rachen des Wahnsinns zu vermuten ist, gehen so Hand in Hand.
*****
Das Bild der blu-ray war eigentlich ziemlich schön, nur lagen die Farben womöglich ein wenig daneben. Die Hautfarbe scheint mir oft etwas zu rot, während die Tage sonnig zu sein scheinen, aber eben diesig aussehen. Die Figuren tragen stets Pullover oder andere ein wenig wärmere Sachen, es könnte also vll. stimmen. Die starken Schatten sprechen aber eine andere Sprache. Gern würde ich mal eine 35mm-Kopie sehen oder wenigstens eine DVD, die von einer solchen gezogen wurde. Alternativ wäre es natürlich schön, wenn der Quatsch mit den Negativ-Scans aufhört und sich nicht mit solchen Fragen herumgeschlagen werden müsste.

Sonntag 09.03.

Astérix chez les Bretons / Asterix bei den Briten
(Pino Van Lamsweerde, F/DK 1986) [blu-ray] 10

großartig

Im Comic treffen Asterix, Obelix und Teefax bei Ankunft in Londinium auf eine Menschentraube, die vier Pilzköpfe euphorisch umringt. Zwanzig Jahre später ist der Gag natürlich veraltet, aber wenigstens Duran Duran oder so hätten doch gefeiert werden können, statt es einfach nur zu streichen. Ich hadere.

About My Father / Und dann kam Dad
(Laura Terruso, USA 2023) [stream, OF]

gut

Wie THE BIG SICK ist dies das Dokument des Aufeinanderprallens zweier Familien/Lebenswelten. Laura Terrusos Film sieht deutlich schicker aus und ist auch viel straffer konzipiert, was aber eben kein Vorteil ist, weil er auch gleich viel formatiger wirkt. Teilweise funktioniert er sensationell (das Tennismatch), oft wirkt er etwas zu routiniert abgespult. Sebastian Maniscalco ist durchaus in der Lage den Film alleine zu tragen, aber zu oft wirkt es, als hebe er sich dabei einen Bruch. Am schönsten ist aber die irritierende Vertrautheit zwischen den beiden Polen des Films: Robert de Niro spielt einen grummligen, unflätigen Arbeiter, dem Funktionieren und Funktionalität über alles geht; Brett Dier spielt einen dysfunktionalen Wokey, der in einer realitätsfernen Blase totaler Absicherung dahin existiert und keinen Druck verträgt; beide müssten sich wie Hund und Katze angehen, aber sie umkreisen sich in gleichzeitiger Faszination und Ekel.

Sonnabend 08.03.

The Big Sick
(Michael Showalter, USA 2017) [stream, OF]

großartig

Vll. ist es nicht der am schönsten fotografierte Film, nicht der mit der straffsten Dramaturgie, nicht der aufregendste oder kreativste, aber die Charaktere haben genug Herzblut und Eigenleben für zwei Filme, und das ist sehr viel wert. Und ganz so trist ist es formell auch nicht, da diese RomCom weitgehend ohne die Frau der Paarbeziehung abläuft, die im Koma liegt, sondern eine Annäherung zwischen Stand-Up-Comedian Kumail Nanjiani (Kumail Nanjiani) und seinen fast Schwiegereltern (Holly Hunter & Ray Romano) nachzeichnet.

Benny & Joon
(Jeremiah S. Chechik, USA 1993) [stream, OmeU]

gut

Verrückte sind die besseren Normalos, scheint die Botschaft auf den ersten Blick zu sein. Aber im Grunde geht es nicht um die Spannung zwischen Verrückten und geistig Gesunden, sondern um Verrückte, die ihr Leben halbwegs geregelt bekommen – bspweise: Automechaniker Benny (Aidan Quinn), der mit Freunden regelmäßig um kuriose Einsätze pokert oder Angst vor zu viel Nähe von Frauen hat und deshalb die hilfsbedürftige Schwester vorschiebt, um möglichst schnell einen Abflug machen zu können –, und solche, denen dies verwehrt ist – bspweise: Joon (Mary Stuart Masterson) und Sam (Johnny Depp), zwei Künstler.
Der sentimentale Film über die Verrücktheit des Menschseins ist selbst leider nur bedingt seltsam oder eigenwillig. Zu sehr ordnet er für die Dramaturgie, zu sehr sind die Charaktere lediglich Funktionen, zu viel ist Formel. Lieber ist er nett, als bemerkenswert.

Freitag 07.03.

The SpongeBob SquarePants Movie / Der SpongeBob Schwammkopf Film
(Stephen Hillenburg, USA 2004) [DVD] 4

großartig

Das Finale gleicht einem Hair-Metal-Powerballaden-Musikvideo, in dem Spongebob in mondänen Stiefeln, Zaubererumhang und -mütze per Gitarrensolo die Bewohner Bikini Bottoms von Gedankenkontrolleimern auf ihren Köpfen befreit … und Lotti Z. (9 Jahre) sprang auf und rief mehrfach aufgewühlt: Das ist einfach nur lächerlich!. Als schließlich der Abspann lief, konnte sie kaum aufhören zu bemerken, dass das gerade so ein Blödsinn war. Alleine dafür hatte sich der Film gelohnt, als ich sie aber fragte, ob ihr der Film denn gefallen hatte, meinte sie nur: klar, und ich war glücklich.

Köln 75
(Ido Fluk, D/B/PL 2025) [stream]

gut

Jazz isn’t dead, it just smells funny. Frank Zappas Bonmot soll durchaus angegangen und die Frische des Jazz in den 1970ern bewiesen werden, mehr noch wird aber der komische Geruch bestätigt. Mehr dazu auf critic.de.

Donnerstag 06.03.

Antropophagus / Der Menschenfresser
(Joe D’Amato, I 1980) [blu-ray, OmeU]

großartig

Trauma führt zu Wahnsinn, dieser transzendiert die Realität und schafft ein monströses Superwesen: Der ungeheure Mörder dieses Slashers ist nicht einfach nur ein Grauen aus dem Schatten unseres Bewusstseins, sondern die Materialisation der Gefahr überzuschnappen, weil die Wirklichkeit zu schlimm war. Ein Mann (George Eastman) lauert überall, ist unsterblich und reißt uns die Gedärme raus, um sie vor uns zu essen. Er ist ein Übergeschnappter, aber auch der auf uns lauernde Wahnsinn selbst.
Von ihm bedroht werden Freunde, die ein Paradies genießen wollen. Sie fühlen sich wegen ihres Glücks vll. dermaßen privilegiert, dass ihr schlechtes Gewissen sie meucheln möchte. Vll. ist auch einfach ihre Leben zu schön, um wahr zu sein. Zusammen ergibt es jedenfalls die gammelige Version eines Hitchcock-Thrillers, die anders als Chabrols teilweise auch sensationell gammligen Hitchcock-Hommagen nicht nach Reichtum strebt, sondern nur an einem dumpfen, sich materialisierenden Abgrund interessiert ist, der unnachgiebig Schönheit zerstören möchte.

Mittwoch 05.03.

The Birds / Die Vögel
(Alfred Hitchcock, USA 1963) [blu-ray, OF] 5

fantastisch

Bei meiner ersten Begegnung gegen Ende meiner Jugend stellte der Film für mich eine Geduldsprobe dar, da es endlos zu dauern schien, bis kam, was mich interessierte: die Vögel, die Orchestrierung ihrer Angriffe, die von ihnen zerhackten Opfer, der Horror. An diesem Aspekt des Films fasziniert mich Inzwischen auch noch, wie vehement Hitchcock sie als Bullys inszeniert, wie animalische Straßengangs, die unbescholtene Passanten belästigen und schon mit ihrer Anwesenheit bedrohen.
Noch besser gefällt mir im gesetzten Alter einerseits, wie mit der Naturkatastrophe umgegangen wird, dass Vögel die Menschheit anzugreifen scheinen. Im Film stehen überall die möglichen Erklärungsansätzen herum, sie werden aber nicht aufgegriffen. Begehren die Vögel gegen die allgegenwärtigen Käfige auf, in die sie – zumindest die attraktiven – gesperrt werden? Haben sie auf magische Weise ein Klassenbewusstsein entwickelt und kämpfen nun gegen die ihnen hilflos unterlegene Menschheit – um die Herrschaft, um Gerechtigkeit? Muss vll. einfach nur Melanie (Tippi Hedren), die Frau, die sichtlich im Zentrum der Angriffe steht, geopfert werden … oder ist das nur vorrationale Lynchjustiz gegen jemanden, der nur zufällig gegen den Strommast schlug, als die Energieversorgung ausfiel? Sichtlich hat Hitchcock Lust die Paranoia seiner Zuschauer zu füttern, nicht aber sie abzubauen.
Andererseits mag ich jetzt umso mehr, was mir damals am meisten eine Qual war: das ödipale Liebes- und Eifersuchtsdrama, der Balztanz zwischen den Geschlechtern mit all seinen Stellvertreterkriegen, dieser unterirdische Strom aus Sex, (unbewusster) Missgunst und frotzelnden Spielchen. Früher musste ich da durch, um zum Horror zu kommen, jetzt sind die Vogelattacken eher Spannungsabbau, der von diesem verbiestert brodelnden Vulkan erlöst.
Auf jeden Fall ist so viel los, soviel zu sehen, so viele Genre gleichzeitig, dass es eine Freude ist.

Dienstag 04.03.

Schlüsselloch-Report
(Walter Boos, BRD 1973) [DVD, ł]

ok

Eine Tante und ihre jugendlichen Töchter fallen nacheinander über den jugendlichen Neffen her, ein Frau geht für ihren Freund anschaffen, dass er sich sein Studium finanzieren kann, ein Pseudogesundheitsinspektor untersucht Frauen unter der Campingplatzdusche, uswusf.: Oft gleicht dieser heruntergekommene, ein bisschen wahllose Ramschladen – Thema sind Beobachtung und Beobachte, die sich unbeobachtet fühlen sein, aber meist ist dieser Teil der Handlung kaum der Rede wert – einem bebilderten Altherrenwitz. Gleichzeitig, im Guten wie im Bösen, versucht er nie zu moralisieren, weshalb ihm das Reißerische, das die meisten Themen begleitet, völlig abgeht. Das Präsentierte ist nicht zwangsläufig haltbar, die ständige sexuelle Belästigung ist wohl auch happig, aber wenigstens versucht er nicht blind zu skandalisieren.*
Als historisches und soziales Dokument und Beweisstück ist es zumindest spannend und besser als als Erotikkomödie, die mehr bemüht als beschwingt ist. Etwas nächtliches Geländerrutschen hier, etwas Entspannung durch fehlend Pointierung da, vor allem aber ein Klumpen (schwieriger) guter Laune, die einen auszuzelt.
*****
* Ich habe eine gekürzte Fassung gesehen. Offenbar endet eine ganz luftige Episode tatsächlich noch mit einer Vergewaltigung, die womöglich dadurch zustande kommt, dass eine Freundin für ihren Freund, der lernen muss, Taxi fährt. Vll. sieht es mit der Szene anders aus.

Montag 03.03.

Here
(Robert Zemeckis, USA/CA 2024) [stream, OmeU]

großartig +

Das Konzept ist klar. Mit einer Ausnahme sehen wir die komplette Laufzeit des Films genau eine Perspektive auf einen Ort zu verschiedenen Zeiten. Der Ort und unsere Sicht sind also maximal dingfest gemacht, die Zeit andererseits ist fast völlig von der Leine gelassen – dramaturgisch bedingt schweben wir selbstredend nicht wahllos und irrlichternd durch die Äonen, sondern verfolgen die Geschichte einer Ehe über mehrere Jahrzehnte, angereichert mit anderen Leben an diesem Ort (Wilde Zwanziger, Indianer, Dinosaurier uswusf.). Raum und Zeit sind in ihrem Freiheitsgrad also grundlegend entgegengesetzt.
Die räumliche Limitierung spürt Margaret (Robin Wright) am nachdrücklichsten. Um den Schulabschluss herum lernt sie Richard (Tom Hanks) kennen und lieben. Schnell wird sie schwanger, keiner von beiden hat Geld oder einen Job. Also ziehen sie bei Richards Eltern ein, auf deren Wohnzimmer uns Blick festgelegt ist. Aber auch als Richard einen Job nachgeht, reichen nie die Mittel, dass sie ausziehen und sich ein eigenes Heim suchen. Oder mehr noch: Richard lässt alle Wünsche Margrets in die Richtung versanden, weil ein Auszug für ihn lebensweltliche und finanzielle Unsicherheit zu bedeuten scheinen. Für Margret werden Haus und Ehe also zunehmend zum Gefängnis. Immer schwerer erträglich ist es ihr.
Im Umkehrschluss könnte das bedeuten, dass die zeitliche Freiheit Richard entspricht, der die räumliche Limitierung nicht als solche zu empfinden scheint. Dass er eben die bestaunenswerten Veränderungen der Zeit wahrzunehmen weiß. Dass der Ort für ihn keine Einengung ist, da er die Dinge im Fluss erlebt. Aber genau das ist es nicht. Er hat seine Malerei für den Broterwerb aufgegeben, sein Leben ist ein einziges du musst. Ihm scheinen die Limitierungen, die er verdrängt, aber doch nur allzu deutlich spürt, nichts auszumachen, weil das Hier und Jetzt für ihn alternativlos zu sein scheint. Ein Blick über den Tellerrand, und er könnte die Ruinen seiner Träume erkennen, die er einem hohlen Funktionieren als Vater und Ernährer und damit dem Scheitern seiner Ehe geopfert hat.
Für wen fliegen also die Kolibris, verlieben sich zwei Indianer, streitet der Sohn Benjamin Franklins die Ideale seines Vaters ab? Wieso bekommen wir die unterschiedlichen Alltäglichkeiten diverser Zeitalter zu sehen. Einerseits weil wage darin die Erkenntnis mitschwingt, dass die Oberfläche sich zwar ändert, dass darin aber etwas Universelles und Zeitloses zu erkennen ist. Dass sich Leute lieben und ihr Glück finden, dass die Dinge kompliziert sind/werden.
Viel zentraler zeigt uns der Film jedoch diese Wunder und lockert sein Drama mit ihnen auf, damit nicht sofort zu spüren ist, was für eine bittere, gemeine, klaustrophobische Geschichte hier tatsächlich erzählt wird, die erst durch Demenz, Verdrängung oder Nostalgie als eine glückliche verstanden werden kann. Bzw. etwas positiver gestimmt: Gerade der Abstand von der unmittelbaren Zeitlichkeit besitzt die Kraft, das Glück unter der Patina des alltäglichen Stresses deutlicher hervortreten zu lassen.

27.02. – 02.03.
3. auswärtiger Filmkongress des Hofbauer-Kommandos

Sonntag 02.03.

Catherine et Cie / Catherine & Co.
(Michel Boisrond, F/I 1975) [35mm]

großartig +

Mehrmals wird angetäuscht, dass Catherine (Jane Birkin) doch noch ihre (vor allem monetäre) Unabhängigkeit für die Liebe (und die Moral) aufgibt. Aber die immer wieder durchbrechende Utopie des Films ist, dass sie nicht vor den moralischen Anforderungen ihres geliebten François (Patrick Dewaere) nach Monogamie einknickt. Dieser zarte, leichte Film über Polyamorie besitzt die Kraft eines aufwühlenden Melodramas, versteht sich aber als sentimentale Komödie, als Ansammlung von glücklichen Impressionen … die halt gewaltige Dramen in sich bergen. Seine Stärke liegt darin, dass er keine Punkte beweisen muss, sondern einfach nur wie ein Stehaufmännchen nicht von seiner prekären Position ablässt, die er mal feiert, mal wie den Ort eines tragischen Pyrrhus-Sieges aussehen lässt.

Die Blonde da oben k
(Jane Seitz, BRD 1974) [35mm]

großartig

Ein schmieriger Hausmeister – wenige Bilder reichen, um seinen tristen Alltag zu zeichnen, in dem Hoffnung weitestgehend verloren scheint – arbeitet sich unter einem ausgedachten Vorwand in die Wohnung einer jungen, alleinerziehenden (?) Frau ein, … weil er bei ihr denkt, auch seinen Besen in den Müll reinpressen zu dürfen. Sie lasse ja eh jeden ran, meint er. Im Endeffekt verbringt er mehr Zeit in der Wohnung damit, an den O.B.s zu schnüffeln und ein Kissen zu kuscheln, der Horror ist aber so potent, wie die Symbolik bei aller Subtilität ultraräudig ist. Leider der einzige Film von Cutterin Jane Seitz.

Mäander – Erotik ohne Worte
(Walter Vogel, A 1971) [35mm]

nichtssagend

Der Film zeigt einen von weiblicher Sexualität verunsicherten Mann zwischen zwei Frauen, die nur eine ist. Die gute Sexualität, die ihn nicht bedroht, kompartmentalisiert er in die blonde Version der Frau, die schlechte, die Abenteuer mit anderen nahelegt und die nicht auf ihn fixiert ist, in die schwarzhaarige. Symbolisch wir das Luder am Ende getötet, damit er daraufhin in Kommunion mit einer gutartigen Schwarzhaarigen zusammen sein kann.
Dieser psychologische Durchbruch stellt sich im Film als ewiger, symbolischer Tanz durch schummriges Geschehen dar. Als Schmier für den gehobenen Psychotherapeuten, der zum Wichsen ins Kunstmuseum geht. Es ist LOST HIGHWAY und EYES WIDE SHUT als surreale Therapiesitzung, bei der nackte Frauenkörper mit viel kunstwilliger Anstrengung zu etwas Gutem und Wichtigen geworden sind, das ohne Scham angeschaut werden kann. Sex ist dabei lediglich ein Objekt, dessen Begierde als einem nicht zugehörig erlebt wird.

Sonnabend 01.03.

Massacre pour une orgie / Mädchenhandel lohnt sich nicht
(Jean-Pierre Bastid, L 1966) [35mm]

verstrahlt +

Mein Beitrag zum Sammeltext bei critic.de über die vielen bizarren Filme des verlängerten Wochenendes handelt von diesem von seiner deutschen Synchronisation torpedierten Film.

Exit II – Verklärte Nacht
(Franz Novotny, A 1995) [35mm]

großartig

Der Eiserne Vorhang ist gefallen. Vor den Toren Wiens eröffnen sich die Möglichkeiten, um etwas aus sich zu machen und Gewinne einzustreichen. Es ist eine Zeit des Aufbruchs … für die Skrupellosen, die langgenug an Mammon denken können, statt ihren Begierden hemmungslos hinterherzurennen. Kirchhoff (Hanno Pöschl, ultra) zieht es zu sehr zu den Frauen, Plachinger (Helmut Berger, der andere, mega) hat nicht genug Durchsetzungskraft. Und weil sie nicht für diese Welt der schmierigen Gewinner gemacht sind, fliehen sie vor den Geldeintreibern auf ihren Fersen … bis ihr Leben zum Roadmovie geworden ist, zu einer existentialistischen Flucht vor Sinn und Gesellschaft.
Der eine ist fleischige Hybris, der andere schwitzende Auflösung. Zunehmend ignorieren sie das, was um sie herum los ist. Sie pfropfen jeder Situation, in der sie landen, das eigene Drama auf, das eigene Chaos – so wie die Welt ihnen ihr Ungenügen durchgehend unter die Nase reibt. Bis alles zerbrochen oder in Flammen aufgegangen ist. … aber mit Wille zum Stil. Weshalb diese trübe, miefige Eskalation seinen ganz eigenen Glamour findet.

Anyone But My Husband
(Roberta Findlay, USA 1975) [35mm, OF]

großartig

Ein Psychologe – mit einer enormen, enormen Kleenex-Packung – rät einer frustrierten Ehefrau fremdzugehen und sich auszuprobieren, um sich zu finden und so vll. ihre Ehe zu retten. Es folgt eine Anthologie von Möglichkeiten Sex zu haben, die jeweils mit einem distinkten Musikstil verbunden werden. Die Musik vertieft so noch das sexuelle Verständnis der unterschiedlichen Praktiken. Das Peitschen verbindet sich mit ziehenden Streichern wie bei Alfred Schnittke, der Kuschelsex mit einem Poetiker zwischen Blumen mit romantischer Musik (Rachmaninows 2. Klavierkonzert). Zu eher Renaissance-artigen Klängen wird gefistet, zum Deep Throat schweben wir mit Strauss AN DER SCHÖNEN BLAUEN DONAU, während die Orgie von der Synthesizer-Version von Renaissance-Musik wie bei Francesco Zappa begleitet wird. Eine Nummernrevue, die aber auch ein Garten der Lüste ist.

Hot Child in the City / Dancing in the City
(John Florea, USA 1987) [VHS, ≠]

verstrahlt

Die Dunkelheit des Films ist teilweise vollkommen – nur einelne Punkte oder eine Linie Licht heben sich vom Schwarz ab. In ihr scheint vor allem männliche Identität austauschbar. Ronn Moss spielt mit, und ich war mir nie sicher, ob er es ist, wer der drei oder vier Männer er sein könnte, oder ob alle einfach ein wenig nach ihm aussehen. Ich war ein wenig schläfrig, aber das war, glaube ich, nicht der Hauptgrund, dass mir immer noch unklar ist, welche Rolle er gespielt hat. Irgendwo in der Dunkelheit waren da eben, drei oder vier kantige Gesichter mit breiten Körpern, einer ein Mörder, einer ein Held, einer ein androgyner Möchtergernrockstar, aber wer was ist, wird gnadenlos auf Bildebene verschleiert.
Der Soundtrack enthält Billy Idol (EYES WITHOUT A FACE & FLASH FOR FANTASY), Lou Reed (WALK ON THE WILD SIDE) oder FUN BOYS THREE (OUR LIPS ARE SEALED). Es hört sich also nach Budget an, aber zum Glück sah es nie danach aus.

Februar
Freitag 28.02.

In Frankfurt sind die Nächte heiss
(Rolf Olsen, A 1966) [35mm, ł]

gut

Ehe ohne Geld ist eine Krankheit.
JUNGFRAU AUS ZWEITER HAND in Hochglanz. Die Polizisten rücken in den Hintergrund und sind weit weniger räudig. Dafür gibt es mehr Action, mehr blumiges Geschehen wie der Krieg zwischen Prostituierten, die quasi per Drive-by Torten aufeinander werfen. Aber gleichzeitig ist es auch ein wenig beliebiger. Diese Kolportagegeschichte möchte geil einen Abgrund zeichnen, in dem alles verdorben ist. Dieser Abgrund ist aber eben nie so verstrahlt und ruchlos wie in Olsens ein Jahr später entstandenem WENN ES NACHT WIRD AUF DER REEPERBAHN. Die Krimistruktur ist vll. unpassend, weil hier eh niemand mehr zu retten ist. Vll. fehlt aber einfach nur die ein Jahr später so effektiv eingestezte Farbe, damit diese bunte Party mehr gewirkt hätte.

Sometime Sweet Susan
(Fred Donaldson, USA 1975) [35mm, OmswedU]

fantastisch

Die Musik besteht zuvorderst aus leicht psychedelischen Folkpop, der fast den gesamten Film in ein Idyll verwandelt. Unterlegt ist er mit trauter Zweisamkeit, Zeitlupen, Sonne und genossenen Nachmittagen mit Picknicks und Frisbee. Diese ausgebreitete verträumte Harmonie ist aber nur da, damit es eine enorme Fallhöhe gibt. Schnitte, Schreie und plötzlich hereinbrechende klaustrophobische Stille lassen immer wieder Horror einbrechen.
Susan (Shawn Harris) befindet sich in einer Anstalt und reagiert erst im Laufe des Films auf Versuche, mit ihr in Kontakt zu treten. Ob sie nur katatonisch dasitzt oder zunehmend besser mit Arzt (Harry Reems – mir schien es dieses Mal, dass er sich ein wenig wie Kevin Costner anhörte und dass seine Figur auch zu diesem gepasst hätte) und Schwester interagiert, wie verfolgt scheint sie von Träumen von Geborgenheit, die mit Bildern und der Musik ihre Realität überschreiben. Lange ist nicht klar, ob sie sich darin hoffnungsvoll verkrallt oder ob sie ein Schmerz sind, der sie nicht loslässt.
Konterkariert wird ihr Sein mit der Ehe des Arztes (Jennifer Jordan spielt die Frau) und dessen Beziehung zum Chef der Anstalt. Stets ist er Teil von Interaktionen voller Ironie und gegenseitigem Verständnis. Jede leichte Schatten einer Ehekrise endet in Sex und gegenseitigen Genuss, jeder Konflikt wird mit Spaß und reziprokem Vertrauen geführt. Wie zum Hohn steht Susans Ringen eine grundlegende Verspieltheit entgegen.
Überhaupt ist es ein Film der Gegenüberstellungen: Musik und Stille, karge Innenräume und sonniger Garten, Idyll und Horror, Schuld und Unschuld. Es ist der Film einer tiefgreifenden Persönlichkeitsspaltung. Vor allem ist der erste und einzige Cumshot dieses lyrisch, dunkelromantischen Hardcorepornos bei einer Vergewaltigung zu sehen – bei der Jamie Gillis, tags zuvor noch ein verspielter Chipmunk, die Aura des Teufels persönlich verströmt. Das eine löst das andere aber nicht ab, vielmehr fließt alles ineinander und verschmilzt … was das unnachgiebige Gefühl nach sich zieht, dass diese Wolke sieben, auf der wir beim Gucken sitzen, von rostigen Nägeln durchzogen ist.

La Red / Brandung der Leidenschaft
(Emilio Fernández, MEX 1953) [35mm]

großartig +

Die fast stumme, über Blicke erzählte Dreiecksliebesgeschichte kommt vor allem in schmierigen Zweideutigkeiten voll zu sich. Wie soll es auch anders sein: Die Sonne brennt heiß, der Strand ist weich, kühl, klebrig und der Sand klebt je nach Person, die in ihn fällt, ein bisschen anders an ihm. Meeresrauschen kommt hier einem subtilen, unablässigen Fieber gleich. Der Höhepunkt ist eine Sequenz, die damit beginnt, dass eine Frau Schwämme bearbeitet, wobei es aussieht, als masturbiere die außerhalb der Kamera befindliche Hand einen Penis. Worauf der ihr gegenüberstehende Mann, der beste Freund ihres Mannes, seinen Kolben mit nackten, verschwitzten Oberkörper ein ums andere Mal in eine Mahlschüssel stößt. Sie schaut sich dies inzwischen vor ihm ausgestreckt an – mit einer aufgeschlagenen Kokosnuss im Schoß, deren Loch aufreizend zwischen ihren Hüften prangt. Danach trinken die beiden den Saft aus der Nuss, bzw. lassen sie ihn über ihre Körper laufen. Der Mann der Frau schaut es von einer Düne aus sich an und in einer vielsagenden Doppelbelichtung brandet das Meer eruptiv über ihn – d.i. seine Gefühle, ob der brandenden Leidenschaft zwischen den beiden anderen.

Dir muss er ja nicht gefallen m
(Franz Stepan, BRD 1979) [35mm]

gut

Ein FWU-Lehrfilm, in dem ein Mädchen seine eigenen Erfahrungen macht und dem Zuschauer beweist, dass sich ihre Mutter umsonst sorgen macht. Sie kann nämlich selbst auf sich aufpassen und lässt den geliebten Achim, der nur in ihre Hose will, schlussendlich doch abblitzen. Dies ist nämlich ein Film, der Jugendlichen propagiert, dass Sex ohne Liebe für Frauen ein Abgrund ist, in den nur Flittchen fallen. (Das Flittchen des Films ist übrigens die spätere DERRICK-Psychologin Marion Kracht.) Vll. ist es aber doch viel zärtlicher. Unsere Hauptfigur wird am Ende nämlich nicht in ein beispielhaftes Schicksal gezwungen. Statt sie mit dem nächsten, sauberen Jungen ins Happy End zu schicken, hört es einfach auf, sobald sie für sich steht und jede Bindung an andere Menschen nur noch eine Option ist, die in ihrer Hand liegt.

הדיבר ה-11 / Wovon die Frauen träumen – Der Orgasmologe
(Shlomo Suriano, ISR/BRD 1975) [35mm]

ok +

Der Schwank eines Mannes, der beim Versuch in der nachbarschaftlichen Fußballmannschaft in Tel Aviv aufgenommen zu werden, lernt wie Frauen richtig befriedigt werden. Diese rennen ihm dann auch bald wegen seines neuen Könnens die Bude ein. Befriedigung heißt dabei, dass unsere Hauptfigur Durchhaltevermögen erlangt. Er rechnet sich beim Sex durch das Zehn mal Zehn und kann so seine Ejakulation bis zu vier Stunden hinauszögern. Was wiederrum für den Film bedeutet, dass auch er erzählerische Lust als Hinauszögern versteht. Jedes bisschen Geschehen gleicht einem Stellungskrieg, dem Meter für Meter an verklemmten Gags bitter und unter schweren Verlusten entrissen werden muss. Entbehrungsreiche Verspieltheit ist das Ergebnis.
Mittendrin taucht in der deutschen Version völlig unmotiviert eine Hardcoreszene auf, der jegliche Anbindung an den restlichen Film fehlt. Vll. wollte jemand, dass doch mal etwas schnell und dreckig zur Sache kommt.

Donnerstag 27.02.

Blonde Ambition
(John & Lem Amero, USA 1981) [35mm, OmswedU]

großartig

Zwei Tänzerinnen gehen von der Provinz in die große Stadt und kämpfen dort gegen eine ausbeuterische, betrügerische Realität. Vor allem wehren sie sich damit, dass sie jeden sich bietenden Genuss mitnehmen. Dabei gibt es nicht allzu viel Sex, dafür dass dies ein Hardcoreporno ist, dafür Lust an filmischer Spielerei: Parallelmontagenwitze, verwilderte MGM-Musicaleinlagen, neon-rot-grün bestrahlte Gesichter vor schwarzem Hintergrund, Jamie Gillis als mondäner Regisseur, das Finale in einer Dragbar mit unzähligen Village People uswusf.

Jungfrau aus zweiter Hand
(Ákos Ráthonyi, BRD 1967) [16mm, ≠]

verstrahlt

Auf der Suche nach einem Prostituiertenmörder wird in Rückblenden ein Sittendrama erzählt. Das eigentliche Augenmerk liegt aber auf der Räudigkeit der Polizei, die Verdächtige, Zeugen und sich gegenseitig mit derben Sprüchen malträtieren, die Leberkäse essen und auf einfachste Zusammenhänge gestoßen werden. In der profanen, niederdrückenden Welt, die die Allgegenwart dieser Polizisten erzeugt, gibt es nur ein Anzeichen von Glamour, ein paar Frauenfüße in goldenen Pumps, mit denen vor unseren Augen lockend und hypnotisierend hin und her gewedelt wird.

Mittwoch 26.02.

The Morning After / Der Morgen danach
(Sidney Lumet, USA 1986) [digital, OmeU]

gut

Am Ende wird ein Dialog vom Beginn – also relativ – wiederholt. Er zeigt an, dass die beiden Sprechenden sich erkannt haben und nun zu ihren Gefühlen stehen. Er wird zur großen romantischen Geste, die dem Happy End die Krone aufsetzt … nur funktioniert sie nicht. Bestenfalls ist dieser emotionale Call Back bemüht. Was einerseits gegen das Drehbuch eines Thrillers spricht, der hier grobschlächtig eine Romanze behauptet, die nie da war, und der alles, was er an originellen optischen und erzählerischen Einfällen hat, nie unter einen Hut bekommt und fast durchgängig ein seltsam lauer Flickenteppich ist. Andererseits reiht es sich in die durchgehende Verlorenheit der Protagonisten ein, die nie einen Anschluss in ihren Lebenswelten gefunden haben, die mehr schlecht als recht Rollen spielen und große Szenen performen, mit denen sie die Leere und Unsicherheit überspielen, die bis in die Knochen in ihnen steckt.

Montag 24.02.

Frühreifen-Report
(Ernst Hofbauer, BRD 1973) [DVD] 2

tba.

Oft ist es eine beschwingte Verhohnepipelung sexueller Hysterie, heuchelnder Kinderziehung und schmieriger, übergriffiger Typen, und die als perfektes Erziehungsmodell präsentierte Manipulation in ein konservativstes Liebesverständnis ist auch sehr launig. Zwischendrin, die Frau, die ihren Mann zum Missbrauch an der für einen solchen Film viel zu jung aussehenden Stieftochter anstiftet, ist nur noch düster … und da bin ich vll. doch zu zart besaitet für.

Sonntag 23.02.

The Lone Ranger
(Gore Verbinski, USA 2013) [stream, OmeU]

gut

Sicherlich, Straight Man Armie Hammer ist ohne Funny Man Johnny Depp verloren und der Film trübt auch gleich vorm Finale ein, wenn Depp verschwindet und der Plot arg hölzern vorangetrieben wird. Sicherlich, das Morricone-Pastiche Hans Zimmers ist etwas aufdringlich und vor allem unpassend, da Verbinski doch gerade auf einen Fordschen Western abzielt und erstaunlich nah drankommt. Ich hatte nicht viele Erwartungen und vll. gerade deshalb überrascht, wie viel Spaß ich hatte und wie gut die Mischung aus Mythenbildung und -dekonstruktion ist.

Lehrmädchen-Report
(Ernst Hofbauer, BRD 1972) [DVD] 2

gut

Der Report aus dem Off erzählt immer wieder etwas darüber, dass Mädchen heute früher reif seien, dass ihnen mehr Freiheiten gegeben werden und sie von den Eltern nicht die richtigen Werte vermittelt bekommen würden. Ein Schwank nach dem anderen zeigt aber nur ein Problem, dass nämlich schmierige Typen ankommen und erwarten, dass sie Sex bekommen, weil sie durch sie erregt sind. Selbst in der garstigen ersten Geschichte mit der Vergewaltigung, die scheinbar das Mädchen herausbeschworen hat, ist dieser offene Widerspruch eklatant. Kein Wunder also, wenn sich die Frauen in den Reports immer wieder in die Arme von Elisabeth Volkmann retten.

Sonnabend 22.02.

Notting Hill
(Roger Michell, UK 1999) [stream] 2

großartig

Reiseführerhändler Hugh Grant sitzt mit Superstar Julia Roberts im Kino. Weil er seine Brille nicht finden konnte, hat er eine Taucherbrille in seiner Stärke auf. Auf den ersten Blick ist es absurd, weil sie eigentlich etwas tragen müsste, dass ihre Identität verschleiert, damit sie in Ruhe gelassen bleiben können. Eigentlich ist auch sie die Außerirdische, die aus seinem Leben hinaussticht – auch wenn es hier genau anders herum aussieht. Aber sie ist eben diejenige, die Kontrolle über ihr Aussehen hat und diese auch behalten möchte, während er kein Problem hat mit einer Taucherbrille ins Kino geht. Er ist der Teil von ihr, den sie vor der Öffentlichkeit verschleiern möchte, weshalb er nicht offen dasitzen kann.

La Bête / The Beast
(Bertrand Bonello, CA/F 2023) [stream, OmeU]

großartig

Die erste Stunde konzentriert sich der Film größtenteils auf die tragische Liebesgeschichte ca. zehn Jahre vor dem ersten Weltkrieg. Léa Seydoux und George MacKay laufen durch ein stickiges, grobschlächtig symbolisches Kostümdrama und reden. Die folgenden anderthalb Stunden spielen vermehrt in der Gegenwart. Haussitterin Léa Seydoux wird vom frisch startenden Incelserienmörder George MacKay verfolgt, der in Internetvideos seinen Hass auf Frauen manifestiert. Erzählt wird es als David-Lynch-Pastige mit etwas Brian de Palma reingemischt, als digitalen Zusammenbruch einer analogen Realität – nach und nach werden nicht nur die Sinnzusammenhänge gekappt, sondern auch die Bilder durch Clitches verwaschen. Zusammengehalten wird es durch die Zukunft, in der MacKay und Seydoux ihre DNA und ihr Unterbewusstsein von eben diesen beiden Vergangenheiten säubern lassen wollen, damit sie in der durchrationalisierten Welt nicht mehr mit Gefühlen belastet sind, dass sie leere Puppen sind, die eine Chance auf einen Aufstieg haben. Aber vll. ist ihre Liebe ja größer… Drei Ausprägungen von Gefühlskälte porträtiert Bonello so in drei Formen von Horror. Und das ist alles ziemlich toll, nur bin ich mir nicht sicher, ob die erste Stunde mit ihrer folternden, zähen bürgerlichen Aufgeräumtheit so brutal öde hat sein müssen.

Freitag 21.02.

Harry Potter and the Chamber of Secrets / Harry Potter und die Kammer des Schreckens
(Chris Columbus, UK/USA/D 2002) [blu-ray/stream] 3

ok +

Gerade nachdem ich einen Tag vorher TIME BANDITS gesehen habe, ist es doch ein wenig erschreckend, wie generisch Columbus diesen Hort an Staunen und Fantastik inszeniert. Vll. wirkte sich der Frust, dass mitten im Film das blu-ray-Laufwerk den Kontakt zum Rechner verlor und nicht zur Wiedererkennung bewegt werden konnte, etwas negativ aus den Genuss aus.

The Magnificent Seven Ride! / Der Todesritt der glorreichen Sieben
(George McCowan, USA 1972) [stream, OmeU]

nichtssagend

Von den epischen Weiten der ersten drei Teile ist nichts mehr übrig. Auch verstummt das Philosophieren über richtige Lebensweisen. Zurück bleibt Lee Van Cleef in TV-Western-Optik, der mit schäbigen Mitstreitern ein Dorf voller Frauen verteidigt. Die lokalen Männer sind schon massakriert. Die Frauen wurden bereits gruppenvergewaltigt. Die Banditen sind zur Wiederholung ihrer Tat bereits im Anmarsch. Dies ist kein schöner Film, sondern einer über tragische Fehleinschätzungen, über eine unangenehme Welt, über herbe Männer, die mit ihren herben Entscheidungen leben müssen und herbe Späße machen. Was für mich tatsächlich hätte funktionieren können, wären die Frauen nicht durchgängig die Gelackmeierten, auf deren Kosten/Körpern Tragik, Spaß und herbe männliche Höhen ziemlich lustlos erbaut würden.

Donnerstag 20.02.

Time Bandits
(Terry Gilliam, UK 1981) [blu-ray] 4

großartig

Wie bei JABBERWOCKY ist noch Gilliams Monty Python-Vergangenheit spürbar. Michael Palin war schließlich auch Drehbuchautor, und neben den absurden pythonesken Witzen hat auch John Cleese als Robin Hood einen Auftritt. Trotz der sichtlichen Anbindung an die Vergangenheit findet Gilliam hier aber endgültig seine Stimme als Regisseur und Autor.
Was auch heißt, dass die Patchwork-Märchen-Fantastik ein wenig auseinanderfällt. Hier die Miniaturen absurder Versionen berühmter Persönlichkeiten – Napoleon, der Probleme mit seiner Größe hat, Robin Hood, der Probleme damit hat, Verbrecher zu sein, doppeln die kleinwüchsigen Zeitbanditen – dann etwas Märchen und schließlich ein ausgedehntes Finale in einer Legounterweltruine. Überhaupt geht es natürlich um Gott und die ganze Welt sowie die Absurdität der Moderne, die nicht weniger absurd ist als die Vergangenheit, sondern nur auf eine andere Art. Einerseits ist der Film zu lang für das Wenige, was er erzählen möchte. Andererseits ist er doch viel zu kurz für das weite Feld, dass er anreißt, für die inhärente Epik. Und damit ist er vll. doch die beste Version seiner selbst, ein Epos aus dem Kinderzimmer.
Im Zentrum steht der Ausflug zu Agamemnon (Sean Connery), bei dem der von seinen Eltern ignorierte Kevin (Craig Warnock) ein Heim findet, dass seinen Träumen von Ritterlichkeit und Exotik gleichkommt, während alles drumherum nur verschiedenen Abstufungen von Lächerlichkeit entspricht. Dass er von dort entführt wird und sein kleines abenteuerliches Leben leben muss und nicht im Traum verweilen, ist die bittere Pille des Films. Am Ende ist zwar alles kaputt und doch … seltsam und fantastisch ist diese Welt der Außenseiter, die, wenn sie Glück haben, doch ihr Leben lang vom Zwinkern eines Sean Connerys zehren können.

Guns of the Magnificent Seven / Die Rache der glorreichen Sieben
(Paul Wendkos, USA 1969) [stream, OmeU]

ok

Zu keiner Zeit ist dies so öde wie zuweilen der Vorgänger. Zu keiner Zeit erreicht es aber auch dessen Highlights. Ganz beständig wird von Anfang bis Ende das Niveau gehalten, und das ist ganz gut. Die homoerotische Bromance kommt leider erst im Tod zu sich und die Mexikanische Revolution entfaltet nur ihre sadistischen, verzweifelten Potentiale. So gibt es vor allem markige Männer in netten Situationen.

Mittwoch 19.02.

Return of the Seven / Die Rückkehr der glorreichen Sieben
(Burt Kennedy, USA/E 1966) [stream, OmeU]

ok

Yul Brunner brühtet mit schwarzer Kleidung in schwarzer Nacht und sieht wie ein Todesengel aus. Das schummrige Rot in einem Gefängnistrack wirkt zudem, als brenne das Höllenfeuer unter diesem. Die kleinen Plansequenzen allenthalben sind ziemlich elegant. Der Film ist schon sehr schön anzusehen – Kamera: Paul Vogel.
Das Drehbuch Larry Cohens recycelt währenddessen weite Teile des Vorgängers, weshalb dies zuweilen eher wie ein Remake wirkt. Aber gerade dort, wo sich beide Filme am ähnlichsten sind, macht Cohen etwas ganz Eigenes daraus. Der mehr oder weniger direkt übernommene Monolog des Dorfältesten über die Charakteristik der Bauern legt hier bspweise plötzlich nahe, dass der Großgrundbesitzer, der alle Bauern enttäuscht von seinem Leben auslöschen wolle, für Hitler steht, und die Bauern, die es gewohnt sind verfolgt und getötet zu werden, die sich aber in einem geeinten Dorf zum besseren gegenseitigen Schutz zusammenfinden, für die Shoa und die Gründung Israels.
Aber dieser Film eines Mannes, der die Welt in Brand stecken möchte, und sieben Lebensmüder, die sich ihm ehrvoll in den Weg stellen, seltsam schwerfällig. Als interessiere sich Kennedy für öde Dialoge und die uninteressantesten Aspekte des Drehbuchs. Der Cast ist teilweise toll – Warren Oates, Claude Akins, Emilio Fernández –, größtenteils nichtssagend. Gerade Robert Fuller als Ersatz für Steve McQueen ist bar jedem Charisma. Die Potentiale sind jedenfalls nicht zu übersehen, aber arg unterentwickelt.

Dienstag 18.02.

Takeshis’
(Kitano Takeshi, J 2005) [blu-ray, OmU]

großartig +

Matsch der Identität: aus den immer gleichen Figuren und Situationen wird mittels Dopplungen, assoziativer, realitätsvergessener Montage und Kombination ein zunehmend surreales Absurditätenkabinett gemacht. Oder: Beat Takeshi kann nicht glauben, an welchen Punkt er in seinem Leben angekommen ist und bewirft dieses sein lächerliches Ich stoisch mit Torten aus allen möglichen 12 Dimensionen. Mit dabei: die Überblendung von einem DJ, der an seinen Turntables scratcht und Händen, die die selben Bewegungen an Frauenbrüsten ausführen.

Montag 17.02.

Mädchen, die nach München kommen
(Walter Boos, BRD 1972) [DVD, ł]

ok

Bei weitem hat es nicht die optische Verspieltheit von LIEBE IN DREI DIMENSIONEN, dafür sind die Episoden etwas beschwingter. Aber es ist seltsam, dass Boos sichtlich der größere Schmutzfink als Hofbauer ist, der sich nicht an den Frauenkörpern sattsehen kann, … und doch scheint es wie ein Film von Leue und für solche, die erstmals Brüste sehen und nicht wissen, was mit ihnen (inszenatorisch) angestellt werden soll. Deshalb wird dauernd an ihnen überkompensierend rumgestupst. Als spielten aufgedrehte Kinder mit Luftballons.

Sonntag 16.02.

Tarzan and the Amazons / Tarzan und die Amazonen
(Kurt Neumann, USA 1945) [DVD, teilw. OmeU]

ok

Verschlossen in einem gigantischen Bergmassiv findet sich ein Amazonendorf, deren Götter gebieten alle Eindringlinge und Ausreißer umzubringen. Die lokalen Männer sind in Bergwerken weggeschlossen und müssen Gold abbauen. Eine Ausgangssituation mit der einiges angestellt hätte werden können. Hier wird sich aber auf die Heimkehr Janes konzentriert, und auf nachgiebige Priesterinnen, die, weil sie sich nicht ans Gesetz halten, die weißen Teufel in ihr Heim lassen.

Liebe in drei Dimensionen
(Walter Boos, BRD 1973) [DVD, ≠, ł]

ok

Ein paar schlafe Episoden von Menschen, die ihre Lockerheit unterstreichen, und von Leuten, die auf diese treffen. Immer wieder faszinierend: mit Konstantin Wecker. Es ist ein bisschen traurig, dass der Film ansonsten nicht ansatzweise so beschwingt ist, wie die zu erahnende 3D-Glorie voller wunderbarer Ideen, die fast alle Filme des Post-AVATAR-3D locker in die Tasche steckt.

Sonnabend 15.02.

Le Feu follet / Das Irrlicht
(Louis Malle, F 1963) [blu-ray, OmU]

großartig +

Das bittere, statt das süße Leben. Ein trockener Alkoholiker (Maurice Ronet) trifft alte Freunde, ohne den Rausch ist der alte Schwung aber dahin. Mal sitzen die Leut emit guten Vorsätzen ihre gemeinsame Zeit ab, mal ist alles einfach nur dysfunktional. Die Schönheit der verkannteten Schwarzweißbilder ist aber nur zum niederknien. Abstrakte neodepressionistische Hochkultur-Trunst.

Freitag 14.02.

Verbrannte Erde
(Thomas Arslan, D 2024) [stream]

fantastisch

Ein Professional (Mišel Matičević) erledigt seine Heist-Jobs Handgriff für Handgriff sehr gewissenhaft. Ein anderer (Alexander Fehling) versucht ihn ebenso gewissenhaft Handgriff für Handgriff über den Tisch zu ziehen. Eine weitere (Marie Leuenberger) fährt gewissenhaft Autos durch die Nacht. Ein Caspar David Friedrich soll geraubt werden, Lösegeld erpresst, und immer müssen alle den anderen einen Schritt voraussein. Das Wetter in Berlin in durchgängig klamm und kalt – wie die Beziehungen zwischen den Menschen. Aber die Konzentration auf die Handgriffe in der Paranoia, zwischen Folter und Misstrauen sind von wärmender Schönheit.

Donnerstag 13.02.

Broken Rage
(Kitano Takeshi, J/USA 2024) [stream, OmeU]

großartig

Ohne mich vorher irgendwie zu informieren, habe ich den Film gestartet und dachte, dass ich einen ganz normalen Takeshi-Kitano-Yakuza-Film schaue und nicht dass ein Beat-Takeshi-Inferno ab Mitte des Films auf mich wartet. Mehr dazu bei critic.de.

Mittwoch 12.02.

Schüler-Report – Junge! Junge! Was die Mädchen alles von uns wollen!
(Eberhard Schröder, BRD 1971) [DVD] 3

großartig

Immer wieder nackte Männerkörper; die Ultrakunst der amourösen Schnitt für Schnitt Annäherung einer Mutter (Elisabeth Volkmann) mit dem Freund ihres Sohns; Sascha Hehn kann eine Operndiva, die eine Nummer vor dem Auftritt braucht, nicht befriedigen; Kinder erfahren den Grund des Frusts ihres Vaters, dass er nämlich ein schmieriger Sack ist, der in den Discos bei den jungen Frauen abblitzt: es geht zwar nur selten einmal um das Thema, das der Titel verspricht, die sieben Episoden, in denen ausnahmsweise mal doch oft die Jungs im Zentrum stehen, ist aber doch verständnisvoll, bei aller Derbheit zärtlich, die Sketche verlaufen sich auch eher, als dass sie auf den großen Bumms aus wären. Tatsächlich einmal einfach schön.

Montag 10.02.

Hundreds of Beavers
(Mike Cheslik, USA 2022) [digital, OmeU]

großartig

Lukas F. machte mich in einer Unterhaltung bzgl. meines Perlentauchertexts darauf aufmerksam, dass THE SECRET OF MONKEY ISLAND, DAY OF THE TENTACLE uswusf. im Internet inzwischen als Browserspiele zu finden sind. Lotti Z. (9 Jahre) wird demnächst mit etwas Hochkultur Bekanntschaft machen.

04.02. – 08.02.
International Film Festival Rotterdam
Sonnabend 08.02.

Suçuarana
(Clarissa Campolina, Sérgio Borges, BR 2024) [stream, OmeU]

ok

Bei critic.de gibt es einen Text zum diesjährigen IFFR. Kurze Einschätzungen aller Filme finden sich dort.

Freitag 07.02.

Holy Electricity
(Tato Kotetishvili, GE/NL 2024) [stream, OmeU]

ok +

みーんな、宇宙人 / We Are Aliens
(Ugana Ken’ichi, J 2024) [stream, OmeU]

uff

Donnerstag 06.02.

గామి / Gaami
(Vidyadhar Kagita, IND 2024) [stream, OmeU]

gut

失明 / Blind Love
(Julian Chou, TW 2025) [stream, OmeU]

gut

Mittwoch 05.02.

Im Haus meiner Eltern
(Tim Ellrich, D 2025) [stream, OmeU]

ok

Gowok: Kamasutra Jawa / Gowok: Javanese Kamasutra
(Hanung Bramantyo, IDN 2025) [stream, OmeU]

großartig

Dienstag 04.02.

次元を超える / Transcending Dimensions
(Toyoda Toshiaki, J 2025) [stream, OmeU]

gut

An Errand
(Dominic Bekaert, PH 2024) [stream, OmeU]

großartig

Montag 03.02.

The Brutalist
(Brady Corbet, USA/UK 2024) [DCP, OmU]

gut

Die erste Hälfte ist ruhig, andeutend, statt auserzählend, selbstsicher. Das Thema wird verfehlt, der Film aber schön. Die zweite Hälfte ist stellt seine Baumaterialien unmissverständlich aus und ist dementsprechend plump, überdefiniert und -deutlich – eine tatsächliche Vergewaltigung steht für eine ästhetische ein –, brutal. Das Thema passt, nur der Film ist etwas oll.

Sonntag 02.02.

Die drei ??? und der Karpatenhund
(Tim Dünschede, D 2025) [DCP]

nichtssagend

Eines Diebstahls verdächtig: eine Schlangenfrau, ein schlafwandelnder Druffi, ein gutmütiger Bastler, Else Kling im Quadrat, eine kellernde Schauspielerin, ein rauchender Börsenmakler, ein schwuler Kunsthändler, ein Internettroll. Leider konzentriert sich der Film aber mehr auf die Dynamik zwischen den drei Fragezeichen – weiterhin kein Fan, schon gar nicht in dieser Iteration –, einen hauchdünnen Fall oder den Aufbau eines Franchises, das bei schnell alternden Darstellern so nie zustande kommen wird, statt mal mehr mit diesen Ensemble anzustellen.

Sonnabend 01.02.

The Wrong Trousers / Wallace & Gromit – Die Techno-Hose m
(Nick Park, UK 1993) [blu-ray] 3

großartig

Einen Haufen überdrehter Neunjähriger haben wir Pizza in die Hand gedrückt und vor eine Leinwand gesetzt, auf der ein Pinguin mit stechenden Knopfaugen die Technik eines Technikversessenen gegen ihn richtet und ihn als Werkzeug zu Terror und Diebstahl missbraucht. Bis auf die zwangsläufigen Lacher und Anmerkungen hier und da herrschte plötzlich gespannte Ruhe. Nach einer halben Stunde andächtigem Guckens, nach einer Pause für die Älteren ging es dann nahtlos weiter mit der übersteuerten Aufregung … und doch, dreißig Minuten war der Zauber von Film zu sehen.

Gentlemen Prefer Blondes / Blondinen bevorzugt
(Howard Hawks, USA 1953) [blu-ray, OF] 2

großartig +

The Gold-Digger-Film to end all Gold-Digger-Films. Zwei Frauen. Die eine: spitzbezungt, konfrontativ, Glamour nur als Werkzeug nutzend, schwarze Haare, Jane Russell. Die andere: sanfte Stimme, sanfte Kurven, anschmiegsam in (fast) jedem Sinne, Diamanten versessen, blond, Marilyn Monroe. Beide sind sie gewitzt und selbstbestimmt. Die eine zeigt, dass nicht alle Frauen Gold Digger sind. Die andere wird in einer Brandrede verteidigt, dass sie gute Gründe hat, ein Gold Digger zu sein, dass sie ihre Versessenheit auf Reichtum nicht zum schlechten Mensch macht, sondern nur die Werte der bourgeoisen, kapitalistischen Gesellschaft achtet – nicht umsonst wird der Film vor Gericht angelangen, weil hier über das Gerichtsetzen über Frauen zu Gericht gesessen wird … der Film der Verteidiger der Frauen gegen Doppelstandards.
Aber Gold Digger hin, Justitia her, Hawks macht dieses glitzernd bunte Musical, dass in der Mitte plötzlich keine Musiknummer mehr hat, nicht um glitzernde Oberflächen zu zeigen und dann zu argumentieren, dass hinter diese geschaut werden muss. Vielmehr ist sein Film Lust gesteuert, ein Buffet aus Farben, Handlungswust und beschwingter Genießen-und-genießen-lassen-Mentalität.

Januar
Freitag 31.01.

Tarzan’s Desert Mystery / Tarzan, Bezwinger der Wüste
(Wilhelm Thiele, USA 1943) [DVD, OF]

gut

Der zweite RKO-Tarzan-Film vertieft noch den Graben zu den MGM-Filmen. Was heißt, dass der frühere Tarzan-Schrei wieder nicht verwendet wird und die immer gleichen, immer freudstrahlenden Unterwasserszenen ausbleiben. Mehr noch geht Tarzan wieder auf Wanderschaft und verlässt seinen Dschungel. Aber nicht nach New York geht er dieses Mal, sondern in ein arabisches Land aus einer nur minimal moderneren Tausendundeiner Nacht im Griff von weißen, korrumpierenden Geschäftsmännern – wobei ein pseudoarabischer Prinz sterben muss, weil er und eine weiße Glücksritterin ein perfektes Paar ergeben würden. Kurz: Tarzan verteidigt wieder die Unschuld in einem zwielichtig lockerleichten Unterhaltungsfilm, und das Minus der wenig überzeugenden und zu seltenen Cheeta-Momente wird dadurch ausgeglichen, dass die Kannibalen fehlen und der Film dafür zum knuffig getricksten Monsterfilm mit Riesenspinnen und -echsen gemacht wurde.

Humanoids from the Deep / Das Grauen aus der Tiefe
(Barbara Peeters, Jimmy T. Murakami, USA 1980) [stream, OF]

großartig

In diesem straighten Monsterfilm, in dem durch Wissenschaft und Umweltverschmutzung verursachte Unterwassermutanten mit Riesengehirnen über eine Kleinstadt herfallen, in dem fremde Wesen auftauchen, um die heimischen Frauen zu vergewaltigen und sich mit ihnen fortzupflanzen, in dem Männer ihre Zivilität schnell fahren lassen und sie unter den Blicken konsternierter Frauen zu sich raufenden Primaten verwandeln, in diesem xenophoben, nur leicht ramschigen H.P. Lovecraft-Gaudi gibt es eine sichtlich zusätzlich gedrehte Szene, die, außer den Monstern, keine Anbindung an den Rest des Films hat. Darin wird sehr offensichtlich das Ausfahren eines erigierten Penis im Angesicht einer sich entkleidenden Frau symbolisch durch eine Bauchrednerpuppe ersetzt, die einem Beutel entsteigt. Es ist ein Fremdkörper und doch des Pudels Kern des Films: Der Penis ist das Alter-Ego des Mannes, das kein Mensch ist sondern Humanoid.

Donnerstag 30.01.

Paddington in Peru
(Dougal Wilson, UK/USA/J/F 2024) [DCP]

gut

Ich mag den dritten Paddington-Film, aber er hat doch ein großes Problem, nämlich seine Vorgänger, die eigentlich alles viel besser machen als er. Mehr dazu bei critic.de.

Mittwoch 29.01.

Blink Twice
(Zoë Kravitz, USA 2024) [stream, OF]

gut

Nach dem Auftakt wird es schnell zum zerstückelten, schwammigen Abhängfilm in einer tropischen, luxuriösen Villa. Am Ende geht dieses nie wirkliche Paradies mit sehr viel Lust an Gore in Flammen auf. Theoretisch ergeben die beiden Einzelteile einen wunderbaren Film, als Ganzes geht es aber irgendwie doch nicht auf. Das Scharnier zwischen den beiden – der Twist – ist weder sonderlich interessant, noch überraschend. Das Foreshadowing ist teilweise sensationell, teilweise plump und öde – Channing Tatum unnatürlich gebleachte Zähne zu verpassen, damit sofort zu sehen ist, dass mit ihm etwas nicht stimmt, ist so eine aufdringliche Entscheidung. Der schönen metoo-Drastik in Sätzen, Erkenntnissen und Gewalt mit einem mega Schauspielensemble steht entgegen, dass ständig zu spüren ist, wie sehr die Macher die Potenz ihrer einen Idee überschätzen. So lag es knapp neben etwas richtig Tollem.

Dienstag 28.01.

Der neue heiße Report: Was Männer nicht für möglich halten
(Ernst Hofbauer, BRD 1971) [DVD, ≠] 2

verstrahlt

Eine feministische Brandschrift, die brutal, grotesk, geschmacklos und nachdrücklich vorführt, dass Frauen, die nach der Ehe in ihren Wohnungen weggesperrt werden, nur zu Leid auf allen Seiten führen. Ein Knüppel in Filmform.

Montag 27.01.

Juror #2
(Clint Eastwood, USA 2024) [DCP, OmU]

großartig

Der Status von DIE ZWÖLF GESCHWORENEN als Meisterwerk ist mir bisher ein Rätsel. Das Gerichtsdrama hat fest im Auge, was geschehen soll und spult diesen schnell durchschauten Plan dann expressiv und überraschungsarm ab. Elf Juroren sind von der Schuld eines Angeklagten überzeugt, nur einer hat Bedenken. Nach und nach zieht dieser Einzelne aber alle anderen auf seine Seite – bis es zum einstimmigen Unschuldsspruch kommt. Er lässt alle erkennen, dass ein Buch nicht nach seinem Umschlag beurteilt werden sollte, dass die Dinge oft etwas kompliziert liegen, als es scheint, dass sie mit genauer Beobachtung und Deduktion zu durchdringen sind und dass sich von Befangenheit gelöst werden muss. Reibungslos fällt alles an seinen Platz und ergibt ein perfektes Bild ohne Probleme. Aufklärung und Wissen lösen alle Ambivalenzen und Widersprüche auf … und diese simplen Heilversprechen haben mich bei meiner bisher einzigen Sichtung ziemlich genervt.
JUROR #2 nimmt dieses Konzept nun und zertrümmert es – nachhaltig wie lakonisch. Bei ihm gibt es keine Lösung. Alle sind befangen, wenn sie nicht sogar ganz offensiv eine Agenda verfolgen. Eine Möglichkeit, aus dieser Voreingenommenheit heraus in eine objektive Perspektive zu treten, gibt es schlicht nicht. Andere werden entmenschlicht, wenn es der Erhaltung des eigenen Selbst und die der eigenen Position erleichtert oder überhaupt erst ermöglicht. Leute lügen, weil sie denken das Richtige zu tun. Die Rückblenden widersprechen sich. Wahrheit und Gerechtigkeit sind so schon schwammig, sie auf einen Nenner zu bringen, ist geradezu unmöglich.
Gleichzeitig ist der Film aber kein Abgesang auf Wahrheit, Gerechtigkeit und die juristischen Institutionen. Ihr Wegfallen ist alles andere als eine Lösung der Probleme, sondern deren Potenzierung. Ohne all das Hin und Her im Film, in der Jury, in der Welt um die Verhandlung wäre wahrscheinlich außer dem Anklagten niemand aufgefallen, dass er vll. nicht schuldig sein könnte. Im Grunde bekommen wir die Dramatisierung von Churchills Bonmot vorgeführt: Demokratie ist die schlechteste Staatsform – mit Ausnahme aller anderen. Weshalb Eastwoods Film vor allem das Portrait eines Landes in Aufruhr ist, das den Widerspruch zwischen Individuum und Institution nicht mehr auszuhalten scheint … vll. aber auch doch.
Die Spannung des Films liegt in seiner ruhig protokollierenden Form und seinem emotionalen und intellektuellen Ballast. Zwischen klarer Sachlichkeit und dem Orkan, den diese impliziert. Und erst die letzte Einstellung offenbart – wenn sie uns mit dem bisher Gesehenen und Gehörten alleine lässt und uns in den Juryraum sperrt, um eine Entscheidung zu finden – wie aufgeladen das alles war. Das Konzept wird so zwar wieder nur für ein neues ausgetauscht, auch JUROR #2 ist ein zielgerichteter Themenfilm – wann und wie Justitia zu sehen ist, und wie ein Licht aus- und sofort wieder eingeschaltet wird, oder eben nicht, erzählt von den Leuten im Film, ist vor allem aber Werkzeug, um die argumentativen Seiten des Films mit Munition zu versorgen –, aber anders als DIE ZWÖLF GESCHWORENEN gibt er einem weder eine Lösung vor, noch versucht er abschließend zu sein. Er entscheidet sich für hypnotische Einfachheit, die aufwühlende Gebrochenheit nach sich zieht.

Sonntag 26.01.

The Seven Year Itch / Das verflixte 7. Jahr
(Billy Wilder, USA 1955) [blu-ray, OF] 2

ok

Irgendwo steckt ein schön trister Film hier drin, der wie ein zweischneidiges Schwert genutzt werden könnte. Auf der einen Seite ein Film über Machos, die freizügige Frauenkörper und die Hitze als Ausrede ihrer Verfehlungen nutzen – vor allem dass sie in unbefriedigenden Ehen festsitzen, aber fern des Heims und der Ehefrau doch Macker sein wollen. Auf der anderen Seite ein zivilisierter Neurotiker, der mit der bürgerlichen Moral der Ehe ernstmachen möchte, sich aber von einer Sexbombe – Marilyn Monroe spielt ihre unbewusste Verführerin so übertrieben, dass eine ätzende Karikatur dessen entsteht, was in diesem Film und seiner Welt als attraktiv gilt, nämlich ein Körper mit einem seelenlosen, gespenstischen Lächeln – in eine psychische Auflösung manövriert sieht. In den 100 Minuten des Films herrscht aber eine erstaunliche/erschreckende Gefälligkeit, die eine Geschichte, die höchstens 50 Minuten trägt, endlos breittritt und vor allem in einem sich ironisch selbstvergewissernden Ton zulabert. Wären die Cinemascope-Bilder nicht so schön und der Kurzauftritt des Psychologen nicht so gut, dieser dröge Film, der sich aus unerfindlichen Gründen für beschwingt hält und all seine Potentiale verkennt, es würde einen brutal auszuzeln. Oder anders: Billy Wilder und ich kommen mal wieder nicht zusammen.

Sonnabend 25.01.

Tarzan Triumphs / Tarzan und die Nazis
(Wilhelm Thiele, USA 1943) [DVD, teilw. OF] 2

ok +

Mit dem Wechsel von MGM zu RKO geht sofort einiges verloren. Der Tarzan-Ruf ist sichtlich nicht mehr das klangliche Meisterwerk der vorherigen Filme, das Weissmüller Stimme so modulierte, dass etwas rauskam, das sich vorwärts und rückwärts gespielt gleich anhört. Die Kamera bleibt stets über dem Wasser, wenn Tarzan schwimmt, wie auch sonst alles deutlich kostengünstiger und weniger auf Glamour bedacht aussieht. Haushaltsgimmicks gibt es ebenso wenig, wie auch Maureen O’Sullivan und ihre Figur Jane abwesend bleiben. Und überhaupt wird Tarzan vom Kämpfer gegen Feuerwaffen zu deren Verteiler, weil dies eine Parabel ist, die den Eintritt der USA in den Zweiten Weltkrieg propagiert. Die Nazis fallen in den Dschungel ein und Isolationist Tarzan muss lernen, dass er den Expansionismus Deutschlands nicht ignorieren kann, weil sie dann auch vor seiner Haustür landen werden. Die Klammer aus einer simplen, schönen Höhenangstszene und einem Ende, in dem das Wort Nazi von Tarzan alsbald als Schimpfwort popularisiert wird und bei dem der Generalstab in Berlin Cheetas Gebrabbel über Funk mit ihrem Führer verwechseln, ist durchaus schön. Der Rest eher gut gemeint.

Freitag 24.01.

中南海保鑣 / The Bodyguard from Beijing
(Corey Yuen, HK 1994) [blu-ray, OmeU]

großartig

Den Auftakt bildet ein hochoktanes Action-Set-Piece, in dem ein Botschafter von einer Handvoll Bodyguards – im Endeffekt aber nur von dem von Jet Li gespielten – gegen ein Meer aus Assassinen verteidigt werden muss. Es handelt sich, wie sich herausstellen wird, aber nur um eine Übung … wie bei Sammo Hungs HEART OF THE DRAGON, nur, dass der Auftakt dann tatsächlich im Film nachhallt und weniger willkürlich erscheint. Was der Titel schon andeutet, wird also von der ersten Minute unterstrichen: THE BODYGUARD FROM BEIJING ist ein typisch dreistes Hongkong-Plagiat von BODYGUARD, nur, dass sich weniger auf die Romanze konzentriert wird als auf die Action.
Und die Action, wenn auch die Zeugin eines Mordes in einem Kaufhaus gegen ein Meer aus Attentätern verteidigt werden muss, wenn final eine Schießerei in Dunkelheit stattfindet, gegen Gegner und Gasvergiftung gekämpft wird und Jalousien zu Waffen umfunktioniert werden, ist sichtlich Corey Yuens Steckenpferd und ein Genuss. Aber ansonsten ist es vll. der aufregungsärmste seiner Filme. Die Pedanterie, mit der Jet Lis Bodyguard seine unwillige Klientin absichert, besitzt in seiner Mischung aus hypnotischen Prozedural-Fluss und Verwöhntes-Gör-wird-mit-Common-Sense-genervt-Komödie – inkl. Cops, die lieber auf Pferde wetten, als ihre Arbeit zu tun, und einem wunderbaren Tristkind, dass auf alptraumhafte Weise lernt, dass es keine gute Idee ist, Pistolen als Spielzeug zu benutzen – eigentlich alles für ein weiteres Meisterwerk. Aber die Romanze will irgendwie nicht aufgehen – sie, die zu Beschützende, scheint nur ein neues Spielzeug gefunden zu haben, während er, der Bodyguard, seine Komplexe mit ihr lösen zu wollen scheint. Die sich ergebende dröge, höchstens psychoanalytisch interessante Romantik macht leider umso deutlicher wie hölzern der Film doch streckenweise ist.
Vll. ist der Grund, dass sich alles ein wenig ausgebremst anfühlt, auch ein anderer. Vll. hat auch kurz vor der Rückgabe Hongkongs an den großen, kommunistischen Bruder einfach niemand das nötige Herzblut für diese Geschichte eines chinesischen Beschützers vom Festland, dessen Härte vom chaotischen Konsumentenlandei aufgeweicht wird und zu dessen aufopferungsvollen Beschützer er wird. Vll. war das einfach schon damals eine zu abwegige Verklärung der sich abzeichnenden Zukunft.

Donnerstag 23.01.

Tarzan’s New York Adventure / Tarzans Abenteuer in New York
(Richard Thorpe, USA 1942) [DVD, OF]

gut

Hot Take: Tarzans Abenteuer bilden lediglich eine Struktur, die Cheetas Sketche zusammenhalten. Es verdeutlicht sich in New York, wo ausnahmsweise Tarzan auch mal für die Show sorgen darf. Johnny Weissmüller wird in einen Anzug gequetscht und vor einen Richter geführt und ist plötzlich mehr ist als ein paar Muskeln mit markanten Schrei. Er flieht vor der Polizei, springt dafür durch das Fenster eines Hochhauses und kämpft sich unbeholfen durch die Betonwüste. Das Abenteuer scheint dabei ungestört weiterzugehen. Im Augenwinkel des Geschehens machen die gespenstische Ruhe auf der Tonspur und das unbeholfene Hangeln am Abgrund aus der spaßigen Fisch-aus-de-Wasser-Geschichte aber ein bedrückendes Seelendrama.

Mittwoch 22.01.

Erotik im Beruf – Was jeder Personalchef gern verschweigt
(Ernst Hofbauer, BRD 1971) [DVD, ≠, ł] 2

radioaktiv

Dies ist kein Werk der Schönheit, sondern eines der Wahrheit, der hässlichen, brutalen Wahrheit. Diverse Interviews legen Authentizität nahe, aber sind sie der Marker dafür, dass es nicht um Wirklichkeit geht, sondern um Vorstellungen. Perverse Imaginationen des Untergangs des Abendlandes durch Sex, durch Gastarbeiter, durch Lesben mit ihrem Sexdrive, der nur Leere hinterlässt, durch Schwule, die die Normalen täuschen, durch junge Frauen, die die armen, hilflosen Männer mit ihren übermächtigen Trieben verführen und in Fallen locken. Die auch thematisierte allgegenwärtige, sexuelle Übergriffigkeit der Männer: nur ein Scherz, mit dem halt in dieser übersexualisierten Welt zu leben ist. Und das Perverseste ist, wie Hofbauer gerade zu Beginn diese verbreiteten Vorstellungen zu fröhlichen, entlarvenden Karikaturen verdichtet, im Laufe des Filmes das Leichte zunehmend fahren lässt und uns einen Betonklumpen ans Bein bindet, der uns in den Abgrund reißt. DEUTSCHLAND – EIN WINTERMÄRCHEN des 20. Jahrhunderts.

Dienstag 21.01.

Non ho sonno / Sleepless
(Dario Argento, I 2001) [DVD, OF]

gut

Immer wieder habe ich cineastischen Diskussionen beigewohnt, die sich leidenschaftlich und uneinsichtig darüber informierten, wo denn nun Argentos Schwächephase angefangen hat. Von den frühen Achtzigern bis zu den späten Neunzigern, von sie hat nie angefangen bis er war nie gut reichte es immer wieder. Ungesehen hatte ich nun auf SLEEPLESS als Auftakt des Vernachlässigbaren getippt … und als der Film mit dem Alptraum einer Prostituierten auf der Flucht vor einer realitätslosen Entität durch einen gespenstischen Zug sensationell begann, mit einem aufregenden Spiel damit, wer denn hier die Hauptfigur sein wird, dachte ich, dass ich mich mal wieder getäuscht hatte – von PHENOMENA oder THE STENDHAL SYNDROME war ich ja schon enttäuscht worden, bei denen ich ähnliches erwartet hatte und eklatant falsch lag. Aber leider erlahmt SLEEPLESS dann doch noch zum schnarchigen Krimi, der lediglich ein trüber Schatten des Auftakts ist. Wahrscheinlich habe ich jetzt eine Position gefunden, die ich vertreten würde.

Montag 20.01.

Wenn es Nacht wird auf der Reeperbahn
(Rolf Olsen, BRD 1967) [DVD] 2

verstrahlt

Ein schlagfertiger Bild-Reporter (Erik Schumann) deckt auf: Was bei den Reichen hinter vorgehaltener Hand geschieht, was die Jugend mit ihren neuen Möglichkeiten aber ohne Verantwortungsgefühl anstellt, die allgemeine Korruption der Gesellschaft. Und Olsen macht es zur grellen realitätsvergessenen Sause menschlicher Abgründe und unangenehm jovialer Cops und Reporter. Es ist ein bisschen wie mit dem LSD im Film. Es ist einfach ein Schlagwort, dass allgemein für Drogen einsteht und dessen einzige Folge ist, dass junge, unerfahrene Frauen damit willig gemacht werden können. Der Film nimmt Dinge, die in der Realität tatsächlich vorkommenden, nutzt sie aber nur um mit ihnen das Niveau einer Bildschlagzeile noch mehr zur Karikatur zu machen. Am Ende hängt Prä-Harry Fritz Wepper selbstmordbereit an einem Schornstein und nur der Überredungsschmelz eines Kleinkindes (der Unschuld) kann ihn retten. Es ist totaler Wahnsinn … aber eben auch ein effektiver metoo-Film lange vor metoo. Ob jung oder alt, ob Lustgreis oder Halbstarker, die meisten Männer dieses Films sehen junge Frauen lediglich als Freiwild, bei denen problemlos zugegriffen werden kann. Und das nutzt der Film auch als seinen größten Horror.

Sonntag 19.01.

博徒外人部隊 / Sympathy for the Underdog
(Fukasaku Kinji, J 1971) [blu-ray, OmeU]

großartig

Yakuza Masuo (Tsuruta Koji) wird nach zehn Jahren aus dem Gefängnis entlassen. Nicht die alten Mitstreiter empfangen ihn, sondern das Herbstlaub einer verlassenen Straße. Sein Clan wurde von hintertückischen Konkurrenten zerstört. Also zieht er los, um sich zu Rächen und den alten Clan wiederauferstehen zu lassen … sollte man meinen. Macht er aber nicht. Er sammelt fünf ehemalige Weggefährten und einem angeschossenen ehemaligen Widersacher um sich, geht mit ihnen nach Okinawa und baut in der Provinz ein neues Imperium auf … sollte man meinen. Das geschieht auch irgendwie, aber seine neue Organisation besteht fast nur aus Familienvätern und grünen Abenteurer, sie wächst bei Machtgewinn auch nie an. Ihre Bewährungschance ist die eines Schneeball in der Hölle, nach und nach sterben auch alle. Vor allem erkennt Masuo aber, dass er nur bedingt der Underdog der Geschichte ist.
Corporate Japan breitet sich in Form der Yakuza aus. Für Masuo ist Yokohama, sein Startpunkt, eine Geisterwelt voll Spinnenweben und Trümmern. Für die, die triumphiert haben, glatte Räume geschäftlicher Beziehungen. Der Wechsel nach Okinawa bringt Nouvelle Vague Straßenkameras und FRENCH CONNECTION-Direktheit. Unmittelbar und nachhaltig kommt Leben in die Bude. Und doch vergeht es wieder, die Dinge wollen einfach nicht einfach sein. Denn Japaner erscheinen wie ignorante Unterdrücker in ihrer quasi Kolonie. Die Koreaner sind auch hier Ausgegrenzte, gegen die die Handvoll Yakuza, die einfach nur das alte, regellose Nachkriegsjapan vermissen, wie Schnösel wirken. Der größte Hemmstein Masuos ist, dass er die Trauer und Melancholie seiner neuen Heimat spürt und auf sich einwirken lässt, weshalb sein/der Plot nicht so wirklich aufgehen möchte.
Fukasaku deutet ständig einen gängigen Yakuza-Film an, in dem wir immer schon lange vorher wissen, was geschehen wird. Nur kommt dann alles irgendwie doch anders. Der Stil ist noch nicht so wild wie spätestens ab BATTLES WITHOUT HONOR AND HUMANITY. Es kommt dem Film zugute, dass er noch nicht rast, sondern im Schritttempo entgleist. Denn so kommt das Gefühl, dass etwas nicht ganz stimmt, nur langsam zu Bewusstsein.
Kurz: Der Film ist hochgradig generisch und doch ebenso hochgradig seltsam. Bspweise Masuo: er ist der typische Yakuza-Obermacker, nichts bringt ihn aus der Ruhe, die festverankerte Sonnenbrille ist Prinzip. Stets ist er Herr der Situation … im Geschäft und mit den Frauen. Aber das Gefälle zwischen seiner in sich ruhender Kontrolle und einem überdrehten Umfeld erscheint zuweilen absurd überzogen. Mitten im Film liegt er im Bett, seine Geliebten kommt zu ihm. Die Kamera zeigt es von oben, und wir sehen wie er wie erfroren daliegt und sich nicht rührt. Tragisch und komisch ist dieser Mann, der hilflos im Habacht seines Körpers gefangen ist. Ist er ein Held, eine Witzfigur, ein Bündel Elend unter einer harten Front, alles auf einmal?
Tristesse und Schönheit, Muff und aufregende Lebendigkeit wechseln sich jedenfalls beständig ab. Figuren tauchen auf und sind ganz anders, werden ganz anders verwendet als gedacht. Was wie ein Sieg scheint entpuppt sich als Niederlage. Sackengassen allenthalben. Dass Erwartungen grundsätzlich untergraben werden, führt auch dazu, dass das an THE WILD BUNCH angelehnte Ende ein wenig verpufft, aber die ganzen unbestimmten Situationen, der fehlende Payoff, die flüchtigen Beziehungen, ohne dramaturgischen Sinn, sie entwinden sich einfacher Zuschreibungen und hallen noch lange nach. Aus einigen Brüchen mit den Genreregeln erwächst ungemeine Freiheit.

Sonnabend 18.01.

となりのトトロ / Mein Nachbar Totoro
(Miyazaki Hayao, J 1988) [blu-ray] 4

fantastisch +

Eine der plastischsten Erinnerung meiner Kindheit ist ein Blick eine Häuserschlucht entlang. Es war Nacht, dicker Nebel herrschte, und die Telefonzelle am Ende der Gasse war ins orangene Licht einer Straßenlaterne, in eine Mischung eine durch die Luftfeuchte fast greifbare Halo getaucht. Nebel und Nacht wollten die Telefonzelle schlucken und doch strahlte sie mir verschwommen entgegen. Ich war fast den ganzen Tag unterwegs gewesen, entkräftet, müde. Wäre im nächsten Moment der Teufel wie in DER MEISTER UND MAGARITA um die Ecke gekommen, wäre ein Fisch durch die Luft geschwommen oder hätten sich Agenten in Trechcoats eine Schießerei geliefert, hätte es mich nicht überrascht. Wir standen an der Ecke und meine Eltern verabschiedeten sich, glaube ich, und ich starrte die Gasse entlang, in der nichts geschah und die doch nach Abenteuer aussah, nach symbolischer Überhöhung, nach dem Potential, was die blanke Realität bereithalten könnte. Diese Atmosphäre hat Miyazaki zu einem Film gemacht.

River of No Return / Fluss ohne Wiederkehr
(Otto Preminger, USA 1954) [blu-ray, OF] 2

großartig +

Am Ende von ein paar kleinen, feinen Plansequenzen steht Robert Mitchum mitten in einer Goldgräberstadt. Hinter ihm kommt eine Kutsche ins Bild gefahren, direkt aus einer Furt. Der Wagen hebt sich am Ufer etwas auf, kurz scheint es, als könnte die Kutsche überschlagen, aber lediglich eine der geschniegelten Frauen auf ihr fällt zur Seite aus dem Wagen und in den Matsch. Der Film hat kaum angefangen, und wir haben bereits gesehen: Otto Preminger ist nicht der Netteste gegenüber Frauen, aber er kann Kino.

Freitag 17.01.

3 Days to Kill
(McG, USA/F 2014) [stream, OF]

ok +

Kevin Costner spielt einen CIA-Agenten, der einen legendären Auftragskiller aus dem Weg bringen soll. Der dazugehörige Film ist ein sentimentales Familiendrama, bei dem er sich wieder mit seiner entfremdeten Tochter versöhnen möchte, eine Komödie, weil seine Tochter immer wieder anruft, wenn er gerade Leute durch die Gegend prügelt oder foltert oder sich gerade darauf vorbereitet – die Pointe fast immer, aber meist effektiv: die Trennung der beiden Ebenen seines Lebens geht wieder nicht auf, aber dieses Mal macht er das Beste daraus und erhebt seine Opfer zu Komplizen bei der Zurückeroberung seiner Tochter –, der Film ist aber auch ein rumpliger Actionfilm, bei dem Costner immer wieder in surrealen Zwischenwelten Befehle von Amber Heard bekommt. Drehbuch: Luc Besson. Alles das zusammen sollte klarmachen, dass es nicht unattraktiv ist, aber durchgängig auch nicht einfach zu genießen/erdulden.

Tarzan’s Secret Treasure / Tarzans geheimer Schatz
(Richard Thorpe, USA 1941) [DVD, OF]

gut

Die Zutaten sind inzwischen institutionalisiert. Wie immer gibt es:
– mind. eine Badeszene mit prachtvollen Unterwasseraufnahmen, Tieren und ohne Lust daran, die Geschichte voranzutreiben
– moderne Annehmlichkeit, die mit den Mitteln des Dschungels nachgeahmt werden, vgl. der Familie Feuerstein
– der Widerstreit der beschaulichen, unberührten Idylle mit wilden, blutrünstigen Kannibalen auf der einen und weißen Eindringlingen auf der anderen Seite, die Waffen, Gier und Ausbeutung (von Mensch und Tier) als zivilisatorisches Gut mit sich bringen, also die Verteidigung einer best of both worlds Idylle gegen die schlechten Eigenschaften von Vormoderne (atavistische, irrationale Brutalität) und Moderne (rationalisierte Gier und Zerstörung)
– Albernheiten mit Cheeta und inzwischen auch Boy, die mittels Trickaufnahmen kleine Cartoon-artige Abenteuer erleben
– nur Sex und Erotik werden zunehmend ausgeklammert bzw. sind nicht mehr vorhanden
Und das Schöne an TARZAN’S SECRET TREASURE ist, dass er möglichst viel aus seinen Schauwerten herausholt, dass die erste halbe Stunde des Films damit geflutet wird und der Plot sich nur langsam und widerstrebend aus diesen herausschält. Wieder wird etwas mit bösen Weißen erzählt, die dieses Mal Gold finden und gegen die die entzivilisierten, d.i. entgifteten Naturburschen Tarzan und Jane sich wehren. Aber auch das wird dann mit Fieber und Comic Relief vollgestellt, dass die erzählerische Eintönigkeit der Plots dieser Filme nie auslaugend werden kann.

Mittwoch 15.01.

The Highwaymen
(John Lee Hancock, USA 2019) [stream, OmeU]

ok

Die angenehme Perspektive ist, dass dies eine ausgedehnte Wiederbegegnung mit Kevin Costner* und Woody Harrelson ist, ein Film über zwei Körper, die die in der Jugend verinnerlichten Handgriffe im Alter in ausgelaugten Bildern neu lernen müssen. Die dominantere und weniger angenehme ist, dass Hancock die Kamera immer wieder an armen Leuten vorbeischwenken und über die Verteidigung von Werten schwadronieren lässt, dass er ungelenk eine getragene, schwermütige Bedeutsamkeit beschwört, die durchgängig ziemlich hässlich aussieht.
*****
* Was dazu führte, dass Auftakt eines Texts zu Ehren von Kevin Costners 70. Geburtstags bei critic.de mit dieser Perspektive beginnt.

Dienstag 14.01.

No Way Out / No Way Out – Es gibt kein Zurück
(Roger Donaldson, USA 1987) [stream, OmeU] 2

fantastisch

Kevin Costner als Abenteurer einer Lieber zweier trashtalkender, cocky, abgeklärter Kontrollfreaks, die ihre Fassade füreinander aufgeben, in einer kinky, dampfigen Romanze im ersten Teil des Films. Und als in die Enge getriebener Tiger, der endlos durch sein Revier hetzt, um doch noch den Strohhalm finden zu lassen, der den Weg aus der Falle bringt, in welcher er Jagd auf sich selbst machen muss, in einem straffen, kinetischen Procedural-Thriller. Mehr noch ist NO WAY OUT aber ein zutiefst deprimierender Film, weil es hier, mitten im Kalten Krieg niemanden gibt, zu der Vertrauen verdient, der eine Utopie bietet. Überall, in jeder Person findet sich Korruption, Verrat, Terror, (Selbst-)Betrug, wahnhafte Ideologie oder todbringende Obsession. Weder auf den Makro-, noch den Mikorebenen dieser Gesellschaft gibt es einen Sicherheit versprechenden Hafen. Den Twist am Ende fand ich beim ersten Mal etwa doof, nun muss ich mir eingestehen, dass gerade er jede Hoffnung wie Hohn erscheinen lässt. Ein Partyfilm also, der feiert, weil eh nichts zu retten ist.

Montag 13.01.

Bull Durham / Annies Männer
(Ron Shelton, USA 1988) [stream, OmeU] 3

fantastisch

Mir ist dieses Mal das Offensichtliche aufgefallen. Dass nämlich DIE INDIANER VON CLEVELAND eine Parodie von BULL DURHAM ist … oder ein etwas albernerer Trittbrettfahrer. Da ich aber den ein Jahr später veröffentlichten Film in meinem Leben, in meiner Jugend deutlich häufiger gesehen habe, ist er in meiner Wahrnehmung der originale Text. Und zumindest in meiner Vorstellung gibt es deshalb das Genie, dass gesehen hat, dass eine tragisch-sentimentale Liebesgeschichte über zwei Dickköpfe, die denken, dass sie ihr Leben für sich passend entworfen haben und die ihre Liebe und die Anforderungen des anderen als Anmaßungen verstehen, in DIE INDIANER VON CLEVELAND eingewoben bei nur ein wenig mehr Ernst, ein Meisterwerk ergibt.

Sonntag 12.01.

Into the Night / Kopfüber in die Nacht
(John Landis, USA 1985) [blu-ray, OF]

gut +

Ed (Jeff Goldblum) kann, weil sein Leben unendlich langweilig ist, nicht mehr schlafen. Als er seine Frau beim Fremdgehen erwischt, bricht er ziellos auf. Bzw. er wird zum Schlafwandler, der eine ausgedehnte, abenteuerliche Verwischung von Realität und Traum erlebt. Selbst wenn keine Nacht ist, scheint er doch im Zwielicht eines Phantasiegespinsts. Absurde Dinge geschehen, absurde Bösewichte verfolgen ihn, beklemmende Dinge geschehen, beklemmende Bösewichte verfolgen ihn. Diana (Michelle Pfeiffer) braucht ihn, er braucht Diana. Was alles auf dem Papier super ist. Einzelne Momente sind super. Die Grundstimmung ist super. Aber dass der Regisseur John Landis heißt, sorgt dafür, dass es doch völlig zum Comic und SNL-Sketch wird und die Schatten sehr flach bleiben, dass es fader bleibt, als der Film einem durchgehend verspricht.

Sonnabend 11.01.

Fast Times at Ridgemont High / Ich glaub’, ich steh’ im Wald
(Amy Heckerling, USA 1982) [blu-ray, OF] 2

großartig +

Heckerlings Film stammt aus dem gleichen Jahr wie PORKY’S. Beide ähneln sich durchaus, unterscheiden sich aber auch eklatant. Bob Clarkes Film zeigt eben kaum erträgliche, entlarvende Innenansicht seiner männlichen Hauptfiguren und einer Gesellschaft, die sich beklemmend allumfassend aus Hackordnungen aufbaut, während FATS TIMES Innenansichten beider Geschlechter bietet, Mitgefühl, aber auch mehrere Perspektiven auf männliche Unsicherheit und seine zuweilen unheimlichen Folgen. Bei Heckerling ist aber vor allem alles witziger, verspielter, kreativer und unendlich wärmer.

Ich war zuhause, aber…
(Angela Schanelec, D/SRB 2019) [blu-ray] 2

fantastisch

Maren Eggerts Verlorenheit – emotional, sprachlich, familiär und gesellschaftlich – ist erschreckend, einfühlsam und vor allem witzig bis albern. Vor näheren Analysen schrecke ich aber zurück, weil ich fürchte, was ich dabei alles über mich herausfinde … so weit weg ist es nämlich leider nicht. Zumindest bis auf die Lehrerzimmerszene und ich habe auch noch kein Kind des Hauses verwiesen. So weit ist es mit mir noch nicht.

Tarzan Finds a Son! / Tarzan und sein Sohn
(Richard Thorpe, USA 1939) [DVD, OF]

ok

Der Hays Code und seine Konsequenten: Weil es im Dschungel keinen Priester gibt, dürfen Tarzan und Jane keinen Sex haben. Wenn sie also ein Kind bekommen sollen, muss ein Flugzeug abstürzen, das Baby überleben und die Eltern sterben – aber nicht durch den Unfall, sondern durch Kannibalen, die sie verschleppen. Und so ist die Moral geschützt.
Ansonsten Schwimmen, durch den Urwald schwingen und eine Geschichte über gute und böse Weiße, die es zu Tarzan verschlägt und eine Variation dessen erleben, was es zu diesem Zeitpunkt in diesen Filmen zu erleben gibt. Leider mit Breitseite zu letzterem, dem Uninteressantesten des Rezepts.

Freitag 10.01.

Unfaithful / Untreu
(Adrian Lyne, USA/D/CH 2002) [stream, OmU]

gut

Richard Gere spielt den perfekten Ehemann. Seine Figur ist erfolgreicher Geschäftsmann, fürsorglicher Vater, witzig, umsorgend. Und er sieht eben wie Richard Gere aus. Im Angesicht einer Affäre seiner Frau offenbart sich aber, dass er marktwirtschaftliche Besitzansprüche hegt, dass unter seiner sauberen Oberfläche Abgründe lauern. Gere spielt gerade die unklaren Bruchpunkte zwischen Idyll und zwischenmenschlicher Hölle sensationell creepy. Es wird teilweise zur gemeinen Abrechnung mit der bürgerlichen Ehe, auch wenn zuweilen die wirklich hundsgemeinen Absprungstellen doch etwas umschifft und aufgeweicht werden. Aber unweigerlich sind sie da. Es handelt sich ja auch um das Remake eines Chabrol-Films.
Aber im Grunde ist das weniger überraschend als effektiv. Viel faszinierender sind die Akzentuierungen bei den zwei Sphären der Erzählung. Diane Lanes Ehefrau reißt eben nicht aus einer frustrierenden Ehe aus, sondern aus einer harmonischen. Aus einer perkten Langweile stolpert sie in ein Abenteuer. Weshalb zu Hause eine warme Realität herrscht, während die Affäre ein irrealer, artifizieller Zirkus ohne Gefühle ist. Lyne macht aus Orkanen, Appartments, die fast vollständig aus Büchern bestehen aufgesetzte Musicalnummern, die wie eine Werbepause innerhalb der Ehewirken. Weder sind sie emotional irgendwie verankert, noch finden sie ansatzweise die Bilder und die Atmosphäre geschlechtlicher Begierde (wie in Lynes 8 1/2 WOCHEN). Selbst wenn es eine Chemie zwischen Lane und Olivier Martinez geben würde, wären sie seltsam ungreifbar.
Dass die Frau ein verbotenes, gefährliches, anrüchiges Abenteuer sucht, ist so vielweniger logisch entwickelt. Es funktioniert also nicht als Entschuldigung. Sie macht es einfach, weil sie es kann. Nicht das ihre Ehe eine bestenfalls psychosexuell ambivalente Falle ist, ist das Verwirrende und Verblüffende des Films, sondern diese – ungewollte oder vll. doch gewollte – Demontage, dass es eine Erklärung für eine Affäre braucht.

Donnerstag 09.01.

Nosferatu
(Robert Eggers, USA 2024) [DCP, OmU]

nichtssagend

Ziemlich weit in den Film rein fragt Professor von Franz (Willem Dafoe) überschwänglich, wer irgendwelchen Alkohol, ich weiß nicht mehr welchen, haben möchte. Und ich wollte ganz dringend und genoss, dass mal jemand Spaß am und im Film hatte. Davor und danach nämlich: behäbiges Schreiten durch selbstbesoffenen Ernst, wodurch alles, was da an Pestilenz und sexueller Hysterie vorhanden ist, in einen hochtrabend designten Glassarg, in einen unerfreulichen Tod gezogen wird. Am Ende opferte sich Ellen (Lily-Rose Depp) und hielt Graf Orlok (Bill Skarsgård) wie so oft wie gehabt bei sich bis zum Sonnenaufgang im Bett auf, sie erträgt seinen entstellten, halbverwesten, breiigen, klumpigen Körper. Und ich fühlte erstmals richtig mit: Nur noch das Aushalten und dann ist es endlich vorbei.

Mittwoch 08.01.

Sue / Sue – Eine Frau in New York
(Amos Kollek, USA 1997) [digital, EF]

großartig

Der Stil eines warmen, flüchtigen Indiefilms, wie er vll. von Wayne Wang stammen könnte, wird trefflich emuliert. Der Film besteht aus flüchtigen Begegnungen. Oft sprechen sich unbekannte Leute auf der Straße und in Bars an. Sie erleben kleine besondere Momente miteinander. Nur minimal folgt es einer Dramaturgie, eher ist es ein Mosaik. Die Musik ist mit Jazz angehauter Pop. Doch in dieser zeitgemäßen Gefälligkeit steckt eine Figur, wie aus einem John Cassevetes-Film.
Sue (Anna Thomson) erträgt es nicht allein zu sein. Sie muss raus aus ihrem Apartment, auf der Suche nach flüchtigen Begegnungen, flüchtigen Gesprächen, flüchtigem Sex. Sie sucht einen Job, um ihre Mietschulden bezahlen zu können. Sie lügt über ihren Lebenslauf. Flüchtige bleiben aber auch die Begegnungen mit der Arbeitswelt. Sobald die Beziehungen aber so etwas wie Nähe entwickeln, kommt wieder der Fluchtinstinkt. Sue ist das Auge des eisigen Sturms ihrer Persönlichkeit, der sie umschließt, festsetzt, erodiert. Alles an ihr – vor allem die körperliche Präsenz Anna Thomsons, irgendwo zwischen Schönheit und Verbrauchtheit, Sicherheit und Auflösung – ist ungreifbar … und eignet sich deshalb nicht, um sie aus der Scheiße zu ziehen. Aus diesem Fiebertraum eines Feststeckens, der alles unternimmt, um wie ein laues Lüftchen zu wirken.
Faszinierend ist aber auch Matthew Powers, der als Ben wie der junge Bruder Mickey Rourkes wirkt. Wie die mildere, umgänglichere Version, aber kaum weniger explosiv.

Dienstag 07.01.

Veni Vidi Vici
(Juliane Niemann, Daniel Hoesl, A 2024) [stream, OmeU]

uff

Nach wenigen Minuten ist klar, wie der Hase läuft und dass der Film verhindern möchte, dass irgendwie Luft an das sofort verstandene kommt. Mehr dazu beim perlentaucher.

Montag 06.01.

Le pistole non discutono / Die letzten Zwei vom Rio Bravo
(Mario Caiano, I/E/BRD 1964) [DVD, EF]

gut

Der große Bruder von FÜR EINE HANDVOLL DOLLAR – beide wurden back-to-back gedreht, wobei der hier mehr Budget abbekam, in Erwartung, dass ein Rod-Cameron-Film eher Erfolg haben würde –, der aber nur noch eine Fußnote in der Filmgeschichte ist. Und das Problem ist ziemlich einfach auszumachen: Horst Frank, der den schwarzgekleideten Billy Clayton spielt ist der viel interessantere Charakter als Rod Camerons Haupfigur, stirbt aber völlig unnütz nach einer Stunde. Ihm ist das Titellied gewidmet, er ist ein charismatischer Sadist, den sein tragisches Ende mit Feuer in seinen blauen Augen jagt. Er ist völlig in schwarz gekleidet, teilweise in Leder. Bei seinem ersten Auftritt ist sein blondes Haar unter seinen schwarzen Hut gestopft, damit er nicht zu hell erscheint, womit er aber auch etwas dümmlich aussieht – trotzdem scheint die Fetischfigur schon hier durch. Rod Cameron wirkt hingegen wie James Garner als netter, schon leicht verbrauchter Opa. Auch er trägt überwiegend schwarz. Nur ein weißes Hemd erhellt ihn etwas. Auch er entwickelt hier und da eine sadistische Ader und ist obsessiv in seiner Gangsterjagd – er bricht direkt von seiner Heirat in die Wüste auf. Er ist so kein Held in schimmernder Rüstung, kein onkliger Strahlemann, keine wirklich ambivalente Figur. Er ist alles ein wenig, aber vor allem ein alter Mann verloren in der Wüste. Und leider passt das auch als Beschreibung für den Film.

Sonntag 05.01.

Back to the Future Part III / Zurück in die Zukunft III
(Robert Zemeckis, USA 1990) [stream] 8

gut

Mitte der Neunziger hatte ich den Eindruck, dass dies als Höhepunkt der Reihe galt. Als Rückkehr zur Form und Vollendung der Formel. Aus heutiger Sicht kommt mir das eher erträumt vor, als dass es diese Stimmen wirklich gab – außerhalb von Promotionsveranstaltungen in Fernsehen. Heute ist es vll. der schlüssige Abschluss des Konzepts – nach der leichten zeitlichen Verschiebung einer gleichartigen Lebenswelt folgte der Schritt in die Zukunft und nun eben viel weiter in die Vergangenheit. Dazu gibt es einige charmante Witze über die Unterschiede in der Wahrnehmung, darüber, was es heißt Clint Eastwood in einem Western zu heißen und wieder viele Spiele mit Dopplungen und Spiegelungen, die Unterschiede wie Gemeinsamkeiten betonen. Im Ganzen ist der Film aber deutlich weniger verspielt, inspiriert und schmierig als das Original. Als Studie über Fortsetzungen, wie das Gleiche nochmal aufbereiten, aber anders, ist es schon sehr schön, aber vor allem: ein netter Nachklapp.

Sonnabend 04.01.

Murder Most Foul / Vier Frauen und ein Mord
(George Pollock, UK 1964) [DVD] 2

gut +

Miss Marple (Margaret Rutherford) wird Teil einer Schauspieltruppe und ihr Fall und die Personen bieten reichlich Schmierentheater. Aber da es als Komödie angelegt ist, hätte ich doch gerne mehr, viel mehr Schmierentheater gehabt.

The Holdovers
(Alexander Payne, USA 2023) [blu-ray, OmeU] 2

großartig

Die Horrorvision eines Lehrers, der Leuten, die sich für nichts interessieren, von seinem Lieblingsthema erzählen darf/muss. Es frustriert ihn, logisch, und er wird zum Alkoholiker. Obendrauf hat er noch eine Krankheit, durch die er starken, fischigen Körpergeruch ausdünstet. Er ist Kafkas Käfer in moderner, er ist irgendwann in der Vergangenheit zum Brückentroll verwandelt aufgewacht. Dazu noch ein junger Mann, der weggeschoben wird, und deshalb gegen alles und jeden rebelliert. Beide finden einander und finden kurz Halt an sich. Und doch muss der Film analog gedrehte Wärme vortäuschen und Wärme aus Nostalgie gewinnen, weil sonst alles von Beginn weg erfroren wäre, so kalt ist es.

Freitag 03.01.

Back to the Future Part II / Zurück in die Zukunft II
(Robert Zemeckis, USA 1989) [stream] 6

gut

Seine verqueren Visionen unserer Gegenwart, der damaligen Zukunft, wird mit jedem Jahr besser, aber auch Biff-Trump und all die Verdoppelungen stellen den ersten Teil problemlos in den Schatten, aber er verliert etwas an Schwung und Humor, wenn er sich in der Zeit hin und her bewegt. Wie bei jedem „normalen“ Menschen war dies früher mein Lieblingsteil, aber zunehmend ist schwer zu übersehen, wieviel trister er über die gesamte Laufzeit gesehen ist.

Little Children
(Todd Field, USA 2006) [DVD, OF]

gut +

Sarah (Kate Winslet) ist als Mutter und Frau eines Mannes, der lieber im Arbeitszimmer mit Schlüpfer auf dem Kopf – im Internet von Erotik-Fotomodell Slutty Kay bestellt – masturbiert, frustriert. Brad (Patrick Wilson) kommt zeitgleich ganz gut damit klar, Hausmann zu sein. Nur würde er dazu lieber jugendliche Aufregung erleben und nicht mit einer Frau (Jennifer Connelly) zusammenleben, die von ihm verlangt erwachsen zu sein. Die beiden starten eine Affäre, bewegen sich zunehmend auf ein eskalierendes Melodrama zu, da sich die gerümpften Nasen in ihrem bürgerlichen Vorort in Stellung bringen, während sie selbst erkennen müssen, dass nur eine Flucht ihnen das geben kann, was sie wollen.
Und eigentlich ist alles daran super. Die langsame Herzverengung bei gleichzeitigem Erleben einer Utopie (sexueller) Erfüllung ist witzig, deprimierend, schmierig und fast schon hundsgemein. Gerade Jennifer Connelly spielt ihre erfolgreiche Traumfrau sensationell als unnahbaren Übermenschen, mit dem die Ehe zu jeder Minute wie ein Gefängnis wirkt. Oder Kate Winslet, als Frau, die mit beiden Beinen im Leben steht, aber doch eine unpassende Randfigur in ihrem Umfeld ist, weil sie sich erlaubt, diese breit machen zu wollen, ist unfassbar gut. Der Film dazu ist locker und konzentriert, flüchtig und pointiert. Und vor allem ist seine Kunst nie steril, sondern albern und schweinisch.
Es könnte alles so schön sein, wären da nicht die Subplots um den Sexstraftäter und den Ex-Polizisten, der ihn terrorisiert, sobald etwas in seinem Leben nicht so läuft, wie er will. Es gibt unzählige Nebenfiguren, wie Sarahs Ehemann, die einfach nur auftauchen, solange sie etwas beitragen, um doch wieder spurlos aus dem Film zu verschwinden. Gerade diese beiden werden aber mitgeschleppt und ins Finale eingewoben. Ihre Parallelität zum Ehemelodrama, ihre Katharsis ist hölzern wie unnötig. Sie ziehen den Film Richtung HAPPINESS und verleihen allem die Atmosphäre eines bedeutsamen Kaleidoskops, das Gefühle mit großen Gesten erzwingen möchte. Es ist der Klotz am Bein, der verhindert, dass der legere Film mit seinen Flügeln abheben kann.

Donnerstag 02.01.

Murder at the Gallop / Der Wachsblumenstrauß
(George Pollock, UK 1963) [DVD] 3

gut +

Margaret Rutherford und Stringer Davis tanzen den Twist, während Robert Morley von Miss Marple geritten werden … geheiratet werden möchte.

Queer
(Luca Guadagnino, USA/I 2024) [DCP, OmU]

großartig +

Auf der Suche nach der Emotionalität bei Burroughs und andere Cut-Uppern, die in dieser Verfilmung zum zentralen Punkt geworden ist und die ich bisher so nicht wahrgenommen hatte, habe ich angefangen mal wieder Kathy Acker zu lesen und neue Bücher von Burroughs bestellt. Schon eine Leistung des Films. Mehr dazu bei critic.de.

Mittwoch 01.01.

Loups-Garous / Die Werwölfe von Düsterwald
(François Uzan, F 2024) [stream] 2

nichtssagend

Leider reichen die paar gelungenen Musikeinlagen und Frauenrechtlerinnen-sind-im-Mittelalter-Hexen-Witze beim zweiten Mal nicht mehr aus, um darüber hinwegzutäuschen, dass dies wirklich kaum etwas zu bieten hat.

Back to the Future / Zurück in die Zukunft
(Robert Zemeckis, USA 1985) [stream] 5

großartig

Crispin Glover ist der heimliche MVP, der creepy Gegenpol zum Sonnenschein Michael J. Fox. Die Schmierigkeit, mit der er denkt, Frauen begegnen zu müssen, ist sensationell unangenehm gespielt. Und vielleicht ist sein Fehlen die Ursache für den kommenden Abfall der Trilogie.
Den Film interessieren derweil zeitliche Unterschiede – wie sehr lediglich 30 Jahre die Welt verändert haben. Wenn ich ihn heute mit meiner Tochter schaue, dann sind schon die 1980er Jahre eine irreale Traumwelt, die einiger Erklärungen bedarf. Die 1950er Jahre sind gleich ein unverständliches, mittelalterliches Abstraktum bzgl. ihrer Kultur, Technik und moralischen Codes.

等待黎明 / Hong Kong 1941
(Leong Po-Chih, HK 1984) [DVD, OmeU]

großartig

Hak-keung (Alex Man) betrachtet seine Verlobte Yuk-nam (Cecilia Yip) heimlich. Sie ist neben ihm eingeschlafen, während eigentlich sie liebevoll über ihn und seine Wunden wachen möchte. Der kommende Schnitt fällt mit einer aufschlagenden Tür ins Haus. Kim-fei (Chow Yun-fat) tritt ein, Yuk-nam wacht auf, und beide schauen sich nun ihrerseits heimlich an. In der Begegnung der beiden Blicke über den schlafenden Hak-keung hinweg – wir sind nämlich in der Zeit vorausgesprungen, wo er wieder weggetreten selig im Traum ewiger Liebe gefangen ist – liegt Verlangen und Traurigkeit.
Durchgängig wird die tragische Liebesgeschichte der drei über solch kondensierte Momente erzählt, in denen lediglich Blicke Gefühle kommunizieren. Eingefügt sind sie in nostalgische Erinnerungen an den Sommer einer wunderbaren Freundschaft. Kompliziert wird diese Freundschaft durch den Verrat der Liebe und einen zweiten, parallelen Verrat: Nachdem Hongkong durch Japan im Zweiten Weltkrieg erobert wird, dient sich Kim-fei den faschistischen Herrenmenschen an – wenn auch nur, um insgeheim gegen sie zu arbeiten. Sentimentale Schönheit und melodramatische Daumenschrauben sorgen so für ein intensives Hin und Her.
Der tatsächliche Übermensch ist dabei Chow Yun-fat – er ist ein Lächeln, das jederzeit Herr der Lage ist. Er steigt in die Welt der Menschen hinab und macht den anderen ihre Fehlbar- und Verletzlichkeit brutal spürbar, weil er sie nicht zu besitzen scheint.