STB Robert 2018 I

„Cinema is an old whore, like circus and variety, who knows how to give many kinds of pleasure.“ (Federico Fellini)


Wertung: Ich kann nichts mit Zahlen zur Bewertung anfangen. Deshalb gibt es hier ein System der euphorischen Aufnahme des Films. In Zahlen übersetzt wäre es wohl ungefähr: fantastisch 10 – 9 / großartig 9 – 8 / gut 7 – 6 / ok 6 – 4 / mir zur Sichtung nichts sagend 4 – 3 / uff 2 – 1 / ätzend 1 – 0. Diese Skala ist mit der Qual verbunden, Filme in eine lineare Skala zu quetschen. Deshalb hat die Wertung eine Y-Struktur für freieres Atmen. So kann ein Film eine Wertung der Verstörung erhalten: radioaktiv 10 – 9 / verstrahlt 9 – 7. Wertungen in Klammern verweisen auf das ein oder andere Nickerchen beim Schauen.

Legende: Ist im Grunde selbst erklärend. Wenn hinter der eckigen Klammer eine Zahl steht, dann gibt sie die Anzahl der Sichtungen wieder. Je höher die Zahl, desto mehr ist sie geschätzt. Da ich mit Fernsehen und Kino aufgewachsen bin, wo nur gekennzeichnet wird, wenn ein Film nicht in deutscher Sprache läuft, tue ich das schändlicherweise auch. (OmU=Originalfassung mit Untertiteln, OmeU=Originalfassung mit englischen Untertiteln, OF=Originalfassung, EF= englischsynchronisierte Fassung, OZmeU=Originalzwischentitel mit englischen Untertitel) Hinzu kommen die Zeichen ł, wenn der Film gekürzt war, und ≠, wenn ich mitbekommen haben sollte, dass das Format nicht hinhaute. Ein kleines K hinter einem Titel bezeichnet einen Kurzfilm (bis 25 Minuten), während ein kleines M einen mittellangen Film (26 bis 65 Minuten) kennzeichnet.


Vorangegangene Sehtagebücher:
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to be continued … und zwar hier

Juni
Sonnabend 30.06.
23.06-01.07. – Il Cinema Ritrovato

Malchik i devochka / Boy and Girl
(Julij Fajt, UdSSR 1966) [DCP, OmeU]

großartig

Ein impressionistischer Film, der das Schweifenlassen eines Urlaubs auch auf seine dramatische Erzählung überführt. Der Junge, dessen Reise in den Film führt und der auf der Krim eine Kellnerin schwängert, wird so auch ohne groß Federlesen fallengelassen. Mit seiner Verantwortungslosigkeit bleibt er im Militärdienst sitzen und kein Gedanke wird mehr an ihn verschwendet. Stattdessen schweifen die Blicke, wie die eines Urlaubers am Strand, der längst die nächste Impression verfolgt.

One More Spring
(Henry King, USA 1935) [DCP, OF]

gut +

Moralisch ist es schon verkommen, dass ein Film, der mitten in der Depression in die Kinos kommt und zeigen möchte, dass es am besten ist, Obdachlosigkeit auf die leichte Schulter zu nehmen, der nahe legt, dass eh nur die Unnützen wie Musiker, angehende Schauspieler oder Antiquitätenhändler leiden, und in dem der eine Bänker, der auftaucht, alles für seine Kunden gibt, dass so ein Film so liebenswert ist.

Cabaret
(Bob Fosse, USA 1972) [35mm, OF]

verstrahlt +

Als Liebesfilm oder als Film über Deutschland kurz vor der Machtergreifung der Nazis ist CABARET eher semiinteressant. Als Film über Selbsthass … oder eher als Film des Selbsthasses wird aber schon ein Schuh daraus. So ist er schon mal bis zum kotzen überladen und schon etwas faulig. Der Sänger und Moderator des Cabarets dient als Über-Ich-Chor, der alles verlacht. Die Nazis als sich ausbreitendes Unwohlsein. Vor allem als psychologischer Stand-in eines Gemütszustandes, der sich in einem verfestigt. Die Musiknummer schlagen weniger in ihren Bann, als dass sie Teil des höhnenden Chores sind. Jede Unzulänglichkeit wird aufgespürt. Die Liebe findet keinen Stilstand, keinen Abschluss, keine Kontinuität. Die Texturen verweben, drängen ineinander, verzerren und entstellen. Dieser Film ist nicht glücklich mit sich und möchte uns mit sich herunterziehen. Fritz Harry Klein Wepper spielt in einer Nebenrolle mit. Was für eine Überraschung. Und dann auch noch als Witz der Liebe, der sein Glück findet und damit seinen Untergang beschließt. Bezeichnend.

Il sogno di un tramonto d’autunno / Der Fluch eines betrogenen Weibes k
(Luigi Maggi, I 1911) [35mm, OZ]

ok

Diabolisch und unsicher in die Kamera schauen, war 1911 oder zumindest bei Luigi Maggi ein gern gesehenes und durchaus effektives Stilmittel.

Il guanto / Der Handschuh k
(Luigi Maggi, I 1910) [35mm, DZ]

ok +

Bei einer Jagdgesellschaft muss ein Ruel Jagdhunde eine dünne Brücke über einen kleinen Fluss passieren. Einige Hunde wie der Mann, der die unzähligen Hundeleinen in der Hand hält fallen ins Wasser. Und zum Wohle des Realismus (oder weil kein Budget für einen zweiten Versuch da war) ist dies alles in IL GUANTO enthalten.

Santarellina / Mamsell Nitouche m
(Mario Caserini, I 1912) [35mm, OZ]

ok

Zwei sich Liebende finden sich in diesem Aufruhr von einer Geschichte immer wieder getrennt von Türen und Trennwänden wieder. Die Moral einer militarisierten, katholischen Welt ist es, die es zu überwinden gilt.

Pridanoe Žužuny / Zhuzhuna’s Dowry
(Siko Palavandišvili, UdSSR 1934) [35mm, OmeU]

gut

Von Pferdediebstahl und Liebe. Wobei der Pferdediebstahl den interessanteren Teil bildet, weil die Liebe mit Klarheit, statt mit Aufregung und Stil um die Ecke kommt.

Divorzio all’italiana / Scheidung auf italienisch
(Pietro Germi, I 1961) [DCP, OmeU] 2

gut

Vor allem fand ich erschreckend, wie empfänglich ich für Ticks bin. Ich hatte SCHEIDUNG AUF ITALIENISCH schon vor vielen, vielen Jahren einmal gesehen. Einen besonderen Eindruck hatte er nicht hinterlassen. Jedenfalls nicht bewusst. Ich wusste noch, dass ich ihn eher langweilig, als lustig fand. Und das Verhalten der Menschen darin doch sehr sonderbar. (Ich war noch jung und unerfahren.) Als Marcelo Mastroianni aber ständig begann mit dem Mundwinkel zu schnalzen, wurde mir klar von wem ich mir diesen Tick abgeschaut hatte. Ich wusste es nicht mal mehr.
Die Momente der Ultrakunst, wenn eine Jalousie Schatten der Obsession wirft, wenn eine Rakete wie bei einem nur leicht moderneren Méliès startet, wenn Marcelo und Stefania Sandrelli sich in einem windigen Meer aus Licht und Blumen treffen, wenn also die Träume und die Romantik die Komik über die Biederkeit kurzzeitig zerreißen, wird SCHEIDUNG AUF ITALIENISCH aber auch (be-)merkenswert.

Freitag 29.06.

A bánya titka II: A Gonosztevöt Leleplezik / The Secret of the Mine. Second Part: The Miscreant is Uncovered
(Ödön Uher Jr., H 1918) [35mm, NdlZmeU]

nichtssagend

Kein Höhlengleichnis mehr, keine geheimen Welten mit Schädeln und Hexen. Alles ist aufgeklärt und wird nun, ohne Lust am Erzählen, zum Ende geführt. Die Zwischentitel scheinen dabei auch nicht da, um die Lücken dessen zu füllen, was die Bilder nicht erklären können. Die Bilder sind da, um abzubilden, was die Zwischentitel bereits sagten. Die Verfolger finden Spuren. Und dann eben Bilder von Verfolgern, die Spuren finden. Nach einer längeren Sequenz ohne Zwischentitel folgt dann ein sehr ausführlicher, der all das, was gerade sehr verständlich geschehen war, nochmal zu erklären. Der zweite Teil ist eine einzige Erklärung.

Leo the Last / Leo, der Letzte
(John Boorman, UK 1970) [35mm, OF]

uff

Ein kleiner Straßenzug als Versuchsanordnung, brechtsches Theater als Modus Operandi, die Frage, wie die Welt zu retten sein, als Brennstoff, und eine allumfassende Verkrampfung, die nur manchmal durch Hysterie aufgeweicht wird, als Rahmung. In Schwarz, Weiß und Grau ist LEO THE LAST dann auch noch gehalten, damit dieses Mittel aus Agitprop und entfremdenden Essay noch in seinen euphorischsten Momenten nicht den Nimbus von Enge und Leblosigkeit verliert. Boorman schon 1970 im EXORZIST II-Schangelmodus. Nur ist es hier wenig erfreulich.

The Getaway / Getaway
(Sam Peckinpah, USA 1972) [35mm, OF] 2

großartig +

Auch wenn sich THE GETAWAY alle Mühe gibt als Actionfilm wahrgenommen zu werden, ist es doch ein Liebesfilm … und vll Peckingpahs romantischstes Werk. Steve McQueen spielt darin eine Steve McQueen-Figur, die cool ist und immer Herr der Lage. Auf einer Müllhalde, der Müllhalde seiner Beziehung, erweist er sich aber dennoch als jemand, der unsicher ist. Jemand, der mit seinen Zweifeln nicht klarkommt. Und gerade die folgende Offenheit zu sich und seiner Frau (Ali MacGraw) wird seine Beziehung in ihr wunderschönes Happy End führen. Es ist geradezu eine Utopie, dass in dem Moment, in dem ein notorisch unterkühlter Mann seine Verletzlichkeit eingesteht, dass in diesem die Liebe gerettet ist, die vorher durch all den Kugelhagel und all seine Dominanz nicht zu kitten war. THE GETAWAY gönnt seiner Hauptfigur das, was IMMORTAL SERGEANT seiner kategorisch verweigert. Anders McQueens Verfolger Rudy Butler (Al Lettieri) und dessen Beziehung zu einer Geisel (Sally Struthers), die zunehmend so etwas wie seine Freundin wird. Zwei dysfunktionale Beziehungen stellt THE GETAWAY systematisch nebeneinander. Eine, die es zu retten lohnt, an deren Schieflage sich die Schießereien abarbeiten, Schießereien, in die fast immer Kinder als Zuschauer verwickelt werden, und eine, die Teil eines erstaunlich abartigen Menschenbilds bleibt. Doc und Carol McCoy können froh sein sich gefunden zu haben und dass sie von all diesen Leuten flüchten können.
Sehr schön sind schon die Opening Credits mit treibender Spannungsmusik zu einer Montage von McQueen/McCoy im Gefängnis und einem Reh in freier Wildbahn. Es liegt in der Luft, dass mit der Nennung des Regisseurs und dem Ende des Vorspanns das Reh losrennt und McCoy flieht. Doch beides bleibt aus. Die Anspannung verpufft und statt befriedigt zu werden. Er sitzt, eindrucksvoll durch diesen ausbleibenden Orgasmus nachzufühlen, im Gefängnis fest. Weshalb er seine Frau losschicken muss, um ihn loszueisen, was nun den antreibenden Zweifel entfachen wird, wie sie es anstellte. Schon nach wenigen Minuten sind wir emotional tief drin in dieser tour de force der Liebe.

Tucker: The Man and His Dream / Tucker – Ein Mann und sein Traum
(Francis Ford Coppola, USA 1988) [DCP, OF]

ok +

TUCKER ist nicht nur Biographie des namengebenden Traumverwirklichers, sondern auch die verkappte Autobiographie seines Regisseurs. Als adrenalingeladener Werbefilm beginnt TUCKER und lässt danach kaum ab den euphorischen Kampf zu bebildern, der die Mächtigen mit Phantasie besiegen und in einer verbohrten Gesellschaft das Auto der Zukunft auf den Markt bringen möchte. Das Geschehen rast voran, damit es keine Zeit zum Nachdenken gibt. Wie Tucker auf andere Leute einredet und sie so auf seine Seite ziehen möchte, so brabbelt auch seine filmische Aufarbeitung auf uns ein. In der Hoffnung, dass uns nichts Vernünftiges zum Vorgebrachten einfällt. Telefonate werden deshalb beispielsweise nicht mit Schnitten oder Split Screens dargestellt. Die Telefonierenden stehen sichtlich in ein und derselben Kulisse und sind dabei von einer Wand getrennt, die zwei Räume teilt, die diegetisch mehrere Meilen auseinanderliegen sollen. Gefühlsmäßig liegt so alles nah zusammen. Zeit und Raum sind unter dem Willen der Träumer völlig gekrümmt. Der kurze Auftritt von Dean Stockwell als gespenstisch verrannten Howard Hughes vermittelt wenigstens die leise Ahnung, wie Tucker/Coppola abseits der Überwältigungsstrategie von TUCKER wahrgenommen werden können. Aber selbst dies kann Coppolas Film nicht den Nimbus einer Rechtfertigung nehmen, der einen aufdringlichen Phantasten entschuldigt (der den ein oder anderen Traum auf die Leinwand gebannt hat), aber allzu oft an der Realität scheiterte.

Mishima: A Life in Four Chapters / Mishima – Ein Leben in vier Kapiteln
(Paul Schrader, USA 1985) [DCP, OmeU]

gut +

Philipp Glass‘ Musik, sein zweiter Soundtrack nach KOYAANISQATSI, ist fürchterlich. Zumindest für einen Film wie MISHIMA. In ihrer repetitiven Blumigkeit trägt sie die Verspieltheit von Michael Nymans Greenaway Filmmusiken in einen Film über eine Person, die sich immer mehr verkrampft, die sich obsessiv mental und körperlich geißelt und fesselt. Es will einfach nicht passen und raubt, denke ich, dem Geschehen viel seiner möglichen Kraft.
Schrader selbst nähert sich seinem widersprüchlichen Sujet an, indem er es in ein Spiegelkabinett steckt. In vier Kapiteln und auf drei Ebenen erzählt er von der Entwicklung Mishimas vom sensiblen Jungen zum faschistischen Ledermilitär. Einmal ist da in natürlichen Farben der Weg zu seinem letzten Werk, mit dem er seine Kunst aus der Welt der Worte befreien und in die Wirklichkeit überführen möchte. Was der sich Uniformierende und Getreue um sich Sammelnde letztlich vorhat, schält sich aber erst langsam aus den anderen parallel verlaufenden Erzählungen heraus. In Schwarz und Weiß zeigt MISHIMA die Biographie des Autors, die sich mit den bunten, stilisierten und überspitzt verknappten Verfilmungen dreier Werke verwebt. Der schweren Fassbarkeit Mishimas wird sich dergestalt genähert, dass, egal wie prägnant die sich abzeichnende Entwicklung zum Endpunkt ist, alles gebrochen und Teil einer Ansammlung unterschiedlichster Perspektiven ist. Da sind die höchst artifiziell verfilmten Bücher, die beispielsweise über Schönheit erzählen, aber auch wie sich die dargebotene Beziehung zur Schönheit psychologisch entwickelte. Die daneben dargestellten Entwicklungen in Mishimas Leben setzen ihn nun wieder zu seinen Büchern ins Verhältnis, wie die Bücher zu seinem Autor ins Verhältnis gesetzt werden. Und schließlich wird noch der sich abzeichnende Fluchtpunkt der dargebotenen Entwicklung stets mit ins Bild gezwängt.
Die ersten drei Kapitel bilden die drei Stufen der Radikalisierung Mishimas. Zuerst wird mittels THE TEMPLE OF THE GOLDEN PAVILION über Schönheit kontempliert. Wobei die Schönheit im Leben des Autors zu etwas wird, dass es zu zerstören gilt. Denn diese hat eine Unsicherheit auslösende Qualität. Ein reizender Körper fordert. Stammeln und Zittern sind bei einem sensiblen Jungen wie Mishima Yukio die Folge. Grob vereinfacht, denn, wie gesagt, verwischt die Verbindung von fiktionalisierter Biographie und fiktionalisierter Fiktion einfache Zuordnungen. Mittels KYOKO’S HOUSE wird dann über die Kunst als etwas zu Überwindendes meditiert. Die Kunst sollte nicht durch ein Medium von der Realität getrennt sein. Die Angst vor der Impotenz des Künstlers verbindet sich mit dem Fetisch für die Vernarbung getrimmter Körper. Und letztlich wird RUNAWAY HORSES herangezogen, um die Ausmerzung jeder Weichheit in einem Stahlkörper mit politischer Aktion zu verbinden. Wo die Angst vor einer sonst wie gearteten Schlaffheit in einen militaristischen Faschismus überführt wird. Wo der Kaiser als Garantie für eine Erektion einsteht. Die Kunst muss Aktion werden.
Wie so einige Filme diese Woche bildet MISHIMA ein Musterbeispiel für theweleitsche Männerphantasien. Doch Schraders Film stellt sich eben zu seinem Objekt ins Verhältnis und zeigt einen Hampelmann. Nicht dass er ihn dem Spott preisgeben würde. Faszination spricht aus jeder Minute und aus jedem Bild. Aber doch lässt er ihm nur die Welt der Worte. Aus dem Off lässt er Mishima Darsteller (Ogata Ken) dessen Biographie raumfüllend kommentieren. Seine Kunst lässt er über ihn sprechen. Der Rede über ihn ist nicht zu entkommen. Seine reale Tat jedoch ist dann nicht seine Rettung oder die Veredlung seines Werkes. Es ist die Zerstörung seines Selbstbildes, in einem Moment, wo er in seiner Verwundbarkeit so ernsthaft und stählern geworden ist, dass er nur noch ein Witz ist.

Holy Matrimony
(John M. Stahl, USA 1943) [35mm, OF]

fantastisch

Eine charmante Komödie über Dickköpfigkeit, Schlagfertigkeit und darüber wie unwichtig Identitäten sind. Und darüber, dass Gentlemen daran erkannt werden könne, dass sie utterly useless sind und dass Leberflecke sensationelle Schlagzeilen in britischen Zeitungen abgeben können.

Donnerstag 28.06.

When Tomorrow Comes
(John M. Stahl, USA 1939) [35mm, OF]

fantastisch

In WHEN TOMORROW COMES gibt es einen Streik und einen Hurrikan. Ganze Landstriche wird Letzter verwüsten. Und es gibt eine tragische Liebesgeschichte, die nicht sein kann. Doch weder der Klassenkampf der Kellnerinnen noch die Naturgewalt werden einem tragischen Aufruhr der Gefühle seine Gestalt geben. Das eine wird Kellnerin Helen Lawrence (Irene Dunne) mit Pianisten Philip Chagal (Charles Boyer) bekannt machen und das andere wird die Kraft sein, die eine aufkeimende Liebe zur Zweisamkeit zwingt und ihr seine romantischsten Momente bietet. Abseits der Normalität wird er einen Platz schaffen, wo zwei Menschen Freiheit für ihre Gefühle finden. Und das steigende Wasser in einer abgelegenen Kirche wird einen seltsamen Ort für einen Urlaub von der Wirklichkeit schaffen. Stattete John M. Stahl seine Melodramen oft (alle anderen mir bekannten) mit einer täuschenden Beiläufigkeit aus, da lässt er das Drama hier einem Appendix gleichen. Es ist nur der letzte süße Tropfen der Tragik der seinen Liebesfilm abrundet. Die alles verhindernden Hürden sind hier das Kühlende, dass etwas, das schon aufgewühlt ist, zur (tragischen) Ruhe bringt. Die Liebe und die Schönheit einer stürmischen Nacht glüht darin aber um so schöner weiter.

Immortal Sergeant
(John M. Stahl, USA 1943) [35mm, OF]

verstrahlt

Größtenteils ein Durchhaltefilm, der zum Verkauf von Kriegsanleihen die Geschichte eines heldenhaften Einsatzes erzählt. Die nur ab und zu auftauchende Dreiecksgeschichte aus der Zeit vor dem Krieg zwischen unserem sensiblen, unsicheren Helden (Henry Fonda), einer größtenteils eigenschaftsfreien Frau (Maureen O’Hara) und einem erfolgreichen, extrovertierten Erfolgsmenschen (Reginald Gardiner), sie lässt dem strahlenden Schein des Heroismus arg vergilben. Denn irgendwo erzählt IMMORTAL SERGEANT mit seiner Heldenverehrung auch von einer Arschlochwerdung. Krieg hat dabei nicht die Traumata induzierende Kraft bekannter Horrorvisionen. Es verlangt nur von einem mit sich ringenden Mann, seine Beklommenheit mit gängigen Geschlechterzuschreibungen abzulegen und sich in hypermaskulinen Idealen zu verorten. Einmal erinnert sich der unkaputtbare Sergeant an einen Nachmittag an einem See. Er sitzt mit seiner Liebe nach einem Bad auf einem Floß mitten im Wasser und sie unterhalten sich über den Unterschied zwischen Männern und Frauen. Er erzählt, dass er in seinen (potentiellen) Romanen keinen Unterschied zwischen Männern und Frauen machen würde. Es wären alles nur Ausprägungen seiner Person und die Unterschiede zwischen den Geschlechtern sowieso nicht so dramatisch. Darauf erhält er eine lächelnde Antwort, die ihm sanft darauf aufmerksam macht, wie wenig er doch weiß. (Auch wenn sich darin vll nur der rein subjektive Wunsch ausdrückt, genommen zu werden.) Denn die Männer müssen die aktiven sein. Sie müssen es sein, die sich diese delikaten Wesen Frauen schnappen. Während er dies hört, schaut er bedröppelt zu Boden. In was IMMORTAL SERGEANT diesen Mann umschlagen lässt, lässt einen genauso bedröppelt aus der Wäsche schauen.

The Mad Game
(Irving Cummings, USA 1933) [35mm, OF]

verstrahlt

Spencer Tracy spielt eine verschwörungstheoretische Version von Al Capone. Seinen Edward Carson gibt er wie einen guten Kumpel, dem niemand einen Gangster abnimmt. Nachdem er wegen Steuerhinterziehung im Gefängnis landet und seine Nachfolger noch schlimmer vorgehen als er, da lässt er sein Gesicht operieren und geht in den Untergrund, um all das Unehrenhafte aus der Gangsterwelt zu vertreiben. Die Geschichte ist ungefähr so hanebüchen, wie Tracys Maske nach seinem Facelifting. Carsons Vorschläge gegen das Vorgehen gegen das Verbrechen sind aber sensationell. Größtenteils das rechtskonservative Einmaleins, aber als erstes schlägt er vor, dass Waffen für Zivilisten aus dem Verkehr gezogen werden. Diese bräuchte eh nur die Armee, meint er. Ihm wird darauf versichert, dass Maßnahmen dazu schon in die Wege geleitet wurden. Ein Kinosaal 85 Jahre später johlte.

Deliverance / Beim Sterben ist jeder der Erste
(John Boorman, USA 1972) [35mm, OF] 2

großartig

Abermals eine gruselige Arschlochwerdung. Jon Voights Figur hängt den Macho Reynolds ab und lässt diesen final – symbolisch aufgeladen und ohne das sich der Film noch um ihn kümmern würde – als Krüppel in einem Krankenhaus in den Backwoods zurück. Denn für ihn ist die nun erreichte Höhe der Männlichkeit kein Spiel, sondern er ist zum richtigen Mann geworden … der nachts verfolgt von seinen Entscheidungen schweißgebadet aufwacht. Dies bietet dann den Höhepunkt in diese gallige Antwort auf die Gegenbewegungen der zweiten Hälfte der 60er Jahre. Denn das Unberührte, die Natur, nach der sich anfangs noch gesehnt wird, stellt sich als etwas Toxisches heraus. Etwas Bedrohliches auf vielen Ebenen: die sehr bewusst gewählte Südstaatenhinterlandschaft ist voller Unbehaglichkeit, sie erscheint als irrational, gewalttätig, inzestuös und degeneriert. Das System, vor dem geflohen wird, stellt sich so in Abwesenheit als Safe European Home heraus, wo das Atavistische nicht in Gräbern und in Flüssen lauert, um einen wie Jason ins nasse Grab zu reißen.
Burt Reynolds ist in DELIVERANCE darüber hinaus in seiner besten Rolle zu sehen. Weil er mal keine Ironie hat, mit der er seine Persona brechen kann. Auch keinen Spaß, mit dem er einen zumindest versucht um den Finger zu wickeln. Er schöpft hier einfach sein ganzes psychopathisches Potential aus.

San Mao liu lang ji / The Winter of Three Hairs
(Zhao Ming, Yan Gong, CHN 1949) [35mm, OmeU]

ok +

Straßenkind Mao darf hier symbolisch an einer Stelle nicht in die Kia-shek-Schule. Eine Ansammlung von komischen Begebenheiten zeigt ein China, dass eine kommunistische Revolution nötig hat. Denn die Kommunisten tanzen mit den Ausgegrenzten, während eigentlich alle Episoden in Jiang Kia-sheks-China auf Ausgrenzung aufbauen und auf haltlose, selbstverständliche Gewalt gegen Kinder hinauslaufen.

1898 – Science and Science Fiction – Méliès – Lumière
(Diverses, F 1898) [35mm/DCP]

großartig

Panorama pris d’un train en marche (Georges Méliès)
Le magicien (Georges Méliès)
Pygmalion et Galathée (Georges Méliès)
Visite sous-marine du Maine (Georges Méliès)
Illusions fantasmagoriques (Georges Méliès)
Un homme de têtes ou les quatres têtes embarrassantes (Georges Méliès)
Chiens savants: la danse serpentine (???)
La duchesse d’Aoste à l’exposition (???)
Lavage du pont, I (Alexandre Promio)
Ramassage du linge (Alexandre Promio)
Picadors (???)
Chiens savants: exercice du tonneau (???)
Ballet excelsior: pas du bouquet (???)
Le squelette joyeux (Louis Lumière)
Ouvriers réparant un trottoir en bitume (???)
Panorama pendant l’ascension de la Tour Eiffel (???)
Panorama pris d’un ballon captif (???)
Explosion en mer (Alexandre Promio)
*****
Die ersten Filme, wo beispielsweise Operationen mit wissenschaftlicher Genauigkeit dokumentiert wurden, habe ich leider verpasst. Die Antithese mit der fantasievollen Fantastik des Georges Méliès und die Synthese mit dem sensationsgierigen Realismus der Lumières, wo beispielsweise ein Boot mit (höchstwahrscheinlich) Menschenpuppen in die Luft gejagt wurde, habe ich aber sehen können.

Il Cinema Ritrovato 2018 – Star Dust
(Diverses) [35mm, OZ]

gut +

Kurze erhaltene Fragmente aus:
A skorpió (Mihály Kertész [Michael Curtiz], H 1918)
Bound in Morocco (Allan Dwan, USA 1918)
Küzdelem a Létért (Alfréd Deésy, H 1918)
Habn’s kan Dragoner g’seh’n? (???, A 1918)
[Tulipani] (???, F 1918)
*****
Douglas Fairbanks und den noch in seiner Heimat befindlichen Bela Lugosi habe ich bestaunen können. Meine Aufmerksamkeit war aber schon so sehr angegriffen, dass ich das nach der Vorankündigung vergaß und es mir erst nach den gezeigten Fragmenten wieder einfiel … als ich mich schon nicht mehr an ihre Figuren und deren Gesichter erinnern konnte. Die Demenz warf langsam ihren Schatten voraus.

A bánya titka I: A Gonosztevö Gróf / The Secret of the Mine. First Part: The Miscreant Count
(Ödön Uher Jr., H 1918) [35mm, NdlZmeU]

ok

Jetzt wo ich die unglaubliche Schönheit von Prinzessin Eva sah, muss ich in die ewige Dunkelheit zurück. Unklar bleibt nur, ob dies dann Rettung oder Unglück ist. Und doch handelt es sich beim ersten Teil von THE SECRET OF THE MINE um das Höhlengleichnis als düsterromantischen Verschwörungspolitthriller. Die Dunkelheit, wo ein rechtmäßiger Herrscher von einer Hexe aufgezogen wird, bietet die Sicherheit, während das Leben an der Sonne voller Qual und (seelischen) Herausforderungen ist. Bilder der Grenzen – Türen und Felsspalten – sind ständig zu sehen. Ein Film der Beobachtung und des Wartens, ein Film der Übergänge. Nur die Arbeiter im Bergwerk, ihre Motivationen und ihr Leben fehlt völlig, selbst wenn sie beispielsweise mit einer Revolution das Geschehen vorantreiben. Denn der untere Teil Gesellschaft wird in der Dunkelheit belassen. Es ist eben ein Film der Oberen.

Pixote: A Lei do Mais Fraco / Asphalt-Haie
(Hector Babenco, BR 1981) [DCP, OmeU]

großartig +

Abermals toxische Männlichkeitswelten, die hier auf der brasilianischen Straße mit der Sensibilität eines Maurice Pialat – es gibt keinen Plot, sondern eine natürliche Entwicklung – eingefangen werden. Und nur selten sentimentalisiert die Musik PIXOTE. Anders als im durchaus ähnlichen SÜRÜ wirkt hier eine Gesellschaft voller Probleme (Korruption, (Polizei-)Gewalt, Armut, Sexismus und Drogen) nicht von außen auf eine Gruppe ein, sondern von innen. Eine Erziehungsanstalt schweißt zwar eine Gruppe Kinder und Jugendlicher zusammen, aber außerhalb zerstört sich diese Ersatzfamilie selbst, weil die Suche nach einem Platz innerhalb der Gesellschaft dazu führt, dass die Rollen angenommen werden, die von dieser geboten werden. Bilder von Selbstentwürfen, Oktroyierungen und vom Beobachten. Ein melancholischer, aber an Hoffnungen und ein kleines Glück festgekrallter Film über einen seelischen Untergang, der den Körpern in die Hölle ihrer Gesellschaft folgt.

Mittwoch 27.06.

Pesnya o shchastye / Song about Happiness
(Mark Donskoy, Vladimir Legoshin, UdSSR 1934) [35mm, OmeU]

gut +

Ein Film, in dem fast alle Protagonisten nach Passivität streben und erst durch Impulse ihres Umfelds in Bewegung gesetzt werden. Folglich besteht SONG ABOUT HAPPINESS zu 70-80% aus Reaction Shots. Staunen und sinnieren bei Musik. Das Erschrecken, wenn Leute erkannt werden. Träumen oder wütend werden. Immer wieder wird in Gesichter geschaut, auf die etwas einwirkt. Und es funktioniert, weil es eben tolle Gesichter zu sehen gibt. Nur der Hauptdarsteller ist etwas überfordert, wenn er mehr als lächeln muss. Daneben gibt es noch wunderschöne Bilder der Wolga, von Baumstämmen, die auf ihr gelagert und transportiert werden, und der Sonne, die von ihr reflektiert wird. Also auch etwas zum selber schwelgen.
Es ist aber auch die Geschichte eines dummen, dummen Jungen, die ohne dessen Dummheit und seine ignorante Weigerung zu kommunizieren (da er nicht verstehen kann, dass andere vll auch wertvolle Perspektiven haben), nichts zu erzählen hätte. Und das ruft eher Entnervung hervor.

Now I’ll Tell
(Edwin J. Burke, USA 1934) [35mm, OF]

gut

Wie Spencer Tracy grimmig in einem Auto fährt, das kenne ich irgendwoher. Ich tippe auf die HISTOIRE(S) DU CINEMA, wo es mglweise etwas repetitiver eingesetzt wurde. Ansonsten ist es wiedermal eine dieser bezeichnenden Männerphantasien. Spencer Tracy spielt den größten Spieler New Yorks, Max Golden. Basieren tut dies auf dem Leben Arnold Rothstein … bzw auf den Erinnerungen seiner Ex-Frau an ihn. Wie so viele Gangster und Machos hält sich Golden eine Ehefrau, die er strickt von seinem Leben trennt. Die blütenrein bleiben muss, damit er sich umso mehr im Schlamm aus zwielichtigen Geschäften, Verbrechen und Hurerei herumsuhlen kann. Sie dient als Gegengewicht, als Anker und Entschuldigung, die etwas Reines in ihm garantieren muss. Als ihm jedoch auffällt – mit Kindern eines alten Freundes in den Armen – dass diese Rechnung nicht aufgeht, dass er ein Schwein ohne Wenn und Aber ist, da fällt sein Glück von ihm ab. Wie jedem rettungslosen Sünder bleibt ihm deshalb nur ein letzter Trick, das Selbstopfer. Das einfache Klaus Theweleit Einmaleins eben.

None Shall Escape
(André De Toth, USA 1944) [DCP, OF] 2

gut +

Die italienischen Untertitel offenbarten mir, dass München im Italienischen Monaco heißt. Monaco di Baviera, um genau zu sein. Wenn das mal nicht verwirrend ist.
Nach dem Film gab es übrigens einen der frenetischsten Applause des Festivals. Was wohl auch an den packenden Tränen der Dame lag, welche die Einführung hielt. Zu einem gewissen Grad lag dies wohl aber auch in der umseitigen Versicherung, auf der richtigen Seite zu sein, begründet. Es fühlte sich plötzlich an, als ob ich unbemerkt, trotz des Wissens, dass es sich um einen Propagandafilm handelte, in einer Andacht der Menschlichkeit gesessen hätte. Danach ging ich aufs Klo. Wer die Klosituation beim Il Cinema Ritrovato kennt, der weiß um die Knappheit sanitärer Einrichtungen. Ich ging also auf das gerade freie, auf das Behindertenklo. Vor einem kleinen gelb-schwarzen See am Boden und einer vollgepissten Klobrille fand ich mich wieder. Anscheinend hatte sich bisher niemand beim Stehenpinkeln berufen gefühlt, Letztere wenigstens mal hochzuklappen. Es ist natürlich wahrscheinlich, dass an diesem Umstand niemand beteiligt war, der gerade eben noch stürmisch applaudierte. Aber doch, dieses Aufeinanderfallen der Ereignisse machte mir das Herz eng. Wie soll eine bessere Welt möglich sein, wenn eine simple Geste der Menschlichkeit, wie nicht auf einen Sitz zu urinieren, so kompliziert scheint. Wenn der eigenen Menschlichkeit schneller applaudiert ist, als sie mindestens mal im Kleinen umzusetzen.
Um zum Film selbst zurück zu kehren: der beste Moment war, als die Rede des Rabbis im Angesicht der anfangenden Deportationen der Juden in KZs, zu einer Brandrede um schwingt, die der Anpassung eine Absage erklärt und zum Aufstand aufruft, wenn die sie bebildernde Kamerafahrt auf Nazis mit Maschinengewehren endet. Ein sehr beklemmender Augenblick.

Sürü / The Herd
(Zeki Ökten, TR 1978) [DCP, OmeU]

fantastisch

In drei Teile fällt SÜRÜ auseinander. Zuerst ist da dieses ROMEO UND JULIA-artige Drama in der ruralen Türkei. Nur wurden die Liebenden verheiratet, damit die Familienstreitigkeiten aufhören. Diese Utopie, und damit setzt SÜRÜ ein, hat sich nicht erfüllt. Die gemeinsamen Kinder des Paares sterben schon während der Schwangerschaft oder direkt nach der Geburt, weshalb Sivan (Tarik Akan) seine Frau Berivan (Melike Demirag) gegen den jähzornigen Vater (Tuncel Kurtiz) verteidigen muss. Aber auch die Familie seiner Frau muss er von dieser fernhalten, da er nicht die Familie verraten darf. Dieser erste Teil ist eine kleine, klaustrophobische Studie über einen Landesteil, in dem nur wenige Anzeichen vorherrschen, dass dies in der Moderne vonstattengeht. An den späten Rossellini erinnert dies. Darauf folgt ein Road Movie, indem Sivans Familie ihre Schafe zum Verkauf per Zug nach Ankara transportieren. Sivan nimmt Berivan mit, um ihr von einem Arzt helfen zu lassen. Und um zu beweisen, dass sie krank ist und nicht der Feind (worauf sein Vater besteht). In Form von Exploitationsversatzstücken wie wild um sich schießenden Gangstern, diebische Prostituierten oder einfach per Impressionen stellt sich die moderne Türkei neben das rurale Drama. Im dritten Teil sind die ursprünglichen Konflikte nur noch ein Teil eines Panoptikums einer Stadt voller Leid und Widersprüche. Das einfache rurale Drama bleibt, ebenso wie die Exploitationsmomente, die rein und raus schwingen. Urbanen Dramen kommen hinzu, ebenso wie Godard-artige Momente, wo ein Junge vor einer Wand mit Bilder von Maschinengewehren und Karl Marx sitzt und von den strukturellen Ungleichheiten referiert. Es sind drei klare Teile. Alle handeln von Bewegung und Veränderung, und doch ist SÜRÜ ein einziger Stau. Konflikte, Perspektiven, wie Stilmittel werden angesammelt und ein immer größeres Panorama gezeichnet. Das Panoptikum eines zerrissenen Landes zwischen Terror, Armut, Ausbeutung, zwischen Moderne und Tradition. Und alles wirkt auf die Grundsituation ein und dreht die Daumenschrauben zwischen Sivan und seinem Vater an, zwischen Herrenrecht und Vernunft. Der Hass führt zu Verzweiflung. Bis es eben in einer Explosion ungezähmter Gefühle untergeht. Früher war alles scheiße und heute nicht minder, nur anders. Das könnte SÜRÜ einem sagen. Aber auch wie einfach Reichhaltigkeit aussehen kann.
*****
Zu sehen gab es eine DCP, deren Grundlage ich nur schwer zu bestimmen finde. Von der fehlenden Schärfe und der Verwaschenheit würde ich auf eine VHS tippen. Die Restauration hatte mit ihrer Glättung zumindest herausgeholt, dass dies imho nicht mehr eindeutig zu sagen ist. Das Problem mit dem Bild war aber ein noch ganz anderes. Denn es war gestreckt. Möglicherweise von 1,66 auf 1,77. Es sah also alles in allem sehr suboptimal aus. Die youtube-Projektionen vom STUC, dem Festival des stählernen Films, dürften nicht viel minderwertiger sein. Und, ganz ohne es zu intendieren, warf Il cinema ritrovato mit dieser abermals qualitativ fragwürdigen Projektion die neuerliche Frage danach auf, was Kino ist. Wahrscheinlich haben sie die bestmögliche Version dieses Films gezeigt, die (noch) zu finden war. Und die Filme von Yilmaz Güney schienen mir nach diesem Beispiel jede (Wieder-)Entdeckung wert. Aber ich hätte es doch lieber nur auf einem Bildschirm gesehen, statt als große Projektion auf einer Leinwand. Ich kam mir betrogen vor … aber ist ein Film, der nur noch fürchterlich projiziert werden kann, so viel anders als eine rudimentär wiederhergestellte griechische Statur? Ein Hinweis auf die Qualität im Katalog oder im Programm wäre aber sehr hilfreich gewesen.

Garmon / Accordion m
(Igor Savchenko, UdSSR 1934) [35mm, OmeU]

verstrahlt

Stalins Hassfilm, der sich von den Filmschaffenden seines Landes wohl immer wieder ausbat, weiterhin so einen Mist wie GARMON zu produzieren. Verständlich, denn dieses musikalische Poem ist als Propagandafilm vor allem hanebüchen. Dieser sehr sozialistische Film, dieser sehr überschwängliche Film mit seiner fast debilen Geschichte um einen vorbildlichen Arbeiter, der im Erfolg den Kontakt zur Realität verliert, dieser sehr musikalische Film mit dem Akkordeon als Waffe gegen die Trägheit, dieser Film mit etwas Kritik an den Oberen und seiner fröhlich vorgetanzten und gesungenen Botschaft eines puritanischen Glücks im Sozialismus, dieser Film voller raumgreifender Poesie, voller Impressionen von Feldern und Ähren, voller Spielereien mit Schärfe und Unschärfe, voller Zeitlupen, Montagen und Symbolik, voller comichafter Verzerrung der Realität, dieser Film voller schwitzender Körper bei der Arbeit, voller glücklicher Menschen im Gesang, dieser Film mit seinem charismatischen Bösewicht (Savchenko selbst), der viel zu verständlich sich von dieser Freude ausgeschlossen und angeekelt fühlt und alle zu seinem Unwohlsein, seiner Lethargie und Sauferei bekehren möchte, dieser Film kann einem funktionierenden Verstand nur wie Unsinn vorkommen. Sensationeller Unsinn.

Notte di Calcutta k
(Mario Caserini, I 1919) [35mm, NdlZ]

ok

Carnevalesca m
(Amleto Palermi, I 1919) [35mm, OZ]

gut +

Hinter den Mauern der Paläste tanzen die Adligen in einem inzüchtigen Karneval. Die Adelsgeschlechter dieses Europas am Ende des Ersten Weltkriegs, dieser Welt in Ruinen, sie haben sich abgesetzt und eingeschlossen, wie in DIE MASKE DES ROTEN TODES. Kraken werden als Ausdruck ihrer rücksichtlosen Ambitionen zwischen die Handlung geschnitten. Von der Realität fehlt jede Spur. Stattdessen überfüllte Bilder rauschhafter Partys, irgendwo zwischen ausartendem Rokoko und einer dekadenten Orgie. Eine Handlung zähmt diesen Irrsinn zwar zunehmend, aber Lydia Borellis Show, wenn sie am Ende dem Wahnsinn verfallen ist, trumpft kaum minder auf.

Dienstag 26.06.

Women of All Nations
(Raoul Walsh, USA 1931) [35mm, OF]

gut

Zwei große, fleischige Matrosen können nicht voneinander lassen und reisen um die Welt, wo sie diverse kleine, überkompensierende Abenteuer mit Frauen erleben. Neben ihnen spielt Martin Shorts Vater im Geiste mit und darf einen der großen Running Gags des Films geben, ein Nießen zum (un-)passenden Zeitpunkt. Auch zu sehen ist Bela Lugosi als arabischer Prinz, der seinen Harem mit Dolch und fanatischen Blick verteidigt. Und da es ein Film von Raoul Walsh ist, gibt es Tierstimmenimitationen, die in Form von miauenden Leuten sogar eines der Leitthemen von WOMEN OF ALL NATIONS bietet.

Seed / Meine Kinder – mein Glück
(John M. Stahl, USA 1931) [35mm, OF]

fantastisch

Selbsterfüllung und Familie, wenn nicht gerade im Vater- bzw Mutterseins aufgegangen wird, sind in SEED zwei widersprüchliche Dinge. Wenn das eine verfolgt wird, fehlt automatisch die Zeit für das andere. Und die Kraft von Melodramen liegt darin, dass es keine sonst wie geartete Lösung dieses/eines Konflikts gibt. Dass dieser gordische Knoten nicht durch Stellvertreterkriege, durch Kompromisse oder Entscheidungen gelöst werden kann. Es muss sich entschieden werden und mit den Konsequenzen gelebt werden. Schmerz gibt es so oder so. Eine heile Welt wird es nur als Behauptung geben. Das ist der ernüchternde, erwachsene Kern dieses Genres.
SEED hat dabei eine klare Versuchsanordnung. Da ist die Mutter von fünf Kindern (Lois Wilson), die jede Entfernung ihres Mannes von der Familie als kommenden Verrat sieht. So sehr sie das Familienleben zu lieben scheint, der Selbsterfüllung als Gegner sieht sie sich nicht gewachsen. Eine ehemalige Geliebte des Mannes (Genevieve Tobin) taucht auf und sie ist ganz Karrieremensch … oder vielmehr jemand, der nicht nur auf eine eigene Familie verzichtet, sondern auch andere an ihre Träume (fern ihres familiären Heims) erinnert. Und der Mann (John Boles), eine phänomenal blasse Figur, versucht es seiner Familie und seinem Traum vom berühmten Autor rechtzumachen. Ohne komplexes Innenleben wird er von den Wellen des Geschehens, von den Ängsten und Hoffnungen seiner Frauen hin und her geworfen, dass er diese in der Beziehung zu ihm – es ist eine der vielen arglistigen doppelten Böden von SEED – schon wieder zu Müttern macht, die sich auch mal um seine Kleidung kümmern, damit er sich nicht erkältet.
Die Inszenierung von SEED bleibt dabei stets sehr ruhig und gelassen. Ein einfacher Stil voller kleiner optischer Spielereien und erzählerischen Details ist es, der diesen Malstrom der seelischen Pein voller dezenter Fallstricke anfüllt. Fast versöhnlich ist das Ergebnis, dass einen das Kino ganz unzerstört verlassen lässt. Es bleibt nur das Grauen all der Potentiale, die Ahnung, dass alles noch viel schlimmer war und sein wird, als wir direkt zu sehen/zu spüren bekamen. Da ist der (wohl goldene) (Vogel-)Käfig hinter einem Paar, das darüber diskutiert, ob der Mann seine Ehefrau verlassen kann, die Katze, die zum Höhepunkt eine Verlassene auch noch verlassen möchte, da sind die Zimtbrötchen, in die final geweint wird uswusf. Ein geradezu perverses Lachen steckt hinter einer anscheinenden Ruhe.
Und voller selbsterfüllenden Prophezeiungen ist SEED, wenn das naive Glück des Beginns sich immer umgreifender auflöst. Die Hysterie der überausgeprägten Mutterschaft wird all das Heraufbeschwören, was sie verhindern möchte, so sieht sie kurz vor Ende ihre Kinder mit deren Vater durch ein Schaufenster. Ihre Angst vor dem Glück in ihrer Abwesenheit wird in diesem sie ausschließenden Werbebild des Glücks seinen maliziösen Höhepunkt finden. Alles wird deshalb so kommen, wie zu erwarten war. Packend bleibt es trotzdem. Denn perfide wird einem kein fadenscheiniger Ausweg geboten.

6 Hours to Live
(William Dieterle, USA 1932) [35mm, OF]

großartig

Ein stilsicherer Noir-Politthriller wird ebenso stilsicher mit einem verrückten Professor und etwas FRANKENSTEIN-Strom-und-Leben-Technik angereichert. Und da diese Verbindung scheinbar noch nicht genug Stilbruch war, führt dieses Amalgam in eine erbauliche, christliche Meditation über den Tod und das Leben. Die lebensfeindliche Tendenz des Christentums wird dabei voll ausgekostet. Die Ruhe des Todes ist nicht zu fürchten, sondern zu ersehenen. Lebt also voller Ruhe und in Akzeptanz mit eurem Schicksal.

Roma città libera / Rome: Free City
(Marcello Pagliero, I 1946) [35mm, OmeU]

gut

Noisey parkers die killed. Eine neorealistische Nacht, nach der jeder über maximal zwei Ecken miteinander zu tun hatte. Vittorio De Sica spielt als kleine Nebenrolle einen Mann mit Gedächtnisverlust. Dieser hält sich für einen Politiker und erarbeitet durch den Film mäandernd eine Rede. An Offiziere ist sie gerichtet und er schmettert sie irgendwann unsicher von einer Bühne. Als er ein Klavier neben sich entdeckt, fängt er an darauf zu spielen und wandelt die Rede schnell zu einem absurden Chanson über Kräuter… unter anderem. Plötzlich scheint er in seinem Element zu sein, so vermittelt einem dieser kleine dadaistische Höhepunkt. Doch am Ende hat er von Anfang an recht gehabt und wird sein Leben weiter verschwenden.

Xiao cheng zhi chun / Frühling in einer kleinen Stadt
(Fei Mu, CHN 1948) [DCP, OmeU]

fantastisch

Ein Mann, Zhang (Li Wei), besucht nach dem Krieg seinen gesundheitlich gezeichneten Freund Liyan (Shi Yu) und findet eine alte Geliebte, Yuwen (Wie Wie), als dessen Ehefrau vor. Etwas von WENN DER POSTMANN ZWEIMAL KLINGELT liegt folglich in der Luft. Faszinierend ist dabei vor allem, wie SPRING IN A SMALL TOWN die Orte und die Leute in den Einstellungen organisiert. Ohne es anzusprechen werden nämlich den Orten feste Bedeutungen zugeschrieben. Da ist beispielsweise ein Spaziergang, bei dem sich Yuwen fallen lässt. Bedrückt durch ihre eh schon problematischen Gefühle für ihren Mann und die wiederaufkeimende Liebe zu Zhang setzt sie sich ab. Bei der unmittelbar folgenden Bootstour befinden sich Yuwen und Zhang hinten im Boot. Rudernd. Nun befinden sie sich im Rücken einer gutgläubigen Familie. Ihre Annäherung und ihr Verhältnis zum Rest der Protagonisten wird so rein optisch vorangetrieben. Und auf die Bootsfahrt folgt eine Szene, in der sie letztlich alleine an einer eingefallenen Mauer stehen. Ihr erstes ungestörtes Zusammensein. Dieser Ort wird daraufhin ein Ort der Liebe. Wenn sich dort Leute treffen geht davon Hoffnung aus oder Eifersucht erwacht. Denn Anwesenheit dort wird implizit mit körperlicher Liebe gleichgesetzt.
In anderen Szenen vertraut sich Liyan in seinem Bett sitzend jeweils seiner Frau und seinem Freund an. Sein darin zum Ausdruck kommendes Vertrauen ist ein Hohn, da beide ihn hintergehen. Als wir ihn in einer späteren Szene wieder in seinem Bett sehen und die Schatten seiner engsten Vertrauten über sein Moskitonetz schwirren, da liegt an diesem Ort des Verrats Mord in der Luft. Oder da ist das Studio in dem der Zhang untergebracht ist. Dies ist der Ort an dem die ehebrecherische Liebe zu seinen zwangsläufigsten, bittersten Konsequenzen geführt wird. Aus netten Menschen werden hier zunehmend düsterromantische Wesen, die sich gegenseitig quälen. Gerade mit dieser unauffälligen Klarheit braucht SPRING IN A SMALL TOWN wenig machen, um sein Melodrama unangestrengt zuzuspitzen. Vor allem in dem deutlich vermittelten Gefühl, dass weder Mord der Liebe eine Chance geben könnte, noch der Verzicht auf diese erträglich wäre.
Dieser Umgang mit Orten ist aber bei weitem keine statische Anordnung. Es gibt hier kein übermächtiges Schicksal. Die Dinge sind nicht eben wie sie sind. Die Orte und die Konstellation befinden sich in ständiger Transformation. Nur grobe Bedeutungen liegen in ihnen. Was die Leute darin damit machen, ist fluid. Denn auch wenn Mord in der Luft liegt, heißt das noch lange nicht, dass er wie zu erwarten geschehen wird. Nur weil ein Happy End in der Luft liegt, heißt das nicht, dass es bestand haben kann.

Vedi Napole e po‘ mori! m
(Eugenio Perego, I 1924) [35mm, OZmeU]

ok

Ein Film, der über ein Lächeln erzählt wird. Eine lebensfrohe Neapolitanerin mit wilder Frisur und speckigen Klamotten wird von einem Hollywoodregisseur entdeckt und mit nach Los Angeles genommen. Sie lieben sich selbstredend auch. Langsam wird sie nun gezähmt. Ihre Kleider und ihre Frisur werden zunehmend ordentlich, aber das einnehmende Lächeln bleibt … vorerst. Als er sie verlässt, weil sie mit einem anderen Mann unbeaufsichtigt sprach, da geht nicht nur das Lächeln dahin – so subtil ist VEDI NAPOLE E PO‘ MORI! nicht – nein, sie liegt auch sterbend danieder. Vll weil ein Leben ohne Lächeln eben nicht lebenswert ist. Bedrückend ist dabei vor allem die triste Männerphantasie, welche der Geschichte zu Grunde liegt. Die Versöhnung mit dem Mann, die am Ende als große, ausladende Feier vonstattengeht, ist extrem bitter. Denn schon bald wird er ihr sicherlich verbieten mit anderen Männern zu sprechen … Das Schöne sind hingegen die Aufnahmen Neapels, die unordentlichen Straßen, der Hafen, das Meer und das saftige Licht. Im finalen Karneval kulminiert dies alles, wenn das wiedergefundene Lächeln gefeiert wird. Und gerade der Platz, den dies einnimmt, lenkt von Mann und Frau ab und lässt einen sich in Farben und Räuschen ergehen.
*****
Davor wurden diverse Kurzfilme gezeigt, an die ich kaum noch Erinnerungen habe, leider:
[BUONA SERA SIGNORINA BONELLI] (I 190?)
EXCURSION EN ITALIE – DE NAPLES AU VÉSUVE (I 1904)
LA FESTA DEI GIGLI A NOLA (I 1909)
[NAPOLI] (I 1911)
[BUONA SERA FIORI] (I 190?)
Alle, bis auf der Vorletzte, kamen von 35mm. Zur Begrüßung und zum Abschied gab Grüße an eine Tafel geschrieben, mit etwas Tricktechnik, und ansonsten interessante Aufnahmen von Neapel.

Fad’jal
(Safi Faye, SEN 1979) [DCP, OmeU]

gut

Ein ethnographisches Essay über Überlieferung, dass gerade selbst wieder ein Dokument für die Nachwelt darstellt und Teil dieser Überlieferung wird. Dabei werden einem ordentliche Blicke in die Kehlen von aufgeschnittenen Tierhälsen geboten. Was wohl die ganzen Hollywoodmänner gesagt hätten, die ständig von den zarten Frauen erzählen, in deren Umfeld es am besten scheint, stets Riechsalz parat zu haben, wenn sie gehört hätten, dass es die Lieblingssequenz des Films von Jenny J. war?

Montag 25.06.

Bachelor’s Affairs m
(Alfred L. Werker, USA 1932) [35mm, OF]

großartig

Da Alan Dinehart diesmal nicht wie in THE BRAT mit einem viel zu großen Federkiel an einem absurd großen Tisch sitzt, da er also seinen Selbstwert nicht kämpferisch zur Schau trägt, passt seine Rolle besser zu seinem Äußeren, die eine Mischung aus Frazier und Jimmy Kimmel bietet. Retten tut er hier einen alten, reichen Zausel, der lieber junge Dinger heiratet, statt jemanden, mit dem er intelligente Sätze wechseln kann. Aber er rettet auch das junge Ding, dass zur berechnenden Heirat – selbstredend – nur gezwungen war. Fröhliche Gold Digger-Normalität.

The Woman Under Oath m
(John M. Stahl, USA 1919) [35mm, OZ]

gut

Eleven Angry Men and one woman. Zuletzt läuft es zwar nicht darauf hinaus, dass die Frau die Jury durch ihre besondere Sensibilität umzustimmen weiß, aber doch sind Frauen hier sehr zarte Wesen, denen nichts zuzumuten ist. In seinem Twist legt THE WOMAN UNDER OATH, in dem das Gewissen dieser Frau sich mittels Bildern an die Wand wirft, aber sehr schön, die Perfidität seiner Geschlechterunterschiede offen.

Caravan
(Erik Charell, USA 1934) [35mm, OF]

großartig +

Infernalisch ist dieses Vergnügungsparkungarn mit seinen in Trauben tanzenden Leuten, die fröhliche Romamusik brauchen, um guten Wein treten zu können, schon. Busby Berkeley light wird geboten, wenn beispielsweise eine Schar von bedrohten Roma die sie bedrohenden Soldaten zum Feiern bringt und diese eigentliche Gefahr irgendwann rhythmisch abgestimmt die streng eingefangenen Treppengeländer voller dionysischem Treiben herunterrutscht. Aber weniger der optische Wahnwitz und ein völlig verzerrtes Ungarn sind es, die CARAVAN so wild und unfassbar machen. Viel mehr sind es die gegenseitigen zugeschriebenen Klischees von steifer Nobles und regellosen Roma, von verfahrener Ordnung und unbekümmerter Freiheit, die alles antreiben. Die CARAVN nur zu gerne aufnimmt und in dieser Scheinrealität irrwitzig überhöht und dekonstruiert. Am Ende sind es nämlich die Adligen, die zwar immer so edel aussehen, aber mehr wie Zigeuner wirken, als die, denen sie es nachsagen. Die das Verantwortungsbewusstsein eines Kleinkindes haben. Und die mit ihrem unbekümmerten Leichtsinn das unfassbare Treiben rücksichtslos auslösen, aufrechterhalten und zu einem niederschmetternden Happy End bringen. Und ebenso legt CARAVAN beispielsweise nahe, dass es genetisch fast schon verankert ist, dass sich adlige Cousins und Cousinen automatisch verlieben müssen, wenn sie sich das erste Mal sehen.

The Plunderers / Die Plünderer von Nevada
(Joseph Kane, USA 1948) [35mm, OF]

großartig

Das 1948 noch aus rot und blau bestehende Trucolorverfahren erzeugte ein so leichtes, fast esoterisches Bild, dass es vor allem in der Wüste und im Sand abzuheben kurz davor ist abzuheben. Darin vor allem Widersacher voller Ehre und gegenseitiger Wertschätzung. THE PLUNDERERS bietet also einiges an heroischem bloodshed, wo die Frauen nur zum Anstand da sind … und um ihnen zart-romantische Sätze zu sagen, wie: What you said is like a door to a house. You have to open it to see what’s inside. Oder: I was in school and learned to read. Don’t hold it against me.

Song hua jiang shang / Along the Sungari River
(Jin Shan, CHN 1947) [DCP, OmeU]

ok +

Die DCP baiserte wieder auf einer VHS-Kopie und wie in die JUGEND MAXIMS wird hier die Entwicklung einer Radikalisierung nachgezeichnet, nur dass dies mit realistischeren Mitteln bewerkstelligt wird. Einmal arbeitet ein Mann dabei in einem von den japanischen Besatzern betriebenen Kohlebergwerk. In einer Montage sehen wir dabei wie die von den wie Sklaven gehaltenen chinesen geförderte Kohle in Fabriken gelangt, wie Kriegswerkzeug damit hergestellt wird und schließlich wie China damit bombadiert wird. Ein Bild von grimmiger Realität.

Poruchik Kizhe / Leutnant Kizhe
(Aleksandr Faintsimmer, UdSSR 1934) [35mm, OmeU]

nichtssagend

Einen meisterlich totgerittenen Witz bietet PORUCHIK KIZHE, der aus DES KAISERS NEUE KLEIDER etwas macht, wonach der beste Mitarbeiter eines rechthaberischen Kaisers eine nicht wirklich existente Person ist.

Prisioneros de la tierra
(Mario Soffici, ARG 1939) [DCP, OmeU]

ok

Da keine optische Strategie gefunden wird, den Titel zu verdeutlichen, da es in letzter Instanz keine Sümpfe, kein Fieber, keine Undurchdringlichkeit, keinen Schweiß und keine Härte der Natur gibt, höchstens kleinere Annäherungen daran, deshalb wird der Titel auf verschiedene Weisen in den Dialogen immer wieder aufgegriffen. Gefangene der Erde sind sie, die Protagonisten. Sie werden nicht müde es auszusprechen. Doch eigentlich sind es die Leute, die sich zu solchen machen. Zumindest mit Peitschen weiß PRISONEROS DE LA TIERRA etwas umzugehen, auch wenn hier das Zischen und damit die Härte etwas fehlen. Leider bleibt damit eben vieles Behauptung. Die interessantesten Charaktere sind dann auch nicht die Hauptdarsteller, sondern der Bösewicht und ein Mann ohne Hand. Gerne hätte ich mehr über den Tyrannen Köhner erfahren, der weich wird, wenn es Hunden schlecht geht, der melancholisch die Musik der deutschen Romantik(?) hört, wenn er alleine ist, und der Menschen nur wie Dreck behandelt. Oder über den Handlosen, der für die Geschichte keinen Sinn ergibt und der immer wieder allen lächelnd erzählt, dass er nicht viel braucht, um glücklich zu sein, und dabei auf seinen Stumpf schaut, als wolle er gleich verzweifelt losschreien, dass sich alle mit ihren kleinen Problemen mal zusammenreißen sollen.

Sonntag 24.06.

Il bell‘ Antonio / Bel Antonio
(Mauro Bolognini, I/F 1960) [DCP, OmeU]

fantastisch

Mit einigen ersten Preisen bei Filmfestivals kann sich IL BELL’ANTONIO schmücken. In Lima, Acapulco und einem Ort, den ich in meinen Notizen nicht mehr entziffern kann, hat er gewonnen. Auf den ersten Blick schien mir das einen Kalauer wert, weshalb ich die Städte notierte, nach dem Film hatte ich eher das Gefühl solche Filmfestivals in der filmwirtschaftlichen Pampa ernster nehmen zu müssen. Warum auch nicht.
Eine der vielen charmanten Inhalte von IL BELL’ANTONIO ist Claudia Cardinale als Kindfrau. Sie, die die Versinnbildlichung der Reinheit in 8 ½ ist, ist hier als Farce auf genau dies zu lesen … wie der ganze Film als Farce auf LA DOLCE VITA und seine zu diesem Zeitpunkt noch zu drehende Nachfolgerin wahrgenommen werden kann. Das Sehnen des schönen Antonio (Marcelo Mastroianni), dem alle Frauen wie läufige Hündinnen nachlaufen – wie sein Umfeld oft genug zu berichten weiß – all sein Sehnen also richtet sich auf sie. Auf die engelgleiche, statuenhafte Reinheit. Auf eine Frau, die erschüttert und verschreckt wegrennt, wenn ihr von einer dreckig lachenden Angestellten offenbart wird, dass sie nun, da sie mit Antonio verheiratet ist, es zum Zeugen von Nachkommen wie die Tiere treiben müssen. Aber ebenso jemand, der in völliger Kälte die Annullierung der Ehe von Antonio fordert, weil er seit einem Jahr die Ehe nicht vollzogen hat … von ihrem Onkel, einem Bischof wurde ihr offenbar, dass dies zu einer Ehe dazugehört und dass es einen noch reicheren Heiratskandidaten gibt, den die Familie inzwischen vorzieht. Wie ein wunderschöner, unergründlicher Obelisk steht sie im Geschehen und lässt sich nicht in die Karten schauen. Ob es an ihrer Durchtriebenheit liegt, die in ihrem reglosen Gesicht steht, oder an der Unschuld, die ihre Worte und Taten offenbaren, es bleibt nicht klar.
Das andere Charmante ist die Willigkeit aller Protagonisten noch die dreckigsten Dinge voller Selbstverständlichkeit auszusprechen – die beiden Hauptfiguren, die beiden Reinen sind hier selbstredend ausgenommen. So wird Antonio, nachdem er mit einem abschließenden Techtelmechtel sein umtriebiges Junggesellendasein beendete, von seinem Vater mit den Worten begrüßt: Oh, my son’s been with a woman, he smells. Oder später, wenn Stadtgespräch wird, dass Antonio die Ehe nicht vollzieht, und Impotenz im Raum steht, was nun wirklich kaum jemand auszusprechen wagt, da prahlt ebendieser Vater in gleicher Weise gegen die Gerüchte: Do you know why I’m famous in Catania? Because I slept with nine women in one night.
Potenz und Sex: so katholisch diese sizilianische Welt an der Oberfläche ist, so lüstern ist sie gleich unter dieser. Eine Welt wird offenbar, in der Männer nun wirklich nur etwas zählen, wenn sie vor Potenz protzen. Der nach Reinheit strebende Antonio, der nach Jahren spielend einfacherer Hurerei von dieser die Nase voll hat, findet sich in einer umso schweinischeren Welt wieder, je enthaltsamer und schwelgender er ist. Und genau aus diesem Umstand erwächst in IL BELL’ANTONIO eine Farce und ein Melodrama. Untrennbar werden die beiden Ausprägungen miteinander verbunden. Das nonchalante, saftige Fallenlassen der heuchlerischen Fassade noch der anständigsten Personen sowie das melancholische Sehnen nach der uneingeschränkten Wahrheit dieser sonstigen Heuchelei von Reinheit, dies ist entlarvend, absurd und voller Freude, welche Schranken noch fallen … aber ebenso berührend ist es, da die Menschen sich immer näher an einem Nervenzusammenbruch befinden, da sie an ihren Widersprüchen leiden und keinen Ausweg finden. Heiligenbilder hier, die Bebilderung vom überschwänglichen Nachgeben zu Sex und Klatsch da. Klare, kunstvolle Bilder hier und gieriges Gehenlassen da.

Víctimas del pecado / Verbotene Straße
(Emilio Fernández, MEX 1951) [DCP, OmeU]

gut

Wie AVENTURERA ist VÍCTIMAS DEL PECADO eine Rumbera, die mit einzelnen Schicksalsschlägen nicht zufrieden ist, sondern die die melodramatischen Daumenschrauben gerne immer wieder von anderen Ecken ansetzt. Mit zunehmender Spielzeit verkommt dies hier aber zu einem Fließband der neuerlichen Schicksalsschläge. Von der Obsession für Rauch und Bewegung, für das Verlieren in Wolken und Tanz bleibt nichts mehr übrig. Die Gesellschaft ohne Halt, wo jeder Fehltritt in Prostitution und im Gefängnis endet, findet keine optische Entsprechung mehr in VÍCTIMAS DEL PECADO, sondern ist nur noch Realität einer Aufzählung. Es bleibt nur die Erinnerung, dass es schick ist, eine Mariachiband zu jeder Gelegenheit hinter sich herlaufen zu haben.

Jia feng xu huang / Phoney Phoenixes
(Huang Zuolin, CHN 1947) [DCP, OmeU]

ok

Gold Digger-Komödien sind eine Präemanzipationsfigur. Seit den 60er Jahren ist dieses kleine, aber feine Genre jedenfalls verschwunden. Zu klischeehaft und unpassend scheint die Vorstellung geworden zu sein, dass eine Frau, die einen Millionär nicht aus Liebe, sondern aus Berechnung heiratet, sympathisch sein könnte. Dabei war es doch auch nur ein Weg, größtenteils ausgeschlossen von ökonomischen Wegen dorthin, am Reichtum teilhaben zu können. Es war ein Weg, um die damalige Stellung der Frau in der Gesellschaft als (möglichst schönes) Anhängsel des Mannes zu korrumpieren. PHONY PHOENIXES wurde in einer weitflächig zerstörten Gesellschaft gedreht. Reichtum in Shanghai kurz vorm Sieg der Kommunisten war jedenfalls wohl eher eine Seltenheit. Die ziemlich interessante Konstellation, dass sich zwei Gold Digger (ein Mann und eine Frau) hier gegenseitig täuschen wollen und lange Zeit nicht mitbekommen, dass ihre Anstrengungen vergebens sein werden, passt sehr gut zu dieser Situation von Tod (die nach Russland zweitmeisten Todes des 2. Weltkriegs), Chaos (Bürgerkrieg) und Armut (die (Land-)Wirtschaft war großflächig zerstört). Das Ende scheint deshalb schon vorgefertigt. Am Ende geben sich alle mit einem Dasein mit kleinem Erwerbsjob zufrieden. Diese Akzeptanz dieses kleinwenigen Stück Sicherheit, das gerade die Frau vor dem existentiellen Nichts bewahrt, wird sich als visionär erweisen, denn nur ein paar Jahre später wird der Kommunismus siegen. Wieso der Mann – ein so talentierter Friseur, dass sich die Kunden des Geschäfts, in dem er angestellt ist, sich um ihn reißen – überhaupt auf diesen Plan anspringt, ist nicht ganz klar. Zu gutmütig erscheint er, um die Offenbarung seiner Armut nach der reichen Heirat, so auf die leichte Schulter zu nehmen. Dementsprechend nimmt der Drive von PHONY PHOENIXES gleich nach dem Auftakt ab, wenn es nicht mehr um seine Tätigkeit als Friseur geht, sondern um (zumeist) liebenswerte Leute, die die niederträchtige Täuschung anderer liebenswerter Leute in Form eines kleinen Tohuwabohu vorantreiben. Weder wird die Bebilderung der Armut soweit forciert, dass es hier um existentielle Nöte gehen würde, noch gibt es ein spielerisches Prellen der Reichen … und schon gar keinen Busby Berkeley. Fast scheint es eine Laune zu sein, die die Protagonisten in diesen netten Wirbelwind eintreten lässt.

Junost‘ Maksima / Maxims Jugend
(Grigori Kozintsev, Leonid Trauberg, UdSSR 1934) [35mm, OmeU]

gut

Die Radikalisierung Russlands in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts als überspitztes Märchen. In Stationen von Gesang, spitzbübischen Abenteuern und fabelartigen Geschehen erzählt MAXIMS JUGEND von einem zunehmend Verfolgten, der alle um sich herum verliert. In die Enge getrieben und bei zunehmender und hinterhältiger Verfolgung ist er aber nie allein. Denn die Quelle der Gegenwehr wird nicht versiegen, so wird uns wie nebenbei versichert … und am Ende der Jugend steht eben ein Erwachsener, ein selbstständiger Kämpfer gegen die Unterdrückung, der durch den Kampf gereift ist. MAXIMS JUGEND beginnt mit einer rasanten Schlittenfahrt einer dekadenten Abendgesellschaft durch die Nacht. Diese Rasanz und Wildheit wird danach nie mehr erreicht werden und die ganzen Späße, wie der angelnde Lenin, sie werden zunehmend durch die Verfolgung eines Anliegens schal gemacht.

Entr’acte k
(René Clair, F 1924) [DCP, OZ]

gut

In der Einführung wurde dies hier dadaistisch genannt. Da René Clair zu dieser Zeit dem Surrealismus nah war, wenn ich mich richtig erinnere, aber auch weil eher neue Sinnzusammenhänge angeboten werden, als dass vorhandene zerstört und lächerlich gemacht werden, würde ich dies surreal nennen.

Rosita
(Ernst Lubitsch, USA 1923) [DCP, OZ]

gut

THE BRAT als reines Melodrama, dass zur Zeit des Karnevals spielt. Umbruch und Revolution liegen deshalb als Möglichkeit sachte in der Luft, wenn der König eine Sängerin von der Straße in seinen Harem holt. Die Masken fallen aber eher sachte.

Sonnabend 23.06.

Billy Wilder, wie haben Sie’s gemacht?
(Volker Schlöndorff, Gisella Geischow, D 1992) [DVD, OmeU]

ok

Volker Schlöndorff und Hellmuth Karasek (der Wilder ständig zur Hilfe eilt und seine Sätze und Nebensätze für ihn beendet) interviewen Billy Wilder zu seinem Werk … bis inklusive THE APARTMENT. Dabei werden Wilders Ticks alle im Bild gelassen und die Interviewer nur höchst selten gezeigt. Ob er ständig aus dem Fenster hinter ihm schaut, ob er nebenbei einen Brief öffnet und liest, ob er einen Rückkratzer ins Hemd steckt und ihm ohne Scham seinen Zweck zuführt, ob er Bonbons öffnet und lutscht, nichts schien zu stören, solange seine Ausführungen nur weiter gelauscht werden konnte. Nur ein einziges Mal sehen wir Schlöndorff ununterbrochen eine längere Frage stellen, während wir Wilders Gebiss ununterbrochen ein Bonbon bearbeiten hören. Was war da nur los, dass es nicht gezeigt werden konnte?
*****
Der Bonus einer Masters of Cinema-DVD (vll war es auch eine blu-ray) eines Billy Wilders eröffnet das Festival für mich. Auf diverse Weise ist dies ein Schatten, der da dieses Mal vorausgeworfen wird.

The Brat
(John Ford, USA 1931) [DCP, OF]

großartig

Wenn ein Schriftsteller aus reichen Verhältnissen eine Frau aus der Gosse aufnimmt, dann wird entweder er zwangsläufig von ihrer Authentizität angesteckt werden oder sie etwas mehr Klasse erlernen. Meistens wird aber beides geschehen. So scheint uns unser Empfinden für Dramaturgie nahelegen zu wollen. Fadenscheinig wird THE BRAT MacMillan, seine von Alan Dinehart gespielte männliche Hauptfigur, am Ende etwas Anständiges tun lassen. Doch eine innwendige Änderung seiner Persönlichkeit ist weniger wahrscheinlich, als dass es eine weitere selbstverliebte Geste seinerseits ist. Viel mehr als sich um Dramaturgie zu kümmern, hat THE BRAT schlicht Spaß seine beiden Seiten kurz (die Laufzeit liegt nur einige Minuten über einer Stunde) aufeinanderprallen zu lassen und dann unverändert wieder getrennter Wege laufen zu lassen. Die oft flachen Bilder voller horizontaler und senkrechter Linien werden dementsprechend auch immer wieder von Einstellungen mit scharfen Diagonalen gebrochen. Das Brat (Sally O’Neill) wird in einer lang ausgekosteten Einstellung schaukeln und dabei immer wieder zwischen zwei Männer an einem Tisch dringen – der Rock immer kurz davor zu viel dem Zuschauer und dem Bischof an dem Tisch zu offenbaren. Eine andere sehr ausgekostete Szene ist ein cat fight zwischen dem Brat und einer Rivalin um die Liebe MacMillans. Es bleibt ein Wunder, dass die beiden nicht noch in eine Schlammgrube fallen, die sich zufällig ins Haus verirrt hat. Immer wieder also: Eindringen, Dazwischenfahren und Aufeinanderprallen zum Zweck des spaßigen Zerstörens von Sicherheit … oft verquickt mit engen Moralvorstellungen, die dann doch gedehnt werden, und einer angenehmen Grundschmierigkeit, die alle Männer und den meisten Frauen eine grundsolide HK-Relevanz verpassen (alleine das Grinsen des Bischofs, jedes Mal wenn er einer Frau ansichtig wird).

Daïnah la métisse m
(Jean Grémillon, F 1932) [DCP, OmeU]

großartig

Ein französisches Society Girl auf einer Kreuzfahrt. Dass sie mit dem Schiffsmagier verheiratet ist und dieser es nicht gerne sieht, dass sie ständig mit den Jungen und Reichen Party macht, könnte das Problem von DAÏNAH LA MÉTISSE sein. Aber der im Raum stehende Elefant ist noch viel offensichtlicher. Denn sie wie ihr Mann sind afrikastämmig und sind schon optisch Außenseiter. Sie möchte es nicht sehen, aber bei einem infernalischen Maskenball tragen alle Kleider und Anzüge um sie herum verzerrte Gummimasken, während sie eine Maske trägt, die einem Käfig gleicht. Wie bei einem Hexensabbat tanzt sie zwischen den Fratzen, die sie anstarren. Nur: sie nicht die Hexe, sondern das Exotik und Konsumierbarkeit ausstrahlende Ausstellungsstück einer diabolischen Gesellschaft. Ein Heizer wird sie versuchen zu vergewaltigen, wie ihr Mann immer eifersüchtiger wird. Sie wird das Ende der Reise nicht an Bord erleben. Ihre Identität zur umkämpft zwischen postkolonialem Besitz, untergebener Frau und den selbstverständlichen Bestrebungen nach Unabhängigkeit. Nur da wo sie sich am liebsten Verorten würde, in der hohen Gesellschaft, da bleibt ihr Verschwinden eher eine Randnotiz.

Tie shan gong zhu / Die Prinzessin mit dem Eisenfächer
(Laiming Wan, CHN 1941) [DCP, OmeU]

ok +

Quatsch, wo immer etwas los ist. Weniger eine Geschichte erzählend, als einzelne trickreiche, überreizte Situationen.
*****
Gezeigt wurde zwar eine DCP, aber die Restauration des Films basierte nicht wie im Katalog angegeben auf einer 35mm-Kopie, sondern auf einer VHS mit verwaschenen Kontrasten. Und an dieser Grundlage konnte auch die Restauration nicht viel ändern.

Parigi è sempre Parigi / Paris Is Always Paris
(Luciano Emmer, I/F 1951) [35mm, OmeU]

gut

Ohne Dringlichkeit wird von Männern erzählt, die in Paris Abenteuer mit Frauen erleben wollen, aber allesamt zu Hans Würsten gemacht werden. Nur der eine, der rein zufällig an eine Frau gerät wird die Liebe finden. So moralisch sich das anhört, so wenig ist PARIGI È SEMPRE PARIGI an einer solchen interessiert. Boys will be boys als amüsanter Snack.

Revenge of the Creature / Die Rache des Ungeheuers
(Jack Arnold, USA 1955) [3D DCP, OF]

großartig

Viel Wissenschaft wird behauptet. Doch sichtlich steht REVENGE OF THE CREATURE mit dieser auf dem Kriegsfuß und möchte durch einen Blick ins Lexikon und dem daraus erwachsenen Wissen darum, dass die Wissenschaft der Fische Ichthyologie heißt, von dieser erlöst sein. (Dieser Hang, die Wissenschaft als Zirkusattraktion ins Boot zu holen, hat aber den netten Nebeneffekt, dass der noch junge Clint Eastwood einen kurzen Auftritt erhält.) Bei der Creature of the Black Lagoon handelt es sich dergestalt auch nicht um ein neues Wesen aus dem Amazonas, sondern um Sex in Form eines bedrohlichen Monsters. Und die viel behauptete Wissenschaft bildet nur die Speerspitze der Strategien, diese Materialisierung der ungeheuren Gefühle im Zaum zu halten. Die Creature ist die Geilheit eines Wissenschaftlers, der im dumm-aus-der-Wäsche-schauen-wenn-vor-ein-wissenschaftliches-Problem-gestellt sogar dem Mark Wahlberg aus THE HAPPENING Konkurrenz macht, auf eine Frau, die an der Erforschung dieses atavistischen Dinges beteiligt ist. Sein Konkurrent um ihre Liebe stirbt folgerichtig als Erster. … aber vll steht es auch für die Lust der Frau ein, die von diesen verfolgt wird. Offen bleibt es, denn an der Oberfläche versucht ein amphibisches Wesen eben nur den Klauen von brutalen Wissenschaftlern zu entkommen, die mit langen Stäben Stromschläge verpassen, und eine Frau näher kennenlernen, die sofort schreit, wenn es es nur in freier Laufbahn sieht.
*****
Das 3D war besonders schön. Was einerseits daran lag, dass die Räumlichkeit nicht aussah, als ob da Schichten aufeinander gelagert wurden – ich weiß nicht, ob das an den Brillen lag, die ich noch nie benutzt, oder an der 3D-Technik der 50er – andererseits an den Fischen und dem Dreck, die/der sich im Wasser befanden und einem immer wieder wie aus dem Nichts direkt vor der Nase entlangschwammen.

Donnerstag 21.06.

The Burning Hell
(Ron Ormond, USA 1974) [stream, OmeU]

uff

Die totale Bitterkeit. Pastor Estus W. Pirkle predigt über die Hölle und offenbart einerseits, dass sein Glaube nur aus Furcht und Besserwisserei zu bestehen scheint. Aber da die Visionen der Hölle nicht ganz so obsessiv gestaltet sind, wie die Reden erahnen lassen, muss er in einer der absurdesten Stellen, die Millionen von Jahren Verdammnis vorrechnen, nach denen immer noch keine Erlösung gekommen ist. Eine Tafel mit einer 1 und unzähligen Nullen sollen uns bekehren. Hier und da brennt dieser Film, vor allem ist er aber nur brutal selbstgerecht und einfallslos. Wer darüber lachen kann, der hat mglweise viel Spaß. Ich nehme dann lieber das hier.

Mittwoch 20.06.

Westfront 1918: Vier von der Infanterie
(Georg Wilhelm Pabst, D 1930) [blu-ray]

großartig

Die zweiteilige Struktur von King Vidors THE GREAT PARADE, der 5 Jahre zuvor in die Kinos kam, war sehr effektiv. Die erste Hälfte bestand aus einer feuchtfröhlichen Landpartie und die zweite aus kargem Gemetzel, das gerade durch den Gegensatz zum Beginn noch an gespenstischer, menschenverachtende Qualität gewann. WESTFRONT 1918 beginnt ebenso mit einer feuchtfröhlichen Szene, in der Soldaten mit einem französischen Fräulein rumschäkern. Doch dauert dies nicht annähernd so lange und enden tut es nicht mit dem Gang zur Front, sondern mit der Flucht in den Keller vor den herunterkommenden Bomben. G.W. Pabsts Film folgt nicht einer vergleichbaren, simplen Struktur. Er hat keine. Krieg ist in WESTFRONT 1918 eine Ansammlung sinnloser Geschehnisse. Kleine freundschaftliche Gesten, wie ein geschenktes Essen, teilen sich ihren Platz irgendwo im Film mit langen Einstellungen auf ein mit Stacheldraht vernarbtes Niemandsland, in dem sich mit fortschreitendem Sturm immer mehr Leichen ansammeln. Ein Auftritt zwei Komödianten im Fronttheater, die mit Sketchen und leichter Musi von den Schrecken ablenken, werden unmittelbar mit staatstragender Marschmusik gerahmt. Kleine Ausflüge zu geliebten Mädchen werden gefolgt von einem deprimierenden Fronturlaub, wo die Ehefrau für ihr Essen mit dem Metzger ins Bett gehen musste. Und immer wieder die Szenen in denen Leute nicht mehr offen miteinander reden können. Alles ist nur noch Durchhalten. Enden tut WESTFRONT 1918 in einem apokalyptischen Krankenhaus, wo plötzlich das Anästhetikum alle ist. Gerade durch die abschließende Texttafel hat alles den Anstrich eines Propagandafilms gegen den Krieg, aber vor allem ist er Matsch. Matsch, der nicht mit Kriegsbegeisterung beginnt, seine Protagonisten dies nicht auch noch aufbürdet, sondern den Krieg nur von Stimmen von Majestäten aus einem Telefon antreiben lässt. Der Schrecken lauert so mehr noch als im Krieg in den unbeteiligten Antreibern.

Dienstag 19.06.

Chai dan zhuan jia / Shock Wave
(Herman Yau, HK/CHN 2017) [DVD, OmU]

gut

Die von Andy Lau gespielte Allzweckwaffe der hongkonger Polizei (Bombenentschärfer, Undercovercop, Unterhändler usw.) erzählt bei einer Preisverleihung, wieso sie Polizist geworden ist. Er gibt die Geschichte von einigen Mäusen wieder, die zu verhungern drohen, weil vor ihrem Loch eine Katze ihr Unwesen treibt. Eine der Mäuse soll nun raus und eine Glocke an den Schwanz der Katze binden, damit sie gewarnt sind, wenn diese sich nähert. Eine der Mäuse meldet sich freiwillig, während alle anderen es sich nicht trauen. Wie diese Maus sei er. Er tue halt, was getan werden muss. Und SHOCK WAVE spiegelt sich ebenso in dieser kleinen Geschichte wieder. Denn von Mut und mehr noch von Opferbereitschaft, von einem direkten Zugehen auf die Probleme, ohne sich zu sehr mit Strategien zu beflecken, davon erzählt dieser STIRB LANGSAM-Verschnitt. Jede Menge Heroismus, der die Grenze zu hilfloser Hysterie und erlesener Dummheit weit überschritten hat, und exaltiertes Leiden sind die Folge. Aber eben auch jede Menge Konfrontationen, da beiden Seiten diese uneingeschränkt suchen. Ein Terrorist/Gangster (Jiang Wu) hat einen Autobahntunnel unter dem hongkonger Hafen als Geisel genommen und droht diesen inklusive der festgehaltenen Leute in die Luft zu jagen und damit den Hafen und die Wirtschaft ins Chaos zu stürzen. Seinen Bruder möchte er aus dem Gefängnis freipressen, ebenso wie den ein oder anderen Dollar. Dies ist zudem der Höhepunkt der Spielchen, die er mit Andy Laus Polizisten spielt, der seinen Bruder inhaftierte. Statt mit filigranem Degen arbeitet SHOCK WAVE eben mit brutaler Keule. Gewalt, Tränen und Wahnsinn: Emotionen um jeden Preis. Das ist manchmal etwas enervierend, weil Helden wie Antagonisten sich beständig gleich mit dekonstruieren, aber es ist auch ordentlich was los.

Montag 18.06.

Kameradschaft
(Georg Wilhelm Pabst, D/F 1931) [blu-ray, OmU]

gut

Zu Beginn sehen wir zwei Kinder unweit der deutsch-französischen Grenze, die sich um ihre Murmeln streiten und eine Grenze zwischen sich ziehen. Vertragen sollen sie sich, wird ihnen zugerufen. Und wie diese kleine Stimme der Vernunft möchte auch KAMERADSCHAFT sein. Französische Bergarbeiter werden verschüttet und deutsche Kumpel kommen ihnen zu Hilfe. Feurige Reden werden geschwungen, um Leute zu dieser Tat zu überzeugen, feurige Reden werden geschwungen, dass die Politik da oben, die Menschen nicht trennen sollte, und Szenen aus den Schützengräben des Ersten Weltkriegs werden zu Bildern des gemeinschaftlichen Kampfes gegen den Stollen. KAMERADSCHAFT ist ein Propagandafilm. Veröffentlicht wurde er 1931. Zu einer Zeit, als die Atmosphäre in Deutschland nicht gerade von Geschlossenheit und Brüderlichkeit bestimmt war – und G.W. Pabsts Film prangert dies mit voller Seele an. Aber nicht mit voller Spielzeit. Denn statt die Handlung mit der Botschaft vollzukleistern, ist KAMERADSCHAFT in erster Linie ein Katastrophenfilm. Mit allem was dazugehört: den Kampf gegen das Schicksal, gegen eine unbelebte Übermacht; viele sich treffende Handlungsstränge um entzweite Familien, umgreifende Hysterie und das aufrichtigen Ringen gegen die Elemente; ein weites Personenaufgebot ohne klarem Hauptdarsteller; Hoffnung, die im Desaster endet und vice versa. AIRPORT oder FLAMMENDES INFERNO scheinen nicht mehr weit. Dazwischen aber immer wieder die Grenzen, die die Menschen trennen (Zäune, Mauern, Sprache) und die Gesten, welche sie verbinden (Handschläge zumeist). In der düsteren Enge von Schächten und gut gefüllten Kneipen wird KAMERADSCHAFT trotz der frohen Kunde aber nie überschäumend hoffnungsvoll. Wenn in den weiträumigen Umkleiden der Deutschen, die sauberen Straßenkleider zu Dutzenden an Seilen unter die Decke gezogen werden, dann scheinen sich schon die Gespenster der Zukunft auf ihren Flug zu begeben.

Sonntag 17.06.

The Walker
(Paul Schrader, USA/UK 2007) [blu-ray, OmU]

großartig

THE WALKER greift AMERICAN GIGOLO grob wieder auf – manchmal werden Zitate direkt wiederverwendet, auch wenn sie nun einen etwas anderen Sinn bekommen – doch hier geht es nicht um die romantische Seite Schraders und die Möglichkeiten der Liebe, sondern um eine gallige Abrechnung mit der aktuellen Politik und Politik im Allgemeinen. Waren die Dialoge dort leer und oberflächlich, da sind sie dies hier auf strategische Weise. Jeder ist auf seinen Vorteil bedacht, wenn sich das Rad der Intrigen loszudrehen beginnt. Und anstatt der Liebe geht es hier nun wie in einem alten Hollywoodfilm, auch wenn es doch gut versteckt ist, um Aufrichtigkeit. Carter Page III (Woody Harrelson) hat nun wirklich keine hohe Meinung von sich und hält sich wortgewandt für einen Opportunisten … und doch wird er als Einziger aufrichtig handeln. Immer wieder blitzt sie zaghaft auf, die Sentimentalität eines Frank Capra beispielsweise, und doch wird sie nie wirkmächtig und steht seltsam herum, wenn dann doch wieder die Lieder von Brian Ferry oder den späten Roxy Music in ihrer charmanten, sanften Kälte den Ton setzen, wo nur kleine atmosphärische Störungen die Seltsamkeit des Ganzen andeuten. Und genau diese Strategie macht sich Schrader hier zu eigen. Irgendwie ist alles unterkühlt und sachlich, aber dann sind da ebenso Szenen, wie die, wo Woody Harrelsons Figur seinen Liebhaber (Moritz Bleibtreu) innig küsst. Sie trennt ein Maschendrahtzaun (ein Inventar in Bleibtreus Wohnung, die einer Kunstaustellung gleicht). Einer der beiden trägt einen orangenen Anzug, wodurch er an einen Gefängnisinsassen erinnert, und der Wind weht stürmisch durch ihr Haar. In seiner unklaren Melodramatik ist das Bild so symbolisch aufgeladen, dass es weh tut. THE WALKER ist ein Film geworden, der seinen guten Geschmack fast genauso attackiert, wie die Politiker. Und das ist gut so.

Lo chiamavano Jeeg Robot / Sie nannten ihn Jeeg Robot
(Gabriele Mainetti, I 2015) [blu-ray, OmU]

großartig

Sabrina Z. meinte später, dass sie noch keinen italienischen Film gesehen hat, der in dem Maße die Züge des Überbordenden des Hongkongkinos in sich trug. Durchaus.

Sonnabend 16.06.

Before I Wake
(Mike Flanagan, USA 2016) [blu-ray, OmeU]

gut

Die Offenbarung der Herkunft des Buhmanns, also des Canker Mans ist herzerweichend und bietet eine faustdicke Pointe über die Herkunft der catch phrase des Menschenessers – trotz der Trauer musste ich sehr lachen – und doch ist die ganze Auflösung nur Teil der sauberen und simplen Durchpsychologisierung seiner Figuren. Der Ehemann spricht es sogar offensiv aus. Hier ist ein Kind, dass eine Mutter braucht, und dort eine Mutter, die ein Kind braucht. Der Horror ist nur Ausdruck dessen, dass sie noch nicht zueinander gefunden haben. So ist BEFORE I WAKE zu einem gewissen Grad einfach zu durchschauen und etwas arg geradlinig … auch wenn sich das Kind in mir, dass die Zeit bis zum Einschlafen oft mit Gesicht zur Wand zubrachte, weil das von der Fantasie als möglich Erklärte, was hinter einem stattfinden könnte, jetzt nicht auch noch gesehen werden musste, ziemlich gut verstanden gefühlt hat.

Freitag 15.06.

American Gigolo / Ein Mann für gewisse Stunden
(Paul Schrader, USA 1980) [blu-ray, OmeU] 2

fantastisch

Robert Bressons PICKPOCKET handelt von einem Taschendieb, der obsessiv die Taschen seiner Umwelt leert. Eine Sucht ist es. Auch weil er in seinen Mitmenschen und in ihrer Gesellschaft keinen Halt findet. In TRANSCENDENTAL STYLE IN FILM schreibt Schrader über PICKPOCKET, dass Michel, die kleinkriminelle Hauptfigur des Films, ins Gefängnis gehen musste, um frei zu sein. Mit AMERICAN GIGOLO machte dann eben dieser Paul Schrader mit seinem dritten Spielfilm ein Remake genau dieser Bewegung und verlegt sie in eine narzisstische, von ihrer Oberfläche bestimmte Welt an den Rändern des Reichtums in Los Angeles und Palm Springs. Ob es sich bei dem Weg Julian Kayes (Richard Gere), dem titelgebenden Gigolo, um einen Auf- oder Abstieg handelt, ist hier wie bei Bresson zuvor nicht eindeutig. Ob er sich im Laufe der Handlung befreit oder seinem Lebensstil bzw seiner Umwelt zum Opfer fällt, hängt davon ab, was dem Film (gerade mehr) zugestanden wird: Zynismus oder Romantik.
Ersteres ist das Offensichtlichere der beiden Charakteristika. So werden sich die Inhalte der ständigen Gespräche als haltlos offenbaren. Sie dienen nur dem gegenseitigen Sand in die Augen streuen und Beteuern von etwas, das nicht vorhanden ist: Glück und Zwischenmenschlichkeit. Persönliche Beziehung werden wie ebensolcher Sand zerbröseln und Kaye (fast) alleine zurücklassen. Hinter den bürgerlichen Fassaden warten Perversionen und in der Biederkeit Eingesperrte, die sich vor einer Flucht fürchten. Aber zu nichts davon werden Kaye oder wir näheren Zugriff erhalten. Hier die ersten Anzeichen von brutalstem Sex, dort ein Hauch von einem Sirk Melodram. Doch der elliptische Schnitt lässt all dies nur vorbeigleiten. Es bleiben vor allem die – sie werden sich als falsch erweisen – Gesten der Sicherheit und der Kontrolle Kayes – hier ein zugesteckter Geldschein und überall Vertraulichkeit mit kleinen Bediensteten und Bessergestellten dort. Er bewegt sich wie ein Fisch durch eine Welt, die keine Zutraulichkeit zulassen möchte. Sein Appartement ist voller Gemälde und Kunstbücher. Nie wird diese Leidenschaft(?) angesprochen werden, denn alles was seine Person betrifft ist weggeschlossen und nur durch Anzeichen lesbar … wie alles in AMERICAN GIGOLO nur als Andeutung lesbar ist, was über die oberflächliche Beziehung zwischen bürgerlichen Kerkermeistern, ihren Zulieferern und Opfern hinausreicht. Ein Mord, in den er als Verdächtiger hereingezogen wird, wird all dies schmerzhaft spürbar machen. Keinen Halt wird er in dieser scheinbar schönen Welt finden. Wie auch, wenn Zuhälter hier die Einzigen zu sein scheinen, die sich nach einigem Hin und Her zu etwas Wahrhaften drängen lassen. AMERICAN GIGOLO ist ein Film von und über hohle(r) Eleganz.
Die Bruchstellen dieser Geschichte sind aber stets mit einer Frau verbunden, Michelle (Lauren Hutton), der Frau eines Politikers. Ihr gegenseitiges Kennenlernen, ihre sich vertiefende Beziehung, ihre wechselseitige Aufopferung: All diese Momente treiben den Zusammensturz von Kayes Welt voran und stehen zentral an den Momenten, wenn Kayes Leben sich zwischen seinen Händen auflöst. Sie sind mehr als ein Teil all der Andeutungen von politischen, persönlichen und geschäftlichen Intrigen, die ihn in ein paranoides Loch fallen lassen, dass in seiner Glätte und Kälte diverse Puzzleteile einer Verschwörung offenbaren, die nie endgültig zusammensetzbar sind. Sie sind mehr, denn sie bringen die Liebe in Kayes Leben. In AMERICAN GIGOLO erhält die Liebe so die Kraft einer Zerstörerin. Ob dies dann positiv (er befreit sich von einer leeren Welt) oder negativ (seine Existenz ist zerstört und er landet im Gefängnis) gelesen wird, das ist nicht Sache des Films, dass bleibt in all der Glätte unentschieden … gerade da die Liebe sich nur zart aus der Oberflächlichkeit des Films herausschält und (noch) keine Vertiefung erhält, erhalten kann. Am Ende braucht es wohl den leap of faith, um sie an sich heranzulassen und um sie AMERICAN GIGOLO zuzusprechen. Ich persönlich nehme ihn gerne wahr. Und wenn es nur derenthalben ist, dass ich einen Film Paul Schraders romantisch nennen kann.

Donnerstag 14.06.

Derrick (Folge 102) Der Täter schickte Blumen
(Helmuth Ashley, BRD 1983) [DVD]

großartig

Ohne große Umwege und Erklärungen begibt sich DER TÄTER SCHICKTE BLUMEN in eine Villa und bleibt größtenteils in dieser. Also an einem Ort, wo – wie schon in GEHEIMNISSE EINER NACHT zuletzt – alles vor Tatverdächtigen lauert. Ein (ehemaliger?) Heiratsschwindler möchte reich heiraten, doch in dem Herrenhaus der Frau weht ihm nur Hass entgegen. Vor allem da alle dort Anwesenden zum ersten, verstorbenen Mann gehören. Dem Mann, von dem der Reichtum stammt. Dessen Vater, dessen Geschäftspartner und sein Sohn sowie ein Neffe sind immer zugegen, auch wenn gesagt wird, dass bis auf den Neffen keiner von diesen dort wohnen würde. In konfrontativen Einstellungen stehen die vier in den kurz vorm Surrealen befindlichen Räumen, die vor Feindseligkeit und dem scheinbar Jahrhunderte alten Muff von Dominanzkultur und Niedertracht strotzen. Jeweils eine andere Farbe sowie plane Leere oder stickige Fülle dominieren die Zimmer mit ihren wildbarocken Tapeten und Gemälden, in denen immer wieder die Hassenden aufgereiht starren oder das Unausgesprochene, das Unaussprechbare wie ein Elefant im Raum steht. Sehr toll ist dabei auch, dass jeder der vier eine individuelle optische Strategie erfährt, wie er und seine Feindseligkeit ausgedrückt wird. So ist es beispielsweise die Halbglatze des Geschäftspartners, die immer wieder das Bild beherrscht, weil er – mit dem Rücken zur Kamera sitzend bzw stehend – wie ein Monolith der Macht seinen Unbill und seinen Willen ohne Augen ausdrücken darf. Die ausnahmsweise nicht von Frank Duvall stammende Musik ist derweilen die meiste Zeit nicht vorhanden und erst ihr marginales Auftauchen deutet an, das DER TÄTER SCHICKTE BLUMEN aus seiner Stickigkeit, in der sich erzählerisch kaum bewegt wird, in der nur Leute aufeinander hocken müssen, die sich spinnefeind sind, in der Träumen verboten scheint, erst die Musik, die das Ende dann dominieren wird, wirft auf, dass diese Folge der Kälte als wehmütiges Melodrama enden wird.

Mittwoch 13.06.

Ci Ma / Die Blutsbrüder des gelben Drachen
(Chang Cheh, HK 1973) [blu-ray, ł]

großartig

Reißzooms auf Gesichter drauf und von Gesichtern weg, von der Übersicht ins Detail oder vom Detail in die Übersicht. Ein rasender Erkenntnisgewinn geht mit ihnen über Männer in Kämpfen und ihren gegenseitigen Verhältnissen einher. Wie ein Faustschlag kann die Erleuchtung über den Gerechtigkeitssinn Ti Lungs sein, beispielsweise, oder die Gewichtlosigkeit quantitativer Stärkeverhältnisse. Doch die Impulsivität dieser Zooms lenkt nur – ebenso wie die Fülle an Kämpfen und zarten Eastern-Thriller-Versatzstücken – ab. Denn BLOOD BROTHERS ist ein Melodrama, wo die (stillen) Blicke der drei Blutsbrüder auf die Frau des einen diesen ausmachen. Huang Chung (Chen Kuan-tai) beachtet Mi-Lan (Ching Li) kaum, weil sie ihm selbstverständlich scheint. Chang Wen-hsiang (David Chiang) schaut ihr sehnsuchtsvoll nach, nur um schnell wieder sein Lächeln zu lächeln, hinter dem er sich und alle seine Gefühle stets versteckt. Und Ma Hsin-yi (Ti Lung) bebt leicht und erstarrt, wenn er sie anblickt, weil seine Liebe zu ihr seinen Ganzkörperpanzer (bzw seine krampfhaft aufrecht erhaltene Ganzkörpererektion) aus Ehrgeiz und Macht zum Bröckeln bringt. Unter der Oberfläche der kalten Korruptionsgeschichte eines Idealisten, der sich zum Faschist entwickelt und auf der Suche nach Macht seine Freunde verrät, steckt deshalb ein schweißiges Melodrama um die Liebe, dass so wie Ching Li nur eine Nebenrolle zu spielen scheint, aber tief im Herzen des Ganzen steckt.

Dienstag 12.06.

Derrick (Folge 101) Geheimnisse einer Nacht
(Alfred Vohrer, BRD 1983) [DVD]

ok +

MORD IM ORIENT-EXPRESS in einer Münchner Villa. Es handelt sich um eine Vohrer-Folge, also sind die Schatten der Treppengeländer an der Wand sehr barock und die Gegenschnitte zu skeptischen schauenden Fahndern sehr expressiv.

Sonntag 10.06.

Jurassic World: Fallen Kingdom / Jurassic World: Das gefallene Königreich
(J.A. Bayona, USA/E 2018) [3D DCP]

gut +

Godzilla hat nun im fünften Teil die Seiten gewechselt. Oder anders: In JURASSIC PARK war die Natur eine Erinnerung daran, dass wir uns nicht für Gott halten sollten und mit ihr nur schwerlich zu planen ist, dass wir besser sexy Chaostheoretikern unser Ohr leihen, weil wir uns sonst in Küchenschränken wiederfinden könne, wo wir uns vor geborenen Jägern verstecken müssen. In JURASSIC WORLD: FALLEN KINGDOM geht es nun aber vor allem um Akzeptanz. Der Schaden ist angerichtet und jetzt heißt es mit ihm zu leben. Die Dinosaurier werden dem entsprechend merklich emotionalisiert. Als die Isla Nublar von einem Vulkanausbruch zerstört wird, sehen wir einen Brontosaurus als Zurückgelassenen, als Letzten in einer orangen glühenden Aschewolke verschwinden. Ein Chor ist dazu selbstredend zu hören. Es ist einer der traurigsten Momente des Films und der Reihe. Als ob wir dieses Sterben mit den Augen der einst von Sam Neill und Laura Dern gespielten Paläontologen sehen würden. Aber vor allem wird aus den perfekten Jägern, aus den Raptoren, die mit keiner Rationalität zu besänftigen waren, menschenähnliche Kuscheltiere. Die Archivaufnahmen der Aufzucht des Raptoren Blue sind unwahrscheinliche Katzenvideos und als besagte Blue operiert wird, laufen ihr in Großaufnahme Tränen aus den Augen. Empathie und Zutrauen hat dieses einst schwer bis gar nicht kontrollierbare Wesen. Wer dem nach dem ersten Teil brachliegenden Potential dieser Spezies nachweint, der hat Recht dies zu verteufeln, andererseits liegt hier das Anliegen von JURASSIC WORLD: FALLEN KINGDOM offen dar. Empathie für die in der Moderne Gestrandeten zu entwickeln … während die Alpträume – neben der Gefühligkeit der zweite Vorteil dieses Films – eben von Gier angetrieben werden. Die Gier russischer Waffenhändler, hinterhältigen Kapitalisten ohne Ideale und eben die Gier deren Früchte hybride Terrordinos sind, die in Form des Indoraptors für den Geisteszustand ihrer Entwickler einstehen und Kinder mit ihren Krallen bis ins Bett verfolgen. JURASSIC WORLD: FALLEN KINGDOM möchte an die besten Seiten des Spielberg Kinos anschließen – wenn es die auch nicht ganz schafft – nur die Fronten haben sich verschoben. Denn Godzilla hat die Seiten gewechselt.

Derrick (Folge 100) Die Tote in der Isar
(Alfred Weidenmann, BRD 1983) [DVD]

großartig

Nach einer viertel Stunde erscheinen Derrick und Harry das erste Mal. Bis dahin war DIE TOTE IN DER ISAR ein großes melodramatisches Versprechen. Ingo Reitz (Sven-Eric Bechtolf), der für Zuhälter Robert Kabeck (Horst Frank) junge Frauen in die Prostitution lockt, versucht den finalen Schritt an Schülerin Annemaria Rudolf (Ulli Maier), die glaubt ihre große Liebe gefunden zu haben. Doch nachdem sie für ihren Ingo mit Kabeck im Bett war, steckt ihr Leidensgenossin in spe Maria Dissmann (Christiane Krüger), dass Ingo weder Schulden bei Kabeck hat, noch größere Gefühle für eine von beiden und dass sie mit derselben Masche gefügig gemacht wurde. Marias Ex-Ehemann (Horst Buchholz) schleicht unterdessen durch die Gänge des Hochhauses, in dem alles spielt. Beide Frauen sind kurz darauf tot. Die eine erschossen, die andere ertrunken. Die darauffolgenden Ermittlungen suchen schuldbewusst nach einer Auflösung und einen Täter und erst die letzten Minuten werden das große Versprechen des Beginns aufgreifen, aber es nie ganz einlösen. Doch der Anfang… ein Sahnestück der Serie. Bechtolf als aalglatter, gewissensloser Verführer und Sonnyboy sowie der unerbittliche Schmiergott Frank, dessen grimmiger, kalter Gesichtsausdruck sein offenes Hemd und sein Goldkettchen abrundet, sind ein wunderbares Team der Verderbtheit. Auf der anderen Seite (Reinecker scheint einigermaßen bibelfest zu sein und nennt seine Prostituierte und seine Prostituierte in spe:) Maria und Annemaria, die zärtlichere Wesen sind. Die eine noch ganz unschuldig in einem Schleier von Liebe gezeichnet, der vor den Augen des hilflos zuschauenden Zuschauers heruntergerissen wird, und die andere voll Resignation für sich, die dieser Unschuld helfen möchte, weil es bei ihr niemand tat und alle um sie herum, obwohl sie wie hier wissen was läuft, schwiegen. Wie in einem Ballett um die blinde Reinheit in einer verderbten Welt wird hin und her geschnitten. Zwischen Appartement und Kneipe, zwischen skrupellosen Absprachen und schönen Minen zum bösen Spiel, zwischen möglichen Hilfeleistungen und deren Unterdrückung. Durch ständig wiederkehrende Establishing Shots wird das alles rhythmisiert. Immer wieder darf die Kamera über das Hochhaus fahren, über Beton und Glas, die durch Frank Duvalls Synthiekitsch, der nur diese Einstellungen unterlegt und mit seinen energischen Keyboardschlägen an den bald erscheinenden Hit JENSEITS VON EDEN gewahrt, zu etwas Strahlendem werden, zu einem Hort urbaner Verkommenheit, der einen krank machen muss. Später wird dieses Motiv ab und zu wiederkehren, wenn zu diesem modernen Babylon wiedergekehrt wird. Aber erst das Finale wird eine ähnliche Dynamik entwickeln, die Biestigkeit des Beginns wird jedoch nie wiederkehren.

Sonnabend 09.06.

Play for Today – Beloved Enemy
(Alan Clarke, UK 1981) [blu-ray, OmeU]

uff/großartig

Gegen Ende legt ein russischer Unterhändler ein Video ein und das folgende Werbevideo einer britischen Firma hat eine Videodrome würdige Wirkung. All der Nihilismus, der sich in den ziehenden Minuten davor herausschälte, wird an dieser Stelle schlagartig offenbar. Bezeichnenderweise ist es auch die einzige Stelle im Film, die nicht aus laufenden respektive sitzenden Leuten besteht, die miteinander debattieren. Erst geht es um eine Reifenfabrik, die eine britischen Firma hinter dem Eisernen Vorhang bauen möchte und um die bittere Lehre, dass die UdSSR als antikapitalistische Hochburg mit ihren fehlenden Möglichkeiten für Streiks uswusf die besseren Bedingungen für kapitalistische Ausbeuter bietet. Je länger aber geredet wird, je mehr die Verhandlungen voranschreiten und die Vertreter der Sowjetunion die Katze aus dem Sack lassen, was sie im Gegenzug verlangen – nämlich einen tiefen Einblick in die hauseigene Lasertechnologie der britischen Firma – desto bitterer wird es. Ein kleiner patriotischer und konservativer Anwalt auf Seite der Briten scheint am Ende der Einzige zu sein, der noch etwas wie Ideale und Humanität kennt. Die bitterste Lehre von BELOVED ENEMY ist aber, wie langweilig das alles ist. Alan Clarke inszeniert eine elegante Wüste über Unterhandlungsgespräche, in dem wirklich wichtige und bösartige Dinge kommuniziert werden. Die aber eher deprimieren, als zum Kampf anstacheln … denn wer will freiwillig in diese Hölle vordringen und seine Seele aufgeben. Ein doppelt bitterer Film.

Szerelem / Liebe
(Károly Makk, H 1971) [DVD, OmeU]

ok

Die am schnellsten geschnittenen Impressionen westlich, östlich, südlich und nördlich des Pecos sind das Schönste an LIEBE. Vor allem, wenn sie die Sehnsucht nach dem Traumreich einer vergangen K.u.K.-Monarchie mit den Versprechungen der Zukunft mittels Bildern der Weite und modernen Urbanität der noch jungen USA verbinden, sprich, wenn die geschönten Erinnerungen einer alten Frau sich mit ihren Assoziationen bzgl des Arbeitsortes ihres Sohnes vermischen … und dazu ein Lügenbaronbrief verlesen wird, in dem der Sohn erzählt, dass für seinen Film, den er gerade dreht, ein riesiges Kino auf einer Bergspitze gebaut wird, von wo aus die USA fast vollständig zu überblicken sind. In Wirklichkeit stammt der Brief aber von dessen Frau, während er im kargen Kommunismus im Gefängnis sitzt und seiner Familie langsam die Mittel ausgehen. Zeit spielt in LIEBE keine Rolle. Über welchen Zeitraum erzählt wird, wie regelmäßig die Begebenheiten vonstattengehen, ob sich die kalte Realität in Tagen oder Jahren vollzieht, es ist kaum zu erahnen … wie der historische Zeitpunkt der Handlung sich erst langsam erschlossen werden muss. Und so schön die Impressionen sind, so sehr sie alles anreichern, so wenig werden sie eingesetzt. So sehr die fehlende Zeit alles schwammig macht und öffnet, so sehr geht es doch vor allem um ein sozialrealistisches Leiden, dass einmal verstanden, kaum noch etwas zu bieten hat.

Icarus / KGB – Killer, Gejagter, Beschützer
(Dolph Lundgren, CA 2009) [blu-ray, OmeU]

ok

Eine schöne Meditation über die Unmöglichkeit aus der eigenen Haut zu können, wo Rauchen (Aufgehört? Du weißt, dass man nie wirklich aufhört?) und die Arbeit als Auftragsmörder verquickt werden, die mir vll mehr Spaß gemacht hätte, wenn sie nicht überdeutlich die Phantasie eines Mannes ist, der seine Ehe mit seiner Abwesenheit und seinen Lügen in den Sand gesetzt hat und der sich nun jammervoll vorstellt, wie reumütig ihn alle lieben würden, wie alle Frauen sich entschuldigend mit ihm ins Bett begeben würden, wenn es nur so wäre, dass er eine ehemaliger KGB-Agent wäre, der von der russischen Mafia gezwungen war, zu allen wichtigen Terminen seiner Frauen und seiner Tochter Menschen umbringen zu müssen, damit er nicht auffliegen würde, dass er abwesend sein musste, weil sonst die Gewalt über seine Familie ausgebrochen wäre, wie schön es nur wäre, wenn alles ein stetes Opfer wäre, wenn er nur Undank erntete, weil er die Wahrheit nicht sagen konnte, wenn er stumm alles für seine Geliebten ertragen hätte. Und so ist es eben sensationell einseitig, wenn der arme Icarus (Dolph Lundgren) seinen getragenen lebensphilosophischen Off-Kommentar zwischen die Action schiebt und bigott leidet.

Organ / The Organ
(Stefan Uher, CS/P 1965) [DVD, OmeU]

uff

Selbst in seinen clowneskesten Momenten kann ORGAN nicht abwerfen, dass es ein Film ist, in dem beständig die TOCCATA UND FUGE in D-Moll von Johann Sebastian Bach angespielt wird und schmerzgeprüfte Heiligenbilder und leidvolle Baumkronen die Szenerie bestimmen. Kein Zweifel wird einem gelassen, dass dies bierernst und so appetitanregend wie Zwergenbrot ist.

Freitag 08.06.

Top Gun / Top Gun – Sie fürchten weder Tod noch Teufel
(Tony Scott, USA 1986) [blu-ray, OmeU]

verstrahlt

Die Luftkämpfe bestehen lediglich aus inkohärenten Fetzen, die durch den ständigen Funkkontakt der Flieger erklärt werden müssen. Etwas Actionpainting, die nur eine Information transportiert: Schnelligkeit. Die Liebesgeschichte zwischen Tom Cruise und Kelly McGillis – bezeichnenderweise ist die bestimmende Farbe ihrer gemeinsamen zärtlichen bis leidenschaftslosen Sexszene in einem unterkühlten Blau gehalten, während ihre Liebe von Berlins YOU TAKE MY BREATH AWAY als Leitthema begleitet wird, ein Lied voll Staunen und Distanz – steht im Schatten der unfassbar offensiven Inszenierung von schwitzenden, muskulösen Männerkörpern und will nicht so wirklich Sinn ergeben. Dass Ramada in HOT SHOTS zur Psychiaterin Topper Harleys wurde, ist noch der sinnhafteste Ansatz die gegenseitige Attraktion der beiden aufzubauen. Es war auch hart, den zweiten Abend hintereinander Mitgefühl für Tom Cruise als Aufschneider mit Aggressionsproblemen aufbauen zu müssen. Und überhaupt fand ich, dass HOT SHOTS nie besser aussah, aber auch irgendwie völlig daneben war. Aber dann ist da eben doch die unausgesprochene Erotik zwischen den Herren und dieses Lächeln, sowohl bei Cruise als auch bei Kilmer, das wie eine verzweifelte Fassade wirkte und Unmengen an Unsicherheit und unterdrückten Gefühlen ansprach, was diesem seltsamen zusammengefügten Haufen von einem Film doch spannend und auf eine etwas kaputte Weise liebenswert machten.

Donnerstag 07.06.

Days of Thunder / Tage des Donners
(Tony Scott, USA 1990) [blu-ray, OmeU]

großartig +

Alleine wie die Figuren in den Film gelangen. Cole Trickle (Tom Cruise) fährt mit seinem Motorrad in die staunenden Gesichter auf einer Rennstrecke, die auf einen Rennfahrer warten und einen Cowboy bekommen. Oder der Präsident der NASCAR, der – bisher hinter seiner Sessellehne versteckt – sich umdreht und wie Blofeld den Film betritt. DAYS OF THUNDER rast durch seine Geschichte, die so flach photografiert ist, wie die Figuren flach bleiben. Die Figuren brauchen eben nicht kennengelernt werden, da sie mit ihrem Auftritt schon charakterisiert sind. Der dementsprechend entstehende Fluss, der nicht mehr auf Ausarbeitung angewiesen ist, ist dabei derart effizient, wenn es darum geht seine Geschichte von Rennfahrern zu erzählen, die ihre Unsicherheit und Wut unter Kontrolle bringen müssen, dass er fast im Abstrakten angelangt. Ein Metafilm steckt in DAYS OF THUNDER, der Genreregeln wie ein Uhrwerk offenbart. Wunderschönes Autistenkino. Und wem das nicht liegt, der kann zusehen, wie Tony Scott mit einer Kamera seine Gemälde mit satten Farben malt.

Mittwoch 06.06.

Derrick (Folge 99) Via Genua
(Helmuth Ashley, BRD 1983) [DVD]

großartig

Die Geradlinigkeit und Entschlackung, die Reineckers Bücher zuletzt ausmachte, ist dahin. Völlig unnötig gibt es hier beispielsweise einen Nebenplot über den Bruder des getöteten Importeur/Exporteurs, einen bescheidenen Lehrer, der nun eine Villa, einen Diener und Reichtum erbt … und den Klaus Behrendt als jemanden spielt, der sich gern in seine Unbedarftheit aalt und der seine Erbe auch nicht aufgeben möchte, als sich illegale Geschäfte als deren Grundlage andeuten. Wie schon in EIN UNHEIMLICHES ERLEBNIS liegen Dinge einfach rum und werden nicht abgeschlossen. Aber anders als dort führt es hier nicht zu weniger, sondern zu viel mehr Reichtum. Die moralischen Implikationen verschieben sich ständig. Vom Wohnzimmer in die Welt und wieder zurück. Von den kleinen Wiederhacken zu den großen Perversionen … wie es beispielsweise eine ist, einen Diener wie den von Kurt Raab gespielten um sich zu haben.
Apropos Reichtum. Das Hotel und vor allem die besagte Villa, in denen große Teile der Handlungen spielen, sind so prunkvoll und voll exotischem, die Nobilität des Ganzen unterstreichendem Krimskrams, dass die Schnitte in Derricks Büro wirken, als ob er in eine Besenkammer hausen würde.
Hauptsächlich ist VIA GENUA aber ein Politthriller. Viele dubiöse Charaktere kreisen um den Fall und mit dem Mord, von dem alles ausgeht, scheint auch für sie nichts abgeschlossen. Überwachung, Verfolgung, Leute, die ganz offensichtlich nicht sind, als was sie sich ausgeben, Mündungen von Schnellfeuerwaffen, die aus Transportertüren ragen, Fadenkreuze, Waffenhandel, afrikanische Revolutionen, moralische Fragen der Weltpolitik, wie in einem der großen Politthriller seiner Zeit schält sich eine ernüchternde weltpolitische Realität aus den Einzelteilen, die Derricks Zuversicht, dass er alles bereinigen werde, wie er am Ende symbolisch verkündet, naiv wirken lässt.
Und dennoch bleibt alles klein und provinzial. Eine afrikanische Band spielt in einem Hotel etwas Tanzmusik, die wie Boney M. ordentlich Ethnokitsch in ihren Auftritt inkorporiert. Nachdem Siegfried Rauch als Reiseschriftsteller über die Traurigkeit in der afrikanischen Musik philosophierte, kommt wenig später ein Zoom auf den in der Front stehenden Perkussionisten, der in der leicht anziehenden Ekstase des Liedes nun wirklich etwas deutlicher Trauer und Wut in seinen Augen, in seinen Bewegungen hat. Ein Kontinent, der an vielen Orten noch die Verfehlungen der europäischen Kolonialpolitik ausbadet und dessen oftmals korrupter Politikapparat quasi nach Aufstand ruft, die Verstrickungen westlicher Politik, Hunger und Gewalt, ein nagendes Afrikabild nutzt VIA GENUA als emotionalen Antrieb für seinen Thriller … indem es eben auf wütende Augen zoomt. Besagter Perkussionist wird zu etwas wie ein schweigsamer Buhmann, der Rache für sich und sein Land nimmt, jemand mit dem nicht geredet werden kann, der fern jeder Rationalität liegt. So wie Bobby Farrell den Afrikaner/Afro-Amerikaner bei Boney M. als Clown gab, so ist dieser ein anderes Klischee. Er ist etwas Atavistisches, etwas Unumstößliches. Doch Bobby Farrell bekam von Frank Farian einen groovenden Teppich untergeschoben, während sich hier zu Frank Duvalls etwas steifen Synthiepop bewegt wird … und während sich der Horizont in VIA GENUA und für seinen afrikanischen Rächer nie aus einer deutschen Kneipe zu lösen scheint. Fast ist es als wäre PROFESSIONE: REPORTER hier als Reißer aus dem Hinterzimmer wieder auferstanden, der weniger von Weltpolitik handelt, sondern von einer ottonormalen Perspektive auf diese aus einer miefigen BRD hinaus. Nicht nur weil Rauchs Figur die politischen Implikationen eben wie ein Reisereporter runterbricht, sondern auch weil zwischen drin immer mal ein Lehrer sitzt, der moralische Entscheidungen treffen muss, aber sich schon in den Schlingen des Dienerhabens verfängt und dem Herrenmenschensein seinen Genuss nicht absprechen kann.

Dienstag 05.06.

Derrick (Folge 98) Ein unheimliches Erlebnis
(Theodor Grädler, BRD 1982) [DVD]

ok

Der verfallene Hinterhof, in dem Familie Engler ihre Wohnung hat, das Schweigen, Keifen und Starren von Frau Engler (Agnes Fink), das vom tiefen Misstrauen gegenüber den Vertretern der offiziellen Gesellschaft gezeichnet ist, der Konflikt ihres Sohnes Udo (Michael Wittenborn), der zwischen dem Asozialen seiner Familie und seinem im Studium fast geglückten Schritt zum Leben als angepasster Teil der Gesellschaft gefangen ist oder die beiden durch Gangster bedrohten guten Bürger, die nur in einer stillen Ecke Ehebruch begehen wollten und die nun Angst haben müssen, von Mördern als Zeugen beseitigt zu werden: es ist viel los in EIN UNHEIMLICHES ERLEBNIS, aber nichts davon wird zu existentiellem Melodrama, Thriller oder Schmierfest verdichtet. Stattdessen scheint die Folge um die Feuer zu tanzen und fährt Slalom, um in seichtem Wasser zu bleiben. Dafür gibt es aber eine Autoverfolgungsjagd, die kurz etwas von C’ÉTAIT UN RENDEZ-VOUS dieser Episode einhaucht und Frank Duvall seine Synthies lostreiben lässt, als ob er sich unendlich freut, endlich einmal aus der Starre befreit zu werden.

Sonntag 03.06.

Les enfants terribles / Die schrecklichen Kinder
(Jean-Pierre Melville, F 1950) [blu-ray (SD), OmU]

großartig

Ein Geschwisterpaar, Bruder und Schwester, Jugendliche am Rand zum Erwachsenensein, verbringen ihre Zeit zusammen mit erst einem, dann zwei intimen Freunden zusammen in weitläufigen Räumen. Der Inzest dampft. Die Weltvergessenheit führt zu Irrationalität. Die verbissene Liebe zu Zauber, Leid und Schmerz. Bertoluccis DIE TRÄUMER ohne Kino und Mai ’68, dafür mit der Romantik von Fäulnis und Tod.

Gei ba ba de xin / The Enforcer
(Corey Yuen, HK 1995) [blu-ray, OmeU]

großartig

Manchmal scheine ich der Meinung zu sein, dass Hongkongkino mich nicht mehr so sehr überrumpeln kann. Und dann kommt wieder so eine Mischung aus schambefreit dick aufgetragenem Actionfilm, und aus einem Melodrama, dass ohne Rücksicht auf Verluste jedes Register zieht und mit Menschen, Tod und Liebe umgeht, als ob diese erst richtig eingesetzt sind, wenn bedenkenlos alle Gefühle durch die Mangel gedreht wurden, und ich kann nur staunen. Wenn dann aber – im Wissen, dass ich die meisten Jackie Chan Stunts gesehen haben, Wong Jing Action im meschugge-Modus, Kettensägenduelle und und und – etwas geschieht, wie dass ein Vater (Jet Li) seinen Kung-Fu-kämpfenden Sohn an ein Ankertau bindet und ein kickendes und schlagendes Jo-Jo des Verderbens daraus bastelt, dann fühle ich mich plötzlich so unglaublich naiv.
Schön ist in MY FATHER IS A HERO (wie THE ENFORCER manchmal auch vertrieben wird) aber auch der Unterschied zwischen Hongkong und Festlandchina. Ist China vor allem brüchiges, urbanes Brachland mit behelfsmäßigen Häusern wie bei Xie Feis SCHWARZER SCHNEE oder Lui Haos CHEN MO UND MEI TING, dann schwelgen die Bilder nach den Schnitten nach Hongkong in kapitalistischem Überfluss, wo Restaurants beispielsweise schicke Ströme über Glasdächer in den ausgeschmückten Pool fließen lassen. Zwei Jahre vor Rückgabe der Kronkolonie sieht es zumindest hier nicht aus, als ob diese Zusammenführung gut gehen kann.

Leave Her to Heaven / Todsünde
(John M. Stahl, USA 1945) [DVD, OmeU]

fantastisch

Wenn biedere Leute in biederen Kulissen auf starke Gefühle, wahnsinnige Augen und Lichtreflexionen an Wänden treffen, die die Biederkeit bis zum Platzen mit Gefühlen anfüllen, dann wird das Zusammenleben von Menschen zu etwas Schlimmerem, als die meisten Horrorfilme sich ausdenken können. Melodrama und kein Ausweg.

Sonnabend 02.06.

Die grosse Chance
(Hans Quest, BRD 1957) [DVD]

verstrahlt

Dem bundesdeutschen Schlagerfilm wird oft vorgeworfen, dass er nur eitel Sonnenschein bieten würde. DIE GROSSE CHANCE bildet da auch keine Ausnahme. Durch zwei Strategien herrschen auch hier keine melodramatischen Höhen. Die tatsächlich schwerwiegenden Konflikte – gleich zwei Liebesbeziehungen drohen durch Standesunterschiede zu zerbrechen – werden schlicht nicht wie unüberwindliche Hürden behandelt. Für die Liebe ziehen reiche Töchter auch gerne in Mietswohnungen und reiche, dickköpfige Mütter können sich doch für Blumenmädchen erwärmen. Auf der anderen Seite gibt es einen Generationenkonflikt zwischen zwei Söhnen und ihrem Vater. Warum dieser vorhanden ist, wird aber nicht so richtig klar. Denn die Söhne sind Musterknaben. Doch egal wie fleißig und verantwortungsbewusst sie sind, sie mögen Jazz. Und egal wie schlagerhaft dieser ist, der Vater kann nicht darüber hinwegsehen. Kleinste Meinungsverschiedenheiten werden künstlich aufgebauscht, damit ein Konflikt vorhanden ist. Hinzukommt, dass DIE GROSSE CHANCE seine Auseinandersetzungen nicht ankurbelt, sondern verwässert, indem sie lange Zeit liegen gelassen werden, in dem ganzen Tohuwabohu geradezu verschwinden. Das Ergebnis ist ein gutgelaunter, vollgestopfter Film mit Musik und viele Ansätzen, um sich wohl zu fühlen. Aber tatsächlich ist auch immer etwas creepy an dem Ganzen. Wie eben kleineste Meinungsverschiedenheiten zu Ärgstem führen. Wie vor großen Konflikten die Augen verschlossen wird. Das Wohlfüllige ist stets auf einem arg fragilen Fundament gebaut. Und so erzählt DIE GROSSE CHANCE auch sehr beredet von einem ganz anderen Deutschland, als dem Offenbaren seiner Wirtschaftswunderschmonzette. Von einer engstirnigen sowie blinden, tauben und stummen BRD.

Freitag 01.06.

Der Mann aus dem Bootshaus
(Johannes Schaaf, BRD 1967) [DVD]

großartig

Das perfide an DER MANN AUS DEM BOOTSHAUS ist vielleicht auch, dass er einem nicht den Film gibt, den er einem verspricht. Lange Zeit reißen einen die Schnitte schockhaft in der Zeit voran. Die Bilder sind voller Geheimnisse. Und das Geschehen voller Unausgesprochenem. Eine ganz normale, glückliche Familie wird porträtiert und der titelgebende Mann im Bootshaus kommt wie das Versprechen eine House Invasion über diese. Ganz dreist lässt er sich, während der Vater auf Arbeit ist, in der Mitte der Familie nieder. Voller Andeutungen scheinen seine Sätze, die gerne auch wie Drohungen aufgefasst werden können. Die in der Nacht zuvor ermordete Frau am anderen Ufer vermehrt die Mysterien noch, die aus allen Ecken zu kommen scheinen. Kurz bevor Johannes Schaafs Kinodebüt in die bundesdeutschen Kinos kam, macht er hier einen Fernsehfilm, der nach dem Kino schreit. Aber wie die House Invasion ausbleibt, so war diesem Film die Tristesse des TVs bestimmt. In einer der schönsten Szenen hält die Mutter der Familie – sich alleine wähnend – ein Messer an die Kehle und spielt dramatische Möglichkeiten eines Todes nach. Der Wunsch nach etwas mehr, nach Aufregung, nach Geheimnissen und Drama irritiert zuerst in dem idyllischen Alltag. DER MANN AUS DEM BOOTSHAUS ist perfide, weil er der Frau ihre Träume vorenthält, wie er uns unsere Gier unbefriedigt lässt. Nur Nachbarn gibt er einem, die einen ständig überwachen, und die ganz normalen Probleme mit einem ignoranten Ehepartner. Statt Glanz und existentialistischen Dramen bekommen wir nur Mief und die Enttäuschung dafür alles geopfert zu haben. Statt Glanz einer Traumfabrik eine schnöde Realität.

Mai
Donnerstag 31.05.

Derrick (Folge 97) Der Mann aus Kiel
(Alfred Vohrer, BRD 1982) [DVD]

gut +

Einer der Morde wird nicht aufgeklärt werden. Zumindest für den Zuschauer. Die Paranoia wird folglich verhandelt, die es ist, sich seiner Mitmenschen nicht sicher zu sein. Im Zentrum von DER MANN AUS KIEL steht eine Frau (Heidelinde Weis). Eine Frau, bei der nicht klar ist, was sie zur femme fatale werden lässt. Ist es Angst oder Gier, Instinkt oder Kalkulation, die ihr dieses durchtriebene Lächeln ins Gesicht zaubert, wenn sie einen Mann umarmt und er Wachs in ihren Armen geworden ist? Um sie kreisen aber zwei Männer. Der Mann aus Kiel, ihr erster Ehemann, der mit einem Zwinkern von fröhlicher Unterwürfigkeit zum rigiden Machtmenschen umschalten kann, und dessen Liebe obsessiv geworden ist. Er ist wohl der unausgesprochene Täter, denn ein Psychiater schätzt ihn ja auch als labil ein. Solange es aber nicht feststeht, ist bekanntlich vieles möglich. Der paranoide Geist kennt keine voreiligen Schlüsse. Auf der anderen Seite ist da ihr Stiefsohn. Seine Liebe, die anders als beim Mann aus Kiel noch nicht mit Hass und Besessenheit durchtränkt ist, sondern sich eher in naiver, grenzenloser Unterwürfigkeit ausdrückt, wo das Ziehen in der Lendengegend den gesunden Menschenverstand aussetzen lässt. Von einer Frau handelt DER MANN AUS KIEL also und den Männern, die mit ihren Gefühlen zu ihr überfordert sind. Wer aber diesmal tatsächlich nur ein Opfer ist: der reiche zweite Ehemann, der für Gefühle keinen Platz hat und der einen gruseligen Monologe über das Primat von Normalität und Normen halten darf. Der liegt wirklich nur tot im Garten und hat nichts verstanden.

Mittwoch 30.05.

You Were Never Really Here / A Beautiful Day
(Lynne Ramsay, UK/F 2017) [DCP, OmU]

großartig

Mädchen und die Männer, die sich zu ihren Rettern auserkoren haben. Tony Scotts MAN ON FIRE träumt wunderschön davon, dass Rache die Zeit rückgängig machen könnte und dass sie das Besiegen der inneren Dämonen ihrer Hauptfigur möglich macht. Ein Kugelhagel, der auf ein völlig entrücktes Ziel hinarbeitet, ist die Folge. In TAXI DRIVER hingegen ist der Versuch, ein Mädchen aus den Klauen der Prostitution zu befreien, eines von mehreren fehlgeleiteten Unterfangen die innere Leere mit einem Sinn zu füllen. Einem, wie in MAN ON FIRE, proto-faschistischen Sinn. Doch statt Traumerfüllung gibt es nur schalen Zynismus und die Sicherheit, dass die Hoffnungen des vorherigen Jahrzehntes verpufft sind. YOU WERE NEVER REALLY HERE handelt nun von Joe (Joaquin Phoenix), dessen innere Zertrümmerung, dessen von Traumata zerriebene Seele zu jeder Sekunde greifbar ist. YOU WERE NEVER REALLY HERE ist im Grunde nur ein langsames Eintauchen in seine enorme Depression. Phoenix spielt dabei wie ein Schrank. Behäbig, bar jeden Ausdrucks und bar jeder Hoffnung stapft er durch den Film. Oft wie ein Zug ohne Führer, der in ständiger Bewegung nur noch auf sein Ende wartet. Jede Einstellung entspricht ihm dabei. Ruhige Träger von nur wenigen Informationen sind sie. Wenn überhaupt mal von mehr als einer. Die Kombination von ihnen ergibt eine Handlung und einen Sinn, aber trotzdem stehen sie wie opake Punkte nebeneinander. Selten wird dabei der Modus einer impressionistischen Schwere verlassen, so dass alle Emotionalität über die Musik geregelt wird. Jonny Greenwoods Musik, die zwischen pumpendem Adrenalin (Electro) oder Entfremdung (No Wave) hin und her springt, wird dabei von entrücktem, veraltetem Pop sekundiert. Kurze Blitze von Joes Erinnerungen durchschneiden die Handlung konstant. Erst und meistens sind es nur private Erinnerungen, von Joes brutalem, nie sichtbaren Vater – von ihm werden nur Füße und ein fallender Hammer zu sehen sein, ein Werkzeug, welches sein Sohn auch zum stumpfen Mittel seiner Wahl gemacht hat – später sind es Krieg und die Großstadt, welche ihn immer wieder haben in Abgründe schauen lassen. Irgendwann scheint die Welt von Joe nur noch aus solchen zu bestehen. Gewalt an sich ist aber selten zu sehen. Sie bleibt wie im toten Winkel der Überwachungskameras. Nur die Auswirkungen, die innere Leere, die Blut, Gedärm und Hammerlöcher hinterlassen, werden die Bühne fast gänzlich einnehmen. Diese zerschundene Seele, die YOU WERE NEVER REALLY HERE wie ein Gletscher auf die Zuschauer niederkommen lässt, wird auf einen Kreuzzug geschickt. Er soll die noch minderjährige Tochter eines Senators aus den Händen eines Prostitutionsringes befreien. Und irgendwann wird sein am Suizid befindliches Sein nur noch von dieser Rettung abhängen, als ob dies auch ihn retten könnte. Doch anders als bei MAN ON FIRE wartet hier keine süße Belohnung. Einen kleinen Strahl von Hoffnung, mehr kann ein Film wie YOU WERE NEVER REALLY HERE, dessen Welt nur aus Leichen, Schmerz, Perversion und einem gefühlslosen Hammer besteht, nicht zulassen. TAXI DRIVER steht – trotzdem die Perspektive seiner Hauptfigur Travis Bickle wiederholt eingenommen wird – im Verhältnis zur dargestellten Ernüchterung. Es bleibt eine Beobachtung von außen. YOU WERE NEVER REALLY HERE legt sich mit Joe in dessen Loch und ringt nicht mehr um einen Sinn. Es windet sich, weil das Leben Joe nicht anders lässt und ohne dagegen aufzubegehren … und ohne um Mitleid zu heischen. So wälzt sich Lynne Ramsays Ode an eine um sich greifende Schwärzung der Welt, die achselzuckend ertragen wird, voran und entwickelt einen kurzen menschlichen Moment, wenn zwei Männer, einer sterbend, der andere sein Mörder, der seinen letzten Anker verloren hat, auf dem Küchenboden nebeneinander liegen und verhalten beginnen, mit dem Schmalz im Radio mitzusingen.

Dienstag 29.05.

Night Tide
(Curtis Harrington, USA 1961) [stream, OmeU]

großartig

Am Ende gibt es ein Zitat von Edgar Allen Poe. Mehr als dieses selbst passt im Grunde die Nennung seines Namens. Denn NIGHT TIDE hat mit der ersten Szene schon dieses Gefühl des Übernatürlichen, dass einen naiven, gutherzigen Navysoldaten auf Wochenendurlaub (Dennis Hopper) langsam in seinen Bann schlagen wird. Wobei es einem sonnigen Spaziergang entspricht, mit der sich NIGHT TIDE seinem Horror, seiner Entrückung der Welt nähert. Und so herrscht von der ersten Minute, das Gefühl einem Märchen beizuwohnen oder eben einem der vielen Berichte Poe, von Menschen die sich langsam auf ihren Wahnsinn zubewegen.

Montag 28.05.

Nimit / Meteorites k
(Apichatpong Weerasethakul, TH 2007) [blu-ray, OmeU]

großartig

Die beliebig scheinende Zusammenstellung von ein paar wackeligen Aufnahmen. So die protokollistische Zusammenfassung. Aber hier geht es um Pösie.

Inside Out / Alles steht Kopf
(Pete Docter, USA 2015) [blu-ray, OmeU]

nichtssagend

Die emotionale Auflösung des Ganzen jerkte mir ganz schön die tears, aber der Spannungsaufbau bis zu dieser Stelle, wenn dann die Staudämme brechen, ist schrecklich beliebig.

Sonntag 27.05.

Solan og Ludvig: Herfra til Flåklypa / Louis & Luca – Das große Käserennen
(Rasmus A. Sivertsen, N 2015) [DVD]

nichtssagend

Ambitioniert ist LOUIS & LUCA – DAS GROSSE KÄSERENNEN. Ambitioniert einen kleinen, sympathischen Kinderfilm zu machen. Ästhetisch funktioniert das ohne weiteres. Stop Motion-Animation ist ja quasi dafür prädestiniert, sympathisch zu sein. Alleine die Liebe, die zwangsläufig in die Arbeit gesteckt werden muss, macht alles gleich einen Tick lauschiger. Und wenn die Stacheln(?) des Igels(?) Luca nicht stillstehen wollen, dann wird sein knuffiges Aussehen noch knuffiger. Aber das scheint auch die einzige Waffe von LOUIS & LUCA – DAS GROSSE KÄSERENNEN zu sein. Niedlichkeit, die fast alle Figuren an die Grenze zur Debilität stellt. Die Charaktere der Figuren und Dramaturgie des Films, sie funktionieren über möglichst harmlose Eigenwilligkeiten, die vor allem die Ambitionen etwas liebenswert Drolliges zu schaffen spürbar machen. Die Komik und das Abenteuer bleiben dabei Versatzstücke oder beginnende Skizzen von etwas, dass witzig oder abenteuerlich werden könnte. Zwei Aufschneider, Titelheld Louis und Widersacher Ollvar O. Kleppvold, wetten um ihre Existenzgrundlagen, wer ein Rennen zwischen ihren Heimatstädten gewinnen wird. Schluchten müssen überwunden, Berge erklommen und Käse gerettet werden, aber nicht das Rennen wird mit Leben gefüllt, sondern die moraline Lehre von langer Hand vorbereitet. Die Aufschneider müssen halt Empathie und Aufrichtigkeit lernen, während der ständig jammernde Luca etwas Selbstwertgefühl bekommen darf. Und dazwischen Witze wie von Ollvars Assistenzen, deren Witz darin liegt, dass sie nicht witzig sind.

Derrick (Folge 96) Hausmusik
(Alfred Weidenmann, BRD 1982) [DVD]

großartig

Nach dem Abschluss von TWIN PEAKS am Vortag war auch mal wieder TWIN PEAKS in der BRD der 80er Jahre angesagt. Ein eleganter junger Mann wird absichtlich überfahren. HAUSMUSIK wird darauf auf eine Hatz nach einem Drogenhändler geschickt, die mit atemberaubenden Stunts (für DERRICK-Verhältnisse) und mahnenden Anklagen der Verkäufer eines Massenmords auf Raten einhergehen. Wie ein Heilanstaltsdoktor aber anmerkt, sind fast alle Geisteskrankheiten auf die Familie zurückzuführen. Das Bild, dass HAUSMUSIK dementsprechend von einer gediegenen Familie zeichnet, ist nur als dämonisch zu bezeichnen. Alfred Weidenmann war mir vor seinem Hiatus nicht gerade als eigenwilliger oder besonderer DERRICK-Regisseure aufgefallen; nun aber eine Folge wilder als die nächste. Erst EIN LIED AUS THEBEN, wo Gedichte aus längst vergangener Zeit suggestiv Mord heraufbeschwören scheinen, dann DER UNTERMIETER als süffisant-aggressiver House Invasion-Terror und nun HAUSMUSIK, das zunehmend psychopathische Portrait einer Familie, wo schwer zu entscheiden ist, ob die einer Zahnpastawerbung entliehenen Bilder von Freude und Zusammenhalt in ihrer brutalen Biederkeit beim Hausmusizieren mehr beängstigen oder die zunehmend psychopathische, von Schrägen, verschnörkelten Schatten und Schweiß bestimmte Raserei, wenn der Vater versucht die Oberfläche mit aller Gewalt zu wahren und Familie an sich, wie ein Hort des Wahnsinns wirkt, die alle Mitglieder verstoßen oder zertrampeln muss. Am Ende freut sich der Vater über seinen Erfolg und wirkt in diesem Moment wie der König der Verrückten. HAUSMUSIK – die diabolische Dualität des Schreckens in Familien.
*****
DER UNTERMIETER ist natürlich von Michael Braun. Tja, so gut läuft Recherche hier.

22.12.2017 – 26.05.2018

Twin Peaks: The Return
(David Lynch, USA 2017) [blu-ray, OmeU]

großartig +

Zu noch ungezwungeneren Zeiten hatten Isa F., Christian P. und ich uns TWIN PEAKS im zügigen Rhythmus geschaut. Es war auch mein erster Kontakt mit den Folgen nach der Auflösung des Mörders von Laura Palmer. Es war also Ehrensache, dass wir die neuen Folgen auch wieder zusammen schauten. Nur sind wir nun allesamt berufstätig und Väter bzw Mütter von einer unverschämt großen Anzahl von Kindern. Es zog sich dementsprechend, da Termine nicht mehr ganz so einfach zu finden waren. Aber es passte auch, da TWIN PEAKS: THE RETURN von alt gewordenen Leuten angefüllt ist. Geradezu einmalig war der fehlende Glamourfaktor … an dem es selbstredend nur auf dem Bildschirm haperte. Zum Abschluss am Sonnabend gab es nun selbstgemachten Cherry Pie und Kaffee, der versüßte, dass wir uns wohl alle drei wie demente Rentner fühlten. Denn durch die großen Pausen zwischen den mal mehr mal weniger kryptischen Folgen mussten wir geschlossen oder einzeln rätseln, wer nun wieder dieser Charakter war und worauf sich das nun wieder bezog. Der Wechsel von einem Soup Opera-Thriller zu einer INLAND-EMPIRE-Mystery-Komödie (mit unerwartet starken Hang zur Komödie) war aber ebenso erfrischend, wie die erschlaffte Haut der Beteiligten.

Sonnabend 26.05.

Der schwarze Blitz
(Hans Grimm, BRD 1958) [blu-ray]

verstrahlt

Die dramatischsten Szenen von DER SCHWARZE BLITZ sind so kontrastreich, dass sie wie schwarz-weiß aussehen. Die Bergwelt eines Skiurlaubressorts hat nun den Anstrich des Monumentalen, wo die Figuren durch all die Anstrengungen und die Schatten zu bloßen Silhouetten zu werden drohen. Und in den wenigen Momenten, wenn dies so ist, dann geht es um eine verkappte Vater-Sohn-Beziehung, die auf dem Spiel steht. Alle anderen Konflikte und Zutaten in diesem Toni Sailer-Starvehikel, wie das bald stattfindende Skirennen, die Konkurrenz mit Dietmar Schönherr, die damit einhergehende Bedrohung des aufrichtigen Sailer Tonis durch die Versprechungen von Ruhm und Geld, die zwangsläufige Liebesgeschichte oder die teilweise großarrangierten Skifahrten mit Tendenz zur Musicalnummer, sie sind nur Zeitvertreib. Ein extrem stilsicherer Zeitvertreib, aber. Fast vollständig sind die Räume des Hotels in braun oder wenigstens beige gehalten, während die Berge weiß vor einem fahlen blauen Himmel fast ebenso einfarbig scheinen. Und in diesen monochromen Kulissen: ein Farbfetisch, der es Jack White ordentlich besorgen würde. Schwarz, weiß und rot in spannungsreichen Kompositionen diktieren das Aussehen. Als ob Hans Grimm die Limitierungen der Erzählung mit einem unbändigen Gestaltungswillen konterkarieren möchte. Aber dann ist da eben noch der vaterlose Andi. Sobald das Verhältnis zwischen diesem und seiner Ersatzvaterfigur in Toni Sailer bedroht ist und damit gleich der Junge selbst, dann schaltet Grimm eben noch eine Stufe höher. Wodurch die Realität eben doch durchscheint, obwohl sich so schön und spaßig von ihr abgegrenzt wird. Denn alles scheint nur unbedarft bleiben zu können, wenn die vaterlosen Kinder des Krieges doch jemanden haben, der sich um sie kümmert. Und in so einer Konstellation muss eben auch der Sex verkümmern, der sich durch einen feinen Tiefenschmier im Beginn entfaltet (so wird auch fachmännisch über den Geruch von Jungfrauen referiert), der aber mit fortlaufender Spielzeit völlig verkümmert. Auf dass alles rein bleibe.

Freitag 25.05.

Incident k
(Norman J. Warren, UK 1959/2007) [blu-ray, OF]

gut

Fragment k
(Norman J. Warren, UK 1965) [blu-ray, OF]

ok

Beide Kurzfilme von Norman J. Warren sind Studien über flüchtige Begegnungen. INCIDENT beschreibt das Glück in sich drehenden Jahrmarktsattraktionen und die Melancholie über verpasste Chancen, während FRAGMENT die Möglichkeit eines ewigen Kreises andeutet, in dem Selbstmordgedanken die besten Kuppler sind.

Nana
(Dorothy Arzner, George Fitzmaurice, USA 1934) [dvd, OF]

ok +

Wenn Anna Sten ihrem Impresario den Kopf verdrehen möchte, dann sieht NANA für eine kurze Zeit wie eine Parodie aus. Ihr völlig exaltiertes Schauspiel zieht die Aufmerksamkeit völlig darauf, dass dies nur Koketterie ist, die in dieser Situation des Besitzes (der Impresario meint seine Schöpfung zu besitzen) aber eigentlich davon ablenken söllte, wie sie die Nächte mit anderen Männern verbringt. Kulturpessimistisch gesehen, könnte sich gefragt werden, ob dies als Erklärung für den potentiellen Zuschauer dient … damit auch der Letzte versteht, dass dies ein unaufrichtiges Manöver ist. Andererseits entsteht an dieser Stelle ein Metafilm über amour fous.

Donnerstag 24.05.

Derrick (Folge 95) Das Alibi
(Alfred Vohrer, BRD 1982) [DVD]

gut

Eine Episode, die heute wohl direkt #metoo geheißen hätte. Es geht um verhärtete Fronten, um Frauen, die zurückschießen und nichts bereuen, Harry, der mit diesen sympathisiert, und um Vergewaltiger und Rechtsanwälte, die sagen, dass Opfer sich nicht so haben sollen … mit diesem Ding … das man Liebe nennt. Dazwischen die Stimme der Vernunft (Tugend und Terror – siehe die Folge 90 am 08.05.), wenn Derrick doziert, dass Vergewaltigungsopfer sich ganz verständlich selten melden, weil das Erlebnis schlimm genug war und die meisten nicht noch dazu in der Öffentlichkeit ausgequetscht werden wollen, dass die Täter in ihrer protzigen Art mitnichten noch nicht die Tragweite ihres Tuns erkannt haben, sondern dies krampfhaft verdrängen, um sich dem nicht stellen zu müssen, und der darüber doziert, dass, auch wenn ihn die drei Täter ankotzen, nicht der Rage nachgegeben werden darf, sondern der Rechtsstaat als unvollkommene, aber beste Form der Regelung des Zusammenlebens respektiert werden muss. Die Dialoge sind deshalb von Beginn an schon voller Nickligkeiten, auch zwischen den beiden Polizisten, und die Schnitte voller Unruhe und Konfrontationen. Und über all dem liegt Frank Duvalls Tangerine Dream-artige Musik, die alles mit Kälte und Getriebenheit überzieht.

Mittwoch 23.05.

The Man from Bitter Ridge / Duell mit dem Teufel
(Jack Arnold, USA 1955) [blu-ray, OF]

nichtssagend

Exemplarisch ist THE MAN FROM BITTER RIDGE ein Film, der mit einer selbstbestimmten Frau mit Revolver nichts weiter anzufangen weiß, als sie dazu einzuführen, dass ihr die Schusswaffe am Ende vom männlichen Held weggenommen werden kann.

Dienstag 22.05.

Derrick (Folge 94) Ein Fall für Harry
(Zbyněk Brynych, BRD 1982) [DVD]

großartig

Der Mann, der ohne seine berufliche Tätigkeit nicht denkbar ist, dessen Freizeit nur da zu sein scheint, damit ein Mordfall diese unterbrechen kann, dieser macht Urlaub. Völlig resigniert sitzt Stephan Derrick dann auch vor dem Telefon, weil er nichts mit sich anzufangen weiß und ruft seinen geliebten Wasserträger an, der diesmal alleine zurechtkommen muss. Der Verdienst von Reineckers Drehbuch ist dabei, dass Harry nicht plötzlich die Scharfsinnigkeit Derricks vererbt bekommt. Stunden nach höchst bizarren Szenen kann ihm in besagten Telefonaten plötzlich aufgehen, dass etwas seltsam war. Und so ist es auch kein Wunder, was passieren wird. In einer Villa wurde ein Hausangestellter von Einbrechern ermordet. Gleich am nächsten Tag hat Restaurant- und Villenbesitzer Heinrich Gruga (Karl Lieffen) schon Ersatz gefunden, eine schweigsame, offenbar an ihrer neuen Rolle leidende junge Frau, die sich als Schwester eines von Grugas Kellnern herausstellt und mit jeder Wiederkehrs Harrys intimer in Grugas Welt eingesperrt scheint. Erst ist sie Haushälterin, dann betitelt er sie als Gesellschaftsleisterin bis sie schließlich von ihm als Verlobte vorgestellt wird. Ein diabolisches Spiel findet direkt vor Harrys Augen statt, voll Sex, Abhängigkeit, Erpressung, Klassenunterschieden … und darüber hinaus vergisst er den ursprünglichen Mord scheinbar völlig. EIN FALL FÜR HARRY macht es ihm aber auch leicht. Die Villa mit ihrer dekadenten Treppenanlage, das Portrait Grugas als selbstgerechten Herrenmenschen mit Echsenhaut – als er nachts im Garten steht und den Toten anschaut, dann liegt ein riesiger Schatten in seinem Gesicht; links von diesem lässt das kalte Licht aus dem Garten seine Haut wie Stein aussehen, während rechts das Licht vom Haus seine porige Haut fast schwammig erscheinen lässt – das stille Leiden der Unschuld, die sich immer wieder in Positionen sexueller Hörigkeit wiederfindet, es ist eine Folge voll suggestiver Kraft, der Harry wie schon in KAFFEE MIT BEATE völlig erliegt, weil sein eiskalter Partner und dessen brutale Rationalität zu weit weg sind.

Montag 21.05.

Merrily We Go to Hell / Geh‘ und lieb‘ und leide!
(Dorothy Arzner, USA 1932) [DVD, OmeU]

fantastisch

Der völlig liebevoll angerichtete österreichische Titel legt die Struktur von GEH‘ UND LIEB‘ UND LEIDE! offen. In den ewig zum Glasigen tendierenden Augen von Joan Prentice (Sylvia Sidney) steht selbst im Glück stets die Ahnung, dass dieses zerstört werden wird, dass die Tränen fließen werden. Und so schließt an die Szenen des keimenden Glücks stets sofort eine Szene an, in der dieses gleich wieder mit Füßen zertreten wird. Ob Joan nun als zerbrechliche Dame oder als biestiger Vamp leidet, sie ist zu jedem Zeitpunkt dem Schmerz bestimmt. Offen steht es im Raum. Jerry Corbett (Fredric March) ist der Mann, den sie liebt, und er wird hinter einer Mauer aus Bierflachen eingeführt. Selbstmitleid und Angst umgeben ihn und sprechen aus seinen Blicken. Alkoholismus wird den Film in seiner Figur durchziehen wie ein roter Faden. Das Verhältnis des mittellosen Journalisten und Schriftstellers mit der Millionenerbin ist in MERRILY WE GO TO HELL zum Kampf verdammt und wie der originale Titel es besagt, wird da offenen Auges reingerannt. Aber nur, weil die kommende Qual stets zu erahnen ist, ist dieser nicht weniger schmerzhaft. Gegen jede Chance fordern sie ihr Glück heraus und immer brutaler scheitern sie … und weil sie nicht aufgeben, weil sie ihrer Hölle Erfüllung abgewinnen möchten, tut es eben weh. Immer mehr weh. Dorothy Arzners Film gleicht so vll einem Spielerdrama. Joan und Jerry lassen sich unbelehrbar auf die Spiele mit den schlechten Chancen, aber den hohen Gewinnaussichten ein und hoffen, dass es dieses Mal doch geschehen muss. Und MERRILY WE GO TO HELL sieht dann auch aus, wie das Casino der Gefühle. Voller Prunk und leuchtenden Versprechen auf der einen Seite und mit abgestandenen Hinterzimmern auf der anderen. Der Asketismus, als Chance eines geregelten Lebens, leuchtet voll Hoffnung wie ein protestantischer Wunschtraum, doch je mehr sich zusammengerissen wird, desto mehr wächst die Unsicherheit in den Gesichtern. Die wilden Partys auf der anderen Seite sind rauschhaft und hängen das Blickfeld mitunter voller Luftschlangen, doch die Versprechen von Freude darin sind voller (Selbst-)Hass, Wut und Resignation. Hin und her schwankt MERRILY WE GO TO HELL und baut ein Melodrama, wo alle offenen Auges ins Verderben rennen, weil es ja gut gehen könnte, weil es doch gut gehen muss.

Dokfa nai meuman / Geheimnisvolles Objekt am Mittag
(Apichatpong Weerasethakul, TH/NL 1999) [blu-ray, OmeU]

großartig +

Im Booklet der blu-ray von Second Run befindet sich ein Essay von Tony Rayns, dass zu ca. der Hälfte aus einem Protokoll dessen besteht, was in MYSTERIOUS OBJECT AT NOON zu sehen ist. Als ob es als Versicherung nötig wäre, dass wir genau das gerade betrachtet haben. Und ich muss sagen, dass ich das ganz angenehm fand, denn nun war ich mir sicher, nichts Grundlegendes übersehen zu haben. Denn diese Collage aus Geschichten, Darstellungsformen und dokumentarischen Aufnahmen kann vieles sein, ohne das Zutun des Zuschauers ist es erst Mal ein Hauch von Nichts … oder kaum mehr als die sehr, sehr, sehr karge Version einer Filmkomödie von Monty Python.

Sonntag 20.05.

Nachmittag
(Angela Schanelec, D 2007) [stream]

großartig +

Ein interessanter Aspekt von NACHMITTAG ist, dass gerade die schwerwiegenden Dialoge in der Mitte sich in die kargen Oberflächen der Leute einfügen und nicht den Erkenntnisgewinn vermehren. Wie durch ein Mikroskop wird hier betrachtet, wo ein kleiner Bereich gänzlich scharf ist und der Rest sich in völliger Unschärfe verliert. Im Hintergrund, in den Fenstern finden sich Bäume und Natur. Aussehen tut es oft wie eine Fläche voll grüner und weißer Murmeln in einem Kaleidoskop, so sehr sind die Konturen verwischt. In der Schärfe waren Ausschnitte von Leuten, die nur für sich waren, die sich als unfähig erweisen, einen Kontakt miteinander aufzunehmen. Selbstredend geht es um Söhne, Mütter, Väter und Liebhaber. Diese verbringen ihren Sommer an einem See in der Peripherie von Berlin. Ihre kantigen Gesichter spiegeln ihre sozialen Fähigkeiten. Und wenn sie ernste Dinge besprechen, dann werden keine Motivationen erkenntlich, sondern Federn eines Pfaus. Wird aber über zu essendes Eis oder andere alltägliche Nichtigkeiten geredet, dann bilden die Pausen, das Schweigen, die einfachen Sätze Dolche, die den menschlichen Kontakt zu einem unausgesprochenen Schmerz machen, wo all die Dysfunktionalität ganz Affektiv in der Luft liegt … ohne auszubrechen. Unter dem luftigen Verweilen am See herrscht folglich eine verkrampfte Habachtstellung.

Sonnabend 19.05.

Hexen
(Helmut Spieß, DDR 1954) [DVD]

großartig

Von den Problemen bei der Rettung der Welt, mit denen Sozialismus und Wissenschaft zu kämpfen haben, erzählt HEXEN. Kurz nach dem Krieg in einem Dorf im Thüringer Wald, wo es nur zwei Familiennamen gibt, herrscht der Muff von tausend Jahren. Symbolisch wird am Ende ein Fenster zum Lüften geöffnet werden. Zwei Trennlinien machen die Gesellschaft dabei aus. Die erste Grenze wird durch den Aberglauben gezogen. Auf der einen Seite die normale Dorfbevölkerung, vor allem Frauen und Kinder, die das Dorf in der Hand einer Hexe glauben und alles Unglück auf diese zurückführen. An ihnen liegt es, dass HEXEN immer mal wieder wie ein Märchenfilm aussieht. Denn auch wenn der Film mal lachend, mal weinend den Kopf über diese Ignoranz schüttelt, bebildert er die Angst vor Hexen, schwarzen Katzen und ähnlichem wie einen ernstzunehmenden Horror mit Nebenschwaden, Zwielicht und irren Augen. Auf der anderen Seite der Demarkation findet sich eine zweite Aufteilung. Einmal sind da die alteingesessenen Machthaber (Bürgermeister und Postbeamter), welche die Leichtgläubigkeit ihrer Mitmenschen und Bürokratie nutzen, um sich zu bereichern. Und dann gibt es die zugezogenen und die sozialistischen Beamten, also Leute, die schon einmal von der Aufklärung gehört haben und die an einem solchen Ort verzweifeln müssen. Einen Schwank um Lämmer, Wölfe und mit der Resignation kämpfenden Rettern bietet dieser etwas andere Heimatfilm also, der im Wald tatsächlich mal nicht die Idylle findet, sondern Leute, die sich vor dementen Frauen fürchten und für Sinn und Verstand kein Ohr offen haben. Leichte Unterhaltung, die wohl auch das Lebensgefühl der SED-Kader einfängt. Denn, wieso müssen sich die weniger Aufgeklärten nur immer so wehren?

The Adventures of Ford Fairlane / Ford Fairlane – Rock’n’Roll Detective
(Renny Harlin, USA 1990) [DVD, OmeU]

verstrahlt

Zu Beginn sitzt Ford Failane niedergeschlagen am Strand und erzählt uns die Geschichte, die ihn bis hierhin brachte und die THE ADVENTURES OF FORD FAIRLANE fast vollständig ausmacht. Die erstaunlich menschliche Pointe daran ist, dass zu diesem Zeitpunkt, als er im Sand sitzt und ins Weite starrt, die Bösewichte schon geschlagen und die Abenteuer überstanden sind. Der Fall ist gelöst. Nun muss er aber noch einem Jungen, der ihn verehrt, sagen, dass dessen Vater gestorben und er nun Waise ist. Ansonsten kulminiert THE ADVENTURES OF FORD FAIRLANE in den Auftritten von Ed O’Neill. Dieser spielt einen Polizisten, der den Rock’n’Roll Detective nicht leiden kann und der lediglich eine hölzerne Genrekonvention darstellt, die für einen ebenso hölzernen Running Gag herhalten muss. Wir schreiben jedoch das Jahr 1990 und zu diesem Zeitpunkt ist Ed O’Neill vor allen Dingen eines: Al Bundy. Sein Auftritt ist so gesehen sehr sinnig, weil THE ADVENTURES OF FORD FAIRLANE wie ein verlängerter Arm von EINE SCHRECKLICH NETTE FAMILIE wirkt. Nur dass Renny Harlin deutlich mehr Geld und optischen Wahnwitz zur Verfügung hat. Während der Film also Testosteron geschwängert von der Leinwand/aus dem Bildschirm prescht und dabei als überzogenes Actionspektakel schon die Grenze zur Parodie leicht überschreitet, ist er im Herzen die Phantasie eines Schuhverkäufers, der als Detektiv in der Musikindustrie von Los Angeles endlich mal alle Frauen bekommen darf, dessen Selbstverliebtheit nie in Frage gestellt wird und dessen Witze und Weltsichten alle ankommen und funktionieren … auch wenn der Film selber nicht ganz so rund läuft, wie das Leben seines Helden. Wir sehen also eine launige Übertreibung, einen überspannten Witz von einem Macho, wo Gefühle den selben funktionalen Sinn ergeben, wie in einem Abenteuer der Looney Tunes. Und doch funktioniert die Klammer genau über den einen emotionalen Moment des Ganzen. Der Panzer offenbart an dieser Stelle einen leichten Bruch und ein bisschen Liebe und Menschlichkeit macht sich hier bemerkbar.

Freitag 18.05.

Isle of Dogs / Ataris Reise
(Wes Anderson, USA/D 2018) [DCP, OmU]

großartig

Von Übersetzungsbarrieren und die Instrumentalisierung von Feindbildern handelt ISLE OF DOGS, der nicht einfach Japaner instrumentalisiert, sondern diese sehr bewusst einsetzt und dabei die Unsicherheit von Zeichen, Sprachen und Wissen mit niedlichen Tieren und einer niedlichen Erzählung debattiert. Aber nicht nur bewusst wird vorgegangen, sondern mit gekonnter Pointierung. Es handelt sich um einen Film, der seine Stilmittel treffsicher anwendet und fern jeder Unsicherheit agiert. Mein Lieblingscharakter war dann Jeff Goldblums Hund, der stets in dem Moment, wenn dem Zuschauer etwas offenbart wurde, obwohl dieser Hund eben dieser Offenbarung nicht beiwohnte, von einem Gerücht zu sprechen begann, welches das eben Offenbarte kurz zusammenfasste. Ein Film, indem es gerade um Ignoranz durch ein fehlendes Auseinandersetzen geht, gibt es so (und auf andere Weise) wiederholt den Moment, wo die Wahrheit dann doch wieder in Klatsch und im propagandistischen TV zu finden gewesen ist/wäre. ISLE OF DOGS hat eine Unschuldsmine, aber er bricht sich beständig und hat unter seinem geschniegelten Aussehen eine mephistophelische Spielfreude, die dem Fell seiner Hunde gleicht.

Rak ti Khon Kaen / Cemetery of Splendour
(Apichatpong Weerasethakul, TH/UK/F/D/MY 2015) [blu-ray, OmeU]

fantastisch

Durch eine kurze Unterhaltung vorher im Kino war mir während CEMETERY OF SPLENDOUR meine erste Begegnung mit Apichatpong Weeresethakul wieder sehr bewusst. Ich hatte mir vor ein paar Jahren SYNDROMS AND A CENTURY von Jenny J. ausgeliehen und saß den Film mehr aus, als dass ich ihn anschaute. Erst das finale Musical mit Rauch als Hauptakteur änderte meine bisherige Perspektive. Ziemlich lahm fand ich es bis dahin eine Kamera nur lange auf einen Bildausschnitt zu richten und es dann Kunst zu nennen. Nun, zu diesem Zeitpunkt des Films entstand aber durch die abermalige, diesmal ästhetische Brechung des Hyperrealistischen eine Resonanz mit dem bisher Gesehenen und ein zunehmendes Vertrauen in den Filmemacher. Der Gedanke schlich sich ein, dass ich durch meine Abwehr mglweise etwas verpasst hatte. Kurz bevor ich nun CEMETERY OF SPLENDOUR mit Christian P. sah, traf ich ein paar Bekannte die gerade TRANSIT gesehen hatte. Zwei davon sprachen diesem das Filmische ab. Das Buch hätte ebenso gelesen werden können und es wäre nicht anders gewesen. Es war eine Position, die ich in diesem Sehtagebuch auch schon einige Male geäußert habe, die mir aber zunehmend fremd wird. Ich habe heute den Verdacht, dass ich nur wiederkäute, was ich als Vorwurf gehört hatte. Und es erinnert mich an große Teile meiner Sichtung von SYNDROMS AND A CENTURY, als ich solche Formeln wiedergab, weil ich keinen Zugang fand … vll weil Filmkunst hier nicht funktionierte, wie bei THE MAGNIFCENT AMBERSONS, wo die Kunst in den Bildern nicht zu übersehen ist. TRANSIT jedenfalls hatte mit seiner sonnigen Leichtigkeit, in Zeit und Licht viel mehr zu bieten als Bebilderung eines Drehbuchs. Und auch sonst empfinde ich es als zunehmend als Propaganda irgendeinem Film das Filmische abzusprechen. Als ob Bilder nicht etwas grundlegendes anderes sind als Wörter, als ob zusammengeschnittene Einstellungen nicht etwas grundlegendes anderes sind als eine Bühne uswusf. Hätte ich Zeit gehabt, hätte ich in einer Diskussion vll den Kritikpunkt besser verstanden, so hörte ich nur ein vergangenes Ich von mir, dass sich betrogen fühlte.
Wer dies Sehtagebuch regelmäßig liest, der hat es sicherlich mitbekommen, dass sich meine Einstellung zu Dauer, Kunstlosigkeit und Ähnlichem seit diesem ersten Treffen auf Apichatpong Weeresethakul geändert hat. CEMETERY OF SPLENDOUR war ein Genuss. Die Stärke in den Bildern im Gegensatz zu dem genannten Film von Welles beispielsweise oder zu so vielen anderen Filmen ist ihre Unaufdringlichkeit. Sie wollen etwas sagen oder sagen etwas, sie zwingen aber nicht mit Sinn und Aussage. Licht, Dauer und fehlende Nähe geben Platz zum Atmen. Es gleicht ein klein wenig einem schönen Nachmittag in der Natur. Und wenn es dann um Schlafende geht und Leute, die im zweiten Teil sich in den Träumen der Schlafenden wiederfinden, während ich zunehmend mit dem Schlaf kämpfte, aber fast durchgängig gewann, denke ich, dann kamen der Spaß mit dieser Situation zu spielen von ganz alleine. Denn was bei all dem Denkbaren und dem Kontemplativen oft vergessen wird, was für ein Ulk seine Filme oft sind. CEMETERY OF SPLENDOUR ist dann auch etwas, das gerne Witze mit Erektionen macht. Alles wunderbar also.

Donnerstag 17.05.

Stepping Out k
(Saxon Logan, UK 1977) [blu-ray, OmeU] 2

ok

Ein kurzer Film übers Aufstehen und Zurechtmachen. Ein kurzer, gutgemeinter Film über Toleranz und Normalität. Sehr schön ist aber die Parallelmontage einer Rasur und des Hobelns einer Möhre.

Working Surface: A Short Study (with Actors) in the ‚Ways‘ of a Bourgeois Writer k
(Saxon Logan, UK 1979) [blu-ray, OmeU]

ok

Vom Leid eines Drehbuchautors eine Szene so lange variieren zu müssen bis sie passt … und was dabei rauskommt, wenn jemand einfach nur zwei Frauen miteinander schlafen lassen möchte, dass vor sich aber nicht akzeptieren kann. Eine ganz vergnügliche Parade dieser Variationen auffahrend.

Derrick (Folge 93) Die Fahrt nach Lindau
(Alfred Vohrer, BRD 1982) [DVD]

großartig

Der kaum der Jugend entwachsene Malte Gericke (Ekkehardt Belle) fragt sich in DIE FAHRT NACH LINDAU, ob sein Vater (Klausjürgen Wussow) ein Verbrecher sei, und als er sich der Antwort nähert, spürt er den Vater in sich sterben. Abermals geht es um den Konflikt zwischen einer scheinbar skrupellosen Kriegsgeneration und einer Jugend, der tatsächlich vergönnt ist, sich eine tugendhafte Moral leisten zu können. Duvals Synthesizer orchestrieren dazu wenig zurückhaltend die Spitzen der Hysterie und die Täler der Trostlosigkeit, während uns Vohrer Großaufnahmen von Händen schenkt, deren Finger dicke Tränenkullern benetzen. Es wird eben alles dafür getan, dass dieser Generationenkonflikt noch etwas bedeutet.

Mittwoch 16.05.

Derrick (Folge 92) Nachts in einem fremden Haus
(Helmuth Ashley, BRD 1982) [DVD]

ok

Reineckers Drehbücher glänzen gerade nicht durch Komplexität. So gradlinig sind sie, dass die in die Geschichte führende Subhandlung einfach verschwindet, sobald sie nicht mehr von Bedeutung ist und der Hauptfall an ihr angedockt hat, und dass der finale Twist alles Vorangegangene obsolet macht. Nichts bleibt so von Bedeutung. Dafür darf Heinz Bennett einen Hosentaschenphilosophen spielen, der ohne Hand und Fuß vor sich hinredet und der alles was er anfasst, so meint er einmal, in Gänseleberpastete verwandele. Das ist dann schon ein großer Spaß.

Dienstag 15.05.

The Night Has Eyes / Moonlight Madness
(Leslie Arliss, UK 1942) [DVD, OF]

großartig

Skelette hinter Wänden, Augen voller Wahnsinn, mörderische Mondsucht und menschenschluckende Moore; ein ehemals idealistischer Kämpfer, der sich durch die Desillusion des Spanischen Bürgerkriegs während des nun ausgebrochenen Zweiten Weltkriegs in ein altes Herrenhaus in den Mooren von Yorkshire zurückgezogen hat; Leslie Arliss hat große Freude daran den Horror der damals gelebten Realität in eine stimmungsvolle Groschenheftgeschichte voll Mysterien, Romantik und Niedertracht zu übersetzen.

Montag 14.05.

Derrick (Folge 91) Eine Falle für Derrick
(Theodor Grädler, BRD 1982) [DVD]

gut

Derrick wird des Totschlags und der Fahrerflucht angeklagt. Wie der Titel der Episode schon sagt, war ihm eine Falle gestellt worden. Was folgt sind Bilder des Thronens. Stephan Derrick, der in einer Lederjacke in der Diskothek seiner Widersacher sitzt und nur schaut. Nichts weiter macht er, als zu warten und dabei unantastbar auszusehen. Oder da ist die Restaurantbetreiberin, die unbeweglich wie die Voodoo-Lady aus MONKEY ISLAND auf ihrem Stuhl sitzt und grenzenlose Autorität ausstrahlt, während sie überlegt, ob sie gegen ihren Vermieter, Derricks skrupellosen Widersacher, in den Krieg zieht. Von Macht erzählt uns Grädler, während Reineckers Drehbuch lediglich einen Krimi ohne Umwege bieten möchte.

Sonntag 13.05.

Hotaru no haka / Die letzten Glühwürmchen
(Takahata Isao, J 1988) [blu-ray, OmU]

radioaktiv

Der Versuch das Erlebnis dieser Sichtung prägnant zu umschreiben, endet bisher stets in dem Satz: DIE LETZTEN GLÜHWÜRMCHEN ist Torture Porn. Nur ist der Sadismus weniger von der Natur, dass er sich gegen die Körper der Figuren richtet, als dass er einen perversen Angriff auf die Gefühlswelt der Zuschauer darstellt. Oder anders: dies ist der traurigste Film, den ich je gesehen habe. Mit Abstand. Nach dem Tod der Mutter im Bombenhagel und nach dem wie von Charles Dickens entworfenen Leben bei einer garstigen Tante, nach diversen Schicksalsschlägen also, die still ertragen werden, bauen sich zwei Geschwister (ca. 13-14 und 3-4 Jahre) ein glückliches Parallelleben im Zweiten Weltkrieg auf, wo sie für sich am Fluss existieren. Eine Welt voller Glühwürmchen und Geborgenheit. Und gerade weil DIE LETZTEN GLÜHWÜRMCHEN seinen zauberhaften Ton nicht ändert, sind die zunehmend zerstochenen und abgemagerten Körper und die ins Unglück gewendeten Motive des Glücks so schlimm. Einmal sagt die kleine Schwester, dass sie etwas Magenschmerzen hat … mit einer ertragenden Unschuldsmine, die den Bruder und das gemeinsame Leben nicht belasten möchte und die so unermesslich macht, wie stark diese Schmerzen inzwischen wirklich sind. Und so sehen wir einen Traum, der gerade weil er den unabwendbaren Schmerz nicht akzeptieren möchte, zu einem wahnwitzig effektiven Portrait unschuldigen Leidens wird. Ein pervers manipulativer Film ist DIE LETZTEN GLÜHWÜRMCHEN, ein nie dagewesener Tearjerker. Ein Meisterwerk … auf seine Art. In 50 Jahren traue ich mich da vll nochmal dran.

The House / Casino Undercover
(Andrew Jay Cohen, USA 2017) [DVD, OmeU]

großartig

Und auch wenn dies wieder ein Will Ferrell-Film ist, der die Landkarte meiner Wünsche und Ängste im gesetzten Alter sehr brutal als Farce einfängt, bin ich vor allem froh, dass mein Bedürfnis cool zu sein sich soweit in Grenzen hält. Ein Hoffnungsschimmer, an den ich mich klammere.

Sonnabend 12.05.

Šerif za mrežami / The Sheriff behind Bars
(Dimitrij Plichta, CS 1966) [DVD, OmeU]

gut +

Und selbst in einem Besserungsanstaltsdrama, indem es keinen Ausweg gibt, nur terrorisierende Mitinsassen, eine rigide Hackordnung und ein gleichgültiges bis faschistisches Unterdrückungssystem, selbst hier versucht die sozialistische Ordnung einem einen Ölzweig des Friedens und des Verständnisses zu reichen. Und vll ist das das Niederschmetternste: selbst hier, in einem solchen Film, lassen sie einen nicht in Ruhe.

The Swap and How They Make It / Grüne Witwen – billig zu haben
(Joseph W. Sarno, USA 1966) [DVD, OF]

verstrahlt

Fast gänzlich steif bleibt die Inszenierung. Kaum unterscheiden sich die Einstellungen in ihrem Aufbau und oft kommt es vor, dass in einzelnen Bildern eine Figur ihre Position verlässt, weil sie ausgeredet hat, und eine andere an ihre Stelle tritt, weil sie nun mit Reden dran ist. Als ob es nur einen Ort vor der Kamera für die Sprecher gibt. THE SWAP AND HOW THEY MALE IT ist so mglweise der steifste Film, den ich je sah. Was zu der aus den 50er Jahren stammenden Vorortswirklichkeit passt, die er porträtiert. Vieles verbindet Sarnos Film dabei mit den Melodramen von Douglas Sirk. Die Enge, die Unentrinnbarkeit der Lebenswelten, das Garstige. Aber wo es bei Sirk um Gefühle geht, da handelt THE SWAP AND HOW THEY MALE IT von dem Wunsch, die eigene Lust auszuleben, aber nicht das nötige Rüstzeug dafür zu besitzen. Statt einer Geschichte gibt es deshalb eben eine 100-minütige Vereisung, in der sich tastend nicht von der Stelle bewegt wird.

Revolver / Die perfekte Erpressung
(Sergio Sollima, I/F/BRD 1973) [DVD, IFmU]

großartig +

Jacques Rivette hatte einst, Ende der 60er, einen kurzen Text darüber geschrieben, dass das Bittere an politischen Filmen bisher ist, dass nur diejenigen nicht naiv wirken, an deren Ende die Resignation steht.* Also so ungefähr. REVOLVER ist auf der einen Seite ein Poliziottesco, dessen Portrait der bleiernen Jahre ganz klassisch voller Staub und Unwägbarkeiten am Rande des Nervenzusammenbruchs daherkommt und der einen spielerischen Mittelteil sein eigen nennt, wo Freundschaft alle Probleme aus der Welt zu bringen scheint. Andererseits steckt in ihm auch ein klassischer Krimiplot, wo ein scheinbar kleiner, übersichtlicher Fall sich immer mehr zum Labyrinth ausweitet und selbstredend in die höchsten Eben der Gesellschaft führt. Und mit dieser Mischung lässt Sollima etwas entstehen, das den geneigten Zuschauer zerstören muss und Jacques Rivette ob des fehlenden utopischen Potentials abermals traurig gestimmt hätte. Das Potential einer Auslöschung aller Hoffnungen trägt REVOLVER vor allem in sich, weil er lange Zeit wie ein gänzlich naiver Film scheint und nicht wie das, was er ist. Was er ist, lässt sich am besten an Oliver Reed ablesen, der sich über die Laufzeit vom geschniegelten Richter zum elenden Wrack verwandelt. Alleine mit dessen atemberaubende Metamorphose kann uns REVOLVER in ein Kellerloch der Gefühle schicken.
* Mglweise war es auch Teil eines Interviews. Ich bin mir nicht sicher, da ich es vor knapp 15 Jahren gelesen habe.

Freitag 11.05.

Union Pacific
(Cecil B. DeMille, USA 1939) [blu-ray, OmeU]

großartig

Es könnte ganz einfach sein. Von einem idealistischen Projekt erzählt UNION PACIFIC nämlich. Von der Verbindung der Ostküste mit der Westküste mittels einer durchgängigen Eisenbahnstrecke. Ein Film voller protestantischer Ethik könnte es sein. Das Verlegen der Gleise wird als geölte Maschine dargestellt … wenn alle zusammenhalten. Und zu etwas Heroischen wird es, da es zu einem Wettrennen wird. Ein Spekulant stellt sich dem Idealismus entgegen und lässt mittels eines Verführers Gier, Spielsucht, Eigensinn und Lust über die einfachen wie gutmütigen Arbeiter kommen. Ein ehemaliger Ingenieur (Joel McCrea), den der Sezessionskrieg zum Revolverhelden machte, wird wie ein Heiland den Verführer in seine Grenzen weißen. Doch egal wie Arbeit und Tugend in den heldenhaften Bildern von Akkordarbeit und den unbeschwerten Nebenschauplätzen des einfachen Lebens den Traum einer neuen Welt von Fortschritt und Freiheit erst möglich zu machen scheinen und egal wie am Ende noch eindrückliche Sequenzen über einstürzende Brücken und die Niederschlagung aller Widrigkeiten folgen werden, der Bau der Union Pacific wird kaum über den Status eines MacGuffins hinauskommen. Denn egal wie sehr UNION PACIFIC uns etwas Anderes weiß zu machen versucht, die Luft ist aus der Geschichte raus, sobald sich das scheinbar nebenher mitlaufende Melodrama schon Meilen vor Ende der Strecke mehr oder weniger aufgelöst hat.
Teil der Bahngesellschaft ist die Postbeamtin Barbara Stanwyck, die, leider, muss ich sagen, den makellosen McCrea anhimmelt, aber Mittelpunkt einer vom Schicksal dahergebrachten Dreiecksgeschichte wird. Denn sie wird wiederrum vom besten Freund McCreas (Dick Allen als Robert Preston) geliebt, einem Abenteurer der nun eben auf der Seite der Verderbtheit kämpft … und der im Verlauf des Wettstreits der beiden Seiten gute Argumente dafür bekommen wird, dass Stanwyck doch lieber ihn heiratet, statt ihren Helden in weißer Rüstung. Dieses Melodram ist aber nicht von dem Gut-Böse-Schema der scheinbaren Hauptangelegenheit bestimmt, wo Idealisten von niederen Menschen behindert werden. Es wird auch nie wirklich Blut zum Kochen gebracht werden. (Zumal es eben doch ein Film von Cecil B. DeMille handelt, der das Lüsterne und Verdorbene doch ganz begierig ins Bild rückt.) Es ist viel mehr Teil eines Traums, wo im Westen für jeden Platz ist. Für Idealisten, Abenteurer, Arbeiter und Gestalten wie die Gehilfen McCreas, zwei speckige Folterknechte – Akim Tamiroff als Fiesta und Lynne Overman als Leach – deren Zugehörigkeit zur aufrechten Truppe der Union Pacific auch nur wie ein Zufall scheint. Kaum böses Blut wird es geben, sondern ein Land und eine Zukunft voller Möglichkeiten … warum also bis aufs Blut streiten. UNION PACIFIC ist dementsprechend kein Film der Grenzen baut, sondern der sie einreißen möchte … der von der US-amerikanischen Utopie des Zusammenlebens von vielen Menschen beseelt ist. (Nur nicht für die amerikanischen Ureinwohner. Aber dafür hat UNION PACIFC ein doch sehr bitteres Auge.)

Communion / Alice, Sweet Alice
(Alfred Sole, USA 1976) [DVD, OF]

fantastisch

Optisch wird immer mal wieder PSYCHO zitiert. Hier ist es aber nichts Ödipales, was den Mörder im Slasher weckt, sondern das Lustfeindliche des Christentums. Erst wird ein Mädchen (Brooke Shields) vor ihrer ersten Kommunion gemordet, wodurch die Initiation in die Erwachsenenwelt ausbleibt und die Weihen der Sexualität nie erreicht werden, und dann alles, was mit Lust die Unbeflecktheit eines Pfarrers bedroht. Ort des Geschehens ist ein heruntergekommenes Mietshaus, dass etwas den Charme von HEY ARNOLD! versprüht. Die Verschrobenheit der Bewohner erinnert aber eher an die Menschen und Welten eines Paul Morrissey. Die Geborgenheit, sie ist dort folglich etwas Bedrückendes, Billiges, Irremachendes. Und das Hauptstilmittel dieses ruhigen Schockers sind dann eben Gesichter in schrägen Einstellungen, die von Hysterie, Nervenzusammenbrüchen und Wahnsinn gepackt sind. ALICE, SWEET ALICE stellt so auch das Messer an der Kehle dar, dass Familienleben manchmal ist.

Donnerstag 10.05.

Guardians of the Galaxy Vol. 2
(James Gunn, USA 2017) [blu-ray]

gut +

Zufällig ausgesucht um mit Ben Z. (10 Jahre) zu schauen, um dann tatsächlich zu Christi Himmelfahrt (aus irgendwelchen Gründen Vatertag) dazusitzen und einen Film über Väter zu sehen. Und wieder einmal muss der Weltuntergang* im MCU abgewendet werden. GUARDIANS OF THE GALAXY VOL. 2 erzählt aber – in einem STAR TREK-artigem Szenario von einem lebenden Planeten – aus Sicht eines Sohnes, der erkennen muss, dass sein leiblicher Vater seiner Phantasie nicht standhält und ein Psychopath ist, während sich sein Stiefvater als Held erweist. Wir sind also im Bereich der Jugend und da sind emotionale Auseinandersetzungen eben Weltuntergänge. Und ich bin mit 36 noch so emotional in solche Geschichten eingebunden, dass selbst das ausgelutschte FATHER AND SON von Cat Stevens mich zu Tränen rührte.
PS – Eine Empfehlung: GUARDIANS OF THE GALAXY VOL. 2 hat nicht nur einen Vorspann, sondern auch einen äußerst sehenswerten. Aber womöglich ist das der Vater, der aus mir spricht und der diesen Wunschtraum von Unbeschadetheit in Form einer groovenden Plansequenz so mag.
* Statt Weltuntergang schrub ich zuerst Vatertag an dieser Stelle. Dr. Freud übernehmen sie.

Akai hashi no shita no nurui mizu / Warm Water Under a Red Bridge
(Imamura Shôhei, J 2001) [DVD, OmeU] 2

großartig

In dieser Parabel, in der Erzählungen aus der Vergangenheit wie Dopplungen der Gegenwart wirken, sucht ein Mann einen Schatz, einen goldenen Buddha. Finden tut er jedoch eine Frau, deren Lust sich per Wasser in ihr anstaut und die bei Überfüllung anfängt auszulaufen oder beim befreienden Sex Wasserfontänen ausstößt. In diesem Szenario, das weibliche Sexualität lobpreisen mag und in dem Vorwürfe, sie wäre eine Hure, an den märchenhaften Bildern von lebensspendender Lust abprallen, in diesem bleibt die männliche Lust eine seltsame Leerstelle und dient nur als Werkzeug zur Befriedung der Frau. Neben der schelmischen Schönheit stehen aber eben auch die Bilder, in denen wie zufällig die Begebenheiten eingefangen werden. Einstellungen, die weit entfernt vom Geschehen sind, in denen die Handlungen an den Rand gedrängt sind, die unkonzentriert ins Leere zu schauen scheinen, die ohne Aufdringlichkeit sind, auch wenn das Verhalten darin Aufdringlich wird. WARM WATER UNDER A RED BRIDGE ist eben auch und vor allem ein Film über die Unsicherheit so vieler Männer vor dem, was die am meisten wünschen: (weibliche) Lust, die sie bespritzt.

Dienstag 08.05.

Chatroom
(Nakata Hideo, UK 2010) [DVD, OmU]

nichtssagend

Nakata verbildlicht die alphabetischen Abgänge eines Chatrooms und warnt. Mittels der Unsicherheit von Jugendlichen nicht so sehr vor der Technik, als vor Menschen, die es nicht schaffen sich von ihren Eltern abzunabeln.

Montag 07.05.

Recluse m
(Bob Bentley, UK 1981) [blu-ray, OF]

ok

Eine stille Meditation darüber, was es heißt, mit anderen zusammenzuleben. Selbstredend endet es mit Mord.

Derrick (Folge 90) Eine Rose im Müll
(Günter Gräwert, BRD 1982) [DVD]

gut +

Ich lese gerade Friedrich Sieburgs Buch über Maximilian de Robespierre, in dem er zentral auf den Punkt pocht, dass Terror und Tugend bei diesem eine intellektuelle wie praktische Einheit bildeten. Womit die Jakobiner Diktatur in die Rolle der Vollenderin der Französischen Revolution und der Geistesbewegungen des 18. Jahrhunderts (besonders Rousseaus) tritt. Das Narrativ ist in Ungefähr, dass eine Philosophie, die ein Abstraktum wie das Volk (d.i. die im Grunde gut seienden Menschen) anbetet und diesem in Form eines Clubs der Erleuchteten die Macht gibt, um in einer apokalyptischen Zeit, wo Gottes Reich auf Erden nur noch den Tod der wenigen unguten, verdorbenen Menschen (d.i. die Menschen, die nicht ebenso widerspruchsfrei glauben bzw nicht für dieses Utopie fehlerfrei kämpfen, was im Grunde auch das Gleiche ist) entfernt ist, der Tugend zur Macht zu verhelfen, dass diese sich nicht wundern darf, wenn Fanatiker, Profiteure und Verzagte ein Massaker anrichten werden. Der Unbestechliche wird so zum gut meinenden Oberhaupt einer paranoiden Hexenjagd, weil er zur Exekutive eines Zeitalters wurde, dass an gute Menschen glaubte, aber nur Wölfe, Geier und Lämmer fand, die es systematisch zum Wohle der Menschheit ausmerzen galt.
Stephan Derrick ist der tugendhafte Traum eines Menschen, wie er Rousseau und Robespierre vorschwebte. Es ist nur ein kleiner Aspekt von EINE ROSE IM MÜLL, aber der unbestechliche, tugendhafte Oberinspektor hilft hier einer Tramperin, einen vermissten LKW-Fahrer wiederzufinden. Er opfert seine Freizeit – Freizeit und Derrick ist eh eine undenkbare Kombination und ich kann ihn mir nicht Mal schlafend vorstellen – und tut eben das Tugendhafte, das, was getan werden muss. Aber er hält es eher mit Jesus, als mit Rousseau und Robespierre. Er, der fleckenlose, der maschinelle Mensch, weiß um die Sündhaftigkeit der Menschen. (Er weiß mglweise auch um die eigene und sein großer, steifer Körper ist im ständigen Kampf gegen diese.) Ihm ist bewusst, dass er von Leuten umgeben ist, die das Ringen mit der Untugend verloren haben/verlieren mussten. Und darüber hinaus, glaubt er auch nicht an eine endgültige Rettung der Menschheit. Stephan Derrick ist lediglich der Terror einer Tugend, die das menschliche in seinen Mitbürgern in Zaum halten soll. Er richtet nicht mit dem Feuerschwert, in seinen Augen wartet aber die Verdammnis, mit denen er die Gefallenen straft. Ergo geht es nicht darum das Böse auszurotten, sondern mit seinen Augen in Seelen zu leuchten, auf dass die Leute sich nicht zu viel wagen.
Von DERRICK geht so, trotz der Unterschiede zwischen den beiden Unbestechlichen, etwas Ähnliches aus, wie aus Sieburgs Buch oder den darin beschriebenen Dingen. Tugend und Terror sind auch hier tief verbandelt. Derrick ist oft die einzig vernünftige Figur. Auch würde er sich vor jeden Lynchmob werfen. Die Tugend strömt aus ihm nur so heraus, auch wenn er manchmal stöhnt, wenn er wieder nachts zum nächsten Fall gerufen wird. Und genau in dieser Tugend liegt auch sein Terror. Gerade an ihm offenbart sich die Fehlerhaftigkeit der Leute um ihn, wie aus seinem Blick das Niederdrückende eines strafenden Gottes zu erahnen ist.
Große Teile von EINE ROSE IM MÜLL spielt auf einer trostlosen Müllhalde. Ein ramontisches Potential findet dort sein verfrühtes Ende. Neben dem eigentlich zu lösenden Mord wird es als Randnotiz einen Zweiten geben. Ein Ehemann wird sich wie nebenbei seiner Frau entledigen. Sie verschwindet aus der Folge und nur schlammige Schuhe werden hier und da an ihr Verschwinden erinnern. Während EINE ROSE IM MÜLL mit seinen sehnenden Rückblenden zuvorderst ein melancholischer Gesang auf große Gefühle ist, spricht die Randständigkeit dieses zweiten Mordes Bände. Ohne beträchtliche Empfindungen wird da eben etwas achtlos auf den Müll geworfen. Und niemanden nimmt daran übermäßig Anteil. Wie ein gespenstischer Schatten heftet dieser Mord den großen Gefühlen von Liebe und Tugend an. Die Welt als Müllhalde und Derrick als deren Gärtner, der sie einzudämmen gedenkt.

Sonntag 06.05.

Thor: Ragnarok / Thor: Tag der Entscheidung
(Taika Waititi, USA 2017) [DVD]

ok

Letztens saß ich im Kino und das jüngste Lied in sämtlichen Trailern war SABOTAGE von den Beastie Boys. Ein Lied, dass nun auch wieder bald so alt ist, um einen Uniabschluss zu haben. Hier wieder zentral der Einsatz vom IMMIGRANT SONG von Led Zeppelin. Und ich frage mich, ist jüngere Popmusik nicht in der Lage schnell verständliche Gefühle zu transportieren? Muss diese erst reifen, damit nicht nur die Jugend sie versteht? Oder sind da keine Gefühle mehr drin? Sind die Entscheidungsträger zu alt, wie ich, der sich nicht mehr richtig auskennt? Ist es ein zu großes Risiko, dass mit modernerer Musik jemand tatsächlich vor den Kopf gestoßen sein könnte, weshalb dann doch wieder der totgenudelte Allgemeinplatz kommt?

Avengers: Infinity War
(Anthony & Joe Russo, USA 2018) [3D DCP]

ok

Der Film, wo wirklich nichts mehr Konsequenzen hat. Thor bekommt sein eben verlorenes Auge wieder, genauso wie sein Auftauchen auf dem Schlachtfeld, während alles aussichtslos scheint, wie der nun mehr feststehende Sieg inszeniert wird, nur um den Kampf dann so weitergehen zu lassen, wie bisher. Am Ende steht dann ein neuerliches Moldavian Wedding Massacre. (© Pavao V.) Doch die groß aufgefahrene Tragik hat kaum noch Wirkung, weil (anders als bei DYNASTY damals) schon von Anfang an klar ist, dass es eh zu nichts Nachhaltigem führt.
Ansonsten eine riesige Leistung aus all den Figuren einen halbwegs kohärenten Film zu machen und es zu schaffen, dass dreimal die gleiche Art von Figur anwesend ist (Ironman, Doctor Strange, Star Lord), ohne dass es richtig schmerzhaft wird. Aber irgendwo lief das alles nur nebenher, weil ich beständig den Drang hatte, mit meinem Finger über die Rillen in Thanos‘ Kinn zu streichen. Ich bin fast verrückt geworden, weil es unmöglich ist … aber die Haptik dieses Kinns, wenn es Realität wäre, müsste doch sagenhaft sein…
Mein Tipp für den nächsten Teil: Doctor Strange hat Thanos durchkommen lassen, damit er nach Durchführung seines Vorhabens erkennt, dass dieser Plan selten dämlich ist und diesen wieder rückgängig macht.

Le temps qui reste / Die Zeit die bleibt
(François Ozon, F 2005) [stream, OmU]

gut

Die knapp fünf Stunden quietschvergnügter und bunter Weltuntergangsachterbahn der beiden Filme davor mit einem stillen Film gekontert, wo ein ganz normaler Mensch mit seinem nahenden Krebstod ganz eigenwillig zurechtkommen und mit seiner Familie (k)einen Frieden finden möchte. Ich glaube, das war nötig.

Sonnabend 05.05.

Doctor Strange
(Scott Derrickson, USA 2016) [blu-ray]

ok +

Nach CIVIL WAR, einem müden wie unansehnlichen Catfight, der sich nicht als verbiestertes Kreisen um zwei Egos versteht, sondern als ernsthafte Diskussion über die Verantwortung von Leuten, die ihre Unterhose über den Leggins tragen, waren die drei am Wochenende gesehenen Marvelfilme wieder etwas entspannter. Dreimal steht der Weltuntergang bevor, dreimal gab es schwurbliche Esoterik (hier bei DOCTOR STRANGE sogar die volle Breitseite), dreimal solides Handwerk an dummen Sprüchen und campy Lebenswelten. Und DOCTOR STRANGE ist der beste der drei, weil er seinen Mumpitz am fokussiertesten als Mischung aus SHADOW UND DER FLUCH DES KAHN, BATMAN BEGINS und KUNG FU PANDA erzählen kann. Sprich, die noch fehlende Anbindung an das restliche MCU entspannt das Figurenmanagement.

BBC Play of the Month – Danton’s Death
(Alan Clarke, UK 1978) [blu-ray, OmeU]

großartig

Alan Clarke und Stuart Griffiths sind in ihrer Bearbeitung relativ nahe an Georg Büchners Stück geblieben. Ihre Sicht der Dinge haben sie aber doch vehement eingebaut und den Gegensatz aus Danton und Robespierre – eine Vorform des Gegensatzes von De Sade und Marat bei Weiß – etwas verschoben. Ist DANTONS TOD bei Büchner eine sachliche Angelegenheit, wo der pedantische, kalte Robespierre* und der Lebemann Danton über den Terror und das nicht enden wollende Arbeiten der Guillotine debattieren, da ist es bei Clarke zur Auseinandersetzung zwischen einer jungfräulichen Angst vor dem Leben, das folglich mit Tugend mathematisch vermessen und gesäubert werden soll, und einer arroganten und abenteuerlustigen Lebensfreude, die sich durch ihre geile Schmierigkeit verbalisiert, geworden. Und so duellieren sich die Ideologien eines Fürsten der Frigidität und einem Schmerbauch, der sich heroisch von seinen Eingeweiden leiten lässt, derbe Diskussionen mit Prostituierten führt und der gerne über masturbierende Affen und Schamhaarfriseure plaudert, während die Orte der Handlung Büchners Vergeisterung noch weiter vorantreiben. Weiträumige Zimmer voll Leere bilden die Kulissen der Debatten, während durch die Fenster ein Himmeln mit surrealen Farben strahlt oder von Dunkelheit verhangene Zuschauer wie Harpyien den Reden folgen.
* der gerne den ersten Stein wirft, weil die ohne Sünde ja keine Angst haben müssen.

Freitag 04.05.

The Showman k
(Christian Marnham, UK 1970) [blu-ray, OmeU]

gut

Ein Schausteller erzählt von der großen Kunst, Leute in ein Zelt zu locken, wo er mit Messern nach nackten Frauen wirft … und wie einfach es zu sein scheint, verzweifelte Frauen aufzutreiben, die da mitmachen. Alles unter den wissenden Augen seiner Frau.

Slnko v sieti / The Sun in a Net
(Stefan Uher, CS 1970) [DVD, OmeU]

fantastisch

Mit Unmengen geradezu zwanghaften Spiegelungen, mit einem Dach voller dünner, feingliedriger, alles aufschneidenden Antennen in einer Betonwüste, mit Seen, an denen sich laszive Dinge abspielen oder die Leute sich fremd sind, mit einer Sonnenfinsternis, die von einer blinden Frau betrachtet wird, mit Fotografien von Händen als Fetisch und intimen Portraits von Menschen, mit Heu, Arbeit und immer wieder Spiegelungen, erzählt THE SUN IN A NET von Perspektiven und einem Leben, dass an einem vorbeizutreiben droht. Und so raumgreifend und aufdringlich die Poesie der Bilder ist, so sprachlos und flüchtig füllt die Melancholie den Raum. Ein Film von Licht und Wasser.

Donnerstag 03.05.

Derrick (Folge 89) Die Stunde der Mörder
(Theodor Grädler, BRD 1981) [DVD]

gut

Dieser Herr Mahler (Hans Caninenberg) geht Derrick ganz schön auf die Nerven. So sagt Letzterer zumindest. Herr Mahler ist ein Rentner, der seine Freizeit in Gerichtssälen zubringt und Leute, die seiner Meinung nach Täter sind, die aber aus Mangel an Beweisen frei gelassen wurden, umbringt. Die Frage in diesem Selbstjustizthriller ist nur wie, weil Herr Mahler stets in einem Konzert sitzt, wenn die Taten vollzogen werden. Ein Platz zum Philosophieren ist DIE STUNDE DER MÖRDER dabei vor allem. Herrn Mahlers sehr verständnisvoll vorgebrachten Ausführungen, die voll hinterhältiger Besonnenheit sind, steht Derrick entgegen, der nicht an die Menschen glaubt, aber an ein Justizsystem. Der genervt den Leuten, die sich gerne übers Gesetzt stellen (wollen), erzählt, dass das auch keine Möglichkeit ist. Der enerviert ist, weil die Leute nicht verstehen wollen, dass dieses System auch kein Allheilmittel ist, aber besser als Lynchjustiz. Und während er um die Ruhe seiner Mitmenschen ringt und wiedermal der kalte Derrick ist, der von all diesen Gefühlswallungen seiner Umgebung nichts wissen will, nichts wissen darf, da sitzt er doch da und findet Herrn Mahler nervend. Wirklich schnell gegen ihn vorgehen, tut er aber auch nicht… DIE STUNDE DER MÖRDER ist eine Episode voller Kälte, die Theodor Grädler, ohne ihn Sperenzchen abzudriften, einfach geschehen lässt.

Mittwoch 02.05.

The Home-Made Car m
(James Hill, UK 1963) [blu-ray]

ok

Ein Typ baut einen Bullnose Morris wieder auf. Also einen Oldtimer – für Leute, die so wenig Ahnung von Autos haben wie ich. Durch dieses findet er auch noch die Liebe. So Zeug halt … mit einer netten Tochter von nebenan, die mit Laserpistolen schießt.

4 mosche di velluto grigio / Vier Fliegen auf grauem Samt
(Dario Argento, I/F 1971) [35mm] 2

großartig

Als ich vor knapp sechs Jahren etwas zu VIER FLIEGEN AUF GRAUEM SAMT in dieses Sehtagebuch schrieb, war ich der Meinung, dass der Mörder schnell klar ist. Während ich diesmal im Kino saß, dachte ich darüber nach, dass ich diverse Argento-Filme nun schon mehrmals gesehen habe und bei den meisten, eigentlich allen beim Wiedersehen keine Ahnung habe, was passiert war. Auf die Auflösung muss ich dann eben abermals warten. Aber vll schließt sich beides nicht aus. Auch dieses Mal habe ich auf den richtigen Täter getippt. Nur weder war da Sicherheit, noch hat es mich übermäßig interessiert. So wie es Schlagzeuger Roberto Tobias (Michael Brandon) kaum interessiert, wer ihn terrorisiert. Das Gefühl der Paranoia, des Ausgeliefertseins und des Beobachtetwerdens, darum drehen sich die Bilder und die Gefühle der Protagonisten. Es geht um einen Zustand, nicht um eine Situation. Als ob eine Auflösung etwas ändern könnte… Und so ist es besser sich in diesen Filmen bequem zu machen, so wie es Tobias tut. VIER FLIEGEN AUF GRAUEM SAMT hat dabei zudem ordentlich Albernheitsbreitseite und fährt mit einem Gammlerguru auch noch Bud Spencer auf. Also alles bestens.

Dienstag 01.05.

Derrick (Folge 85) Das sechste Streichholz
(Alfred Vohrer, BRD 1981) [DVD]

großartig

Alleine die Sätze, die das Drehbuch von Herbert Reinecker bereithält… Er gibt sich hier als Jugendversteher, der über die heilende Wirkung der Disco schwadronieren lässt, diese aber gleichzeitig zum Ort macht, wo Heroin gedealt wird und wo Leben zerstört werden. DJ Jo Mahler (Thomas Schücke mal wieder ganz schön aufgeblasen) sagt dann so Sätze über sein Klientel, wie: Die meisten sind noch Kinder – der Schatz der Nation. Oder eben: Ein Kind, das in der Hölle ist, ist kein Kind mehr. Es sieht nur noch so aus. Und dann ist da noch dieser Dialog zwischen Mutter und Sohn:
M: Worüber denkst du denn nach?
S: Über Gott und die Welt, Mama.
M: Da hast du dir zu viel vorgenommen.
Übernommen hat sich aber eher Reinecker, dessen Verständnis und Warnungen sich liebevoll und ängstlich an CHRISTIANE F. abarbeiten und einen Jugendarbeiter in ihm offenbaren, der sich im hohen Alter ein Batikshirt überwirft, um die Jugend zu erreichen, aber immer noch derselbe Verknöcherte bleibt. Und von Vohrer wird dieses Drehbuch dann mit absurder Geradlinigkeit zu einer Episode übersetzt, die den Spaß des vermeintlichen Retters voll auskostet. Also lasst euch doch bitte von DAS SECHSTE STREICHHOLZ erlösen.

Derrick (Folge 86) Prozente
(Theodor Grädler, BRD 1981) [DVD]

gut

Alles was ich nicht erklären kann, das stört mich, sagt Derrick mit einer eiskalten Seelenruhe. Selten war er furchteinflößender. Arme Leute sind wahnsinnig, sagt der Miethai (Rolf Boysen), auf den ein Mordanschlag verübt wurde … womit er ohne es auszusprechen oder gar ohne es zu wissen die Blüten der Verzweiflung meint, die aus Hoffnung und Chancenlosigkeit erwachsen. Am Ende schwingt der Aufhänger des Falls (ein Mann, der mit dem Wissen um den potentiellen Mörder den Kredithai um niedrigere Prozente erpresst) noch einmal herein, aber die Folge hat sich schon weitergedreht … denn die perfideren Mörder sind die, welche es aus Gier tun. Am Ende meint Derrick, dass jeder an Prozenten interessiert war, aber das stimmt nicht. Der erste Mörder war einfach nur wahnsinnig vor Verzweiflung … und dieses Wissen hat der Miethai unserem Kommissar vll voraus.

Derrick (Folge 87) Der Untermieter
(Michael Braun, BRD 1981) [DVD]

großartig

Peter Kuiper steht einmal unter der Dusche und nur zwei lose vor der Kamera hängende Handtücher verdecken notdürftig seine Scham. Fröhlich dreht er sich unter der Dusche und hat keine Probleme mit der entstehenden Freizügigkeit. Die Impertinenz von Kuipers Figur Walter Buschmann, der nach zehnjähriger Haft seine ehemalige Geliebte aufsucht, sich tolldreist bei ihr einnistet, versucht den Ehemann aus der Wohnung zu drängen, alle terrorisiert und mit einem Lächeln, dass Mord und Totschlag verspricht, behauptet er mache nichts Befremdliches, erhält hier ihren schönsten Ausdruck. Wer aber mit Stress nicht umgehen kann und damit, dass hier jeder alles aussitzt und auf den längeren Atem hofft, meide alles andere von DER UNTERMIETER oder schaue dies mit jemanden, an dem sich festgehalten kann. Danke Sabrina Z.

Derrick (Folge 88) Tod im See
(Alfred Vohrer, BRD 1981) [DVD]

gut +

Positiv ausgedrückt ist Rudolf Wiegand (Robert Atzorn) ein Träumer. Nicht ganz so wohlwollend gesagt, hat er den Kontakt zur Realität völlig verloren. Was für TOD IN SEE heißt, dass Derrick ankündigt, dass ganz früh aufgestanden werden muss, wenn er getäuscht werden soll, Wiegand aber mit grenzenloser Dummheit und Uneinsichtigkeit keinen Platz für auch nur einen anderen Verdächtigen lässt. Vll könnte er mit seinem Mord davonkommen, aber er kann schlicht nicht einschätzen, wie sein Handeln wirkt. Und so spielt Atzorn einen großmäuligen Schuldigen, der als einziger nicht mitbekommt, wie schuldig alles wirkt, was er macht und sagt. Es ist eine Folge zum Verzweifeln.

April
Montag 30.04.

Stay Hungry / Mister Universum
(Bob Rafelson, USA 1976) [DVD, OmeU]

verstrahlt

Zwischen KING OF MARVIN GARDENS und WENN DER POSTMANN ZWEIMAL KLINGELT ging es für Rafelson etwas zurück zu HEAD, dem Monkees Film. STAY HUNGRY ist eine Geschichte wie so viele. Der Sohn einer reichen Familie (Jeff Bridges), dessen Reichtum ihm nur innere Leere bringt, soll im Zuge einer Immobilienspekulation ein Fitnessstudio kaufen, findet vor Ort aber Authentizität und Sinn im Leben … wozu er nach einigen Konflikten auch gegenüber seinem snobistischen Umfeld und sich selbst zu stehen lernt. Diese Authentizität besteht dabei aus einer erdigen Episode Americana, wo der österreichische Mister Universum-Anwärter, unausgesprochener Zenmeister und Tausendsassa Joe Santo (Arnold Schwarzenegger) mit ein paar Hillbillies fiedelt, und jeder Menge Chaos und Quatsch, der sich eben sehr Richtung HEAD bewegt. Ist STAY HUNGRY lange ein seriöser, nichtssagender Film, driftet er irgendwann zunehmend in verstrahlte Gefilde ab. Höhepunkt ist eine Szene, wo der Oberbodybuilder Gastgeber für zwei Prostituierte ist. Für ihn selbst ist es der Absprung in irrste Gefilde bzgl des Spaßes von STAY HUNGRY an seiner monströsen sexuellen Übergriffigkeit. Zum Monster und zur Karikatur einer Hypermännlichkeit wird er, während einer seiner Mitarbeiter eine der Prostituierten an eine Bank fesselt und die Solaranlage über ihr anschaltet, damit sie schwitzt und niemand dahinterkommt, dass er schwul ist. Fast nimmt diese Fratze eines liebenswerten Umfelds hofbauersche Züge an, aber Rafelson ist eben auch sehr versöhnlich. Der Antonioni des New Hollywood lässt hier also nochmal die Gediegenheit von Impressionen und Tiefsinn fallen und schmeißt in einem Akt der Liebe absurd lachend mit Dreck nach seinem Land, seinem Film und seinen Mitmenschen.

The Ballad of Lefty Brown
(Jared Moshé, USA 2017) [stream]

nichtssagend

Ein geradezu klassischer Western aus der gesichtslosen Steppe von Montanas, der zeigen möchte, dass es weder Intelligenz, Talent oder Eloquenz bedarf, um ein Held zu sein. Es braucht nur Durchhaltevermögen, Herz und ein tiefes Misstrauen gegen Staat, das Justizsystem und diese korrupte Zivilisiertheit, da wo mehr Leute zusammenleben, als auf einer Farm. Los, lasst uns die Agenten der Modernität lynchen!

Sonntag 29.04.

cellu l’art Kurzfilmfestival (Special) B-Sides
(Diverse) [Diverses Digitales]

tba.

MARIA (Jaime Habac Jr., PH 2016) – ok
THE RABBIT HUNT (Patrick Bresnan, USA 2017) – gut
MEMORIES WRAPPED IN PAPERPLANES (Antonia Rehnen, NL 2017) – gut
GLANZ PLUS (Yannik Carstensen, D 2017) – großartig
KONTEMPORARY SOUNDSYSTEM (Naïa Combary, Gil Gharbi, CA 2016) – großartig
IMPOSSIBLE FIGURES AND OTHER STORIES II (Marta Pajek, PL 2016) – ok
COPA-LOCA (Christos Massalas, GR 2017) – gut
*****
Während meiner Arbeit beim cellu l’art gab es Filme, die ich mit all meinen Möglichkeiten in den Wettbewerb zu platzieren versuchte. Oft hat es geklappt. Manchmal mit vll schon zwielichtigen Mitteln. Aber ich scheiterte auch oft und dann gab es zum Glück immer die B-Sides. Ein Platz, wo Filme ausgewertet wurden, die nicht die nötige Mehrheit fanden, aber spannend/seltsam genug waren, doch noch gezeigt zu werden. Während zeitgleich die Gewinnerfilme laufen, schaue ich mir auch jetzt noch lieber die B-Sides an. Letztes Jahr waren dort auch imho die Highlights zu finden. Dieses Jahr war es weniger erfreulich (während der Wettbewerb mir ziemlich stark schien). Aber doch, es war wie immer spannend zu sehen, woran die Programmatiker ihr Herz verloren hatten und was sie nun doch noch zeigen wollten. Viel Interessantes gab es, auch wenn es mich nicht so erwischt hat. Aber doch, die Frage kam immer wieder auf: Wieso ist dieser Hit auf Seite B, denn?

Ken Park
(Larry Clark, Edward Lachman, USA 2002) [DVD, OmU]

gut

Der Soundtrack meiner Jugend lief zu KEN PARK. Songs aus Alben, die ich auch hatte und habe liefen (Rancid, Black Star), oder Bands, von denen ich seit meiner Jugend nichts mehr gehört hatte, die nun hier unerwartet wiederkamen (Bouncing Souls, Tha Alkoholiks). Eine gewisse Vertrautheit lief deshalb immer mit. Hätte ich KEN PARK gesehen, als er in die Kinos kam, als ich also 20 war, hätte dieser Film, der von endenden Jugenden und gescheiterten (d.i. psychotischen) Erwachsenen erzählt, meine Jugend nicht beendet. Dafür fliegt er zusehr vorbei. Denn der stete Wechsel zwischen vier Geschichten gleicht einem Karussell. Kurz fliegt die eine vorbei und dann folgt die nächste. Und der Kreislauf läuft weiter, bis die Dysfunktionalität nur noch die Flucht lässt.

Sonnabend 28.04.

Dak ging to lung / Tiger Cage
(Yuen Woo-Ping, HK 1988) [blu-ray, OmeU]

großartig

Polizeiarbeit ist in TIGER CAGE das Äquivalent des Glücks einer Familie. Eingeführt wird sie mittels einer räudigen, völlig unkontrollierten Schießerei, die sich mitten durch eine Fußgängerzone ziehen wird, und durch die darauffolgende Familienfeier der Einheit, die teutonischen Witz mit Highschoolkomödienspaß kreuzt. Dabei werden auch die optischen Gegebenheiten vorgelebt. Nacht, Stil und kräftige Farben auf der einen Seite, ausgemergelte Bleiche auf der anderen. Wenn die Exposition vorbei ist, wird ein breiter Riss in dieser Idylle klaffen. Mit größtmöglichem emotionalen Aufwand wird diese Polizeifamilie durch einen Korruptionsfall zerpflückt, bis fast niemand mehr überlebt. Und die, die übrigbleiben, werden keinen Spaß daran haben, weil ihr Glück zerstört ist. TIGER CAGE porträtiert einen Teufelskreis. Schmerz wird zu Kampf, Gewalt und Wut führen und dies wiederum zu Schmerz. Mir will es dabei scheinen, als werde eine Dystopie entworfen, die entstehen mag, wenn jemand wie Derrick fehlt.

Basic Instinct
(Paul Verhoeven, USA 1992) [blu-ray, OmU] 3

fantastisch

Die Frage bleibt, ob der männliche Mann Nick Curran die Frau zähmt, die takes just like a woman, die makes love just like a woman und die aches just like a woman oder ob er ein selbstzerstörerischer Arsch ist, der sich völlig überschätzt. Aber das Schöne an BASIC INSTINCT ist ja, dass nichts, wirklich nichts in der Selbstgerechtigkeit der Charaktere und der Schwammigkeit des Geschehens sicher ist.

Freitag 27.04.

cellu l’art Kurzfilmfestival (Länderschwerpunkt Schottland) Filmmaker in Focus
(Bryan M. Ferguson, Diverse) [Diverses Digitales]

großartig +

THE MISBEHAVIOUR OF POLLY PAPER CUT (UK 2013)
CAUSTIC GULP (UK 2015)
FLAMINGO (UK 2015)
RUBBER GUILLOTINE (UK 2016)
BLOCKHEAD (UK 2017)
UMBILICAL GLUE (UK 2017)
TOXIC HAIRCUT (UK 2018)
******
Beim Screening wollte ein Zuschauer, der trotz Warnungen vor dem Block* geblieben war, den Saal während FLAMINGO verlassen. Erst fiel er über den schweren Lautsprecher direkt vor der Leinwand und riss diesen mit sich um und als er die Tür erreichte, ging er ohne Einwirkung von außen bereits wieder darnieder. Gerade wurde in FLAMINGO versucht, jemanden den Arm abzusägen. Als die Peinlichkeit des ersten Sturzes hinzukam, war das dann mglweise zu viel. (Ich hoffe, der entsprechende Zuschauer grämt sich nicht zu lange, hat er doch zumindest tolle Publicity geleistet.) Ich war eigentlich stets der Meinung, dass ich ziemlich sensibel bin. In letzter Zeit aber komme ich mir innen drin inzwischen total verkommen vor … denn hier, in diesem Block, hatte ich viel Spaß und Unwohlsein wollte sich irgendwie nie auch nur andeuten.
Wenn Kanülen in Großaufnahme in Arme gesteckt werden oder bei sozialen Stresssituationen auf der Leinwand, da winde ich mich aber trotzdem und muss den Reflex zu fliehen unterdrücken. Es kommt also vor allem darauf an. Bei diesen bunten Filmchen fühlte ich mich jedenfalls wohl. Das unwirklich Neonfarbene von Florida und THE FLORIDA PROJECT ist hier in einen garstigen Cartoon umgefallen. Wo Leute das Leiden an sich selbst in Bodyhorror und Selbstverstümmelungen übersetzen und wo die Handlungen oft mit einer absurden Pointe enden, die gleich einem Peitschenschlag über den Fluss der Erzählung kommt. Unbehagen war in diesem ersten Block des cellu l’arts, der nur einem Filmmacher gewidmet war, Teil eines witzigen Comics, dass sich aus einer ätzenden Masse erhob.
Nach dem Block die einzelnen Filme noch auseinanderzuhalten, fällt mir jedoch schwer. In ihrer Schrillheit glichen Sie sich doch oft. Auf der Vimeo-Seite von Bryan M. Ferguson können aber alle glücklicherweise angeschaut werden.
* inkl. einer vielsagenden Entschuldigung Bryan M. Fergusons für das, was nun zu sehen sein werde.

Donnerstag 26.04.

cellu l’art Kurzfilmfestival (Wettbewerbsblock 1) Chlorreiche Halunken
(Diverse) [Diverses Digitales]

tba.

HOPPTORNET (Axel Danielson, Maximilien Van Aertryck, S 2016) 2großartig
GREEN SCREEN GRINGO (Douwe Dijkstra, NL 2016) – großartig
MILLIMETERLE (Pascal Reinmann, CH 2016) – großartig
DIE ENTZWEITE INSEL (Alba Bresoli, D 2016) – nichtssagend
ENTSCHULDIGUNG, ICH SUCHE DEN TISCHTENNISRAUM UND MEINE FREUNDIN (Bernhard Wenger, A 2018) – großartig +
GARDEN PARTY (Florian Babikian et al, F 2016) – großartig
*****
Der englische Titel des Wettbewerbsblocks CHLORREICHE HALUNKEN war THE GOOD, THE WET AN THE UGLY. Welch ein traumhaftes Doppel der Namensgebung. Lediglich die Programmierung von GREEN SCREEN GRINGO in diesem Kontext war etwas gewagt. Denn weder gibt es hier, anders als in den anderen Beiträgen, einen Pool, noch dient der Gringo hinter seiner Green Screen als Eastwoodvertreter. Der Film passte zumindest gut zum entspannten, postzivilisierten Treiben einiger Frösche in einer vor einiger Zeit zerschossenen Villa in GARDEN PARTY, dass sich unerwarteter Weise auf den letzten Metern – durch Auftauchen einer Wasserleiche – zur politischen Utopie wandelt. Denn in GREEN SCREEN GRINGO wird die Realität völlig fragmentiert. Die Bilder sind zunehmend mit Dingen versetzt (mal mehr, mal weniger offensichtlich), die im bisherigen Treiben des Films vor einer Green Screen aufgenommen wurden. Erst ist es ein Jux, wenn ein Rettungsschwimmer plötzlich in einem Museum sitzt oder bekannte Gesichter hinter Büschen hervorlugen. Aber immer unsicherer wird der Realitätsgehalt dieser Bilder, da irgendwann nicht mehr klar ist, ob etwas oder was bearbeitet ist. Die politische Lage Brasiliens, wo der Film aufgenommen wurde, und vll weltweit drängt sich dabei langsam in diesen Spaß.
Ansonsten eben die Unwägbarkeit des Wassers, aus dem Leichen auftauchen können, aus dem die ungeheuren Gefühle ersteigen und bei einer Bande Jungs in MILLIMETERLE ruppige Dinge erweckt, wo in HOPPTORNET Leute auf dem 10-Meterturm stehen und um die höchstwahrscheinliche Sicherheit des Aufpralls aufs Wasser wissen, aber doch nur unter Zeter und Mordio sich zu einem Sprung überwinden können. Und dann ist da ENTSCHULDIGUNG, ICH SUCHE DEN TISCHTENNISRAUM UND MEINE FREUNDIN, der stärkste Film in einem starken Block. Ein junger Mann ahnt darin, dass seine Freundin ihn während des Österreichurlaubs verlassen hat. Was er tun soll, weiß er aber nicht. Und so lässt er sich durch die durchdesignte Sachlichkeit des Berghotels voller scharfer Geraden und Spiegelflächen treiben. Es ist ein Ort, der in seiner konstruierten Klarheit Sicherheit bieten soll. Durch die ebenso symmetrischen Aufnahmen von ENTSCHULDIGUNG, ICH SUCHE DEN TISCHTENNISRAUM UND MEINE FREUNDIN wird dieses Hotel zu einem Ort biederster Verlorenheit, wo der Krampf direkt unter der Oberfläche zu spüren ist. Und der Film macht sich einen Heidenspaß trocken das Leben auf diese Unentschlossenheit treffen zu lassen. Gewölbte Keller, in denen ein Giallo zu lauern scheint, entspannte ältere Männer, deren Ulk wie ein freundlicher Hohn in diesen Einrichtungen wirkt, und Frauen, die zu entschlossenem Handeln aufrufen, sie bilden die Gemeinheiten, welche die triste Melancholie von Ort und Protagonist auflaufen lassen. ENTSCHULDIGUNG, ICH SUCHE DEN TISCHTENNISRAUM UND MEINE FREUNDIN ist dabei aber größtenteils bitter, denn immer wieder endet alles beim Pingpong.

cellu l’art Kurzfilmfestival (Special) Queer Shorts
(Diverse) [Diverses Digitales]

tba.

MUM, I’M BACK (Dimitris Katsimiris, GR 2017) – gut
QUI MAIS NO (Alexa-Jeanne Dubé, CA 2016) – gut
LAS GITANAS (Matthew Anderson, USA 2015) – großartig
PASSÉE L’AUBE (Nicolas Graux, B 2016) – (nichtssagend)
TAILOR (Calí dos Anjos, BR 2017) – (ok)
MIN HOMOSYSTER (Lia Hietala, S 2017) – gut
*****
Leider hat mich ab der Hälfte die Müdigkeit dahingerafft. Davor eine Art Italowestern bei einer griechischen Beerdigung, eine sich nicht vollziehende Liebesgeschichte zwischen Nachbarinnen und ein John Waters-artiger, halbkrimineller Streifzug durch die Nacht. Aufrütteln, Zärtlichkeit und Party also.

Mittwoch 25.04.

Skyhook k
(James Hill, UK 1958) [blu-ray, OF]

ok

Der Fortschrittsglaube von SKYHOOK ist so stark, dass hier auch mal spannend und knuffig aufgearbeitet wird, wie Bäume knapp neben Tierbabys im Urwald herunterkommen. Der Aufbau eines Ölbohrturms im südamerikanischen Dschungel mutet wie der Teil eines unausgesprochenen Wegs in eine Utopie an. Leid kann in den sonnigen Bildern von Sachlichkeit scheinbar nur ein Irrglaube sein.

cellu l’art Kurzfilmfestival (Wettbewerbsblock 5) Reiß dich zusammen!
(Diverse) [Diverses Digitales]

tba.

BOTANICA (Noël Loozen, NL 2017) – gut
CLANKER MAN (Ben Steiner, UK 2017) – gut
SOG (Jonatan Schwenk, D 2017) – gut
PROTOKOLLE (Jan Soldat, D 2017) – großartig
KOMMITTÉN (Gunhild Enger, Jenni Toivoniemi, S/N/FIN 2017) – nichtssagend
LA COURSE NAVETTE (Maxime Aubert, CA 2017) – großartig
*****
In PROTOKOLLE lässt Jan Soldat Schauspieler die Protokolle von Interviews vortragen, die er mit Leuten führte, deren Verlangen es ist, wie ein Schwein geschlachtet zu werden und denen es bei Ersatzhandlungen – einem Schauspiel des echten Aktes – kommen kann. Ein Lusthaushalt offenbart sich, der entweder in der Unbefriedigung leben oder die eigene Existenz beenden lässt. Die Vortragenden werden dabei in einem Schatten belassen, als seien sie die tatsächlichen Leute, die sich durch die Unkenntlichkeit schützen. Das Gesagte steht so völlig im Mittelpunkt. Die kaum etwas zeigenden Bilder sind dabei rau und in Vollbild. Sie sind nicht aufdringlich, aber sie setzen den Ton. Aus ihnen entwickelt sich die Atmosphäre von Funden. Funden aus einer anderen Zeit. Einer Zeit als Video mglweise viel gebräuchlicher war. Und das was wir zu hören bekommen, die Geschichten dieser Leute sind Funde, da sich die erzählenden zum Verstecken gezwungen sehen. PROTOKOLLE, so auch ein Film über Verstecke, der mit seiner Form das Thema noch erweitert, hat nichts zu zeigen und ist vll deshalb Jan Soldats bisher intimster Film … von denen, die ich sah.
Und PROTOKOLLE ist das Highlight eines Blocks, der voller spannender Idee war, bei dessen Filmen ich mir aber nicht sicher bin, wieso sie für mich oft etwas aseptisch blieben. Die Fruchtlosigkeit einer tristen Paarbeziehung, die die zwanghaft bunte, in Samen ertrinkende Botanik ihres Gewächshauses irgendwo doppelt, oder die Verlorenheit des CLANKER MAN, der die Hintergrundgeräusche unserer Realität erstellt, um wahrgenommen zu werden, sie sind beispielsweise voller Reichtum, aber fühlen sich zu einem Teil dem skurrilen Witz von KOMMITTÉN verbunden, dessen Witzverständnis mich sehr an Bully erinnert … wo ich mir rationell erschließen kann, wo der Spaß liegen soll, wo mir aber die nette Verschiebung von Klischees und das grinsende Warten auf die Lacher nichts geben möchte.

Dienstag 24.04.

Transit
(Christian Petzold, D/F 2018) [DCP]

großartig +

Ein Film unzähliger Fluchten. Georg (Franz Rogowski) flieht vor den Nazis nach Ausbruch des 2. Weltkriegs von Paris nach Marseille – so scheint es zumindest, auch wenn Paris und Marseille sehr aktuell aussehen – und nimmt dort eine andere Identität an, um einen Transit nach Mexiko zu bekommen. Er flieht vor einer (Ersatz-)Vater-Rolle, die sich in Marseille abzeichnet. Er flieht vor einer Liebe, sobald sie ihn an seinen Identitätsdiebstahl erinnert – denn er verliebt sich in die Frau des verstorbenen Schriftstellers, als den er sich bei den Behörden ausgibt. Er flieht vor Verantwortung. So sehr, dass er auch vor diversen seiner Fluchten flüchtet. TRANSIT, ein Film der wehmütigen Aufgabe … voll kafkaesker Bürokratie und einer luftigen Einfachheit, wo die Reduktion der Existenzen auf unterschiedlichste Fluchtversuche zwar auf die Gemüter drückt – die Deutschen kommen immer näher – wo die Zeit im sonnigen Marseille aber ewig scheint. Eine charmante Vorhölle, wo sich Entscheidungen nicht abzeichnen und umso unumkehrbarer auf die Protagonisten einbrechen.

Derrick (Folge 84) Tod eines Italieners
(Helmuth Ashley, BRD 1981) [DVD]

ok

Am Ende steht plötzlich der Hinweis im Bild, dass Ähnlichkeiten mit echten Personen und Geschehnissen zufällig sind. Es ist der letzte Fingerzeig, wie sehr diese Folge für die bundesdeutsche Gesellschaft und gegen die Mafia kämpft. Dass dies eben nicht, wie sonst immer vorausgesetzt, Fiktion ist. Wehret den Anfängen steht mit Neonschrift über den Bildern von sagenhafter Tristesse. Vor allem das italienische Restaurant: In der ranzigen Imbissküche arbeitet, wenn überhaupt jemand, dann nur eine Person; der Gästeraum, der nach urdeutscher Miefigkeit aussieht, ist stets proppenvoll; auf den Tellern findet sich reichliches 4-Sterne Essen. In vielerlei Hinsicht ist dies ein schönes Synonym für die Realität dieser Folge und DERRICK an sich.

Montag 23.04.

Giuseppina k
(James Hill, UK 1960) [blu-ray, OmeU]

gut +

Ein BP-Werbespot, um die Seele baumeln zu lassen. Impressionen von einer italienischen Tankstelle im Nirgendwo, wo klischeehafte Touris aus aller Welt auf wunderschöne Farben und das lockerleichte Nichts eines Vormittags treffen.

Mein langsames Leben
(Angela Schanelec, D 2001) [stream]

großartig

Besonders schön war die Hochzeitsfeier, als die Band zu einem Lied von Mutter zum Tanz bittet. Und während ich sinnierte, wie toll es sein muss eine Musikgruppe zu einer Feier zu haben, die Mutter covert, kommt der Schnitt auf zwei Sängerinnen und den Bassisten. Inzwischen sind sie schon zu DIE ERDE WIRD DER SCHÖNSTE PLATZ IM ALL übergegangen … und ich glaube plötzlich Kerl Fieser in dem Bassisten zu erkennen. Die Kamera schwenkt nach links und da sind sie: Florian Koerner von Gustorf (halt auch der Produzent von MEIN LANGSAMES LEBEN), Max Müller und Frank Behnke. Das wäre natürlich noch besser. Mutter selbst auf einer Familienfeier. Denn sowas muss auf einer solchen schon mal gespielt werden.

Sonntag 22.04.

Kickboxer: Retaliation / Kickboxer: Die Abrechnung
(Dimitri Logothetis, USA 2018) [DVD]

gut

Jean-Claude van Dammes Tränen in seiner Reality-Soup haben geholfen. Nicht nur hatte er doch eine Rolle im Remake eines seiner größten Hits bekommen, sondern darf nun auch in deren Fortsetzung den knuffigen Wiedergänger Meister Yodas spielen. Als nunmehr blinder Meister möchte er eine Art Jedi-Ritter aus Kurt Sloane (Alain Moussi) machen. Mit verbundenen Augen soll er die Bewegungen der Luft spüren, bevor diese jene überhaupt macht. Doch sein Schüler nimmt diese Lehren, die seinen Kampf und seine Überlebenschancen verbessern sollen, nur eigenwillig an. So wie KICKBOXER: RETALIATION einen gradlinigen Weg nur sehr eigenwillig annimmt und viele Grade von Qualität annimmt. Ein Gangsterboss und Kampfsportpromoter (Christopher Lambert) hat Kurt Sloane ins Gefängnis werfen lassen und möchte ihn zwingen gegen seine mit Drogen und Technik aufgepumpten Megakämpfer, dessen eloquentester Satz uuuaahhhgh ist, anzutreten. Sloanes Freundin wird entführt und geschlagen werden. Wenn sich Sloane lakonisch in einer vorgetäuschten Plansequenz zu Bo Diddleys I’M A MAN durch den Knast schlagen muss, wenn die Farben wie aus einem Comicbuch strahlen und die Gegner grün wie Hulk leuchten, wenn Mike Tyson einen Gastauftritt hat und wieder die unbesiegbare Kampfmaschine sein darf, als die er mal galt, wenn Jean-Claude van Damme verschrobene Dinge tut, dann ist KICKBOXER: RETALIATION ein elegantes Muskelpacket. Wenn aber versucht wird, eine kunstvolle Geschichte mit Träumen, Schicksal und billigsten damsel in distress-Motiven zu erzählen, dann füllt sich dies sehr unbeholfen an. Im Endkampf findet der Film in dieser Unentschiedenheit völlig zu sich. Alle esoterischen und strategischen Möglichkeiten werden Sloane gegeben, um gegen das Monster von einem Menschen (uuuaaahhgh) zu bestehen. Doch er geht in scheinbarer Idiotie (manchmal scheint er seinem so eloquenten Gegenüber geistig nicht gewachsen) immer wieder chancenlos ins eins gegen eins, wo er zermalmt und zum unsterblichen Willen zu werden scheint. Über kurz oder lang, KICKBOXER: RETALIATION lässt einen immer wieder staunen, was er denn nun schonwieder anstellt.

My Blueberry Nights
(Wong Kar-Wai, HK/CHN/F/USA 2007) [stream, OmU]

gut +

Musik ist ganz wichtig. Als ich das erste Mal FALLEN ANGELS im O-Ton sah, ergab alles noch mehr Sinn. Das nölige Kantonesisch passte so viel besser zu den Bildern, als die Versuche dieses in Deutsch nachzustellen. Doch am Ende kam plötzlich ONLY YOU von den Flying Pickets. THINGS IN LIFE von Dennis Brown, der in CHUNKING EXPRESS zu Beginn immer wieder gespielt wird und dort für mich stets fehl am Platz war, weil er eben ans Ende seines Nachfolgers gehörte, wollte einfach nicht kommen. Das, was FALLEN ANGELS zu dem machte, was es für mich war, es war nur in der deutschen Synchronisation Teil von FALLEN ANGELS. Ich habe ihn seitdem nicht mehr gesehen, weil ich nicht weiß, was ich mit diesem Umstand anfangen soll. Weil mir beides in Kombination, Lied und Film, sehr viel bedeutete. Was tun? Auf OmU verzichten? Auf THINGS IN LIFE verzichten? Am Ende umstellen? Naja, normaler Liebeskummer halt, wenn sich die Dinge als nicht so herausstellen, wie wir glaubten.
MY BLUEBERRY NIGHTS hatte ich bisher noch nicht gesehen. Im Trailer lief die Musik von Norah Jones und sie machte aus dem zu Sehenden für mich eine austauschbare Schnulze aus den USA. Ich hatte Angst vor diesem Film und was er mit meinem Verhältnis zu Wong Kar-Wai machen würde. Die Enttäuschung schien aus irgendeinem Grund vorprogrammiert … und für mich lag dies vor allem an Norah Jones Musik.
Die Liebe zu Wong Kar-Wai ist gerade nicht so heißt, deshalb fiel es mir nicht so schwer ihn mal nachzuholen. Und es war eben ein Film von ihm. Sehr spürbar. Es war auch schön mal wieder einen zu sehen. Unter anderem, weil er hier Sexszenen durch Diabetes auslösenden Motive ersetzt, wo dicke Vanillesauce durch eine bunte Sumpflandschaft aus Kuchen und Früchten laufen lässt. Aber auch weil er TRY A LITTLE TENDERNESS von Otis Redding immer wieder abbrechen lässt, bevor es sich zu dem Monster aufbaut, dass es vor allem Live in Monterey war. Immer nur der Anfang ist zu hören, der in meiner Wahrnehmung nur das Vorprogramm dafür war, dass Redding irgendwann von Tenderness schreit und ganz offensichtlich inzwischen nicht mehr bei einem zarten Vorspiel war. Immer wieder bricht die Tenderness ab, bevor sie Leidenschaft geworden ist.
Und dann ist da noch der Umstand, dass solch ein Film einen wongkarwaien lassen kann. ABSCHAFFEL von Wilhelm Genanzino lässt einen beispielsweise abschaffeln. Wer aufhört zu lesen, kann den Effekt bemerken, dass sich die eigenen Gedanken an den ständigen Fluss Abschaffels angepasst haben und sich nur langsam normalisieren. Es ist ein Buch von ungemeiner Trägheit, die einem noch tief in den Knochen/Gehirnwindungen stecken kann. MY BLUEBERRY NIGHTS ist dem ähnlich. So sachte und nachsichtig ist der Film gegenüber seinen Figuren, so von Momenten und der Ästhetik des Beobachtens bestimmt, dass der geneigte Zuschauer ebenso sachte in sich hineinschaut und mit sich redet, als ob einem einer wie ein Wong Kar-Wai-Film zuhören würde. Die Tragik in den Filmen wird zu etwas Schönem. Eine (alkoholische) Melancholie liegt auf ihr, die ihr die Krallen raubt … oder diese Krallen sich etwas schöner anfühlen lassen. Irgendwo ist Wong Kar-Wai Wohlfühlkitsch im Endstadium.
Einer seiner besten ist es trotzdem nicht. Sein flüchtiger Stil und die nur angerissenen Charaktere in einem Land, dass er nicht wirklich kennt – denen er Cowboyhüte aufsetzt und wiederholt den Stil des Americana beschwört – zusammen mit dem Umstand, dass er seit nun fast 15 Jahren den selben Film machte, es wollte nicht so wirken, wie bei anderen Filmen. Und dann ist da eben die Musik von Norah Jones, die eben vor allem nett ist.

Sonnabend 21.04.

Troy the Odyssey / Troja 2 – Die Odyssee
(Tekin Girgin, USA 2017) [DVD, teilw. OF]

nichtssagend

Wer etwas wie Homers ODYSSEE verfilmen möchte (und kaum Budget hat), der braucht Größenwahn, Phantasie, (Selbst-)Ironie, Bescheidenheit oder ähnliches. Irgendwas. TROJA 2 aus dem Hause Asylum hat nichts davon. Oder anders gesagt, es versucht diese Verfilmung mit nichts nach Hause zu schaukeln. Dass ein altphilologischer Blick, der sehr an Homer hängt, nicht sehr gewinnbringend sein wird, geschenkt. Der Titel oder Umstände, wie beispielsweise, dass Trojaner hier Kraken heraufbeschwören oder Kirke eine Weggefährtin Odysseus‘ ist, sprechen für sich. Von der ursprünglichen Odyssee ist schlicht nur noch eine Ahnung übrig. Da spricht auch nichts dagegen. Das Problem ist viel eher, wie erschreckend blutarm TROJA 2 ist. Das Drehbuch reißt Motive Homers an, damit diese da sind, ist aber zu faul oder zu unsicher, diese in die neuen Abläufe einzubinden. Mit dem Ergebnis, dass Dinge ungenutzt dastehen. Vage wird versucht Abenteuer zu bieten, aber nichts geschieht. Die großangekündigte Passage durch ein Totenreich, ist der Gang durch eine Höhle, wo ein felliger Wikinger einen Gefährten Odysseus‘ tötet, weil der von seinem Teller isst. Mehr nicht. Der Kraken verschwindet nach seinem großspurigen Auftreten in einer Ellipse. Durch die Dialoge nach dem Schnitt erfahren wir, dass er bei beim Malstrom verloren ging. Die Bilder rumpeln ab und zu mit groben CGI Richtung Monsterfilm, wollen aber das griechische Epos nicht verraten. Zu sehen sind dann leblose Hüllen von etwas, das Sandalenfilmextravaganzen hätten sein können. Im englischen Originalton sprechen zudem alle mit arg gepressten Stimmen – der Wechsel zum deutschen Ton kann den kurzzeitigen Effekt haben, dass normal redende Leute sich nunmehr wie Kinder anhören – um das Bedeutende dieser Odyssee zu unterstreichen, aber tatsächlich verpufft alles Aufregende, alles Philosophische, alles. Etwas Verwegenheit, Herzblut und/oder einfach was Beklopptes, wo war es nur?

Year of the Dragon / Im Jahr des Drachen
(Michael Cimino, USA 1985) [DVD, OmeU]

ok

Am Ende treffen zwei Figuren aufeinander, die sich den ganzen Film lang bekriegt haben und die auf den unterschiedlichen Seiten des Gesetzes stehen. Der Eine, Stanley White (Mickey Rourke), ist der Polizist, der in Chinatown aufräumen soll. Ein überambitionierter Amerikaner, der seinen polnischen Nachnamen ablegte und der sich auf einen Kreuzzug gegen Verbrechen, Korruption und Heuchelei befindet. Ein Mann der alles – sein oder das Leben anderer, seine Ehe, Freundschaften, seine Karriere – liebend gern aufs Spiel setzt, damit alle sehen, dass sein weiß leuchtender, protofaschistischer Heiligenschein nicht vom Dreck um ihn besudelt werden kann. Der andere, Joey Tai (John Lone), möchte in der Parallelgesellschaft von Chinatown nicht nur zum Chef der Triaden aufsteigen, sondern den Einfluss von Polizei und italienischer Mafia abwerfen. Intrigant und skrupellos arbeitet er sich hoch und kappt jede Verbindung unsentimental, wenn sie ihm zum Hindernis wird. Wo der eine also beweisen möchte, dass er der amerikanischste aller US-Amerikaner ist, da möchte der andere jede Integration in die offizielle Gesellschaft an sich abperlen lassen. Und keiner von beiden würde auch nur den Schatten eines Kompromisses auf seinem Handeln zulassen. Im Gleichschritt marschierend lassen sie das Mafiaepos in YEAR OF THE DRAGON in einem adrenalinem Feuer aufgehen, während die Gewalt, die sie ihrem Umfeld und ihrer Menschlichkeit antun, die Melodramatik anschrauben lässt. Irgendwann wird es so aufreibend, dass ein paar Polizisten, die zur anderen Seite sehen, und um Ruhe besorgte Gangsterbosse eigentlich ganz vielversprechend scheinen. Denn sie versprechen diesen Frieden, wie er nur in Ankh-Morpork zu finden ist. Aber Ciminos Film ist nicht nur dieses Unterweltdrama. Denn dieses ist über weite Strecken nur das Mittel zum Zweck, um Stanley Whites Arschigkeit den roten Teppich auszufahren. Ewig darf White sich selbst beweihräuchern und darin suhlen, dass er der Heißeste ist und der Ärmste, der unter seiner Gerechtigkeit zu leiden hat. Alles andere in YEAR OF THE DRAGON wird von diesem Ego, dem jeder erdenkliche Platz gegeben wird, an die Wand gedrückt.

Freitag 20.04.

La rose de fer / Die eiserne Rose
(Jean Rollin, F 1973) [blu-ray, OmU] 2

fantastisch

Es ist die Faszination für den Tod, die Jean Rollins Kino antreibt. Und LA ROSE DE FER ist das intensivste Testament dieses Umstands. Wie letztes Jahr an dieser Stelle schon erwähnt, fehlen diverse Schlüsselmotive, die seine Filme sonst so oft bevölkern. Keine Vampire gibt es, keine Schwestern, keine anderen Dimensionen, keine eigenwilligen Rituale. Und auch das Meer hat nach der Auftaktsequenz seine Schuldigkeit getan. Einiges, was einen Film von Jean Rollin ausmacht, das Schangelige, das quer Zusammengefügte, es ist nicht da. In Hinsicht auf den Tod ist LA ROSE DE FER aber trotzdem ein Schlüsselwerk … und passend dazu auch Rollins schönster Film. Mglweise weil alles völlig reduziert ist. Gerade im Werk eines Regisseurs, der nicht gerade für seine adrenalingeschwängerte Wildheit bekannt ist, ist hier nichts los. Ein junger Mann und eine junge Frau haben ein Date. Sie gehen, um für sich zu sein, auf einen Friedhof und als es Nacht geworden ist, ist es ihnen unmöglich den Ausgang zu finden. Es ist, als ob sie von diesem gefangen gehalten werden. Und das war es dann auch schon. Zwei Leute, ein Ort und die Suche nach einem Ausweg. Clowns und andere Gestalten werden vereinzelt auf dem Friedhof auftauchen. Sie werden den Eindruck vermitteln, dass dieser Ort nicht zwangsläufig von dieser Welt ist. Aber sonst sind es keine empirischen Erscheinungen, welche die Flucht behindern. Heruntergekommene Häuser, leere Straßen, eine triste Familienfeier und ein verlassen wirkender Bahnhof, kurz der Charme des Leblosen bestimmt LA ROSE DE FER schon bevor der Friedhof überhaupt betreten wird. Dort, wo sich Grab an Grab, Kreuz an Kreuz steht, dort wuchern Büsche und Kräuter scheinbar ungehindert. Da wo der Tod ist, dort ist das ungehinderte Leben, so kann es scheinen. Wenn die beiden Liebenden also durch dieses Reich wandeln, wo Schnitte dicksten Nebel verschwinden lassen können, wo das Kreisen und Gleiten der Kamera das innere Beben (Angst, Lust, Verlorenheit) der beiden nachzeichnet, wo das Licht des nachts völlig unwirklich wie aus übersteuerten Scheinwerfern hinter den nächsten Zweigen strahlt, wo nicht Sinn und Verstand herrschen, sondern Impressionen und Atmosphären, da bleiben zwei Auswege. Der Mann wird wüten, bibbern und nichts verstehen. Die Frau hingegen wird sich empfänglich für den Reiz des Todes zeigen. Die Dynamik von LA ROSE DE FER liegt einzig und allein in diesem Unterschied, der zwei Leute voneinander entzweien wird. Da wo das Kino von Naruse und Ozu bittere Heldengeschichten von verzweifelten Leuten erzählen, die trotz allem Leids weiterleben, da erstrahlt hier die eigenwillige, romantische Schönheit des (zaghaften) Loslassens … von diesem kargen Diesseits.

Donnerstag 19.04.

Moon
(Duncan Jones, UK 2009) [stream, OmU]

ok

Es ist wirklich ein sehr netter Film. Es sei an dieser Stelle jedoch der kurz zuvor erschienene CHRISTMAS ON MARS empfohlen, der auch von der Isolation auf einem wüsten Planeten handelt, dafür aber eine Blaskapelle beinhaltet, deren Mitglieder weibliche Genitalien an Stelle des Kopfes haben.

Mittwoch 18.04.

Derrick (Folge 83) Die Schwester
(Helmuth Ashley, BRD 1981) [DVD]

großartig

Harry erschießt während eines Einbruchs einen Dieb, der seine Pistole auf Derrick richtet. Der Tod lastet schwer auf ihm und reißt ihn beständig aus dem Schlaf. Bei einer – mehr oder weniger – zufälligen Damenbekanntschaft sucht er Trost. Dumm nur, dass sie die Schwester des Toten ist … und mit einem anderen, einem geflohenen Täter liiert. Voller innerem Widerwill lässt sie Harry an sich heran und horcht ihn aus. DIE SCHWESTER ist dabei ein sehr nah am Wasser gebautes Drama über ein fragiles, von Lügen bedingtes Glück und die Misere richtigen Entscheidungen erkennen zu müssen. Zartschmelzend sind die Gemütszustände der beiden Protagonisten (Harry und Schwester) und die Wege, mit denen diese gezeichnet werden … Naivität dabei zur Torheit und zu riesigem Heldenmut erklärend. Das Faszinierendste kommt aber ganz unerwartet. Vor einigen Folgen, ich glaube es war DEM MÖRDER EINE KERZE, hat Stephan seinen Harry nachts zum Essen bei sich eingeladen, wo sie ganz intim den Fall nochmal durchdenken wollten. Die Luft hat dabei geknistert … aber ihnen hier mehr zu unterstellen, blieb dann doch etwas lümmelhaft. In DIE SCHWESTER jedoch, wenn Stephan jede Nacht bei Harry vor der Tür steht und energisch wissen möchte, wo er war, wieso er ihn nicht zu Hause erreichen konnte uswusf, dann scheint da doch ziemlich viel Eifersucht durch … und so die Gefühle einer möglicherweise nur einseitigen Liebe. So viel Tragik …

Dienstag 17.04.

Derrick (Folge 82) Eine ganz alte Geschichte
(Zbyněk Brynych, BRD 1981) [DVD]

großartig +

Während Elvis über ein smile so tender singt, liegt Mathieu Carrière quer auf einem Bett und genießt. Nicht nur die flauschigen Kissen, die sich um ihn wölben, sondern auch wie sein Plan langsam aufgeht. Wie er als Todesengel immer mehr zupackt und im stetigen Crescendo von EINE GANZ ALTE GESCHICHTE mit immer perverserer wirkender Unschuldsmine dafür sorgt, dass die spätromantische Schuld-und-Sühne-Oper, die uns Brynych hier serviert, irgendwann nicht mehr nur aus Streichern besteht, die im Haus des Täters/Opfers – es ist unklar, wer was ist – beständig an einem nagen, sondern dass diese langsam in etwas Unbändiges von Igor Stravinsky, Béla Bartók oder Alban Berg umschlägt, wo sich Frank Duvalls Synthies wie Schraubstöcke an die Schläfen drehen. Aus dem Prunk der Bilder wird hier langsam sehr intimer Schmerz, aus dem Scherz, dem sich Derrick ausgesetzt sieht, langsam diabolischer Ernst.

Sonntag 15.04.

Dawn of the Dead / Zombie
(George A. Romero, USA/I 1978) [DVD, OmeU] 3

fantastisch

Zum dritten Mal gesehen. Zum dritten Mal in einem anderen Cut. Nun im Argento-Cut ist er mir noch mehr ans Herz gewachsen, was wohl aber nicht an den manchmal etwas gehetzteren Abläufen lag, sondern weil die Eigenheiten von DAWN OF THE DEAD sich mir zunehmend als Schönheit offenbaren. Vll wirklich einer der hellsichtigsten Filme über die conditio humana.

California
(John Farrow, USA 1947) [blu-ray, OmeU]

großartig

Zwischendrin vergisst Farrow kurz, dass er einen patriotischen Western über das junge Kalifornien dreht. Beginnen tut alles mit einem Werbevideo, dass die Schönheit des Landes preist. In Abstraktionen verlieren sich hier die Bilder zuweilen, wenn die Kamera einem irrealen Wagentreck entlangfährt, der alle Widrigkeiten der ersten Siedler aufzeigt, oder wenn die Menschen vorgeführt werden, die dem Goldfieber verfallen sind. Die Auflösung ist dann ein politischer Thriller, der dem zu Beginn vorgeführten Traum von Kalifornien zu seinem Recht verhilft. In Dialogen wird ausgebreitet, dass dieses großartigste Land der Welt nicht gefragt werden soll, was es für einen tun kann. Sondern jeder tut, was er für sein Land und gegen die Usurpatoren von Eigenwille und Tyrannei tun kann. Doch Kalifornien liegt wie in den USA auch in seinem Film nur am Rand. Während des Trecks nach Westen und während der Akklimatisierung im vorgefundenen Matsch der Provinz gibt es viel zu sehen für einen Psychologen. Eine sadomasochistische, in Stellvertreterkriegen vollzogene Liebesgeschichte zwischen zwei taffen Persönlichkeiten nimmt den Platz hier ein. Zwei Leuten (Barbara Stanwyck schon hier als high ridin‘ woman with a whip und Ray Milland), die im rauen frontier-Gebiet gelernt haben, sich nichts zu gönnen und deshalb alles, was sie Wärme spüren lässt, mit Gift und Galle beantworten. Oder da ist der ehemalige Sklavenhändler, der von seinen unmenschlichen Transportfahrten immer noch terrorisiert wird. Die Verteidigung des amerikanischen Traums in Form von der Verteidigung Kaliforniens gegen einen Staatsstreich wird die zwischenzeitliche Perversion in den unbändigen Dialogen zähmen und unter den Tisch fallen lassen. Aber trotzdem befindet sich im Herzen von CALIFORNIA nicht nur ein hoffnungsvoller Idealismus, sondern auch Menschen, die in diesem Traum emotional verkrüppeln.

Derrick (Folge 81) Kein Garten Eden
(Günter Gräwert, BRD 1981) [DVD]

großartig

Günter Gräwerts DERRICK-Debüt ist auch eine Frischzellenkur für die Serie. KEIN GARTEN EDEN deutet an, dass er der Ersatz für Wolfgang Becker werden könnte, der noch in einem knapp 100 Folgen dauernden DERRICK-Hiatus steckt (seit Folge 44). Aufgebrochen und bereichert wird der sich unter den fünf derzeitigen Hauptregisseuren (Ashley, Brynych, Grädler, Vohrer und mit einigen Abstrichen Haugk) verfestigende Stil merklich.
Harry bekommt beispielsweise einen jugendlicheren Anstrich. Ungeduldig fährt er Stephan ins Wort und dringt auf Gerechtigkeit und die Festsetzung eines Mörders. Noch mehr gleicht Derrick im Angesicht seines unruhigen Partners einem kafkaesken Buddha, der all die affektgeladenen Leute um sich erträgt. Und in KEIN GARTEN EDEN gibt es viel auszuhalten. Neugierige Nachbarn, Tatverdächtige, die wie Zwölfjährige am Rockzipfel ihrer Mutter hängen, Mütter, die ihren Söhnen keine Schranken aufweisen können, Briefe, die es vll nie gab, die aber vll auch nur versteckt wurden, Leute, die ganz offensichtlich lügen und/oder nicht alles sagen und lieber mit Dreistigkeit das Unwahrscheinliche, was sie erzählen, zur Wahrheit machen wollen, Leute, die nicht nachgeben können, Leute, die alles freundlich schlucken, Leute, für die alles nur ein Spiel ist, Leute, die die, die sie lieben, enttäuschen … kurz, es strotzt nur so vor Leuten, deren Oberfläche ganz sympathisch ist, die sich das Leben aber gegenseitig zur Hölle machen.
Es ist wieder ein Krimi, der weniger von Mord und Tätern handelt, als von einer BRD voller zwischenmenschlicher Kälte. Die Mise en Scène quetscht die Menschen zuweilen verquer ineinander oder operiert mit Spiegeln, die das Bild Richtung Kubismus tragen. Es passieren immer wieder unnütze, rumliegende Dinge – die falsche Handtasche wird gegriffen oder Telefonanrufe beantwortet, die nichts zur Sache tun. KEIN GARTEN EDEN ist von einem ständigen Durcheinander geprägt. Aber ganz sanft ist es. So sanft wie WISH YOU WERE HERE, dass vereinsamte Menschen zusammenbringen wird.
Aber auch die Musik ist es, die keinen Mittelpunkt bietet. Hits der 80er Jahre im 10-inch Dance-Mix überdecken jedes Wort eines ewig gestrig wirkenden Derrick bei einer Modenschau, Pink Floyd wärmen die Herzen, Cool Jazz feiert eine so verlockend wirkendende Vergangenheit … oder es gibt dadaistische Avantgardejazz eines gebrochenen Mannes, der mit seiner Trompete den Drumcomputer und das Leben anheult … was einen daran erinnern kann, wie nah KEIN GARTEN EDEN trotz seiner Sanftheit am Nervenzusammenbruch gebaut ist. Und dann gibt es den brutalen Heimatfunk ebendieses Mannes. Musik aus der Hölle zwanghaften Glücks. Am Keyboard produzierter Konservenschlager, der Hipness mit Gemütlichkeit kreuzen möchte und doch nur eine gräuliche Deformation entstehen lässt.
Gräwert bricht mit der Tradition von Abspännen, die sofort mit dem gerade möglichgemachten Spannungsabbau einsetzen. Statt einem punktierten Schlag zu setzen, dürfen Stephan und Harry noch die biedere Lehre offenbaren, während sie nach Hause schlendern … und dann setzt diese Musik wieder ein, dieser Heimatfunk ohne Groove. Musik, die der scheinbar wieder installierten Ordnung das Klima eines entsetzlichen Krampfes gibt. Es ist so Einiges los in KEIN GARTEN EDEN, diesem Garten voller reichhaltigem Wildwuchs.

Sonnabend 14.04.

Détective / Detective
(Jean-Luc Godard, F/CH 1985) [DVD, OmU] 3

großartig +

Lotti Z. (2 Jahre) besitzt ein kleines Kuscheltier. Einen Affen, der in seinem linken Arm einen Lichtsensor hat. Wenn sich jemand in seiner Nähe bewegt, dann sagt er Sätze wie: Hmm, du riechst so gut; Wenn ich dich wiedersehe, bekommst du einen dicken Schmatz; oder: Du bist die Einzige für mich. Vorgefertigte Formeln, die er auch während meiner Sichtung von DÉTECTIVE im Nebenraum hörbar aussprechen musste, sobald sich wieder eine Wolke vor die Sonne schob. Es hat sehr gut gepasst, denn auch Godard lässt seine Figuren immer wieder zwanghaft mehr oder weniger kryptische Dinge sagen, ob sie nun passen oder nicht. In Anwesenheit des Affen wirkten die Leute nur noch mehr wie Gefangene eines wirren Professors, der absurd und schön persönliche Schicksale, symbolische Diskussionen über Geschichten, Wahrheit und Zeit und riesige Tobleroneriegel zusammenwirft.

Tôkyô boshoku / Tokio in der Dämmerung
(Ozu Yasujirô, J 1957) [DVD, OmeU] 2

fantastisch

Neben A HEN IN THE WIND ist Ozus letzter Schwarz-Weiß-Film vll einer seiner düstersten Filme. Es gibt auch hier diese herzzerreißenden trademark-Augenblicke, wenn jemand zwar sagt, dass alles in Ordnung ist, aber dies nur mit der letzten Kraft über die (meist lächelnden) Lippen bringt. Hinzu kommen aber fast schon explizite Besuche in einer Abtreibungsklinik und den Sprung vor einen Zug. Das Tatsächliche ist zwar auch hier nicht zu sehen, aber TOKYO TWILIGHT wagt sich sehr nah an diese Momente, die im Werk Ozus und Naruses wie schwarze Löcher wirken: Momente, wo so viel Affekte, Leid und Schmerz sich auf einem viel zu kleinen Platz versammeln und die deshalb nicht abbildbar, vll sogar wahrnehmbar sind; Momente, auf die sich nur zubewegt werden kann und die sich redend und schweigend – am besten mit Alkohol – retrospektiv zurückgelegt werden; Momente, die entweder in der engen Ordnung/Poesie des Films Ausdruck finden oder die Figuren dazu bringen sich noch mit engeren Lebensentwürfen abzugeben … den Grad der Niederschmetterung so selbst wählend.

Freitag 13.04.

Another Day, Another Man
(Doris Wishman, USA 1966) [DVD, OF]

großartig

Wie so oft bei Doris Wishman in den 60er Jahren sind es drei Filme, die hier angeschaut werden können. Einmal ist da die Geschichte, welche die Tonspur und der Schnitt den – zufällig gefundenen (manchmal hat es zumindest den Anschein) – Bildern aufzwingen wollen. Hier ist es die Gegenüberstellung zweier Frauenschicksale. Die eine prostituiert sich ganz willfährig für ihren Zuhälter. Die andere macht es widerwillig und voller Zweifel um genug Geld zu erarbeiten, um ihren erkrankten Mann gesund pflegen zu können. Die Sprechenden sind oft nicht im Bild und die gesprochenen Sätze stolpern dabei hölzern aus fremden, unauffindbaren Mündern. Die Dialoge fühlen sich folglich wie Eindringlinge an, welche die Aufnahmen mit dem Ausdruck moraliner Ideologien überziehen.
Die Bilder selbst erzählen aber viel neugieriger. Auf Topfpflanzen zoomt oder schwenkt die Kamera wiederholt. Das wenige Interieur der kahlen Wohnungen wird oft mit demselben Interesse vom Bildsucher aufgegriffen, wie die sich entkleidenden Körper der Frauen. Die Sicherheit, mit der Erotik und Sex in der Erzählung Zerstörer sind – zumindest solange die Leute ihr mit solch verklemmter Spießigkeit begegnen, wie sie es in ANOTHER DAY, ANOTHER MAN tun – diese Sicherheit ist in den Bildern nicht zu finden. Wie die Körper angefahren werden, steckt darin so viel Lüsternheit, wie dort auch die Ahnung oder das Wissen um eine Ermächtigung der Frauen durch diese steckt. Wie die Kamera diese immer wieder aufnimmt und anschaut, es scheinen auch Versuche zu sein, herauszufinden, was diese ausmacht … die nackten Körper, die Pflanzen oder die anderen, die leblosen Dinge.
Und dann ist da eben der ANOTHER DAY, ANOTHER MAN, der doch eine Einheit ist. Der Film, der durch den Glauben entsteht, dass hier ein Autor hauptverantwortlich ist (written and directed by Doris Wishman). Der Glaube, dass dies nicht zwei Potentiale sind, die zusammen ablaufen und sich voller Echos und Dissonanzen ins Verhältnis setzen, sondern dass dies eine Einheit sein könnte. Der wunderschöne oder auch erschreckende Gedanke, dass all dies Widersprüchliche in einem Herz platzen hat.

Donnerstag 12.04.

Niemand weint für immer
(Jans Rautenbach, ZA/BRD 1984) [VHS]

großartig

Das Hauptdarsteller Howard Carpendale zwei Schnulzen zu NIEMAND WEINT FÜR IMMER beisteuern darf, ist nur passend, denn im Kern ist der Film auch eine ebensolche. Wildhüter Steve (Carpendale), dessen Freundin gerade nach England gegangen ist, lernt in Johannisburg Suzi mit Z (Zoli Marki) kennen, verbringt glückliche Tage mit ihr und muss später vergeblich am Flughafen auf sie warten, weil das Schicksal etwas Anderes vorhat. Armer Howie, der du dieses Werbevideo für gebrochene Herzen erleben musst.
Und schon zu Beginn wird der Schmalz ins verstrahlte Gebiete getragen. Tieraufnahmen, endlose Tieraufnahmen in der südafrikanischen Wildnis zu Synthesizermusik von heroischer Unschuld. Dann der Schnitt nach Johannisburg und die Musik verstummt. Denn NIEMAND WEINT FÜR IMMER ist eben auch der Film von Suzi mit Z. Durch die Schulden ihres Vaters (Siegfried Rauch) wurde diese in die Prostitution gezwungen. Mit Steve findet sie das lang ersehnte Glück, doch die Unschuld des Tierreichs herrscht nicht in der Stadt. Der Spaß hier, abseits von dem unschuldigen mit Howie, ist derber, verzweifelter, resignierter. Das Blut überfahrener Sexarbeiterinnen, die aussteigen wollten, das Blut säumiger Schuldner, es ziert zuweilen diese Seite der Geschichte. In das sanfte Melodrama über ein fragiles Glück dringt immer wieder ein Exploitationthriller, der auch gerne Perspektiven unter ein getuntes Auto durch wählt, sodass uns die unzähligen protzigen Auspuffe des Vehikels direkt vor der Nase hängen.
Passend ist diese Perspektive auf einen Moloch auch. Schwarzafrikaner sind immer wieder zu sehen, meist in Dienertätigkeiten. Nur einmal läuft ein solches Paar in freier Laufbahn durch die Stadt. Die Perversion der Apartheid läuft unkommentiert nebenher, als ob es nichts Aufregendes wäre. Ganz ungewollt ist dieser Moloch noch ein größerer als er es zu wissen scheint.

Mittwoch 11.04.

Derrick (Folge 80) Am Abgrund
(Helmuth Ashley, BRD 1981) [DVD]

großartig

Derrick darf mal wieder des Öfteren versteinert in Gesichter starren. Sei es, weil sie ihn anlügen, oder sei es, weil dieser Blick Ausdruck seiner harten, aber verständnisvollen Hand ist, mit der er einem Alkoholiker die Seele rettet. AM ABGRUND ist dabei vor allem die Show von Klaus Behrendt als ehemaliger Lehrer Jakob Hesse, der Kneipen und Bekannte abklappert, um an einen Tropfen Alkohol zu kommen, der ungewaschen in einer Abstellkammer mit Matratze schläft, der betrunken etwas Leben entwickelt, aber immer noch mit all dem Kram in seinem Kopf kämpft. Viele kleine Highlights finden sich nebenher, wie der ewig nörgelnde Nachbar Hesses, die seltsamen Gestalten im Hintergrund der Bars, Anton Diffring als Zuhälter mit nicht weniger schmierigem Sohn, die garstig, humorlose Stellung des Täters uswusf … das Verständnis dieser Folge aber, es liegt gänzlich bei diesem siffigen Verlierer.

Sonntag 08.04.

Lunch Hour
(James Hill, UK 1963) [blu-ray, OmeU]

großartig

In einem Betrieb lernt ein Manager eine Zeichnerin kennen, in einem Umfeld ständiger Anzüglichkeiten. Es ist Liebe auf den ersten Blick und LUNCH HOUR nutzt diese Liebe für einen langgezogenen practical joke. Der frisch verliebte Mann, der zu beiderseitigem Leidwesen schon verheiratet ist, möchte seine Gefühle besiegeln, in dem er auch einmal abspritzt, aber irgendetwas wird sich immer im Weg befinden. Voller Freude lässt LUNCH HOUR seinen fickrigen Protagonisten mit den ehrvollen Gefühlen leiden und gleicht einem immer irrwitzigeren Fließband tiefenverzichtenden Lustverhinderung.

Derrick (Folge 79) Der Kanal
(Helmuth Ashley, BRD 1981) [DVD]

gut

Seit den Folgen von 1977 warte ich, wann der erste Punk seine Aufwartung in DERRICK macht. Nun 1981 ist es passiert, zwei von ihnen laufen durchs Präsidium, während zwei Vertreter der Vätergeneration ihnen ohne Verständnis hinterherschauen. Genauso wie sie kein Verständnis für ihre eigenen Kinder haben, die nicht mit fester, unbarmherziger Hand gegen die gemeinsame Affäre ihrer Ehepartner vorgingen. Wie so oft ist DERRICK so auch ein Ausdruck eines für beide Seiten schmerzhafter Generationenkonflikt. Überall Leute zwischen denen sich unüberwindbare Barrieren befinden.

Le testament du Docteur Cordelier / Das Testament des Dr. Cordelier
(Jean Renoir, F 1959) [DVD, OmeU]

ok

Ab dem Moment, wo sich die Offenbarung abzeichnet, dass der hagere und wenig charaktervolle Dr. Cordelier (der Dr. Jekyll von LE TESTAMENT DU DOCTEUR CORDELIER) und der hemmungslose, triebgesteuerte Mr. Opale (der Mr. Hyde von LE TESTAMENT DU DOCTEUR CORDELIER, der interessanterweise im Aussehen und Handeln Harpo Marx gleicht) ein und dieselbe Person sind, dann entwickelt sich in LE TESTAMENT DU DOCTEUR CORDELIER etwas Stimmung und Horror, wenn die Perversion hinter der Fassade des guten Doktors kenntlich wird. Davor und danach weiß ich nicht so recht, was ich mit dem umständlichen Auf- und Abbau anfangen soll, die wohl nur für die Figuren des Films Aufregungen beherbergen.

Eyes Wide Shut
(Stanley Kubrick, UK/USA 1999) [blu-ray, OmeU] 2

fantastisch

Je mehr sich THE FLORIDA PROJECT dem Ende nähert und je dramatischer er wird, desto öfter sehen wir einen Hinterkopf vor der Kamera. Das spannungsgeladene Geschehen, dem diese Person gegenübersteht, können wir über ihre Schulter mitverfolgen. Da wir das Gesicht aber nicht sehen können, sind die Gefühle der Person lediglich zu erahnen. EYES WIDE SHUT setzt seine Hinterköpfe in Form von Wagen ein, die vor der Kamera herfahren, in Form von Rücken, die Räume betreten und durchschreiten, und Gesichtern hinter Masken. Da wo THE FLORIDA PROJECT seine Intensität mittels seiner Hinterköpfe noch verschärft, da erhält EYES WIDE SHOT so eine gleitende Ratlosigkeit. Doch auch, wenn sich der Einsatz unterscheidet, das Ergebnis ist das Gleiche. Was in den Leuten vorgeht, bleibt (zeitweise) rätselhaft … und da Ahnungen Platz für jede Menge Möglichkeiten lassen, hinterlassen vor allem die erschreckenden Potentiale ihren Eindruck. Dieses Bangen verdichtet sich dergestalt in EYES WIDE SHOT für Dr. Bill Harford (Tom Cruise) zu einem Alptraum von der Qualität, wie wenn wir uns nackt in der Öffentlichkeit wähnen.
Denn Kubricks Film ist auch eine Ballade auf (männliche) Unsicherheit in Bezug auf Sexuelles. Wenn Dr. Bill sich irgendwann mitten unter maskierten Leuten befindet, die steife Rituale der Lust vollziehen und sich ausschweifend ihrer Sexualität hingeben, sprich überall in der Öffentlichkeit einer Villa ficken, dann wird alles mehr oder weniger seine rationellen Erklärungen bekommen … auch wenn diese löchrig bleiben. Doch die verschwörungstheoretische Phantasie von reichen, einflussreichen und bedeutenden Personen, die mehr oder weniger diabolische Gruppensexpraktiken vollziehen und die möglicherweise für ihre Anonymität über Leichen gehen, ist weniger der springende Punkt. EYES WIDE SHUT portraitiert seinen Protagonisten durchgängig als Spießer. Vor der passiv-aggressiven Unzufriedenheit seiner Frau (Nicole Kidman) verschließt er die Augen, weil sie kaum mehr als Accessoire zu seinem großbürgerlichen Leben ist, wie er auch vor sich, seinen Gefühlen und Wünschen die Augen verschließt. So zeigen zumindest seine Antworten in Streits eine bewusste oder unterbewusste Mauer auf, die ihn nur das antworten lässt, was er für sozial angebracht zu halten scheint. Aktiv und passiv wird Dr. Bill Teil von diversen sexuell konnotierten Begebenheiten sein, doch er wird nur einmal Sex haben. Mit seiner Frau … noch dazu in der Nähe eines Spiegels, in dem er sich seiner versichern kann. Überall steht er Perversion und Lust gegenüber und zu nichts lässt er sich hinreißen. Und wenn er dann alles so gemacht hat, wie ihm zugetragen wurde, um Teil dieser mysteriösen Lustsekte zu sein – er hat eine Verkleidung, wie alle anderen auch, er hat das Kennwort an der Tür gesagt, er handelt nicht ungewöhnlich – dann wird er trotzdem als nicht dazugehörig erkannt – augenblicklich. Erkannt steht er dann vor den maskierten Göttern des Sex und jeder weiß, dass er keine Ahnung hat, worum es bei der Lust eigentlich geht. Es ist nicht der Traum, wo wir nackt vor anderen stehen, sondern wo alle sofort erkennen, dass wir keinen Schimmer davon haben, was wir eigentlich hier tun mit unseren unheimlichen Gefühlen.
Kubrick hat bekanntermaßen ewig an den Szenen probiert und sie immer wieder durchlaufen lassen. Nicht um zu bekommen, was er will, sondern um zu schauen, was alles möglich ist, was alles in den geschriebenen Momenten stecken kann. Kubricks Kontrollfanatismus wie dies Suchende erfüllen EYES WIDE SHUT zu jedem Moment. Sich durch ein Unterbewusstsein tastende Leute gefesselt in einem kalten Stil. Sich ausbreitende Szenen voller Implikationen und möglicher Wege, die (zumeist von Schnitten) an die Kandare genommen werden und zurück in eine Bahn gelenkt werden. Dr. Bills Auflösung in seiner Unsicherheit sowie seine Verklemmung beherrschen das Bild.

Sonnabend 07.04.

The Informer / Der Verräter
(John Ford, USA 1935) [blu-ray, OmeU]

großartig +

In THE INFORMER kann beobachtet werden wie ein Typ, der nur aus Muskeln besteht, aber nicht der Hellste ist, wie dieser also ständig die falschen Entscheidungen trifft. Teilweise ist es wahrlich eine Tortur, dies zu verfolgen. Auch weil zu erahnen ist, dass er das Ausmaß seiner Fehlentscheidungen nicht verstehen wird. Er verrät seinen Freund, einen IRA-Mitstreiter, an die Polizei um sich den Transport in die USA für sich und seine Freundin leisten zu können, um mal wieder was zu essen zu haben, um wer zu sein. Doch die Schuld lässt ihn in der zu sehenden Nacht saufen … wie ein Fass ohne Boden. Was die Einschätzungen der kommenden Situationen nicht erleichtern wird. Die nächtlichen Gassen von Dublin bilden mit ihren Schatten, ihrem Nebel und dem wenigen Schlaglicht den Hintergrund für die Geschichte eines biblischen Judas‘, der Schuld um Schuld auf seinen Stiernacken lädt und entsprechend seines Namens – Gypo Nolan, was sich wie ein Mischung aus Clown und Hypo anhört – zwischen Freude, Angst und Unverständnis hin und her fällt, ohne dass er diesen etwas entgegensetzen könnte. Aber THE INFORMER ist auch ein Film, in dem der Kampf der IRA ein bitterer ist. Von Paranoia sind die Führer zerfressen. Manche sind geil darauf Recht und Ordnung mit Gewalt durchzusetzen. Und mit dem großen Ziel wird immer wieder gerechtfertigt, dass die Menschlichkeit viel zu kurz kommt. Gypo wird in der Kirche schließlich Vergebung finden, aber der Widerstand gegen das britische Regime, so groß und gerechtfertigt er ist, wird diese Vergebung nie erhalten. Nicht, weil Ford nicht sichtlich auf der Seite der IRA stehen würde, sondern weil dies erst im Tod möglich ist. Denn THE INFORMER ist ein John Ford Film durch und durch. Das Gezeigte ist von Ambivalenz, Unsicherheit, Zweifel und Schuld bestimmt. Dagegen gibt es nur eiserne Disziplin, wie ihn die Führer der IRA stählern in den Film tragen, der fröhliche Suff von Gypo Nolan, der THE INFORMER lange zum – aus nüchterner Sicht – schmerzhaften Zirkus macht, Sehnsucht nach fernen Zielen, die auch keine Erlösung bringen werden, oder weinen und beten. Wie ein Stummfilm sind große Teile inszeniert, vll weil einem nur staunen und schweigen in diesem stillen Entsetzen bleibt.

Freitag 06.04.

Daddy’s Home / Daddy’s Home – Ein Vater zu viel
(Sean Anders, USA 2015) [DVD, OmeU]

gut

Sabrina Z. meinte nach dem Film, dass ihr am besten gefallen hat, wie ich, Stiefvater ihrer erstgeborenen Kinder, mich während des Films beständig leidend hinter meiner Decke versteckt habe.

Donnerstag 05.04.

Ready Player One
(Steven Spielberg, USA 2018) [3D DCP, OF]

verstrahlt

Die letzten Blockbuster, die uns Spielbergfilme für die leuchtenden Augen versprachen, also THE BFG, THE ADVENTURES OF TINTIN oder der vierte INDIANA JONES (auch wenn ich Letzteren vll nochmal anschauen müsste), sie alle liefen nicht ganz rund. Sie alle zeigten einen Filmemacher, der gerade die Filme, für die er mal stand, nicht mehr ganz im Griff hat. Mit READY PLAYER ONE nun der Schiffbruch … oder vll eher nur der laue Wind eines übermütigen wie epischen Abenteuers. Stattdessen eine Gerümpelecke mit Ansätzen, Idee und spannenden Dingen, die vom formelhaften Plot – Junge rettet die Welt, durch die Hilfe eines kompetenten Mädchens, dass ihn zu einem besseren Menschen macht … durch die Liebe – überrannt, missachtet, an den Rand gedrängt, ungeachtet gegeneinander in Stellung gebracht oder losgetreten und vergessen werden. In naher Zukunft interessiert sich kaum noch jemand für die Realität. Alles soziale Leben von Bedeutung findet in einer virtuellen Realität, in einem fast grenzenlosen Computerspiel à la SECOND LIFE namens Oasis statt. Und READY PLAYER ONE handelt von der Reue des Schöpfers – Mark Rylance als wie ein Heiliger verehrte Kreuzung aus Keanu Reeves‘ Ted und Bill Gates. Seine Reue über verpasste Chancen. Mittels eines dreiteiligen Rätsels in seinem Spiel lässt er die Hauptfiguren des Films das erleben, was er sich durch Angst vergab. Es ist so auch ein Film über den Horror vor sozialen Situationen im Allgemeinen und der Liebe im Speziellen. Gerade da der Wunsch die eigene große Liebe zu küssen, mit einem Besuch in THE SHINING gleichgesetzt wird. READY PLAYER ONE ist ein Film über Vereinsamung und in seinem Plädoyer gegen diese, gerade ein Ausdruck der panischen Angst davor. Es geht aber auch um die Reue des Schöpfers über seine phantastischen Welten selbst, dargestellt u.a. durch sein kindliches Ich, dass er in der virtuellen Realität zum ewigen Computerspielen verdammt hat und dass jämmerlich aufschaut, sobald wir das entsprechende Level dieses Computerspiels erreicht haben. In wehmütigen Bildern wird die Enttäuschung verhandelt – wie nebenher, wie alles Spannende mehr nebenher eine Rolle spielt – mit der Rylance (und wohl auch der Regisseur Spielberg selbst) auf sein Werk schaut und was andere damit machen. Denn die Oasis ist ein Ort grenzenloser popkultureller Referenzen. Aber die Liebe zu diesen wird lediglich mittels des Fetischisierens leblosen Wissens und lebloser Dinge betrieben. Die Angst, um die es geht, ist auch eine apokalyptische. Die deprimierende Vision einer Welt, die wehrlos vor die Hunde geht, weil sich nur noch Spielen hingegeben wird, bestimmt durchaus das Geschehen. Es ist aber ebenso ein Film über den Spaß an phantastischen Welten. Die THE SHINING-Sequenz mit ihren ganzen liebevollen Details oder ein wildes Autorennen gegen King Kong sprechen hier Bände. Es muss nur eine Rückkopplung zum Leben oder einer Geschichte haben. Die Liebe zu all dem, was auch verteufelt wird, deren positiven Potentiale, sie sind auch da. READY PLAYER ONE ist ein Film in dem Message und Sein, Realität und Bewertung dieser sich die ganze Zeit angehen und angreifen. Ein Film, in dem die Bilder von Janusz Kaminski handwerklich gekonnt entworfen sind, aber in denen alles ohne plane Fläche auszukommen scheint, wo immer Unruhe und eine Masse an Details auf einen einwirkt. Vll macht READY PLAYER ONE als Essayfilm mehr Sinn, also als etwas in der Richtung eines Films von Jean-Luc Godard, als ein Mikadohaufen eben, als Anti-Blockbuster in Form eines Blockbusters.

Mittwoch 04.04.

The Florida Project
(Sean Baker, USA 2017) [DCP, OmU]

großartig +

Manchmal kann ein Detail alles ändern. Würde THE FLORIDA PROJECT beispielsweise extradiegetische Musik benutzten, könnte alles kippen. Aus Moonee (und ihrer Mutter Halley) könnten per zauberhaften Indiepop Helden werden. Wehmütige Streicher könnte sie hingegen zu Opfern machen … selbst wenn sich sonst nichts geändert hätte. So kommt die Magie der Musik erst in der letzten Szene, als Rettung vor einer Realität, die erst in den letzten Minuten brutale Konsequenzen auffährt und ein melodramatisches Jammertal entstehen lässt. Davor: kleine Episoden oder kaum mehr als atmosphärisch zusammenhängende Dokumente aus dem Leben einer Sechsjährigen … irgendwo in der Einzugsschneise von Disney World, an einem Rand der Gesellschaft den THE FLORIDA PROJECT in dem schlechten Witz einer Realität installiert. Grelles Lila bestimmt die Farbpallette. Die Authentizität wird immer wieder in Kontrast zu einer Lebenswelt gestellt, die für einen Ulk, einen Alptraum oder MONKEY ISLAND entworfen zu sein scheint … oder für all das auf einmal … und doch tatsächlichen Gegebenheiten zu entsprechen scheint. Die Farben und Entwürfe der Wohnungen, Hotels, Restaurants und Läden verbinden comichaft überzogenen Touri-Kitsch mit Ghettorealität. Im angrenzenden ländlichen Idyll liegen Design und Rückeroberung ungenutzter Hauser und Flächen durch die Natur direkt nebeneinander. Überall Verwahrlosung und bittere wie klischeehafte Übererfüllung der Wünsche und Möglichkeiten eines eskalierenden Kapitalismus, des eskalierten american way of life – nach unten tretend, nach oben alles in Zuckerwatte packend – in einem Topf. Die sozialen, elterlichen und menschlichen Gegebenheiten bleiben in dieser grotesken Realität ohne die Musik unkommentiert. Weshalb alles, was wir von der kleinen Moonee sehen, gleichzeitig Ausprägungen von kindlicher Unschuld und bedenklichen Lebensumständen bleibt, von Freiheit und Verwahrlosung, von Schönheit und Schrecken. Das Schöne wie Brutale von THE FLORIDA PROJECT ist, dass es uns dies einfach nur zeigt.

Dienstag 03.04.

Derrick (Folge 78) Eine Rechnung geht nicht auf
(Helmuth Ashley, BRD 1980) [DVD]

gut

Arthur Brauss ist super, wenn er als unfehlbarer Gangsterboss Recke alle Probleme mit dem Neuen (Willy Schäfer), der ihm vom gegelten Möchtegerngangster Schenk (Tommi Piper) aufgeschwatzt wird, quasi voraussieht und nach einer Folge mittelständigen Leids den Polizeibeamten im Kimono die Tür zu seiner mondänen, geschmackvoll exotisch eingerichteten Wohnung öffnet und irgendwo schon akzeptiert hat, dass er in eine Serie geraten ist, wo die Bösen immer verlieren. Zitat der Woche: Ein guter Schweißer hat immer Gefühl.

Sonntag 01.04.

Meine schwarze Stunde (II)
(Diverse, USA/BRD 1981) [DVD]

ok

Highlight ist die Episode mit dem jungen, noch unbekannten Billy Crystal. Wenn er als hinkender Fußabtreter eine Schminke aus alten Hollywoodzeiten findet, die ihn in Kämpfer, Glückspieler und Unsichtbare verwandelt, dann ist es vor allem spaßig, wie spitzbübig Crystal die unterschiedlichen Rollen spielt und welche Freude er dabei hat.

Derrick (Folge 76) Pricker
(Alfred Vohrer, BRD 1980) [DVD]

großartig

Nach dem missglückten Überfall eines Gefangenentransports spaltet sich diese Folge auf. Derrick untersucht in dem einen Strang den Überfall und dessen Hintergründe, was ihn bzw seine Mitarbeiter in gesetzlose Kneipen und zu Modenschauen bringt. Er begibt sich in eine Welt, wo die Aussicht auf Millionen, alle Klassengrenzen aufhebt. Der fälschlicherweise befreite kleine Trickbetrüger Pricker (Werner Schnitzer) darf hingegen im anderen Teil in der bayrischen Provinz gegen jede Chance glücklich werden. Eine Mutter und ihre erwachsene Tochter nehmen diesen ewigen Verlierer und begossenen Pudel auf und bald wird er schon zu einer Art Ersatzehemann bzw. -vater. Wenn sie ihn über Nacht sicherheitshalber in seinem Zimmer einschließen, dann hat seine Bedürfnislosigkeit, die jede kleinste Zuneigung genießt, keine Probleme damit. Nimmt die ihm gebotenen Gewogenheit an, wie jemand, der sich schon immer nach dieser sehnte, aber sie erstmals bekommt. Während Derrick kaum zusammenhängend durch diverse kalte Lebenswelten tingelt, gibt es hier sonnige Badeausflüge, familiäre Kartenspiele, wo der neue, scheue Mann mit Kartentricks begeistern kann, und einen zusammenschweißenden Kampf gegen die neugierigen Nachbarn. Mit Derricks Blick endet die Folge, wenn er irritiert erkennt, was sich unterhalb seines Radars für Pricker in dieser Folge entwickelt hat: eine zarte Menschlichkeit.

Derrick (Folge 77) Dem Mörder eine Kerze
(Dietrich Haugk, BRD 1980) [DVD]

großartig

Der fehlbesetzte Teil mit Horst Frank als Pfarrer, der auch zu nichts führt, bremst DEM MÖRDER EINE KERZE lange aus. Doch dann wird ein kitschiger Song zum Leitmotiv und bringt eine verschrobene Romantik verlorener Unschuld mit sich … oder Sascha Hehn steht mit einem Mal in der Wohnung seiner Figur, deren Wände vollständig mit Spiegeln und kleinen bis riesigen Glamourportraits seiner selbst vollgehängt sind, und Derrick geht ins Pornokino, wo er, obwohl er alles entscheidende gesehenen hat, mit einem göttlichen Gesichtsausdruck* sitzen bleibt und wirklich, wirklich sauer wird, als Harry ihn rausholt, weil es einen Mord zu verhindern gibt. Vll ist der Pfarrer eben da, damit eine solche Verkommenheit für den armen Derrick einordbar wird.
*****
* Oliver N. zieht in Betracht, dass Stephan Derrick seine erste Erektion haben könnte.

März
Freitag 30.03.

Die Russen kommen
(Heiner Carow, DDR 1968) [DVD]

großartig +

Wieder ein Film dessen Verbot sprechend für die Identität der DDR ist. Denn der von den Nazis verführte 15-Jährige Günter, der gegen Ende des Krieges bereitwillig in den Krieg zieht, passt nicht ins benötigte Menschenbild. Ich glaube, dass das Verbot weniger darin begründet lag, dass diese Hauptfigur sich lange Zeit auf der falschen Seite befindet, obwohl er von Anfang an die Falschheit seiner Zugehörigkeit spürte/hätte spüren müssen. Vielmehr lag es daran, dass DIE RUSSEN KOMMEN sich in einem beständigen, strukturellen Zweifel befindet. Voller Flashbacks ist das Geschehen, voller assoziativer Schnitte (fast schon als sollte Eisenstein nachgeeifert werden). Riesige Bilder in den Bildern gibt es, wenn Günter lächelnd Kohlberg im Kino schaut und seine Freundin sich windet. Unschärfen stellen die Eben ständig zueinander in Position. Der Inhalt ist wie zerrissen und in beständiger Uneinigkeit mit sich selbst. Und wenn dann die großen moralischen Anker entweder verrannt Selbstmord begehen oder Narren spielen, dann bleibt kein Halt übrig. DIE RUSSEN KOMMEN zeigt einem so, wie es für ein Lebewesen eben ist. Und dass konnte nicht sein. Zweifel konnten nicht sein. Denn der richtige Weg war doch eingeschlagen.

Ghost in the Shell
(Rupert Sanders, USA/CHN/HK 2017) [DVD, OmeU]

großartig

Anders als beim Anime – vll lag es an der einsetzenden Müdigkeit bei allen vorangegangenen Sichtungen, aber ich glaube nicht – hatte ich diesmal absolut keine Probleme dem Geschehen zu folgen. Vll lag es daran, dass das Philosophisch-Kryptische nicht so ganz im Mittelpunkt steht, sondern (Ersatz-)Familien. GHOST IN THE SHELL in dieser Version handelt vom Bonding unter Freunden und Kollegen, davon, dass jemand, der schon zweimal durch die Corporatezukunft seinen Familien entrissen wurde, in den Momenten zwischen einer Noir-Verbrecherhatz wieder Familien findet und bildet, davon wie die Isolation des postmodernen Kapitalismus zerstörte Menschen in fragmentierten Körpern zurücklässt und davon, dass jemanden zum Angeln zu haben, ein sehr wichtiges Gut ist.

Licence to Kill / Lizenz zum Töten
(John Glen, UK/J/USA 1989) [DVD, OmeU] 2

gut +

Nachdem der Neustart mit Timothy Dalton das Selbstironische/Comichafte der Moore-Jahre ganz sachte anging – fast so zaghaft, wie es Glen schon in seinen vorangegangenen Filmen mit Moore kaum wagte – da möchte LICENCE TO KILL teilweise etwas ganz Anderes sein. Vll sogar ein Neuanfang, auch wenn es wie in Trägheit gefangen strukturelle Überschneidungen mit den bisherigen Bonds gibt. So haben Felix Leiter und Bond beispielsweise mal wieder einen Quarrel im Schlepptau. Nur heißt er diesmal Sharky. Sterben muss er trotzdem abermals. Es ist also nicht das radikale Neuansetzen von CASINO ROYAL, an dem sich Sam Mendes in den letzten beiden Filmen so abarbeitete. Und doch sollte Bond hier wieder menschlich werden. Wobei Menschlichkeit scheinbar Schmerz und Wut heißt. Seine Ehe wird kurz angesprochen und wie ein Echo muss seine Bromance enden, um Bond wieder auf Rachefeldzug zu schicken. Keine Welteroberung, nur Rache für die Zerstörung von Felix Leiter bildet die Antriebsfeder. Bezeichnenderweise ist es dann aber das Comichafteste, was das Beste an LICENCE TO KILL ist. Nämlich Professor Joe mit seiner Schmierigkeit, seiner Absurdität und seinem Zen der Niederlage.

Donnerstag 29.03.

Ride in the Whirlwind / Ritt im Wirbelwind
(Monte Hellman, USA 1966) [blu-ray, OF]

großartig

Ein Film über Ausweglosigkeit und Warten. Statt der Weite des Westens wird hier alles von Bergen beengt, welche den Unschuldigen vor dem Lynchmob keinen Ausweg lassen. Wie schon in THE SHOOTING ist dieser Westen speckig, schwitzig und karg. Und in seiner unglamourösen Einfachheit werden einem eben nicht viele Optionen geboten.

10 Rillington Place / John Christie, der Frauenwürger von London
(Richard Fleischer, UK 1971) [blu-ray, OmeU]

ok

Der Mord an einer Frau im Zweiten Weltkrieg, der uns das Vorgehen des Serienmörders John Christie (Richard Attenborough) und seinen Fetisch für dieses zeigt, und eine Coda, in der Christies Taten nach Jahren ans Licht kommen und er verarmt als alter Mann gestellt wird, rahmen das Protokoll genau eines seiner Morde und des folgenden Justizirrtums. Die Freude, die 10 RILLINGTON PLACE an diesem einen Fall hat, ist der Umstand, dass zwei notorische Lügner aufeinander losgelassen werden. Der von John Hurt gespielte Timothy Evans ist ein notorischer Aufschneider, der die Luftschlösser seiner Phantasie nur zu gern an den Mann bringt. Und so viel Vorstellungskraft er besitzt, so wenig Sinn und Verstand hat er dafür, die Unglaubwürdigkeit seiner Worte einzuschätzen. So erzählt er auch Leuten, die um seinen Analphabetismus wissen, dass er zum Manager befördert wurde. Unbeholfen will er allen weiß machen, wie beliebt, reich und angesehen er ist. Jede seiner Lügen, ein Trauerspiel. Anders Christie. Der weiß, was er tut. Seine Geilheit aufs Morden zwingt ihn aber immer wieder auf ein Terrain, wo er, den Attenborough als vorsichtigen Anschmieger spielt, Gefahr läuft erkannt zu werden. Jede seiner Lügen, 9 bis 10 Punkte auf der Unannehmlichkeitsskala.

You Don’t Mess with the Zohan / Leg dich nicht mit Zohan an
(Dennis Dugan, USA 2008) [blu-ray, OmeU]

großartig

Ein Zotenfeuerwerk zur Rettung der Welt. Ben Z. (10 Jahre) hatte am Votrag ZOHAN schauen wollen und weil HAPPY GILMORE und KINDSKÖPFE ihm gefielen, griff er zu. Nach ca. 45 Minuten war er nicht mehr im Wohnzimmer zu sehen. Diese Jugend von heute… Aber vll lag es ja nur daran, dass seine Mutter zugegen war. Hoffen wir es.

Mittwoch 28.03.

Léon Morin, prêtre / Eva und der Priester
(Jean-Pierre Melville, F/I 1961) [blu-ray, OmU]

fantastisch

Ganz sachte schält sich heraus, dass LÉON MORIN, PRÊTRE ein Liebesmelodram ist. Wie immer geht es bei Melville um die Besetzung Frankreichs. Denn auch in den Gangsterfilmen scheint Frankreich mit seiner leeren, kalten Straßen, mit der ewigen Not, warten zu müssen, immer noch besetzt zu sein. Nur da es kein Film mit Verbrechern und Auftragsmördern ist, geht es ganz offen um drollige Italiener und überraschend freundliche Deutsche, die den Straßenzügen und der Atmosphäre einer kleinen französischen Stadt im II Weltkrieg einen neuen Anstrich geben. Ganz lakonisch wird vorangeschritten. Erst werden die Kinder der kommunistischen und jüdischen Väter getauft, dann diese aufs Dorf gegeben, wo die Kontrollen geringer sind. Voller Ellipsen und ohne den Drang mehr als das Nötigste zu erzählen, verknappt sich das Geschehen kaum merklich auf die Beziehung von Léon Morin (Jean-Paul Belmondo) und der Witwe Barny (Emmanuelle Riva). Das Gegenstück zu RECKLESS (siehe gestern) beginnt sich dabei zu entwickeln. Die Grenzen des Verzichts werden nämlich nicht durch das Umfeld gezogen, sondern durch zwei sich zölibatierende Figuren, die zu Gott gefunden haben … und von denen eine ihren Fetisch für ihre strenge, lederne Chefin verliert. Statt Scope gibt es passenderweise enges Vollbild. In einer Einstellung geht Barny die Treppe des nicht mehr ganz frischen Hauses hoch, in dem Abbé Morin lebt. Er erwartet sie oben an der Treppe und der Schatten, den sein Kopf wirft, sieht in Verbindung mit dem bröckeligen Putz der Wand wie ein Totenkopf aus. Das zunehmende Verlangen, dass aus den Bildern drängt und kaum verbalisiert wird, hier hat es seinen Todesengel: den katholischen Glauben, das Schicksal. Und so beiläufig wie sich diese Liebe konkretisiert, so sehr gerade das Wichtigste in den weiträumigen Dia- und Monologen nicht an- oder ausgesprochen wird, so sehr liegt es wie ein Schatten über den beiden und umfasst sie mit einem würgenden Griff.

The Shooting / Das Schießen
(Monte Hellman, USA 1966) [blu-ray, OF] 2

großartig +

Andy Cairns, Sänger und Gitarrist von Therapy?, hat mal in einem Interview gemeint, dass er zu den wenigen Leuten gehört, die das Ende von ANGEL HEART nicht voraussehen konnten/können. Das Ende von THE SHOOTING liegt irgendwie immer in der Luft und wenn es dann ruppig und schnell über einen kommt, dann ist nur (der) Andy Cairns (in uns) überrascht. Das Wichtige ist aber nicht das Ziel, sondern der Weg. Der Ritt durch eine Wüste, die sich genauso auf John Ford wie auch Samuel Beckett beruft, die alle Western und Anti-Western-Tendenzen zu einer Suche nach Moral und Identität verschmelzt.

Cop and a Half: New Recruit / Ein Cop und ein Halber: Eine neue Rekrutin
(Jonathan A. Rosenbaum, CA 2017) [TV]

verstrahlt

Eine Möchtegernpolizistin versöhnt einen ehemaligen Vorzeigepolizisten (Lou Diamond Phillips) mit der modernen Technik, wofür sie mit Tipps über Menschlichkeit und Spürsinn belohnt wird. Alt und neu, analog und digital, sie will der neue COP AND A HALF versöhnen … und sieht den einzigen Weg dazu, die Welt aus Trotteln und wahnsinnigen Nerds bestehen zu lassen.

I, Tonya
(Craig Gillespie, USA 2017) [DCP, OmU]

gut

Die Besetzung Tonya Hardings mit Margot Robbie verschleiert durchaus einen essentiellen Part, auch der Storyline. Denn I, TONYA erzählt von einem Fluch, wie die Hauptfigur es einmal im Film nennt. Sie kann nichts außer Eiskunstlauf. Das aber umso besser. Für die guten Platzierungen, und das sagt ihr die Jury mehrmals ins Gesicht, passt sie aber nicht ins Bild von familienfreundlichen Feen, die über das Eis gleiten. Sie, die ihre Kleider selber schneidern muss, die trinkt und flucht und – es ist eine der zentralen Sequenzen, wenn der Sound ihre Energie vermittelt – zu ZZ Top, statt zu klasischer Musik läuft. Sie ist Trashy Tonya … und egal wie authentisch die Frisuren sind und wie eigenwillig das Makeup, Margot Robbie verleiht ihrer Rolle allein durch ihr Aussehen etwas mehr Glanz, als Tonya Harding je hatte. Sie sieht eher nach einer Gewinnerin im familienfreundlichen Jump’n’Run, dass die USA ist, aus. Was Robbie ihrer Figur aber mitgibt, ist Kraft. Sie ist nicht die, trotz allen Muskeln, zierliche Person, die Tonya Harding war. Stattdessen ist sie groß und kantig. Die Schlägereien mit ihrem Mann, das Aufmüpfige, das Laute, all dies lässt I, TONYA nicht zu einer Opfergeschichte werden, sondern bringt die Fronten doch in Stellung. Hier die Snobs und dort die trotzige Unterschicht, die nicht ins Bild passen möchte und trotzdem nach Anerkennung verlangt. I, TONYA ist so weniger Portrait eines eiskunstlaufenden Freaks, als eines der jetzigen USA mit seiner tiefen Spaltung und seinen harten Fronten.
Wenn I, TONYA, dann das erzählt, worauf wir alle gewartet haben, also vom Brechen der Knie Nancy Kerrigans (Caitlin Carver), dann könnte dies zwangsläufigerweise auch als Versuch erscheinen, noch dümmere Figuren als Michael Bay in PAIN & Gain – bezeichnenderweise eine ebenso wahre Geschichte – aufzufahren. Doch statt hier umso perfider die seine Früchte zu ernten und das Geschehen zu einem toxischen Film zu formen, weiß I, TONYA nicht, ob sie die Zufälligkeit oder das Zwangsläufige der Geschehnisse unterstreichen möchte. Etwas Medienkritik wird noch aufgefahren – allein schon die mitlaufende Frage, wie bitter es für Nancy Kerrigan sein muss, einen Film über ihre Rivalin mit einer der angesagtesten Schauspielerinnen Hollywoods erleben zu müssen – aber irgendwann wird dann alles in geordnete Hollywood-Biopic-Bahnen geführt, wo es nur noch um Tonya Hardings Schicksal geht. Denn, bei allen rumplig rumstehenden Ansätzen gerade der ersten Hälfte, I, TONYA interessiert sich kaum für all die Abgründe und Ambivalenzen, die in ihr stecken und gibt sich damit zufrieden postmodern mit Figuren, die in die Kamera sprechen, zu erzählen und diese zu Skurrilität zu machen.

Dienstag 27.03.

Le orme / Spuren auf dem Mond
(Luigi Bazzoni, I 1975) [blu-ray, OmU]

großartig +

Die Angst vor der atomaren Verwüstung, vor wissenschaftlichen Perversionen und übergriffigen Regierungen und/oder Geheimgesellschaften, kurz die Angst vor der Zukunft als paranoide Suche nach der eigenen Identität … in einem kroatischen Urlaubsort, der mit seiner Exotik und Fremdheit den Boden für vielgestaltige Erkenntnisse und psychedelische Welterfahrungen bietet.

Reckless / Jung und rücksichtslos
(James Foley, USA 1984) [DVD, OF]

fantastisch

Eine basslastig-tanzbare Highschoolkomödie als aufwühlendes Melodrama. Von Michael Ballhaus wunderschön aufgenommen, sich in sinnlichen Locations vollziehend, wo mit wenigen Schritten sich Liebende von kühlen, blauen Pools in rote, glühende Heizkeller begeben, mit Aidan Quinns sehnsuchtsvollen Augen und Daryl Hannahs kantiger Verletzlichkeit sensationell besetzt, sperrt RECKLESS Unmengen an Lebenslust in ein enges, kleines Kaff, wo keine Perspektiven für diese bestehen. Alkohol und Arbeit im Bergwerk, das ist alles was von der Aussichtsplattform aus zu sehen ist – mit extra installiertem Fernglas zum Genuß der rauchenden Schornsteine und der Trostlosigkeit – wo Rebell Johnny Rourke (Quinn) seine Nächte todessehnsüchtig verbringt. Während Rourke von der Mutter verlassen mit seinem liebevollen, aber dem Alkohol ergebenen Vater keinen Platz in dieser Gesellschaft findet, hat Tracey Prescott (Hannah) darin to much future. Sie hat liebevolle und reiche Eltern. Zwischen ausbrechen und in Sicherheit bleiben schwankt sie. Die Annäherung der beiden ist zum Scheitern verurteilt, zu brutal zeichnet RECKLESS die Lebenswelt dieses Ortes und doch stecken in dieser zaghaften Liebe, in ihrem Wunsch nach mehr, mit all seinen Potentialen an Schmerz, die großen Gefühle. Es ist wie bei Sirk. Gerade die Unmöglichkeit macht die kurzen Momente, wenn sich die Kamera beispielsweise wie wild um die ekstatisch Tanzenden dreht, so wertvoll, schön und intensiv. Und gerade darin steckt auch das Bittere dieses unvergleichlich bitteren Happy Ends, dass die Überlebenschance eines Schneeballs in der Hölle hat.

Tobacco Road / Tabakstraße
(John Ford, USA 1941) [DVD, OmeU]

verstrahlt +

Zu Besuch in Wanker County. Eine zentrale Dualität im Werk von John Ford ist die Spannung aus Disziplin und Gefühl/Chaos … wobei Letzteres meist den Vorzug erhält. Was passiert, wenn die Disziplin jedoch nicht vorhanden ist, diesen Spaß, der sich wie ein Geschwür anfühlt, zeigt TOBACCO ROAD. Von einer stolzen Südstaatenfamilie wird hier erzählt, die ihre besten Tage schon lange hinter sich hat und hier in kürzester Zeit ihre Schulden bezahlen muss, damit sie ihr Land nicht verliert. In verfallenen Landsitzen und heruntergekommenen Hüten wohnen sie, wo die Moderne nur wie ein fernes Märchen erscheint. Von den Blüten harter Arbeit träumen sie, wenn sie tagelang auf der Veranda liegen und nichts tun. Mit Betrug versuchen sie die zufälligen Ereignisse in ihre Richtung zu drehen … weil die letzte Tochter, die ihnen geblieben ist, nicht für eine Mitgift in eine Ehe verkauft werden kann, da diese mit Anfang 20 schon viel zu alt für die notgeilen Männer ist, die sich mit einem so alten Besen nicht sehen lassen wollen. Wie verzogene Kinder verhalten sie sich und werden teilweise mit einer Impulsivität gezeichnet, die nahe an einer geistigen Behinderung scheinen mag. Symbolisch wird hier ein Auto, das mit einem Erbe gekauft wird, innerhalb von zwei Tagen mittels kompletter Ignoranz vom brandneuen Luxus zur schrottigen Klapperkiste heruntergewirtschaftet. Aber der Stolz von Tobacco Road zu stammen und damit schon etwas zu sein, wird nie vergehen, wie keine Moral oder Lehre diesen Leuten habhaft wird. In einer überdrehten Komödie, die wie gesagt eher schmerzt, rechnet hier Ford mit dem Süden bzw Tendenzen des Südens ab, als ob Al Bundy über die Familie seiner Frau spricht.
*****
Laut dem Außenseiter im Gesichtsbuch wurde Ford durch die Fox dazu angehalten, einen heiteren Ton anzuschlagen, weil sie nicht den düsteren Film haben wollten, der Ford vorschwebte. Was sie bekamen ist so nur umso rabenschwarzer und psychotischer und hat eine Stimmung, die ihresgleichen sucht. Dass TABAKSTRASSE einer der großen Filme der FOX der 40er sein sollte, wirkt wie ein Ammenmärchen. Einen böseren Hollywood-Film kann man sich kaum vorstellen. Wenn Vater Lester am Ende stolz vor seiner vermüllten Veranda sitzt, neben sich eine stinkende Dreckpfütze und sich etwas auf sich einbildet, dass er schon deswegen prädestiniert ist, weil er Amerikaner ist, spürt man den wahren Ford.

Derrick (Folge 75) Eine unheimlich starke Persönlichkeit
(Erik Ode, BRD 1980) [DVD]

nichtssagend

Vll ist es ja auch Teil der Dekonstruktion von Autorität. Die unheimlich starke Persönlichkeit, welche ermordet wurde, habe Unmengen an Feinden, so sagt dessen Frau. Und doch wird die Ermittlung den kleinsten Kreis der Familie nie verlassen. Denn vll war diese unheimlich starke Persönlichkeit eben doch nur ein Schwein zu Hause.

Montag 26.03.

Noroît / Nordwestwind
(Jacques Rivette, F 1976) [blu-ray, OmeU]

großartig +

Roaul Walshs SEA DEVILS von 1953 und Jean Rollins LES DÉMONIQUES von 1974 haben in ihrem Portrait des Schmuggler- und Piratenleben in der salzigen Luft der Atlantikküste in meinem Kopf eine Einheit gebildet. Sie sind für mich ein Double Feature, bei dem der eine von markigen Teufelskerlen erzählte und der andere diese Heldengeschichte als verwestes Echo aus der Zeit wieder aufgreift. Ohne das es große Überschneidungen im Geschehen geben würde, ähneln sich ihr Setting, ihre Helden und die auf sehr unterschiedliche Weise traumhafte Realität … SEA DEVILS ist ein Hollywoodtraum und LES DÉMONIQUES (wohl am ehesten) einer im Geiste von Pierre Souvestre und Marcel Allain. SEA DEVILS strahlt in hellen Farben, LES DÉMONIQUES erhebt sich aus einem tiefen Schwarz.
NOROÎT erweitert dies nun zum Triple Feature. Rivettes Film, auch wenn er im Erzählen näher an Rollin ist, bildet das Bindungsglied zwischen beiden. Auch hier ist die Lebenswelt aus der Zeit gefallen und die Leute handeln eher seltsam, als heroisch, aber doch wirkt es weniger aus dem Sumpf gezogen. Das Blau des Himmels und die Weite der Landschaft/des Meeres künden von Schönheit und Ruhe, wo nur die theatralischen Leute stören, die eine psychopathische Herrschaft über ihre Bande pflegen (Bernadette Lafont als Giulia) oder Racheplots an dieser planen (Geraldine Chaplin als Morag). Das zu Sehende könnte mit seinen elegischen Monologen ein Shakespeare-Drama sein, aber dafür berauscht sich NOROÎT zu sehr an Fleischlichkeit, an dem entspannten Asozialen der Bande und dem Nichts, der hier nicht mehr hinter der Epik zu finden ist, sondern sie essentiell ausmacht. Sprich die Leute sitzen zu behäbig rum und machen noch die routinierteste, nichtigste Handlung zum Ausdruckstanz.

The New Centurions / Polizeirevier Los Angeles-Ost
(Richard Fleischer, USA 1972) [blu-ray, OmeU]

großartig

Nach THE NEW CENUTRIONS würde einem vll etwas SERPICO guttun. Denn es wird aus der Sicht der Polizisten erzählt und keiner von ihnen meint es übel, ist korrupt oder gar rassistisch. Als Boten des Gesetzes fühlen sie sich, die die Gesetze, soweit es möglich ist, für die Menschlichkeit biegen, aber manchmal eben auch durchgreifen müssen, in Panik oder seelischer Resignation Mist bauen und sowieso täglich ihr Leben riskieren. Die melancholischen Sonnenaufgänge, die neonerleuchtete Nacht und die schalen Tage sprechen von einer Existenz, die in Isolation und Selbstmord enden kann, weil niemand mit einem sein Leben verbringen möchte. Und so steckt in jedem Lachen stets etwas Niedergeschlagenes, dass dieser undankbare Job mit sich bringt. Das Problem oder besser gesagt das Spannende dabei ist, dass THE NEW CENTURIONS neben diesem Mitgefühl den Job des Polizisten als Sucht erzählt. Das gemeinschaftliche, fröhliche Durchstehen des sinnlosen Vorgehenmüssens gegen die Prostitution gemeinsam mit den Prostituierten, wo Festnahmen nur symbolische Landpartien sind; der Nervenkitzel gegen die blank liegenden Nerven in sozialen Problemzonen mit Witz und Durchsetzungsvermögen vorzugehen, was manchmal in Spaß endet, manchmal auf Intensivstationen oder einem Traumata verpasst; der ständige Wechsel aus Gefahr und dem Glauben daran etwas Gutes zu tun; die durchgemachten Nächte und das Schweben durch eine fremde Realität am Tag; all dies macht Roy (Stacey Keach) abhängig von seinem Job und wird ihn letztendlich in den Alkoholismus treiben. Der Idealismus mit dem hier auf Polizeiarbeit geschaut wird, er hat auch ohne die verdrängten Seiten des Polizeiapparats etwas zutiefst Desillusioniertes, dass ohne umfängliche Geschichte in den lose verbundenen Episoden immer geknickter an die Oberfläche möchte.

Going My Way / Der Weg zum Glück
(Leo McCarey, USA 1944) [stream, OmU]

ok +

Bing Crosby darf hier, wie Roy Black später in KINDERARZT DR. FRÖHLICH, das Ave Maria anstimmen, um seine Gemeinde in Seligkeit zu wiegen. Auch er kommt als Retter darnieder, der aber weniger missgünstige Leute ertragen muss. Mit etwas Gesang und Weltlichkeit befriedet er Jugendbanden, hilft den Verlorenen und schreibt Hits, die wie er die Welt vereinen. Das Ave Maria fällt dabei nie in den sentimentalen Irrsinn des Kinderarztes.

Sonntag 25.03.

Meine schwarze Stunde (I)
(Diverse, USA/BRD 1981) [DVD]

nichtssagend

Horrorkurzfilmanthologie, welche ein Best of der THE TWILIGHT ZONE-artigen Serie DARKROOM darstellt. Statt James Coburn als Moderator gibt es eigens produzierte Einspieler mit Carl Heinz Schroth, der in seiner Art die Filmchen gut zusammenfasst. Denn Horror scheint für ihn am besten durch resignierte Langeweile darstellbar zu sein.

Der Frühling braucht Zeit
(Günter Stahnke, DDR 1965) [DVD]

großartig

DER FRÜHLING BRAUCHT ZEIT beginnt im Privaten, in einer Familie, im Streit und Zetern, auf der Suche nach einem ruhigen Leben. Was hier schief liegt, dass wird im Folgenden ausführlich geklärt werden und dies ist politischer Natur. Der Frühling auf den gewartet wird, dass ist dabei nicht nur der, der das Gas in den Leitungen der Energievorsorge schmilzt – denn Günter Stahnkes Film spielt im Milieu von Ingenieuren – sondern auch der der Utopie des realexistierenden Sozialismus. So wie er in der DDR 1965 herrscht, so ist er jedenfalls nicht zu erreichen, dass scheint nach DER FRÜHLING BRAUCHT ZEIT festzustehen. Hinter den karrieregeilen Funktionären (vor allem einem Honecker nicht unähnlich sehenden) wehen oft die Fahnen der DDR, der FDJ usw und genau diese Leute sind es, die das Glück, die Menschlichkeit, das Zusammenleben in ihrer Borniertheit torpedieren. Mit einer kurzen Regel wird, grob gesagt, inszeniert: Je epischer die Einstellung, je höher die Position des Eingefangenen, je höher der Grad der eigenen machtverliebten Verblendung. Je gebrochener die Abläufe, je komplexer, je menschlicher der Idealismus der Portraitierten. Die mit den Funktionären Kämpfenden, die Bürger der DDR, sie sind resigniert, geben sich dem Alkohol hin oder wirken wie Don Quichote. Die DDR in a nutshell, was zwangsläufig verboten werden musste.

Get Out
(Jordan Peele, USA 2017) [DVD, OmeU]

großartig

Chris (Daniel Kaluuya) kratzt in GET OUT wiederholt an den Armlehnen eines Ledersessels. Zunehmend kommen dabei die weißen Wollfasern unter dem Überzug zum Vorschein. Und irgendwann dachte ich bei mir, dass die Baumwolle ihm zu Hände kommen wird. Jedoch, das, was dort hervorquoll, sah durchaus synthetischer als Baumwolle aus und außerdem bin ich kein Experte für Polsterungsmaterialien. Die Assoziation war jedoch sofort da. Und eben nicht unwahrscheinlicher Weise, weil Chris Afroamerikaner ist.
GET OUT spielt fast ausschließlich in einem wohlständigen Haus mitten im Wald. Dieser Wald wird nie tiefer betreten werden und er ist immer Teil von Straßen, Wegen und Zivilisation. Es ist ein sicherer Ort zum Verweilen, ein erschlossener zum Wandern. Er ist Teil einer Welt, die zum Genießen da ist. Er ist Teil und Ausdruck des Reichs eines bürgerlichen Liberalismus … und damit symbolisch weißes Territorium. Zumindest im Affekt ist diese Zuordnung absolut. Mir einen Afroamerikaner genießend durch einen Wald wandernd vorzustellen, ist etwas, worauf ich erst einmal kommen muss. Seine Lebenswelt scheint (für mich) urban konnotiert zu sein. Im Affekt ist in meiner Vorstellung ein Wanderer so stets zuvorderst ein weißer Bürger. Als Chris zu Beginn die Straße, auf der er sich befindet, verlassen möchte und einen Fuß in den Wald setzt, wird dies wie eine Grenzüberschreitung inszeniert. Es ist ein entscheidender Schritt. Bezeichnenderweise auf einen angefahrenen Hirsch zu, der den Schatten des auf Chris Zukommenden vorauswirft.
Im Herrenhaus dieses Waldes scheinen die Rassenfragen der letzten Jahrhunderte im ersten assoziativen Moment unüberwunden. Chris ist der Lebenspartner der Tochter des Hauses und soll, ohne das seine Hautfarbe bisher erwähnt worden wäre, seinen Schwiegereltern in spe vorgestellt werden. Die Ausgangslage gleicht der von GUESS WHO’S COMING TO DINER auffallend. Doch hier wird nicht diskutiert. Schon der Weg zum Haus ist eigen. Der Gärtner ist Afroamerikaner, wie es die Hausdienerin auch ist. Jede Konversation mit Chris, läuft auf seine Hautfarbe hinaus. Jedes seltsame Handeln ihm gegenüber wird auf ebenso auf diese zurückgeworfen. Obama hätte hier jeder zum dritten Mal gewählt, so ist es nicht. Aber doch steht der Elefant immer im Raum, ohne dass es groß ausdiskutiert wird. Es wird aufgeschoben und zur Idiosynkrasie erklärt. Positiver Rassismus geht hier vll mit wirtschaftlicher Ausbeutung Hand in Hand. Aber schon dies zu denken, wird weggedrückt, weil wir doch in einer besseren Zeit leben.
Die Gastgeber werden sich im Verlauf des Geschehens von peinlichen Gesprächspartnern zu etwas überzeichnetem Wandeln, zu etwas, das den Nazis in einem INDIANA JONES-Film gleicht. Sie werden, utopischer Weise, nie die Subjekte dieses Hollywoodfilms werden, sondern Schreckensfiguren eines Horrorfilms bleiben. GET OUT bebildert die Ängste Chris‘ und damit die Angst davor, dass seine afroamerikanische Identität von der weißen, bürgerlichen verschlungen wird. Denn ist der im Wald wandelnde Afroamerikaner noch schwarz oder schon assimilierter Teil der Kultur des Unterdrückers? Davon wird GET OUT gespeist. In Bildern von Hypnose und Kontrollverlust über das eigene Wesen in schaurige Hilflosigkeit wird dies übersetzt, wie die Alltäglichkeit der Unwägbarkeiten von Rasse und der bezüglichen Ideologien in einem ganz beiläufigen Stil von Unannehmlichkeiten und Aberwitz aufgelöst werden. Die Ideologien und Assoziationen verwandeln sich, so vage und vieldeutig sie sind, in eine Paranoia, die einen in dunkle Räume ohne Halt verwandeln … in die Leere der Geborgenheit beim Herren und der Leere des Geistes. Über niemanden kann mehr etwas gewusst werden. Ist er gleichberechtigt oder Unterdrücker/Unterdrückter, ist sie frei oder Gefangene (von Ideologien), ist jemand noch er oder sie selbst. Ist es ein unschuldiges Überbleibsel anderer Zeiten, bei Chris an Baumwolle zu denken oder sagt es noch viel, zuviel aus. Identitäten werden in GET OUT schmelzen und unter der sich auflösenden Plastik werden sich comicartig verzerrte Fratzen finden.
Das auf der blu-ray mitgelieferte alternative Ende lässt Chris im Gefängnis enden. Frieden wartet dort auf ihn, weil er eine eindeutige afroamerikanische Identität gefunden hat. Das tatsächliche Ende von GET OUT ist da nicht so bitter. Sie lässt Chris weiterhin in diesem Wust aus Anschauungen, Assoziationen und Gesinnungen über Rassen bestehen und glaubt daran, dass der Horror überwindbar ist. So schrecklich er hier in seiner Ungreifbarkeit doch scheint.

Sonnabend 24.03.

Das Kleid
(Konrad Petzold, DDR 1961) [DVD]

gut +

In ihrer (un)vergleichlichen Souveränität haben die DDR-Offiziellen eine Verfilmung von DES KAISERS NEUE KLEIDER verbieten lassen. Eine Parabel, die das Märchen insoweit ändert, dass hier jeder den Trick durchschaut und nur unter Druck der Staatsmacht, eines wohl nur selbsternannten Königs, mitspielt. Geheimpolizei hier und eine Mauer da, die überwunden werden muss, um in eine Stadt, um zum Glück zu kommen, reichten im Zusatz schon, dass sich die Funktionäre so sehr wiedererkannten, dass DAS KLEID weggeschlossen werden musste. Ironischerweise hat der Film seine besten Momente, als es als Strauchdiebkomödie beginnt und noch nicht zum Politischen gewechselt hat. Die Überspanntheit, die danach einsetzt, spiegelt sich sehr schön in der Portraitlinie im Thronsaal: Friedrich II – Napoleon – Hitler – Churchill.

Unbreakable / Unbreakable – Unzerbrechlich
(M. Night Shyamalan, USA 2000) [blu-ray, OmeU] 2

großartig +

Über die Wirkung von Fiktion, über deren Notwendigkeit, über Einfluss von Gesellschaft und körperliche Verfassung auf das Selbst, über Rassenungleichheit (in den USA), über Dramaturgie und die damit einhergehenden Personenkonstellationen, über all dies mit einem Film zu sprechen, wo ein Comicfanatiker einen Superhelden ausfindig zu machen versucht und wo hanebüchener Unsinn mit aller Macht der Bilder ernsthaft zu etwas Übermenschlichen hochgejazzt wird, ich finde es immer noch unfassbar. Dass es sowas gibt, dass sowas Erfolg hatte… Was zum Teufel?

Donnerstag 22.03.

Halloween H20: 20 Years Later / Halloween H20 – 20 Jahre später
(Steve Miner, USA 1998) [DVD, OmU]

ok

Laurie Strode (Jamie Lee Curtis) hat hier irgendwann die Schnauze voll, schnappt sich eine Axt und tötet ihren totscheinenden Bruder. Das Interessanteste in diesem familienfreundlichen Slasher, der vor allem nette Leute zeigt und lediglich die umkommen lässt, die nicht in einen Disneyfilm passen, ist im Grunde nur das Ende, dass vom Überdruss mit wiederkehrenden Horrorfiguren kündet.

Mittwoch 21.03.

Les noces rouges / Blutige Hochzeit
(Claude Chabrol, F/I 1973) [DVD, OmU]

großartig

Perverser, schelmischer Exzentriker und biederer Moralist, ein verkommener Hitchcocknacheiferer und ein Hanekevorläufer (das Ende von BLUTIGE HOCHZEIT trägt schon die Züge dessen, was BENNYS VIDEO beenden wird), diese beiden Identitäten prägen die Werke Chabrols in den 60ern und 70ern – soweit ich das bisher überschaue. Mir persönlich gibt es viel mehr, wenn er sich gehen lässt, als wenn er wie ein enttäuschtes Kind das Bürgertum entlarvt – meist mit moralischen Winkelzügen, die sich mit der Überraschung zufriedengeben, dass Leute zu Verwerflichem fähig sind. Auch LES NOCES ROUGES endet mit der Erkenntnis der Figuren, dass sie gesündigt haben. Eine Erkenntnis, die sich ab dem ersten Mord langsam zwischen sie schiebt. Davor und auch während der Taten, und das ist viel überraschender, gehen sie nachvollziehbar in ihrem Handeln auf. Vll und das wäre das Perfide und Traurige, sehen sie am Ende nicht ihre Fehler ein, sondern geben lakonisch auf, weil nun entdeckt ihnen ihr Glück nicht mehr vergönnt sein wird … weil sie ihr Glück hatten und es nun zu etwas Schäbigem unter den Augen der Mitmenschen geworden ist.
Lucienne Delamare (Stéphane Audran) und Pierre Maury (Michel Piccoli) haben eine Affäre. Eine Affäre, die ihnen LES NOCES ROUGE vollen Herzens gönnt. Lucienne ist mit dem Bürgermeister ihrer Stadt verheiratet, der entweder zu Sex nicht in der Lage oder an Sex mit Frauen nicht interessiert ist. Seine Aussagen hierzu bleiben unklar. Jedenfalls ist er auch offenbar mehr an Politik interessiert. Pierre ist mit einer kranken Frau verheiratet, die nur noch im Bett liegt, von Heiligenbildern umgeben ist und jedes Interesse am Leben verloren hat. Es gibt jedes Mal ein spritziges, ordinäres Vergnügen, wenn LES NOCES ROUGES die Affäre verfolgt. Sonnenschein, das Abenteuer Sex in offener Laufbahn, frivole Späße in Museen, wo mit Champagner auf Portraits von Könige gespritzt wird, oder einfach nur ein verschmitztes, jugendliches Versteckspiel. Piccolis Unschuldsmienen bei Letzterem sind schon ein Erlebnis für sich … wie es Audrans hemmungslose Lust auch ist. Diese fröhlichen Sauereien vollziehen sich nun zwischen biedersten Szenen aus den Heimen der beiden. Stickige Blumentapeten und Teller an den Wänden ersticken noch den Rest Atem, den einem Frauen und Männer lassen, die dem Leben entweder abgeschworen haben oder die einfach nur saubere Politiker sind und selbst im Schlaf wie eine Mischung aus verhindertem Diktator und Murmeltier wirken. Der Frau den letzten Gnadenstoß zu geben scheint da kaum noch verwerflich. Und der Mann wird zunehmend ein viel teuflischeres Selbst bekommen.
Die Abrechnung mit dem Bürgertum, die bei Chabrol dazugehört, sie findet hier in der Politik ein wirklich gruseliges Sujet, dass aber nur am Rande mitläuft. Dafür gibt es Speichel zwischen den sich entfernen Mündern zweier sich sinnlich Küssender. Die Details der Leidenschaft zwischen Lucienne und Pierre sind voller Erotomanie. Am besten ist LES NOCES ROUGES dementsprechend nicht in der Diffamierung, sondern in der Liebe und der voll ausgekosteten Lebenslust.

Derrick (Folge 74) Zeuge Yurowski
(Alfred Vohrer, BRD 1980) [DVD]

ok

Die Familie des Zeugen Yurowski (Bernhard Wicki) ist heftig. Yurowski hatte Einbrecher in der Firma, für die er arbeitet, überrascht. Der Nachtwächter wurde erschossen. Auf ihn wurde geschossen. Einen der Täter konnte er erkennen, seine Sekretärin (Christiane Krüger). Und diese macht ihn wiederholt darauf aufmerksam, dass wenn er was sagt, dass die anderen sich dann ihn und seine Familie vornehmen werden. Zur Unterstreichung dieser Aussage, wird in Anwesenheit seiner Frau auf ihn durch die heimischen Fenster geschossen. Also sagt Yurkowski, er habe nichts gesehen. Auch wenn jeder durch sein Verhalten ahnt, dass dem nicht so ist. Die erwachsenen Kinder sind es nun, die ihrem Vater mehr zusetzen als Derrick … und der ist schon penetrant. Es sind vll die für ihren Vater unangenehmsten Kinder seit THERE’S ALWAYS TOMORROW. Brutal naiv sind sie, mit einem Bein schon in ignorante Dummheit vorgedrungen … und sie verlangen selbstgerecht und schmollend, dass ihr Vater der Polizei alles sagt. Jeden komplexen Gedanken schieben sie weg und offenbaren einen Idealismus, der kaum über gnadenlos angenommene Obrigkeitshörigkeit hinausgeht. Der Krimi in ZEUGE YUROWSKI wird unaufgeregt abgespult, aber das Familiendrama mit diesen Kindern … diese Kinder … uff.

Dienstag 20.03.

Derrick (Folge 73) Auf einem Gutshof
(Theodor Grädler, BRD 1980) [DVD]

gut

Die Auflösung des Falls ist ziemlich offensichtlich. Nur eines hielt mich davon ab, sie sofort als Lösung zu akzeptieren. Dass sie nämlich total hanebüchen ist. Theodor Grädler zieht aber völlig unbeeindruckt durch und bringt gegen Ende etwas MISSION: IMPOSSIBLE in die bayrische Provinz. Daneben gibt es auch einiges anderes Schönes zu sehen, das aus dem allgemeinen und vor allem beredeten Dahindümpeln hervorsticht. Stephan und Harry, die eine deftige Mahlzeit essen, während sie einen Wirt vernehmen. Der Gothic-Horror-Beginn in einer Villa im Sturm. Die Verliererballade eines Kellners und Gutbesitzers zwischen einer Lebenswelt, in der er ein Depp ist, und einer, wo er das Standing einer Assel hat. Derricks Lakonie, wenn seine Mitmenschen nerven. Und Grädler ist durch DIE ENTSCHEIDUNG vll wieder etwas erweckt worden. So läuft hier eine Darstellerin von der Seite ins Bild und kommt zum Stehen, sobald ihr Gesicht hinter Harrys Haupthaar verschwindet. Wir sehen also ein Bild bestehend aus Harrys Hinterkopf sowie dem angeschnittenen Profil bestehend aus Ohr und Haar einer redenden Dame. Kubistischer Spaß in der Cadrage.

Montag 19.03.

Der verlorene Engel
(Ralf Kirsten, DDR 1966) [DVD]

großartig

Es ist wie bei den neueren Filmen von Terrence Malick. Impressionen der Dinge, die den Hauptfigur umgeben, werden aufgenommen und assoziativ aneinandergereiht. Das Werk des Bildhauers Barlach umschlingt sich so mit dessen Umwelt. Die Bilder kommunizieren offen und bilden reichhaltige Deutungsebenen wie sinnliche Bezüge. Über diesem Bilderstrom liegt der Gedankenstrom Barlachs, der gänzlich aus Originalzitaten des Künstlers besteht. In seiner (politischen) Penetranz, mit seiner derben, verkürzten Offensichtlichkeit wirkt dieser aber wie ein brutal unpassender Audiokommentar, der den offenen Bildern einen Sinn aufzwingen möchte. Barlachs Verhältnis zu den Nazis, seine Untätigkeit gegen ihre Macht und sein Rückzug ins Private werden von seinem schlechten Gewissen hinterfragt. Kurz hatte ich die Hoffnung, dass dies das Werk eines SED-Kaders war, da DER VERLORENE ENGEL im Fertigungsjahr verboten wurde und erst 1971 um 20 Minuten gekürzt und mit Nachsynchronisation in die Kinos kam – wie eine Texttafel zu Beginn informierte. Ganz ohne den plumpen Selbstexorzismus aus dem Off würden die Bilder ganz natürlich auch funktionieren, weshalb es möglich schien, dass die Monologe nachträglich eingefügt wurden. Aber nach kurzer Recherche war er wohl schon immer da und erschreckte die SED-Führung, weil sie so empfindsam waren, dass ihnen klar war, dass mit der Kritik an einer Staatsmacht auch sie gemeint gewesen sein konnten.

Sonntag 18.03.

Låt den rätte komma in / So finster die Nacht
(Tomas Alfredson, S 2008) [stream, OmU]

großartig

Ein 12-jähriger Schüler, der in der Schule schikaniert wird, lernt eine 12-jährige Vampirin kennen, die schon einige Jahrzehnte oder -hunderte mit diesem Alter lebt. Dabei geht es um Konfrontation. So wird oft 2-Dimensional inszeniert, wenn beispielsweise zwei Leute sich wie in einem 90-er Jahre Beat ‚em up gegenüberstehen oder die heranschleichende Bedrohung – trotz Scopebild – direkt hinter der Schulter in der Unschärfe zu erahnen und so direkt im Rücken zu finden ist. Es ist aber auch ein Film der Annäherung, wo Details am Rand Bedeutung gewinnen und einfühlsam nebeneinander geschlafen wird … und wo vor allem immer wieder Wände und Fenster als Trennendes überwunden werden müssen. Ein Film der Kälte und der Tristesse, wo erst Blut, dreckiges, dickes Blut, etwas Wärme bringt. Aus Oskars (Kåre Hedebrant) Sicht ist LASS DEN RICHTIGEN HEREIN, wie der schwedisch Titel übersetzt heißt, der romantisch Weg zum Schulamokläufer, der von der Vampirin lernt sich zu wehren und dessen Widersacher durch diese phantastische Figur, die in der Not für ihn auftaucht, ihr blutiges Ende finden werden. Für Eli (Lina Leandersson) ist es der Beginn eines neuen Zirkels. Denn zu Beginn hat sie einen mittelalten Helfer, der ihr Blut besorgt und dafür bevorzugt Schüler als Opfer heranzieht. So wie er Oskars Zukunft zu sein scheint, so scheint Oskar dessen Vergangenheit darzustellen. Je nach Deutungshoheit ist SO FINSTER DIE NACHT ein Film über das Zurechtfinden im Leben und/oder den Tod. Dazwischen das Faszinierendste. Ein paar Säufer, die von Eli nach und nach ausgetrunken werden. Völlig quer stehen sie in diesem Film, wie sie sich völlig quer in der Gesellschaft befinden.

Sonnabend 17.03.

Histoire(s) du cinéma 4b – Les signes parmi nous
(Jean-Luc Godard, F 1999) [DVD] 2

großartig

Für Leute, denen dies gefallen hat, mochten auch dies. Zu viel, immer zu viel. Mal schmerzhaft prätentiös, mal schmerzhaft unterwältigend. Toll. Klägliche Reichhaltigkeit.

The Hurricane / …dann kam der Orkan
(John Ford, USA 1937) [blu-ray, OF]

fantastisch

In RIO GRANDE wurden die Schlachten mit weniger Bildern pro Sekunde aufgenommen, als sie wiedergegeben wurden. Diese wirkten folglich wie Nickelodeons, wenn sie wie so oft mit falscher Frequenz zu sehen waren. Diese kurzen Vorgänger des abendfüllenden Spielfilms wurden bekanntermaßen mit einer anderen Norm festgehalten, als Film später abgespielt wurden. D.h. diese Sketche und wilden Abenteuer, in denen es klischeemäßig um Fallen und Tortenschmeißen ging, wurden später oft zu schnell abgespielt. Als Kind dachte ich, dass wäre ein gewollter Effekt zur Belustigung. Dass es sich dabei um einen Wiedergabefehler handelte, habe ich erst später erfahren. Aber egal. Den Soldaten und Apachen wird RIO GRANDE so ihre Heroik genommen, da sie nach archaischer Belustigung aussahen. Nach überhasteten Kaspern. THE HURRICANE erschien ca. 10 Jahre nach dem ersten Tonfilm und der schließlich allgemeinen Durchsetzung der Frequenz von 24 Bildern pro Sekunde. Dass John Ford eine Vergangenheit im Stummfilm hatte, ist seinem Film hier fast zu jeder Zeit anzumerken. Die kurz zuvor gesehene Kavallerie-Trilogie war da beispielsweise schon ganz woanders angekommen. Worauf ich hier so umständlich hinarbeite, ist dies: THE HURRICANE ist sein Alter anzusehen, aber was hier an Tricktechnik aufgefahren wird, ist atemberaubend. Die letzte halbe Stunde ist von einem nicht enden wollendem Sturm gekennzeichnet, der alles davonträgt. Die Rückenprojektionen, das Studio und andere Tricks sind durchaus identifizierbar … und doch geht eine unfassbare Gewalt von der preschenden Luft aus, vor der es kein Entkommen zu geben scheint. Ein eh schon irrsinnig schöner Film legt hier nochmal einen drauf und kann Zuschauer hinterlassen, die nun völlig durch den Wind sind.
Dieser Hurrikan ist dabei Ausdruck der französischen Kolonialpolitik, die eine polynesische Insel zerstören wird. Ihr Vertreter ist ein engstirniger Fanatiker von Recht und Ordnung, dem die Augen leuchten und dem schon erste Tropfen von Sabber auf den Lippen stehen, wenn er seine Gerechtigkeit bestätigt sieht und das Gesetz mit voller Stärke anwenden kann. Ihm untersteht eine paradiesische Sehnsuchtsgesellschaft von Chaos, (Mit-)Gefühl und Aufrichtigkeit. (Es sind Gegensätze, die sich als Grundthema bei Ford abzuzeichnen beginnen.) Und so wie der Sturm doch als Tricktechnik erkennbar ist, so ist auch dieser Dualismus kein realistischer, aber einer, dem ein tiefes Misstrauen gegen die Knute von Disziplin entströmt. Die Geschichte um einen ins Gefängnis geworfenen Freiheitsliebenden, der sich durch Unrecht von Frau, Kind und Glück getrennt sieht, es ist keine verzwickte, originelle Geschichte, aber wie sie erzählt wird … Im Gegensatz zu RIO GRANDE wird hier nichts vom hohem Ross heruntergeholt, sondern zu einem epischen Blasen verdichtet, zu einem Sturm der Gefühle, der nicht von einem ablassen möchte und um seine geistige Gesundheit kämpft.

Donnerstag 15.03.

Rio Grande
(John Ford, USA 1950) [DVD, OmU]

großartig +

Der Konflikt zwischen den Streitkräften der USA und den (hier sind es wieder) Apachen hat in RIO GRANDE die nächste Stufe erreicht. Die Geste von SHE WORE A YELLOW RIBBON ist verpufft. Von diesem Film ist es nur noch ein Katzensprung bis zu THE SEARCHERS. Auf beiden Seiten herrscht Hass. Die einen entführen Kinder und trinken sich besinnungslos, die anderen sind so darauf fokussiert illegale Strafexpeditionen nach Mexiko unternehmen zu müssen, um die Störenfriede endlich zur Strecke zu bringen, dass sie gar nicht mitbekommen, wie sie ihre verwundbarsten Stellen bloßlegen. Diese sehr herb dargestellte Zwietracht strahlt aber wieder auf die unverarbeiteten Probleme innerhalb der Truppe. RIO GRANDE hat immer wieder diese Einstellungen, wo Profile und Körper miteinander in Konfrontation gebracht werden, die sie im Raum an sich nicht haben. Es ist ein Film der Konflikte. Trooper Tyree (Ben Johnson) wird beispielsweise vom Sheriff gesucht, weil er einen Yankee erschoss, der seiner Schwester zu nahe kam. Diese hat selbstredend einen Texaner zu heiraten. Zudem scheinen fast alle familiären, freundschaftlichen und beruflichen Beziehungen auf Sheridans systematischer Zerstörung des Shenandoahtals zurückzuführen. All diese Anspielungen auf den Sezessionskrieg werden zwar mit rücksichtsvoller Heiterkeit angegangen, aber obsessiv kommen sie immer wieder. Es ist so einschneidend, dass Lt. Col. Kirby Yorke (John Wayne – nach der Beförderung und nach einigen Jahren seit FORT APACHE ist er um einiges verbitterter, nicht nur in Bezug auf die Apachen) aus dem Stehgreif weiß, wie viele Jahre, Monate und Tage seit Shenandoah vergangen sind.
Aber die größten Wunden bzw Uneinigkeiten klaffen in den Leuten selbst. Der minderjährige Sohn Yorkes (Claude Jarman Jr.) ist aus West Point herausgeflogen und hat sich deshalb als einfacher Soldat freiwillig gemeldet. Er landet nun im Nirgendwo der Indianerkriege bei seinem Vater. Lt. Col. Yorke zeigt ihm und seinen anderen Untergebenen, dass er ihn genauso hart, wie alle anderen behandeln wird. Wenn nicht sogar härter. Wie zum Beweis, dass er es keinen Vorzug gibt, zeigt er seinem Sohn, den er erstmals seit Shenandoah wiedersieht, die kalte Schulter und lässt nur den Offizier mit ihm reden. Sobald sein Spross aber den Raum verlässt, scheint Yorke Freudentänze nur schwer unterdrücken zu können. Wenn der Sohn in Konflikte gerät, zuckt Yorke, weil er ihm zu Hilfe eilen möchte. Der Vater und der Soldat, die Gefühle und die Disziplin liegen in ihm im konstanten Clinch. So sehr, dass er nach der Ankunft seines Sohnes etwas Zaghaftes in seinen Augen bekommt. Seine Frisur wird unmerklich wuscheliger, zerfahrener. Kurz Wayne wird zum heruntergekommenen Abbild seiner selbst. So unsicher, wie ich ihn bisher noch nie gesehen habe. Um ihn etwas zu schonen führt RIO GRANDE seine (Ex-?)Frau (Maureen O’Hara) ein, die seine weibliche Seite auf sich nehmen darf … was den Konflikt aber nur noch auflädt und verkompliziert.
Männliche Ehre, Vertrauen, gewaltsame Eskalation, Liebe und Vergeben, alles womit die Konflikte zu lösen versucht werden, all diese Versuche bleiben seltsam schal. Denn alles Geschehen bleibt widersprüchlich, findet keinen Abschluss und in aus all den riesigen Massen an Unausgesprochenem erhebt sich immer noch mehr Unwägbarkeit. Irgendetwas in einem Fordfilm liegt anscheinend immer quer, so scheint mir. So schwer es manchmal ist einen Frieden mit ihnen zu machen, so reichhaltig und brüchig sind sie. Als ob die Leute in ihnen nicht nur durch dieses majestätische, heruntergekommene Monument Valley reiten, sondern in ihm zu erkennen sind. Eine kaum messbare Weite herrscht in ihnen und dort stehen riesige Monumente, deren Sicherheit erodiert und zerbröselt – mit jeder Menge liegengebliebenem Schutt an den Seiten.
*****
Nachdem ich die ersten beiden Teile der Kavallerie-Trilogie von sehr schönen us-amerikanischen blu-rays sah, zog ich hier die einmal nicht so teuer erstandene Filmjuwelen-DVD heran. Es war ein Trauerspiel. Die Weite des Monument Valley, die Schönheit, die Kontraste, sie waren nur zu erahnen. Wenn ich mal Geld habe, werde ich einen anderen Blick auf diesen Film wagen.
Auf der anderen Seite sah es vll auch gewollt nicht so gut aus, wie Der Außenseiter im Gesichtsbuch meint: Bei RIO GRANDE hingegen zeigt sich Fords ganze handwerkliche Professionalität. In lächerlichen 28 Tagen abgewickelt zeigt Fords filmisches Genie sich auch darin, dass er die gesamte künstlerische Vision der Qualität des filmischen Negativs angleicht. Die schwach kontrastierende Grobkörnigkeit wird genutzt, um die Kavallerie vollständig zu entmystifizieren und einen Film des Widerspruchs zu drehen. War die Kavallerie in den anderen Film ein Zufluchtsort für Einwanderer, die nur über diesen Weg einen Aufstieg in der WASP-Gesellschaft erreichen konnten, da ihnen auch die Akademien verwehrt waren, zersplittert das Gefüge hier, weil auch gesuchte Mörder Zuflucht finden und Rassismus sich auch in der Truppe zum Problem entwickelt. Das geringe Budget nutzt Ford, um aufgrund der spärlichen Kulissen die Flüchtigkeit einer Basis zu illustrieren, die Disharmonie des Films wird durch diagonale Pfosten und die Kontrastierung der Montage von ganzheitlicher Form der Truppe in der Totalen zu uneinheitlichen Achsenwinkeln in der individuellen Darstellung deutlich gemacht. Auch die Frauen reiten hier nicht mehr mit den Soldaten, sondern dürfen ihre Parade bei der Heimkehr nur stehend empfangen, während der Zuschauer auf gleichem Achsenwinkel mit den Offizieren ist, die müde dreinschauen, also nicht mehr kameratechnisch erhöht oder fröhlich gezeigt werden. Trotzdem waren die Artefakte und soweiter alles andere als chic. Vll sollte die DVD die Intention noch verstärken. 🙂

Mittwoch 14.03.

Derrick (Folge 72) Der Tod sucht Abonnenten
(Zbyněk Brynych, BRD 1980) [DVD]

verstrahlt +

Derrick begibt sich nach einer Zufallsbegegnung hinab in den Drogensumpf. Die unbescholtenen Bürger, Derrick und der Bruder des Opfers vor allem, entwickeln dort einen übergriffigen Beschützerinstinkt. Wenn sie sich um jemanden Sorgen machen, dann schreien sie diesen jemand an. Sie werden handgreiflich, packen zu und schütteln. Hysterische Hilflosigkeit packt sie. Gegen Ende, wenn der Fall mehr oder weniger gelöst ist, dann sind Visionen der Vergangenheit zu sehen, die von Brynych in dieser zunehmend eskalierenden Episode so inszeniert werden, dass Verführer und Verführte aus verzerrten Perspektiven direkt in die Kamera sprechen. Alpträume einer unbegreiflichen Lust sind es, von denen die Unbescholtenen gepackt werden. Und zwischen drin immer die Teddybären, an die sich bei Entzugserscheinungen gekuschelt wird, die auf Cold Turkey in verranzte Ecken geschmissen werden, die ständige Begleiter sind und so in unterschiedlichen Formen die Unschuld sowie die Tötung dieser durch die Sucht ausbuchstabieren dürfen. Wie ein biederes Bürgertum auf die Hölle Heroinsucht schaut, in DER TOD SUCHT ABONNENTEN ist es selbst zur Höllenvision geworden, die Brynych zu einer absurden Achterbahnfahrt macht.

Dienstag 13.03.

Shoes m
(Lois Weber, USA 1916) [stream, OZmU]

großartig

In SHOES sind es die zertretenen Lederfetzen an den eigenen Füßen und die neuen Schuhe in den Schaufenstern – Schaufenster, die immer nass sind, egal ob es regnet oder nicht, weshalb die Feuchtigkeit wohl die Tränen darstellt, die die Trennwand zwischen der Realität und dem unerfüllbaren Wunsch netzen – die die Armut (in den USA) kennzeichnen. Immer wieder sind die beiden Arten von Schuhen zu sehen. Ein Übel gibt es dabei, dass den Menschen von Disziplin und Anstand trennt und so zwischen Unglück und Glück steht. Dieses höllische Lesen, das den Vater im Bett versanden lässt, statt dass er sich einen Job sucht. Auch dies immer wieder, der Vater und wie er liest. Und wie er so die Arbeitskraft seiner Tochter ausbeutet, statt etwas zu unternehmen. Am Ende bleibt hier nur die lediglich angedeutete Prostitution. Die Tochter geht mit einem wohlhabenden Mann zu einer Party, dann folgen minutenlang Träume, in denen die Familie glücklich und ohne Sorgen ist. Wenn das zu Sehende wieder in die Realität wechselt, dann hat die Tochter neue Schuhe an und weint. In einem Interview hat Henry Rollins einst erzählt, dass die USA wie ein Videospiel sind, in dem es zu überleben gilt. Wie bitter dieser Kampf mit sein wild wuchernden Ideologien ist, zeigt 1916 schon SHOES.

Montag 12.03.

The Post / Die Verlegerin
(Steven Spielberg, USA 2017) [DCP, OmU]

gut

Vll sieht es so aus, wenn sich Spielberg richtig gehen lässt. Die beiden Themen von THE POST werden einem jedenfalls richtig reingewürgt. Mal mit eher dezenten Verschiebungen in der Cadrage, wenn sich High Society Lady Kay Graham (Meryl Streep) ihren Platz zwischen den Männern erkämpft, die sie umringen, und sich von einer Person am Rand zur zentralen Figur im Raum wandelt. Von schon offensichtlicheren Wiederholungen der Trennung von Frauen und Männern entlang der Linie der Verantwortung geht es, bis hin zu Dialogen, die jeden Themenkomplex nochmal abarbeiten, indem die Botschaft einem ohrenbetäubend entgegengebracht wird. Wenn die Figuren zwischen Drohungen und Lügen immer mehr die Orientierung verlieren, dann kreist die Kamera selbstredend in übermütigen Fahrten durch Menschenmengen und der Schnitt wirft die 180°-Regel gekonnt über Bord. Hemmungslos wird die Geschichte der Verlegerin der Washington Post erzählt und wie sie sich einen Platz in der Männerwelt erkämpft und ein Vorbild für alle Frauen wird, wie die Lügen der Nixons und Trumps im Weißen Haus im Dienst für das us-amerikanische Volk offengelegt werden, wie das Ideal über die Angst gewinnt. Selbst noch die zurückhaltendsten Momente gliedern sich ein, in eine alle Stilmittel vereinnahmende Hetzjagd auf die Gefühle des Zuschauers. Danach war ich mir nicht sicher, ob ich nun als Gegenmittel einen Film von John Waters brauchte oder ob ich aus einem Film kam, der seinen guten Geschmack so hochgejazzt hatte, dass das nicht nötig war, weil Spielberg hier vll sein John Waters Level erreicht hatte.

Derrick (Folge 71) Die Entscheidung
(Theodor Grädler, BRD 1980) [DVD]

radioaktiv

Ich bleibe dabei, dass Grädler zu diesem Zeitpunkt seiner Arbeit für Ringelmann einfach nur noch alles egal war. In DIE ENTSCHEIDUNG nahm er den sich in Hysterie und fehlendem Selbstwert auflösenden Zetterer Ulrich Hauff (Hannes Messemer mit einer riesen Schau) und dessen Tante Ina (Brigitte Horney), eine romantische Seele, die wie der Kini in ihrer ideellen Welt lebt, aus Reineckers Drehbuch und ließ sie geschehen. Statt sie kohärent in eine Geschichte zu inszenieren, wo diese erkennen müssen, dass sie in einer Familie aus Schlangen leben und sich damit sozialrealistisch auseinandersetzen müssen, sitzen sie hier plötzlich in surrealen Ballerinaverkleidungen vor einem, lassen in manischen Dialogen ihrer Phantasie freien Lauf und drücken alles Normale mit aller Kraft zur Seite. Die Mörder, die sich schon längst entlarvt hatten, können nur noch am Rand stehen, schauen und hoffen, dass sie von den Polizeibeamten nicht weiter beachtet werden.

Sonntag 11.03.

Fort Apache / Bis zum letzten Mann
(John Ford, USA 1948) [blu-ray, OmeU]

fantastisch

Mit einem wehenden Star-Spangeld Banner wird hier in eine vorhersehbare Niederlage, in ein Massaker geritten. Ein selbstgerechter, von seiner Überlegenheit überzeugter Offizier, der nur darauf bedacht ist, sich einen Namen zu machen, führt hier seine Soldaten in den Tod. Gegen Apachen zieht er, die aufbegehren, weil sie schlechten Whiskey statt Essen in ihr Reservat geliefert bekommen. Dass sie nur tun, was jeder andere anständige Mensch auch tun würde, wie Captain Yorke (John Wayne) sagt, dass weiß auch Lieutenant Colonel Thursday (Henry Fonda). Doch der Ranghöhere sieht in ihnen nur Wilde, die den Befehlen der Repräsentanten der USA zu gehorchen haben. Wie seine Soldaten seinen Befehlen ohne Einspruch folgen müssen. Die Niederlage, in die offenen Auges geritten wird, ist so eine doppelte. Die militärische sowie die humane, welche die wehende Fahne der USA im Angesicht der zeitgeschichtlichen Geschehnisse, die kommen werden, nur noch bitterer erscheinen lässt. Ford besetzte seine Apachen mit Navajo statt kaukasische Hollywoodschauspieler anmalen zu lassen. Und er ließ sie mit demselben Lohn bezahlen, wie die anderen Schauspieler und Statisten auch. Es sind Gesten, welche den zynischen und brutalen Umgang mit den amerikanischen Ureinwohnern, den FORT APACHE gallig auf den Punkt bringt, etwas ausgleichen wollen. Aber nicht umsonst herrscht hier oft der nicht wirklich passende Ton einer Säuferkomödie. Das Maß an historischer Schuld und Unverarbeiteten, es wiegt schwer, und ist mit solchen Gesten nur schwer beglichen. Der torkelnde Frohsinn zwischen all dem unaufhaltsamen Zusteuern auf ein brutales Ende verstärkt das Traurige der Handlung umso mehr.

She Wore a Yellow Ribbon / Der Teufelshauptmann
(John Ford, USA 1949) [blu-ray, OmeU]

großartig +

Es sind zwar ein paar surreale Verschiebungen vorhanden, aber SHE WORE A YELLOW RIBBON kann mehr als weniger als direkte Fortsetzung von FORT APACHE gelesen werden. Aus dem Massaker, welches den Vorgänger beendete, wird hier das, was es verdeckt schon immer war, nämlich die Niederlage Custers am Little Big Horn. Statt Apachen sind es nun Cheyenne und Arapaho, deren Aufbegehren die inneren Konflikte von außen befeuern. Und Waynes Captain Yorke heißt jetzt Brittles und steht kurz vor der Pensionierung. Das Ende seines Dienstes ist nah. Nur die Stimmung hat sich gänzlich geändert. Steuert FORT APACHE unaufhaltsam auf die Katastrophe zu – und betrinkt sich im Angesicht dessen ordentlich – da ist sie hier schon da. Eine kleine Liebesdreiecksgeschichte läuft in SHE WORE A YELLOW RIBBON mit. Eine Frau muss zwischen zwei Offizieren entscheiden. So wie die Besiedlung Nordamerikas sich nach 1876 entscheidet. Während die 1860er und 70er eine Ballung von Indianerkriegen bringen, als letzte Rebellion gegen die sich immer mehr ausbreitenden USA, da nutzt eben diese die nativen Einwohner als äußeren Feind, um das Land nach dem Bürgerkrieg zu einen. Das Massaker von Wounded Knee ist noch relativ weit entfernt, aber das Ende, die Entscheidung ist nah. Ein Aufschieben bzw Wegschieben der Indianer in immer kleinere und unwirtlichere Reservate war an seine Grenzen gelangt. Auf seine Weise wird all dies in SHE WORE A YELLOW RIBBON reflektiert. Captain Brittles muss raus aus seinem Fort und soll die Cheyenne nach ihrem Sieg kontrollieren sowie die Frauen des Forts in Sicherheit bringen. Er muss nicht nur durch die monumental schöne Wüste von Monument Valley, sondern auch durch ein Land voll Tod und Gefahren. War FORT APACHE von einem kontrastreichem Schwarzweiß bestimmt, da herrschen hier die grellen Farben. Vor allem wenn Brittles im Abendrot am Grab von Frau und Kind sitzt. Das Ende ist nah. Es bleibt nur der Blick wehmütige zurück … und eine gut gemeinte, aber auch nur wieder aufschiebende Tat, bevor der sinnlose Krieg vollends ausbrechen und nur Tod und Verderben bringen wird, beschließt den Film. Mit seinem Ende und Fords typischem gelassenen Ton träumt SHE WORE A YELLOW RIBBON von einem anderen Schluss der unaufhaltsam sich vollziehenden Dinge. Es werden die Gläser gehoben, gefüllt mit Sentimentalität und Alkohol, weil die Realität zu sehr weh tut.
*****
Ich erinnerte mich während des Films an den Lagavulin, den mein Vater mir vor einigen Jahren zum Geburtstag schenkte. Ich habe ihn in letzter Zeit nicht mehr angefasst und ganz allgemein seit Jahren nichts mehr getrunken. Nun saß ich also mit einem Glas schottischen Whiskeys vor einem John Ford Film und fragte mich, ob das unangebracht wäre … während die Bilder von blühenden, farbenfrohen Blumen, die auf verrottenden Schiffsblanken wuchsen, die aus Mund und Nase assoziativ vorbeischwebten, die Atmosphäre bereicherten.

Sonnabend 10.03.

Donovan’s Reef / Die Hafenkneipe von Tahiti
(John Ford, USA 1963) [DVD, OmeU]

großartig

Die Exposition baut einen Bud-Spencer-und-Terence-Hill-Vorläufer auf, der später nur sporadisch aufgegriffen wird. Fast vergessen scheinen die Versprechungen des Beginns. Aber jedes Mal, wenn Lee Marvin doch nochmal zu sehen ist oder nur der Name seiner Figur, Gilhooley, fällt, dringt der alkoholgetränkte Schlendrian bis Hooliganismus wieder atmosphärisch in die Liebeskomödie ein. Immer wenn es zu gesittet zugeht, wenn das Geschehen zu sehr dem verknöcherten Protestantismus gleicht, der die Ostküste und den industriell erarbeiteten Reichtum kennzeichnet und der in Form einer zugeknöpften Frau nach Tahiti kommt, dann dringen Gefühle, Chaos und sentimentale Raubeinigkeit durch diesen scheinbar vernachlässigbaren Beginn wieder ein.

Fikkefuchs
(Jan Henrik Stahlberg, D 2017) [stream]

gut

Im Gegensatz zur Strenge eines Ulrich Seidl macht Jan Henrik Stahlberg mit den unangenehmen Situationen seines Films Party. Sein im Selbstverständnis romantischer Jäger junger Frauen darf schwelgerisch von der Kastration des männlichen Geschlechts philosophieren, während dessen Sohn sich durch seinen Wunsch nach Muschis prollt und keine Scham zu kennen scheint. Und so mischen sie die Spießbürger auf, wie sie sich noch viel mehr als misogyne Tröpfe offenbaren. Am Ende ist die Lösung für sie recht einfach: Prostitutierte als Chance, statt keinen Selbstwert als gescheiterte Pickupartists zu haben. FIKKEFUCHS schrammt dabei gutgelaunt durch Hohn, Mitgefühl, Fremdscham und zwischenmenschlichen Horror. Wenn einer der beiden danach gefragt wird, ob ein Leben ohne einen erigierten Penis nicht auch lebenswert sei, dann kann ein sehr aufrichtiger Moment erlebt werden. Ein seltener, denn wie schon bei MUXMÄUSCHENSTILL habe ich bei Stahlberg das Gefühl, dass dies unter Oberflächen aus jammervoller Jux und Dollerei verschüttet wird. Schon die Frisur des von ihm gespielten Rocky, die ihn eher als Witzfigur, denn als (ehemaligen) Verführer kennzeichnet. Aber vll ist das auch das Ehrlichste und Traurigste an FIKKEFUCHS, wie fremd sich die Leute hier sind.

Freitag 09.03.

Boyka: Undisputed IV / Undisputed IV: Boyka Is Back
(Todor Chapkanov, BG/USA 2016) [DVD]

gut +

Das BOYKA IS BACK des deutschen Titels ist durchaus spannend. Denn ja, Boyka (Scott Adkins) hat seinen Platz als Hauptfigur verteidigt. Er ist wieder da. Das Problem, dem er sich nun stellen muss, ist weniger der russische Mafiaboss in einem klassischen 80er Jahre Actionfilmplot, wo einer als Eigentum gehaltenen Frau in einer korrupten Pampa geholfen werden muss, sondern der Dualismus in ihm. In den Kämpfen sehen wir Boyka immer wieder, wie er zum Tier (Krieg) wird und nur mit Anstrengung unterdrücken kann, seine Gegner zu Klump zu schlagen. Seine gottgegebene Gabe sei sein Können im Ring und mit dieser scheint er auch im Einklang zu sein. Trotzdem sucht er im Schoß der Religion Ruhe und Vergebung für seine Sünden und für die Gewaltspitzen, die aus dem Kampfsportler Boyka immer wieder etwas Unmenschliches und einen Mörder machen. Bei der zu rettenden Frau sucht er eben dies, Vergebung. Aber anders als bei dem möglichen Seelenverwandten Rambo läuft dieser Dualismus im Geschehen nur mit. Die beiden Seiten werden dabei nur minimal gegeneinander in Stellung gebracht … bis er zum Abschluss des Films seine Vergebung bekommt. Aber zu diesem Zeitpunkt ist er wieder dort, wo es in den vorherigen Filmen begann. Im Gefängnis kann er wieder ohne Gewissensballast zum Tier/Krieg werden. Die erteilte Vergebung, sie könnte ihn nun kaum weniger interessieren. Denn der gute, alte Boyka ist zurück.

Sadie / Sadie – Dunkle Begierde
(Craig Goodwill, UK/CA/I 2016) [stream, OF]

großartig

Und es ging manichäisch weiter, denn auch in SADIE gilt es den Dualismus im Wunschhaushalt seiner titelgebenden Hauptfigur aufzulösen. (Spoiler: es wird dialektisch geschehen, imho.) Sadie (Analeigh Tipton) lebt mit einem Freund zusammen, der sie anscheinend gut behandelt. Nur, die Gesichter nach der eröffnenden Sexszene sehen in der illuminierten, kuscheligen Inszenierung des Aktes alles andere als nach Befriedigung aus. Bei einer Lesung trifft sie eine alte Flamme wieder, der sie wie ein Stück Fleisch behandelt(e), aber dabei – selbstredend – sehr raffiniert vorgeht. In ins surreale Tableaus abdriftende GESCHICHTE DER O.-Phantasien wird sich SADIE begeben und mal wieder etwas mehr Lust wagen. Wobei Lust so verstanden wird, wie es eine Gefährtin Sadies in einem Monolog in der zunehmenden Künstlichkeit aufsagt. Dass sie sich als weibliches Wesen nicht als Gleichberechtigte sieht, sondern als etwas, dass es zu beherrschen gilt. Ein italienisches Schloss mit seinen riesigen Hallen, ausladenden Wandmalereien, seinen Kronleuchtern, seinem botanischen Garten, sprich mit seinem dekadentem Schick wird Kulisse der masochistischen Phantasien von Frauen, die von hinten an Bücherregale gedrückt werden und denen der Rock hochgeschoben wird, von Fesseln und phantastischen Masken. Drogen werden die Realität langsam abdriften lassen. Und so gibt sich SADIE vorsichtig und genießerisch dem Dionysischem wie Gewalttätigem hin, was für Sadie nicht immer leicht zu akzeptieren ist. (Aber schlechter Sex scheint auch keine Lösung zu sein.) Langsam, ganz langsam gleitet das Geschehen und die Bilder also Richtung Ekstase. Plötzliche Schocks und Ausbrüche der Lust scheinen nur Strohfeuer für das Kommende darzustellen, bleiben diese doch vage Andeutungen … und dann kommt leider ein Ejaculatio praecox. Gerade wenn die Eskalation auszubrechen scheint, fällt SADIE in sich zusammen und steuert überrumpelnd zum Ende.

Donnerstag 08.03.

Bloody Bloody Bible Camp
(Vito Trabucco, USA 2012) [stream, OF]

uff

Anderthalb Stunden allumfassende Biederkeit. Falls es Ambitionen gab, irgendwas Un- oder Außergewöhnliches, etwas Schönes, Hässliches oder Aufregendes in BLOODY BLOODY BIBLE CAMP unterzubringen, so ist mir das entgangen. Stattdessen geht dieser Slasher lediglich auf sich selbst los. Er unterstreicht gerne wie doof er sich selbst findet und bietet sich ohne Selbstachtung, Leidenschaft und Kreativität zum Spott an. Und am Ergreifendsten ist dabei, wie verklemmt die Pointen bzgl Sex, Drugs und Rock’n’Roll sind, auf die sich verlassen wird. Trash, der so sehr vor einem im Dreck liegt und darum bettelt als Trash wahrgenommen zu werden, dass es weh tut.

Mittwoch 07.03.

Three Billboards Outside Ebbing, Missouri
(Martin McDonagh, USA/UK 2017) [DCP, OmU]

ok

Von zwei Dingen erzählt THREE BILLBOARDS OUTSIDE EBBING, MISSOURI. Von einer Wut, die für Argumente, gesunden Menschenverstand und Abwägen keinen Platz mehr hat und sich immer mehr in einen hineinfrisst. Und davon, dass hinter dieser Wut vor allem unverarbeitete Trauer wartet, dass noch jeder Arsch seine Gründe für sein Handeln hat … und vll gar nicht so ein Arsch ist, wenn dieser genauer betrachtet wird. Auf der einen Seite sehen wir also etwas, das einer vor sich hin wütenden facebook-Kommentarspalte oder gelebtem PEGIDA-Hass gleicht. Am besten verdeutlicht vll von Szenen wie die, wo Mildred (Frances McDormand), zwei Highschülern, die ihr Unverständnis für ihre Billboards per Dosenwurf auf ihr Auto ausdrücken, mit einem saftigen Tritt zwischen die Beine der Minderjährigen beantwortet. Oder die, wo der Polizist Dixon (Sam Rockwell), einen Werbetafelvermieter im rauschenden Hass aus dem Fenster wirft. Beide Szenen werden in ihrer völligen Sinnlosigkeit und ihren falsch gerichteten Mitteln ausgekostet. Hier ist es erreicht, das Ende der Kommunikation, das Ende der Möglichkeit des Verständnisses zwischen den Leuten. Auf der anderen Seite steht da der sentimentale Humanismus, der seinen Figuren stets einen versöhnlichen Ausweg gibt, der sie versteht. So wie Mildreds Handeln immer Ausdruck des unverarbeiteten Schmerzes ist, ihrer Tochter im Zorn gewünscht zu haben, dass sie vergewaltigt wird, kurz bevor sie tatsächlich vergewaltigt und verbrannt wurde. So wie Dixon das Produkt seines kaputten Elternhauses ist und der seinen Ersatzvater Sheriff Willoughby (Woody Harrelson), kostete es, was es wolle, beschützen möchte. Dazwischen ein Ausbund von Verständnis, der jedem seinen Ausweg bieten wird. Eben dieser Sheriff Willoughby, der aus dem Grab Briefe schreibt, die er zu rühriger Musik vorlesen darf und die alle Beteiligten im richtigen Moment wieder etwas erden. Aus dem Grab, weil – in solche einer Atmosphäre muss es so sein – er an Krebs erkrankte und sich sehr verständnisvoll eine Kugel in den Kopf jagte. Und so stehen sie sich gegenüber. Wut und Menschenliebe. Für keine der Seiten entscheidet sich THREE BILLBOARDS OUTSIDE EBBING, MISSOURI. Keine dieser Seiten wird überhand nehmen. Aber dabei kommt es kaum über ein mit den Schultern hingezucktes Menschen sind halt so, haben zwei Seiten hinaus. Es schleicht sich eben stets auch eine Pointe in den Film, wenn sich den Leuten etwas angenähert wird, wenn zu ihnen vorgedrungen wird. Mit einem Witz dürfen sich die Figuren dann durch den Kakao ziehen. Als ob vor dieser Nähe zurückgeschreckt wird. Als ob die Figuren oder der Film Angst vor Konsequenzen ausdrücken wollen. Und darin ist er vll am Treffendsten als Bild unserer Zeit.

Denk bloß nicht, ich heule
(Frank Vogel, DDR 1965) [35mm]

fantastisch

Das Leben ist wie ein Babystrampler. Kurz und voll Scheiße.
Peter Naumann (Peter Reusse) möchte sein oder besser ist wie Johnny Strabler (THE WILD ONE), Jim Stark (REBEL WITHOUT A CAUSE) oder Michel Poiccard (AUSSER ATEM), nur dass er in der DDR aufgewachsen ist. Einer Welt aus Dialektik, Weltrettungsbestrebungen durch überfürsorglicher wie banger Pädagogik und ideologischen Scheuklappen. Er rennt dagegen an, verhöhnt sie, schon durch den Fakt, dass er dada-romantisch reimend mit einem Mädchen durch Buchenwald tänzelt, er versucht einen Platz darin zu finden, er lernt und arbeitet, aber immer wieder landet er bei Leuten, die es besser wissen. Der nouvelle vague-eske Spaß erstickt immer wieder in den so typischen ostdeutschen Dialogen. DENK BLOSS NICHT, ICH HEULE reibt sich an seinem Land, übermütig, frivol und verbissen, wie es sich an der Suche nach einem richtigen Leben reibt. Die Altvorderen gebieten, dass er Leben soll, saufen und ficken, oder dass er kämpfen soll, bloß nicht aufgeben, oder dass er sich unterordnen soll, aber trotzdem frei denken … nur nicht so, wie es eben nicht passt. Seine Generation möchte Spaß, asozialen Spaß oder duckt sich weg. Durch Bars und Modegeschäfte geht es, durch Nazipomp und realexistierenden Sozialismus, durch LPG-Wirklichkeit und märchenhafter Verträumtheit wie surrealer Verzerrung. Gedreht von Günter Ost in lässiger Eleganz und erdrückender Weite. Bisher kennen ich keinen auswegloseren Film, trotz seinen versöhnlichen Anknüpfpunkten, der als Narr und Poet die ostdeutsche Lebenswirklichkeit zu einem solchen harschen, witzigen, existentialistischen Tanz bat. Das 11. Plenum des ZK der SED stufte ihn dann auch als besonders schädlich ein.
Disziplin ist, wenn man’s heimlich tut!
*****
Ich habe nur anderthalb Schuljahre in der geschlossenen DDR erlebt. Mein Erstes, dann kam schon die Wende … und nur ein Jahr später der Anschluss an die BRD. Aus diesem ersten anderthalb Jahren habe ich u.a. eine deutliche Erinnerung. Wie von Ernst Thälmanns Martyrium im KZ erzählt wurde. Wobei, was ein KZ war, habe ich auch erst später verstanden. Die Erinnerung besteht auch nur aus diesem Gefühl von Düsternis und Pein. Oder da war der Tag, wo wir zu den Jungpionieren geführt wurden und uns voller Stolz erklärt wurde, dass wir uns da auch mal engagieren werden … und ich nur fliehen wollte. Vll ist es diese Erinnerung, die mich für DENK BLOSS NICHT, ICH WEINE noch empfänglicher macht. Es ist die Vision eines Kelches, der an mir vorrübergegangen ist … wobei ich aber kein Peter Naumann geworden wäre. (Was wiederum aber nicht heißen soll, dass nur diese biographische Lappalie den Film so gut macht.)

Suspense k
(Lois Weber, Phillips Smalley, USA 1913) [stream, OZ]

großartig

Die ganzen Klischees über den Stummfilm und seine Entwicklung, hier ist mal wieder zu sehen, was das oft für ein Quatsch ist. Es fehlt wirklich nur der letzte Schritt zur Großaufnahme, aber ansonsten … fast wie ein Michael Mann Film mit beispielsweise einer Autoverfolgungsjagd, die aus einem fahrenden Auto heraus gedreht wurde.

Dienstag 06.03.

The Shape of Water / Shape of Water – Das Flüstern des Wassers
(Guillermo del Toro, USA 2017) [DCP]

ok

CRIMSON PEAK bleibt als Hoffnung, einmal mit einem Film von Guillermo del Toro richtig warm zu werden. Mit THE SHAPE OF WATER hat es leider mit dem nunmehr 5. Film auch nicht geklappt. Dabei ist so viel drin, was ich doch als Motiv mag. Vor allem Wasser. Soviel Wasser. Und trotzdem fühlt sich THE SHAPE OF WATER nicht feucht an. Eher wie ein exorbitanter Hochzeitskuchen mit zuckersüßer Glasur, wo jemand genau darauf aufpasst, dass auch nichts aus seinen Proportionen platzt, dass alles da ist, wo es hingehört. Die Symbole werden so ausformuliert, dass sie nicht zu übersehen sind. Selbst die Bonbons von Michael Shannon und ihr extradiegetischer Sinn werden in einem Monolog ihres Lutschers/Kauers ausgeführt. Und so entsteht eine klinische Reinheit, eine formelle Klarheit, die die Emotionen und das Schräge, was es alles in THE SHAPE OF WATER gibt, unterminiert. Die Folge war, dass die Hauptfiguren und ihre Probleme ganz sachlich abgeliefert werden, aber der eigentliche Hort der Tragik Bösewicht Shannon war, der nach Anerkennung giert. Aber irgendwas in seinem System lässt ihn alles falsch und niederträchtig angehen. Er, der traurige Psychopath, war interessanter, als eine Liebesgeschichte, die davon handelt, dass eine sexuell frustrierte Frau, die nach Eieruhrvorgabe masturbiert, romantische wie sexuelle Erfüllung findet. Aber nach der Erlösung aus diesem traurigen, irrwitzigen Umstand ihrer Charakterisierung ist die Lebenswelt kaum mehr magischer als sie es eh schon von Beginn an war. Es gibt diese Motive, wie das McDonalds-artige Kuchenfranchise, wo das Durchkonfektionierte in Form von ungenießbarem Kuchen und seelenlosen Bediensteten vorgeführt wird, aber kaum etwas an THE SHAPE OF WATER hob sich imho von diesem Ort ab. Leider.

Montag 05.03.

Derrick (Folge 70) Ein tödlicher Preis
(Helmuth Ashley, BRD 1980) [DVD]

großartig

Derrick verlässt nur gegen Ende sein Büro. Berger und Harry müssen für ihn die Arbeit machen, während er die Büroblumen gießt. Ein Bonsai hat nur noch gefehlt, während er als Zen-Meister/graue Eminenz die Fäden der Fahndung in der Hand hat und buddhagleich ruhend steuert. Seine Gegenüber werden wohl nie ins Bild kommen. Denn der scheinbare Obergangster des organisierten türkischen Verbrechens in München, er macht trotz mehrerer Schläger, die für ihn arbeiten, alles selbst. Er scheint nur eine Figur wie Harry zu sein. Die Welt des Verbrechens hat deshalb auf den ersten Blick etwas Beschauliches. Und genau das, kann dazu führen, was EIN TÖDLICHER PREIS ausmacht. Fahnden tut Derrick nach dem Mörder eines Taxifahrers und den Inhalt eines Koffers, der im Kofferraum von dessen Taxi urplötzlich auftauchte. Die 10 Kilo Rauschgift, die in diesem Koffer waren, hatte der Taxifahrer aus diesem entwendet, bevor der besagte Handlager, aufgemacht wie ein Noirgangster, in seinem Taxi sitzt und sein Eigentum wieder haben möchte. Der nun folgende Selbstbetrug kleinbürgerlicher Spießer ist schlicht herrlich. Der Sohn des Taxifahrers erzählt ohne Unterlass, nachdem er die 10 Päckchen gefunden hatte, dass er diese nicht der Polizei übergeben kann. Sein Vater würde dann ja wie ein Dieb aussehen. Gleichzeitig betont er immer wieder von Drogen keine Ahnung zu haben. Er schätzt in den Päckchen befindet sich Heroin. Ganz wie im Film wird die Tüte angestochen und an einer Brise gekostet, aber es ist sinnlos, weil niemand der Anwesenden weiß, wie es schmeckt, wie es zu identifizieren ist. Und doch, trotz alledem, hat er keine Skrupel und keine Vorbehalte diese 10 Kilo gewinnbringend an einen Dealer verkaufen zu wollen. Und so entspinnt sich eine kleine Fehde aus kleinen, selbstgerechten Spießbürgern, die zwar trotz dem was sie sagen und wie sie auftreten, sich für große Macker halten müssen, und einem familiären Verbrechersyndikat, wo sich durch wunderschöne verfallene Häuser und Fabriken geschlagen wird. Wo innerhalb der Grünwalder Villen das Großbürgertum im eigenen Saft schmort, da herrscht unterhalb ihnen Ignoranz und Hilflosigkeit. Unterlegt wird dies alles von einer melancholischen Musik, die jeden heruntergekommen Großstadtthriller veredeln würde. (Nachdem sich Frank Duval zuletzt in avantgardistischen, kalten Synthesizerflächen übte, darf Hans Hammerschmid DERRICK hier mit einem neuen Gewand umschmiegen.)

Sonntag 04.03.

Duelle (une quarantaine) / Unsterbliches Duell
(Jacques Rivette, F 1976) [blu-ray, OmeU] 3

großartig +

Dass ich DUELLE ca. einen Monat nach der letzten Sichtung nochmal schaute, war sicherlich dessen Qualität geschuldet. Eigentlich mache ich dies viel zu wenig: Filme schauen, bis ich sie richtig kennengelernt habe. Grund für diese nächste Sichtung war aber auch, dass ich beim letzten Mal etwas mit Sekundenschläfen zu kämpfen hatte. Die damit einhergehenden Unsicherheiten bei der Einschätzung dieses Films nagten an mir. Andererseits lag es aber wohl vor allem an THE NEW BIOGRAPHICAL DICTIONARY OF FILM (4. Ausgabe) von David Thomson. Ich weiß nicht, wie der entsprechende Eintrag zu Rivette in den folgenden Ausgaben aussieht, aber hier übergeht er die 10 Jahre nach CÉLINE UND JULIE FAHREN BOOT in einem Absatz. Am Beispiel bzw mit der Nennung von DUELLE erklärt Thomson, nachdem er eine ausführliche Liebeserklärung an das Werk Rivettes bis 1974 aussprach, dass die folgenden Filme statt Sinnzusammenhänge in Frage zu stellen Okkultismus boten und bloß noch schön anzusehen waren. Diese grobe Zusammenfassung eines kurzen Absatzes, der ein ganzes Jahrzehnt noch gröber abkanzelt, hat mich nach der Eloge stets verwundert. Diese klare Trennung hat sich mir aus den wenigen Worten nie so ganz erschlossen, da ich keine großen Brüche wahrnehmen konnte. Was passierte also in diesen 4-5 ausgelassenen Filmen, das ihm Rivette anscheinend verdirbt und mit dem er sich scheinbar nicht auseinandersetzen möchte? Was geschieht in DUELLE?
Rivettes Errungenschaften nach Thomson waren, um es auf einfache Begriffe zu bringen, die Unendlichkeit, das Amateurhafte und das Ende klarer Sinnzusammenhänge. Statt also einen Film zu drehen, der über mehrere Jahre entstand und sich im Laufe der Zeit ständig veränderte und folglich nie zu einem festen Ganzen wurde (PARIS GEHÖRT UNS), statt einem Film, der 4 bis 12 Stunden dauerte (AMOUR FOU bzw OUT 1) und statt eines Filmes, der in seinen Repetitionen immer weitergehen könnte (CÉLINE UND JULIE FAHREN BOOT), hatte er einen Film gemacht der 2 Stunden dauerte und einen Verlauf von einem klaren Anfang zu einem klaren Ende hatte. Ob Thomson bewusst war, dass DUELLE ein Teil von 4 Filmen sein sollte, von denen aber nur zwei entstanden, dass die Unendlichkeit auf eine neue Weise als Assoziationssystem also gegeben war, entzieht sich meinem Wissen. Schön, wie Thomson sagt, ist DUELLE jedenfalls, vll sogar der Gekonnteste seiner bisherigen Werke. Außerdem führt das Suchen durch die Leere der Realität diesmal tatsächlich zu einem Zusammenhang. Statt einem paranoiden Netz, dass sich als Nichts erweist (PARIS GEHÖRT UNS), statt der Verwebung und Trennung der Realitäten von Kino und Wirklichkeit zu einer phantastischen Weltwahrnehmung voll Kuddelmuddel (CÉLINE UND JULIE FAHREN BOOT) findet sich hier eine einfache mythische Realität mit Göttinnen, die auf die Erde kommen. Vll wurde Thomsons Wunschvorstellung von Rivette durch Filme wie DUELLE zerstört, da die drei Dinge, die er an seinen Filmen pries, hier für ihn nicht gegeben waren. Aber gerade das Amateurhafte in der Ausstattung und im wenig fokussierten Wabern durch seltsame Orte und seltsame Geschehnisse, sie verfestigen keine okkulte Weltsicht. All das Griechische dieser Mystik, es doppelt lediglich die Realität und macht die Verlorenheit in ihr nur noch Größer. Selbst der Glaube an Götter bietet dieser Welt keinen festen Sinn mehr. Ich verstehe diese radikale Wendung Thomsons gegen Rivette also immer noch nicht.

The Fog / The Fog – Nebel des Grauens
(John Carpenter, USA 1980) [blu-ray, OmU] 2

großartig +

THE FOG beginnt mit einem älteren Erzähler am Lagerfeuer vor ein paar, schätzungsweise, Grundschülern. Eine Schauergeschichte über ein gestrandetes Schiff erzählt er, deren Geister jetzt ab Mitternacht diesen Ort 100 Jahre nach ihrem Tod heimsuchen werden. Eben von dieser Heimsuchung wird THE FOG erzählen. Die Handlung wird das Lagerfeuer zwar schnell verlassen, aber die Erzählung selbst wird im Geiste immer an ihm sitzen bleiben. Es mag deshalb wenig schaurig und irgendwie unterraschend bleiben, was in Folge passieren wird. Ein Nebel kommt über eine Stadt, dunkle Geheimnisse werden offenbart, aber nur 6 Tote werden die Untoten fordern, bis sie verschwinden. Statt Terror und um ihr Leben bangende Massen, statt hohem Body Count und Berge aus Körperteilen bleibt THE FOG seltsam gesittet. Sein Grusel ist der eines Groschenheftes und seine Klasse, dass er darin all diese kleinen Seltsamkeiten von Trinkern, Anhaltern und Radiomoderatoren erzählt, dass er so verdammt eigensinnig ist.

Sonnabend 03.03.

The Prisoner of Shark Island / Der Gefangene der Haifischinsel
(John Ford, USA 1936) [DVD, OF]

großartig

In Terry Pratchetts Scheibenweltroman INTERESTING TIMES beklagt sich Zauberer Rincewind darüber in interessanten Zeiten zu leben und versteht schon gar nicht, wie sich über einen solchen Umstand gefreut werden kann. Sowas bringe doch nur Unsicherheit, Qual und Schmerz. Gerade der Anfang von THE PRISONER OF SHARK ISLAND würde ihm, Rincewind, noch einige Gründe mehr geben. Die Hysterie während des Sezessionskriegs herrscht aller Orts. Ob nun Großväter ihre ideologischen Schwalle, dass der Krieg nichts mit Sklaverei zu tun hätte, auf ihren Enkeln im Vorschulalter entladen, weil ihnen wohl sonst schon niemand mehr zuhört, ob vom Wahn getriebene Südstaatler losziehen um Präsident Lincoln eigenhändig zu töten oder ob Lincolns Anhänger für diese Tat Blut sehen wollen, stets herrscht das Gefühl wir befänden uns in einer heutigen facebook-Kommentarspalte, wo jemand unbedacht das Wort Flüchtling ausgesprochen hat. Ein Arzt, der real existierende Samuel A. Mudd (Warner Baxter), behandelt den verletzten John Wilkes Booth und landet dafür auf der us-amerikanischen Teufelsinsel, Dry Tortuga. THE PRISONER OF SHARK ISLAND korrigiert das Bild Mudds dahingehend, dass er Booth nicht gekannt hat und einem völlig Fremden bei seinem auf der Flucht gebrochen Bein half. Ein völlig Unschuldiger, wird aus ihm gemacht, der Lincoln als die einzige Rettung der USA sah. Er wird zum Blatt im Sturm der interessanten Zeiten … bzw zum Gefängnisinsassen seiner gesellschaftlichen Realität. Und so ist ein Doktor vonnöten, der das Fieber der USA heilt, symbolisch dafür den Ausbruch des Gelbfiebers im Gefängnis, in dem er wiederum hysterischen Aufsehern ausgeliefert abgeladen wird. Schmerzlich ist es, wie THE PRISONER OF SHARK ISLAND alle Brutalitäten wie Sklaverei und Unwägbarkeiten wie Mudds politische Gesinnung beschönigt, um die Möglichkeit eines Happy Ends zu haben. (In der letzten Einstellung, nachdem Samuel A. Mudd als Vertreter der ritterlichen Südstaaten als gebrochener Mann heimkommt: eine glückliche Familie ehemaliger Sklaven. Was ist das aber für ein Happy End?) Um, im Film ist es möglich, in uninteressanten Zeiten ankommen zu können. Und so redet THE PRISONER OF SHARK ISLAND zumindest sehr behände von dem Schmerz, den der Wahn für den Einzelnen darstellt, der keinen Teil davon ist.

Narrow Margin / Narrow Margin – 12 Stunden Angst
(Peter Hyams, USA 1990) [DVD, OF]

großartig

Es ist eine Show für Gene Hackman, der als knurriger, großmäuliger, für sein Umfeld lästiger Idealist alles tut, dass das Böse in der Welt nicht gewinnt. Sein Anwalt Robert Caulfield (gewitzter und sympathischer als sein Namensvetter Holden Caulfield, nur so nebenbei) hat sich in NARROW MARGIN mit einer Zeugin in einen Nachtzug katapultiert. Dort eingezwängt bietet er sich eine Strategieschlacht mit den ebenso anwesenden Profikillern, die in der Öffentlichkeit eines Zuges schwerlich rücksichtslos vorgehen können. Auffällig ist dabei wie viele langsamen Schwarzblenden es dabei gibt. Wenn die Lider der Kamera wieder langsam zufallen, vergeht die Zeit sehr langsam. Das Warten im Abteil auf den nächsten Schritt des Gegners wird so durch kurze Momente von vll einer Sekunde zu quälenden Perioden, die sich neben der Action und der Bedrohung auf die Gemüter der Figuren legen. Schnitte überspringen ganz selbstverständlich und ohne große Anstrengung Zeit und Raum, hier ist jeder Sprung um ein paar Stunden schwer erarbeitet.

Freitag 02.03.

Blackadder: The Cavalier Years k
(Mandie Fletcher, UK 1988) [DVD, OmeU]

großartig

Vll das beste Special zu BLACKADDER, weil die 15 Minuten tatsächlich wie eine Folge der Serie funktionieren. THE CAVALIER YEARS soll also nichts Spezielles sein, sondern the real thing … und das ist toll.

Secuestro / Boy Missing
(Mar Targarona, E 2016) [stream]

nichtssagend

Leidenschaftlich wird alles weggeschoben, Menschen, Gefühle, Ideen uswusf, nur um bald möglich wieder einen fadenscheinigen Twist zu installieren. Und das Tristeste ist nicht mal, dass die einzige Freude, die BOY MISSING kennt, keine Freude mehr genieren kann, da alles so sehr auf Überraschungen ausgerichtet ist, dass es keine Überraschungen mehr geben kann, sondern nur business as usual, sondern mit welchem Bierernst dies alles vorgetragen wird.

Donnerstag 01.03.

Blackadder Back & Forth m
(Paul Weiland, UK 1999) [DVD, OmeU] 2

großartig

Das erste Mal überhaupt sieht eine halbe Stunde BLACKADDER nach etwas Budget aus. Und tatsächlich wurde dieses Special zuerst auch nur in Kinos gezeigt. Aber doch sind es nur die Überreste der Ambitionen, mal einen BLACKADDER-Kinofilm zu machen. Eine halbe Stunde darf ein heutiger Blackadder kurz vor dem Millennium mit einer von da Vinci und Baldrick erschaffenen Zeitmaschine durch die englische Geschichte und seinen Stammbaum reisen. Was heißt, dass er durch alle Zeiten rüde pöbeln darf und Baldrick dumme Dinge sagt und tut. Nicht wirklich originell, aber ein ganz schöner, nicht nur nostalgischer Abschluss von einer Legende. Und wenn dabei Shakespeare (Colin Firth) für die Qualen, die er bei kommenden Schülergenerationen hervorrief und hervorruft, zusammengeschlagen wird, Dinosaurier mit stinkenden Unterhosen getötet werden und Lord Flashheart als Robin Hood Woof rufen darf, während er seine Hüfte nach vorne stößt, ist das alles durchaus erfreulich.

Februar
Mittwoch 28.02.

Blackadder’s Christmas Carol / Blackadders Weihnachtsgeschichte m
(Richard Boden, UK 1988) [DVD, OmeU]

gut +

Durch diverse Zeitengpässe haben Sabrina Z. und ich eine halbe Ewigkeit gebraucht um die 4 Staffeln à 6 Folgen von BLACKADDER, einer der ewigen Top Ten-Serien, durchzuschauen. Jetzt sind wir bei den Specials angekommen, die ich bis auf BACK & FORTH noch nicht kenne. Die zwischen dritter und vierter Staffel entstandene CHRISTMAS CAROL hat dabei den klaren Charakter eines Zusatzes. Der Geist der Weihnacht (Robbie Coltrane) zeigt Ebenezer Blackadder (Rowan Atkinson) kleine neue Schandtaten seiner Vorfahren aus Staffel 2 und 3, die aus dem großzügigsten Menschen Großbritanniens einen echten Blackadder machen. Lohnenswert wird diese kurze Uminterpretation aber vor allem, weil Tony Robinson und Atkinson sich in der Zukunftsepisode in eine extrem luftige Lack- und Lederkluft schmeißen.

Derrick (Folge 69) Tödliche Sekunden
(Zbyněk Brynych, BRD 1980) [DVD]

großartig

Dass diese Episode, die auch Väter und Söhne hätte heißen können, von Brynych ist, ist nach wenigen Minuten klar. Es gibt zwar keinen leitmotivischen Musikeinsatz, wenn von klirrender Stille und wenigen, eisigen Synthesizerflächen abgesehen wird, dafür aber eine nicht vorhandene Gemütsruhe, die von kleinsten Triggern zerstört in der brynych-typischen Hysterie mündet. Mütter laufen hinter erwachsenen Söhnen her und bitten zum Abendessen, als ob Leben und Tod davon abhängen. Verdächtige schreien und zetern. Ihr Lachen gleicht dem klagenden Wunsch danach, dass ihnen geglaubt wird. Kurz, die Nerven liegen blank. Immer und überall. Nur Derrick, dieser Unmensch, kann die Ruhe wahren. Das Schönste ist aber, wie wenig zwanghaft erzählt wird. Ein Sohn (Uwe Ochsenknecht) verdächtigt seinen Vater (Werner Kreindl) als Einbrecher rückfällig und darüber hinaus zum Mörder geworden zu sein, während der Vater in der beschriebenen Art verunsichert und verunsichernd den Glauben an seine Unschuld einfordert und erfleht. So zentral ist dieses Familiendrama, dass lange kaum Platz für Stephan und Harry bleibt … und dann versandet dies einfach. Verschwindet gänzlich, als ob es da nichts zu klären gebe. Assoziativ wird es vll in eine andere Vater-Sohn-Beziehung aufgelöst, aber wie es ansatzlos nicht wieder aufgegriffen wird, ist radikal. Ebenso werfen sich Ochsenknecht, der mit seiner Freundin eingeführt wird, und die Tochter des Opfers sehnsuchtsvolle Blicke zu, ohne dass dies zu irgendetwas führt. Kein Drama, keine Liebe, nur diese nicht eingebundenen Blicke. Diese Leichtigkeit im Erzählen steht so im krassen Gegensatz zur Angespanntheit der Leute, von denen erzählt wird. Rasendes Schweben.

Dienstag 27.02.

Missing in Action 2: The Beginning / Missing in Action 2 – Die Rückkehr
(Lance Hool, USA 1985) [DVD, OmeU] 9

verstrahlt +

Meine Eltern kauften 1992 unseren ersten Videorekorder. Da war ich 10 Jahre alt. Der erste Film, der darauf aufgenommen wurde, war KICKBOXER USA mit Lorenzo Lamas. Mein Vater hat diesen extra für mich aufgenommen. Mit ca. 13 Jahren schwor ich dann – langsam recht snobistisch werdend – meiner Vorliebe für B-Martial Arts aus den USA ab. Irgendwo in der Zwischenzeit war Chuck Norris mein bevorzugter Hauptdarsteller und MISSING IN ACTION 2 mein Lieblingsfilm. Jetzt habe ich ihn nach sehr langer Zeit mal wieder gesehen … mit einem gewissen Respekt davor. Das Überraschendste dabei war, dass ich mich an fast nichts mehr erinnern konnte. Grob wusste ich noch was passiert, aber mehr war da nicht. Als ich den ersten Teil vor anderthalb Jahren nochmals sah, schwangen bei Bildern und Szene auftauchende Erinnerungen mit oder ich erwartete ikonisch gewordene Bilder. Hier konnte ich mich nur noch an die Erschießung des australischen Fotografen erinnern. In seiner Drastik hatte ich vorher nichts Vergleichbares gesehen. Das Aufreißen des Kopfes, wenn die Kugel diesen wieder verlässt, ist tatsächlich zu sehen und die blutige Seite des Kopfes bleibt kaum mehr als eine Sekunde stehen, bevor weitergeschnitten wird, aber es schien mir eine Ewigkeit. Auch bei mehrmaligen Sehen war es für mich ein Schock. Das blutige Haar, welches neben dem Ohr schwingt, hatte in mir Assoziationen von Hühnergefieder geweckt. Wie ein Traumbild war es, wo ein explodierendes Huhn aus einem Kopf geschossen kam. Aber der Rest … er war fast völlig weg. Im Gegensatz zu Zito inszeniert Lance Hool viel zurückgenommener, fast dokumentarisch. Und wieder im Gegensatz zum ersten Teil zerspringt MISSING IN ACTION 2 nicht in seinen ideologischen Unannehmlich- wie Unwägbarkeiten. Völlig abstrakt und direkt ist diese Fortsetzung (die ja tatsächlich zuerst geplant war).
Zehn Jahre nach Ende des Vietnamkrieges sitzt eine Gruppe von us-amerikanischen Soldaten noch immer in einem vietnamesischen Kriegsgefangenlager. Ein Star-Spangled Banner, an dem Braddock (Chuck Norris) näht, und diverse kommunistische Worthülsen, kommen zu der Grundsituation dazu, aber die politische wie ideologische Dimension des Ganzen wird kaum angeheizt, eher ausgelassen. Colonel Yin (Oh Soon-Tek), der befehlshabende Offizier, wird nie zum Teil eines vietnamesischen Regimes. Einziger Kontakt zur Außenwelt ist ein französischer Drogenhändler, für den Yin von seinen Gefangenen Opium anbauen lässt. Und seine Forderungen an Braddock, seine Kriegsverbrechen sowie seine Verbrechen am vietnamesischen Volk zu gestehen, bleiben leere Phrasen, die sich als Teil seines sadistischen Spiels entpuppen. Das Lager, dass der Film nach seinem Auftakt nie verlassen wird, ist nur die Bühne für sein Theater des Grauens. Und MISSING IN ACTION 2 ist ein ebensolches. So wie Yin keiner Ideologie folgt und die Insassen nur als Spielzeug für seinen Sadismus nutzt, so bietet Lance Hool ihm dafür den Platz … bis alles kippt und die nicht weniger sadistische Rache folgen kann. Eine Rache, die mit einem ausgelassenen Witz ihren Höhepunkt findet.
Yin und Braddock, beide sind aufeinander fixiert und alle anderen Körper und Geiste bilden nur den Schauplatz als Stellvertreterkriege … an denen keiner der beiden wirklich interessiert ist. Yin könnte sein Geständnis wohl sofort haben, würde er die Freunde von Braddock körperlich foltern. Das hält dieser sichtlich nicht aus. Aber da Braddocks Körper und Geist Yins einziges Begehr sind, entsteht ein ausgiebiger Sadomasochismus, den MISSING IN ACTION 2 unbedarft als Kriegsgefangenfilm ausbuchstabiert und die sexuelle Verdrängung der beiden gerne annimmt. … und bei meiner Begeisterung als Kind für die gefesselten Tarzans und Winnetous ist es kaum verwunderlich, dass ich einen solchen Film dann sehr mochte.

Sonntag 25.02.

Armored Car Robbery
(Richard Fleischer, USA 1950) [DVD, OF]

großartig

Besonders schön ist die Planung und die Durchführung des Überfalls auf den gepanzerten Geldtransporter vor Wrigley Field, wenn auf Auftauchen der Polizei oder die Schießerei im Tränengasnebel von den johlenden Massen beim Baseballspiel innerhalb des Stadions kommentiert wird.

Derrick (Folge 68) Ein Lied aus Theben
(Alfred Weidenmann, BRD 1980) [DVD/stream]

gut

Lange verfolgt EIN LIED AUS THEBEN ein Großmaul, dass sein Glück (bei einer Frau) erzwingen möchte und doch hinter all dem unangenehm aufdringlichen Wollen Empfindlich- wie Hilflosigkeit offenbart. Das wenig mitleidige Portrait dieser verlorenen Seele lenkt aber nur ab. Denn an den Rändern dieses Egos vorbei schimmert immer wieder eine viel alltäglichere Aufdringlichkeit, wo alte Lieder aus Theben mit ihrer religiösen und gefühligen Inbrunst und mit ihrem Lob der Reinheit vorgeschoben werden, um Klaus Theweleits Thesen von Männerphantasien zu blutigen Machtansprüchen voll verleugneter Geilheit zu führen. Sprich eine junge Frau wird in ein LIED VON THEBEN von allen Seiten von Männern belagert. Männern jeden Alters mit dreckigen Händen und dreckigen Phantasien oder von solchen mit reinen Händen und reinen Phantasien, die nicht weniger brutal sind. Als der Hausherr hier erstmals nach Hause kommt, zeigt ihn die Kamera in der Küche. Sie zieht dann zurück, bewegt sich in den Flur und wir sehen links den Mann und rechts seine Frau im Wohnzimmer. Zwischen ihnen eine Wand und kein Verständnis.

The Long Gray Line / Mit Leib und Seele
(John Ford, USA 1955) [DVD, OmeU]

fantastisch

Lange hatte ich während der Laufzeit von THE LONG GRAY LINE etwas Bauchschmerzen damit, dass der Sadismus und die brutale Selbstverleugnung beim Militarismus in der Darstellung eines langjährigen Ausbilders der Eliteschmiede von West Point völlig ausgeklammert werden. Aber tatsächlich spielen Soldaten und Militär eine völlig marginale Nebenrolle. Zu Beginn gibt es viel Gerede von Disziplin, womit die Leute an Ort und Stelle veredelt werden sollen, um es mal überspitzt auszudrücken. Es gibt mehrere Szenen von Soldaten, die auf einem Platz oder in der Kantine antreten und wie zu einem Körper geworden sind, die in völliger Kontrolle aufgehen … und die dann jedes Mal in (glückliches) Chaos auseinanderfallen, sobald die Disziplin von ihnen nicht mehr verlangt wird. Sie stürmen in ihre Freizeit, in ihr Leben außerhalb ihres künstlich aufgelegten Panzers. Und so marschieren die Soldaten ab und zu in Gleichschritt durch THE LONG GRAY LINE sobald jemand einen Anker braucht, sobald jemand verloren in einem neuen Leben ankommt, wenn Verluste und Abschiede verarbeitet werden müssen oder wenn jemand vor Glück fast platzt. Die symbolische Disziplin läuft in den Film, sobald jemand ansonsten zerfließen würde. Aber ansonsten herrscht reges Durcheinander. Lange sitzen wir vor einer Komödie, wenn Marty Maher (Tyrone Power) sich vom Kellner in West Point zur geliebten Institution als Ausbilder entwickelt. Hoch arbeitet kann nicht gesagt werden, weil er einerseits mehr an seinen Platz gestoßen wird und sich als irischer Schlemihl eigentlich dagegen wehrt, andererseits, weil es kein oben gibt. Kaum kommentiert nehmen die Streifen an seinem Ärmel zwar zu, aber er bleibt immer der gleiche hitzköpfige Tunichtgut, der sich wie sein Umfeld kaum ändert. Es gibt gerade einmal zwei Szenen, in denen er überhaupt als Ausbilder auftritt. Jede endet mit der Pointe, dass er keine Ahnung hat, wovon er spricht. Weshalb er einmal von seinen Schülern, denen er Schwimmen beibringen soll, aus dem Wasser gerettet werden muss, da er nicht schwimmen kann. Später wird es dann immer herzlicher und sentimentaler. Begleiter, Frauen, Kinder sterben und es gibt eigentlich nur den einen Weg, weiter, durchhalten und sich nicht unterbekommen lassen. Und der Modus ist fast immer der gleiche. Die Bilder und die Handlung sind voller Kuddelmuddel. Denn nicht die Disziplin macht das Leben lebenswert, sondern die Gefühle, das Chaos und der ganze Quatsch, der einem den Schmerz von den Schultern nimmt. Mit seiner Hauptfigur wird THE LONG GRAY LINE so eins. Sie sind freundliche Quatschköpfe, die einem schnell ans Herz wachsen.

Kaguyahime no monogatari / Die Legende der Prinzessin Kaguya
(Takahata Isao, J 2013) [blu-ray, OmU]

großartig +

Etwas, das sich aus meinem minimalem Halbwissen um japanische Kunst wie Farbholzschnitte und Sumi-e uswusf ergibt: Takahata reduziert seinen Zeichenstil. Die Bilder, die wie hingehauchte Aquarelle aussehen, sind schlicht und voller Auslassungen, sprich von planen Flächen bestimmt. Leichtigkeit steckt darin, Beschränkung auf das Wesentliche, genau wie Raum für den Zuschauer gelassen wird. Sein Stil gleicht sich damit japanischen Traditionen an, womit dieses Märchen nicht modern aussieht. Aber auch nicht alt, weil es eben doch ein Manga bleibt, mit seinen eigenwilligen comic relief-Nebenfiguren und seiner Knuffigkeit. Und aus der Niedlichkeit der Legende erwachsen Schönheit und Schmerz, weil wie in feudalen Zeiten die Welt dann doch viel stärker ist als wir. Jede Minute des Glücks müssen da ausgekostet werden. DIE LEGENDE DER PRINZESSIN KAGUYA entspricht so gesehen gut genutzter Zeit.

Sonnabend 24.02.

Fortunes of War / Die Hölle von Kambodscha
(Thierry Notz, USA 1994) [VHS]

gut +

Im Dschungel von Kambodscha warten die Reichtümer des Krieges. Eine Millionen Dollar in Goldbarren werden dort von einem Warlord im Austausch für Medikamente geboten. Ein us-amerikanischer Diplomat und ein skrupelloser General schicken einen desillusionierten Schmuggler mit einem Herz aus Gold aus Thailand los, um dem Herzen der Finsternis das Glück und dessen Schätze zu entreißen. Unterwegs warten Banditen und/oder Guerilla, rote Khmer und andere Bösartigkeiten. Unser Held, der Schmuggler, sieht sich im Vorteil, weil er weiß, dass alle Seiten versuchen werden ihn zu betrügen … und wir als Zuschauer wissen, dass er recht haben wird. FORTUNES OF WAR ist eben die Geschichte eines Glückritters, der sich wie in den großen und kleinen, ernsten und albernen Varianten seiner selbst von APOCALYPSE NOW bis DIE FEUERWALZE in größtmögliche (tropische) Unsicherheit begibt und dort etwas finden wird. Etwas, dass über Reichtum und Gerechtigkeit hinausragt. Hier beispielsweise einen Arzt im Nirgendwo, der gegen jede Chance seinen kleinen Teil für das Glück in der Welt beitragen möchte. Einer der 12 gerechten Menschen auf der Welt sei er, wegen denen Gott die Welt weiterhin nicht zerstört. Zwischen dem ausladend präsentierten Sadismus und der Gewalt findet FORTUNES OF WAR also etwas Hoffnung in einer hoffnungslosen Welt. Gänzlich unprätentiös werden die Arbeiterhemden hochgekrempelt und 80er Jahre Action ohne Nonsens geboten. Und zwischen Menschen, die die Macht sehr gerne ausnutzen, andere wie wertlose Tiere zu behandeln, weil diese eben wehrlos sind, wird mit Gewehren, Raketenwerfern, Herz und Seele dafür gekämpft, dass es doch einem in dieser Welt wärmer ums Herz werden kann.

Freitag 23.02.

Urban Explorer
(Andy Fetscher, D 2010) [DVD, OmU]

ok

In den Katakomben unter Berlin lauern (Neo-)Nazis und kannibalische, ehemalige NVA-Grenzsoldaten mit psychotisch-beglückenden Erfahrungen aus dem Eroberungsfeldzug der UdSSR in Afghanistan. Aber wirklich verfolgt URBAN EXPLORER das Wirken deutscher Vergangenheit nicht, nutzt dies nur als nette Folklore und macht einen netten Hinterwäldlerhorror in urbanem Brachland, der jede ästhetische bzw atmosphärische Idee unter einer unmotiviert wie endlos wackelnden Kamera verschüttet.

Donnerstag 22.02.

Derrick (Folge 67) Unstillbarer Hunger
(Helmuth Ashley, BRD 1980) [DVD]

großartig

Am Ende verhindert Stephan Derrick einen weiteren Mord. Glücklich ist er darüber nicht und stürmt aus dem Haus, bevor er vergisst, wer oder was er ist, und das Unterbundene selbst besorgt. UNSTILLBARER HUNGER besteht dabei größtenteils aus einer Parade schauriger Männer, die Derrick vorsichtig in einem Gespräch zu umschreiben versucht und bei Adjektiven wie wertlos oder ähnlichem landet. Nicht auszudenken, was er gesagte hätte, wenn er sich nicht wie immer unter Kontrolle gehabt hätte. Die Liebhaber einer getöteten Ehefrau (u.a. Sascha Hehn) werden nacheinander vernommen und bilden ein jämmerliches Bild aus Ausflüchten. Aber sie sind nichts gegen den Ehemann (Peter Fricke), der eine Ausgeburt von Gefühlskälte, Misogynie und Sadismus ist. Dazu gibt es noch seinen kleinen Bruder (Pierre Franckh), der dem Diktator jedem Wunsch von den Augen abließt und sich zum hündischen Diener gemacht hat. Das Bild, dass diese Männer ergeben ist, wie gesagt, schauerlich. Es ist aber nichts gegen den Schrecken des Raums, den das Opfer bekommt. In Rückblenden bekommen wir ihre Lebenslust gezeigt, die ihr von diesen Männern ausgetrieben wurde. Freudestrahlende hüpft sie zu verstrahlt-wonniger Musik durch einen Garten, während ihre Schwiegermutter glücklich zuschaut. Oder wir bekommen gezeigt, wie seltsam motivationslos sich einen Liebhaber nach dem anderen schnappt, die in einer Frau, die sich nach Nähe sehnt, nur eine Nymphomanin und ein Wegwerfprodukt sehen (wollen). Egal wie sehr sich UNSTILLBARER HUNGER auf die Seite des Opfers stellen möchte, sie bekommt nur die Rolle als Heilige und als Hure. Die Räume, die ihr also von Reinecker, Ashley und anderen Männern zugewiesen werden, auch sie sprechen von den Projektionen, mit denen sie in der Episode von allen Männern belegt wird. UNSTILLBARER HUNGER – ein reichhaltiger Blick in den Kitt der bundesdeutschen Republik.

Dienstag 20.02.

Derrick (Folge 66) Hanna, liebe Hanna
(Theodor Grädler, BRD 1980) [DVD]

ok +

Unter den Regisseuren der ersten DERRICK-Folgen war Theodor Grädler einer der Herausragenden. Voller Übermut und Spielerein inszenierte er Episoden wie ANGST oder ZEICHEN DER GEWALT. Doch irgendwann gab es nichts mehr davon. Wenn zuletzt DIE PUPPE sich irrsinnig anfühlte, dann lag das auch daran, dass Grädler mit voller Kaltblütigkeit den Wahnsinn dokumentierte. Wenn LENA harter Tobak war, dann war dies so, weil die Inszenierung das bestialische Verhalten wirklich aller Leute mit einer reuelosen Gleichgültigkeit ablaufen ließ. Vll wollte er diesem kalten, verrotteten Bürgertum, dass er ein ums andere Mal im Drehbuch von Reinecker fand, nicht mehr mit Schönheit und/oder Seltsamkeit veredeln. Vll rang er um einen kalten, leblosen Stil, der dem Porträtierten entsprach. HANNA, LIEBE HANNA beinhaltet einen der herzenswärmsten Leute, die vll jemals in DERRICK auftauchten. Er wird hintergangen und ausgebeutet. Von Leuten voller Gefühlskälte und Egoismus. In einem Klima aus Enttäuschung und Bitterkeit. Und Grädlers Inszenierung zeigt nur. Als ob nichts Aufregendes dabei wäre. Auf der einen Seite ist es ziemlich öde. Auf der anderen aber auch ziemlich heftig.

Sonntag 18.02.

Paradise Alley / Vorhof zum Paradies
(Sylvester Stallone, USA 1978) [blu-ray, OmeU]

verstrahlt

Die Geschichte vom Drehbuchautor, der über und für den einfachen Menschen große Kunst machen möchte, der Bedeutendes von der Straße erzählen möchte, und dann in Hollywood landet und ein 08/15-Drehbuch über einen Wrestler schreiben soll, die Geschichte von BARTON FINK also, könnte durchaus durch einen Film wie PARADISE ALLEY inspiriert sein. Stallones Regiedebüt nach seinem eigenen Drehbuch strotzt nur so vor ungehobelter Straßenpoesie – als ob Bruce Springsteen das letzte Bisschen Bob Dylan ausgetrieben worden wäre. Von drei Brüdern kurz nach dem Zweiten Weltkrieg wird erzählt, die sich mit miesen Jobs oder Tricks über Wasser halten, und Stallone ist einer von ihnen. Wie in ROCKY, der ihn kurz davor zum Star gemacht hatte, redet er ohne Unterlass und lange ist nicht klar, ob sich das Drehbuch im Klaren darüber ist, mit was für einem Egoisten es hier zu tun hat. Voller impulsiver Träume vom einfachen Geld und Reichtum ist er. Und fast immer muss sein kleiner bärenstarker Bruder, der nicht der schlauste ist, dafür seinen Körper in den Ring werfen. Nach ein paar symbolischen Aufwärmrunden dann wörtlich als Wrestler. Doch was seine Figur nicht sehen möchte, all die Ausbeutung, die Bedrohung durch windige Geschäftsmänner und Mafiosi, all das macht PARADISE ALLEY zu einer melancholischen Geschichte von Verlierern, die im Dreck um sich eigentlich keine Chance und nur sich haben. Wie im Titellied offengelegt, ganz bescheiden auch noch von Stallone gesungen, leben die Figuren in einem Fegefeuer zwischen Paradies und Hölle, voller Hoffnung und ohne Chance. PARADISE ALLEY nimmt dabei fast immer den Weg der großen Geste und hat kaum Finesse. Das finale Wrestlingmatch, in dem es um Leben und Tod und die Seele der Leute außerhalb des Ringes geht, findet dann auch trotz Halle in strömenden Regen und mit Blitz und Donner statt. Aber wer braucht Finesse, wenn er soviel Seele hat. Und sowenig Lust sich auf deprimierende Seelenhuberei einzulassen. Immer wieder brechen die unpassenden Witze in die Tragik ein. Gangsterbosse bekommen unmotiviert die Hose heruntergerissen und tragen darunter Strapse. Und noch die tragischste Szene kann mit einer naiven Leichtigkeit enden, als ob nie etwas Schlimmes drohte. Barton Fink hätte diese gefühlige Seltsamkeit jedenfalls nicht besser schrieben können.

American Ultra
(Nima Nourizadeh, USA/CH 2015) [blu-ray, OmU]

großartig

AMERICAN ULTRA träumt mit einem Kiffer (Jesse Eisenberg) davon, dass er zwar oberflächlich ein nichtssagendes Sein voller Neurosen und Niederlagen lebt, aber in Wirklichkeit eine von der CIA gezüchtete Killermaschine ist, die alle Probleme aus dem Weg räumt. Kiffer-Komödie und Actionfilm gehen dafür eine wunderbare Symbiose ein. Besonders schön ist aber eines der Abschlüsse der herumliegenden Stränge. Wenn ein CIA-Agent (Bill Pullman) zwei andere im Wald im Regen vor sich einberuft, zwei Agenten die einen zirkusartigen Kleinkrieg in eine us-amerikanische Kleinstadt trügen und wirklich alles andere als subtil im Verfolgen ihrer Ziele waren (skrupelloser, bürokratischer Aufstiegswillen vs mütterliches Verantwortungsbewusstsein (womit ein bis ins Irrationale reichende gemeint ist)). Bis zu diesem Zeitpunkt scheint Pullman derjenige zu sein, der zwischen Zweck und Menschlichkeit abzuwägen weiß. So beendete er den besagten Zirkus. Er schien einer der Guten zu sein. Im fahlen Grau des regnerischen Waldes exekutiert er einen der beiden vor ihm. Ohne mit der Wimper zu zucken. Den Dreck kehrt er sehr entschieden unter den Teppich. Das bunte Abenteuer AMERICAN ULTRA liegt ein sehr düsteres Bild der CIA zu Grunde … die auch nur der symbolisch verlängerte Arm eines brutalen Neoliberalismus ist. Zwischen den Helden und Superschurken ist in diesem Gestrüpp nicht mehr zu unterscheiden. Dann lieber kiffen und träumen … und wie von Zauberhand seine Potentiale erfüllt finden.

Sonnabend 17.02.

The Long Riders / Long Riders
(Walter Hill, USA 1980) [blu-ray, OmeU]

großartig

Es ist sicherlich ein Gimmick, dass Walter Hill in THE LONG RIDERS alle Brüder in der James-Younger-Bande mit tatsächlichen Brüdern besetzt. Die Carradines spielen die Youngers. Die Keachs spielen die James‘. Die Quaids spielen die Millers. Und die Guests spielen die Fords. Es ist ein charakteristisches Alleinstellungsmerkmal. Aber es steckt mehr dahinter. Denn THE LONG RIDERS träumt von einer ehrenwerten Verbindung von Brüdern, die selbst dann zusammenhalten, wenn sie sich schon lange überworfen haben. Desillusion liegt in manchen der Schießereien. Wenn unschuldige Sterben, wenn Schweine anstatt der intendierten Ziele massakriert werden, wenn leere Scheunen minutiös und anhaltend zerballert werden oder wenn Kugeln die Brüder in Zeitlupe und bleierner Zeit zerpflücken. Und doch kommt immer wieder ein Mythos durch, der von der Schönheit der Selbstbestimmung spricht. Entweder in David Carradines (traurigen) Lächeln oder in den kleinen Impressionen und kaum zusammenhängenden Episoden, die THE LONG RIDERS ausmachen. Von Ehre erzählt diese, von Widerstand und Rebellion, vom Glücksgefühl seinen Kopf aufrecht halten zu können und sich nicht unterkriegen zu lassen. Die so oft erzählte Geschichte von Jesse James rückt hinter eine Collage von Geschehnissen der gesamten Bande. Mit der Liebe schlagen sich fast alle herum, jeder auf seine Weise. Jeder versucht ein normales Leben und sein Sein als Outlaw unter einen Hut zu bekommen. Melancholie ist oft das Ergebnis. Wenn dies alles nicht nach Zerschlagung der Gemeinschaft pflichtschuldig mit der Ermordung von Jesse James (James Keach) enden würde, er wäre nur ein blasser Nebendarsteller in etwas Vielseitigem geblieben. Und doch ist er so zentral, dass der Bruch des Films an ihm zu sehen, wenn das edelmütige Leben außerhalb eines als ungerecht empfundenen Gesetzes zum klaustrophobischen Zerfall der Brüderschaft unter Druck der ständigen Verfolgung führt. Anders als sonst in THE LONG RIDERS gibt es dafür keine prägnante Szene. Jesse trägt plötzlich einen Bart und verhält sich angespannt. Mehr brauch es nicht, um die Unschuld zu zerstören.

The Assassination of Jesse James by the Coward Robert Ford / Die Ermordung des Jesse James durch den Feigling Robert Ford
(Andrew Dominik, USA/CA/UK 2007) [blu-ray, OmeU] 2

fantastisch

In einer Szene schießen zwei Banditen, ehemalige Freunde, aufeinander. Sie befinden sich dabei keine 4 Meter voneinander entfernt und doch braucht es (für einen Film) ungewöhnlich viele Schüsse, bis einmal jemand getroffen ist. Und dann sind es aber auch nur Arm und Bein, die eine Kugel erwischt hat. Dies ist die einzige Szene ihrer Art. Die einzige, in der so etwas wie ein Duell stattfindet. Die einzige, wo zwei Menschen aufeinander schießen, die sich ins Angesicht sehen. (Wenn ich mich nicht falsch erinnere). Und so hat es den Anschein, dass es in THE ASSASSINATION OF JESSE JAMES BY THE COWARD ROBERT FORD keinen solchen Tod geben kann, wo das Opfer seinem Mörder nicht den Rücken zuwendet. Wenn Jesse James (Brad Pitt) Ed Miller erschießt, schießt er ihn in den Rücken. Wenn Bob Ford Wood Hite und später Jesse James erschießt, schießt er auf Leute, die sich von ihm abgewendet haben. Und selbst wenn Bob Ford dann selbst stirbt, kommt der Täter von hinten. Der Einzige, der für seine Tat aber zum nationalen Feigling erklärt wird, ist Bob Ford – von Casey Affleck als unangenehm schwärmerischen Vorläufer eines High School-Amokläufers gespielt, der daran zerbricht, dass die Phantasien seines Kinderzimmers mit der Realität auf sehr viele Weise nicht übereinstimmen. Es ist, als ob er hier von den Mythen, von denen schon der Titel in seiner Referenz auf das Volkslied spricht und an die er so gerne glaubt, aufgefressen wird … und als ob THE ASSASSINATION OF JESSE JAMES BY THE COWARD ROBERT FORD wiederum diese Mythen auffressen möchte.
Der davor geschaute THE LONG RIDERS war deshalb Teil eines zufällig perfekt kuratierten Double Features. Nicht nur, weil der Erste alles nach der Festsetzung der Younger-Brüder auf den Mord an Jesse James verkürzt und der Zweite genau nach dieser Verhaftung einsetzt, sondern auch weil Hills Film den nostalgischen Traum edelmütiger Brüder träumt, aus dem am Ende wehmütig aufgewacht wird, und Dominiks Film in einem Leben nach dem Traum dahinvegetiert und diesen nur noch aus Erinnerungen und Zeitungsartikeln als etwas nicht Greifbares, als Teil von Lügen und Verklärungen kennt. Ständig gibt es die Blicke durch Fensterscheiben, nicht die völlig makellosen modernen, sondern durch schwammiges Glas, dass die Bilder, welches das Licht durch sie bringt, verzerrt und entstellt. Der Blick auf spielende Kinder, auf Heranreitende oder Gesichter dahinter, ein klarer Blick ist niemanden mehr möglich. Und dann sind die Tage echter Männer eben auch schließlich dahin. Schon am Anfang, wenn der Erzähler von dem zusammengewürfelten Haufen erzählt, mit dem sich die James-Brüder umgeben haben, wirken diese wie Jugendliche auf Ausflug. Bob Ford scharwenzelt seinen Helden hinterher, während die Andere großmäulige Macker geben, deren anzüglichen Lacher über Wind aus Indianermuschis von der sexuellen Unerfahrenheit einer High School-Komödie kündet.
Ob nun Bob souverän wie ein Kleinkind auf die Neckereien und das Mobbing reagiert, ob Charlie Ford (Sam Rockwell) alles mit Lachern überspielen möchte, Ed Miller (Garret Dillahunt) naiv redet und schweigt oder Dick Liddil (Paul Schneider) jeder Frau nachsteigt, sie sehen zwar nicht so aus, aber es sind Teenagerkinder eines Vaters, der zum Todesengel geworden ist. In seiner grenzenlosen Paranoia nach Jahren des Verfolgt- und Verratenwerdens spielt Jesse James nur noch sadistische Spiele, um seine Gesprächspartner zu terrorisieren. Brad Pitt ist der passende Schauspieler, der Todessehnsucht, morbiden Spaß, Trauer, Angst und Grausamkeit ansatzweise ineinander übergehen lassen kann und der so offensiv schauspielert, dass es genau zu der undurchschaubaren Maske wird, hinter der Jesse sich verschanzt hat. Und Dominik bebildert ihn wie eine biblische Rachefigur, wenn er durch eine Glasscheibe verzerrt und in ein dickes Fell gepackt einen eisigen Hügel heruntergeritten kommt oder im hohen Gras auf einem Schaukelstuhl sitzt und gerade von ihm geköpfte Schlangen sich um seinen Arm winden.
THE ASSASSINATION OF JESSE JAMES BY THE COWARD ROBERT FORD zerfleischt seine Figuren, einen Mythos und ist dabei von einer siechenden, lebensmüden, apokalyptischen Kälte, die tatsächlich einen Erzähler zu verträumter Musik braucht, der etwas Wärme mit sich bringt. Er ist der Anker, der das komische bis schmerzlich Unzureichende der Leute mit etwas tröstender Sicherheit umgarnt.

Army of Darkness / Armee der Finsternis
(Sam Raimi, USA 1992) [blu-ray, OmeU] 6

großartig

Ein Zeitreisefilm, der den Jugendlichen, der ich mal war, in mir wieder untot aufsteigen ließ. Aus den Augen verlorenen Freunde und Bekannte sowie vergangene Videoabende aus einer Zeit, als das Leben scheinbar erst richtig begann, tauchten wieder auf. Und das seltsame Gefühl, Filme wie diesen mal für der Coolness letzten Schluss gehalten zu haben. In einem kurzen Zeitraum meines Lebens hatte ich ihn mehrmals gesehen. Davor und danach nicht wieder. Vll ist er deshalb so mit diesem verschmolzen. Durch die blu-ray mit Director’s cut habe ich aber auch gelernt, dass ARMY OF DARKNESS neben Spaß an Nekrophilie und THREE STOOGES-Zitaten tatsächlich auch ein kohärentes Ende besitzt und nicht nur dieses seltsam angepappte, dass in der Kinoversion, die ich bisher sah, einen Schluss mit Knall und Fall bringt.

Freitag 16.02.

Il soldato di ventura / Hector, der Ritter ohne Furcht und Tadel
(Pasquale Festa Campanile, I/F 1976) [DVD, teilw. OmU] 6

ok

Ein Magen-Darm-Infekt fesselte mich aufs Sofa und deshalb schaute ich Filme, die meinem geistigen Zustand entsprachen. Für HECTOR, den ich früher eher so semi-gut fand, hatte ich eigentlich Hoffnung. Gerade bei dem Regisseur. Nach einem schönen Anfang um Söldner zwischen Feind und Hunger folgt eine Suche nach dem stolzen Geist der Italiener, die zwar sympathischer Weise nicht darauf aus ist, etwas Heroisches oder Übermenschliches zu finden, sondern sich in rumpligen Quatsch genügt. Dieser Quatsch wird aber zumeist aus dem Stahlwerk geschöpft.

Piedone d’Egitto / Plattfuß am Nil
(Steno, I 1980) [DVD] 4

nichtssagend

Das Hauptmotiv von PLATFUSS AM NIL ist Bud Spencer, der den Gaunern nachblickt. Denn er weiß alles, sieht alles kommen und ist wie ein Geist immer zur richtigen Zeit bereit. Er schaut also nur zu, wie die Mäuse zwischen seinen Tatzen versuchen zu fliehen oder ihm in ihren Gängen verraten, was er bestimmt eh schon wusste.

Up / Oben
(Pete Docter, USA 2009) [DVD, OmU]

gut

Ein verbitterter Träumer trifft auf einen anderen verbitterten Träumer, wodurch er erkennt, dass er loslassen muss. Dass mit Gewalt nur die eigene Seele zerstört wird. Das Skelett ist ein sensationell einfallsloses Gefühlsmanipulationsfundament. Darauf: kämpfende Rentner, fliegende, bunte Ballons, ein noch bunterer Roadrunner mit Kindern in Gefahr und sprechenden Hunden. Und so ist UP ein Film über die Postmoderne. Eine Hommage an Abenteuerfilme der 30er, die zum Katzenvideo verniedlicht wurde.

Avanti! / Avanti, Avanti!
(Billy Wilder, USA 1972) [DVD, OmeU]

ok

Der deutsche Titel mit seiner Dopplung des Originaltitels setzt ganz auf Geschwindigkeit und Druck. Als ob Billy Wilder nach ONE TWO THREE nun durch Italien hetzen wollte. Doch das eigentliche AVANTI! möchte nur jemanden Hereinbitten. Denn, hatte Wilder Anfang der 60er Jahre eine zackige Komödie über den Kalten Krieg und das geteilte Deutschland gemacht, da folgte nun einige Filme und 10 Jahre später eine romantische Komödie über die entnervenden bzw Lebensgeister weckenden Kräfte von Genuss und Lockerheit im Allgemeinen und das Mittelmeer und Italien im Speziellen. Hier und da gibt es zwar einige Dopplungen in den Mitteln. Was bei Portraits von Nachbarländern vll nicht anders zu erwarten ist. So gibt es hier für Erheiterung eingesetzte Leute, die Mussolini nur ungern vergessen wollen und den alten Zeiten nachhängen, oder Leute, die entnervt zum (schnellen) Eintritt gebeten werden, damit etwas möglichst schnell vorankommt. Oftmals sind dies aber nur schwache Echos älterer Witze, die abgestanden herumstehen. Und dieses Spiel ließe sich auch mit IRMA LA DOUCE oder anderen alten Wilder Filmen durchgehen. AVANTI! nutzt einen verklemmten, us-amerikanischen Geschäftsmann (Jack Lemmon abermals in einer Paraderolle) und eine etwas poetischere Engländerin (Juliet Mills), zwängt sie eng aneinander und zwischen die unbekümmerte Lebensweise der Einheimischen, lässt ein paar skurrile Dinge geschehen und freut sich am Winden seiner Figuren. AVANTI! folgt einer zusammengemischten Erfolgsformel. Das Ergebnis ist dann eben eine von diesen Billy Wilder Liebeskomödien, die nur nicht mehr so frisch ist. Was jedoch hervorragend vermittelt wird, was AVANTI! durchaus sehenswert macht, ist die Hoffnung all diese Verklemmungen abwerfen zu können und einfach nur das Leben, am besten auf Ischia, zu genießen.

Dienstag 13.02.

See No Evil / Stiefel, die den Tod bedeuten
(Richard Fleischer, UK 1971) [blu-ray, OmeU]

großartig

Ein Freeze Frame von Schaulustigen, die sich an ein Tor zwängen, um besser sehen zu können, beendet SEE NO EVIL. Und irgendwie fühlte ich mich ertappt. Denn immer wieder werden Potentiale von mehr Gewalt, Sensation und Horror angerissen, aber keine wirklich erfüllt. Nachdem Sarah (Mia Farrow) sich erst in ihrem neuen Leben als Blinde einfinden und dann ahnungslos eine Nacht und einen Morgen in einem Haus verbringen darf, in dem die Leichen ihrer Familie liegen, überschlagen sich die Ereignisse. Weder wird der kriechende Horror einer Blinden alleine mit einem Mörder erfüllt, noch die Paranoia ahnungslos in den Händen von Tätern zu sein, weder die Verlorenheit in einer Ödnis, noch die sich ankündigenden kleineren Pogrome bei einem Rachefeldzug werden mit der liebevollen Ausführlichkeit bedacht, wie die erste Stunde seiner Grundidee gewährt. Danach jagt SEE NO EVIL durch Geschehnisse, die ihre Schrecken nur noch anreißen. Das kann einem lange wunderschönen Film angekreidet werden, aber dann befindet man sich eben in einer Menge, die sich an Gitterstäbe drängt, um besser auf das Blut sehen zu können. Ein schöner Effekt.

Sonntag 11.02.

Evil Dead II / Tanz der Teufel 2 – Jetzt wird noch mehr getanzt
(Sam Raimi, USA 1987) [blu-ray, OmU] 2

großartig

Ein sehr, sehr stark zusammengedampfter Sud eröffnet EVIL DEAD II und zeigt nur das allernötigste seines Vorgängers. Da es aber nicht als Zusammenfassung gekennzeichnet wird, wird schlicht mit durchgedrücktem Gaspedal in diesen Film gefahren. Das hier keine Gefangenen gemacht werden und geliebte Personen kaltblütig in den ersten paar Minuten unwiederkehrlich getötet werden, vermittelt einen konzentrierten Eindruck davon, wie wenig Kontemplation der folgende Ritt bereithalten wird. Ein TOM UND JERRY Cartoon im Geist eines Horrorfilms.

Sonnabend 10.02.

Derrick (Folge 64) Ein Todesengel
(Alfred Vohrer, BRD 1979) [DVD]

großartig

In den letzten Folgen schien sich DERRICK langsam eingespielt zu haben. Es war vll die erste größere Durststrecke, in der auf ausgesuchte Anhäufungen von Eigensinn und Irrwitz verzichtet werden musste. Wohldossiert wurde er nur noch eingesetzt. Doch EIN TODESENGEL zieht wieder an. Von Rache und Liebe erzählt er, getrieben von einem herbstromantischen Synthesizerkitsch. Mit stummen Figuren und Figuren, die ihre eigene Leere niederquatschen wollen. Mit einem elterlichen Haushalten, in denen nur noch per verbaler Gewalt aufeinander eingeschlagen wird. Mit Opfern, die für immer in der Angst leben, wann der nächste Anfall aus Schmerz und Wahnsinn über sie niedergeht. In einer Stadt voll Eitelkeit und Muffigkeit. Nur am See im Wald, da kann vll zu sich gefunden werden, wenn das alltägliche bohrende Geräusch von Schuld und Sühne mal verstummen mag.

Derrick (Folge 65) Karo As
(Dietrich Haugk, BRD 1979) [DVD]

großartig +

Ein Läuterungsdiptychon mit Schmutz und heiligem Glanz. Zwei Spiegel kommen in KARO AS prominent zum Einsatz. Da ist der in einer Villa, wo ein bald Ex-Ehemann (Klausjürgen Wussow) seine Frau noch umbringen lassen möchte, bevor er bald mittellos dasteht, und wo abgesehen von der Stieftochter niemand etwas Böses wissen oder ahnen möchte. Es ist ein großbürgerlicher Haushalt, dessen kaputte, heile Welt in sich so verzerrt ist, wie die Bilder, die der Spiegel von diesem wirft. Abstrakte Höllenvisionen entlockt er der oberflächlich aufgeräumten Realität. Und dann ist da noch der Spiegel in den Jochen Karo (Günther Maria Halmer) schaut, als er ganz unten angekommen ist. (Mit diesem wird die Folge in zwei gegensätzliche Teile gespalten.) Ganz klar und nachdrücklich zeigt er einen Alkoholiker, der für Geld und Schnaps versuchte eine völlig fremde Frau zu erschießen und der gerade in seiner Kotze aufgewacht ist. Auch in diesem Spiegel ist eine Höllenvision zu sehen. Hier aber, weil sie augenscheinlich da ist. Auf Stephan und Harry greift KARO AS dabei kaum zurück. Es geht völlig um einen Trinker, der vor sich erschreckt und zum Engel wird. Während sich der erste Teil also völlig hingebungsvoll Kotze, Suff und Heruntergekommenheit hingibt und dies alles anstandsvergessen dem Zuschauer ins Gesicht knallt, da widmet sich die zweite Hälfte – nachdem Karos Höllenvision seiner selbst wie später bei Lynch einfach per Schnitt aus dem Spiegel, der weiterhin zu sehen ist, verschwindet – einem Reuigen, der Einlass in dem Kreis seines Opfers erhält und dort mit offenen Armen empfangen wird. Die Reichen nehmen, ahnungslos ob seiner Tat, einen gescheiterten Germanistikstudenten auf und alles könnte Idylle sein. Doch da ist das Schicksal und die Vergangenheit … und der erst genannte Spiegel, der in beiden Hälften – eine schlammbraune Punkfolge hier, eine weißleuchtende, Hosianna rufende Folge mit zarten Actiondrecksprenklern da – seinen Einsatz hat. Während KARO AS also zuerst von einem sehr greifbaren Schrecken bestimmt wird, scheint in der zweiten nur der Spiegel von der Beklommenheit zu künden, die in der allgemeinen Gutmütigkeit beklemmend ausgeklammert wird.

Duelle (une quarantaine) / Unsterbliches Duell
(Jacques Rivette, F 1976) [blu-ray, OmeU] 2

großartig +

Es gibt regelmäßig diese unaufdringlichen Plansequenzen, wo die Kamera eine Person verfolgt und aus einem Raum, der nun nicht mehr zu sehen ist, von dem uns die Kamera aber mehr oder weniger versichert hatte, dass dieser leer sei, eine andere Person auf die zu Sehende zutritt. In die Realität schreiten so oftmals Feenwesen oder Elfen, Göttinnen genannt, die Schatten eines Noirkrimis in die Tristesse tragen. Ein bisschen ist es wie bei Howard Phillips Lovecraft und der weiter unten besprochenen Verfilmung einer seiner Geschichten durch George Moorse. Wesen aus Mythen, hier in Form der Töchter von Mond und Sonne, die zwischen dem ersten und dem zweiten Neumond des Jahres auf die Erde dürfen, bemächtigen sich einer scheinbar vermessenen Wirklichkeit und offenbaren Geheimnisvolles. Doch Rivette unternimmt ganz im Gegenteil zu Moorse keinen Versuch dies zu Überhöhen. In DUELLE hat diese Mythologie, wie so oft bei ihm (was er nur leider später etwas aus den Augen verlor), die überwältigende Wirkung von AstroTV. Sprich er ist eher der Rollin unter den Nouvelle Vagueern, dessen Obsessionen nur nicht so cool waren wie bei seinem Landsmann. Sprich es gibt keine Vampire, Küsten, Zwillinge und Friedhöfe, sondern Ahnungen griechischer Mythologie (Persephone oder so), die sich, wenn offenbart, in Glitterkostümen wirft, aber meist in Visionen eines Noir stecken, die sich vor allem durch unpassende Trenchcoats und Hütte auszeichnen. In seiner eigenwilligen, schlaftrunkenen Zwangsläufigkeit wirkt dies alles wie banaler Quatsch, der dieser neue Wahrheit den Glanz verwehrt. Jacques Rivettes Kino ist das einer Metaphysik, die alles Neue und Geheimnisvolle, die es hinter den Bühnen der Realität schöpf, nicht weniger trivial und schlecht aufbereitet erscheinen lässt, wie das eben schon bekannte. Die Utopie dieser Filme liegt aber genau in dieser nicht zum Höheren greifenden Verspieltheit.

Catch Me If You Can
(Steven Spielberg, USA/CA 2002) [blu-ray, OmeU]

gut +

Zum vorläufig letzten Film meiner kleiner, kompakten Spielberg-Auffrischung ein Hinweis auf diesen sehr schönen Podcast über dessen Werk. CATCH ME IF YOU CAN wird dabei kaum bis nicht erwähnt, obwohl er auch etwas Typisches für Spielberg ist. GOOD FELLAS wird in diesem umgedeutet und zu einer leichten Geschichte gemacht, die aber im Kern viel trauriger ist als Scorseses Mafiaepos/-abrechnung. Da wo in dem einem ein Mafioso ohne Reue von der schönsten Zeit seines Lebens erzählt, die nur leider unwiederbringlich vorbei ist, sehen wir in dem anderen, wie ein Betrüger scheinbar die schönste, glamouröste Zeit seines Lebens erlebt, gefasst wird und in den biederen Dienst des FBIs und der Gesellschaft tritt, weil seine Zeit im illegalen Überfluss ebenso unwiederbringlich vorbei ist. Doch Frank Abagnale jr. (Leonardo DiCaprio) möchte dieses ausschweifende Leben gar nicht. Er leidet daran, möchte einfach nur die Ehe seiner Eltern und damit einen paradiesisch gedachten Urzustand wieder haben … er möchte auch diese bürgerliche Einfachheit der Ehe und des Glücks oder wenigstens gefasst werden. Die ganze leichtfüßige wie ausladend erzählte Verfolgungsjagd zwischen dem exzessiven Abagnale und dem hyperbiederen Hanratty (Tom Hanks), sie offenbart einen existentiellen Schmerz, der entweder akzeptiert oder an dem zerbrochen wird. Und so sind GOOD FELLAS und CATCH ME IF YOU CAN ein schönes Double Feature über asozialen Hedonismus als erlebtes Glück, hinter dem tatsächlich Selbstbetrug lauert.

Freitag 09.02.

Lethal Weapon 4 / Lethal Weapon 4 – Zwei Profis räumen auf
(Richard Donner, USA 1998) [blu-ray]

nichtssagend

Das Klassentreffen mit dem zwangsläufigen Aufsagen der catch phrases des dritten Teils nochmals wiederholt … mit nochmal neuen Charakteren. Vll ist die LETHAL WEAPON-Reihe ein inspirierender Vorläufer des MCU und der X-MEN-Filme, wo auch mit immer mehr Personal vorgetäuscht werden soll, dass alles immer schneller, höher und weiter ist, wobei aber immer lebloser auf der Stelle getreten wird.

The Visit
(M. Night Shyamalan, USA 2015) [blu-ray, OmeU]

großartig +

Meine Filmsammlung ist in Regale sortiert, wo jeder Reihe ein Thema zugeordnet ist. Zur besseren Orientierung. Filme von M. Night Shymalan stehen in einem Schlemihlsein benannten Fach – nach dem jiddischen Schlemihl (offensichtlich) und einem Ausdruck von Carlotta Z. (2 Jahre), die, wenn sie eine Sonnenbrille oder eine Mütze aufsetzen möchte, dies mit der Phrase Coolsein kommuniziert. Sie teilen sich den Platz folglich mit Werken und Œuvren, die den guten Geschmack und solide Ernsthaftigkeit großzügig links liegen lassen. Dort findet sich dann beispielsweise etwas wie ZARDOZ und anderes von John Boorman. Nachdem THE VISIT, ein, wie ich fand, durchaus witziger, verschrobener Film, endete, wies mich Sabrina Z. darauf hin, dass sie diesen Film, wenn ich einmal nicht aufpassen werden, zu den Horrorfilmen packen werden. Denn da gehöre dieser Bild gewordene Alptraum hin.

Donnerstag 08.02.

The Terminal / Terminal
(Steven Spielberg, USA 2004) [DVD, OmeU]

gut

Zum Abspann läuft dann John Williams anschmiegsame Musik und nicht der Jazz, der Viktor Navorski (Tom Hanks) antrieb. Es ist sprechend für THE TERMINAL, der sich darauf konzentriert zu zeigen, wie Navorski einen ganzen Flughafen mit seinem naiven, offenherzigen, gutmütigen Wesen für sich gewinnt. Also für einen Film, der voller wohlfühliger Wärme ist und seine Dissonanzen in Form einer unaufgelösten, tendenziell desillusionierten Liebesgeschichte, Seitenhieben auf eine Menschen verschlingende Bürokratie – schon zu Beginn, wenn Navorski das erste Mal vor dem Oberbürokraten sitzt, ein Schrei am Flughafen fällt und Hank sich angstverzerrt in die Kamera umdreht – und eben per SOMETHING IN B-FLAT von Benny Golson in den Film schmuggelt. Das spannende daran ist, dass gerade durch diese Schmuggelware der totale Schmalzausbruch verhindert wird und THE TERMINAL fast schon ein abstrakter Film von einem Regisseur ist, der sich sonst keinen Gefühlsausbruch, und sei er noch so kitschig, verwehrt.

Mittwoch 07.02.

The Boy
(William Brent Bell, USA/CHN/CA 2016) [blu-ray, OmeU]

ok +

Au-Pair Greta (Lauren Cohan) soll auf einen Jungen für eine Woche aufpassen. Zuerst kommt es ihr wie ein schlechter Witz für, als sie vor einer Puppe steht, die von den Eltern wie ein lebendiges Wesen behandelt wird. Ein sehr eigenwilliges, durchaus zu fürchtendes Wesen. Am Ende ist der verstörendste Moment daran, wie einfach Greta, die gerade ein Kind während der Schwangerschaft verloren hat, akzeptiert, dass Leben in einer Puppe stecken könnte und ebenso beginnt diese zu umhegen und zu pflegen. Da wartet THE BOY tatsächlich mit menschlichen Abgründen auf. Ansonsten bleibt die Ursprungsidee das Irrwitzigste an einem Film, der sich jeden Ausflug in Wahnsinn und Überdrehtheit verbietet und realistisch Realistisches erzählt.

Munich / München
(Steven Spielberg, USA/F/CA 2005) [DVD, OmeU] 2

fantastisch

Auch ein Film, der von Spielbergs Verhältnis zu Sex spricht. Denn Sex wird hier als symbolisches Werkzeug benutzt, dass die Entwicklung der Rachegeschichte durchgedreht(?), weltvergessen(?), höchst eigenwillig rahmt. Zu Beginn bekommt Mossad-Mitarbeiter Avner (Eric Bana) von Golda Meir persönlich den Auftrag angeboten, die mutmaßlichen Strippenzieher des Massakers der Olympischen Spiele in München zu liquidieren. Einen Tag kann er es sich überlegen, wird im gesagt, woraufhin der Schnitt ins heimische Bett folgt. Nichts orgastisches oder ekstatischer heftet dem Sex dort an. Von der Aussprache sowie von der Körperlichkeit zwischen dem Ehepaar vor und nach dieser ist alles harmonisch und voller Geborgenheit. Wenn Avner eine Szene weiter den Auftrag annimmt, dann tut er dies, weil es zwangsläufig scheint, weil es Teil der eben erlebten Geborgenheit ist, nun Teil von etwas Größerem zu sein. Nach zwei Stunden eines Agententhrillers mit diversen Morden, sich ausbreitender Paranoia und einer Auflösung gerade dieser zwischenmenschlichen (und moralischen) Sicherheit, die um das Kampfwort Heimat aufgespannt wird, dem zusehends jede Heimeligkeit abgeht, hat Avner, nun von seinem Auftrag abgezogen, wieder Sex mit seiner Frau. Doch diesmal sind Raum und Zeit nicht so säuberlich getrennt, wie der Sex völlig entfremdet voneinander stattfindet. Avner starrt schwitzend und panisch auf die dazwischen geschnittenen Visionen des Massakers am Münchner Flughafen. Israelische Athleten und arabische Terroristen finden dort ihren Tod in Zeitlupe und betäubten Ton. Mit wem oder was er dort aus welchen Gründen auch immer Sex hat, ist Teil einer lähmenden poetischen Wahrheit geworden, mit Intimität mit seiner Ehefrau hat es nichts mehr zu tun. Und das Sensationelle daran ist vll, mit welcher Selbstverständlichkeit Spielberg diese Verquickung von Trieb und Tod in einen Hollywoodfilm packt…

Lots Weib
(Egon Günther, DDR 1965) [35mm]

großartig

Nachdem in PHANTOM THREAD eine der nervigsten Personen, die jemals im selben Kino wie ich saßen, vor mir saß (u.a. streckte sie sich auch mal für mehrere Sekunden und hielt dann ihren Arm einfach weiter in der Luft), saß in LOTS WEIB eine tolle Zuschauerin hinter mir. Jedes Mal, wenn Ehemann Lot und andere Bürger männlichen Geschlechts ihre Meinung zu Scheidungen und der Rolle einer Frau zum Besten gaben, wurde der körperliche Schmerz ob dieser Stammtischweisheiten hinter mir spürbar. Die Gefühlswelt von Lots Weib, die sich in einer keck aufgenommenen Welt gegen Spießbürger um Kopf und Kragen reden muss, lediglich weil sie sich von ihrem Mann trennen möchte, wurde mit jedem mehr oder weniger artikulierten Laut der Abscheu nochmal plastischer. Zum Drama gereicht wurde zudem noch Lässigkeit und Bodenturnen.

Derrick (Folge 63) Die Versuchung
(Erik Ode, BRD 1979) [DVD]

ok

Selbst die kleine Portion Wahnsinn, die sich zuletzt stets aus dem Hintergrund der bürgerlichen Maske erhob, fehlt hier. Ein netter Krimi, der seine Ellipsen selbstsicher einsetzt, ohne zu verdecken, dass sie das Einzige sind, die den Fall am Laufen halten.

Dienstag 06.02.

War Horse / Gefährten
(Steven Spielberg, USA/IND 2011) [blu-ray, OmeU]

großartig +

Analytische Distanz ist mir erstmal nicht möglich. AU HASARD BALTHAZAR aus der absoluten Entkitschung gerissen und in sein Gegenteil gewandelt. Was für ein brutaler Schmachtfetzen, wo ein Pferd immer bei der bestmöglichen Person in der jeweiligen Situation landet, die Situationen sich aber im Ersten Weltkrieg befinden. Nach einer halben Stunde wird einem das erste Mal das Herz gebrochen und dann geht es immer tiefer abwärts in der Gefühlsachterbahn. Geweint aus Trauer. Geweint vor Freude. Und dann gibt es eben noch eine comic relief Ente…

E.T. the Extra-Terrestrial / E.T. – Der Außerirdische
(Steven Spielberg, USA 1982) [blu-ray, OmeU] 6

großartig

Kurz nach WAR HORSE war mein Gefühlshaushalt noch nicht wieder ganz taub geworden. Ein Film wie E.T. wirkt dann nochmal ganz anders. Und der Tod ETs sowie seine Wiederauferstehung machen im Rahmen meiner kleinen Spielbergretro gleich mehr Sinn. Als das außerirdische Spiegelbild des einsamen und sich verlassen fühlenden Elliott ihn auch noch verlassen möchte und alles unternimmt heimzukehren, reißt nicht nur die Verbindung zwischen den beiden. Der Tod erfasst die Marterialisierung des fiktiven Freundes. Denn bei Spielberg muss scheinbar erst etwas (in einem) sterben, bis losgelassen werden kann. Erst der Tod lässt den emotionalen Abschied vom Vater in Mexiko und vom Freund im All möglich werden, wie Joey, das Kriegspferd, im Niemandslands sterben und wiederauferstehen muss, damit der Irrsinn des Kriegs enden kann, wie in AI oder ALWAYS (siehe unten) eben immer erst etwas den Tod suchen/finden muss.

War of the Worlds / Krieg der Welten
(Steven Spielberg, USA 2005) [blu-ray, OmeU] 2

großartig

Aus dem All kommen gnadenlose Killermaschinen und das gruseligste sind Familienväter, die einen los werden oder ruhigstellen wollen, und Mitmenschen, die wie Zombies oder Serienmörder inszeniert werden. Am Ende steht bei Spielberg wie so oft die Hoffnung, dass alles überwindbar ist und sich in Wohlgefallen auflöst. Aber wieder steht der Tod zwischen der Auflösung. Als ob die Happy Ends bei ihm Wunschträume von Verstorbenen in einer deprimierenden, brutalen Welt sind.

Montag 05.02.

Phantom Thread / Der seidene Faden
(Paul Thomas Anderson, USA 2017) [DCP, OmU]

gut +

I’M STILL HERE, die Mockumentary, die Joaquin Phoenix dabei begleitet, wie er Rapper statt Schauspieler sein möchte, ist vor allem ein exzessiv lang ausgehaltener schlechter Witz. Eine dumme Idee, von der nicht zurückgetreten, sondern die bis zum bitteren Ende verfolgt wird. Die letzten beiden Filme von Paul Thomas Anderson hatten ein Gefühl für ihre eigene Absurdität, für die Megalomanie unter der ausgestellten spröden, kunstvollen Einfachheit. Und gerade ihr Hauptdarsteller schien diese Idee mit in die Filme zu tragen. Nun spielt Joaquin Phoenix aber in PHANTOM THREAD nicht mehr mit. Für Daniel Day-Lewis ist er gewichen und mit diesem verschwindet diese freudig eingeschmuggelte Idiotie gänzlich. Stattdessen ein Film über Eitelkeit und Regression, der in seinem unpompösen Pomp gerade eitel und regressiv ist. Fast ist er die Perversion seiner eigenen Perversion.
Im Mittelpunkt steht eine Liebesgeschichte, die keine ist. Modedesigner Reynold Woodcock (Day-Lewis) hat sich in einem geregelten Tag und einem dünnhäutigen Charme verschanzt, um seine eigene Verwundbarkeit zu überspielen. Nach kurzen romantischen Episoden mit Kellnerin Alma (Vicky Krieps) steckt diese in diesem Alltag und sie ist völlig fehl am Platz. PHANTOM THREAD führt dies schließlich zu einem Twist oder einer Konklusion, in der sich offenbart, dass Woodcock Alma eben nicht als Geliebte braucht(e). Seine Ersatzmutter musste sie sein, die ihn abwechselnd vergiftet und umsorgt, um aus diesem Wechsel Kraft für sein Leben zu ziehen… oder so. Grob halt. In einer Szene, die ihre Ambivalenz zelebriert, wird dies als große Perversion offenbart und der Gipfel der Geschichte darin gefunden. Im Angesicht des Vorangegangenen ist dies aber nur ein nettes Bonmot. Das wirklich Abgründige steckt zwar ebenso in dieser Szene, aber es steckt irgendwo verschüttet auf einer schräg mitzudenkenden Metaebene.
Viel früher im Film gibt es einen Moment, wo Woodcock Alma durch einen Türspion auf einer Modenschau beschaut, wie sie eine seiner Kreationen aufführt. Es ist der einzige Moment zwischen den beiden, der so etwas wie Sex transportiert. (Selbst als er sie einmal mit auf sein Zimmer nimmt, herrscht nie mehr als eine platonische Atmosphäre. Vll veranstalten sie gemeinsam eine Teeparty…) Die Pupille, auf die ein Lichtkegel fällt, erinnert dabei an Norman Bates, der (masturbierend oder ähnliches) eine Duschende beobachtet. Doch der Reitz geht für ihn schwerlich von Alma aus, die in ihrer trampeligen Versuchen Woodcock zu vereinnahmen, keinen Verve entwickelt, schon gar nicht für ihr selbstverliebtes Gegenüber, der in ihr kaum mehr als eine nette Schaufensterpuppe zu sehen scheint. Sein Kleid ist es, das ihn anmacht. Seine Schaffenskraft. Und so umweht diese Liebesgeschichte zwischen zwei Menschen, die nur voneinander angezogen werden, weil sie gegenseitig ihre Eitelkeit befriedigen, die Vorstellung, wie Daniel Day-Lewis diesen Film durch einen Spion bespannt und ganz schön angemacht von seinem Können ist. Für einen Film, der dessen letzter sein soll, schwingt hier unterschwellig eine fast schon ätzende Abrechnung mit dessem Werk mit.

Sonnabend 03.02.

La muerte viviente / Todeskult
(Juan Ibáñez, MEX/USA 1971) [vhs]

gut

Auf einer Karibikinsel hat es sich ein Polizist in der Hängematte mit einer Rumflasche gemütlich gemacht. Doch seine Ruhe endet, als ein neuer Vorgesetzter ankommt, der Recht, Ordnung und westliche Zivilisation durchsetzen möchte. Folglich befindet er sich in der Mitte zwischen Baron Samedi und einem fanatischen Faschismus, zwischen dionysischer Relaxtheit und apollinischer Verkrampfung, zwischen einem langsam schwelenden Zersetzen und nach Züchtigung schreienden Gewalt. Bittererweise muss er sich für den eskalierenden Moment entscheiden, da eine Frau gerettet werden muss. LA MUERTE VIVIENTE entscheidet sich aber für die andere der beiden Perversionen. Langsam, undiszipliniert und unentschlossen zieht er dahin. Den Schock des Spießers im Angesicht des Lotterlebens genießend. Die unwiderrufliche Vermischung zweier Kulturen im hegemonialen Moment offenbarend, wenn der Sklavenhalter ebenso der oberste Voodoopriester ist.

Profumo / Lorenza
(Giuliana Gamba, I 1987) [DVD, OmU]

großartig

LORENZA beginnt damit, dass Lorenza (Florence Guérin) in ein allem Anschein nach leicht surrealem Bordell ankommt und dort von einem Mann mit dessen Revolver vergewaltigt wird. Schon die ersten Minuten von LORENZA sind höchst bizarr und stellen eine Sichtweise in Frage, wonach Erotikfilme nur für die leichte Triebbefriedigung da wären. Das Folgende schwankt dann auch zwischen höchstem Anspruch und einer Verlorenheit, die die der Protagonisten ist. Der Mann mit dem Revolver war nämlich Lorenzas Ehemann. Dessen perverse Spielchen, seine ganze toxische Hypermännlichkeit hat seine Frau nicht nur körperlich gequält, sondern auch geistig vergiftet, wie sie es sagt. Nach dieser Episode trennt sie sich von ihrem Mann, muss aber dessen Spielchen immer wieder abwehren, aber auch feststellen das er und sein Wesen fest in ihrem Gefühlshaushalt verankert ist. Als sie sich in ihren androgynen Hauswart verliebt, der das ganze Gegenteil ihres Mannes ist, bricht der Film immer mehr auseinander. LORENZA erzählt von einer Frau, die ein normales Verhältnis zu ihrer Körperlichkeit sucht und zeigt dabei erstaunlich viel männliches Fleisch als Ding der Begierde. Geschlechterrollen werden getauscht und abgewandelt. Der rote Faden, dass Lorenza ihren Mann und sein Geschlechter- wie Sexverständnis mit Gewalt aus sich herausschneiden möchte, ist voller Umwege. Mit etwas Erotik hier, einem Thriller da. Mit Seelendrama, Romantik und Eigenartigem. Voller Irrungen und Wirrungen, als ob er einerseits ratlos ist, wohin es geht, und andererseits mit dem eisernen Vorsatz den Status Quo der Geschlechter eine neue Utopie abzuringen. So ist der Striptease eines als Frau gestylten Mannes, der einen anderen Mann zum gierigen Voyeur macht hier kein Kalauer, sondern die Möglichkeit des Überlebens.

Endless Night / Heiße Hölle Erotik
(Philippe Brottet, F/B 1972) [DVD]

verstrahlt

Laut der imdb wurde ENDLOSE NÄCHTE auch als DURCH DIE HÖLLE in der BRD veröffentlicht. Als Wendecover gibt es Plakat, wo das Ganze dann HEISSE HÖLLE EROTIK heißt. In Klammern dazu der Untertitel VOYEUR-REPORT. Eröffnen tut den Film eine Texttafel, die uns erzählt, dass das zu Sehende auf einer wahren Begebenheit beruht und nur so viel geändert wurde, dass die realen Personen nicht identifiziert werden können. Sowie der Hinweis, dass ein bekannter Psychiater die Herstellung des Filmes unterstützte. Danach folgt eine neuerliche Texttafel mit einem Gedicht von William Blake. In diesem heißt es, dass einige zu süßer Wonne geboren wurden. Einige zur endlosen Nacht. Dieses Wenige spricht schon deutlich von HEISSE HÖLLE EROTIK. Einerseits ähnelt er den vielen Reportfilmen der Zeit und besteht im Großen und Ganzen aus einer fiktiven Unterredung zwischen einer Anwältin und einem Psychiater, welche die Lebensgeschichte eines Voyeurs aufwickeln, welche zu einem fünffachen Mord führen wird. Ganz offensiv wirbt ENDLOSE NÄCHTE dabei für Verständnis und dröselt die Verhaltensweisen eines zwanghaften Voyeurs und Sadisten aus seiner Kindheit her bis zu den Morden auf und offenbart die Zwangsläufigkeit des Ganzen. Gleichzeitig sind da aber auch die Erotik, die Geilheit und die Poesie. Fast schon dialektisch verhalten sich die Bilder zu dem aufklärerischen Dialog, der die ganze Spielzeit vonstattengeht. Ein Dialog, der zwar Einfühlungsvermögen vorgibt, aber die Vorgänge ungehemmt und unablässig als abartig, pervers und krank bezeichnet. So erzählt die Anwältin beispielsweise von den primitiven und dummen Stripdarbietungen, zu denen ihr Freund und Klient ging. Doch die Bilder bleiben minutenlang bei dieser Akrobatik und wollen die Einspieler wie aus einem Mondo über das Pariser Nachtleben so gar nicht abkanzeln. Alles wofür die beiden Redenden nur Hohn und Spott haben, für die Hölle, die Perversionen, die Seltsamkeiten, dies genießt der Film und lässt noch das Banalste seine Zeit. Mit einem mitunter erratischen Schnitt entwickelt er eine Wirkung, die dem wissenschaftlich Erklärtem zu etwas Ungeheurem macht. Oder völlig unpassende Bilder legen sich unter das Erzählte. Manchmal ist dieses gegeneinander Abarbeiten etwas anstrengend, aber HEISSE HÖLLE EROTIK schwingt ganz passend zwischen süßem Vergnügen und endloser Dunkelheit.

Images / Spiegelbilder
(Robert Altman, USA 1972) [DVD, OF] 2

großartig

Wer IMAGES auf der DVD von Pidax im englischen Originalton anschaut, wird die Untertitel vielleicht schmerzlich vermissen. Denn die Dialoge sind leise und öfter von Nuscheln und Verzerrungen noch extra undeutlich gemacht. John Williams atonaler Soundtrack rast aber immer wieder ohrenbetäubend über einen hinweg, wenn die Stille mit ihren leisen Gesprächen einen eingelullt hatte. Idylle und ihre Zerstörung. Das ist das Hauptvorgehen von IMAGES. Cathryn, eine Romanautorin, zieht mit ihrem Ehemann in die irische Abgeschiedenheit ihrer Kindheit. Doch dort angekommen, zerfällt ihr Realität zusehends. Zunehmend sehen wir, wie sie sich selbst an einem anderen Ort und vielleicht zu einer anderen Zeit beobachtet. Ihr verstorbener Ehemann steht plötzlich vor ihr, als sie sich mit ihrem jetzigen unterhält. Visionen von Leuten stehen einfach so im Raum und nur sie kann diese sehen. Oder anwesende Leute sehen für sie mit einem Mal wie andere aus. Hinter jeder Ecke kann eine Verzerrung warten, hinter jedem Schnitt eine andere Aufhebung von kausaler Sicherheit. Sie verdächtigt ihren Mann, dass er fremdgeht, während sie doch selbst von einem gemeinsamen Freund betätschelt und genötigt wird. Die Demontage des ehelichen Vertrauens geht so einher mit einer Vernichtung aller sinnhaften Zusammenhänge der Realität. Kameras, die im Raum stehen, richten wie von geisterhand immer auf Cathryn aus. Die wunderschöne, herbstliche Landschaft mit alles vereinnahmenden Laub und tiefstehender Sonne wird von Kameramann Vilmos Zsigmond zu etwas Breiigem voller Schatten. Und in dieser unsicheren Schönheit geht Cathryn zunehmend mit Messern gegen ihre sie im Mark treffenden Visionen vor. Blut, rot und atavistisch gurgelnd, wird in die Idylle fließen.

Freitag 02.02.

H.P. Lovecraft: Schatten aus der Zeit m
(George Moorse, BRD 1975) [DVD]

fantastisch

Howard Phillips Lovecraft hat neue Mythen erschaffen. Paranoide, Raum, Zeit wie alle Vorstellungen sprengende Götter- wie Monstergeschichten, die eine sicher geglaubte Welt aus den Angeln hoben. Vor der Frage, wie so etwas zu filmen sei, wie etwas, das alle Begriffe eines simplen Realismus zerstören wollte, mit einem Medium aufzunehmen sei, welches zuvorderst eine Realitätswirkung hat, davor stand Regisseur George Moorse und er entschied sich für etwas Gewagtes. Ähnlich wie in LA JETÉE von Chris Marker warf er das bewegte Bild über Bord und unterlegte einen Erzähler, dessen Geschichte wir die 50 Minuten hören, mit einer Abfolge von Fotografien, Gemälden und (Kreide-)Zeichnungen. Wenn uns also Professor Petersen berichtet, wie er erkennen muss, dass eine fünfjährige Amnesie die Übernahme seines Körpers durch ein außerirdisches wie vorzeitliches Wesen war, dann bekommen wir nur statische Dokumente zu sehen. Als ob die sich ausweitende Erzählung, welche die Welt, wie wir sie kennen, mit epischen Mythengeschichten von fremdartigen Rassen unter der Erde und jenseits der Zeit zu einer gänzlich anderen verändert, nur in Fragmenten fassbar ist, hangeln wir uns von einem Eindruck zum nächsten. Unwirklich und in bewegten Bildern scheinbar undokumentierbar erleben wir nur Bruchstücke eines anscheinend niederschmetternden Ganzen. Dazu dröhnt zuweilen der Krautrock mit seinen schwebenden Synthesizern. Aber das Bedrohlichste, so macht uns Lovecrafts Werk immer wieder klar und darin findet auch Moorses Film seine Meisterschaft, das Schönste und Bedrohlichste ist das Wissen. Wesen, die nichts anders machen, als sich durch Zeit und Raum zu bewegen, um eine allumfassende Bibliothek zu erstellen, ein Mann, der auf der Suche nach der Wahrheit, nach den Anzeichen dieser Wesen in der Menschheitsgeschichte sucht und liest, liest, liest, sie sind die Hauptträger dieser Geschichte. Wissen, es ist hier äußerst rauschhaft und bewusstseinserweiternd. Voll Wonne und Zerstörung.

Bob le flambeur / Drei Uhr nachts
(Jean-Pierre Melville, F 1956) [blu-ray, OmU]

großartig +

Vorbereitungen, Dinge und ein unmöglicher Heist. Ein Abstraktum, das durch eine fröhliche Unwahrscheinlichkeit der Wahrwerdung eines feuchten Wunschtraums eines jeden Spielers ausgehoben wird. Dazu eine französische Polizei, die keine Gründe braucht, um mal wild loszuschießen oder sich Nächte für freundschaftliche Rücksicht um die Ohren haut.

Donnerstag 01.02.

Derrick (Folge 62) Das dritte Opfer
(Alfred Vohrer, BRD 1979) [DVD]

gut

Vll eine emblematische Folge für das, was zu Letzt immer öfter bei DERRICK geschah. Am Anfang gibt es diesen Mann, der ein Katz-und-Maus-Spiel in Richtung ROPE möglich macht, doch nach dem liebevollen Auftakt kommen die biederen Ermittlungen in biederen Gefilden. In dieser Biederkeit findet die Folge jedoch eine schwer artikulierbare Form von Wahnsinn. Eine Episode zuvor war es diese Ehe, die alptraumhaft dröhnte, wenn Mann und Frau alleine in abgeschlossenen Räumen waren und eher wie Mutter und Sohn wirkten. Hier gibt es eine Rückblende, die eine Familie netter Leute (sarkastischer O-Ton Derricks) offenbart, die von einer Stimme terrorisiert werden, die wie ein irrsinniger Papagei durchs ganze Haus schallt und alles Gesunde hasst (so die Einschätzung des Ehemanns der Stimme, Heinz Drache). Der Modus Operandi scheint der eines Einlullens zu sein, in den dann die Spitzen der Abgründe, die zu Mord und Totschlag führen werden, umso brutaler wirken.

Januar
Mittwoch 31.01.

Bridge of Spies / Bridge of Spies: Der Unterhändler
(Steven Spielberg, USA/D/IND 2015) [blu-ray, OmeU]

fantastisch

Als Spielberg in den 90er Jahren auf Biegen und Brechen beweisen musste, dass er ein ernster bzw ernstzunehmender Filmemacher sei, habe ich den Anschluss zu ihm verloren. Wenn diese Phase aber nötig war, damit er solche Filme wie diesen hier drehen konnte, dann musste es eben so sein. Mit welcher Gelassenheit und Selbstverständlichkeit kleine Abläufe hier gefilmt sind. Ein steter Fluss von wenig aufregenden Dingen, die zusammen doch einen Agententhriller ergeben – auch wenn mehr Augenmerk auf einem Schnupfen liegt, als auf Thrills. Darin erzählt er zuerst von Hysterie, von den unamerikanischen Tendenzen sich empörender Patrioten, von Donald Trump und McCarthy, um dann ein stilles Loblied auf das unwirkliche Glück unbequem sein zu können zu singen … und dabei wie nebenher sehr treffend von dem Minderwertigkeitskomplex der DDR erzählt, die sich nur nach einem Handschlag sehnt, nach jemanden, der in ihr mehr als einen Satellitenstaat sieht. Und das Licht wieder… Toll.

Dienstag 30.01.

Derrick (Folge 61) Ein Kongreß in Berlin
(Helmuth Ashley, BRD 1979) [DVD]

ok

Die unbebauten Flächen voller Schutt und Müll oder die maroden Wohnungen, sie setzen Berlin in die Nähe zu dem ähnlich charmanten New York dieser Zeit. Nicht das dieser Unterschied zu München irgendeine Rolle spielen würde. Stattdessen eine wenig überraschende Episode mit ausnahmsweise 75 Minuten Laufzeit und einer tristen Erklärbärszene, die nach einer Stunde nochmal alles schön säuberlich zusammenfasst. Solitäres Highlight: eine Ehefrau, die mit brummenden Synthesizerflächen aus einem ödipalen Alptraum entstiegen scheint.

Montag 29.01.

Out for a Kill
(Michael Oblowitz, AW/USA 2003) [DVD, OmU]

(ok)

Zu Beginn gibt es eine Szene, wo Polizisten ein Nachtlokal voller Leichen durchstreift und Fetzen des vergangenen Massakers wiederkehrend, wie Echos einer vergangenen Realität, die sich aus den zurückgebliebenen Anzeichen lösen, dazwischen geschnitten werden. Anschließend wird dieses Massaker in seiner Gänze noch nachgeliefert. Die Schönheit der ersten Szene sorgte nicht dafür, dass das Bestehen auf die audiovisuelle Drastik aufgegeben worden wäre. Und ebenso wandelt OUT FOR A KILL zwischen traumgleich zusammengehaltenen Abläufen um einen buddhagleichen Steven Seagal, der noch seine unbedarftesten Gedanken um die Dinge vor seiner Nase wie in einem Selbstgespräch vor sich hinmurmelt und der Rache an ein paar chinesischen Mafiabossen nehmen möchte, die an einem Tisch sitzen und in ihrer Zwischenwelt gefangen scheinen, und einer Insistenz auf Mord in Zeitlupen und prollige Überzeichnung.

Sonntag 28.01.

Minority Report
(Steven Spielberg, USA 2002) [blu-ray, OmeU] 2

fantastisch

Gerade diese unerklärten Biotope, die John Anderton (Tom Cruise) auf seiner Suche nach der Wahrheit für meist nur eine Szene aufsucht, sie machen MINORTIY REPORT für mich aus. Der schwarzhumorige Sadismus von Dr. Solomon Eddie (Peter Stormare), der Kuss der Frau mit den äußerst potenten fleischfressenden Pflanzen (Lois Smith), die einen auf Schritt und Tritt verfolgende, personalisierte Werbung und all die kleinen Ideen an Waffen und Fahrzeugen, die die Welt plastisch machen. Und dann ist da dieses blendende Licht, dass sich in der Luftfeuchtigkeit verfängt und alles in ein glänzendes Weiß taucht. Das an den entsprechenden Stellen den leichten Nebel aufleuchten lässt. Diese Wärme des Mysteriums, der weggekoksten Schmerz und dessen ziehende, glühende Wiederkehr schwingt in diesem mit.

Sonnabend 27.01.

Always / Always – Der Feuerengel von Montana
(Steven Spielberg, USA 1989) [blu-ray, OmeU]

großartig

Auf den ersten Blick geht es wohl um einen Draufgänger, der erst im Tod erwachsen wird. Der als Geist wieder auf Erden wandelt und seine Erfahrung an einen anderen Piloten – als für diesen unsichtbare Inspiration – weiterreichen muss. Und auch wenn dies große Teil der Zeit in Anspruch nimmt, bleibt diese Erzählung schal. Denn vielmehr geht es um die zurückbleibende Geliebte. Ein ums andere Mal wird sie von dem unsichtbar Wandelnden an seinen Verlust erinnert. Während ALWAYS also einmal spielerisch, witzig und dem Aufschneidertum eine große Bühne bietend von einem Kind erzählt, dass wenig überzeugend ein Erwachsener wird, da erzählt es auch von einer Person, einer lebensfrohen, starken, die von ihrem vergangenen Glück verfolgt und von ihrem Schmerz fast zerrissen wird.

Artificial Intelligence: AI / A.I.: Künstliche Intelligenz
(Steven Spielberg, USA 2001) [blu-ray, OmeU] 2

fantastisch

Vll war es nur Zufall, vll ist es ein zentraler, von mir bisher nicht wahrgenommener Teil von Spielbergs Œuvre. ALWAYS und AI bilden jedenfalls ein schönes Double Feature zum Thema Loslassen und darüber hinaus über Loslassen per Selbstmord. Da wo in ALWAYS Dorinda (Holly Hunter) in ein Flammenmeer gen sicheren Tod fliegt und schließlich nach einem Absturz zu ertrinken droht, nur um die Erinnerungen an ihren gestorbenen Verliebten zu exorzieren, da springt hier David (Haley Joel Osment) von einem Hochhaus im überfluteten Manhattan, um endlich den Schmerz des Verlustes seiner Mutter zu überwinden. Der Erfolg von David ist aber ein sehr bitterer, seltsamer.
In drei Teile fällt A.I. auseinander, wobei die ersten beiden von diversen Schrecken bestimmt sind. Zuerst ist da das Familiendrama, in dem eine Mutter erst einen gruseligen, seelenlosen Androiden als Ersatz für den leiblichen Sohn im Koma erhält. Dieser künstliche Junge entwickelt mit der gegenseitigen Liebe zwischen Mutter und Sohn zwar eine Seele, aber damit entwickelt sich auch der Schmerz. Es ist wie in der Geschichte von Adam und Eva. Erst scheint er glücklich, was auch immer das bei einem künstlichen Wesen heißt, der nur seinem programmierten Protokoll folgt. Die Angst, die er bereitet, nimmt er jedenfalls nicht wahr und grinst. Sobald die Liebe aber da ist, ist es als hätte er vom Apfel des Baums der Erkenntnis von Gut und Böse gekostet. Auf einen kurzen Schritt wird bei beiden Szenarien die Entstehung eines Selbstbewusstseins verkürzt. Preis ist dafür jeweils die Vertreibung aus dem Paradies. An Stelle einer simplen, hingenommenen Welt, die vielleicht manchmal Unannehmlichkeiten bietet, die aber schnell vergessen sind, setzt sich eine, in der wir ahnen, was Schreckliches passieren kann, in der wir sehnen, aber nicht bekommen, uswusf. Bei David sind es Vater, Bruder oder andere Kinder, die sein kleines Paradies mit der Mutter zunehmend mit Angst und Leid befüllen.
Irgendwann muss David aber sein Heim und seine Geborgenheit verlassen. Vertrieben wurde er durch die Angst der Leute vor seinem künstlichen Sein. Pinocchio muss David nun in sich sehen, um mit der Möglichkeit der Menschwerdung noch eine Chance auf eine Rückkehr zu haben. Und so wandelt sich A.I. von einem verträumten, sachten Horrormelodrama zu einem wilden, zirkusartigen Märchen, in dem die Welt von Monstern, Lynchmobs, Enttäuschungen und der Suche nach einer Fee beherrscht ist. David möchte gerne Mensch sein. Was er nicht versteht, was die Leute um ihn – aus Angst vor dem Anderen – nur teilweise erkennen (wollen), er ist es schon längst geworden. Und wir sehen einen Menschen mit der unzerstörbaren Hoffnung, seine Mutter wiedersehen zu können … und wie dessen naives, kleines Herz ein ums andere Mal gebrochen wird. Es ist vll eine kindliche Hoffnung, dass wieder alles Gut werden kann, paradiesisch, aber es ist auch eine sehr verständliche. Was es beim Zuschauen umso schmerzlicher machen kann. Dass dies ein Film von Stanley Kubrick hätte werden können, es ist kaum vorzustellbar, da Spielberg keine hermetischen Häuser voller Didaktik baut, sondern diese Gefühle mit all den ihm zur Verfügung stehenden Möglichkeiten Ausdruck verleiht. Das Ergebnis ist brutal. Ich fühlte mich, als würde ich mein inneres Kind zu Grabe tragen müssen. Weil Menschsein hier leiden heißt. Scheinbar oder anscheinend, ich bin mir nicht sicher.
Aber da ist ja noch der dritte Teil. Diese ewig lange Coda. Vll ist sie der Traum eines Gestorbenen, vll die Möglichkeit des Erwachsenseins. David betet, unsterblich wie er ist, für mehrere Jahrhunderte für die Rückkehr seiner Mutter und landet bei Gleichgesinnten. Bei Androiden, die wie Außerirdische aussehen. Ihre Liebe zu den Menschen, welche inzwischen ausgestorben sind, macht sie aber auch zu Kindern, die von ihren Eltern verlassen wurden. In einem unsagbar wohligen Kissen endet A.I. mit diesen. Dem Realismus des ersten Teils und dem makabren Surrealismus des zweiten wird ein sanftes Traumhaus entgegengesetzt. Eine Entschädigung vll, vll aber auch nur die Perspektive, dass Erwachsenwerden möglich ist.

Donnerstag 25.01.

Derrick (Folge 59) Lena
(Theodor Grädler, BRD 1979) [DVD]

uff

Lena ist taubstumm. Sie war anwesend als ihre Schwester umgebracht wurde. Sie hatte den Täter Richtung Haus gehen sehen, aber vom Vorgang einen Raum weiter nichts mitbekommen. LENA setzt Lena einer traumatischen Situation aus, da sie eine sie betreffende Art von Hilflosigkeit nochmal tiefgreifend in diesem Mord zu spüren bekommt. Das ist aber gar nicht Lenas Problem. Denn diese Folge ist purer Unbehaglichkeitsterror, in dem wirklich alle Leute unterstreichen, wie unfassbar arschig sie sind. Denn Lena wird von allen und jedem behandelt wie eine geistig Behinderte, als ob sie kaum zurechnungsfähig und kein selbstbestimmter Mensch wäre. Auch die Inszenierung lässt keine Möglichkeit aus, um zu unterstreichen, wie lästig die Leute den Umgang mit ihr finden. Nachdem Derrick beispielsweise nach zähen, endlosen Minuten doch mal jemanden hinzuzieht, der Gebärdensprache beherrscht (dazu diese zu lernen, lässt sich niemand in ihrem Umfeld herab), zeigt ihn die Kamera genervt zwischen Dolmetscherin und Lena sitzend, kurz davor die Geduld zu verlieren. Fast wird seine Genervtheit durch die Länge der Einstellung und seinen Blick als Pointe genutzt. Ach, der arme Derrick scheint der Tenor zu sein. Und Lena ist in diesem Umfeld dann eben so mürbe gemacht – ihre Bewegungen und ihr dankbares Lächeln für jede noch so arschige Zuneigung ähneln dabei denen der taubstummen Dienerin in MURDER BY DEATH, wenn sie mit dem blinden Alec Guinness zu tun hat – dass sie sich in dieses Bild von ihr zu fügen scheint. Vll ist LENA keine schlechte Episode, aber für mich war sie kaum durchzustehen. Eine Stunde Folterbank fehlender Menschlichkeit, die durch die gleichgültige Inszenierung und den sich darin spiegelnden, anzunehmenden Realismus nochmal angeheizt wird.

Derrick (Folge 60) Besuch aus New York
(Helmuth Ashley, BRD 1979) [DVD]

ok

Ein paar trufte Tanz-/Aerobic-Szenen, das Verhalten der Familie Megassa, die eine von Killern verfolgten jungen Frau zur Untermiete wohnen haben, wo die Mutter in voller Tristesse erzählt, dass sie sich nie etwas leisten konnten (Invalidität und Arbeitslosigkeit haben sie resigniert in ihrer Küche stranden lassen) und die für den Traum von etwas Geld ihre Seele verkaufen – wie sie in die Bar trüben, um zu Hause den Killern den Weg frei zu machen, es ist ein unauffälliges Mahnmal von Menschen, die alles haben fallen lassen – sowie die sensationell unbeholfenen Versuche Harrys besagte Frau zu schützen (mal jagt er zu schöner Poliziottescomusik durch die Straßen Münchens, nachdem er von einer akuten Bedrohung erfuhr, aber erstmal in Ruhe alles mit Derrick ausdiskutiert hatte, mal lässt er den Killer völlig grundlos möglichst nah ein sein potentielles Opfer ran, so dass er es schafft den Schuss, nach langer Zeit zum Planen, Vorbereiten und Fallenstellen, gerademal einige Zentimeter neben den Kopf des Ziels zu lenken), viele schöne Momente hat BESUCH AUS NEW YORK gerade in Bezug auf Momente, denen anzumerken ist, dass die handelnden Leute später wegen ihren Entscheidungen etwas schlechter Einschlafen können. Aber der ganze Platz, der dem Krimi um Mafiabosse, fadenscheinige Privatdetektive und englische Namen, deren Aussprache einen die Anglophilie der Edgar Wallace-Filme zurückholt, er wird kaum genutzt. Vll war ich durch die unmittelbar davor durchlittenen LENA noch zu unversöhnt.

Mittwoch 24.01.

Bu er shen tan / Badges of Fury
(Wong Tsz Ming, CHN/HK 2013) [blu-ray, OmU]

(gut)

Selbst das CGI wird zum Teil eines Festivals der Albernheiten. Erhöhte Werte waren dabei zu messen. Durch einsetzende Ermüdung bin ich mir jedoch nicht sicher, ob die Stahl- oder die Strahlwerte überwogen.

Dienstag 23.01.

The Skull
(Freddie Francis, UK 1965) [blu-ray, OmeU]

großartig

Nach 20 Minuten gibt es eine Rückblende. Das, was in den ersten Minuten geschah, wird nochmal wiederholt. Dazu gibt es längere Momente, wenn Leute zu Türen schlendern, sowie weitschweifige Ausführungen über den Marquis de Sade und wie diese Geschichte sich ihn vorstellt. Selbst die etwas über 80 Minuten, die THE SKULL im Endeffekt dauert, muss Freddie Francis bedingt durch ein viel zu knappes Skript erzwingen. Aber er macht aus dieser Not eine Tugend und erschafft mit seinem Zeitschinden mitunter Ultrakunst. Wenn Christopher Maitland (Peter Cushing) beispielsweise auf seiner Couch sitzt, eine Biographie von de Sade liest und dessen Schädel langsam von ihm Besitz ergreift, dann zeigt ihn die Kamera im steten Wechsel der Perspektiven aus allen Richtungen des Raums … durch all seine okkulten Seltsamkeiten hindurch und in einem höllisch glühenden Rot und Schwarz. Ein Mann sitzt und liest und es ist, so lange es dauert (und es dauert merklich), ganz große Filmkunst. Suggestive Bilder, die aus etwas sehr Langweiligem etwas Packendes macht. Grandios.

Montag 22.01.

Derrick (Folge 58) Tandem
(Zbyněk Brynych, BRD 1979) [DVD]

großartig

Die Musik hört sich an, wie die Keyboards bei Joy Division. Es fehlt aber der Rest. Das Ergebnis: new age der bedrohlichen Art. Vertonen tut sie die kaltblütigen Versuche Ewald Bienerts eine unschuldige Miene zum bösen Spiel zu machen. Und ein Katz-und-Maus-Spiel ist es, das uns TANDEM bietet. Bebildert wird es durch ein ständiges Hineintrüben in die Einstellungen. Derrick oder Harry kommen hinter einer Wand hervor und schauen wissend zum Schuldigen. Ein Kellern stellt sich aufdringlich zwischen die Redenden oder schaut aus dem Hintergrund, in den er lakonisch eindringt, voller Abscheu auf Derrick. Charlotte Nolde (Elisabeth Wiedemann) schaltet das Licht an und taucht unerwartet und verängstigt aus der Dunkelheit nach einem Schnitt auf. Uswusf. Brynych schafft eine Atmosphäre ständiger Beobachtung und Abschätzung des Gegenübers, eine Atmosphäre des Lauerns. Und irgendwo darin befindet sich Rudolf Nolde, den Raimund Harmstorf als sensiblen wie tapsigen Bären spielt … der am Ende, so suggeriert die abermals tolle eingefrorene Endeinstellung, möglicherweise das Spiel (gegen Derrick) gewonnen hat. Der Grusel sich das auszudenken: Derrick könnte tatsächlich seinen Meister gefunden haben… Da packen die Keyboards dann erst richtig zu.

Sonntag 21.01.

Le doulos / Der Teufel mit der weißen Weste
(Jean-Pierre Melville, F/I 1963) [blu-ray, OmU] 2

großartig

Es ist aller noch verspielter, als das was kommen wird. Das Schweigen, hier noch nicht ganz zum Ausdruck von existentialistischen Verloren- bzw Geworfensein geworden, hat noch etwas herb männliches. Eine Geschichte von traurigen Verbrechern.

Gaslight / Das Haus der Lady Alquist
(George Cukor, USA 1944) [DVD, OmeU]

großartig +

Fast eine halbe Stunde ist GASLIGHT 1944 länger als die britische Version. Es ist die offensichtlichste Manifestation dessen, wie viel ausladender diese Variante ist. So ausladend, dass die Konzentration der Psychospielchen, des Wahnsinns und der Perversion ein klein wenig weniger Platz haben. Eine der vielen Szenen, die sich die Filme teilen, ist ein Flirt des Hausherrn mit dem Dienstmädchen … in Anwesenheit seiner Frau. In GASLICHT sehen wir die beiden Flirtenden gleich zu Beginn am Kamin stehen. Eine kleine Kamerafahrt nach links offenbart nicht nur den Umstand, dass die Hausdame, bisher von ihrem Mann verdeckt, immer noch im Raum ist, sondern auch, dass diese Impertinenz direkt vor ihren Augen geschieht. Es ist eine kleine, effektive Bewegung, die die Unverschämtheit Walbrooks direkt vor Augen führt. In DAS HAUS DER LADY ALQUIST sehen wir Ingrid Bergman an einem Tisch im Vordergrund und den Flirt hinter ihrem Rücken in Distanz am Kamin. Ihr Mann und das Dienstmädchen links und rechts von ihr. Nicht die Unverschämtheit wird hier offenbar. Es ist eine hysterische Einstellung von Leid und Schmerz, die gerade durch ihre Dauer zum Terror wird. Ingrid Bergman sitzt mitten zwischen zwei kleinen Figuren, die unablässig durch ihre Ohren hindurch sich becirzen. Wo die vorangegangene Version also den Sadismus der Situation verdichtet und prägnant aufarbeitet, da ist Cukors Vision melodramatischer, was heißt, er zerfließt in seinen Gefühlen. So beginnt es hier auch mit einem weitschweifigen Prolog, der von der sich entwickelnden Liebe bis zur Eheschließung führt und für den Dickinsons Film keinen Platz hatte. Schon hier finden wir die Liebenden hinter schönen, aber auch spitzen Ornamenten von Gittern oder in einem am Ufer liegenden Haus, wo etwas Moder am Rand dem Fluss des Wassers/der Gefühle/des Glücks etwas Morbides beimischt. Und auch so, die Treppen, die Schatten, das Interieur, die Räume, vorher Gefängnisse des Großbürgertums und des Nippes, sind viel plüschiger, sinnlicher, aber auch schattiger. Das Leid und das Glück der Lady Alquist liegt überall um sie herum, so dass der selbstverliebte Polizist keinen Platz mehr hat und für einen biederen Romantiker (Joseph Cotten) weichen muss, dass religiöser Fanatismus und doppeldeutig versteckter Sex noch dezenter werden und der perverse Wahnsinn Walbrooks durch eine charmante Bösartigkeit Charles Boyers ersetzt wird. Es ist ein klein wenig Verzicht, aber das gefühlige Ertrinken Bergmans während ihres Abstiegs vom Himmel in die Hölle hat nun wieder die vorherige Version nicht zu bieten.

Sonnabend 20.01.

Gaslight / Gaslicht
(Thorold Dickinson, UK 1940) [blu-ray, OmeU]

großartig +

Anton Walbrook spielt seinen Ehemann als Domina, der seine Frau mit Psychospielchen in den Wahnsinn treiben möchte. Ganz virtuos wandelt er dabei zwischen ausgestelltem religiösen Fanatismus, der die Bibel wie einen Richtstein Gottes behandelt, nur um im nächsten Moment mit dem Dienstmädchen zu einer Vorstellung der Cancan-Mädchen zu gehen – was so viel wie optischer Slang für Sex ist. Währenddessen findet seine Frau allein gelassen im barocken, viktorianischen Chic ihres Hauses trotz all der Schnörkel und Dinge nichts zum Festhalten, weil die Verbindung zwischen ihrem Geist und der materiellen Welt zunehmend gekappt wird. Sprich es geht um Orte, wo so viel rumsteht, dass die Schatten überall ihren Platz finden. Zum Glück gibt es aber eine Art Sherlock Holmes, der durch den Gotischen Horror von Nebel und Reichtum schreitet und der mit seinen Aufdeckungen der Sachlage für einen Grad an Wahnsinn sorgt, der alles übertrifft, was sich Walbrooks Figur wünscht.

The Postman / Postman
(Kevin Costner, USA 1997) [DVD, OmeU]

verstrahlt +

Es beginnt in einer Wüste, die mal Utah war. Ganz normales Gelände für die Postapokalypse also. Die vereinzelten Posten der Überreste der vormaligen Zivilisation, wo große Teile der Handlung stattfinden, liegen aber in einer Waldtundra … denn THE POSTMAN ist zu einem gewissen Teil auch eine Reimagination des us-amerikanischen Unabhängigkeitskrieges. Und dann ist da der Moment, als es aussieht, als ob einzig die wiederaufgenommene Kommunikation zwischen diesen Posten, also die Wiederkehr der Gemeinschaft der Menschen, sie aus ihrem Jammertal führen würde. In diesem sehen wir Kevin Costner durch einen Postwerbespot reiten. Ein einzelnes Haus steht dort in einer blühenden Landschaft und ein Junge kommt herausgerannt. Er möchte dem anstürmenden Postmann einen Brief in die Hände zu drücken. Dieser reitet aber unbeeindruckt vorbei. Tränen sind in des Jungen Augen zu erkennen, wenn er zu seiner Mutter zurückschaut. Doch wenn alle Hoffnung verloren scheint, dreht Costner um und reitet mit ausgestreckter Hand und Reitwind in Haar und Mütze zurück. In saftigen Farben und leuchtendem Licht, entlang den kleinen, ordentlich gepflegten Zäunen rechts und links des Weges. Optisch ist dieser Augenblick ein Fremdkörper, der so nah an einem Werbespot ist, dass es denkbar scheint, eine Parodie eines realen Spots hätte sich in diese Ansammlung von epischen Irrwitz verirrt. Für mich ist es der Höhepunkt, ab dem ich (bis kurz vor Schluss zurecht) glaubte, dass die wahnwitzigen Einfälle und Inszenierungsideen mich nun nicht mehr so in meinen Grundfesten bzgl der Möglichkeiten eines Hollywoodfilms erschüttern könnten. Denn nun war klargeworden, wie durchgedreht THE POSTMAN ist und dass er von Realismus und Scham nichts hält. Alleine die Vorstellung, dass Kevin Costner nach WATERWORLD genug Geld zusammenbekam, um sich selbst als kevin-costnerischen Wiedergänger von George Washington und Jesus Christus, als Zuchthengst der Frauen umgeben von minderwertigen Genmaterial zu inszenieren, ist schon so ein Ding an sich. Aber das Ergebnis spottet dann doch jeder meiner Vorstellung.
Die heroische Musik, die Zeitlupen, wie Ford (Larenz Tate) völlig überzogen kurz nach der Ankunft eines zerlumpten Möchtegernpostboten von dieser Profession redet, als ob es Superhelden wären; das Pathos kommt einem hier nicht sachte, sondern zuweilen in unbändigen, überzogenen Sturmwellen entgegengeschwappt. Und dann sind da so Sachen, wie die Milizkämpfer, die einen Filmvorführer, der ihnen UNIVERSAL SOLDIER auftischt, mit Steinen bewerfen, bis er endlich wieder THE SOUND OF MUSIC anstellt. Es sind all diese Dinge … und wie ernst er seine Geschichte mit ihnen nimmt. Irgendwo zwischen einer Parodie und einem ungefilterten Blick ins Herz der USA (bzw des Menschseins) verortet er sich. Und das kann dann schmerzhaft sein oder es mag einen peinlich berühren. Der Kopiermaschinenverkäufer, der sich durch den zivilisatorischen Zusammenbruch zum größenwahnsinnigen General aufschwingt und nun seine übermenschlichen Potentiale nicht mehr verschwendet sieht, er ist vll realer als uns lieb ist. Es gibt diesen Spruch: Eigentlich bin ich ganz anders, aber ich komm so selten dazu. Hier wird jedem die Chance gegeben, zu sein, wie sie ist.
Vor allem ist THE POSTMAN aber ein schöner Film über den Glauben. Als die namenslose Figur Costners an seinem ersten Tor als Postman ankommt, will er sich nur mit einer gefundenen Uniform und den dazugehörigen Briefen aus einer anderen Zeit etwas Essen und eine Unterkunft für die Nacht erschnorren. Er erzählt Geschichten vom Osten des Landes, wo der Wiederaufbau angefangen haben soll und dass er als Vertreter der Post mit seinem kärglichen Versprechen einer möglichen Kommunikation dies auch rudimentär hier nach Oregon bringen wird. Selbst die größten Skeptiker glauben seinen Geschichten, auch wenn sie fühlen, dass es Lügen sind. Sie träumen zu Tanz, Lagerfeuer und middle of the road-Folkpop von der Wiederkehr des Sinnes in ihr Leben, von der Wiederkehr der USA. Und in diesem Trubel, der aus einer kalten, unwirtlichen Welt eine gemütliche macht, findet der Postman gleich seinen Paulus. Ein junger Mann, Ford, möchte auch Postman werden. Auch er möchte glauben (an die USA und einen Sinn in seinem Leben) und vor allem möchte er, dass andere glauben. Er baut ein ganzes System von Postmännern auf, mit denen er die schnell sprudelnde Post verteilt und denen er gefälschte Briefe vom Postman und dem Präsidenten der USA vorliest, um die Hoffnung am Leben zu halten. Aus einem Rumtreiber macht er (gegen dessen Willen) einen Messias. Zwar glaubt dabei niemand innwendig, aber ein sozialer Glauben entsteht, wo jeder für den anderen mitspielt, damit die Leute wieder einen Sinn finden könne. Ganz nach der Wette Pascals können sie damit nur gewinnen, denn zu verlieren haben sie nichts mehr. THE POSTMAN inszeniert diesen ganz innigen us-amerikanischen Glauben an Selbstbestimmung, Gewehre und das Glück, dessen eigener Schmied wir sein sollen, als ob sein Leben davon abhängt und als ob es ganz lässig wäre, so zu glauben. Und so glaubt er für uns so fest, dass es manchmal wehtut.

The Green Inferno
(Eli Roth, USA/CL/CA/E 2013) [blu-ray, OmU]

großartig +

Die unmittelbare Wandlung Alejandros (Ariel Levy) vom großen, humorlosen Idealisten zum Megazyniker ist pures Comedygold … was seinen Höhepunkt findet, wenn er in auswegloser Gefangenschaft beginnt zu masturbieren und dafür gewürgt wird … ohne das ihn das zum Aufhören veranlassen würde. THE GREEN INFERNO ist dabei ein schönes Gegenstück zu THE COMMUTER (siehe Mittwoch 17.01.). Da wo dort mit Idealismus gegen die Resignation angekämpft wird, offenbart sich dies hier als naive Verkürzung von komplexen Zusammenhängen … was mit der archaistischen Zubereitung zu Essen bezahlt wird. Hier hilft nur das Lügen.

Freitag 19.01.

Mädchen in Uniform
(Géza von Radványi, BRD 1958) [DVD]

großartig

Was meine Großeltern über Romy Schneider gedacht haben, nachdem sie nach Frankreich gegangen war und ihr Sissi-Image exorzierte, interessiert mich immer mal wieder. Schließlich hatten sie eine ihrer Töchter und meine Mutter im zweiten Vornamen nach ihr benannt … im Zuge des Erfolgs von SISSI. Aber vll war das Kind schon 1958 in den Brunnen gefallen. Denn sie ist schon hier sensationell auf ganz andere Art, wenn sie zwar als scheues Reh beginnt, aber zunehmend in eine unschickliche Euphorie abgleitet und schließlich in suizidaler Verzweiflung endet, weil die Liebe zu ihrer Lehrerin nicht sein kann. Das Drehbuch tat ihr aber auch einen Gefallen, weil es sich fast gänzlich auf ihre Rolle konzentriert. Ihre ganzen Mitschülerinnen, im Film von 1931 noch wichtige Bestandteile, sind hier mehr oder weniger graue Mäuse, die notdürftig mitgeschleppt werden. Lediglich Lilli Palmer ist noch von ähnlicher, wenn auch herberer Lebendigkeit. MÄDCHEN IN UNIFORM unter der Ägide von von Radványi ist aber auch so ein Drama, dass weniger über seine Figuren funktioniert, als über seine Räume. Außerhalb der Mauern des Internats finden sich Blumenmeere und Seen, in denen in romantischen Tableaus gefischt wird. Im Gegensatz dazu erzählen die nackten, kalten Wände, an denen Sprüche wie Wie die Zucht, so die Frucht. angebracht wurden, die kahlen Bäume, die durch die Fenster vom Tod künden, die Schatten und Abgründe im Treppenhaus … sie alle erzählen genug über das Leben unter der lieblosen, preußischen Knute und machen die Anzeichen von Liebe, die strenge Zuneigung von Fräulein Elisabeth von Bernburg (Palmer) und das Schwärmen von Manuela von Meinhardis (Schneider) nur um so glühender in dieser Kälte. (Nur: war die Wucht des Happy Ends 1931 noch niederschmetternd, da endet MÄDCHEN IN UNIFORM 1958 tatsächlich mild und versöhnlich.)

Donnerstag 18.01.

Tout l’or du monde / Alles Gold dieser Welt
(René Clair, F/I 1961) [stream, OmU]

nichtssagend

Zu Beginn gibt es schönes Verkehrschaos, indem die Leute lediglich per Hupe kommunizieren. Es wirkt fast wie aus einem Film von Tati. Die deutsche Synchronisation welche die Untertitel, welche ich aus mangelnden Französischkenntnissen zuschaltete, wiedergaben, ignorierte dies streng und lies die Leute sich in einem fort ausartikuliert beleidigen. Dieses Vorgehen war vll das noch Stählernere, als ALLES GOLD DIESER WELT selbst. Bourvil, Capras James Stewart zum Hinterwäldler verwandelt, ich verstehe deinen Witz einfach noch nicht.

Mittwoch 17.01.

The Commuter
(Jaume Collet-Serra, F/UK/USA 2017) [DCP]

großartig

Kick junk, what else / Can a poor worker do? fragt Allen Ginsberg nach ein paar Stichwörtern, in denen die (militärische) Niederschlagung von politischen wie sozialen Hoffnungsschimmern, Krieg und gesellschaftliche Apathie nebeneinandergestellt werden. GHETTO DEFENDANT, ein fatalistisches, aber wunderschönes Lied der Ausweglosigkeit, könnte die Hymne von großen Teilen von THE COMMUTER sein. Wie Joe Strummer, der Sänger des Songs, ein paar Jahre vor seinem Tod in einem Interview anmerkte, sind aus den Ahnungen, von der Schlechtigkeit der Welt von denen The Clash damals sang, inzwischen Gewissheiten geworden. Die Allgegenwart von Korruption, Machtmissbrauch und die noch hinter den ideellsten Unternehmen lauernde Kracke der Gier machen dabei aber eher lethargisch, als dass sie einen Kampf anfeuern würden. Denn was kann anhand einer solchen Übermacht schon ausgerichtet werden? Liam Neesons Michael MacCauley ist aber kein Arbeiter, sondern (stolzer) Teil des Mittelstands. Womit wir es eben mit keinem Junkie zu tun haben, sondern mit einem kleinen Rad im Getriebe der Welt. Auch er weiß beispielsweise darum, dass die Banken in der Finanzkrise reich geworden sind und der Mittelstand dafür zahlen musste. Offensiv setzt er dieses Wissen aber nur ein, um Versicherungen, d.i. die Illusion eines kleinen Sicherheitsnetzes in einer ungerechten Welt, verkaufen zu können. Er ist ein kleiner unbedeutender Erfüllungsgehilfe, der nur an seinem kleinen, privaten Glück arbeitet. Die Eröffnungsmontage bildet eine aus verschiedenen Zeiten erstellte Collage des Alltags eines ganz normalen, routinierten Morgens dieses kleinen Mannes. All die dabei angerissenen Dramen sind familiärer Natur und so Teil seines Glücks und seines Selbstwertes.
In einer Allegorie wird MacCauley nun sein Sein vorgeführt und ihm die Möglichkeit geboten aufzubegehren. Auf der täglichen Heimfahrt des Pendlers (Es ist wirklich schade, dass Collet-Serras Film für die deutsche Kinoauswertung nicht DER PENDLER genannt wurde.) sitzt eine Unbekannte vor ihm und bietet ihm 100.000$, wenn er eine Person anhand vager Beschreibungen im Zug identifiziert. Die Frage ist nun, ob er für sein privates Glück das Schicksal dieser Person ausklammert – wie sich herausstellen wird einer Mordzeugin, die Beweise für weitreichende Korruptionen besitzt, welche Banken, Polizei und Politik belasten – und ob er je eine Wahl hatte, an diesem Spiel teilzunehmen. MacCauley hetzt dabei immer ramponierter die Gänge rauf und runter, denn irgendwann geht es nicht mehr um Geld, sondern das Leben seiner Familie und/gegen das der Zeugin. Hilft er also einem System, von dem er weiß, dass es verrottet ist, oder stellt er sich ihm entgegen, auch wenn es sein privates Glück gefährdet?
Im Kern ist THE COMMUTER dabei ein Krimi, in dem es heißt, die Indizien, wie die Rolle des einen Wagons ohne Klimaanlage, richtig zusammenzusetzen. Raum, Zeit und Ressourcen werden dabei spürbar immer mehr verknappt. Je länger die Fahrt geht, desto weniger Leute sind vorhanden und immer weniger Alternativen. Und die rumplige Kameraführung während der Schlägereien zwischen den (vermeintlichen) Widersachern im Zug verdeutlicht vor allem eines: In den engen Gängen gibt es so wenig Platz, dass sich die Kamera eben auch noch dazwischen pressen muss. Es entsteht eine Hetzjagd, wo niemand hetzen kann … und immer hoffnungsloser wird es dementsprechend. Aber MacCauley und mit ihm THE COMMUTER wollen sich ihrer Hoffnung nicht berauben lassen. Sie kämpfen für das Gute, Wahre und Schöne, egal was sich ihnen in den Weg stellt … und stellen sich dabei wie Ritter in weißen Rüstungen gegen die sie umgebende Resignation. Viel Naivität steckt in diesem atemlosen Thriller, der für den Glauben an uns zu kämpfen scheint, der seine Hauptfigur in ein paranoides Netz wirft, dieses immer mehr vergrößert, aber am Ende auch offenbart, dass es nie so schlimm ist, wie behauptet/vermutet. Das größte Problem ist nur die Unsicherheit. Und so gibt es dann zwei Enden. Eines in dem Neeson hoffnungsvoll ins Angesicht eines doch nicht ganz so omnipotenten Gerüsts der Ausbeutung lacht und eines, kurz vor dem anderen, bei dem er alleine in der Mitte eines Getümmels steht und alle Schlüssel in der Hand hält, um die Welt etwas besser zu machen, aber wem er trauen kann, weiß er nicht. Es bleibt nur die Hoffnung.

Derrick (Folge 57) Die Puppe
(Theodor Grädler, BRD 1979) [DVD]

radioaktiv

Sexuelle Hysterie steht im Mittelpunkt von DIE PUPPE und doch ist diese Folge von einer geradezu aseptischen Sexlosigkeit. Fotos eindeutiger Szenen zum Mittel der Erpressung soll es geben, so wird am Ende kurz aufgelöst. Was auf ihnen zu sehen sein soll, ist gänzlich unvorstellbar. Werner Schulenberg, der schon in TOD EINES FANS im Hintergrund als lebloses Faktotum die Aufmerksamkeit auf sich zog, spielt hier Adi Dong. (Was ist das nur für ein Name?!) Dieser ist ein Manikeur oder eine Maniküre – Harry ist sich im Laufe der Ereignisse nie ganz sicher, wie es richtig heißt, und kommt bei solchen sexuellen Zwielichtigkeiten wie einem Mann in einem Frauenjob direkt ins Schlingern – der den mittelalten Frauen die Köpfe verdreht. Die Glätte seines Gesichts hat etwas Wächsernes. Immer wieder wird erwähnt, wie schön er aussehe. Gänzlich passiv agiert er. In Verbindung mit seinem glasigen Blick gibt ihm das etwas Zerbrechliches. Höchstens wenn er Damen mit Höflichkeit und gehobenen Manieren entgegentreten kann, scheint er gelöst und in Sicherheit. Er ist die titelgebende Puppe. Es gibt zwar keinerlei Thematisierungen von solchen oder Bezeichnungen als Puppe, höchstens der Titel der Folge, der zu Beginn über Schulenbergs Spiegelbild liegt, gibt einen Hinweis, aber trotzdem ist es eindeutig. Und alleine die Vorstellung, dass Reineckers Drehbuch und das männliche Umfeld in DIE PUPPE die Wirkung Adis auf die Frauen als gesetzt nehmen, ist gänzlich irrwitzig. Als ob Scharen von Frauen nur Teepartys mit androgynen, asexuellen Schönlingen im Kopf hätten, die dann irgendwie scheinbar zu Sex führen sollen. Sex, der vll vorstellbar ist, als Spiel mit Barbie und Ken. Nur dass die Frauen ihre Barbies nun im sexuell reifen Alter mit sich ausgetauscht haben. Aber vll ist dies wirklich besser, als sich mit diesen Herren der Schöpfung abzugeben, die in DERRICK nie Augen für sie haben würden, sondern nur Grobheit und Ablehnung.
Aber die besagte Hysterie betrifft nicht nur diese Puppenspiele. Adi lebt als Nachbar seines Chefs Willi Berger (Willy Schäfer, wieder mit glühender Intensität) und unter dessen Fittichen. Letzterer bezeichnet sich dabei gern als dessen Ersatzvater. Wenn sie aber in Adis Wohnung stehen, die Vorkommnisse bereden und Berger immer näher an Adi heranrückt, dann fehlt oft nur der finale Kuss … um der Leidenschaft der Bilder Tribut zu zahlen. Vater und Sohn, Chef und Angestellter, es scheint für Berger nur ein Ersatz für das zu sein, was er wirklich möchte. Die Worte werden dies in DIE PUPPE stets abstreiten und absurd überspielen. Seine Blicke, sein ständiges körperliches Annähern und der Fakt, dass er in seiner anzunehmenden Gier ein Loch in die Wand zwischen den Wohnungen gerissen haben muss, um das Objekt seiner Begierde beobachten zu können – ein Loch, hinter das er sehr einfach in eine Pose und eine Geräuschkulisse hineinimaginiert werden kann, die an Norman Bates erinnert – all dies spricht eine ganz andere Sprache.
DIE PUPPE belässt all dies aber in der Welt bürgerlicher Spießigkeit. All das Erwähnte nimmt nur einen kleinen, meist kaum beachteten Platz ein. Harry irrlichtert durch das Geschehen, weil seine Sichtweise lediglich die heterosexuelle Norm erkennt. Derrick hat gleich einen Gips und kann gar nichts machen, außer für einen Running Gag zu dienen. Sie sind Agenten einer verstaubten Welt, die bestenfalls amüsiert. Und so wird sachlich und omnipräsent nach einem Mord gesucht, der ins Weltbild passt. Im Büro von Herrn Gerdes, dem Mann des Mordopfers, hängt dabei ein großes Bild von Sigmund Freud. Wie ein Marker wirkt es, dass einen daran erinnert, dass nicht die Oberfläche von Anstand und Moral zählen, dass dies nur heuchlerische Verdeckungen sind. Die Träume sind es, auf die es ankommt. Auf das, was sich in diesem biederen Treiben andeutet, was aber niemand aussprechen oder wahrhaben wagt.

Dienstag 16.01.

Der treue Husar
(Rudolf Schündler, BRD 1954) [stream]

großartig

Die Ehe steht hier nicht zur Disposition. Und doch wird sie 80 Minuten lang mit Dreck beworfen und verhöhnt. Die Augen und Finger der Ehemänner gieren beständig nach nackter Haut, die nicht die ihrer Gattinnen ist. Screenshots, welche das Hofbauer Kommando zeigen, könnten hier en gros gemacht werden. Die Frauen sind verbittert, weil sie ihre Männer beständig, festhalten müssen. Die sich anbahnenden Ehen, die auf die sich entwickelnden Jugendlieben folgen werden, sie beginnen mit Lügen und Aufschneiderei. DER TREUE HUSAR ist eine Farce, die nicht nur im Karneval spielt, sondern die wie ein Karussell durch die jecken Momente eines tiefenschmierigen Verständnisses von Ehe jagt. Jazz, Kostüme, Masken, Modeschauen, Fleisch, Alkohol und Gier nach mehr als dem, was die bürgerliche Ehe der 50er Jahre einem bietet, und das alles doch wieder mit der eigenen Biederkeit infizieren. Selbst das Happy End ist ein Hohn für die Ehe, weil keine der Abwege widerrufen wird. Und so ist es eben eine Art entspannter Utopie, die DER TREUE HUSAR malt. Die Ehe als Institution war kaum angreifbar zu dieser Zeit, wenn sie aber nicht so ernst genommen wird und ihre Regeln (in Maßen) gebrochen werden, dann ist in ihr gut leben … zumindest für denjenigen, der seinen Partner nicht ewig an der Kandare halten muss.

Sonntag 14.01.

L’armée des ombres / Armee im Schatten
(Jean-Pierre Melville, F/I 1969) [blu-ray, OmU]

großartig +

Einige Episoden aus dem alltäglichen Leben der Resistance oder wie Deutschland den zweiten Weltkrieg doch gewonnen hat. So könnte ARMEE IM SCHATTEN im Untertitel heißen. Zum Abschluss gibt es beispielsweise wie in einem Biopic Texttafeln, die den weiteren Werdegang der Protagonisten verkünden. Alle Figuren, die wir sahen, werden bis spätestens 1944 während ihrer Widerstandsarbeit für die Resistance sterben. Keiner überlebt. Damit endet es. Nach einem kurzen Aufenthalt in einem KZ, mit dem ARMEE IM SCHATTEN beginnt, sind die ersten Taten von Philippe Gerbier (Lino Ventura), den doch als sehr sympathisch eingeführten (Welch ein brüderliches Lächeln Venturas!) Oberen der Resistance, die wir sehen, dass er einen Leidensgenossen vorschickt, auf das er bei seiner Flucht auf weniger Wachen trifft, sowie die kaltblütige, sich ziehende Ermordung eines Verräters. Kein glühendes Bild beim Kampf gegen die Nazis wird gezeichnet. Diese bleiben auch eher im Schatten, da sie nur Schemen in Uniformen sind. Entindividualisierte Schrecken gegen welche es sich zu wehren gilt. Stattdessen gibt es Verrat, drakonischen Willen und Verzweiflung, die sich um den ruhigen Fluss aus Abhandlungen legen. Die Versuche unerkannt zu bleiben, diejenigen gefangene Kameraden zu befreien, die Reisen ins Ausland um Hilfsgüter zu bekommen, der Zwang bittere Entscheidungen zu treffen und bei den ständigen Niederlagen an Gegner und der eigenen Menschlichkeit immer suizidaler zu werden: Den Querschnitt des normalen Lebens im Untergrund, den wir zu sehen bekommen, nichts daran lässt erkennen, dass die Nazis verlieren werden, dass irgendwas gewonnen wird. Es gibt ein paar bunte Flecken in diesem zähen Fluss aus Warten und Beklommenheit. So isst Jean François Jardie (Jean-Pierre Cassel) einmal bei seinem Bruder. In einem kleinen Glaskasten sitzen sie dabei, der mitten im ausladenden Salon steht. Das Haus ist nicht mehr vollständig zu heizen, deshalb findet alles Bequeme darin statt. Fast wirkt es hier, als ob das Erlebte nur ein schlechter Scherz ist, nur ein irrealer Traum. Aber am Ende siegt er doch, der innere wie der äußere Tod eines aufgezwungenen Lebens.

Sonnabend 13.01.

Atmen
(Karl Markovics, A 2011) [stream, OmeU]

gut +

Einer der Vorwürfe, die Jugendliche Roman Kogler (Thomas Schubert) während seiner Freigänge aus dem Gefängnis ein-, zweimal zu hören bekommt, ist, dass er seine Fehler und Probleme auf andere schieben würde. ATMEN ist größtenteils ein Drama aus Schweigen, welches besagter Kogler als Wand gegen die Nörgeleien, Vorwürfe, die Erniedrigungen und passiv-aggressiven Dialoge über seinen Kopf wendet. Mit ein paar schwarzhumorigen Abbiegungen bei seiner neuen Arbeit als Bestatter macht es sich ATMEN vor den Widersprüchen in und um seinen Protagonisten bequem. Und wenn auch alle Leute, allen voran er selbst, an seinem Schweigen zu scheitern drohen, ist es eine äußerst produktive Ruhe für den Zuschauer. Sie gibt einem den Platz sich in Schmerz, Unsicherheit, Verzweiflung, Witz und Ironie des Umgangs mit Schuld und Tod hineinzudenken. Es ist aber auch so, dass ATMEN im Laufe der Dinge unserem Kogler auftauen lässt; ihm Platz zum Atmen bietet. Er findet einen Ersatzvater und seine leibliche Mutter. Die Begegnungen und Offenbarungen seiner Vergangenheit, die in diesem Prozess auftauchen, haben aber irgendwie nur eines im Sinn. Ihm zu versichern, dass er wirklich vor allem Produkt der Scheiße um ihn herum ist. Mit der Erkenntnis lässt es sich dann einfacher leben, aber die gezeigte Welt wird auch wieder auf andere Weise enger … und unergiebiger, denn es sind nahezu allein die Unschuldsbeteuerungen, die bestehen bleiben.

Freitag 12.01.

You gui zi / The Oily Maniac
(Ho Meng-Hua, HK 1976) [blu-ray, OmeU]

ok

Der Angestellte eines Rechtsanwalts kann seinem nahen Umfeld nicht helfen. Wegen seiner Gehbehinderung, die ihn an Krücken bindet, fühlt er sich als überflüssiger Krüppel. Wenn wieder einmal ein Unrecht geschieht oder er bei der geliebten Frau abblitzt kann es an den sich verkrampfenden Händen an seinen Gehhilfen, die er am liebsten fortwerfen würde, abgelesen werden. Zum Glück bekommt er jedoch einen Zauberspruch/Fluch in die Hände, der ihn zu einem Ungetüm halb Öl, halb Ding verwandelt. Und so wird er zum Fastsuperhelden und Vollblutvigilanten, der nachts nach und nach die Missetäter, die er kennt, brutal zur Strecke bringt. Da diese Plastikchirurgen und ähnliches sind, kann er auch immer wieder nackte Frauen retten. Und das passiert dann halt in ein paar Episoden eines Wechsels aus Unrecht und strafenden Mord, aus schmierig/heuchlerisch darniederliegender bürgerlicher Fassade und comichaften Gore. Der Schmutz und die Reinigung durch einen öligen Durchgedrehten, sie lassen keine saubere Stelle zurück. Es gibt einen Moment, wo die Titelfigur offenbart, wie sie ihr Tun verabscheut. Im nächsten Moment fliegt aber wieder der Ölfleck durch die Nacht und wird töten. Statt irgendeiner Form von Reflexion groovt sich THE OILY MANIAC in sein Geschehen um verachtenswerte Taten (zumeist an Frauen) ein und fließt dahin.

Derrick (Folge 56) Ein unheimliches Haus
(Alfred Vohrer, BRD 1979) [DVD]

gut +

Zwei Musiken bestimmen EIN UNHEIMLICHES HAUS. Einmal sind da die Streicher, die sich nach schnellen Schnitten von kalten Messern anhören und einen an Psychohorror und hochemotionale Dramas gewahren. Auf der anderen Seite die Tangerine Dream-artigen Schwebezustände, welche die Agatha Christie-artige Mördersuche in einer Pension, einem Ort voller renitenter Rentner und aufgelösten Pensionsbetreibern, noch einen zusätzlichen Tupfer Irrealität gibt. Dazu noch ein Pensionär, der großmäulig von seinen 20 Jahren Arbeit in der Justiz prahlt und bei dem einem der kalte Schweiß ausbrechen kann, wenn einem die Frage in den Sinn kommt, was der alte Mann in seiner doch beträchtlichen Lebenszeit davor machte. Dieser möchte Derrick zeigen, wie das Ermitteln so läuft … und schafft so einen Eindruck, wie Stephan Derrick wirken könnte, wenn das Drehbuch nicht auf seiner Seite wäre. Zu guter Letzt wird Sascha Hehn auch noch von einer Ninjakatze attackiert. Viele Freuden wieder einmal.

Donnerstag 11.01.

I Used to Be a Filmmaker k
(Jay Rosenblatt, USA 2003) [stream, OF]

ok

Aufnahmen aus dem ersten Lebensjahr des Kindes eines Filmmachers, die nach Begrifflichkeiten aus dem Filmjargon benannt sind. Jump Cut heißt beispielsweise das Segment mit einem an einem Gestell springenden Baby. Zuckersüß und durchaus etwas unangenehm, weil nicht ganz klar ist, ob hier das Vatersein wehmütig das Filmemachen verdrängt oder das Filmemachen sich selbstverliebt über das Vatersein legt.

I Shot Jesse James / Ich erschoß Jesse James
(Samuel Fuller, USA 1949) [DVD, OF] 2

großartig

Es kann gar nicht oft genug erwähnt werden. Ein Spitzname von Samuel Fuller war die Faust des Kinos. Seine Filme sind oft geprägt von einer dringlichen Unmittelbarkeit, die für Subtilität keine Zeit hatte. Andererseits steckte unter diesem Lospreschen beim Auseinandernehmen us-amerikanischer Mythen eine ganz unwahrscheinliche Sensibilität. I SHOT JESSE JAMES war nach einigen Jahren als Drehbuchautor sein erster Spielfilm als Regisseur. Und es ist schon alles da, wenn er sich einem der großen Wild-West-Mythen widmet. Fuller stellt sich dabei leicht auf die Seite des Dissidenten. Also auf die von Jesse James, den er als gutmütigen Rebellen zeichnet, der leider nur die Menschen nicht so gut einschätzen kann, wie er von sich denkt. Voller Vertrauen ist er für seinen künftigen Mörder, dem er in einer der sprechensten und witzigsten Szenen den nackten Rücken hinhält und ihn bittet diesen zu schrubben – während Bob Ford mit sich kämpft und vielleicht lieber die Pistole ziehen würde. Bob Ford hat durchaus Skrupel. I SHOT JESSE JAMES beginnt mit einem Überfall und der Rettung Fords durch James. Ohne großes Federlesen sind die Konflikte dadurch etabliert. Für seine große Liebe strebt Ford aber auch ein normales Leben an und hofft auf die Amnestie, wenn er seinen Freund tötet. Es ist die alte Geschichte. Aber bei Fuller ist es eine seltsame Hysterie, die ihn zu seiner Tat streben lässt, zu der ihn die Ideologie der amerikanischen Gesellschaft bringt, die ihn wie ein Bumerang danach trifft und ihn einen großen Teil des Films quälen wird. Denn das Normale ist hier ein zweischneidiges Schwert, dass seine Ausgrenzung nicht so leicht aufgibt.

Dienstag 09.01.

Derrick (Folge 55) Schubachs Rückkehr
(Theodor Grädler, BRD 1979) [DVD]

großartig

Wieder kommt DERRICK in einer Disco richtig zu sich oder wenn die schonungslos kitschige Musik sich über eine sich anbahnende Romanze legt, sprich, wenn diese über ein nebeneinander laufendes Paar schnulzt. Sensationell ist aber vor allem der Schlusssatz, wenn der als äußerst perfide angekündigte Plan doch im Handumdrehen gelöst ist, wenn all das Herauszögern der Sensation, das kunstvoll ausdauernde Warten auf ein Genie und seinen Mord doch sekundenschnell im Sand verläuft und die Folge mit einem gewieften Coitus interruptus endet. Lakonisch wird es in den Raum geworfen und dann ist es schon vorbei: Schade.

04.01.-07.01.
17. außerordentlicher Filmkongress des Hofbauer-Kommandos

Sonntag 07.01.

Le bellissime gambe di Sabrina / Mädchen mit den hübschen Beinen
(Camillo Mastrocinque, I/BRD 1958) [35mm]

großartig

Ein schöner Sonntagnachmittagsfilm. Und ein Onkel und Gentlemandieb wirft hier – passend zu den beiden Nachmittagsvorstellungen von gestern – den Weisheitsmotor an. Ein Beispiel: Gefühle sind die gefährlichste Schmuggelware.

Män kan inte våldtas / Wie vergewaltige ich einen Mann
(Jörn Donner, S/FIN 1978) [35mm, OmU]

ok

[…] aber ansonsten kam mir der Film stilistisch zu sehr wie einer dieser anspruchsvolleren TV-Themenfilme vor, die eine Diskussion anstoßen wollen. An sich in Ordnung, aber ich suche bei Filmen irgendwie was anderes. sagt Silvia S. im Gesichtsbuch. Mehr fällt mir dazu auch nicht ein.

Angela, the Fireworks Woman
(Wes Craven, USA 1975) [35mm, IFmeU]

fantastisch

Die italienische Fassung, die beim 17. außerordentlichen Filmkongress des Hofbauer-Kommandos lief, enthielt Fremdmaterial. Kindheitserinnerungen, die sich fast nahtlos in das magische Geschehen einer märchenhaften Welt einpassten, sowie eine Szene aus einem Bikerfilm, die völlig irrwitzig etwas Mehr an Gewalt in Film spülte, aber das Traumhafte von ANGELA, THE FIREWORKS WOMAN noch erweiterte. Auf recht tabuisierten Wegen verlangt Angela nach Geborgenheit, während ihr Bruder sich der Entsagung verschrieben hat. Auf eigenwillige Weise möchte sie das Kindliche im Neuen, im Erwachsensein behalten, wo es ihr Bruder ganz weit von sich wegdrängt. Wenn sich in diesem Märchen während eines Feuerwerks des Glücks offenbart, dass die Diener des Teufels und Gottes ein und dieselbe Person sein können, stehen gerade diese beiden Zufügungen für die vergangene Unschuld und die Entfremdung im Erwachsenwerden. Ich kann mir diesen entrückten Porno gar nicht ohne dieses hereingeschmuggelte Zeug vorstellen, welches diesen emotionalen wie anmutigen Rausches noch weiter zerfließen lässt. (Die Lust auf einen Porno von Terrence Malick ist nun bei mir geweckt.)

Das Rasthaus der grausamen Puppen
(Rolf Olsen, BRD/I 1967) [35mm]

großartig

Wo der gutmütige Cary Grant in ARSEN UND SPITZENHÄUBCHEN in der Mitte eines bedacht entworfenen Tumults sitzt, wo Mitte und Rand von Familie und Gesellschaft kurzzeitig von Wahnsinn und Mord bestimmt sind, wo einem aber auch ein marodes Sicherheitsnetz geboten wird, dass dieser morbide Irrsinn eine Sache der Gene sei und die Angst sich nur nach außen richten muss, da steht die unbedarfte Helga Anders in DAS RASTHAUS DER GRAUSAMEN PUPPEN am Rand eines viel roheren Trubels, der, statt Sicherheiten zu bieten, es sich fröhlich in einer gierigen, verzweifelten und neurotischen Mischpoke gemütlich macht. Die grausamen Puppen, das sind fünf Entflohene aus einem Frauengefängnis, die an der schottischen Küste in einem Rasthaus sich verstecken und von der britischen Insel fliehen wollen. Skrupellos werden einige von ihnen töten, was ihnen im Weg steht. Hinter ihnen liegt eine sadistische Direktorin, die sich mit Macht und Peitsche Lust von ihren Insassen erzwang und die einer Anstalt vorstand, die in kürzester Zeit die Gefangenen verzweifeln und verrohen ließ. Vor ihnen liegen bürgerliche Ehemänner, die das Chaos nutzen, um ihre Ehefrauen zu beseitigen. Umgeben sind sie von Spinnern und Paranoikern. Atemlos geschehen die Dinge und Verstrickungen und selbst beim Ableben seltsamer, aber harmloser älterer Damen ist die Stimmung eine fröhliche. DAS RASTHAUS DER GRAUSAMEN PUPPEN hat den Champagner kaltgestellt und fegt mit einem Schwips durch eine zerrüttete Gesellschaft. Einer der übelsten Schundfilme der letzten Zeit. Schärfstens abzulehnen! fand da der Evangelische Filmbeobachter. In einer solchen Welt darf sich vll schlicht nicht gefreut werden.

Sonnabend 06.01.

Mädchen in der Sauna k
(Gunther Wolf, BRD 1967) [35mm] 2

großartig

Wie der folgende TrÜF ein Hort der Weisheiten. Hier ein minimales Potpourri:
Heiße Füße, kühler Kopf.
In sudore veritas.
Ist das Herz voll, ist der Kopf leer.

The Prince and the Nature Girl / Nackt im Sommerwind m
(Doris Wishman, USA 1965) [35mm]

(verstrahlt )

Äußerlich, dank der Freikörperkultur, ein Bild der Wonne. Innerlich eines des Jammers. weiß der Erzähler einmal zu erzählen. NACKT IM SOMMERWIND ist aber oft äußerlich ein Bild des Jammers. Die Nudisten, vor allem die Männer, werden in gänzlich unrelaxte Posen gezwungen oder gar gleich in Hosen verfrachtet, damit auch ja kein Schwengel die Augen der Zuschauer beschmutzte. Die Entspannung im Sommerwind hat so oft etwas Verkrampftes und Entbehrungsreiches. Aber dann waren da auch die Freuden, die der Aufriss ankündigte. Rätselhaft sind etwa die Bewegungen der Darsteller im Raum und die szenische Auflösung desselbigen, geradezu anderweltlich-entrückt ihre Kommunikation miteinander (wir haben es mit einem versteckten Klassiker des autistischen Kinos zu tun!). Aber ein Schlaftief in den frühen Nachmittagsstunden verschloss viele der autistischen Freuden vor mir, leider.

Tenshi no harawata: Akai memai / Angel Guts: Red Vertigo
(Ishii Takashi, J 1988) [35mm, OmeU]

fantastisch

Nachdem vier seiner Mangas zuvor in der ANGEL GUTS-Serie von anderen Regisseuren als roman porno verfilmt wurden, debütierte Ishii Takashi mit dem fünften Teil selbst auf dem Regiestuhl. Sein Wasserfetisch, der in den Filmen zuvor nur am Rande stattfand und beispielsweise zwei Tage zuvor in RED CLASSROOM (fast) auf eine finale Pfütze beschränkt blieb, bekommt hier endlich seinen Platz. Strömender Regen, Pools, geträumte Wassermassen, Duschen, Bäder, tropfende Decken, Nässe und Feuchtigkeit – als ob es darum ginge, das Vergangene nachzuholen, wird RED VERTIGO nass gemacht. Die Figuren werden so abgekühlt oder versuchen sich mit etwas Warmen, sie Umschmiegenden zu beruhigen. Oder sie werden (in ihren Gefühlen) ertränkt oder flutschig lustvoll aufgeladen, so dass sich ihre Ausnahmezustände als Flüssigkeitsfilm um sie legen.
Muraki ist Börsenmakler, der sich privat mit dem Geld eines Kunden verzockt hat. Gefeuert, von seiner Frau verlassen und von dem Kunden gejagt, rast er in einer Flucht vor alles und jedem (es ist vor allem eine Flucht vor sich selbst) mit seinem Auto durch die Straßen und überfährt Nami. Diese entging gerade einem Vergewaltigungsversuch und hat ihren Freund beim Fremdgehen entdeckt. Beide brauchen gerade mehr als alles andere Wärme und Geborgenheit, weil ihre Lebenswelten zertrümmert sind. Leider haben sie nach dem Unfall nur sich. Muraki sucht nach Bestätigung im Sex, findet aber nur heraus, dass er ein Schwein ist und sowieso bei seinen Vergewaltigungsversuchen keinen hoch bekommt. Und Nami findet sich eben gefesselt mit jemanden wie Muraki in einer verlassenen Industriehalle wieder.
Was sich zunehmend zu einem torture porn geschundener Seelen entwickelt, wird aber über einen kurzen Moment des Ausredens ein gänzlich romantischer Film … der an sein Glück nur bedingt glaubt und dieses zerschmettert. Völlig irrationale Visionen in denen Sex als heilendes Medium wirklicher Einigkeit fungiert, wird erst über Nami und Muraki kommen. Sie schlafen miteinander und ihre Wunden werden in diesem Ding aus Verständnis und tiefer Befriedigung auf wundersame Weise heilen. Aus einer triefenden Halle wird ein gänzlich entrückter Ort, wo grelle Neonröhren völlig unmotiviert angebracht als kryptische Schriftzeichen der Liebe leuchten. Aus Love is a Battlefield wird ein Traum aus Plüsch und Tüll der Gefühle … der aber völlig sinnlos wieder zerstört wird. Die Blase des Glücks, so scheint RED VERTIGO einem vermitteln zu wollen, wird platzen, sobald der Alltag wiederkommt. Fast sadistisch ist es, wie RED VERTIGO vor seinem Glück resigniert. Aber gerade dieser unmittelbare Wechsel von himmelhochjauchzender Glückseligkeit zu zerschundener Depression, gerade dieses Manisch-Depressive hat dafür gesorgt, dass mir nach RED VERTIGO das Herz blutete, ich den Kinosaal schnell verlies und erstmal allein sein musste, weil es so viel zu verarbeiten gab.

Carmen, Baby
(Radley Metzger, BRD/USA/Y 1967) [35mm]

gut

Amour fous empfinde ich oft als mühsam. Hilflos verfällt ein biederer Charakter einem Phantom, das immer hinter einer Säule auftaucht, wenn die Suche nach ihm aussichtslos scheint, und das in seiner perfekt abgeschmeckten Mischung aus Geben und Nehmen, aus Lust und Demütigung, den Machtvollen, hier ein Polizist, seiner Macht beraubt. CARMEN, BABY fand ich dahingehend meist reizlos, weil er gleichförmig dahinfließt und der Machtverschiebung wenig hinzufügt. Aber vll steckt hinter meiner Abwehr auch nur die Ahnung um den Umstand, dass zu viel eines biederen Charakters in mir steckt. Wer weiß.

Left-Handed
(Jack Deveau, USA 1972) [dvd, OF] 2

fantastisch

Nach einem Quickie auf der Herrentoilette schaut ein vll wirklich nur ums Austreten bedachter Passant in die Kabine, wo noch einer der beiden Herren auf dem Klo hockt. Dieser grinst ihn schelmisch an. LEFT-HANDED wird mit der Träne auf einer Wange enden, wenn der Traum der Liebe schal geworden ist und in einer Orgie endet. Das schöne ist aber die Selbstverständlichkeit, wie alle sexuellen Möglichkeiten auch wirklich Möglichkeiten in LEFT-HANDED sind. In der Geschichte, die fast nur in Impressionen wiedergegeben wird, herrscht ein charmantes alles ist möglich, nichts muss. Es ist ungebunden. Daran wird die Liebe dann vll auch scheitern – an Eitelkeit und Bindungsangst – aber so entsteht auch ein Film, fern aller Hysterie mit einem ganz zufriedenen Grinsen, ob all der kleinen Wunder.

Hinterhöfe der Liebe
(Erwin C. Dietrich, BRD 1968) [35mm]

gut

In einem der schönsten Sequenzen befinden wir uns auf der Straße. Das Licht, welches vom Kopfsteinpflaster ausgeht, ist wunderschön und gibt dem Geschehen Wärme und etwas Weiches. Es steht damit im krassen Gegensatz zu den Abläufen auf ihr. Denn wir befinden uns auf dem Straßenstrich und sehen eine Frau, die in die Prostitution getrieben wurde. Nepper nutzen hier naive Wünsche nach Ruhm oder leichtem Geld aus und beuten sie aus. Fast ist es ein seelenloses Dokument einer um sich greifenden Verbitterung. Zum Ende der Straßensequenz wird einer der Zuhälter kollektiv von den Sexarbeiterinnen zusammengeschlagen. Es bleibt der einzige utopische Moment, wo nicht schon alles aufgegeben ist.

Freitag 05.01.

Il Sergente Rompiglioni diventa… caporale / Der Divisionstrottel
(Mariano Laurenti, I 1975) [35mm]

verstrahlt +

MONTY PYTHON’S FLYING CIRCUS hat mit seiner postmodernen Absurdität, die oftmals gegen den Zwang nach Pointen in Komödien ankämpfte, einen festen Platz in der Kultur des 20. Jahrhunderts erreicht. DER DIVISIONSTROTTEL fetischisierte seine Lust daran Sinnzusammenhänge zu zerstören und gekonnte Pointen zu torpedieren auf ähnliche Weise. Anerkennung bekam er aber keine. Intentionalismus und seine ungerechten Folgen. Höhepunkt: eine Massenvernichtungswaffe, die sofortigen Durchfall bei den Leuten in unmittelbarer Detonationsnähe auslöst.

Santa / Santa – Die Sklavin des Lasters
(Norman Foster, MEX 1943) [35mm]

verstrahlt

Ein Film von der Gemeinheit eines tollwütigen Straßenköters. Santa ist, wie der Name schon sagt, eine Heilige. Der nach ihr benannte Film schickt sie auf eine Passionsgeschichte, die der Marquis de Sade für seine Justine kaum brutaler erdacht hätte. Zuerst ist da eine reine Liebe, von der sie ohne Arg erzählt. Doch für diese Reinheit muss sie zahlen. Nach dem ersten Mal ist er weg, sie schwanger und von der Familie verstoßen. Im Bordell hat sie zumindest kurz weltlichen Erfolg. Aber das ist nur ein kurzes Plateau, welches weitere Zermürbungen bereit hält. Expressive Schatten, Alkohol, Fieberattacken auf einen verhärmten Körper und die ewig präsenten Kruzifixe, Kirchen und andere Symbole, von welchen fiese Schuldgefühle auszugehen scheinen – SANTA geißelt Santa. Die Frage ist nur: Wieso sich sowas anschauen? Vll weil die Perversion katholischer Wertesysteme in ihrer Gemeinheit selten so drastisch zu sehen war. Aber ich weiß es auch nicht wirklich.

Der zweite Frühling
(Ulli Lommel, BRD/I 1975) [35mm]

fantastisch

Mein liebster Moment dieses Kongresses war, als Curd Jürgens hier in einer Sauna lag. Ein Handtuch nur notdürftig über seine Scham haltend, zeigte sein nackter Arsch gen Notausgang des Kinosaales. Sein Dam wurde dabei mehr offenbart, als dass er versteckt wurde. Als dieses Bild also auf die Leinwand geworfen wurde, trat Christoph nach einem Klogang durch den Notausgang wieder ein. In den Vorhängen der Tür blieb er stehen und schaute Curd in den Allerwertesten und blieb kurz zur Salzsäule erstarrt stehen, bis er schnell auf seinen Platz huschte. Ein schönes Bild für die Kongresse ist dies. Nichtsahnend betreten wir den Raum und dann ist erstmal mehr oder wenig kurze, aber intensive Verarbeitungsarbeit nötig.

Karussell
(Alwin Elling, D 1937) [35mm]

großartig

Thelonious Monks Klavierspiel mit seinen nie gebeugten Fingern hat immer diese Momente, wo der Finger über den Tasten schwebt und immer, wenn es scheint, dass er das Drücken derjenigen in den Sand setzt, drückt er gerade noch so zu. Ähnlich ist das Tanzen von Marika Rökk. Irgendwo sieht es mal albern, mal leblos aus, aber immer schafft sie es ihre Bewegungen herumzureißen und etwas Schönes zu machen. Um Marika Rökks Erika dreht sich dabei ein tendenzstählernes Männerkarussell, welches mechanisch die Geschichte abspült. Aber immer wieder fallen die kleinen, wunderbaren Einzelheiten daraus heraus. Wie die Rummelgewinne, die als Trost dem Koch/Bäcker(?) durch das Ende geleiten, wo seine unerwiderte Liebe im Tohuwabohu unter den Tisch gekehrt wird. Ein Stuhl, ein Teddy und eine Puppe folgen ihm herzerwärmend im Irren nach Anerkennung.

Killing American Style
(Amir Shervan, USA 1988) [VHS, ≠]

verstrahlt

PAIN & GAIN ohne den intellektuellen Überbau. Vier Bodybuilder führen erst einen Überfall aus, brechen nach ihrer Inhaftierung aus einem Gefangenentransport aus und verbarrikadieren sich in einem Familienhaus. Der ihnen gegenüberstehende Pater familias ist derweilen ebenso Kampfsportler und Bodybuilder. Die Fleischmassen in Tank Tops, die KILLING AMERICAN STYLE dominieren, sind optisch so eigenwillig, dass es wie eine Form von Kubismus wirkt, der die mit der Kamera aufgenommenen Dokumente der Wirklichkeit verzerrt. Musculismus könnte es genannt werden, wenn das Testosteron dampft. Die Hausinvasoren und der Invadierte, sie tragen im Folgenden einen Kampf aus, der zwei Prinzipien aufeinanderprallen lässt. Der rechtschaffene, saubere Familienvater, der Gewalt nur als Verteidigungsinstrument nutzt, gegen vier Faunen, deren fehlende Empathie in ihren meist sadistischen Lustgewinnungen dafür sorgt, dass Menschen ohne viel Federlesen erschossen und missbraucht werden. Räudig, brutal und von gedrillten wie entgleisten 80er Jahre Räuschen ist KILLING AMERICAN STYLE bestimmt, wenn gierige, machtbesessene Männer diesen beherrschen. Der Familienvater wird aber den Mob holen und zum Ende mit diesem schäbigen Treiben aufräumen. Bizarr ist dieses Aufeinandertreffen aber auch, weil sich die Protagonisten so wenig unterscheiden…

Donnerstag 04.01.

Immer wenn es Nacht wird
(Hans D. Bove, BRD 1961) [35mm]

großartig

Ein Film, der die Alarmsirenen lang, monoton und bohrend klingeln lässt. Die Syphilis geht um und ist so furchterregend, dass niemand wagt ihren Namen auszusprechen. Syphilis, die dunkle Fürstin des zügellosen Sexes. IMMER WENN ES NACHT WIRD warnt im Angesicht ihrer. Lösungen gibt es aber nicht. Denn wo liegt die Ursache? Eine ausladende Parallelmontage lässt den Verdacht aufkommen, dass es an den Partys der Jugendlichen (der Kindergeneration) liegt. Deren Freuden werden in bester Pudowkin/Eisenstein-Manier mit einer fehllaufenden Operation verbunden. Die Würste am Buffet und blutiger Mull, der Spaß und seine Folgen. Oder sind es die lieblosen Väter (die Elterngeneration)? Der Oberkörper eines solchen empfängt am Ende Mitleidsbekundungen am Grab seines Kindes. Der abwesende Kopf, den die Cadrage in den Sand steckt, dabei Scham spürbarmachend, aber auch den Schatten, der er zeitlebens war, sowie eine Trauer, die nur heuchlerisch sein kann. Oder ist es das Aufwachsen im Wohlstand, welches endlose Freuden und damit zwangsläufig Leid generieren muss. Die Kinder, verloren im Reichtum der Eltern, der alle Wege zu versperren scheint, um das Leben mit etwas anderem als Eitelkeiten und schal gewordener Unterhaltung zu füllen. Vll warnt IMMER WENN ES NACHT WIRD so vor einer dekadent werdenden BRD im Angesicht des Wirtschaftswunders. Mehr Askese ist aber eine Forderung, die nur vom Zuschauer an das Gesehene herangetragen werden kann. Formuliert wird diese nicht. Beginnen tut der Film mit einer Fahrt durch eine nächtliche Stadt. Die Musik und die Bilder sprechen von den kommenden Sensationen. Dufte Typen dürfen die ersten Worte sprechen und tragen den Sex und die Gewalt schnell in den noch fast unbeschriebenen Beginn. Aber dann hält IMMER WENN ES NACHT WIRD an. Bobby Elkins (Jan Hendriks) und Elke Gerdes (Hannelore Elsner) liegen im Bett. Er hat nichts mehr zu sagen, sie dafür umso mehr, prallt aber an der Wand ihres Gegenübers ab. Schweigen und Langeweile. Lange werden sie aufrechterhalten. Es folgt eine Odyssee durch und gegen die Flaute der Langeweile, gegen die Leere in einem, wo die Betäubung den Körper und die Gesellschaft auffrisst. Seine Stilmittel liebt der Film indes und gibt sich ihnen dekadent hin. Gier auf eine Welt der Verzweiflung, gegen die Langeweile. Begierde – Willkommen zum Kongress.

Tenshi no harawata: Akai kyôshitsu / Angel Guts: Red Classroom
(Sone Chûsei, J 1979) [35mm, OmeU]

fantastisch

Sich selbst zu mögen, ist manchmal nicht so einfach. In ANGEL GUTS: RED CLASSROOM scheitern Nami und Muraki monumental daran. Sie wurde für einen Snufffilm vergewaltigt und lebt mit diesem Trauma dahin, bis Muraki ihr seine Liebe erklärt. Er, ein überstimulierter Pornoproduzent, hatte sich in sie angesichts dieses inzwischen schon älteren Films verliebt und sie zufällig getroffen. Doch er erscheint nicht zum ersten Date, was aus RED CLASSROOM einen Horrorfilm von Erniedrigungen des Selbst macht. Lange Einstellungen dokumentieren meist aus der Distanz. Die Leute, verloren in der Weite um sie, oftmals an Nichtorten von Brache, Ödnis und Müll. Doch wenn es darauf ankommt, dann, wenn es heftig wird, dann wird nicht mehr kühl auf Abstand gehalten. So nah geht es heran, dass Zerrspiegel Visionen der Verlorenheit werden. Dass die Verachtung im Glutoffen der Emotionen zu grellen Farben übersetzt wird, die (innere) Ruhe unmöglich machen. Nami lässt sich im Folgenden vollpinkeln und sucht alle Möglichkeiten um sich (vor dem drei Jahre später wiederauftauchenden Muraki) zu demütigen. Bereitwillig wird sie sich in Schlamm auflösen. Und Muraki, der eine bedeutungslose Ehe mehr aushält, als dass er sie lebt, wird mit ansehen, wie all seine Hoffnungen auf Perversion und Liebe wie mit einem Dum-Dum-Geschoss auf ihn zurück gefeuert werden. Und zwischen der Zerstörung von Leuten, die irgendwo auch die unsere ist: der Spaß. So eröffnet sich der Wandel des Traumas von etwas an Nami Nagendem zu ihrem Zerstörer in einer Szene, wo sie ihren zukünftigen Zuhälter aussagt. Sie wird zum wörtlich zu verstehenden Sexmonster. Immer wieder wird ihr Opfer zum Sex animiert. Mehrere Minuten jammerte er schon, ob der endlosen Lust, als er hinter einer Wand verschwindet, wie Leute in Horrorfilmen stets hinter Wände gezogen werden, wenn sie dort von etwas gefressen werden.

Dort Hergele / Fighting Killer
(Yilmaz Atadeniz, Giulio Giuseppe Negri, T/I 1974) [vhs]

(verstrahlt)

Große Teile habe ich verschlafen. So auch eine Verfolgungsjagd, bei der Gordon Mitchell nur mit einem Handtuch bekleidet gewesen sein soll. Viele große Freuden also. In Zeiten, wo Videoknüppel bei außerordentlichen Filmkongressen des Hofbauer-Kommandos eher die Seltenheit sind, ist es umso bedauerlicher. Sadismus und männliche Männer in einem Wunschtraum von Männlichkeit waren zu sehen. Wie Michael Corleone greift hier ein Mafiaboss nach der Macht und geht in wild zusammengeschusterten Sequenzen gegen seine Gegner vor. Eines der eher unwahrscheinlichen Opfer ist die Familie eines ehemaligen Soldaten, der nur in einem vagen Verhältnis zu den vagen Handlungen der Machtergreifung steht. Auf Rache sinnend ruft er sein A-Team zusammen … denn seine Zeit in der Armee war eine schwere Zeit, aber die beste seines Lebens. Neben der Hauptfigur des Tony Tigers (Irfan Atasoy, in den Opening Credits aber direkt als Tony Tiger geführt), der es auch noch schafft, wenn er unerwartet mit einem Stock in den Rücken geschlagen wird und gleich hinterher getreten, Saltos auszuführen, die mit den Füßen voran im Gesicht eines Gegners enden …neben diesem sind es Richard Harrison und Gordon Mitchell, die nun brüderlich für Gerechtigkeit kämpfen. Harrison spielt eine hemdsärmliche Douglas Fairbanks-Figur, die spielerisch alles schafft. Und Mitchell wirkt wie ein lethargischer Roboter, der wie von Fernbedienung zu Handlungen wie überzogenen Emotionsbekundungen, Zuhören und Aufrechthaltung seines Körpers gezwungen wird. Der Wahnsinn der Erzählungen eines normalen Hollywoodactionfilms, hier im Brennglas amateurhaften Eifers, in den stolz getragenen Narben von fehlendem Budget und dem Sein als Zusammenschnitt mehrerer Filme, hier trit er erst richtig deutlich hervor. Wie zu erwarten war also das Meiste. Unwahrscheinlich und sensationell.

Prayer k
(Jay Rosenblatt, USA 2002) [stream]

großartig

Einen kurzen Film mit Betszenen, die wie aus Stummfilmen aussehen, habe ich geschaut, um mein Gebet in den Äther zu schießen, dass ich nicht mehr der kommenden Bettszenen verschlafe. Diese archaisch aussehenden Formen von Glaubensbekenntnissen und (irrationalen) Hoffens wirkten so seltsam aktuell.

Mittwoch 03.01.

Na granicy / Grenzgänger
(Wojciech Kasperski, PL 2016) [DVD]

gut

Was macht ein Mann zum Mann? Diese Frage stellt sich GRENZGÄNGER. Oder vielmehr, wie zerstörerisch eine archaische Version dieses Mannseins für die Welt und das Innenleben sind. Ein Vater bezieht mit seinen beiden jugendlichen Söhnen einen Grenzposten mitten in einer Einöde aus Schnee und Wald. Es ist eine Welt, wo jemand, der einem angefahrenen Reh zur Erlösung nicht ohne mit der Wimper zu zucken ein Messer in den Hals stößt, kein Mann ist. Die Söhne des Grenzsoldaten sind so gesehen (noch) keine Männer. GRENZGÄNGER wird aber welche aus ihnen machen wollen. Die Frage ist nur, welcher Preis dafür gezahlt werden muss. Kurz nach ihrer Ankunft kommt ein blutender Mann aus dem Wald. In einer Parallelmontage verdichtet sich das Geschehen daraufhin. Der Vater geht in den Wald, um nach anderen Überlebenden zu suchen, und die verlassenen Söhne sind mit dem langsam erwachenden Mann alleine. Während sich auf der einen Seite des Geschehens, an der Unfallstelle, immer mehr abzeichnet, was für ein Mann da in die Station gekommen ist, stellen die Schnitte zurück die Sicherheit für die beiden Ahnungslosen durch den agiler werden Mann in Frage. Und irgendwann bleibt nur die klaustrophobische Situation zurück, dass zwei überforderte Jungen mit einem Wolf im immer deutlicheren Wolfspelz alleine sind. Blaue, unterkühlte Bilder und zunehmende Schatten bestimmen den sich langsam entspinnenden Kampf, bei dem die einen hoffen, dass alles nicht so schlimm ist und der andere nur den richtigen Moment abwartet, um den letzten Zeugen seiner Tat an die Kehle zu springen. In dem sich entspinnenden Thriller geht es so zunehmend darum, was jeder für das eigene Überleben bereit ist zu tun. Denn nur die „Männer“ tun es in einer solchen Welt. Es ist eine Frage, die einen Terror in der Seele hervorzurufen scheint und erst wenn dieser Terror akzeptiert ist, wieder Lächeln in Gesichter bringt. Ein psychotisches, männliches Lächeln.

Dienstag 02.01.

Derrick (Folge 54) Anschlag auf Bruno
(Theodor Grädler, BRD 1979) [DVD]

gut

Eine Folge im Zeichen der Wiederkehr. Reinecker lässt zum nunmehr vierten Mal einen Mann zum Mörder werden, der eine Frau unabsichtlich mit der Hand erstickt, die vor oder nach einer Vergewaltigung um Hilfe rufen möchte. Männer, die nicht wahrhaben wollen, was in ihnen schlummert, es scheint ihn umzutreiben. Schweiß der von Null auf Hundert das Gesicht des Täters überspült, kennzeichnet immer wieder die Angst vor der Entdeckung des eigenen Seins. Zudem sind wir nach einiger Zeit mal wieder Zeuge der Tat geworden. Derrick darf also auch wieder sofort wissen, wer der Täter ist und mit ihm spielen, ihn unter Druck setzten, bis er gesteht. Mittel dazu ist diesmal zum Beispiel eine kunstvolle, scheinbar harmlose Rede, über die Humanität mit der Tatverdächtige von der Polizei zu verdächtigen sind. Eine Rede über Menschlichkeit, die von einem Dämon genutzt wird, um Schuldige in der Hölle schmoren zu lassen.

Montag 01.01.

Jack and Jill / Jack und Jill
(Dennis Dugan, USA 2011) [blu-ray]

radioaktiv

Eine Komödie zwischen den Stühlen. Für den geneigten Ulrich Seidl-Fan sieht es vll zu sehr nach us-amerikanischer Komödie und damit nach leichter Unterhaltung aus. Für den geneigten Fan leichter Unterhaltung ist diese als Spaß chiffrierte Foltermaschine zwischenmenschlicher Unzulänglichkeiten dann sicherlich zu verquer. JACK AND JILL potenziert dabei das Prinzip von ANGER MANAGEMENT auf der einen Seite, lässt den pädagogischen Liebeskomödienteil aber völlig weg. Adam Sandler spielt auch hier einen neurotischen Selbstmanager, Jack, der sich selbst unter der harten Knute der Normalität hält. Weniger offensichtlich scheitert er hier an sich, denn vor allem scheitert er an seinem schrillen Umfeld, dass in seine Normalität eindringt. So bleibt seine von Katie Holmes gespielte Ehefrau eher blass, da sie für die Biederkeit steht, mit der er sich willentlich umgibt. Wenn dann seine emotionale, eigenwillige Zwillingsschwester Jill (auch Sandler) zu Besuch kommt, dringen immer mehr Leute in sein Leben, die sich nicht so unter Kontrolle habe wie er bzw. die anscheinend nicht mal (mehr) die nötige Selbstreflexion für eine nahtlose Einpassung in ihr Umfeld haben. Die größte Show in diese Richtung bietet Al Pacino, der sich als aufdringlichen Lustgreissuperstar selbst spielt, der zu scheinen glaubt, dass soziale Regeln für ihn nicht mehr gelten. Selbstironisch oder völlig selbstvergessen und unfassbar creepy ist sein Auftritt. Und wir modernen, selbstbewussten Menschen stehen dann beim Schauen eher auf der Seite von Jack und leiden … und wir leiden vor allem an uns und unserem Unbehagen an offensiver Devianz. Die große Geste der Erleuchtung von ANGER MANAGEMENT wird aber, wie gesagt, weggelassen, was die Utopie der fallenden Schranken, der Erleichterung und Öffnung interessanterweise in einem Film, der Aufdringlichkeit zum Stilmittel erhebt, eben nicht aufdringlich ist. Da wo es am wichtigsten ist, ist JACK UND JILL ganz sanft.