STB Robert 2023 I

„[…] if magic is defined as the employment of ineffective techniques to allay anxiety when effective ones are not available, then we must recognize that no society will ever be free from it.“ (Religion & the Decline of Magic)


Wertung: Ich kann nichts mit Zahlen zur Bewertung anfangen. Deshalb gibt es hier ein prosaisches System. Eine Skala ist mit der Qual verbunden, Filme in eine lineare Ordnung zu quetschen. Deshalb hat die Wertung zumindest eine Y-Struktur für freieres Atmen. Die Einstufungen radioaktiv und verstrahlt reflektieren, dass ein Film in seiner eigenwilligen Qualität es einem nicht einfach macht, ihn einfach zu genießen. Wertungen in Klammern verweisen auf das ein oder andere Nickerchen beim Schauen.

Legende: Ist im Grunde selbsterklärend. Wenn hinter der eckigen Klammer eine Zahl steht, dann gibt sie die Anzahl der Sichtungen wieder. Je höher die Zahl, desto mehr ist sie geschätzt. Da ich mit Fernsehen und Kino aufgewachsen bin, wo nur gekennzeichnet wurde, wenn ein Film nicht in deutscher Sprache lief, tue ich das schändlicherweise auch. (OmU=Originalfassung mit Untertiteln, OmeU=Originalfassung mit englischen Untertiteln, OF=Originalfassung, EF= englischsynchronisierte Fassung, OZmeU=Originalzwischentitel mit englischen Untertitel) Hinzu kommen die Zeichen ł, wenn der Film gekürzt war, und ≠, wenn ich mitbekommen haben sollte, dass das Format nicht hinhaute. Ein kleines K hinter einem Titel bezeichnet einen Kurzfilm (bis 15 Minuten), während ein kleines M einen mittellangen Film (16 bis 60 Minuten) kennzeichnet.


Vorangegangene Sehtagebücher:
2012/II | 2013/I | 2013/II | 2014/I | 2014/II | 2015/I | 2015/II | 2016/I | 2016/II | 2017/I | 2017/II | 2018/I | 2018/II | 2019/I | 2019/II | 2020/I | 2020/II | 2021/I | 2021/II | 2022/I | 2022/II

to be continued … und zwar hier

Juni
23.06.-02.07.: Il cinema ritrovato
Freitag 30.06.

Les Femmes palestiniennes / Palestinian Women m
(Jocelyne Saab, F 1974) [DCP, OmeU]

ok +

Immer wieder werde ich gefragt, ob die einzelnen Filme nicht miteinander verschwimmen würden, wenn ich in Bologna meist sechs Vorstellungen am Tag schaue. Meist kann ich die Filme aber ganz gut auseinanderhalten. Hier jedoch ist kaum noch etwas übriggeblieben und in dem ähnlich gelagerten Nachfolgefilm aufgegangen. Ich kann mich im Grunde nur noch sicher daran erinnern, dass es quasi mitten im Satz endet, weil wohl die Produktion gestoppt wurde.

ليلى و الذئاب / Leila and the Wolves
(Heiny Srour, UK//LIB/F 1984) [DCP, OmeU]

ok

Uns werden Frauen in Trümmern, heruntergekommenen Häusern und Dörfern als auch in paternalistisch geprägten Häusern gezeigt. Dabei kommt es zu einer unerwarteten Gegenüberstellung in diesem Essay, das einen Abriss über den antikolonialen Kampf im Libanon und Palästina über 60 Jahre hinweg bietet. Auf der einen Seite befinden sich die Briten, die beispielsweise in einer Gasse einen Regensturz aus Blumentöpfen und kochendem Wasser ausgesetzt werden und die trotzdem nicht einfach nach oben schießen, sondern ertragen. Briten, die Massaker nicht wie gute Bösewichte von sich aus beginnen, sondern erst sobald das Feuer auf sie eröffnet wird. (Israel bleibt als Feind hingegen geradezu ausgeblendet.) Und einen Schnitt weiter warten die libanesischen und palästinensischen Männer, die archaische Bedingungen an Frauen stellen – Kinder kriegen, die Familien bedienen, sich verhüllen. Männer, die den Beitrag der Frauen im Widerstand nicht wahrnehmen. Männer, die ihre Frauen verprügeln, wenn sie es wagen, den rigiden weiblichen Tugenden nicht gerecht zu werden. In Reaktion darauf gibt es kaum Hinweise auf Widerstand. Stattdessen sind es meist ältere Frauen, die Hinweise geben, wie dem Mann die Füße am besten massiert werden, damit er verwöhnt Ruhe gibt.
Auf der einen Seite befinden sich also ganz erträgliche Unterdrücker, während die anderen viel problematischer sind, weil sie Teil der eigenen Identität sind. Sehr plastisch wird darin der schwer bis unlösbare Widerspruch der Frauen. Sie befinden sich in einem doppelten Widerstand – gegen den nominellen politischen Gegner, als auch den im eigenen Haus. Die Angebote des Westens, der gegen die Unterdrückung der Frauen helfen könnte, kann nicht einfach übernommen werden, weil sie damit zu Verrätern an ihrer kulturellen Identität würden.
Das Problem von LEILA AND THE WOLVES ist dabei sein betrübtes Schreiten durch die immer gleichen Konflikte. Er tappt voran, kommt nicht auf den Punkt und scheint wie im Loop des immer gleichen gefangen. Das eindringlichste Bild des Films zeigt völlig verhüllten Frauen am Strand, die dabei zusehen müssen, wie Männer und Kinder ihre Freiheit beim Baden genießen dürfen. Wie es aber immer wieder aufgegriffen wird und einen immer wieder an die gleiche Stelle zurückbringt, zeigt bestenfalls, dass wir es mit einem Dokument des Feststeckens zu tun haben. Da es aber nicht um die Absurdität der Situation geht, nicht um Kampf, sondern um biederen, gern betrüblichen Agitprop ist der Film vor allem ungemein ermüdend.
Absolutes Highlight, das mich fast mit dem Film versöhnt, ist die Szene als sich eine Soldatin mit drei Mitstreitern im Häuserkampf mit Israel befindet. Nachdem sie den Feind zurückgeschlagen haben, machen sie Pause und die drei beginnen miteinander zu labern. Sichtlich die Frau ausschließend, sichtlich den Dude raushängen lassend. Und die Frau rennt lieber Richtung Front, um sich erschießen zu lassen, als sich das weiter anhören zu müssen.

Infanzia, vocazione e prime esperienze di Giacomo Casanova, veneziano / Kindheit, Berufung und erste Erlebnisse des Venezianers Giacomo Casanova
(Luigi Comencini, I 1969) [DCP (?), OmeU]

großartig

Ein stiller Fluss aus Geschehnissen, die keinen prägenden Weg in die Libertinage zeigen, sondern Sex lediglich in die Luft legen: durch Kostüme durchscheinende Nippel, verträumte verliebte Blicke, Sex hinter verschlossenen Türen, die sich andeutende und von allen Seiten sanktionierte Perversion, solange sie eben nicht Teil der Öffentlichkeit wird. Der Sex ist eben überall und ein Junge und ein junger Mann versuchen in dieser Welt per Trial-and-Error Fuß zu fassen. Dabei geht es vor allem um Kostüme und Institutionen einer vergangenen Zeit, auf die Comencini mehr Wert legt als auf Dramaturgie. Entspanntes Eintauchen ist die Folge.
Statt der angekündigten 35mm-Kopie gab es irgendetwas Digitales. Vll. sogar nur eine blu-ray. Kommentiert wurde es nicht. Aber da hier sichtlich keine geglättete Prestige-DCP gezeigt wurde, war es sogar ganz angenehm.

غریبه و مه / Stranger and the Fog
(Bahram Beyzai, IRN 1976) [DCP, OmeU]

großartig

Seine Einführung beendete Ehsan Khoshbakht damit, dass STRANGER AND THE FOG mehr Nebel biete als das komplette Werk Antonionis und mehr Schlamm als das Tarrs. Wir bekamen daraufhin einmal mehr eine DCP zu sehen, die von einem Negativ gescannt und möglichst von allem gereinigt wurde, was bei einem analog entwickelten Film auftauchen kann. Lediglich das sehr, sehr feine Korn wurde gnädiger Weise belassen. Gerne hätte ich den nebligen, schlammigen, groben Film gesehen, der dies bestimmt einmal war. So bekam ich einmal mehr eines dieser Remaster zu sehen, die versuchen möglichst digital Reinheit nachzustellen, den Tod gar. Diese Revision der Filmgeschichte, in welcher über hundert Jahre niemand Negative zu sehen bekam, die nun aber der Standard geworden sind, ist zunehmend ernüchternd.
Diese Reinheit will auch gar nicht zu diesem Gleichnis passen, in dem es um Glauben und Zeichen geht, um eine symbolisch zu entziffernde Welt, um den Umstand, dass der Paranoia vll. doch Glauben zu schenken ist, über Xenophobie und die Mechanik einer Dorfgemeinschaft, um Liebe, Sex, Eifersucht und das Wunder geliebt zu werden. Und in dem gerannt und geschrien wird, geschrien und gerannt, um alle die Gefühle, die in einem stecken, ausdrücken zu können. Dieser Film ist eben nicht reinlich, sondern stürzt sich nur allzu gerne in den Matsch … wie uns ja auch vor dem Film versprochen wurde, was dann aber nur zu erahnen war.

川中島合戰 / The Battle of Kawanakajima
(Kinugasa Teinosuke, J 1941) [35mm, OmeU]

ok

Für 1941 sicherlich ein interessanter Film, weil es nicht nur um den Heldentod für den Fürsten geht. Stattdessen werden die sinnlosen Toten auch betrauert und überhaupt geht es nur am Rande um die Schlacht, sondern um die Schachzüge davor und vor allem um den Alltag eines Versorgungstrupps.

Queen Christina / Königin Christine
(Rouben Mamoulian, USA 1933) [35mm, OF] 2

fantastisch

Vier ungeordnete Punkte:
– Zum Glück wurden Abspänne erfunden. Wenn wir hier vom Höhepunkt der anschwellenden Emotionen in die kalte Realität geworfen zu werden, ist der Bruch definitiv zu hart für mich.
– MGM lässt Mamoulian sichtlich weniger Freiheit, um mit der Form zu experimentieren. Trotzdem handelt es sich um einen typischen Mamoulian, weil der Film von der Sehnsucht nach Berührung angetrieben ist.
– John Gilbert hat sicherlich nicht die samtene Stimme, die zu seinem Image aus Stummfilmzeiten gepasst hätte, aber unangenehm oder so ist sie auch nicht. Vll. war es viel eher seine Frisur aus QUEEN CHRISTINA, die seine Karriere beendete.
– Ich habe gelernt: als Rechtshänder muss ich auf der linken Seite schlafen, damit mein Fechtarm geschont wird.

Donnerstag 29.06.

Rings on Her Fingers / Das große Spiel
(Rouben Mamoulian, USA 1942) [35mm, OF]

großartig

Ein Film über die verliebten Blicke Gene Tierneys auf Henry Fonda, der einen Buchhalter und Nerd spielt, der wie ein glückliches Kind aussieht, sobald er sich mit Zettel und Stift der höheren Mathematik widmen kann und glaubt die Welt revolutionieren zu können. Wenn sie ihren verliebten Blick von ihm abwendet und Beistehende entzückt fragt, ob er nicht süß ist, hat ihre Liebe zudem etwas Mütterliches. Er ist hingegen von ihren Körperteilen so geblendet, dass er gar nicht erkennen kann, dass er es mit einer Trickbetrügerin zu tun hat.
Sehr schön ist auch der Moment, als in dieser ziemlich klassischen Screwball Komödie das Nachrücken einer neuen Generation spürbar wird. So wirft uns ein Schnitt unvermittelt in eine wilde Swing-Tanzparty. Wie aus dem Nichts bricht die Hölle los. Junge Frauen werden durch die Luft geworfen. Flatternde Röcke legen Unterhosen frei. Alles ist auf Ekstase und die Fertigkeiten einer neuen Alterskohorte ausgelegt … während Tierney und Fonda Wange an Wange langsam dazwischen dahingleiten. … zumindest bis sie selbst loslegen und mit ironischer Brechung beweisen, dass sie noch nicht zum alten Eisen gehören.

Nella città l’inferno / Frauen hinter Gittern
(Renato Castellani, I/F 1959) [35mm, OmeU] 2

gut

Kurz nachdem der Film begann, musste ich feststellen, dass ich ihn wohl bereits im Fernsehen gesehen hatte, diese sichtliche Aneinanderreihung von Anekdoten aus realen Gefängnissen, die etwas lieblos in die rote Linie – junge unschuldige Frau (Giulietta Masina) wird im Knast von einer Aufschneiderin (Anna Magnani), die mit ihrer Show eigentlich nur selbst lebensfähig bleiben möchte, so sehr korrumpiert, dass sie ebenso zum Stammgast wird. Herzzerreißend sind die kleinen Motive, wie wenn ein Hemd im Waschwasser schwimmt und eine Insassin an ihr ertrunkenes Baby erinnert wird. Anna Magnani ist super, wie das beklemmende Setting eines engen, heruntergekommenen, überfüllten Knasts, in dem Nonnen als Wärterinnen fungieren.

Ich denke oft an Hawaii
(Elfi Mikesch, BRD 1978) [DCP]

großartig

Rosa von Braunheim meets David Lynch in dieser Doku, die einerseits die Tristesse Berlins Ende der 1970er/Anfang der 1980er Jahre mit seinen Plattenbauten, bieder-psychedelischen Tapeten und endlosen gleichen zwielichtigen Wohnzimmern mit schummrigen Fernsehprogramm, die bei einer geloopten Kamerafahrt einen Flur entlang aufeinander folgen. Andererseits wird die Lebensrealität der dort gestrandeten Familie – die Mutter ist Putzfrau, die von ihrem Mann aus Puerto Rico verlassen wurde, die Tochter noch Schülerin, der Sohn eine stumme Leerstelle – in inszenierten Tableaus dargestellt, in Dadapsychohorrorminiaturen. Das Leben in Deutschland als Trip aus unerfüllten Sehnsüchten, Frust und Ausgrenzung.

Vittoria o morte! / Victory or Death m
(Mario Caserini, I 1913) [35mm, ndlZmeU]

gut

Ein kleiner Agententhriller mit Sprung vom Flugzeug neben den Luxusliner oder Chloroform im Blumenstrauß, der der Liebsten zum Riechen gereicht wird. Seinen Höhepunkt findet es in einem untergehenden Schiff und dem Chaos an Bord – da braucht sich nicht vor TITANIC versteckt werden.

Fiamma simbolica m
(Eugenio Perego, I 1917) [35mm, ndlZmeU]

ok

Ein Frauenheld und Vergewaltiger wird ermordet und der zugewiesene Untersuchungsrichter ist der Bruder einer Frau, die das Mordopfer in einem Sturm misshandelt hatte und die daraufhin in geistige Umnachtung abdriftete. Der Clou dieses Films von 1917 war damals vielleicht, dass die Auflösung dann per Rückblende geschieht. Obwohl: das gab es da bestimmt schon. Für mich war jedenfalls der Clou, dass ein Vergewaltiger im entsprechenden Zwischentitel als Verführer betitelt wird. Womit nicht der Sex prüde kaschiert wird, sondern der Umstand, dass sie nicht wollte.

La bouteille de Patouillard k
(Romeo Bosetti, I 1911) [35mm, ndlZmeU]

gut

So viel verschenktes Potential: Patouillard (Paul Bertho) kauft eine Flasche Champagner, lässt sie schon im Laden öffnen und spritzt auf dem Heimweg alles und alle voll – wobei er die Flasche natürlich immer in seinem Schritt hält, damit es auch unbedingt so aussieht, als würde die Flüssigkeit aus seinem Phallus geschnellt kommen. Ein Meisterwerk in spe … nur wird die Idee fast vollständig verschenkt, weil der fertige Film wie ein Outtake-Reel wirkt.

The Woman on the Beach / Die Frau am Strand
(Jean Renoir, USA 1947) [35mm, OF]

großartig +

Es ist durchaus spürbar, dass der Film nach Testscreenings umgeschrieben und in Folge von Nachdrehs umgeschnitten wurde. Das Ende ist beispielsweise fast so überhastet, wie das von den Produzenten angepappte bei THE MAGNIFICENT AMBERSONS. Nur wird Orson Welles‘ Film einfach komplett abgewürgt, während hier noch zusätzliche Brüche entstehen. Nach dem Kampf zwischen Scott (Robert Ryan) und Tod (Charles Bickford) auf hoher See scheint bei diesem Ende für Scott mindestens eine Woche vergangen, wohingegen Tod und seine Ehefrau Peggy (Joan Bennett) emotional noch so aufgewühlt sind, als liege die Auseinandersetzung wenige Minuten zurück. Alle drei scheinen irgendwo anders in der Zeit oder gleich in anderen Dimensionen festzustecken.
Das Ende passt damit perfekte für THE WOMAN ON THE BEACH, der nominell wohl einfach ein Femme-Fatale-Noir sein soll, in dem zwei Männer in ihrer obsessiven Liebe zu einer Frau aneinandergeraten. Peggys erblindeter Ehemann kann nicht mehr malen und krallt sich in seiner Impotenz an die passiv-aggressiven Spielchen mit seiner Frau. Küstenwachtmitarbeiter Scott steht kurz vor seiner Heirat mit einem all-american Handwerkergirl (Nan Leslie) und wirft sich mehr in den Wahnsinn, um der sauberen Bürgerlichkeit zu entgehen, als dass er von seiner Lust dorthin gezogen werden würde. Beide geraten zwangsläufig in ihrer Besessenheit von Peggy aneinander und diese spielt mit undurchdringlichen Motiven mit den beiden.
Doch scheint Peggy nur Mittel zum Zweck zu sein. Die Chemie zwischen Robert Ryan und Charles Bickford drängt sie an den Rand. Ihre Sirene ist so machtlos, wie ihr Lauern am Strand bedrohlich ist. Scott jedenfalls quält Tod aktiv und körperlich, weil er von seiner Blindheit besessen scheint, während Tod umgedreht sein Gegenüber mit aufdringlicher Passivität und damit vor allem geistig quält, als mache er sich zum Opferlamm, nur damit der andere ein Henker wird. Keiner der drei scheint in seinem Leben, noch in der Geschichte da zu stehen, wo er hinsoll oder wo die Figur gerne wäre. Geschweige denn, dass sie wissen würden, was sie wöllten. Nichts an ihnen passt zusammen und der zerstückelte THE WOMAN ON THE BEACH kommuniziert es sehr nachdrücklich.
Er ist dabei aber auch wunderschön (und) seltsam anzusehen. Wenn ich nämlich mal bei einem Schiffsunglück sterben sollte, wünsche ich mir, dass ich so erhaben untergehe wie Robert Ryan in der Alptraumsequenz, mit der THE WOMAN ON THE BEACH gleich zu Beginn eindrucksvoll festhält, in welcher weichen, entrückten (Gefühls-)Welt wir uns befinden werden.

狂った一頁 / A Page of Madness
(Kinugasa Teinosuke, J 1926) [35mm] 2

großartig

Jetzt bei der zweiten Sichtung bekam ich ein ziemlich klares, eher zart expressives Drama – anstelle eines abstrakten Kunstwerkes – über einen Mann, der Probleme damit hat, zu akzeptieren, dass seine Frau(?) beim Ertränken ihres jüngsten Kindes verrückt geworden ist und er als Hausmeister einer Anstalt an ihrer Seite bleibt. Sehr modern ist es, ok. Aber auch ein simpler, konzentrierter Film, der seine Überblendungen und assoziativen Schnitte nicht gekonnt oder gewusst einsetzt, sondern sich sichtlich ausprobiert, der also verspielt ist und nicht dieses Mahnmal der Zukunft, das ich beim ersten Mal sah.

[Oni azami] / Demon Thistle Fragment
(Kinugasa Teinosuke, J 1927) [DCP, serbkroatZmeU]

tba.

Nach A PAGE OF MADNESS ging das Licht an, Aufbruchsstimmung machte sich breit, das Licht ging wieder aus und unvermittelt setzte Schwertkampf auf der Leinwand ein. Kurz darauf kam als Deus ex machina ein Happy End und der Spuk war schon wieder vorbei. Schwindel und Solidität.

Mittwoch 28.06.

ビルマの竪琴 / The Burmese Harp
(Ichikawa Kon, J 1956) [DCP, OmeU]

ok

No Peace! No Love! No Joy!
WICKED KINGDOM – Noah House of Dread

THE BURMESE HARP ist genau der Film, den ich erwartet hatte und auf den ich schon keine Lust hatte, als ich mich näher mit Ichikawa Kon beschäftigte. Es ist quasi ein Lustspiel der Besoffenheit am eigenen Mitgefühl, weshalb mir besagtes Lied von Noah House of Dread beständig durch den Kopf ging. Hinzu kam, dass irgendwie nur die Leichen von japanischen Soldaten zählen und auch nur diese gezeigt werden, als ob der Zweite Weltkrieg für die anderen ein Spaziergang gewesen wäre. Und dass Japan vll. der Aggressor war, wird auch dezent unter den Tisch fallen gelassen.
Was den Film für mich rettete, war die Vorstellung eines bundesdeutschen Äquivalents, in dem Roy Black als Mönch und Balalaika spielend durch Jugoslawien zieht und gefallene Wehrmachtssoldaten sowie die Niederträchtigkeit des Kriegs betrauert hätte.

Golden Boy
(Rouben Mamoulian, USA 1939) [35mm, OF]

gut +

Das Ende ist arg simpel und hölzern; Barbara Stanwycks Figur ist mit Abstand die interessanteste, sie wird aber nach der Hälfte des Films abgewickelt und nur noch mitgeschleppt; die Boxkämpfe sehen fürchterlich aus, da Holden völlig hüftsteif agiert und die Leute einfach nur aufeinander einschlagen: Vieles an GOLDEN BOY stört mich. Wenn Lee J. Cobb seinem von Holden gespielten Sohn aber zum Happy End in seinem dick aufgetragenen italienischen Akzent entgegenruft: You arə home!, dann ist alles verziehen.
Zu diesem Zeitpunkt der Mamoulian-Retro hätte ich ihm einen solch konzentrierten Film ohne stilistischen Krimskrams gar nicht zugetraut … und gerade das wilde Hin und Her des Drehbuchs hätte etwas Verrücktheit von seiner Seite sicherlich verdient gehabt. Die wahre Überraschung war aber, dass mir Boxer und Geiger Joe Bonaparte mit seinem ersten Auftritt sofort bekannt vorkam. Aber erst nachdem er sich die Haare schnitt fiel bei mir der Groschen, dass es sich um William Holden handelte. Bis zum Ende des Festivals kam ich nicht darüber hinweg, wie jugendlich er 1939 noch aussah (er war zu diesem Zeitpunkt 21 Jahre alt) und wie alt und verbraucht er schon 11 Jahre später in SUNSET BOULEVARD wirkt.

أحلام المدينة / Träume von der Stadt
(Mohammad Malas, SYR 1984) [35mm, OmeU]

gut

Der Film stellt Erinnerungen an eine Kindheit in Damaskus kurz vor und während der Entstehung der Vereinigten Arabischen Republik dar. Ein wenig erinnert es Youssef Chahines ALEXANDIRA … WHY?, nur geht Malas einer sentimentalen Verklärung aus dem Weg. Die Impressionen der Anwohner im Straßenzug, in dem Dib (Bassel Abiad) aufwächst, sind zwar durchaus von Wehmut gegenüber einer verlorenen Vergangenheit geprägt, aber dem steht eine unversöhnliche, tiefsitzende, teilweise überhaupt nicht kontextualisierte Gewalt entgegen, die immer wieder die Melancholie überschreibt: die irrationale, wahnhafte Zurückweisungen und Anschuldigungen des Großvaters, die Unmöglichkeit zu diskutieren ohne in Geschrei zu enden, der nette Nachbar, der urplötzlich jemanden auf der Straße blutig schlägt, uswusf. Die Kindheit und die Zeit in Damaskus ergeben dergestalt eine Zeit des Aufbruchs, die durch eine allgemeine Gefangensetzung in räumlicher wie geistiger Enge terrorisiert wird.
DREAMS OF THE CITY könnte deshalb wirklich sehr schön sein. Mit seiner nachdrücklichen, zähen Gegenwart der Momente, die wie Felsen in einem elliptischen, reißenden Strom aus Zeit stehen. Noch dazu dadurch, dass alles in einem kindlichen Verständnishorizont verbleibt – wir sehen Kindheitserinnerungen und keine allumfassende Aufarbeitung der Geschehnisse. Aber von Anfang an reitet Malas‘ Film auf dem immer Gleichen herum und damit seine Qualitäten zunehmend in den Tod. Das Ergebnis ist ein Paradox, dass vll. super zu seinem Thema seines Films passt: Retrospektiv ist DREAMS OF THE CITY deutlich erträglicher und schöner, als wenn es durchlitten wird.

Les contes de mille et une nuits / The Tales of the Thousand and One Nights
(Viktor Tourjansky, F 1921) [35mm, EZ]

ok

Das Fragment eines Serials, das nur noch in Form dieses Supercuts erhalten ist, der für den englischen Markt erstellt wurde. Geschichte und Schauspiel besitzen kein Esprit, aber zumindest die Dekors als auch das Casting des kleinwüchsigen Haremsverwalters sind vorzüglich. Und dann friert hier eine Stadt und ihre Bewohner augenblicklich in ihren Positionen ein und irgendjemand machte sich die Mühe eine struppige ausgestopfte Katze mitten unter die Menschen zu stellen: ein kurzer Moment von Genie.

La marcia nuziale / The Wedding March Fragment
(Carmine Gallone, I 1915) [DCP, kroatZmeU]

großartig

Gerade nach LES CONTES DE MILLE ET UNE NUITS ist die Lebendigkeit im überbordenden Schauspiel Lyda Borellis und in der Filmgestaltung, die den überbordenden Gefühlen Rechnung tragen möchte, sehr, sehr erfrischend. Da lässt sich auch vertragen, dass nur die letzten zehn Minuten dieses Melodramas erhalten sind, in dem Rosenblüten an Dekolletés zerdrückt werden, expressive Verzweiflung alles zersetzt, Feuerwerk fröhliche Farbtupfer setzt und der Selbstmord zum Hochzeitsmarsch noch bitterer wird, weil der ursächliche Mann dem Geschehen keinen Blick würdigt.

La tartaruga Fragment
(Riccardo Cassano, I 1918) [DCP, OZmeU]

ok

Die erhaltenen Reste von LA TARTARUGA zeigen einen kaum interessanten Film, über eine Frau, die sich vor der Liebe wie eine Schildkröte vor wilden Hunden in ihrem Panzer versteckt und die, sobald sie sich doch öffnet und ihre Kette mit Schildkrötenanhänger ablegt, schwer verletzt wird. Es wird aber auch deutlich, dass der physische Verfall von Nitratkopien – die ersten beiden Filmrollen waren nicht zu restaurieren und wurden in ihrer vorhandenen Form einfach gescannt und mehr oder weniger belassen – einer der bedeutendsten abstrakten Künstler der letzten 100 Jahre ist. Mit anderen Worten: es war sagenhaft schön.

Patouillard a une femme qui veux suivre la mode / Patouillard’s Wife Wants to Follow the Latest Fashions k
(Romeo Bosetti, I 1912) [35mm, ndlZmeU]

nichtssagend

STELLA DALLAS ohne Rahmenhandlung, also einfach nur Stella und ihr Sinn für Mode … und ohne Mitgefühl, sondern einfach nur als Auslachen einer dummen Trulla.

Thaïs Fragment
(Anton Giulio Bragaglia, I 1916) [DCP, FZmeU]

gut

Zuweilen sieht THAÏS sagenhaft aus, da Vera (Thaïs Galitzky) in Räumen aus abstrakten, dadaistischen und/oder Popart-Gemälden lebt. Doch diese Dekors strahlen nur bedingt auf einen ansonsten sachlichen Film aus, in dem eine dekadente Frau solange mit der Liebe spielt, bis alle anderen Frauen Selbstmord begangen haben. Das alles nicht so aufregend erscheint, wird noch dadurch verstärkt, dass die Zwischentitel die Dialoge der kommenden Szenen zeigen und auch deren Inhalt im Voraus erklären … was wie immer sehr abträglich für den Spannungsbogen ist und nach 1916 zum Glück schnell aus der Mode war.

女優 / Actress
(Kinugasa Teinosuke, J 1947) [35mm, OmeU]

gut

Ein Film dessen Handlung stets die Theaterstücke imitiert, die gerade in der portraitierten Theatertruppe zur Aufführung kommen. Bzw. der eine Handlung aus verschiedenen Theaterstücken schustert. Dabei geht es um die real existiert habende Schauspielerin Sumako (Yamada Isuzu), die erste große Schauspielerin nach westlichem Muster in Japan, und ihre Beziehung zu ihrem Regisseur Shimamura Hōgetsu (Hijikata Yoshi). Wobei sie Präsenz besitzt und er im Hintergrund bleibt, selbst wenn er zentral im Bild steht. Doch der Anschein trügt, denn ihre Unabhängigkeit ist nur scheinbar. Ihr Drama ist, dass sie ohne ihn als Krücke – trotz ihrer gemeinsamen revolutionären Zusammenarbeit – scheitert. Zu schnell geht sie darin auf, dass die anderen in ihr nur eine schwache Frau sehen wollen.
Sumakos Bruder taucht dabei erst als Alkoholiker und Tunichtgut im Film auf und scheint zur Belastung für sie zu werden. Danach ist er aber geläutert an ihrer Seite, nur um später im Film ohne dramaturgische Implikationen wieder zu trinken. Zumindest in seinen Nebenbereichen zerfranst ACTRESS, der sonst wenig an offensiver Expressivität interessiert ist. Größtenteils bekommen wir stattdessen ein nüchternes, konzentriertes Drama einer Frau in einem missgünstigen Umfeld, die sich den Traum der Liebe als Seifenblase möglichst fragil aufbaut.

Dienstag 27.06.

Bushman
(David Schickele, USA 1971) [DCP, OF]

großartig

1968: Durch das Wüten des Bürgerkriegs in Nigeria befindet sich Paul Eyam Nzie Okpokam in den USA, wo gerade Bürgerrechtler erschossen werden. Begegnungen, Ausflügen und Affären werden wiederholt auf die Unterschiede zwischen Paul und seinen Gegenübern zu Tage führen. Kulturelle Unterschiede, aber auch einfach individuelle. Während Paul schnell abwinkt und die Leute in dieser kleinen Welt nicht als so unterschiedlich sehen möchte, sehen die anderen in ihm relativ schnell den Buschmann.
Vor allem ist aber Sommer und es ist zu warm für Eskalation. Paul, die anderen und die vll. entscheidenden, vll. auch unwichtigen kulturellen Unterschiede lassen sich treiben – u.a. taucht Jack Nance kurz als Schwuler auf, der Paul zu neuen Erfahrungen überreden möchte. In einer leeren Bar, im Schnee, auf der Straße: immer wieder geht es um Impressionen eines Geworfenseins in Situationen, die mal mehr, mal weniger ausgesessen werden und in denen versucht wird, gelassen zu sein, während doch immer das Leere und Fremde der Situation überwiegt.
Dieser eh schon mit einem Bein im Cinéma vérité stehende Film wird irgendwann von der Realität eingeholt. Paul, bis dahin eine fiktive Version seiner selbst spielend, soll unter fadenscheinigen Argumenten abgeschoben werden. Statt also die Fiktion zu verfolgen, übernimmt die Doku über die Vertreibung des Fremden.
*****
Vor dem Film gab es Texttafeln mit Erläuterungen zur Restaurierung des Films. Unter anderem findet in diesen Erwähnung, dass neue 35mm-Kopien gezogen wurden … und wie zum Hohn schlossen die Ausführungen mit dem Hinweis, dass das, was wir nun sehen, keine von diesen ist.

[Hollywood Sign Outtake] k
(???, USA 1923) [35mm]

ok

Eine stumme News Reel über das Aufstellen der Hollywoodland-Buchstaben und in Folge noch ein Trailer zu James Cruzes HOLLYWOOD. Also einmal der Ursprung eines Mythos in Schweiß, Draht und die drückende Hitze reflektierende Metalplatten, und einmal eine der wenigen verbliebenen realen Präsenzen eines ansonsten verschollenen Films.

The Covered Wagon / Die Karawane
(James Cruze, USA 1923) [DCP, OZ]

gut +

Viele tollen Nebendarsteller bestimmen den Film. Der Sidekick des Helden, gespielt von Ernest Torrence, der die Bösewichte beständig zur Seite bringen möchte und der immer wie ein eingeschnapptes Kind reagiert, wenn er nicht darf (weil tugendhaftes Handeln, du sollst nicht töten und so, aber auch weil sonst ja nichts mehr in der Geschichte passieren würde.) Dann gibt es einen Tabak kauenden Jungen, der nicht da ist, um niedlich zu sein und gerettet zu werden, sondern um niedlich zu sein und mit Haaren zwischen den Zähnen den Tag zu retten. Oder der mormonische Säufer, der sich nur betrunken an die wichtigen Dinge erinnern kann und deshalb immer wieder abgefüllt werden muss.
Die Hauptfiguren befinden sich hingegen etwas auf der tristen Seite wie auch die Handlung, die wahrscheinlich so viele Tropen geschaffen hat, dass sie etwas sehr herkömmlich wirkt. Nur der Treck als weitere Hauptfigur ist beeindruckend. Er erreicht zwar nicht das FITZCARRALDO-Niveau von THE BIG TRAIL, ist aber schon logistisch – wenn ca. hundert Wagen mit Ochsen, Kühen und Pferden durch einen Fluss müssen – Affektkino in Reinform.

The Suspect / Unter Verdacht
(Robert Siodmak, USA 1944) [DCP, OF]

gut

Das Konzept besteht darin einen Mörder (Charles Laughton) zu zeigen, der seine Welt zu einer besseren macht, in dem er zwei Leute – seine Frau und einen Nachbarn – tötet, die ihrer Umwelt das Leben zur Hölle machen. Die Ehefrau wohl auch sich selbst. Nur ist dieser Mörder auch zu gut für diese Welt, um ein richtig guter Mörder zu sein. Ständig wird er in Situationen gebracht, wo er seinem Umfeld als Bereicherung und als Vorbild für Kinder erscheint. Sein schlechtes Gewissen offenbart sich dadurch nicht durch expressive Mittel wie pochende Bodendielen oder schwarze Katzen, sondern durch die Wertschätzung, die er erhält. Weshalb er sich wie ein Heuchler vorkommen muss, denn wenn die Leute nur wüssten…
Charles Laughton ist herausragend als Everybodys Darling und Allverständiger, der tötet, weil er einmal keinen anderen Ausweg mehr sieht und einmal, weil doch alles ganz gut beim ersten Mal lief. Zudem gibt es noch die sehr schöne Szene, in der der ermittelnde Polizist den Tathergang, der nicht zu sehen gewesen war, wohl gleich beim ersten Versuch richtig beschreibt. Siodmak zeigt uns zu dessen Erläuterungen die entsprechenden Abschnitte eines leeren, schattigen Treppenhauses. Abwesenheit wird gezeigt, die als Geister und Echos der Vergangenheit die Gegenwart beherrscht.

The Song of Songs / Das hohe Lied
(Rouben Mamoulian, USA 1933) [35mm, OF]

gut

Nach dem abermaligen Dietrich/von Sternberg-Flop BLONDE VENUS, durfte Mamoulian nun nach Lubitsch in die Fußstapfen des anderen stilprägenden Regisseurs von Paramount treten. Es wird dann auch sein vorletzter Film für Paramount sein und sein letzter für die nächsten vier Jahre – noch im selben Jahr wird er für QUEEN CHRISTINA zu MGM ausgeliehen. Und es ist durchaus schade, dass das Studio der Regisseure Mamoulian nicht mehr Mamoulian sein ließ und er darauf Filme für Studios machte, die schon gar nicht solche stilistischen Sperenzchen zuließen, die seine Filme bis 1932 ausmachten und mit Leben erfüllten. Vll. war aber auch die zunehmende Durchsetzung des Hays Code, die seinen Stil behinderte, da ein Pol in seiner oft für seine Filme maßgeblichen Trennung von Reinheit und Sex wegbrach. Hier beginnt jedenfalls der durchwachsene Teil seiner Filmographie.
THE SONG OF SONGS ist nun eine Slowburn-Sadismusparade. Wie bei DAS BILDNIS DES DORIAN GRAY saugt hier eine künstlerische Nachbildung etwas aus der porträtierten Person. Lily (Marlene Dietrich) verliert ihre Güte und Unschuld an eine elysische Statue von sich und wird zunehmend zum verdorbenen, zynischen Vamp. Dabei wird die Unschuld vom Lande erst von Sex in Form von unzähligen, sehr expliziten Statuen nackter Frauen bombardiert und dann zum Spielball eines deutschen Offiziers (Lionel Atwill), den es aufgeilt, wenn er jemanden quälen kann. Höhepunkt ist ein Diner, dass nur dafür da ist, die Teilnehmer emotional möglichst tief zu verletzten und das Melodrama ist sichtlich darauf aus, seinen Plan aufgehen zu lassen. Nach dem Essen bricht der Offizier befriedigt in seinem Sessel zusammen.
Das Problem ist nur, dass THE SONG OF SONGS zu lange zwischen seinen Polen verharrt. Dass er die Herausforderungen einer liberalen Künstlerwelt an ein prüdes, neugieriges Mädchen (Marlene Dietrich vll. nicht perfekt an dieser Stelle) relativ schnell hinter sich bringt und den offenen Sadismus zu lange hinauszögert. Und dass er nach besagtem Höhepunkt sichtlich erschlafft. THE SONG OF SONGS verharrt also im Plot, statt unnachgiebig zu seinen Vorlieben und Fetischen vorzudringen.

十字路 / Im Schatten des Yoshiwara
(Kinugasa Teinosuke, J 1928) [35mm, OmeU] 2

gut

Je mehr die Zahnreihen der Schauspieler ins Bild kamen, desto mehr lichtete sich der Nebel der Erinnerung an die Erstsichtung. Denn sie sind das zentrale inszenatorische Element dieses Films, von dem ich nur noch wusste, dass ich ihn einmal gesehen hatte.
Der Mann mit dem Jitte (Sôma Ippei) hat beispielsweise nur noch seine Eckzähne und sein lachender Mund – und damit sein wabbeliges Zahnfleisch – wird des Öfteren in Großaufnahmen genossen, wenn er von Okiku (Chihaya Akiko) sexuelle Gefälligkeiten erpressen möchte. Vor allem aber ist da der eine der oberen seitlichen Schneidezähne von Bandô Junosuke (der Rikiya spielt), der von Eck- und mittlerem Schneidezahn hinter die Zahnreihe gepresst wurde und fast schon auf dem Gaumen steht. In seinen Momenten der Qual – und davon gibt es viele – wird er stets leicht von unten gezeigt, damit diese Eigenheit direkt im Bild steht und irritiert. Das Zahncasting ist somit einfach sensationell … bzw. das Schminken des Mundraums: das Zahnfleisch der Kurtisane O-ume (Ogawa Yukiko) sieht eben durchgängig blutig aus.
Zähne und Zahnfleisch sind Teil der expressiven Höllenwelt, die durch löchrige Wohnungen, düstere Gassen, vielsagende Fratzen und Momente der Verhöhnung in rauschhaften Bildern ergänzt wird. So eindrücklich ist dieser Abgrund, dass es verständlich ist, dass die beiden in Armut lebenden Lumpenproletarier-Hauptfiguren (Okiku und Rikiya) es den Leuten so einfach machen, sie zu täuschen. Nur zu natürlich scheint es ihnen, dass sie nur noch tiefer in den Schlund dieser trostlosen Welt gestoßen wurden, als dass sie einmal hinterfragen würden. Die Weggabellungen, an denen sie ankommen, führen eben nur zu unterschiedlichen Verderbnissen und bieten nicht mal ansatzweise ein Potential zur Besserung.
Den japanischen Titel – beim englischen Titel CROSSROADS handelt es sich um die genauere Übersetzung – trägt der Film durch Okiku, die sich immer wieder entscheiden muss: sich prostituieren, um die Miete bezahlen zu können, oder auf der Straße enden; sich prostituieren, um den Doktor bezahlen können, oder den Bruder Rikiya geblendet lassen; sich prostituieren, um den angeblichen Polizisten mit dem eigenen Körper bestechen zu können, oder Rikiya wegen angeblichen Todschlags ins Gefängnis gehen lassen. Des Öfteren bewegt sich die Kamera auf ihr Gesicht zu, wobei nach einer Überblende die Kamerafahrt von der anderen Seite und näher auf ihr Gesicht weitergeht. Ewig verharrt sie und will sich zum unwilligen Sex drängen. Einige Schritte bewegt sie sich auch immer langsam auf den Verlust ihrer körperlichen Unschuld hin und dreht dann doch wieder ab.
Wie bei Lav Diaz geht es bei diesem Feststecken in einem moralischen Dilemma (bzw. einem von Unlust) um filmisches Aushalten und Dauer. Wenn Rikiya mit Asche geblendet wird, wälzt er sich so lange im Schmerz, dass ich es kaum noch aushielt, dass er nicht endlich etwas unternahm und sich nicht endlich wenigstens versuchte, die Augen auszuwaschen. Doch er steckte fest und es gab für ihn/den Zuschauer keinen Ausweg. Wo bei Lav Diaz aber alles offen ist, ist hier alles mehr oder weniger klar. Der Schmerz und Okikus seelisches Dilemma. Das Melodrama in CROSSROADS ist deshalb nicht das Begehen der Wege, sondern der Ausblick auf diese.
*****
Eigentlich wollte ich hiernach noch Kinugasa Teinosukes DEDICATION OF THE GREAT BUDDHA von einer 35mm-Kopie schauen. Der Film, der ein Jahr vor GATE OF HELL entstanden war, schien allein durch diesen Fakt sehr vielversprechend. Durch ein Gewitter sowie die diesjährige Entscheidung den Open-Air-Film bei Regen in allen Kinos zu zeigen und die dort programmierten Filme ausfallen zu lassen, habe ich ihn nicht gesehen. Für den stattdessen gezeigten Film hatte ich schon eine Reservierung am nächsten Morgen. Und so standen Jenny J. und ich an diesem Abend auf dem Balkon unseres Hotelzimmers, wo wir uns die Blitze über der Stadt anschauten.

Montag 26.06.

Le Sénégal et le Festival Mondial des Arts Nègres m
(Paulin Soumanou Vieyra, SEN 1966) [DCP, OmeU]

ok

Diese erste von vier News Reels, die das zunehmende Selbstbewusstsein der jungen Republik des Senegals nachspürbar machen, wäre ein schönes Companion Piece zu LES STATUES MEURENT AUSSI. Denn tatsächlich ist dies hier das Dokument des bei Chris Marker und Alain Resnais diagnostizierten Minderwertigkeitskomplexes. Immer wieder wird betont, dass afrikanische Kunst Bedeutung für die Weltgeschichte hat und das afrikanische Kunst einen Wert besitzt … statt, dass es selbstverständlich vorausgesetzt wird. Außerdem zeigt sich eine Phase von Kunstproduktion, die orientierungslos zwischen moderner westlicher Kunst und Tradition, zwischen Selbstaufgabe und Fixierung auf das Eigene gefangen ist. Wenn dann aber schon 1966 Keith Haring-artige Gemälde an der Wand hängen, erscheint diese Orientierungslosigkeit auch schon wieder visionär.

Ife / 3ème Festival des Arts k
(Paulin Soumanou Vieyra, SEN 1971) [DCP, OmeU]

ok

Das Gleiche nochmal, nur mit etwas mehr Selbstverständlichkeit und ohne Betonung der eigenen Wertigkeit als Teil der menschlichen Geschichte. Besonders schön ein Tanz im Stadion mit Schippen, wo ein Publikum eine Choreographie so gekonnt hinbekommt, wie es sonst nur aus Korea bekannt ist.

Sénégal an XVI m
(Babacar Gueye, Orlando Lopez, SEN 1976) [DCP, OmeU]

nichtssagend

Gefühlt bekommen wir in diesen 20 Minuten ca. 80% Paraden zu sehen. Militärs, Polizisten, Studenten, Schüler, alle im Gleichschritt: der Horror.
Am Ende gab es dieses Mal aber auch weitere Nachrichten. Unter anderem zu einer Meningitis-Epidemie in Brasilien. Der filmische Anflug auf das lateinamerikanische Land wird noch von Discomusik begleitet, die dann von den Bildern der Kranken geschluckt wird. Wenn daraufhin die Labore gezeigt werden, in denen die Medikamente produziert werden, wird dies von dystopischem Progrock begleitet. Und wenn die Arznei schließlich in Brasilien ankommen, gibt es Samba. Zumindest der Musikeinsatz war spannend.

Voyage aux Antilles du Président Senghor m
(Georges Caristan, SEN 1976) [DCP, OmeU]

nichtssagend

Ich muss gestehen, dass ich beim vierten propagandistischen News Reel über den Senegal und seinen scheinbar unfehlbaren Präsidenten Senghor nicht mehr die Konzentration hochhalten konnte und mich in Gedanken verlor. Ob es denn ein gutes Zeichen ist, wenn ein Präsident so lange herrscht, ständig auf riesigen Plakaten abgebildet ist und sein Staatsapparat sich so oft durch Männer in Uniform und Märsche darstellt. (Ein kurze Wikipedia-Recherche macht Hoffnung, dass es ganz gut ablief.) Was mir jedenfalls in diesen ca. 20 Minuten erzählt wurde, konnte ich aber schon kurz nach diesem Filmblock nicht mehr sagen. Zumindest der Bericht vom Set von CEDDO war ganz nett.

Love Me Tonight / Schloß im Mond
(Rouben Mamoulian, USA 1932) [35mm, OF]

fantastisch

Besetzung, Handlung, Themen, Atmosphäre, die Türen: LOVE ME TONIGHT ist auf den ersten Blick sichtlich eine dieser Maurice-Chevalier-Sex-und-Geld-Liebesoperetten von Ernst Lubitsch aus der Zeit. Aber genau dieser hat nicht Regie geführt, sondern Rouben Mamoulian. Was spürbar ist, weil Charme und Verspieltheit zwar weiterhin vorhanden sind, der Stil aber gegen eine comichafte Übertreibung eintauscht wird. Reitern wird beispielsweise zu verstehen gegeben, dass sie beim Wegreiten leise sein sollen, weshalb eine galoppierende Jagdgesellschaft stumm und in Zeitlupe davonjagt; eine Frau schießt auf einem Pferd neben einem Zug her und bringt diesen schließlich mit ihrem Gesichtsausdruck zum Halten; uswusf: der Urschleim von unzähligen Cartoons und Filmtropen findet sich hier … oder diese werden zumindest frühzeitig zu absurden Spitzen geführt.
LOVE ME TONIGHT ist dabei ein Film über die Schönheit und den Horror einer Gesellschaft im Einklang. ISN’T IT ROMANTIC singt Chevalier zu Beginn in der Pariser Innenstadt, einen Ohrwurm der von Songwritern, Soldaten, Feuerwehrmännern und Roma aufgegriffen wird und sich wie ein Lauffeuer bis in die hintersten Winkel des Landes ausbreitet, bis er auf einem Adelsanwesen auf einem Balkon bei Jeanette MacDonald ankommt und auch sie sofort zum Mitsingen animiert. Arm und Reich, Repräsentanten der Gesellschaft und Außenseiter, alle werden sie durch die Melodie vereint. Am Ende ist es dann THE SON OF A GUN IS NOTHING BUT A TAILOR, das sich auf dem Château ausbreitet und selbst die Diener noch mit der Arroganz versieht, auf Chevaliers Figur herabzusehen. Schnell und furios führt der Einklang im Schloss zu Ausgrenzung und Vertreibung.
Womit LOVE ME TONIGHT selbstredend auch ein Film über Liebe (Einklang) und deren Enttäuschung (Ausgrenzung) ist. Da Maurice Chevalier und seine Unterlippe aber zum Weltkulturerbe gehören, haben wir es zuvorderst mit einem Film darüber zu tun, verzückt zu sein.

Die letzte Chance
(Leopold Lindtberg, CH 1945) [DCP, OmeU]

gut

Tearjerker über die Gemeinheit einer Welt unter der Herrschaft der Nazis, die eine Welt aus Verfolgten erschaffen. Da DIE LETZTE CHANCE das Wunder des menschlichen Zusammenhalts unter dieser Terrorherrschaft aber fast absolut setzt und kaum Denunzianten und Kollaborateure auftauchen, wirkt dieser Alptraum wie ein Märchen. Der Höhepunkt wird folglich nicht erreicht, wenn sich die Schlinge um die Leute zieht, die aus Norditalien in die Schweiz fliehen wollen, sondern wenn zwei entflohene Kriegsgefangene und ein ansässiges Mädchen gemeinsam einen Tag am See und eine Mondnacht genießen.

Csárdás
(Jakob Fleck, Luise Fleck, Walter Kolm-Veltée, A 1935) [DCP]

verstrahlt

Schon auch ein ultimativer Film gegen den Faschismus. Viele tolle Ideen werden nämlich in einen hysterischen, strukturlosen See aus Nicht versenkt. Nur bringt Max Hansen leider die Auflösung eines Hans Mosers zur Aufführung und der Film schließt sich dieser eben an, weshalb es mir schwerfiel das Erlebnis zurückgelehnt zu genießen.

雪之丞変化 / An Actor’s Revenge
(Kinugasa Teinosuke, J 1935) [35mm, OmeU]

gut

Ein Zweiteiler, der nur noch als zusammengefügtes Fragment überlebt hat … weshalb es immer wieder riesige Ellipsen und nachträglich – wie mir schien – eingefügte Erzähler gibt, die den Zuschauer im Schnelldurchlauf auf den neusten Stand bringen. Im Vergleich zur Version von Kon Ichikawa ist sie deutlich zahmer, was die gestalterischen Mittel angeht. Hier gibt es beispielsweise immer wieder 180° Kameraschwenks zwischen zwei sich Gegenüberstehenden statt einer kunterbunten, theatralischen Welt wie in der späteren Version. Trotzdem hat dies seine Momente und vor allem mag ich die Frau, die den ganzen Film eine jähzornige Vendetta gegen Hasegawa Kazuos Hauptfigur führt, weil diese ihre Liebe nicht erwiderte.

Stella Dallas / Das Opfer der Stella Dallas
(Henry King, USA 1925) [DCP, OZ]

fantastisch

Get out your handkerchief and enjoy the movie.
(Dave Kehr am Ende seiner Einführung)

Standing on the outside looking in-der Film. So beobachtet Stella (Belle Bennett) – am Zaun ihres Hauses in einem Armenviertel stehend – einen gutbürgerlichen Mann, ihren kommenden Gatten, der von der Existenz einer anderen Welt kündet. Ihre Familie – zwei kleine Brüder und ein Vater – werden aus dem Inneren ihres weiterhin zerlumpten Hauses durch das Fenster das Date von Stella und Stephen auf der Veranda beobachten, die zu einem Ort entrückter Romantik dekoriert wurde. Die kranke Stella wird später aus einem Fenster das Urlaubsleben ihrer jugendlichen Tochter, die sich in besseren Kreisen ganz heimisch fühlt, mit dem Opernglas verfolgen. Stephen Dallas und seine Peers werden die modischen, sozialen und kulturellen Vorlieben von Stella ungläubig beäugen und sie aus ihren inneren Kreisen ausschließen. Kurz: in einer Tour findet Henry King Bilder dafür, dass jemand Teil von etwas sein möchte, es aber nicht ist. Seinen Höhepunkt erreicht es, wenn am Ende ein Fenster zur Kinoleinwand wird, auf der Stella die Hochzeit ihrer Tochter als Produkt einer Traumfabrik zu sehen bekommt, während sie selbst in der Gosse steht.
Die größte Antriebsfeder des Dramas ist dabei, dass sich die Leute nicht ändern können. Ihr kulturelles Kapital, um mit Bourdieu zu sprechen, steht nach der Sozialisation fest, wenn es nicht gar vererbt ist. Die entstehenden Trennlinien zwischen den unterschiedlichen Milieus offenbaren sich jedenfalls als unüberschreitbar. Es gibt schlicht nur Fenster, aber keine Türen. Für King ist dieser bittere Fatalismus aber bei weitem nicht nur Mittel, um die dramatischen Daumenschrauben seines Tearjerkers anzuziehen, sondern auch um den Zirkus in die Stadt zu holen.
Belle Bennett ist super als Stella, was mit ihr aber angestellt wird, ist kaum weniger als eine Freakshow. So werden ihr spät im Film Wattetupfer in den Mund gesteckt, um ihre körperliche Aufschwemmung darzustellen. Und dann sind da ihre Kleider. Unter Schnörkeln, Tüll und Rüschen ist sie kaum noch zu erkennen. Selbst in tinted Schwarzweißbildern sehen sie grell und kunterbunt aus. Alle Register werden gezogen, um sie zum Gegenteil des sachlichen Stils der Oberklasse zu machen. Und auch wenn sie nie auch nur in Betracht zu ziehen scheint, sich zu ändern, liegt die zweite dringende Betonung des Films darauf, dass sie ein herzlicher, gütiger Mensch ist. Der Film zwingt uns also gewissermaßen die Scham der Tochter für ihre Mutter auf, erzählt aber auch davon, dass diese zu kurz greift.
STELLA DALLAS ähnelt deshalb sichtlich IMITATION OF LIFE. Da aber nur von Klasse und nicht von Rasse erzählt wird, fällt es dem Film deutlich einfacher, nicht alles einfach nur in einem Meer aus Tränen enden zu lassen. Selbst das Ende ist tief zwischen Glück und Tragik gespalten.
*****
Es ist immer wieder faszinierend, an welch unterschiedlichen emotionalen Orten sich Zuschauer am Ende eines Films befinden können. Als Stella zum Finale im Regen verschwindet, und sich die Träume ihrer Tochter durch Stellas Nichtexistenz erfüllen, da fühlte ich mich allein, verwundbar und in mich zurückgezogen. Während ich mich also in einem Zustand fragiler Kommunion mit dem Film, der Welt und dem Leben befand, wo vll. eine Umarmung oder eine Kuscheldecke schön gewesen wären, folgte als bald die Einblendung, die das Ende verkündete … und umgehend schrien vereinzelt Leute Yeah! und Wooh! in die Nacht. Als hätten sie gerade ein Rockkonzert erlebt. Dies richtete sich vor allem an das Orchester, dass auf der Piazza Maggiore saß und den Film begleitet hatte. An Stephen Horn, der den Soundtrack komponiert hatte und anwesend war. Verdientermaßen bekamen diese ihren Jubel. Ich fühlte mich in diesem Moment aber aus einem Traum gerissen und überrannt. Die Zustände von Union und Entfremdung brandeten wie Wellen in mir.

Sonntag 25.06.

Yam Daabo / The Choice
(Idrissa Ouedraogo, BF 1987) [DCP, OmeU]

großartig

Eine klare Botschaft rahmt die Handlung. Nicht auf – vielleicht ausbleibende – internationale Hilfsgüter solle gewartet werden, sondern selbst etwas aufgebaut. Dazwischen herrscht Zeit und ein kaum ausgearbeiteter Konflikt zwischen einer Familie und einem Mann, der den Schwiegersohn umbringen möchte und die Tochter heiraten. Unaufhaltsam und ohne Gründe bleiben die Animositäten. Sie sind Vorkommnisse, die wie der Regen kommen und höchstens Genreregeln gehorchen. So gibt es einen Vergewaltigungsversuch, Schlägereien und Mordanschläge, aber Ouedraogo hat sichtlich keine Lust, der Gewalt nachzugeben und lässt sie immer ohne drastische Folgen versiegen – nur Unfälle ziehen tatsächliche solche nach sich. Weil er auf einen eigenwilligen, vor allem aber versöhnlichen Film aus ist, in dem Anstrengung Früchte trägt.

Dr. Jekyll and Mr. Hyde / Dr. Jekyll und Mr. Hyde
(Rouben Mamoulian, USA 1931) [DCP, OF]

großartig

Mamoulian kommt hier einen Torture Porn so nah, wie im damaligen Hollywood an einen solchen gekommen werden kann. Ein unbändiges sexuelles Verlangen brennt in Dr. Jekyll (Frederic March). Doch die viktorianische Gesellschaft, in der er lebt, sagt ihm, dass er warten muss. Auf die Hochzeit. Auf eine reine Braut. Doch weil er in Angesicht von Fleisch und Lust ficken will, nein: muss, wird er zum animalischen Triebtäter.
DR. JEKYLL AND MR. HYDE lässt dabei keinen Zweifel daran, dass Hochzeit endlich Sex heißt; dass Mr. Hyde vergewaltigt, misshandelt, foltert und dass er vor allem grenzenlose Lust daraus gewinnt; dass er Frauen zu seinem Vergnügen über Jahrzehnte in seinem Keller festhalten würde. Ich will Frederic March nicht allzu nahetreten, aber er passt für diese Figur wie die Faust aufs Auge. Denn als Jekyll wirkt er bereits so, als brodelten Abgründe unter seinem freundlichen Grinsen und seinen Augenringen.
Darüber hinaus ist es kein Film der seinem Objekt – Dr. Jekyll – forschend gegenübersteht, sondern einer, der in ihn hineinversetzen möchte. Wir sind es, die mit seinen Augen Miriam Hopkins nackte Beine, Hüfte und Brüste auf einem filmischen Tablett serviert bekommen. (Tage später wurde in einer Einführung voller freudiger Ungeduld erzählt, dass diese entsprechende Szene in einem polnischen Archiv sogar noch vollständig erhalten ist und noch mehr bietet, als das, was wir in Bologna zu sehen bekamen. Und dass nächstes Jahr also das Mehr an Sex noch nachgereicht werden soll. Aber schon das, was zu sehen war, war erstaunlich offenherzig.) Aber auch sonst bekommen wir wiederholt POV-Einstellungen aus Jekyll hinaus zu sehen. Am eindrücklichsten in der Trickszene der ersten Verwandlung.
Wie so oft geht es bei Mamoulian dabei um Sex und Reinheit, Verderben und Elysium, Körper und Vergeistigung. So gibt es auch wieder seinen Signature Move der Zeit, eine Wischblende, die in der Mitte anhält und so das Reine und das Schmutzige gegenüberstellt. Oder er nutzt vielsagende Matching Cuts, um beide ins Verhältnis zu setzten. Mehr als zuvor ist hier jedoch spürbar, dass es (für ihn) kein Entrinnen aus dem Widerspruch gibt und dass auf beiden Seiten Zerstörung und Verderben warten.
Das alles gesagt, ist es umso trauriger, sich eingestehen zu müssen, wie eindimensional DR. JEKYLL AND MR. HYDE ist. Sobald das Tier aus Jekyll herausbricht ist der Film zu sehr in seine Tricktechnik und die Maske von Mr. Hyde verliebt. Zu wenig gibt er seiner Welt mit, nur unterdrückten und herausbrechenden Sex. Sehr schnell landet Mamoulian deshalb in einer Sackgasse, in deren Dialektik er gefangen bleibt. Aber vll. ist es auch passend, dass dieser schmierige wie tiefenreine Film sich zuweilen wie eine Qual anfühlt.

Ceddo
(Ousmane Sembène, SEN 1977) [DCP, OmeU]

ok +

Tolle Musik und schöne Bilder. Das symbolische Gleichnis, das eine längere Phase senegalesischer Geschichte in einen sich über zwei Tagen zuspitzenden Konflikt packt und das Traditionen der Verständigung sowie deren Zusammenbruch im Angesicht von Sklavenhandel und islamischer Missionierung dokumentiert, besteht aber – weil es eben, wie gesagt, um Verständigungsrituale geht – fast ausschließlich aus quatschen, quatschen, quatschen. Quatschen, um sich mitzuteilen. Quatschen, um anderen Gewalt anzutun. Quatschen, um Plot und Symbolik zu erklären. Und das ist durchaus ermüdend.

City Streets / Straßen der Weltstadt
(Rouben Mamoulian, USA 1931) [35mm, OF]

großartig +

Im Gegensatz zu den Gangsterdramen, die den Ruf von Warner zu der Zeit etablieren, befinden wir uns bei dieser Geschichte einer Liebe im Bootleger-Milieu viel deutlicher in einer Märchenwelt. Der junge Gary Cooper – hier als blauäugiger Scharfschütze, für den Schmuggel, Reichtum und Macht kindliche Späße sind, an dem die damit einhergehende Korruption aber wie Wasser an einem Lotusblatt abperlt – lädt schlicht zum Träumen ein. Mit ihm ist zu diesem Zeitpunkt seines Lebens noch auf Jahre hin nichts Unromantisches anzustellen.
Mamoulian befindet sich dabei weiterhin auf dem Höhepunkt seiner Verspieltheit. So wird bei einer Schuss-Gegenschuss-Unterhaltung mitten im Gespräch nicht mehr zu den Redenden geschnitten, sondern zwischen einer schwarzen und einer weißen Katzenstatue hin und her. Weil sie sich auf den Zenit ihrer Untreue hinbewegen und weil die Figuren eh nur Schablonen sind. Oder: Nan Cooley (Sylvia Sidney) ist hier eine der, wenn nicht die Erste, die im Tonfilm während einer ruhigen Minute von vergangenen Dialogen verfolgt wird. Und Mamoulian bewegt dieses Klischee schon zu seinem Beginn in Bereiche von Zucker/Abrahams/Zucker, wenn die Sprachfetzen sich zu ganz neuen, absurden Zusammenhängen verdichten. Beer! I love it, hören wir Cooper so aus dem Zusammenhang gerissen rufen und eine ganz neue Obsession offenbaren. Dies ist mgl., weil Nans Schuldgefühle und Ängste alle berechtigt sind, aber auch lächerlich. Niemand muss sich um Gary Cooper Sorgen machen und überhaupt geht es in dem Moment nur um Plotdynamik und eine nötige Wende, die nicht allzu ernst zu nehmen sind.
nötige Wende, die nicht allzu ernst zu nehmen sind.
Am besten ist aber Guy Kibbee als Pop Cooley, der bei seinem ersten Auftritt seiner nachts heimkehrenden Tochter den Arm umdreht und zu wissen verlangt, wo sie herkommt. Als sie nichts rausrückt, lässt er sie schließlich los und steckt ihr Geld zu. Niemals etwas zu verraten, möchte er ihr beibringen. Der (gewollte?) Nebeneffekt ist aber auch, dass sie Unabhängigkeit lernen muss und dass sie sich nicht auf ihn verlassen kann. Denn dies ist auch ein Film, in dem sich eine Tochter schmerzhaft von ihrem charismatischen, liebenswerten, aber höchst egoistischen Vater abkapseln muss. Weshalb der bedauernswerteste Umstand von CITY STREETS auch sein verständlichster ist: Guy Kibbee, der als gewandter Hallodri den Film quasi in seiner Hand hält, mitten im Film bei einer Feier zurückgelassen wird. Nie mehr taucht er auf. Weil er im Nebel des Bewusstseins seiner Tochter verschwindet und seinem Vergnügen überlassen wird. Die Abkapslung ist absolut.

His Lordship
(Michael Powell, UK 1932) [DCP, OF]

gut

Im Wörterbuch findet sich dieses Verwechslungskomödiendampfgelaber-publicitystuntmusical, das Quantität vor Qualität setzt, als herausragendes Beispiel für Zaniness. Besonders schön ist, dass eine ältere Darstellerin am Ende ihrer Gesangseinlage rülpsen musste. Während die Kamera zum nächsten Sänger weiterfährt, ist in am Bildrand noch zu sehen, wie sie erschrocken und lachend zur Kamera zu schauen beginnt. In HIS LORDSHIP ist das natürlich der Take, der drin gelassen wird … bzw. der ausreicht.

白鷺 / Der weiße Reiher
(Kinugasa Teinosuke, J 1958) [DCP, OmeU]

großartig

Unter anderem handelt DER WEISSE REIHER von einem Maler schmaler Rollbilder. Offensichtlich nutzt Kinugasa Cinemascope hier, um ebensolche Rollbilder zu entwerfen – nur eben waagerechte. Zuweilen sehr, sehr schöne Bild schafft er dabei. Wie das Bild einer schrägen Perspektive auf eine Mauer, über die eine herbstliche Baumkrone hängt. Die Äste und Blätter nehmen fast den ganzen Raum ein, den die Mauer oben rechts im Bild lässt. Wie Krallen und zerfließende Farben sehen sie aus. Kinugasa lässt es sich aber auch nicht nehmen einen strahlenden Sternenhimmel zum Hintergrund einer Liebesszene zu machen und benutzt damit ohne Berührungsängste westlichen Kitsch.
Die Mischung aus Mizoguchi-Geisha-Drama, Geisterfilm und großspurigem Melodram erzählt von einer jungen Frau, die durch ihre Mittellosigkeit, japanische Anstandsideologien und gesellschaftliche Obligationen langsam Richtung Prostitution abgleitet. Die Liebe zum Maler wird dabei als Karotte vor ihrer Nase gehalten, die ihr Hoffnung schenken soll, um weiter zu machen.
Im ganzen Film ist es eigentlich nur sie, die von anderen berührt wird. Liebkost wird sie und begrapscht. Die Reinheit, die sie sich in diesem emotionalen Torture-Drama bewahren möchte, ist nicht von dieser Welt. Ihr Gesicht ist beständig fahl, wodurch ihre Reinheit wie Anämie wirkt … gerade auch, da das zarte Rinnsal ihres Blutes im Tod, wie ein unscheinbarer Tuscheklecks über ihre nun völlig weißere Haut sickert.

Sonnabend 24.06.

Ladri di biciclette / Fahrraddiebe
(Vittorio De Sica, I 1948) [DCP, OmeU] 3

ok +

Mozzarellafäden, die sich zwischen Sandwich und Mund bei einem Restaurantbesuch ziehen und von einem snobistischen Kind verachtend beäugt werden; die Schauspielkunst, die in Lamberto Maggioranis Händen und vor allem seinen überspannten Daumen steckt; die Hand des Sohnes, die verzeihend nach der des Vaters greift: Es gibt durchaus schöne Dinge in LADRI DI BICICLETTE zu entdecken. Zumeist ist die Doku von verschiedenen Lebensrealitäten im Nachkriegsrom aber zu konstruiert und gefühlsdusselig.

16mm – Ephemeral Films: Trailers
(diverse, USA 1922-1926) [16mm, OZ]

tba.

Einerseits eine kleine Sammlung von Trailern, die die Evolution des Formats während der frühen 1920er Jahre nachzeichnet – von Making-of-Miniaturen zur Montage aus Filmausschnitten. Andererseits wurden Trailer gezeigt, die letzte Testamente von verlorenen und ansonsten unbekannten Filmen sind. Vor allem THE LIVE WIRE hätte ich gern gesehen.

16mm – Ephemeral Films: Advertisement Films
(diverse, F 1929-1931) [DCP, OZmeU] 3

tba.

RICINPOUDRE (Jean Régnier, 1931) k
CIGARETTES BALTO ET GITANES VIZIR (???, ca. 1931) k
RAZVITE (???, 1929) k
*****
Frühe Formen von Werbung und Infomercials, die in Fußgängerzonen liefen … in frühen Formen der Scopitones-Maschinen, die ihren eingelegten Film in endlos Schleife abspielten. Deshalb gab es auch nur digitale Scans der Filme zu sehen, weil diese Maschinen Film-Killer waren, wie der Einführende anmerkte.
Faszinierend ist aber, wie wenig sich geändert hat. Die Vorteile von Rizinuspuder im Vergleich zu Rizinusöl werden uns aus möglichst vielen Perspektiven vorgebetet, und kleine Geschichten versuchen klar zu machen, dass etwas, das wir nicht brauchen, die Leere in uns füllen und das Verlangen nach etwas stillen würde. Sicherlich würde heute ein etwas andere Geschichte erzählt werden, als von einem Scheich, der eine Frau entführt und irgendwann ein Mittel gegen ihre Fluchtversuche findet: die richtige Zigarettenmarke. Aber ansonsten ist das Grundvorgehen seit nun fast hundert Jahren Bewegtbildwerbung gleichgeblieben.

The Flute of Krishna k
(Rouben Mamoulian, USA 1926) [35mm, OZ]

ok

Ein Farbtest/-experiment für Eastman. Dabei herausgekommen ist der hölzerne Traum eines Bollywoodfilms. Statisch wird der Tanz vom grün angemalten Krischna mit drei verführerischen Frauen aufgenommen. So lange dauert die Einstellung der Theaterbühne, auf der sie agieren, dass der erste Schnitt einen direkt vor den Kopf stößt. Mit dem Auftauchen von Krischnas Geliebter werden Schnitte und wechselnde Perspektiven regelmäßiger, vll. weil die Liebe die statische Welt durch eine fließende ersetzt. Aber die Schnitte versiegen wieder und lassen einen etwas drögen Film zurück, der vor allem wunderschöne Farben besitzt.

Applause
(Rouben Mamoulian, USA 1929) [35mm, OF]

fantastisch

Im Kern handelt es sich um das klassische Melodrama eines Mädchens (Joan Peers als April), das in die große Stadt kommt und in dubioser Gesellschaft landet. Und der Aufbau zeigt bereits keine Zurückhaltung, wenn beständig betont wird, dass jemand den Himmel verließ und in die Hölle kam. Das gleißende Licht eines Konvents, wo die AVE MARIA-Gesänge der glücklich vereinten Schülerinnen in der Luft liegen und keine Schuld das Paradies belastet, lässt sie hinter sich. Sex, Zwang, Scham und körperliches und seelischer Verderben warten auf sie. Die Liebe, die sie findet, steht in solch einem Umfeld selbstredend am Rande der Zerstörung.
Die verruchte Gesellschaft, in der sie landet, stellt in erster Linie ihre Mutter (Helen Morgan als Kitty Darling) dar. Eine Stripperin, die ihr Geld für die Schulgebühr ihrer Tochter verdient. Der Selbsthass Kittys ist damit fest in ihrem Leben verankert, da sie ihre Tochter von ihrer als Sittenverfall wahrgenommenen Lebenswelt fernhalten möchte. Nicht unbeträchtlich spielen Schuldgefühle in diese Wahrnehmung hinein, da sich Kitty in einem masochistischen Abhängigkeitsverhältnis zu ihrem Publikum/einem schmierigen Liebhaber befindet.
Der schwarzweiß gehaltene Konflikt zwischen Reinlichkeit und Verderben wird dabei von overactenden Schauspielern gespielt und Schnitt sowie Bild arbeiten durch Perspektivwechsel an einer gespaltenen Aura. Manchmal hält der schräge Wischschnitt auch mitten im Bild an, um zwei Szenerien gegenüber zu stellen und ins Verhältnis zu setzen. Mamoulian befindet sich dabei vll. auf dem Höhepunkt seiner Experimentierfreudigkeit und setzt alles daran den Untergang auch optisch wild und lustvoll zu gestalten. Vor allem hängen in Kittys Wohnung aber Portraits der drei Hauptfiguren, die den bitterbösen Einsatz von Portraitfotos in Douglas Sirks IMITATION OF LIFE fast schon gesetzt wirken lassen. Selbstverachtung, Lust, Angst und Sehnsucht nach Errettung stehen durch sie wie Engelchen und Teufelchen im Raum und zerren an Kittys und Aprils Seelen.
Die sich dadurch ergebende Spaltung von Körper, Stadt wie Gesellschaft in ein unten und ein oben, in ein dionysisches Säurebad in heruntergewirtschafteten, schummrigen Kellern und holdapollinischer Lächerlichkeit in entrückten Gärten, Hochhäusern und Brücken ist so kein Rührstück, sondern eine niederträchtig schöne Sause von zwei Dingen, die untrennbar neben-einanderstehen, die sich jedoch nicht vermischen lassen, egal wie kräftig der sie beinhaltende Cocktail geschüttelt wird. Die Synthese wird für das Glück des Zuschauers nicht gesucht.

Riviera Revels – Travellaugh No. 9: Cold Feats k
(Harry Lachman, F/USA 1927) [DCP, OZ]

ok

Ein paar Infos zur Riviera und vor allem seiner römischen Vergangenheit mit einem größeren Sketch unterlegt, bei dem sich Michael Powell als weltfremder und seine Mitmenschen nervender Lepidopterologe zum Affen macht.

Riviera Revels – Travellaugh No. 10: Fauny Business k
(Harry Lachman, F/USA 1927) [DCP, OZ]

ok +

Wenn Powell als Cicero Simp aber träumen darf und sich als Pan in Nebelschwaden zwischen Nymphen versetzt, dann wird Leni Riefenstahl link … äh rechts liegen gelassen.

Hotel Splendide m
(Michael Powell, UK 1932) [DCP, OF]

gut

Ein hölzernes Kriminalkomödientheater, dass sich zusehends zur Blaupause von FAWLTY TOWERS entwickelt. Mit dabei: die Vorform von Blofeld – also eines gesichtslosen Bösewichts mit Katze – und Michael Powell höchst selbst als jemand, der Telefonate abhört, der aber leider aus dem Film verschwindet.

Romeo und Julia auf dem Dorfe
(Valerien Schmidely, Hans Trommer, CH 1941) [DCP, OmeU]

großartig

Ich bin eingeschlafen. Ab und zu. Einerseits war ich müde. Andererseits lag es auch am Rhythmus des Films, der ohnmächtig dem Weg einer tragischen Liebe folgt, nachdem der Boden, auf dem sie blüht, nachhaltig vergiftet wurde. Weshalb wir weniger einer Familienfehde beiwohnen als einem Geisterfilm mit Racheengel/Teufelsgeiger, in dem die Vergangenheit nach dem Traum von Glück greift.

Freitag 23.06.

The Hunchback of Notre Dame / Der Glöckner von Notre Dame
(Wallace Worsley, USA 1923) [DCP, OZ]

gut

Solange Lon Chaney herumhüpft, auf Glocken schaukelt, an Wasserspeiern und dergleichen klettert und wahnhaft Kostüm und Maske zur Aufführung bringt, ist alles gut. Auch die finale Eskalationsspirale hat ihre Momente. Aber: Der Glöckner ist in seinem eigenen Film nur eine Nebenfigur und überhaupt bremsen die Unzahl an handelnden Figuren die Geschichte aus, die den halben Film umständlich austrübt. Wieso Esmeraldas leibliche Mutter beispielsweise mitgeschleppt wird, bleibt mir ein Rätsel. Zu Beginn reiht sie sich in den Fluss aus Wahn ein, der unter einem geregelten Paris reißerisch fließt, doch statt sie nutzbar zu machen, lässt sie der Film irgendwann einfach tot umfallen und hinterlässt nur Fragen, ob das jetzt alles war.
Überhaupt bleiben die Fragen. So ist THE HUNCHBACK OF NOTRE DAME sexuell durchaus freizügig, wenn Esmeralda (Patsy Ruth Miller) die Henkel ihres Tops von der Schulter gezogen werden. Wenn Quasimodo aber öffentlich ausgepeitscht wird, dann wird nicht einer der Schläge auf ihn gezeigt. Eine große Ellipse schluckt die Folter. Es ist diametral entgegengesetzt zur heutigen Filmlandschaft, wo Gore durchaus gängiger ist als Sex.
Am besten gefielen mir die wallenden Haare von Norman Kerrys Perücke und noch mehr der mit Jubel bedachte königliche Folterknecht, der in seinem speckigen Women Beater wie ein abgehalfterter Robin Hood aussieht.

Donnerstag 22.06.

Dekalog, pięć / Dekalog, Fünf m
(Krzysztof Kieślowski, P/BRD 1989) [blu-ray, OmeU]

ok

EIN KURZER FILM ÜBER DAS TÖTEN habe ich bereits vor Jahren gesehen. Und auch wenn es länger her ist, denke ich, dass die Kürzungen dem Film guttun. Denn eigentlich war er ja trotz ca. 80 Minuten Laufzeit eher ein langer Film über das Töten. Nun besteht diese Folge zum Thema Du sollst nicht töten aus ca. einer halben Stunde, die die parallel ablaufenden Tagesabläufe von Zweien zeigen, die nicht wirklich sympathisch wirken, sowie aus einer halben Stunde, in der ein vorher sporadisch auftauchender Anwalt auf den Vollzug der Todesstrafe an dem einen der beiden wartet, der den anderen in der Mitte des Films tötete. Durch seine optischen Spielereien mit Farbfiltern und verschwommenen, abgedunkelten Rändern wirkt diese Episode im Vergleich zum ziemlich spröden Ansatz der restlichen Serie zwar wie ein Fremdkörper, ansonsten passt er sich aber hervorragend ein. Vor allem weil sich auf einer dialektischen Spitzfindigkeit – erst tötet jemand und dann nimmt sich der Staat als Strafe heraus das Gleiche zu tun – ausgeruht wird und kaum mehr rumkommt, als ein paar spitzfindig in den Raum gestellte rhetorische Fragen zu den Widersprüchen von Gesellschaft und Leben.

Mittwoch 21.06.

Dekalog, cztery / Dekalog, Vier m
(Krzysztof Kieślowski, P/BRD 1989) [blu-ray, OmeU]

nichtssagend

Die so schon bullerige Beziehung zwischen den Geboten und dem Drama der dazugehörigen Folge ist hier nur noch albern. Du sollst Vater und Mutter ehren, wird zu einer verkrampft provokanten inzestuösen Liebesgeschichte mit langsamen, getragenen Schritttempo. Ich wünschte mir, ich wäre durch den Inhalt getriggert, aber ich bin mir fast sicher, dass es vor allem die Inszenierung ist, die mir den letzten Nerv raubt. In DEKALOG, ZWEI tropfte Kerzenwachs unter das Auge eines Ikonengemäldes. Weil es halt so traurig war. Sicherlich das amüsanteste Bild der sonstigen Gefühlshuberei. Wenn die symbolischen Tränen auf dem Bild einer Heiligen hier das Sperma des Vaters gewesen wären, das wäre was gewesen. Aber die Absurditäten, die Kieślowski einbaut, sind eben viel, viel zahmer.

Dienstag 20.06.

Dekalog, trzy / Dekalog, Drei m
(Krzysztof Kieślowski, P/BRD 1989) [blu-ray, OmeU] 2

ok +

Bis Montag hatte ich gedacht, dass ich nur DEKALOG, EINS kennen würde. Aber auch den dritten Teil schaute ich nun zum zweiten Mal. Und dass ich einen Film mit so tollen Autoverfolgungsjagden und absurden Unfällen vergessen konnte, sprich auf jeden Fall gegen DEKALOG, DREI und nicht gegen mein Gedächtnis. Ich bestehe darauf.

Montag 19.06.

Dekalog, dwa / Dekalog, Zwei m
(Krzysztof Kieślowski, P/BRD 1989) [blu-ray, OmeU] 2

ok +

Die blu-ray von Arrow hat ein Bild wie geleckt. Klar und ziemlich digital sieht es aus. Zu einer Serie, in der es auch um ein kaltes Polen geht, in dem Wohnungseinrichtungen die Überholtheit des real existierenden Kommunismus ausdrücken und von denen doch Wärme ausgeht, in dem eben überall verschüttgegangenen Gefühle und Ohnmacht zu sehen sind und die Beheimatung in diesen, zu einer solchen Serie will es nicht passen. Das Schummrige fehlt. Aber es passt irgendwo doch zum DEKALOG, der durch sein High Concept all das Intime kaputt macht, was unbestreitbar da ist.

Sonntag 18.06.

The Land Before Time / In einem Land vor unserer Zeit
(Don Bluth, USA 1988) [stream] 8

gut +

Der war ganz schön traurig, aber trotzdem auch richtig schön, sagte Carlotta Z. (7 Jahre) gleich in Anschluss des Films. Und das fasst es für mich auch zusammen.

Dekalog, jeden / Dekalog, Eins m
(Krzysztof Kieślowski, P/BRD 1989) [blu-ray, OmeU] 2

ok

Zu Beginn und irgendwo in der Mitte sitzt ein Mann an einem gefrorenen See am Feuer und starrt traurig. Am Ende, wenn das Eis nachgegeben hat und ein Unglück geschah, sitzt er nicht mehr dort. Nur noch das Feuer brennt an gewohnter Stelle und die Kamera blickt auf den leeren Platz. Es war so ziemlich das Einzige, woran ich mich von meiner ersten Sichtung bei arte erinnern konnte. Und damit hatte ich auch assoziiert, warum ich damals aufhörte den DEKALOG weiterzuschauen. Jetzt war er beim neuerlichen Versuch gleich wieder da und Zweifel beschlichen mich. Es gibt in allen zehn Filmen eine Figur, die all das ist, worüber wir eben gesprochen haben. Schicksal, Vorbestimmung, Gott, Engel, vielleicht Teufel. Jemand der auf all das schaut, was passiert, nichts sagt, nur schaut, überdrüssig, leidend, hat Kieślowski gegenüber der taz erzählt und meint genau diesen Mann am Feuer in DEKALOG, EINS. Mein Verdacht beschlich mich wieder, dass das zwischen mir und dieser Serie nichts wird. Denn wenn Leid, dann absurd, himmelschreiend, tragisch, komisch, überkandidelt, irgendwie, nur nicht mit einem bedeutungsschwanger vor sich hinschauenden Mann, der die Augen verschließt, wenn das Unglück eingetroffen ist. Wenn Gott straft, weil jemand dem Computer all sein Vertrauen schenkt. Oder wenn der Computer vorhersagt, Eis würde nicht brechen, weil jemand wagte ihn auszuschalten. Oder was weiß ich. Wenn das Leid eben zynisch instrumentalisiert wird, damit jemand bedeutend und wichtig dreinschauen kann, dann bin ich trotz all der schönen Ansätze eher raus.

Sonnabend 17.06.

La nuit des traquées / The Night of the Hunted
(Jean Rollin, F 1980) [blu-ray, OmeU] 3

fantastisch

Ein Mann und eine Frau (Brigitte Lahaie) haben Sex. Für sie ist es wie das erste Mal, weil sie an einer Krankheit leidet, die ihr das Gehirn zunehmend löscht. Beide phantasieren davon, dass das erste Mal sich für ewig ins Gehirn brennen wird. Und doch wird sie nach wenigen Minuten nicht einmal mehr wissen, dass er Robert hieß oder das überhaupt etwas in der Richtung geschehen war. Für mich steht es fest: Rollin ist der Poet des ersten Sexes.

Hanussen
(István Szabó, D/H/A 1988) [blu-ray]

gut

In gewisser Weise geht es um Unklarheit. Und am besten gefällt mir, dass ich mir noch im Unklaren bin, wie ich dies finden soll. Mehr dazu bei critic.de.

Freitag 16.06.

Charlie and the Chocolate Factory / Charlie und die Schokoladenfabrik
(Tim Burton, USA/UK 2005) [stream]

gut

Solange es um schräge, abgewrackte Häuser geht und seltsame Menschen mit cartoonhaften Eigenschaften, solange sich Charlies Großeltern zu viert im Bett gegenübersitzen und die Handlung wie Waldorf und Statler kommentieren, ist CHARLIE UND DIE SCHOKOLADENFABRIK deutlich besser, als wenn es im halbwegs psychedelischen Cautionary-Tale-Wunderland um einen traumatisierten Zahnarztsohn geht, der von hölzernen Musicalnummern und ebenso hölzernen Kinderableben begleitet wird.

Trois couleurs : Rouge / Three Colours: Red
(Krzysztof Kieślowski, F/P/CH 1994) [blu-ray, OmU] 2

gut

Ein netter Film über die Nähe bei Telefonbeziehungen und die Distanz trotz räumlicher Nähe, oder so. Auch ein schöner Film über die tatsächliche Farbe Rot – in Bezug darauf ist er das Highlight der Trilogie. Eine Trilogie, die ohne seine älteren Leutchen, die mit gekrümmten Rücken nicht mehr ihr Altglas in die entsprechenden Container stecken können, viel weniger erquicklich wäre.

Donnerstag 15.06.

Dawson City: Frozen Time
(Bill Morrison, USA 2016) [blu-ray, OmiU]

großartig

Ende der Siebziger förderte ein Bagger hinter Diamond Tooth Gerties Spielhalle ein enormes Lager an alten Stummfilmen und News Reels hervor. Ca. 370 davon galten als verloren. DAWSON CITY: FROZEN TIME erzählt, wie es zu dem Fund kommen konnte und damit die Geschichte von Dawson City und dem Klondike-Goldrausch. Es gibt keinen Erzähler, sondern knappe Texteinblendungen, die über Ausschnitten der gefundenen Filme liegen, über Fotos der Zeit oder andere Stummfilme von der Suche nach Gold. Der Ursprung des Trump-Familienvermögens wird dabei ebenso thematisiert wie ein Bestechungsskandal im Baseball seiner Zeit oder einen Meilenstein des dokumentarischen Erzählens. Eklektisch springt der Film um seine rote Linie herum und greift eben auf, was so gefunden wurde … und zeichnet die Verbindungen noch an die überraschendsten Orte nach. Begleitet wird dieses Found-Footage-Essay von einem Ambient-Drone-Postrock-Soundtrack, der nicht die Greifbarkeit des Ganzen, sondern das Parallelwelthafte unterstreicht. Was zusammen einen Film ergibt, der nicht zuerst Informationen vermitteln möchte und der kein rundes Bild des Geschehenen herausarbeitet, sondern der von der Unwirklichkeit eines Fundes kündet, der wie eine Glaskugel einen kleinen, limitierten Blick in die Vergangenheit gewährt. Der Euphorie eines solchen Fundes kommt er mglweise damit auch ziemlich nahe.

Mittwoch 14.06.

無理心中 日本の夏 / Japanese Summer: Double Suicide
(Ōshima Nagisa, J 1967) [DVD, OmU] 2

gut +

In einem verwitterten Bunker – oder Ähnlichem – sitzen fest: Eine Frau, die unbedingt mit einem Mann, egal welchem, schlafen möchte, aber alle Kandidaten denken nur an Mord und Waffen; ein suizidaler Mann, der sich mit leuchtenden Augen vor alle Messer und Pistolen stellt, die jemand in die Hand nimmt; ein junger Mann, der all diese Messer, Pistolen und Gewehre unbedingt in die Hand bekommen möchte, um endlich mal jemand zu töten; ein Mann mit Handlanger und Fernseher, der freudig verfolgt, dass draußen gerade ein Gajin Amok läuft; diverse andere Auftrags- und Lustmörder – jeder auf seine Weise (grenz-)psychopathisch –, die am kommenden Morgen einem Yakuza-Clan bei einem Kleinkrieg helfen sollen. Alle schmoren sie gemeinsam in ihrer eigenen Soße und Ōshima lässt sie ein nihilistisches, dadaistisches, klaustrophobisches, vom Tod besessenes, wunderschön fotografiertes Theater aufführen. Japan in den 60ern ist hier an seinem Endpunkt angekommen … und das Problem von DIE NACHT DES MÖRDERS (so der mal wieder etwas wahllose deutsche Titel) ist, dass Ōshima sie tatsächlich nach einer Stunde in den grauenden Morgen entlässt, wo der Film sich verliert. Er bleibt weiterhin auf seine Themen konzentriert, die in der Weite aber nicht mehr wirken wollen.

Dienstag 13.06.

Spider-Man: Across the Spider-Verse
(J. Dos Santos, J.K. Thompson, K. Powers, USA 2023) [DCP]

ok +

Den ästhetischen Ansatz von ACROSS THE SPIDER-VERSE, der INTO THE SPIDER-VERSE deutlich übertrifft, finde ich doch ziemlich schön. Den Soundtrack auch. Dass er aber die ganzen Spider-Man-Versionen nur kurz zur eigenen Memifizierbarkeit oder als Easter-Egg auffährt und sie dann in einer grauen Masse aus Spider-Men untergehen lässt, dass er einen haarsträubend blöden Plot um die realen Auswirkungen des Spider-Man-Kanons auf das Multiversum als Symbol für jugendliche Selbstfindung wendet und diesen guten Ansatz doch wieder in die dramaturgische Gleichförmigkeit (des Erzählens) einer gängigen Marvel-Geschichte mit gängigen Marvel-Film-Konflikten beschränkt, dass er einen tollen Bösewicht aus dem Auge verliert, um den doofsten seit Tanos voll auszubreiten, dass alles hat mir die Suppe doch etwas versalzen.

Montag 12.06.

La rose de fer / Die eiserne Rose
(Jean Rollin, F 1973) [blu-ray, OmeU] 3

fantastisch

Der erste gemeinsame Sex findet in einer Gruft statt, woraufhin das Paar über einen nächtlichen Friedhof irrt, der sie scheinbar nicht mehr gehen lassen möchte und wo sie ein zweites Mal zwischen Gebein und Schädeln in einem ausgehobenen Grab miteinanderschlafen – abermals reiben Hände nur an Hinterkopf und Rücken. Daraufhin fühlt sich die Frau in der Totenwelt, einer Welt aus Schönheit und Ewigkeit (einem ewigen Orgasmus?), wohl, während der Mann in seiner Welt des Lebens und der Zerstörung bleiben möchte. Er ist verloren. Ein poetischer Film über das Erwachen von Sexualität und über Nebel, Tanz, Licht und die verlorene Zeit.

Sonntag 11.06.

The Little Mermaid / Arielle, die Meerjungfrau
(Rob Marshall, USA 2023) [3D-DCP]

ok +

Das stürmende Meer ist schön, der internalisierte Selbsthass kommt besser raus und die Dopplung von Arielles und Erics Lebenswelt ist ganz nett. Das Zugefügte hätte es größtenteils aber nicht gebraucht, die UNTER DEM MEER-Musical-Einlage hat schöne Farben, ist ansonsten aber alles andere als ein Hingucker, Melissa McCarthy wirkt als Ursula wie eine nette Frau, die so tut, als wäre sie böse. ARIELLE ist kein Lehrstück, wie ein Film träge und hässlich gemacht werden kann, was auf viele der anderen Disney-Realfilme zutrifft. Ein guter Film ist diese neuerliche Version aber auch nicht wirklich.

Sonnabend 10.06.

The Cobweb / Die Verlorenen
(Vincente Minnelli, USA 1955) [DVD, OF]

großartig +

Minnelli verfilmt zwar einen Roman von Dramatiker William Gibson – nicht der NEUROMANCER-William-Gibson – und trotzdem fühlt es sich wie eines dieser überkonstruierten Theaterstücke im Fahrtwasser von Tennessee Williams an. An einem kleinen, unwichtigen, aber symbolträchtigen Detail – die Vorhänge in der Bibliothek einer Nervenklinik – entfacht sich ein (reinigender) Sturm, durch den sich das Innerste der Figuren offenbart und zu dem es auch kommt, weil die Figuren eben stets die in ihnen verankerten Entscheidungen treffen, die alles noch mehr eskalieren lassen. Minnelli verfrachtet diese psychologische Fallstudie aber in den passenden neurotischen Film. Die Farben, das Cinemascope und das Arrangement von Räumen und Leuten: die blank liegenden Nerven werden beständig in die Bilder eingeschrieben, während Ruhe immer den Anschein von zwanghafter Kontrolle und alkoholisierten Abgleitens hat.
Das Sahnehäubchen dieses wunderbaren Films sind aber die Kinder von Klinikchef Dr. McIver (Richard Widmark), der für seine Patienten alles tut, seine Frau aber nur anblafft und lediglich in den wenigen Minuten seiner Anwesenheit seinen Kindern etwas Zuneigung zukommen lässt. Seine Tochter bringt er relativ früh im Film zu Bett und sie wird nie wieder auftauchen. Sein Sohn hingegen wird den Film über hinter den Türen zu finden sein, vor denen sich seine Eltern bekriegen, und brav seine Cornflakes essen oder seine Schachfiguren wegräumen. Voller Einsicht für die Probleme seiner Eltern und ihren Dramen, für seine Vernachlässigung wird er still sein und nie jemanden zur Last fallen. Er ist vll. das größte aller Tristkinder, das einem mehr als alles andere in diesem Film das Herz bricht.

Trois couleurs: Blanc / Drei Farben: Weiß
(Krzysztof Kieślowski, F/P 1994) [blu-ray, OmU] 2

ok

Kieślowski hat sichtlich Spaß daran, einen Mann wegen seiner Erektionsstörungen vor Gericht zu stellen und denselben Mann dann, sobald er Geld und Macht erwirtschaftet hat, mit seiner nun vorhandenen Erektion eine Frau zu Gefängnis und emotionaler Abhängigkeit zu verurteilen. Ein netter Witz zum Thema Gleichheit, die hier eben Rache ist. Dieser olle Witz wird von einem mauen Film begleitet, der ständige Ungleichheiten präsentiert, zwischen Armut und Reichtum, zwischen Stadt und Land, zwischen Paris und Polen, zwischen begehrt und nicht begehrt sein. Aber er hat irgendwie kein Auge dafür und keine Lust darauf, weil vll. alles einfach gleich aussehen soll.

Freitag 09.06.

Nicht fummeln, Liebling
(May Spils, BRD 1970) [DVD] 2

fantastisch

Alberner, kindischer, bolliger, pseudosophischer und intimer als der Vorgänger. Und mehr noch ein Meisterstück des deutschen Films als dieses.

Training Day
(Antoine Fuqua, USA 2001) [stream, OmeU]

gut

Dies ist vll. nicht sein bester Film, aber nach TRAINING DAY schätze ich Fuqua und sein Werk doch umso mehr. Seit nun gut zwei Jahrzehnten hatte ich nie wirklich Lust, mir dieses vermeintliche Polizeidrama anzuschauen, in dem ein junger Polizist an einen effektiven, aber korrupten Vorgesetzten gerät. Ein Drama, dass provokativ des Teufels Anwalt in Bezug auf wichtige soziale Themen spielt und den Zuschauer ganz bedeutsam mit beachtenswerten Fragen zurücklässt. Ein Drama mit Ethan Hawke in der Hauptrolle des verschüchterten Neulings, der sich leicht beeinflussen lässt, dem dann aber doch die Augen langsam aufgehen und die Entschlossenheit entwickelt, Kontra zu geben. Allein wenn ich es nochmal aufschreibe, vergeht mir jede Lust. Aber der Twist von TRAINING DAY liegt darin, dass dies alles nur angetäuscht wird und es sich um ein lustvolles Stück Genre handelt. Die Frage wird in den Raum gestellt, wie sehr ein Drogenfahnder sein Metier kennen muss und ob er Drogen nehmen muss, um zu wissen wovon er redet und damit er im Betondschungel nicht auffällt, wenn er damit konfrontiert wird. Aber sobald Denzel Washingtons Figur seinem Schützling PCP rauchen lässt, geht es nur um den sadistischen Spaß jemanden unvorbereiteten leiden zu sehen. Der geweckte Eindruck ist schlicht nur da, um ihn gegen sich selbst zu wenden. Der korrupte Polizist (Denzel Washington) erklärt gleich zu Beginn, warum er Zeitung liest: It’s 90 per cent bullshit, but it’s entertaining. Selbiges gilt für TRAINING DAY, wenn er von außen wie eine Zeitung aussieht, darin sich aber nur eine Reise ins Actionthrillerwunderland findet.

Donnerstag 08.06.

Spider-Man: Into the Spider-Verse / Spider-Man: A New Universe
(R. Rothman, P. Ramsey, B. Persichetti, USA 2018) [3D-blu-ray, OmeU] 2

ok

Ben Z. (15 Jahre) schaut englisch sprachige Filme inzwischen im Originalton. Hört sich besser an. Da war ich so stolz, dass ich ihm vorschlug einen Tag, bevor er die Fortsetzung mit Freunden im Kino sehen wollte, den ersten Teil nochmal mit mir zu schauen. Ich war bei diesem Durchgang gleich nochmal mehr unterrascht, aber es hat sich aus meiner Sicht trotzdem gelohnt.

Mittwoch 07.06.

大红灯笼高高挂 / Rote Laterne
(Zhang Yimou, CHN/HK/TW 1991) [35mm] 2

großartig

Die 19-jährige Songlian (Gong Li) wird in RAISE THE RED LANTERN von ihren Eltern an einen reichen Mann verheiratet. Sie ist seine vierte Frau. Unvorbereitet findet sie sich in einem Biotop wieder, in dem nur Strategie, Menschenkenntnis und gute Miene zum bösen Spiel weiterhelfen. Der Palast wirkt zuweilen wie ein Spielbrett, hinter dessen verschlossenen Toren jede Frau ihr eigenes Süppchen kocht und in der Öffentlichkeit dann den Charakter zur Aufführung bringt, die ihr am ehesten Erfolg zu versprechen scheint. Zuneigung vom Mann und die von ihm herabgereichten Annehmlichkeiten sind das Ziel. Misserfolg hieße soziale Isolation. Kurz: Sie befindet sich in einem abgekarteten Spiel wieder, in dem der Mann die besten Chancen auf Gewinn hat, und in dem sie äußerst gerissen vorgehen muss, wenn sie bestehen möchte.
Mehrmals deuten Drehbuch und die Konzentration des Films auf Songlian an, dass sie es sein wird, die das System, wenn schon nicht zu Sturz bringen, so doch rocken wird. Aber nichts dergleichen geschieht. Songlian benimmt sich in ihrem Hang zu Idealismus, Selbstgerechtigkeit und Trotz wie ein Fisch, der einen Baum erklimmen soll. Wie ein affektgesteuertes Kind stolpert sie als Opfer und Täterin von kleinen zu immer größeren Katastrophe … wobei Zhang Yimou sie in weite, raumgreifende Räume steckt, in denen sich die Menschen zumeist verlieren, die aber durch die flachen Bildkompositionen doch klaustrophobisch erscheinen. Ein glimmender, wunderschöner Untergang.

Dienstag 06.06.

House of Bamboo / Tokio-Story
(Samuel Fuller, USA 1955) [DVD, OF] 2

großartig

HOUSE OF BAMBOO war Teil meines vor zwölfeinhalb Jahren veröffentlichten ersten Filmtextes – ein Vergleich von HOUSE OF BAMBOO mit Naruses MESHI. Überraschend finde ich aus heutiger Sicht, dass ich nicht erwähne, dass Fuller in der Mitte seines Undercover-Agenten-Thrillers eine beschauliche Pause macht und eine Liebesgeschichte erzählt. Eine Japanerin (Yamaguchi Yoshiko) zieht dort im Nachkriegsjapan mit einem Amerikaner (Robert Stack) zusammen und verliebt sich in ihn. Es nimmt dabei Züge von ANGST ESSEN SEELE AUF an, ist aber eher an der Schönheit zueinanderfindender Kulturen interessiert.
Das Problem dabei ist, dass die Stärken des Films ganz woanders liegen und zwar in der einseitigen Liebe des Gangsterbosses Sandy (Robert Ryan, der inmitten eines eher leblosen Casts förmlich brennt) zum von Stack gespielten Spanier, einem in Sandy Organisation eingeschleusten Undercoveragenten. Aber nicht nur Spanier ahnt nichts, auch Sandy selbst scheint völlig ahnungslos. Der ansonsten skrupellose, machtgierige Sonnengottgangster-baron vergibt Spanier jeden Fehltritt. Lieber möchte er daran glauben, dass langjährige Gefährten ihn an die Polizei verraten, als den Neuen zu verdächtigen. Wie Sandy nicht einsehen möchte, dass er Spanier gegenüber weich wird und Dinge nachgiebiger angeht, und damit seinen Untergang heraufbeschwört, ist äußerst schmerzhaft. Ihn schwärmen zu sehen und zu wissen, dass er verraten werden wird, dass sich alles auf eine Explosion hinbewegt, es offenbart, dass dies kein Gangsterfilm ist, sondern ein als solcher getarntes, bildgewaltiges Melodram mit Pistolenkugeln anstelle von Tränen.

Montag 05.06.

Trois couleurs: Bleu / Drei Farben: Blau
(Krzysztof Kieślowski, F/P/CH 1993) [blu-ray, OmU] 3

gut

Der erste Teil der Trilogie zur französischen Tricolore und der Bedeutungen der drei Farben widmet sich der Freiheit. Was bei Krzysztof Kieślowski selbstredend mit einem ironischen Bruch versehen wird. So heißt Freiheit bei ihm Freiheit von und für Juliette Binoches Figur ganz speziell die Freiheit von ihrer Familie und ihrer bisherigen Identität: Mann und Kind verliert sie bei einem Autounfall. Und Kieślowski betreibt beim Erzählen Kunsthandwerk, Schangel, Schlock und Schabernack. Die Routine und Kontrolle eines Regiekönners sind zu jeder Zeit spürbar, wenn er die Probleme nicht direkt angeht, sondern Binoches Figur sich bei der Suche nach einem neuen Alltag eingraben lässt. Wenn sich wichtige Wendungen rein zufällig in einem Striplokal vollziehen. Wenn er ständig Bilder mit Verzerrungen sucht, als ständen einem die Tränen in den Augen, als sehen wir die Welt mit neuen Augen. Wenn er eben nie zu ernst wird und die richtigen Bilder sucht. Und so sehr ich BLAU mag, so stört mich diese Sicherheit etwas, da das Drama des Verlusts und die Erzählung von der Lust am Ausstieg dergestalt einen Tick zu sehr auf Distanz gehalten werden.

Sonntag 04.06.

Maa on syntinen laulu / Die Erde ist ein sündiges Lied
(Rauni Mollberg, FIN 1973) [blu-ray, OmU]

verstrahlt

Diesem Film verdanke ich es, dass ich mal wieder über Émile Zola, zu dem ich ein gespaltenes Verhältnis besitze, vor dessen Büchern mir graut und die ich doch immer voller Faszination lese, bei critic.de schreiben durfte.

Sonnabend 03.06.

Ostře sledované vlaky / Liebe nach Fahrplan
(Jiří Menzel, CS 1966) [DVD, OmeU]

großartig

Ich weiß nicht, was ich besser finde. Dass dieser sichtlich kunstvoll inszenierte Film einer Neuen Welle zum Thema der Résistance im von Nazideutschland annektierten Tschechien dergestalt von Untertanen und Freigeistern erzählt, indem er von Sex während der Arbeitszeit handelt und den unterschiedlichen Umgang damit herausarbeitet. Oder ist es der Running Gag, dass Milos (Václav Neckář), die Hauptfigur und Schaffner-Azubis, dessen erste sexuellen Gehversuche im Widerstreit seiner Vorgesetzten nicht glücken möchten, dass dieser Milos also immer wieder unaufgefordert Leuten erzählt, dass sein Arzt der Meinung ist, dass er Selbstmord zu verüben suchte, weil er an Ejaculatio praecox leide.

L’exécutrice / Die Vollstreckerin
(Michel Caputo, F 1986) [blu-ray, OmeU]

ok

Die Geschichte kümmert sich kaum um Ursache und Wirkung. Lediglich einer Traumlogik scheint sie unterworfen. Erzählt wird von einer weiblichen Anti-Dirty-Harry-Polizistin (Brigitte Lahaie), die ohne Gewalt und Gesetzesbruch aufräumen möchte, während ein richtiger Dirty Harry (Pierre Oudrey) ihr obsessiv vorführen möchte, dass nur Gewalt und seine Wumme etwas ausrichten. Gleichzeitig hegt der Chefinspektor (Michel Modo) seit Jahrzehnten Gefühle für Drogen- und Menschenhandelsbaronin Wenders (Dominique Erlanger), der er einen Schrein zu Hause gebaut hat und mit dem er einen erwachsenen Sohn hat. Dazu gibt es noch eine lesbische Informantin, die high auf Heroin ihre Selbstzerstörung im Menschenknäuel einer artsy fartsy Orgie sucht, oder lebenslustige Schwestern, die die Realität von LA BOUM leben und doch in all das reingezogen werden. Schlussendlich sieht das alles auch noch nach den Heydays des kostengünstigen Actionkinos der 80er Jahre aus. Weshalb es kaum nachvollziehbar ist, wie sehr sich dieser Film zieht und rein gar nichts mit diesen auf dem Papier tollen Dingen anzustellen weiß.

Sleepy Hollow
(Tim Burton, USA/D 1999) [blu-ray, OmeU] 3

großartig

Wenn du mit Instrumenten einer cronenbergschen Wissenschaft in eine optische Struwwelpeter-Welt schaust und feststellst, dass Hexen und Horror wirklich existieren, weil die Saat menschlicher Grausamkeiten immer wieder aufgeht und als Pferd mit Reiter ohne Kopf aus den verknäulten Wurzeln eines Baums mit Krallenkrone entspringt, dann bist du Mitten im Herzen des filmischen Märchenerzählens.

Freitag 02.06.

Nacho Libre
(Jared Hess, USA 2006) [stream, OmeU]

nichtssagend

Quasi die Ansammlung der schlimmsten Ticks Wes Andersons, ohne dessen Emotionalität und sein Gespür für den Einsatz von Popmusik. Immer darauf aus, die eine Art von trockener Absurdität zu bedienen, was den es schnell eintönig macht. Außerdem finde ich Jack Black grundlegend meist mehr als anstrengend. Jared Hess ist wohl nicht (mehr) meine Tasse Tee.

Taken 2 / 96 Hours – Taken 2 Extended Cut
(Olivier Megaton, F/USA 2012) [stream, OF]

ok

Im Endkampf trifft Bryan Mills (Liam Neeson) in einem kleinen Ring – ohne Netze, trotzdem wird dieser nicht verlassen – auf sein albanisches Pendant (Alain Figlarz). Statt dass Mills einfach nur Lakaien umbringt, kommt es zu einem ausgeglichenen Kampf. Im überhasteten, ungeordneten Schnittgehäcksel entwickelt das jedoch weder dramaturgisch, noch ästhetisch, noch als Affektgewitter irgendeine Wirkung. Und damit passt er als Sinnbild für den ihn beinhaltenden Film. Lediglich Mills als hyperobsessiver Vater, der sich durch Massenmord die Zuneigung seiner Familien erarbeiten darf, ist weiterhin ein seltsam gekonntes Vergnügen.

Donnerstag 01.06.

Les trottoirs de Bangkok / Sidewalks of Bangkok
(Jean Rollin, F 1984) [DVD, OmeU]

gut

Die D’Amato-Assoziationen, die KILLING CAR bestimmen werden, als auch das Einweben von touristischen Filmaufnahmen einer Stadt, wie es für PERDUES DANS NEW YORK prägnant sein wird, treten in diesem Agententhriller erstmals auf. Aber weder ist LES TROTTOIRS DE BANGKOK durch Wiederholungen rhythmisiert, noch handelt es sich um einen Essay-Film. Stattdessen wird eine Prostituierte (Yoko) von diversen Schergen diverser Organisationen von Thailand nach Frankreich gescheucht, weil bei ihr eine Formel vermutet wird. Wie in einem Serial der 1910er Jahre geht es ohne inneren Zusammenhalt voran, immer auf der Suche nach der neuen Attraktion, nach der nächsten Wendung. Da es aber keinen Rückgriff auf übernatürliche Reiche, Wesen und Phänomene gibt, fehlt das für Rollin typische verträumte Schreiten.

Mai
Mittwoch 31.05.

Otto – Der Film
(Xaver Schwarzenberger, Otto Waalkes, BRD 1985) [stream] 16

großartig

Auf der einen Seite immer noch der ultimative Otto-Film (Haaarald), auf der anderen Seite auch der, der es einem nicht ganz so einfach macht, ihn in die Arme zu nehmen (Wollen Sie einen Sklaven kaufen?). Aber gerade das letzte Beispiel erreicht eine emotionale Tiefe und Ambivalenz, die sonst in den Filmen kaum zu finden ist. Also schon gut alles.

Montag 29.05.

Spider-Man: Into the Spider-Verse / Spider-Man: A New Universe
(R. Rothman, P. Ramsey, B. Persichetti, USA 2018) [3D-blu-ray]

ok +

Schon irgendwie ein schon schöner Film hier und da. Es ist aber bezeichnend, dass sich auf die ernstzunehmende Geschichte konzentriert und das Looney-Tunes-Spider-Schwein eine gute Idee sein gelassen wird, statt noch mehr Unsinn mit dieser zu treiben.

Pearl
(Ti West, USA 2022) [stream, OF] 2

großartig +

Bei der Zweitsichtung hatte ich mich daran gewöhnt, dass ich nicht die Pearl bekam, die ich mir durch X versprach. Dafür erhielt ich nun einen Film, der mir ans Herz ging. Mehr dazu bei critic.de.

Sonntag 28.05.

Astérix & Obélix : L’Empire du Milieu / Asterix & Obelix: Im Reich der Mitte
(Guillaume Canet, F 2023) [DCP]

nichtssagend

Ein paar Namen – Deng Tsing Quin oder Win Zi Ling – fand ich ganz witzig oder wenn Obelix den Höhepunkt von DIRTY DANCING nachstellen darf. Aber ich bin mir auch nicht sicher, ob mein Gehirn nicht zusehends nachgab und ich nur deshalb dies minimal erträglicher fand als den Film mit den Olympischen Spielen.

Bedtime Stories
(Adam Shankman, USA 2008) [stream, OmeU]

gut

Dies ist fast ein Prequel zu STALKER. Ein Mann erhält eine Wunscherfüllungsmaschine und macht damit Quatsch. Nur hätte es von eben diesem Unsinn mehr geben können.

Sonnabend 27.05.

Der Kaiser von Kalifornien
(Luis Trenker, D 1936) [blu-ray]

ok +

Wenn sich Trenkers Johann Augustus Suter in einer Krise befindet, dann steigt er empor. Auf eine Kirche, um Selbstmord zu begehen – er findet aber einen Engel. Auf einen Berg, um für einen verdurstenden Westerntreck Wasser zu finden – in den Bergen behält Luis Trenker selbstredend die Oberhand und findet es. DER KAISER VON KALIFORNIEN erzählt damit die Geschichte eines Idealisten, der Deutschland verlassen muss und in Kalifornien das geheiligte Land findet, dass er für Gott der Natur entreißt und fruchtbar macht.
Doch seine biblische Tüchtigkeit im gleißenden Licht schreit förmlich nach einem Teufel. In Form von Goldfunden und einem Goldrausch wird er auftreten. Gier, Egoismus und Unordnung werden in den Herzen der Menschen Einzug halten. Die auf wahren Begebenheiten beruhende Geschichte zeigt aber nicht die bittere Ironie, mit der sie Stefan Zweig erzählt, sondern drängt Richtung biblischem Epos … mit wunderschönen Landschaftsaufnahmen und beeindruckenden Doppelbelichtungen.
Das Faszinierendste ist aber, dass es Suter in der Krise durch den sittlichen Verfall und den Verlust der Hoheit über Kalifornien nicht abermals nach oben zieht. Denn nicht Gott verlässt ihn, sondern er lässt Gott hinter sich, sobald sein Idealismus blind und egoistisch geworden ist. Er wird das Gefühl haben, dass er sein Land verliert, wo er sich doch aber damit zufriedengeben müsste, dass er Gottes Land für die Menschen fruchtbar gemacht hat. Womit Trenkers Western – mit ordentlich deutscher Breitseite – wahrlich das Manifest Destiny, durchversteht.
Er beweist lediglich und interessanterweise ein wenig gutes Auge für das Auftreten des Teufels. Höchstens wenn sich Suter selbst als obsessiv verrannt offenbart, kann er etwas filmisches Kapital aus der Sünde schlagen. Nur der fromme Luis Trenker ist hier ein guter Luis Trenker.

Les deux orphelines vampires / Two Orphan Vampires
(Jean Rollin, F 1997) [blu-ray, OmeU] 2

großartig +

Tagsüber sind die zwei Vampirwaisen blind, nachts sehen sie alles in blau. Tagsüber spielen sie für Nonnen und ihren Adoptivvater die unschuldigen Mädchen, nachts saugen sie Blut und treffen andere Wesen der Nacht, d.h. andere Außenseiter. Was zusammen heißt, dass ein nahezu 60-Jähriger einen gnadenlos subjektiven Film darübermachte, was es heißt jugendlich und allein zu sein. Was es heißt, mit zwei Gesichtern durchs Leben zu ziehen, ohne Zuflucht zu finden. Was es heißt, sich irgendwann ratlos ob der eigenen Identität wie eine ägyptische Gottheit zu fühlen. Oder anders: UND ERLÖSE UNS NICHT VON DEM BÖSEN aus der Perspektive der beiden Mädchen erzählt. Ohne Belehrung, ohne Einsicht.

Freitag 26.05.

Le notti erotiche dei morti viventi / In der Gewalt der Zombies
(Joe D’Amato, I 1980) [blu-ray, OmU]

großartig

Am Ende heißt es für die letzten Überlebenden im Angesicht der lebenden Toten: Tod oder Wahnsinn? Was wiederum heißt: Kein Sex oder der Rückfall auf einen infernalischen Sexualtrieb, der neben sich nichts mehr zulässt. Nichts oder einen Sex, der einem das Auge für Palmen, Sandstrand und das blau-türkise Meer raubt, für den Hauch des Windes über die Haut, für die Schönheit des Treibenlassens in den Wellen eines puren Seins in der Gegenwart. Was im Endeffekt heißt, dass sie keine Wahl haben, weil sie am Ende alles verloren haben werden, was LE NOTTI EROTICHE DEI MORTI VIVENTI ausmacht. Und das ist kaum weniger als der Genuss des Lebens.
Ein sachlichere, aber nicht weniger verlockend klingende Perspektive auf den Film findet sich bei letterboxd von Lukas F. verfasst.

Donnerstag 25.05.

Staying Alive
(Sylvester Stallone, USA 1983) [stream, OmeU]

verstrahlt +

Was war ich sehend? Ein Chorus-Line-Drama, das optisch zwischen Kreativität, Unbeholfenheit und Störrigkeit Platz nimmt und in einer völlig deliranten Tanzaufführung endet? Einen Musikfilm, der zwischen brünstigem, krudem Hi-Octan-Powerpoprock und die Handlung kommentierendem Selbstgefälligkeitsgesäusel alterniert? (So viel Frank Stallone!!!) Einen Liebesfilm, der das Konzept Liebesfilm trollt und nicht von ramontischen Gefühlen erzählt, sondern von erotischen Antriebsstoffen wie Verachtung, Egomanie, Übergriffigkeit und Rivalität? Das Charakterdrama eines Egomanen, der trotz, dass ihm alle sagen, dass er sich ändern muss – nicht nur im Film selbst, sondern auch außerhalb: die volle Laufzeit habe ich ihn angefleht, dass er aufhört sich so strunzdoof und aufdringlich zu benehmen, wie er es tut, dass er aufhört, so blind und taub für Grenzen und zwischenmenschliche Konventionen zu sein –, und der mit einem gloriosen Catwalk als Happy End beglückt wird, weil er auch als Arschloch alles bekommen kann, weil er sich reinhängt und besser als die anderen ist, weil er die Reaganomics nicht verstanden hat, sondern sie einfach lebt? Den Film, der uns John Travolta in seiner völligen Schließmuskeligkeit präsentiert? Den Film, mit einem der mondänsten Regisseurcameos, der Gehirne in die Knie zwingt? Wohl all das, vll. noch mehr. Ich bin ratlos.

Mittwoch 24.05.

Fascination
(Jean Rollin, F 1979) [blu-ray, OmeU] 3

fantastisch

Der Versuch einer Einordnung:
Im Jahr 1975 schneiden die Produzenten Rollins Opus magnum – imho – LÈVRES DE SANG zum Hardcoreporno SUCK ME VAMPIRE um, während sich niemand für seinen eigenen Versuch ambitionierter Hardcorepornografie (PHANTASMES) interessiert. Der logische Endpunkt seiner Vampirfilme und die große Desillusion fallen damit zusammen. Drei Jahre macht er Pause und verdingt sich an Auftragsarbeiten. Darauf folgt eine Phase der Zombie-Filme, der Dystopien, knallharter Realitäten und Filme von Verlust und Wahn. Sichtlich sind die Filme weiterhin seine Werke, sie unterscheiden sich aber grundsätzlich von den Filmen vor dem Hiatus. Ende der Achtziger dringen Vampire, Parallelwelten und romantisch-hoffnungsvolle Phantastik wieder ins Zentrum der Filme. Erst tauchen die Marker alter Werke wieder auf und irgendwann wirkt es, als wolle er wieder Filme wie vor 1975 drehen. Rollins Schaffen wäre dementsprechend so zu unterteilen:

1. der Vampirzyklus (1968-1975): seine naive Phase, in der seine Filme auf gewisse Weise präpubertäre Träume darstellen, die vom Aufbruch in einen Lusthaushalt künden, der mit sich im Reinen ist.
2. das böse Erwachen (1978-1985): eine Phase desillusionierter Filme, die vom Schmerz der Vertreibung aus dem Paradies angetrieben werden und in denen Sex nicht nur unverstandener Abgrund ist.
3. Neovampirismus (1989-2009): die filmischen Versuche, das Paradies wieder aufleben zu lassen.

Sehr gespannt bin ich auf die neue Doku ORCHESTRATOR OF STORMS: THE FANTASTIQUE WORLD OF JEAN ROLLIN und was ich danach sagen würde. Nach meiner sicherlich naiven Einteilung hier findet sich FASCINATION am Anfang der zweiten Phase. Erzählt wird von reichen Damen, die gegen ihre Anämie Blut trinken und dadurch eine Art von Vampirpsychose entwickelt haben. Die wahren Vampire bleiben verschwunden, nur der Wahn, einer sein zu wollen, ist zugegen. Damit einher geht eine Liebesgeschichte voller Verachtung und Verrat, die auf einen herben Endpunkt zusteuert.
Der Handlungsort, eine Villa, die von einem Wassergraben umgeben ist, sieht immer wieder nach einer von Rollins Parallelwelten aus, in der verschiedene Zeitalter und Realitäten ineinander fallen. Aber die Handlungen der Menschen, ihr Hohn, ihre Missgunst, ihre Gewalt holen sie beständig in eine kalte Materialität zurück. Sprich: Optisch wirkt FASCINATION sehr oft wie ein (Alp-)Traum – sehr schön der Schnitt vom verträumten Tanz auf einer kleinen Steinbrücke zu einer gutbürgerlichen Frau in der typischen Kleidung des Wechsels von 19. zum 20. Jahrhundert, die verloren in einem blutgetränkten Schlachthaus steht –, aber diesem Entrückten steht eine erzählerische Sachlichkeit und ein dramaturgischer Hang entgegen, der auf den Boden der Realität zurückholt. Das kokett Spielerische führt ins grimmige Drama.
Durch diesen inneren Widerstreit ist FASCINATION einer der schönsten Filme Rollins, aber auch einer seiner traurigsten.

Dienstag 23.05.

Dark Mission: Flowers of Evil
(Jesús Franco, E/F 1987) [blu-ray, ≠]

gut

Der Agententhriller, in dem ein CIA-Agent (Christopher Mitchum) in eine lateinamerikanische Republik reist, um den dortigen Drogenhandel zu zerstören, solange er die USA als Ziel einschließt, ist schön anzusehen, aber ziemlich attraktionslos und schlapp. Bis irgendwann doch einmal Action Einzug hält wird vor allem über imperiale Politik, Verschwörungen und Verschwörungstheorien geplaudert. Bzw. geht es vor allem darum, dass Mitchum drei Frauen auf jeweils andere Weise zähmt – die Tochter des Drogenbarons (Cristina Higueras) unterwirft er mit Liebe, eine parallel im Land agierende CIA-Agentin (Brigitte Lahaie) mit seiner Aufrichtigkeit, eine aufstrebende Drogenbaronin (Alicia Moro) mit Gewalt. Am besten ist DARK MISSION aber, wenn Franco im 80er Thrillereinmaleins durchkommt und beispielsweise mit kleinen, repetitiven Kamerabewegungen die Unterhaltung zwischen einem korrupten Vater und seiner naiven Tochter unmerklich zur psychotronischen Erfahrung macht.

Montag 22.05.

Funny People / Wie das Leben so spielt Extended Cut
(Judd Apatow, USA 2009) [blu-ray, OmeU]

fantastisch

George Simmons (Adam Sandler), die Hauptfigur in diesem Film über komische Leute, also Stand-Up-Comedeans, und komische Leute, also solche, die zwischenmenschlich alle ihre sehr eigenen Probleme haben, die kaum lebensfähig scheinen und die sich gegenseitig als Krücken benutzen, bekommt zu fortgeschrittener Laufzeit ein Familienvideo vorgespielt. Dabei sehen wir wahrscheinlich einen tatsächlichen Schulauftritt, bei dem Apatows Tochter Maude MEMORY aus CATS schmettert. Und während alle gerührt sind, beömmelt sich George Simmons. Ich als Vater, der sich kaum zusammenreißen kann, alle Welt mit Bildern und Videos seiner Tochter vollzuschütten, kann es nur zu gut verstehen, dass Judd Apatow die soziopathischen Züge einer Figur so sichtbar macht, indem seine Tochter nicht wertgeschätzt wird.
Ansonsten hat mich FUNNY PEOPLE, eine Komödie, in der Humor benutzt wird, um andere und sich selbst zu verletzten, ein Drama, über die Sackgassen des Lebens und der eigenen Identität, in dem jeder zu gleichen Teilen Arschloch und Sympath ist, an Funkadelics/Eddie Hazels Meisterwerk MAGGOT BRAIN erinnert. Ein zehnminütiges Gitarrensolo, vor dem der Legende nach George Clinton zu Hazel sagte, dass er spielen solle, als habe er gerade erfahren, dass seine Mutter gestorben sei, und nach fünf Minuten sagte Clinton, dass er nun spielen solle, als habe er erfahren, dass sie doch noch lebe. Nicht nur strukturell funktioniert FUNNY PEOPLE auf die gleiche Weise – mit dem Unterschied, dass hier Horror in der Wunscherfüllung lauert –, aber auch, weil er geradezu einlullend dahinfließt und doch voll schneidendem Schmerz ist.

Angels & Demons / Illuminati
(Ron Howard, USA/I 2009) [stream, OmeU]

ok

Am Ende hätte dann der Blick in das naheliegendste Beweismaterial, ein Tagebuch, gereicht, um den Fall zu lösen. Die Schnitzeljagd durch Renaissance-Kirchen und -Kunst wird damit entwertet. Sie wird zur Karotte des Bösewichts, mit der er Robert Langdon (Tom Hanks) herumscheuchte und von sich ablenkte … weil es eben mehr Spaß macht, sich in einer schönen Verschwörungstheorie zu verrennen, als sich einfach eine Ansammlung von Fakten anzugucken. Und sicherlich ist diese Propaganda für Fakten mit Blick auf die Realität schon vertretbar, aber in diesem routiniert abgedrehten, hässlichen Film, der mir nichts gibt außer Renaissance-Gehuber, finde ich es persönlich beleidigend.

Joe Dirt / Joe Dreck
(Dennie Gordon, USA 2001) [stream, OF]

nichtssagend

Wenn der junge David Spade lächelt – immer ein wenig vorsichtig, als erwarte er noch den Haken –, dann wirkt er wie der sympathischste, netteste kleine Mann der Welt. Auch die Perücke und die Kotletten, die ihn entstellen sollen, ändern nichts daran. Dass JOE DIRT nun aber darauf aus ist, ihn zu verspotten, und seine Liebenswertigkeit erst unter einer White Trash-Oberfläche finden möchte, funktioniert diese Ansammlung von biographischen Miniaturen mit selten zündenden Witzen nicht.

Derrick (Folge 266) Bleichröder ist tot
(Peter Deutsch, D 1996) [DVD]

nichtssagend

Maria Becker wieder wunderbar als Mensch gewordene Verwitterung, ansonsten geht es abermals um geschändete Engel, Theater als Therapiesitzung, durch Drogen aufgelöste Persönlichkeiten und die Macht des Patriarchats.

Derrick (Folge 267) Eine kleine rote Zahl
(Eberhard Itzenplitz, D 1997) [DVD]

ok

Reinecker befindet sich mal wieder im Delirium. Die Flucht eines Drogendealers (Pierre Sanoussi-Bliss) aus den reineckerschen Barwelten und vor der Polizei endet in einer ödipal-unaufgelösten Vater-Sohn-Beziehung, in der sich der Sohn (Ulrich Matthes) ständig besäuft, um vor den Ansprüchen seines Vaters zu fliehen, während die moralische Skrupel dieses Buchhalter-roboters bei roten Zahlen aufhören. Der öde Krimi und das süffige erwachsene-Menschen-die-noch-Kinder-sind-und-sich-nach-Zuneigung-sehnen-Drama mit ihrer Platzierung in steife TWIN-PEAKS-Parallelwelten sind sichtlich nur Vorlauf dafür, dass ein Vater seinen moralischen Bankrott erklärt und sich Sohnemann freuen darf, doch etwas zu taugen. Eine mäßige Pointe und ein viel zu langer Weg dorthin durch die Grenzgebiete einer weichen, sich auflösenden Realität.

Freitag 19.05.

Les Démoniaques / Dienerinnen des Satans Unrated Extended Cut
(Jean Rollin, F 1974) [blu-ray, OmeU] 3

radioaktiv

Der nächste gesehene Film Rollins, nachdem ich hier behauptet habe, dass in den persönlichen seiner Filme – also in den Filmen abseits seiner Porno- und Erotikauftragsarbeiten – Sex stets ein teuflischer, wie steifer Fremdkörper ist, war dann gleich eine Tour de Force, die diese Behauptung in Frage stellt und unterstreicht. Durchgehend gibt es nämlich heterosexuellen Sex, in sehr unterschiedlichen Ausprägungen. Die Strandräuber, die nachts mit ihren Laternen Schiffe zu nah an die Klippen locken, um sich der Ladung zu bemächtigen, vergewaltigen mehrmals zwei Überlebende (Patricia Hermenier & Lieva Lone) des zuletzt irregeleiteten Schiffs. Diese Vergewaltigten kopulieren wiederum mit einem Fürsten der Finsternis, der – wie so oft bei Rollin – sich als moderate Gestalt herausstellt, während sich Menschen als die viel Grausameren offenbaren. Durch diese Vereinigung übernehmen sie jedenfalls für eine Nacht seine übernatürlichen Fähigkeiten. Und auch die das Paar, welches die Strandräuber anführt, schlafen miteinander und hat dabei keinen brutalen oder zweckbestimmten, sondern lustvollen Zugang zum Ficken. Auch gehen sie die Sache sehr direkt an, im Gegensatz einvernehmlichen Sex in REQUIEM FOR A VAMPIRE, der durch ewiges Streicheln von Rücken und Hüften ausgemacht wird.
LES DÉMONIAQUES wirkt stilistisch wie ein Stummfilm von ca. 1924, dem 50 Jahre filmische Entwicklung im Grunde nur Farbe, Ton und Explizitheit zugefügt haben. Meist ist er mehr schlecht als recht zusammengestückelt und schafft es nur schwerlich, eine räumliche Integrität zu wahren – siehe der Kampf im brennenden Schiffswrack, wo das lichterloh brennende Schiff und Kämpfe mit ein paar wenigen Flammen im Hintergrund sich abwechseln. Seine Ausstattung ist eher provisorisch – Löcher in der Kleidung sehen nicht aus wie die Spuren von Verschleiß, sondern als ob sie gerade hineingeschnitten wurden. Und doch schafft es Rollin diese scheinbaren Marker des Amateurhaften zu seinem Vorteil zu wenden und eine Atmosphäre des Unwirklichen zu kreieren.
Und der Sex ist in dieser irrealen, vergilbten Welt von einer enormen physischen Realität. Er ist unangenehmen und kein bisschen erotisch. Er belegt alles mit einer Aura des Verkommenen. Einer Verkommenheit, die sich grundsätzlich von Raub, Mord und Gelagen im Film unterscheidet, die aus einer romantischen Abenteuergeschichte stammen könnten. Und dieser giftigen körperlichen Lust stellt LES DÉMONIAQUES Absurdität, Religion, Geister, Monster und Naivität entgegen – ein Clown und ein griechisch-orthodoxer Priester-Hippie helfen dem Vampirfürsten, der in einem verlassenen Tempel neben dem Strand lebt und der den beiden Opfern der Strandräuber zu ihrer Rache verhelfen möchte, die sie aber für eine gute Tat opfern.
Dieser Film wundert sich also nicht nur wie ein vorpubertärer Geist über die in ihm aufkeimende Lust, sondern scheint sogar schon in Panik erstarrt. Ganz so wie ich nicht verarbeiten konnte, was in mir geschah, als ich als ca. Zehnjähriger am Wochenende schon um 5 Uhr erwachte, noch eine Stunde bis zum Kinderprogramm überbrücken musste und plötzlich im Fernseher sah, wie ein französischer Adliger in einem Film – es könnte sich um Alain Delon handeln, ich traue mich weiterhin nicht ganz es herauszufinden – eine Frau entkleidete, seinen Körper von hinten gegen sie und ihren Körper wiederum gegen eine herumhängende Schweinehälfte presste. Ich war zu diesem Zeitpunkt schon aufgeklärt, aber in dem Moment begegnete ich etwas anderem als den sachlichen Erklärungen im Unterricht.

Donnerstag 18.05.

गंगूबाई काठियावाड़ी / Gangubai Kathiawadi
(Sanjay Leela Bhansali, IND 2022) [stream, OmU]

gut

Sobald Gangubai (Alia Bhatt) zur offiziellen Vertreterin ihres Rotlichtmilieus gewählt wurde und damit ihren letzten zwielichtigen Gegner besiegt hat, fällt GANGUBAI KATHIAWADI in sich zusammen und schleppt sich mit einer sauberen wie müden Coda Richtung Ziellinie. Bis dahin wird von ihrer Verschleppung in die Prostitution erzählt und wie sie sich nach Genreregeln selbstermächtigt. Melodramen, Thriller und Horror, optische wie erzählerische Expressivität bestimmen ihre Geschichte bis dahin. Wenn es für sie danach in die Politik geht und dort plötzlich mit Reden Leute überzeugt werden müssen, es um eine Form von Politik geht, die nicht Teil eines schmutzigen Spiels ist, sondern aufrechtes Arbeiten am Willen des Volkes, dann endet ein zuvor sehr schöner Film im Trauerspiel.

Paul Blart: Mall Cop / Der Kaufhaus Cop
(Steve Carr, USA 2009) [stream, OmeU]

nichtssagend

Postmodernes Zitatekino, in dem John McClane (Kevin James als Paul Blart) bei der Besetzung einer Mall zum knuffigen Underachiever mit seltener Zuckerkrankheit umgemodelt wurde sowie zum Segway-Virtuosen – Kevin James größter und schnell totgerittener Beitrag zum Film. Zum John McClane, der ständig hinfällt.

Mittwoch 17.05.

Les cinq diables / The Five Devils
(Léa Mysius, F 2022) [DCP, OmU]

gut

Die vorpubertäre Vicky (Sally Dramé) hat Visionen der Vergangenheit und erfährt auf Reisen in diese, dass die Ehe ihrer Eltern nicht zwangsläufig war, sondern dass ihre Tante Julia (Swala Emati), die Schwester ihres Vaters, eigentlich die große Liebe ihrer Mutter Joanne (Adèle Exarchopoulos) ist. Ihre Tante wiederum kann das zu diesem Zeitpunkt noch ungeborene Kind bei seinen Stippvisiten in die Gegenwart wahrnehmen und bekommt Angst vor diesem aus dem Nichts auftauchenden Mädchen. Vicky löst so eine Übersprunghandlung mit brutalen Folgen bei ihrer Tante aus und verursacht damit erst den Bruch zwischen den Liebenden.
Dieser Plot wird aber nicht als Zeitreiseparadoxon erzählt, sondern als übernatürlicher Horrorfilm, der zu sehr darüber zu funktionieren versucht, die Auflösung zu verschleppen. Die Atmosphäre leidet spürbar darunter, dass Offensichtliches wie ein Twist behandelt wird. Vielleicht hätte der Horroranteil besser funktioniert, wenn nicht das mehr oder weniger Verschlungene der Geschichte betont worden, sondern sich auf den Willen Vickys konzentriert worden wäre. Diese sorgt mit ihren Eingriffen in Vergangenheit und Gegenwart nämlich geradezu eiskalt dafür, dass ihre Existenz zustande kommen wird und dass die Ehe bestehen bleibe. Wenn es sich eben um den Horror eines netten Kindes drehen würde, dass wie besessen handelt.
Als Ansammlung von Markern des Gefühls, anders als die anderen zu sein, und somit als internalisiertes Schulddrama bzw. eher -meditation ist LES CINQ DIABLES aber ganz schön. Denn Vicky wird davon belastet, dass ihre Existenz ihre Mutter von ihrer persönlichen Verwirklichung abhält, während Julia davon belastet ist, dass ihre Liebe Joanne an einem bürgerlichen Leben hindert, was ihr so einiges Drama ersparen würde. Was Léa Mysius aber eben nicht direkt kommuniziert, sondern über Erfahrungen von Rassismus und – noch besser – über Vickys unmenschlichen Geruchssinn und ihren Hang feuchte, erdige, schimmlige Dinge zu sammeln.

花樣年華 / In the Mood for Love
(Wong Kar-Wai, HK 2000) [35mm] 4

fantastisch +

Synchro-Stahl sagte David L. neben mir gleich zu Beginn. Auch ich musste mich erstmal hereinfinden und konnte kaum glauben, dass ich Hongkong-Filme früher mit diesem farblosen Ersatz für die nölige Lautexpressivität des Kantonesischen problemlos hinnehmbar fand. Aber selbst mit dieser Einschränkung sind die kurzen, unaufhaltsam vergehenden Momente einer sich einschleichenden Liebe wunderbar. Und wieder war ich davon überrascht, wie unorthodox der Film doch ist, den ich mit 18 Jahren zu seiner Kinoveröffentlichung im selben Kino wie nun geschaut und zum zwangsläufigen Ankunft Wong Kar-Wais im Mainstream erklärt hatte.

Otto – Der Außerfriesische
(Otto Waalkes, Marijan David Vajda, BRD 1989) [stream] 3

ok +

Mit dem AUSSERFRIESISCHEN bin ich selbst in meiner Otto-Hochphase nie so ganz warm geworden. Die Witze sind zwar wie so oft durchwachsen, aber die Ausreißer nach oben sind viel seltener und überhaupt stellt sich hier langsam ein, was Otto ab den 1990ern zunehmend schwer erträglich macht: er versucht die Lacher eher mit seinen Ticks und seiner Überdrehtheit zu erzwingen, statt wirklich lustig zu sein. Die Geschichte ist auch wie so oft ein großes Nichts, was also keinen großen Unterschied zu seinen anderen Filmen darstellen würde. Die Reise in die USA bringt aber für ihre Gravitationskraft viel zu wenig. Nach ihr stellt sich die Frage, die den Film belastet, am deutlichsten: Ist das alles?
Vielleicht ist das Problem aber auch, dass der Film stromlinienförmiger wirkt. Nicht nur ist die Optik gefälliger, die Botschaft gesellschaftlich bedeutender und ein Auftritt von Steffi Graf ist vor allem da, um für die Starpower da zu sein. Auch Otto sieht glatt und weich geschminkt aus, als würde er für ein Bild in einer Modezeitschrift hergerichtet. Was heißt: es ist sehr wahrscheinlich, dass ich vor allem mit meinem Bild von Otto zu kämpfen habe, dass hier weniger bedient wird.
Nichtsdestotrotz ist DER AUSSERFRIESISCHE ein entspannter, kruder Film. Und das ist selbstredend nicht wenig, sondern ziemlich schön.

Dienstag 16.05.

乾いた花 / Pale Flower
(Shinoda Masahiro, J 1964) [blu-ray, OmeU] 2

fantastisch

Ein Yakuza ist zu spießig, um sich ganz für die Schatten und gegen das Licht zu entscheiden. Weshalb er am Ende doch in ein dunkles Loch geworfen wird. Mehr dazu bei critic.de.

Montag 15.05.

La fiancée de Dracula / Dracula’s Fiancée
(Jean Rollin, F 2002) [blu-ray, OmeU]

gut

Ich finde es sehr erfreulich, dass Rollin zur Jahrhundertwende einen Film realisiert bekam, der sogar einen Kinostart erhielt. Gerade da es mir ja immer noch etwas schwerfällt zu glauben, dass er überhaupt Filme mit einem Budget nach den 1980ern drehen konnte. Und es freut mich, dass er sich völlig austoben konnte. Dass er in seiner Pulp-Mystik-Schatzsuche wieder fast alles unterbringen konnte: Vampire in Uhrenkästen; der Strand von Dieppe als Ort einer anderen Dimension, an der sich Potentiale der seelischen Befreiung offenbaren; die gnostische Unsicherheit, welche (übernatürliche) Macht einen gefangenhalten, welche einen retten will; Film als Sammlung kindlicher Angstwesen wie Oger und Clowns.
Gleichzeitig finde ich etwas schade, dass Rollin – anders noch als zwischen 1978 und 1985 – nicht mehr versucht etwas Neues auszuprobieren und neue Ausdrücke für das Gleiche zu suchen. Dass er sich entweder mit dem hier begnügt oder sich selbst darauf limitiert. Denn LA FIANCÉE DE DRACULA ist schon ein Film voller schöner Einfälle – vor allem die verrückten Nonnen, die sich beim Wahnsinn eines unweltlichen Waisenkindes ansteckten, das sie vor seinem Schicksal in einer dekadenten, von Perversion Fin de Siècle-Bibliothek verstecken wollten –, im Großen und Ganzen kennen wir es aber auch besser und entrückter. Das Somnambule seiner Filme scheint hier einem Filmproduktionsschlafwandel gewichen. Wobei das Ergebnis sich auch nur bedingt als seltsames Werk eines alten, verirrten Mannes qualifiziert. Vielmehr steht LA FIANCÉE DE DRACULA mit einem Bein in einer Suche nach einer Quintessenz des Rollinschen und mit dem anderen im pflichtschuldigen Nachklapp aus dem geistigen und emotionalen Ruhestand.
Etwas versöhnlicher lässt sich sagen, dass Jean Rollin eben einen weiteren Jean Rollin-Film machte. Nicht mehr, nicht weniger. Was wiederum heißt, dass hier ein 60-Jähriger,* der noch dazu der Vater von zwei Söhnen war, einen Film voll vorpubertärer Sexualität drehte. Wenn wir es so nennen wollen. Es ist für mich einer der faszinierendsten Aspekte seiner Filme. Dass sie von nackten Frauen bevölkert sind, von Brüsten, die aus dem Dekolleté zu fallen drohen, von aufreizender Kunst, von der Ahnung, dass nackte Menschen unerhörtes Miteinander machen können, dass ungeheure Gefühle in einem heterosexuellen Jungen zu wirken beginnen. Dass dies in gewisser Weise aber in einer Kinderzimmerwelt stattfindet, wo es keine Vorstellung davon gibt, was Petting, Penetration oder Orgasmus bedeuten könnten. Der Biss in den Hals ist in diesen Filmen der einzige Ausdruck von Sex … Sex, der den Filmen nicht aufgezwängt scheint.
In den zwanzig Filmen, die ich kenne, sind tatsächliche Sexszenen stets etwas brutal Eindringendes, dass keinen Sinn ergibt. (Ich muss doch mal einen seiner vielen Pornos sehen…) Womit Rollins Filme eben filmische, phantastische Welten voll Sex, Lust und bedrängenden Bedürfnissen sind, in denen es aber kein Ventil gibt. Nur die Vereinigung mit anderen Welten und Dimensionen bringt in diesen Befriedigung durch verewigte Lust. Auf ihre sehr eigene Weise haben diese Filme damit etwas Religiöses, das ganz ohne Gott auskommt.

Sonntag 14.05.

L’ami de mon amie / Der Freund meiner Freundin
(Éric Rohmer, F 1987) [DVD, OmU] 2

großartig

Von den sechs Komödien und Sprichwörter-Filmen hat mir das Drehbuch von DER FREUND MEINER FREUNDIN am wenigsten gegeben. Im Grunde bietet dieses eine nette Liebeskomödie über das Liebestohuwabohu in einer Freundesgruppe – Blanche (Emmanuelle Chaulet) verliebt sich in Fabien (Éric Viellard), den Verlobten ihrer Freundin Léa (Sophie Renoir), die sich wiederum in Alexandre (François-Eric Gendron) verliebt, bei dem Blanche eigentlich zu landen versucht. All das vollzieht sich selbstredend mit den rohmerschen Mitteln von Leuten, die nicht wissen, was sie wollen. Von Leuten, die sich das, was sie wollen, nicht gönnen – wenn sie es denn mal erkannt haben –, die viel reden, wenn der Tag lang ist und mit ihren Ausführungen ihrem Umfeld, dass denkt, dass es ernst gemeint wäre, das Leben zur Hölle machen, wo doch ihre Aussagen meist keinen Rückhalt in ihren Handlungen finden. Also wieder eine leichte Beziehungskomödie, die seine Figuren sichtlich mag, sie aber gleichzeitig auch mit einem Hang zur Gemeinheit vorführt.
Im Gegensatz dazu ist es aber vll. der schönste der sechs Filme. Die Handlungsorte sind zumeist von einer solch spießigen Aufgeräumtheit, dass sich darin ein Ordnungsfetisch manifestiert. Höhepunkt ist eine riesige Uhr, die wiederholt am Ende eines hochsymmetrischen Gebäudekomplexes prangt, der Lebensraum bieten soll, aber nach Mittelstandseinkaufszentrumshölle aussieht. Sie ist zwar immer nur im Hintergrund zu sehen, und doch geht von ihr die niederdrückende Aura von Kontrolle (über Zeit und damit über die Menschen) aus. Als hätte sich unser stadtförmiges Über-Ich als Flavor Flav verkleidet. Gebrochen wird diese Lebensfeindlichkeit, in der die vier Beteiligten – plus eine Psychotante (Anne-Laure Meury, deren Verspieltheit aus DIE FRAU DES FLIEGERS hier in zwischenmenschlichen Sadismus umgeschlagen ist und die abermals das heimliche Highlight des Films ist) – nach Zärtlichkeit suchen, durch allgegenwärtiges Wasser in Pools, Flüssen und Seen und in der Natur, in die sich durchgeschlagen wird, um etwas Nähe zulassen zu können.
Bezeichnend ist dabei, dass die Aneinanderreihung flüchtiger Treffen hier von Montagen begleitet ist, die wirken, als würden wir das Rutschen in die Gefühle sehen, gegen das sich nicht mehr zur Wehr gesetzt werden kann. Oder wenn im Schwimmbad eine Montage unbeteiligte Leute vor Ort zeigt, als könne der Film unsere Protagonisten nicht mehr finden, weil sie im aufblühenden amourösen Miteinander in einer solchen Selbstverständlichkeit aufgegangen sind, dass sie gar nicht mehr in der Masse als verkrampfte Wesen erkennbar sind. Oder der Film lässt ihnen einfach nur mal ihre Ruhe. So oder so, das, was DER FREUND MEINER FREUNDIN erzählt, enttäuscht vll. ein wenig, wie er es aber macht, ist durchaus ziemlich erquicklich.

Sonnabend 13.05.

英雄 / Hero Director’s Cut
(Zhang Yimou, CHN 2002) [blu-ray, OmU] 2

ok

Dr. Hotter, die mir ihre blu-ray lieh, bedeutet der Film so viel, dass sie für den Datenträger einen Mondpreis bezahlte. Während des gesamten Films hatte ich dadurch latent das Gefühl, den Film nicht so zu würdigen, wie er es verdient. Und doch saß ich gleichzeitig fast zwei Stunden da und kam mir vor, als sehe ich Wong Jings Parodie von ASHES OF TIME, die in seinem Film WHATEVER YOU WANT im Kino läuft. Nur dass die Überspitzung gegen bierernste Nachdenklichkeit ausgetauscht wurde. HERO ist wunderschön und der Kampf auf dem See sagenhaft in Bildkomposition, Schnitt und Ton. Gleichzeitig musste ich aber auch immer wieder über die ernsten Mienen im Wind und/oder in der Zeitlupe lachen … bis die Eintönigkeit an meinen Nerven zu ziehen begann und ich es zunehmend nicht mehr ganz so witzig fand. Mir bleibt nur die Hoffnung, dass wir irgendwann mal mehr zueinander finden … und ich ihn vll. auch einmal schauen kann, ohne zwischendrin eingeschlafen zu sein.

Freitag 12.05.

The Meyerowitz Stories (New and Selected)
(Noah Baumbach, USA 2017) [stream, OmeU]

gut +

Die Geschichte eines semibekannten abstrakten Skulpteurs (Dustin Hoffman) und vor allem seiner Kinder (Adam Sandler, Ben Stiller, Elizabeth Marvel), die mit ihm ins Reine kommen und ihn nicht einfach nur hassen wollen. Und Baumbach macht daraus einen Film zwischen Woody Allen und abstrakter dramaturgischer Skulptur, der seine kathartischen Momente vor die Wand fährt oder verrätselt, … weil wohl das Leben eben nicht immer die großen kathartischen Momente bereithält … und einen Film, der davon lebt, dass es Spaß macht, Zeit mit emotional verkrüppelten Figuren zu verbringen. Einen Film, der sensationelle Einzelmomente besitzt, und der doch ein wenig nervt, weil er mit den grundsätzlich viel spannenderen Frauenfiguren nichts anzufangen weiß.

Donnerstag 11.05.

That’s My Boy / Der Chaos-Dad
(Sean Anders, USA 2012) [blu-ray, OF] 2

großartig

THAT’S MY BOY zieht sich. Nicht nur weil die Geschichte für fast zwei Stunden zu dünn ist, sondern auch weil die Gags mal mehr, mal weniger funktionieren. Weil nichts an diesem Film ausgereift ist. Und damit ist er das perfekte Vehikel für einen Mann (Adam Sandler als Donnie Burger), der nie erwachsen werden konnte, aber eben auch für einen dermaßen erwachsenen Mann (Andy Samberg als Donnies Sohn Han Solo), dass er schon Neurotiker ist und nun sein inneres Kind wiederfinden muss. THAT’S MY BOY ist folglich derbe, geschmacklos und alles andere als wohltemperiert, worin sich die Vor- und Nachteile der Lebensentwürfe der Beteiligten untrennbar nebeneinander wiederfinden, ohne dass es in einer widerspruchlosen Einfachheit endet. Und mein liebster Running Gag war, dass Donnie noch aus allen Stellen seiner Kleidung eine Bierflasche zaubert … als wäre sein Alkoholismus eine Zaubershow.

Mittwoch 10.05.

Perdues dans New York / Lost in New York
(Jean Rollin, F 1989) [blu-ray, OmeU, ≠]

großartig

Der Godard-Essay-Film im Werk Rollins, in dem er aus den Themen und Motiven seiner vorherigen Filme eine assoziative Jump-Cut-Geschichtsversatzstück-Sammlung bastelt. Mehr noch ist es aber auch ein sehr schöner Film über die prä-giulianischen Straßenzüge eines sommerlichen New Yorks.

Dienstag 09.05.

Le rayon vert / Das grüne Leuchten
(Éric Rohmer, F 1986) [DVD, OmU] 2

großartig

Jeder Mensch will gleichzeitig teilnehmen und in Ruhe gelassen sein. Und da das eigentlich nicht möglich ist, beides, ist man ständig in einem Konflikt. (Thomas Bernhard)
Im Grunde alternieren zwei Arten von Szenen miteinander. Entweder befindet sich Delphine (Marie Rivière) in Gesellschaft, was für sie jedes Mal so viel Stress bedeutet, dass sie flieht und/oder weint. Oder sie ist allein in den Bergen oder am Meer und sieht umgehend vereinsamt aus. Rohmer nervt mit dem höchst anstrengenden Charakter seiner Hauptfigur, die Urlaub machen möchte, aber sich immer wieder umentscheidet. Mit Dialogszenen, die wiederholt in anstrengende Verhöre kippen. Und doch ist DAS GRÜNE LEUCHTEN keine Verunglimpfung, sondern die Eskalation des oben genannten bernhardschen Zitats, die anschaulich die Beklemmung vermittelt, wie es ist, sich immer und überall als Fremdkörper zu fühlen … und dabei doch die Hoffnung nicht aufzugeben, irgendwann eins mit sich und seiner Umwelt sein zu können. Ein wenig wenigstens. … und es handelt sich sichtlich um den Film, an den sich Petzold bei ROTER HIMMEL anlehnt.

Montag 08.05.

Otto – Der Neue Film
(Xaver Schwarzenberger, Otto Waalkes, BRD 1987) [stream] 13

großartig

Das Rohr neigt zu biegen!
Das Ohr zeigt nach Süden!
Ein Tor reicht zum Siegen!
Der Chor schreit im Liegen!
Die Moorleichen fliegen!
Die glorreichen Sieben!
*****
Ottos zweiter Film war noch deutlich mehr bemüht als später DER LIEBESFILM. Aber: Mir ist jetzt erst wirklich bewusstgeworden, dass Otto in all seinen Filmen einen Obdachlosen spielt oder jemanden, dem die Wohnungslosigkeit mehr oder weniger bevorsteht. In meiner frühen Jugend, als ich seine Filme hoch und runter schaute, habe ich das zwar wahrge-nommen, aber nicht mit einer gesellschaftlichen oder moralischen Konno-tation. Es war schlicht so, ohne dass es bedenklich gewesen wäre. Was ich toll finde. Dass es einem als Kind egal ist, dass jemand ein Loser ist und dass es mal solche Helden gab.

Sonntag 07.05.

La vampire nue / Das Lustschloss der grausamen Vampire
(Jean Rollin, F 1970) [blu-ray, OmeU] 3

fantastisch

Die Utopie: eine Einstellung in der die erwachsenen Männer, die Väter des Films, bedröppelt und verängstigt in der Bildeinstellung vor eine Wand drapiert werden. Es ist ein Moment exquisiter Trunst, in der sich die Erkenntnis des Protagonisten darstellt, dass Väter mit ihren verstörenden, sexuellen Exerzitien hinter verschlossenem Vorhang nicht potent, sondern verbohrte arme Würstchen sind, die Frauen nicht erkennen lassen wollen, dass diese ganz normal sind und ihnen stattdessen eine Welt voller absurder Masken und Wissenschaft vorspielen. Ein Meisterwerk des surrealen Films, in dem sich der Trünstler exqisite, der Rollin ab diesem Film sein wird, mit der Laufzeit langsam herausschält. Heißt: Ein bunter, expressiver Film vergilbt während seiner Laufzeit vor unseren Augen.

狂い咲きサンダーロード / Crazy Thunder Road
(Ishii Sōgo, J 1980) [stream, OmU]

großartig

Rocker, Faschisten und die Männer-die-ihre-Bedrohlichkeit-aufgeben-nur-um-dann-von-ihrer-Freundin-verlassen-zu-werden–die Adrenalinrockoper. Mehr dazu bei critic.de.

Sonnabend 06.05.

Babe / Ein Schweinchen namens Babe
(Chris Noonan, USA/AUS 1995) [DVD] 2

gut

Ein knuffiges Propagandavehikel gegen Fleischkonsum, das uns redende Tiere näherbringt und damit aus Menschen Wölfe macht, die die Helden des Films zum Verzehr töten. Und mit welcher arglosen Unschuldsmine dies gemacht wird, ist schlicht beeindruckend … und eben knuffig.

The Hunger Games: Mockingjay – Part 2 / Die Tribute von Panem – Mockingjay: Teil 2
(Francis Lawrence, USA 2015) [3D-blu-ray, OmU]

nichtssagend

Es ist bezeichnend, dass der Punkt auf den die vier Filme hinarbeiten, ein Ausbruch unversöhnlichen Wahnsinns hätte sein können oder irgendwas Anderes, bei dem die Paranoia mit Krakenarmen um sich schlägt oder halt völlig in sich zusammenbricht. Bzw. wird genau ein solcher Punkt erreicht, an dem sich all dies realisiert – Donald Sutherlands Lachen ist wirklich mega unangenehm und das einfältige, supersimple Happy End, das alle unangenehmen Gefühl zu befrieden versucht und uns erklärt, dass gerade eben nichts Wahnsinniges geschah, dieses Happy End schreit förmlich danach, dass wir den Aufstieg eines durchtriebenen Strippenziehers erlebten, vor dessen Triumph Katniss (Jennifer Lawrence) und der Film BRAZIL-artig die Augen verschließen – nur liegt dann ein viel zu langer, viel zu mauer Actionfilm hinter uns, wodurch es schlicht egal geworden ist.

Freitag 05.05.

Otto – Der Liebesfilm
(Otto Waalkes, D 1992) [stream] 14

großartig

Ich kann mir nicht ansatzweise vorstellen, wie der Film wirkt, wenn der Zuschauer nicht die ständig parodierten Werbefilme kennt und nicht mit ihnen bombardiert wurde, aber zum Glück gehöre ich nicht zu dieser Kategorie und kann diese selbstbewusste, lustvolle und entspannte Otto-Kalauerparade durchgängig genießen. Und die schönste Erkenntnis meiner Kindheit: im Himmel wird Megadrive gespielt … wie bei mir zu Hause auch.

The Hunger Games: Mockingjay – Part 1 / Die Tribute von Panem – Mockingjay: Teil 1
(Francis Lawrence, USA 2014) [3D-blu-ray, OmU]

ok

Mitunter ein sehr spannender Film über eine machtlose Propagandafigur, die zur potenten Kriegsfigur inszeniert wird, womit MOCKINGJAY auch ein fatalistischer Politthriller ist, in dem zwei Seiten mit nicht ganz so unterschiedlicher Machtpolitik gegeneinander kämpfen … oder gar ein Film, der seine eigene Machart entzaubernd vorführt. Ein Film, in dem Liebe durch den politischen Kampf zerstört wird. Und die Hangingtree-Musiknummer ist dann auch ein Beispiel wirklich sehr effektiver, berührender Propaganda. Aber statt die eigenen Widersprüche auszuarbeiten oder alles mit ihnen vollzustellen, dümpelt das grundlegende Melodrama in einem selten ansehnlichen Film vor sich hin und überhaupt geilt sich Francis Lawrence an seinen Parallelmontagen auf, bis es kaum noch auszuhalten ist. Weshalb das Vorgehen gegen sich ein wenig zu effektiv scheint.

Donnerstag 04.05.

Scooby-Doo 2: Monsters Unleashed / Scooby-Doo 2 – Die Monster sind los
(Raja Gosnell, USA 2004) [stream, OmeU]

nichtssagend

Wie der erste Teil sieht das teilweise fürchterlich aus, die Figuren sind völlig verschenkt, die Darsteller noch mehr und auch die Geschichte dreht sich ahnungslose um irgendwelche Motive – dieses Mal: niemand möchte er selbst sein und jeder muss zu der Erkenntnis kommen, dass er/sie so gut ist, wie er/sie ist. Im Gegensatz zum ersten Teil funktionieren hier aber wenigstens ab und zu die teilweise überraschend guten Pointen.
Am besten gefällt mir aber, wie die schöne, junge Frau bekommt eine Brille aufgesetzt und alle behandeln sie, als wäre sie ein unansehnliches Mauerblümchen-Trope an die Grenzen des Absurden gebracht wird. Linda Cardellini trägt Klamotten und Accessoires, die einem Nerd-Fetisch-Katalog entsprungen scheinen. Ihre Velma ist nicht nur die einzige halbwegs funktionierende Figur, auch ist sie zu jeder Zeit die charmanteste und attraktivste. Ihr Lächeln ist zuckersüß … und trotzdem tun alle so, als wäre sie ein seltsames Pummelchen. Sensationell.

Mittwoch 03.05.

Aladdin and the King of Thieves / Aladdin und der König der Diebe
(Tad Stones, USA 1996) [stream]

nichtssagend

Der Dschini ist nur mehr postmodernes Referenzfeuerwerk, das immer hilfloser mit Überdrehtheit und bekannten Fragmenten aus Film und Fernsehen gegen die Trübnis des Rests ankämpft.

Les Nuits de la pleine lune / Vollmondnächte
(Éric Rohmer, F 1984) [DVD, OmU] 2

gut +

Wortgewandt lügt sich unsere Hauptdarstellerin (Pascale Ogier) in die Taschen – sie lebt mit ihrem Freund in der Banlieue in einer modernen, aufgeräumten Erwachsenenwohnung, möchte gleichzeitig ihre Studentenbude im Herzen Paris‘ nicht aufgeben, um sich ihre Jugend und Unabhängigkeit zu bewahren. Auch mal allein wolle sie sein, wobei sie aber halbpanisch ihr Telefonbuch durchgeht, wenn jemand am Freitagabend dann doch mal keine Zeit für sie hat. Zwei Frauen rauben einem die Seele, zwei Wohnungen den Verstand, ist das Motto dieses Beitrags des Komödien und Sprichwörter-Zyklus. Rohmer ist dabei nicht ganz so giftig wie in seinen Filmen zuvor, und am Ende läuft es darauf hinaus, dass die kleinen Miniaturen zwischenmenschlicher Verstrickungen im Kampf zwischen Ratio und Lust bekannte Muster bestreiten.
Rohmer behält aber sein Auge für tolle Hauptdarsteller. Féodor Atkine spielt nicht mehr mit und es gibt niemanden mehr mit seiner geilen Körperlichkeit, aber dafür gibt es Pascale Ogier mit ihren ewig toupierten Haaren, ihren riesigen gewölbten Augenlidern, dem unendlichen Weiß ihrer Augen und der fragilsten bestimmten Stimme ever. Alleine den Schauspielern zuzusehen und ihrer gegenseitigen Chemie ist eine Augenweide.

Dienstag 02.05.

The Return of Jafar / Aladdin 2: Dschafars Rückkehr
(Alan Zaslove, Tad Stones, Toby Shelton, USA 1994) [stream]

nichtssagend

Der erste Teil nochmal, nur nicht mit Aladdin, sondern Jago in der Hauptrolle und ohne auch nur den Versuch mehr zu sein, als ein billiger Nachklapp.

Herrscher ohne Krone
(Harald Braun, BRD 1957) [blu-ray, ≠]

großartig

Ein Film, der in der Mitte zwischen Kriegsende und 1968 veröffentlicht wurde und irgendwo den Weg von einem zum anderen darstellt. Finde ich. Aber eben auch ein tolles Drama. Mehr dazu bei critic.de.

Montag 01.05.

Anastasia
(Gary Goldman, Don Bluth, USA 1997) [stream]

nichtssagend

Zu seiner Zeit wollte ich nichts von ANASTASIA wissen, weil der Film sicherlich von der ach so armen Zarenfamilie Romanow handeln würde, die, wie ich nun sah, natürlich keine grundlegende Ursache für eine Revolution gegeben hatte und nur dem Fluch Rasputins zum Opfer fielen, der seine Seele verkaufte, um sich wegen irgendwas zu rächen. Jetzt wo ich ihn gesehen habe, mit seiner mauen Geschichte, seinen charmefreien Figuren, trüben Liedern und nachlässigen Zeichnungen – die Gesichter sind nur einen Schritt von Pünktchen, Pünktchen, Komma, Strich entfernt – finde ich, dass die Form dann doch zum Inhalt passt. Don Bluths Namen im Vorspann gelesen zu haben, gab mir zwar etwas Hoffnung, die jedoch nicht lange anhielt. Auf der Habenseite steht letztlich nur: die Handlungsorte und die Bildgestaltung jenseits der Figuren, die ziemlich schön waren.

The Great Wall
(Zhang Yimou, USA/CHN/J 2016) [3D-blu-ray, OmeU]

ok

Ein westlicher Individualist lernt chinesischen Gemeinschaftssinn als ausfüllende Lebenseinstellung schätzen und erlebt Abenteuer mit Monstern, Bomben, Akrobatik, den Falltüren des Egoismus und von Freundschaften. Ein geradliniges Hollywooddrehbuch trifft auf einen Regisseur, der zwar Pace und gängige Schönheit zu bieten weiß, aber – da er sich der Gradlinigkeit der Geschichte anpasst – seinen Film mehr verwaltet als ihn zum Abenteuer zu machen.

April
Sonntag 30.04.

The Lighthouse / Der Leuchtturm
(Robert Eggers, USA/CA 2019) [blu-ray, OmeU] 2

großartig

Ein Film über Furzen, Pissen, Wichsen, Körperflüssigkeiten, Sauflieder, Wahn, Schleim, Tod, Verwesung und das Quäntchen von H.P. Lovecraft in unserem Lusthaushalt und in der Wahrnehmung unserer Identität.

Sonnabend 29.04.

Balada triste de trompeta / Mad Circus – Eine Ballade von Liebe und Tod
(Álex de la Iglesia, E/F/I/B 2010) [blu-ray, OmU]

großartig

Die Zeit unter Franco als groteskes Säurebad, in dem es keine Gewinner gibt, sondern nur tollwütige Clowns, deren einziges Streben die gegenseitige Vernichtung ist, und Beistehende, die unter deren Wüten zerstört werden. Dementsprechend ist BALADA TRISTE DE TROMPETA keine ruhige, abwägende Annäherung an persönliche Schicksale und einen Gefühlshaushalt unter dem Faschismus, sondern ein zunehmend durchdrehende Parallelmontage, die kein Ventil für Ausweglosigkeit und Frust bietet, sondern uns von allen Seiten attackiert und sich unerbittlich hochschaukelt – weshalb es als buntes Abenteuer beginnt und irgendwann in grelle Bitternis umschlägt. Und damit ist es schlicht ein(e Art) Schlüsselwerk über spanische Geschichte und menschliches Zusammenleben.

The Hunger Games: Catching Fire / Die Tribute von Panem – Catching Fire
(Francis Lawrence, USA 2013) [blu-ray, OmU]

nichtssagend

Nach zwei Filmen wie MANTA MANTA – ZWOTER TEIL und BALADA TRISTE DE TROMPETA wirkt dieser Übergangsfilm, der zuvorderst vom ersten Teil zum Abschluss überführt und in dem eine – wenn auch nicht unbedingt schöne – Vision eines Regisseurs gegen ein nettes Verwalten eingetauscht wird, umso trister.

Freitag 28.04.

Manta Manta – Zwoter Teil
(Til Schweiger, D 2023) [DCP]

verstrahlt

Gewissermaßen handelt es sich nicht nur um die Fortsetzung von MANTA MANTA, sondern gleichzeitig um HONIG IM KOPF – ZWOTER TEIL. Mit der Doppelrolle Tils als Regisseur und Hauptdarsteller wird aus Ersterem eben auch die Vision eines zunehmend dementen Gehirns, das möglicherweise auch noch durch Alkohol benebelt ist und das sich seine Wunschträume ausmalt.
Zuerst einmal ist ZWOTER TEIL schlicht ein Film von Regisseur, Cutter und Drehbuchautor Til Schweiger – mit Erfüllungsgehilfen in allen Bereichen, mit den entsprechenden Merkmalen. Demzufolge sieht das Ergebnis aus wie ein langgezogener Jever-Werbespot, der mit einem Einrichtungskatalog gekreuzt wurde. Die Musik schwankt zwischen kitschigem Indie-Erhabenheitsgeklimper und Eurodance-Hits, die grob und idiosynkratisch Nostalgie auftragen sollen. Der Schnitt und die dadurch verbundenen Einstellungen wirken nicht ganz wie per Zufallsgenerator vorgenommen wie bei anderen Barefoot-Filmen, sind aber trotzdem noch erratisch, avantgardistisch, kaum erträglich. Und das Drehbuch richtet den Ensemblefilm des ursprünglichen Films nur mehr auf seinen Hauptdarsteller aus, der von unzähligen Wasserträgern umgeben ist, deren Aufgabe lediglich darin besteht, ihn toll zu finden.
Dass die Komik noch viel, viel hemmungsloser ins Infantile kippt als beim Vorgänger, braucht eigentlich keiner weiteren Erwähnung. Durch Tils Darstellung von Bertie wird es aber zur interessantesten Veränderung. Bertie war in Wolfgang Bülds Film – zu Beginn von Til Schweigers Stardom – kein Held, sondern eine tragische Figur. Und irgendwie scheint dies für den Til Schweiger von heute zu bedeuten, dass er damals eine komische, wenn nicht gar eine Witzfigur darstellte. Anders lässt sich schwerlich erklären, warum er sich in die Pointen völlig benommen reinlegt, dabei debil grinst und auch noch die Zunge keck und von sich und seiner Geilheit halbbenommen zwischen seine Zähne steckt. Bertie ist so wie Klausi (Michael Kessler) der Dumme August des Films. Nur dass ihn alle toll finden und er am Ende in wirklich allen Bereichen triumphieren darf. Diese Disparität zwischen einem Mann, der durch sein verwirrtes Lächeln geistig nicht mehr völlig auf der Höhe scheint und dessen kognitive Fähigkeiten sich langsam aber sicher zu verabschieden scheinen, und seinem zwischenmenschlichen, sportlichen und monetären Erfolg machen aus MANTA MANTA – ZWOTER TEIL die Vision der wirklichkeitsverlustigen Selbstwahrnehmung seiner Hauptfigur und womöglich seines Hauptdarstellers.
Und das heißt, dass der Film vor allem schmerzhaft ist. Zwischen der zu vermutenden Intention und der Wirkung, zwischen dem Scheitern des Textes und der Reichhaltigkeit des Subtextes klafft eine solch enorme Schere, dass eine Bewertung nach gut und schlecht zwangsläufig scheitern muss. Ganz nach dem Aphorismus aus Bressons NOTIZEN ZUM KINEMATOGRAPHEN – Das Wichtige ist nicht, was sie mir zeigen, sondern was sie mir verbergen, und vor allem, was sie nicht in sich vermuten. – ist hier scheinbar das Entscheidende, was sie anscheinend nicht in sich vermuten – wobei natürlich festzuhalten ist, dass sowas wie der Raubüberfall, wo ein Gehilfe Berties vor Ort dringend kacken muss, weil er zu viel Döner aß, und nur Schleifpapier zum Hinternabwischen in der Werkstatt vorfindet, während Klausi gleichzeitig einem türkischen Patriarchen zur Ablenkung Manta-Witze erzählt, einfach ein dadaistisches Meisterwerk ist. Es bleibt also das Staunen vor einem tolldreisten Tohuwabohu und der Schmerz, jemanden dabei zuzusehen, der unbedingt, mit allen Mitteln gemocht und anerkannt werden möchte, aber mit der entrückten, zwanghaften Fantasie seiner Potenz eher nahelegt, wie klein und verlassen er sich innerlich fühlen könnte.
Lukas F. fragt auf letterboxd, wie die Alternative hierzu hätte aussehen können. Wäre Til Schweiger nicht verantwortlich, dann wäre MANTA MANTA 2 wahrscheinlich ein nach allen Seiten abgesichertes, gesichtsloses Designerprodukt geworden. So haben wir einen Film, der zwischendrin ganz unbedarft zur Bud Spencer und Terence Hill-Prügelkomödie mutiert, der völlig brüchig und bedingungslos eigen ist, der einen Sohn einführt, der wie der Sohn Rockys gnadenlos für die Dramaturgie instrumentalisiert und mit Tim Oliver Schultz nur bedingt nach Sympathien strebend, sondern als Klotz am Bein unseres Helden besetzt wird. Die Veränderungen zwischen 1991 und 2023 hätten wahrscheinlich beide Filme kommuniziert, nur ist Til Schweigers-Film keine Erfolgsgeschichte, sondern eine Erinnerung an Zeiten als der Mainstream noch völlig idiosynkratisch sein konnte (vergleichbar, aber mit ganz anderen Vorzeichen: die beiden Super-Mario-Bros-Filmen von 1993 und 2023), ein passendes Zeitbild über die Wahrnehmung anderer Menschen, die nur mehr als Like-Geber wahrgenommen werden, und einfach nur eine sehr eigene Erfahrung, die gerade im Scheitern mehr über Nostalgie, Misserfolg und die Unfähigkeit, sich lösen zu können, sagt, als jeder andere vergleichbare MANTA MANTA-Film.

The Benchwarmers / Die Bankdrücker
(Dennis Dugan, USA 2006) [stream, OF]

gut

Rob Schneider spielt einen intelligenten, talentierten, angesehenen Alleskönner, auf den zu Hause eine Modelschönheit wartet und der er – wegen eines Traumas – den Geschlechtsverkehr verwehrt, und nicht sie ihm, weil sie es mit Rob Schneider zu tun hat. Im Grunde spielt er also die Adam Sandler-Rolle – und das wohl auch nur, weil Sandler Schneider und David Spade in einen Film stecken wollte, auf das sie sich versöhnen. Ein Vorhaben so tugendhaft wie der Film, der vor allem ohne großes Drama und große Pointen von der Tugend des Nett-Seins erzählt.

Donnerstag 27.04.

Roter Himmel
(Christian Petzold, D 2023) [DCP]

fantastisch

Lockere, offene Menschen (u.a. Paula Beer) machen in einem Sommerhaus Urlaub an der Ostsee – oder sie arbeiten als Rettungsschwimmer bzw. Eisverkäufer etwas nebenher, während die Sonne drückt, die Insekten summen und die Zeit unbestimmt und entspannt vorbeifließt. Und zwischendrin der gehemmte, egozentrische Schriftsteller Leon (Thomas Schubert), der bei seinen Freunden und den neuen Bekanntschaften keinen Anschluss findet, der keinen Anschluss finden möchte, weil er sich in irgendwelche Gräben aus Angst, Zurückhaltung und Missgunst manövriert. Quasi für ihn brennt der Wald der Umgebung, wodurch das Idyll des Urlaubs ständig bedroht ist. Einerseits ist ROTER HIMMEL ein schmerzhaftes Erlebnis, da Leon immer wieder vor der Offenheit der anderen steht und teilhaben möchte. Weil sie ihn einladen, Teil von ihnen zu sein, und nicht verstehen können, was das Problem ist. Weil sich Petzold geradezu virtuos mittels einer Dramaturgie aus Musik und Stille, aus Deutlichkeit und Verschweigen den Gefühlen zärtlich annähert und diese doch drückend alles bestimmen lässt. Aber auch, weil Petzold Leon kaum sympathische Züge zugesteht. Weshalb dies nie zur simplen Opfershow wird und er sich seine Ambivalenz bewahrt. Gerade im Ende, das sich nicht zwischen Petzolds Unbestimmtheit und Leons literarischer Dampfwalze zu entscheiden weiß.

Mittwoch 26.04.

Le viol du vampire / Die Vergewaltigung des Vampirs
(Jean Rollin, F 1968) [blu-ray, OmeU] 2

gut

Als ich LE VIOL DU VAMPIRE vor acht Jahren das erste Mal sah, war ich überrascht, wie sehr Rollin schon mit seinem ersten Film seine Filmsprache einzusetzen wusste. Dieses Mal war ich im Gegenteil überrascht, wie fremd sich sein Langfilmdebüt noch anfühlt. Und im Grunde trifft beides zu. So zeichnen sich seine späteren Filme deutlich ab, nur die grundlegende Abspeck-ung fehlt noch. Die Bilder und der Schnitt streben noch deutlicher zu einem verträumten, blumigen Surrealismus und die Handlung ist völlig mit Figuren sowie Wendungen überladen und verliert sich in beliebiges Mäandern.
Ich glaube es war Milan Kundera, der im Kafka behandelnden Kapitel von VERRATENE VERMÄCHTNISSE urteilte, dass die Literatur des frühen Surrealismus sich abmühte das Gefühl eines Traums zu vermitteln, während es Kafka – von Breton und Co. noch unentdeckt – schon vollendet hatte. Aber auch die von den Surrealisten verehrten FANTÔMAS-Romane waren schon weiter als DIE MAGNETISCHE FELDER von André Breton und Philippe Soupault,* der kruppstählerne Aufbruch und Hauptwerk des Surrealismus. LE VIOL DU VAMPIRE entspricht in seinem Ansatz der Orientierungslosigkeit des automatischen Schreibens und seinem filmischen Äquivalent L’ÂGE D’OR von Luis Buñuel. Erst in LA VAMPIRE NUE ein Jahr später wird Rollin die verträumte Klarheit erreichen, die sein Werk entscheidend prägen wird.
*****
Dieses Denk-Diktat ohne jede Kontrolle durch die Vernunft, jenseits jeder ästhetischen oder moralischen Bedenken hört sich theoretisch ganz interessant an, ist in seiner Abfolge geschwätziger, nichtssagender Absätze wie dem folgenden, die ohne rote Linie vor sich hinplappern, kaum aushaltbar: Die Gänge der großen Hotels sind verlassen, und der Rauch der Zigarren verbirgt sich. Ein Mann steigt die Stufen des Schlafs hinab und bemerkt, dass es regnet: die Fenster sind weiß. Man weiß, dass neben ihm ein Hund liegt. Alle Hindernisse sind abwesend. Da ist eine rosa Tasse, ein gegebener Befehl, und ohne Eile drehen sich die Diener. Die großen Vorhänge des Himmels öffnen sich. Ein Summen unterstreicht diese überstürzte Abreise. Wer kann so leise laufen? Die Namen verlieren ihre Gesichter. Die Straße ist nur ein verlassener Weg. (Die Romane Philippe Soupaults – nicht nur ohne, sondern gegen Literaturfeind Breton entstanden – sind dann die deutlich interessanteren.)

Dienstag 25.04.

Gold
(Thomas Arslan, D/CA 2013) [blu-ray]

gut +

Mit der Musik hat sich Arslan sicherlich einen Bärendienst erwiesen. Denn mit dieser drängt er sich ins Fahrtwasser von DEAD MAN. Und mit jedem schrammligen Gitarrenakkord ruft sich Jarmuschs Western ins Gedächtnis und gibt GOLD die Aura des Nachahmers. Dabei ist Arslan ein schöner Film über Westerntropen gelungen, die ins Nichts führen. Einen Treck mit einem garstigen Weib sehen wir, die jede Freizügig- und Freigeistigkeit mit Argusaugen verfolgt. Einen Treck mit einem saufenden, bigotten Rassisten, der alle ins Verderben reiten wird. Einen Treck mit einem Verlorenen, der von Revolverhelden verfolgt wird. Aber fast alles, was wir aus Western kennen, löst sich einfach auf und wird von einer mitleidlosen Welt geschluckt, die keinen Sinn für menschliche Pläne hat. Eine existentielle Auslieferung erleben wir, in der jeder Blick auf die Natur auch einen klein wenig Hohn bereithält …, weil sie eben nicht so harmonisch ist, wie sie in den Bildern scheint. Und was dann noch schwerer wiegt als die Musik, ist der Umstand, dass Arslan es nicht sein lassen kann und GOLD im Drama enden lässt. Denn Film davor mochte ich mehr.

Montag 24.04.

Jaider, der einsame Jäger
(Volker Vogeler, BRD 1971) [DVD]

ok +

Eine der markantesten Szenen von Spielbergs THE FABELMANS ist die, in der John Ford (David Lynch) dem jungen Spielberg (also Gabriel LaBelle als Sammy Fabelman) erklärt, dass Einstellungen, in denen sich die Horizontlinie oben oder unten befindet, interessant seien, wären eine Horizontlinie in der Mitte langweilen würde. So gesehen ist JAIDER ein sehr interessanter Film. Immer wieder bildet der Kamm einer Almwiese den sehr nahen Horizont, über dem nur Wolken und das Blau des Himmels warten. Diese Linien befinden sich aber nicht nur unten und oben in den Bildern, sondern laufen auch noch schräg und bilden mit Berggipfeln, die doch manchmal im Hintergrund lugen, kubistische Gebilde.
Und das ist nur eines der überspannten Bildgestaltungsstrategien, die Vogeler anwendet. Frontale Portraits, elegische Kamerafahrten, ein kubistischer Schnitt, der keinen Fluss entstehen lässt, sondern die Bildinhalte ineinander verkeilt, mal umhüllender Nebel und dichte Wälder, mal (eingekesselte) Weite: so gesehen JAIDER ist wirklich ein sehr interessanter Film. Ein wenig wie ein Film von Werner Herzog … dem nur leider der Sinn für die eigene Absurdität und der obsessive Wahnwitz abgeht.
So ist die Geschichte eines Rebell (Gottfried John als Jäger Jaider), der die fürstlichen Besitzansprüche auf die Welt nach dem Deutsch-Französischen Krieg in Frage stellt, sich in Wald als Guerilla-Existenz zurückzieht und von einem ehemaligen Freund (Rolf Zacher) gejagt wird, der nur aus dem Hinterhalt schießt und, weil ihm nichts Besseres einfällt, Jaiders Familie immer wieder entführt, der also den epischen Bildern mit ihren epischen Dialogen (im Sinne von Brecht) ein klägliche, repetitive Kleinheit einverleibt, arg karg, simpel und öde.

Sonntag 23.04.

Die drei Ausrufezeichen
(Viviane Andereggen, D 2019) [stream]

ok +

Die (im weiteren Film etwas blassen) Figuren werden mittels einer kleinen Action-Komödie eingeführt. Danach sind sie aber einfach nur DIE ??? als Mädchen. Hier und da blitzt dabei in einzelnen Szene das Gefühl für Schauwerte auf, aber Menschen bleiben dem Film bis zum Ende fremd.

Pauline à la plage / Pauline am Strand
(Éric Rohmer, F 1983) [DVD, OmU] 2

großartig

Wenn Pauline erstmals am Strand ist und fast alle Protagonisten der jeder liebt jemanden anderen als den, der in ihn verliebt ist-Komödie erstmals aufeinandertreffen, erzählt Rohmer mit wenigen Schnitten und Mise en Scène-Entscheidungen, das Grundgerüst der Handlung. Den darauffolgenden Film reden sich die Charaktere um Kopf und Kragen, reden sich ihre Entscheidungen schön oder gegen diese an. Sie machen sich gegenseitig Vorwürfe und benehmen sich wie Leute, die sich als intelligent verstehen, aber ihren Trieben, Gelüsten und emotionalen Ausbrüchen nur monströse verbale Luftschlösser entgegenstellen können. Auch das hatte Rohmer seinem Film mit dem entsprechenden Sprichwort vorangestellt – Wer zu viel spricht, schadet sich selbst –, aber was in den Worten ganz trocken klingt, macht er zu einem verspielt-sadistischen Genuss menschlicher Unzulänglichkeit.

Sonnabend 22.04.

The Hunger Games / Die Tribute von Panem – The Hunger Games
(Gary Ross, USA 2012) [blu-ray, OmU] 2

ok

Bei den Fortsetzungen hoffe ich darauf, dass die Zurschaustellung der Dekadenz in der Hauptstadt noch viel dekadenter wird und dass es deutlichere Hinweise dafür gibt, dass dies ein Film ist, der die Geschichte der Südstaaten nach dem Sezessionskrieg erzählt. Ansonsten: ein solider Auftakt mit interessanter Wackelkameradramaturgie, welche die Kamera immer weniger wackeln lässt, je mehr sich Katniss Everdeen (Jennifer Lawrence) damit arrangiert, dass sie Teil einer Show ist und sich Darstellung und Realität ihrer Liebe immer weniger unterscheiden lassen.

Freitag 21.04.

Derrick (Folge 265) Zeuge Karuhn
(Peter Deutsch, BRD 1996) [DVD]

gut

Reinecker versucht etwas Humanistisches mit Obdachlosen zu bewerkstelligen. Peter Deutsch – mglweise nur aus Versehen – torpediert die Selbstgefälligkeit immer wieder. Gerade gegen Ende, wenn der Täter überführt ist und alle sich über ihre eigene Geilheit freuen, wird der Obdachlose allein gelassen und vergessen gezeigt. Aber der gute Wille gewinnt eben gleich wieder, wenn Derrick das garstige Bild durchbricht und doch wieder kuschelig nach dem Befinden fragt.

红高粱 / Rotes Kornfeld
(Zhang Yimou, CHN 1988) [35mm, OmU]

gut +

Ein Traum aus Rot und wehender Hirse. Ein Film, in dem Kinder in Schnaps pinkeln und schelmische Lieder und Tänze zum Unwohlsein bei einer Braut sorgen. Ansonsten ein netter Film über den Kampf gegen Japan im II Weltkrieg. Zhang Yimou ganz in seinem Element – er macht Schönheit und hat keine Ahnung, was er mit einem Drehbuch anstellen soll.

Donnerstag 20.04.

Jeunes filles impudiques / Schoolgirl Hitchhikers
(Jean Rollin, F 1973) [DVD, EF]

ok +

Zwischenzeitlich taucht Rollin seinen Sexploitationfilm in ein Fest der Farben. Der Schnitt ist teilweise völlig erratisch und schafft eine ganz eigene Atmosphäre von Leidenschaft – sekundiert von Sexszenen, die eher nach Kannibalismus aussehen. Ansonsten bleibt aber eben die Frage, wieso ein Regisseur, der sichtlich keine Lust und/oder keine Ahnung davon hat, Sex zu filmen, Sexfilme machte.

Mittwoch 19.04.

Les volets bleus / The Blue Shutters m
(Haydée Caillot, F 1989) [blu-ray, OmeU]

ok

Eine Frau trifft auf einen Mann, mit dem sie in ihrer Jugend fast eine Affäre hatte. Nun verbringen sie einen Nachmittag und Nacht miteinander und tun dabei, als ob sie miteinander schlafen wollen, doch nutzen sie die Zeit nur um alte Rechnungen zu begleichen. Vergangenheit als Cock Block.

Dienstag 18.04.

Ferien
(Thomas Arslan, D 2007) [DVD] 2

großartig

GESCHWISTER in eine bürgerliche Idylle versetzt, wo Meister der passiven Aggression aufeinandertreffen und sich zerfleischen, während das Gras und Baumkronen wunderschön in der Sonne wehen.

Montag 17.04.

Outrage
(Ida Lupino, USA 1950) [blu-ray, OF]

großartig +

Junge Frau (Mala Powers) wird vergewaltigt, flieht vor den Blicken in der Kleinstadt und dem eigenen Trauma, kommt in einer Farm unter und findet durch einen Diener Gottes wieder zu sich selbst. Ein wenig wirkt es wie die Episode einer ansonsten verschütt gegangenen Serie und läuft geradlinig und ohne Überraschungen ab. Und doch sind da die eigenwilligen Entscheidungen in der Bildgestaltung … wenn die lachenden Clowns einer Wand voll Zirkuswerbung das Opfer verhöhnen … wenn repetitives Stempeln das Stoßen der Hüften in Erinnerung ruft … wenn die Seligkeit in Gottes Land völlig jenseitig ist … Ein ganz normaler Film eben, der total seltsam ist.

Sonntag 16.04.

Le silencieux / Ich – Die Nummer eins
(Claude Pinoteau, F 1973) [blu-ray, OmeU]

gut

Die Maschine eines Hitchcock-Agenten-Thrillers, die wie geschmiert läuft … und in dem Pinoteau durchbricht, wenn Vorgesetzte völlig arbiträr versuchen klugzuscheißen und damit kurzzeitig eine sinnvolle Unterhaltung kapern, wenn eine sitzengelassene Frau – als trauriger Höhepunkt des Films – die Rechnung ihres Mannes erhält, wenn die wässrigen Augen eines Hundes hinter den Gemüsestiegen in einem entführten Laster hervorlunzen.

The Flame of New Orleans / Die Abenteurerin
(René Clair, USA 1941) [DVD, OF]

ok +

Diese zeitweise ziemlich frivole Gold-Digger-Liebeskomödie verliert in seiner durchgehenden Anstrengungsvermeidung leider mit der Zeit die Frivolität aus dem Blick und ließ mich zunehmend nur mit der Verwunderung zurück, dass wirklich nichts neu ist, weil selbst die Frisur vom Sänger von Flock of Seagulls hier bereits von Bruce Cabot getragen wird.

Sonnabend 15.04.

The Wrong Missy
(Tyler Spindel, USA 2020) [stream, OmeU] 2

großartig

Sobald Lauren Lapkus nicht anwesend ist – aus dramaturgischen Gründen meinen Drehbuch und Schnitt sie zu Beginn und am Ende aus dem Film verschwinden zu lassen – wird THE WRONG MISSY, ein Film der nur auf Performance aus ist, eine etwas trübe Angelegenheit. Denn niemand liefert auch nur ansatzweise wie Lapkus, quantita- und qualitativ. Der Oscar des Jahres für die beste Darstellerin wurde ihr geraubt.

Freitag 14.04.

Paris on Parade k
(James A. FitzPatrick, USA 1938) [blu-ray, OF]

gut

Wunderschöne Jack-Cardiff-Technicolor-Aufnahmen der Pariser Weltausstellung. Bilder von Offenheit, Größenwahn und einer Welt aus Klischees … kurz bevor die Welt kurzzeitig untergeht.

Symphony in Slang / Nimm’s wörtlich! k
(Tex Avery, USA 1951) [blu-ray, OF]

gut

Ein paar Gags aus den Klo-Witz-Kalendern dieser Welt, bezüglich doppelter Bedeutung und der Bebilderung, wenn jemand die bildliche Symbolik eines geflügelten Wortes nicht kennen würde und sich einen verrückten Hund in einer Pfanne vorstellen würde, in rasender Abfolge.

An American in Paris / Ein Amerikaner in Paris
(Vincente Minnelli, USA 1951) [blu-ray, OF]

großartig

Lange tut AN AMERICAN IN PARIS so, als ginge es ihm, um eine Liebesgeschichte, die sich mit Künstler-in-Paris-Klischees zufriedengibt, nur um immer mehr die Träume und Tanz übernehmen zu lassen, nur um sich am Ende ausgiebig der Ekstase von Farben, Formen und Bewegung hinzugeben. Die Apotheose leichter Unterhaltung.

Der Kongress tanzt
(Erik Charell, D 1931) [blu-ray] 2

fantastisch

Fürst Metternich (Conrad Veidt) verwandelt Wien in einen Puff, um die Könige und Fürsten abzulenken und damit Europa nach seinen Vorstellungen ordnen zu können. Und während alle ihren Träumen von Liebe nachhängen, die ihnen ihr Zuhälter Metternich äußerst schäbig verkauft und die trotzdem ihre eigene Zärtlichkeit entwickeln, wartet die verkaterte Ernüchterung. Ein Meisterwerk.

Lèvres de sang / Lips of Blood
(Jean Rollin, F 1975) [blu-ray, OmeU] 3

fantastisch +

Essentiell handelt es sich bei LIPS OF BLOOD um einen psychologischen Paranoia-Coming-of-Age-Vampire- Mystery-Thriller. Ein Thomas Gottschalk ähnelnder Mann (Jean-Loup Philippe) erinnert sich beim Anblick eines Bildes – einer Parfümwerbung, weil Gerüche sehr intensive Träger von Erinnerungen sind – an eine Episode aus seiner Kindheit. Er übernachtete in einem Schloss und verliebte sich in ein Mädchen (Annie Belle), das er dort traf. Doch wie seine sonstigen Erinnerungen ging dies in Folge des Todes seines Vaters verschütt … welchen er mglweise verursachte, weil er das Mädchen, einen Vampir, diese Nacht frei ließ.
Unser Held begibt sich danach auf eine Quest nach dem Ursprung seiner Erinnerung und nach dem Mädchen, wobei zwei Mächte um ihn kämpfen. Einmal sind da die Agenten seiner Mutter (Natalie Perrey), die alles töten, was ihm auf seinen Weg weiterbringen könnte und was ihn mit Sex in Verbindung bringt. Auf der anderen Seite sind da die Vampire und die Agenten der Träume, des Sex und der Ahnung, dass mehr hinter der leblosen Hülle der Dinge lauert, … die allesamt aus Lust töten. Es ist der Kampf zwischen staatlichen/verschwörerischen Kerkermeistern und einer romantisierten Pest, zwischen einem sauberen, sicheren Leben und dem Ausbruch in eine unsichere, wilde Welt.
Womit wir eben einen Mann erleben, der erst zurzeit seiner zu erwartenden Mid-Life-Krisis – Jean-Loup Philippe ist Jahrgang 1934 und die vierzig Jahre sind ihm durchaus anzusehen – aus seiner behüteten Kindheit ausbricht und das Abenteuer der Jugend erlebt. Und das sich darin verwirklichende Ineinanderfallen von Alter und Jugend, von Zeitlosigkeit und Gegenwart findet sich im Herzen aller Filme Rollins, nur dass es hier seinen formvollendeten Ausdruck erhält.
In den Dekors, in der gemächlichen Geschwindigkeit – gleichzeitig zeremonielles Schreiten und zittriges vorwärts Tasten –, im Zusammenwirken von Kargheit und expressivem Reichtum – so gibt es einen Schnitt, nach dem eine nackte, tanzende Frau den Platz einnimmt, an dem sich zuvor die Mutter befand, ein Schnitt der Freud vor Verzückung in Ohmacht hätte fallen lassen, oder es gibt eine Schießerei in einem ausladenden, in verschiedenen Farben erstrahlenden Brunnen bei Nacht, aber doch verwehrt sich LIPS OF BLOOD diese Tendenz ekstatische Schönheit überhand nehmen zu lassen und lässt stattdessen eine ergötzliche Tristesse walten, die dem übernatürlichen Abenteuer eine naive Kindlichkeit mitgibt –, in seiner reichen Simplizität, ist dies der Film, von dem ich immer mehr den Eindruck habe, dass Rollin auf diesen hinstrebte. … Was eben auch erklären würde, warum er danach drei Jahre damit kämpfte, um wieder einen persönlichen Film zu machen, und warum seine folgenden Filme eben sein Spätwerk darstellen.
Jedenfalls erzählen Rollins Filme von frühvergreiste Jugend oder eben spät sprießende Jugendblüten. Und in beidem fühle ich mich sehr zu Hause.

Donnerstag 13.04.

Porno Holocaust
(Joe D’Amato, I 1981) [blu-ray, OmU]

gut

Wunderschöne Aufnahmen von Menschen auf tropischen Inseln. Vor allem Mark Shannons Torso wird beim Kopulieren wie ein Monument von ekstatischer Anstrengung und Selbstaufgeilung eingefangen. Ansonsten ist das Tollste an PORNO HOLOCAUST aber der Titel, an dessen infernalisches Potential nie auch nur gekratzt wird. Stattdessen gehobene Langeweile, in der nicht genug gelaufen wird, die weder sexy, noch ausreichend drastisch ist.

La Gifle / Die Ohrfeige
(Claude Pinoteau, F 1974) [blu-ray, OmeU]

fantastisch

So sehr LA BOUM 2 eine Fortsetzung ist, so ist es auch eine Art Remake … oder eher Neuinterpretation. Gerade das Hauptthema ist im Grunde das Gleiche wie bei LA GIFLE: Leute, die versuchen ihr Leben in den Griff zu bekommen, ihm eine rote Linie zu geben, dabei aber scheitern – in Folge dessen wirkt auch LA GIFLE erst einmal fahrig. Aber anders als bei LA BOUM 2 ist das Ergebnis viel intensiver. Auch weil der Film nicht von der bunten Seite der 1980er Jahre abgefedert wird, sondern etwas erdiger ist.
Der Vater (nicht Brasseur, sondern Lino Ventura) wird von seiner Freundin verlassen, während er gerade seinen Job verliert. Die Tochter (nicht Marceau, sondern Isabelle Adjani) setzt ihr erstes und wohl letztes Semester der Medizin in den Sand, schwankt zwischen Liebe und Abenteuer, zwischen ihrer Bezugsperson Nummer eins, ihrem Vater, und der Abtrennung vom erstickenden familiären Heim, zwischen sofortiger Unabhängigkeit oder dem Zwischenschritt bei ihrem Freund oder bei ihrer Mutter in England.
Die Konflikte sind klar und mannigfaltig, sie schlagen aber alle in dieselbe Kerbe. Adjani steht vor einer Wegkreuzung und muss sich für einen Weg entscheiden. Sie nimmt einen, wechselt aber doch wieder auf die andere Bahn, nur um es sich gleich wieder anders zu überlegen. Sie hält es schlicht auf keinem der gewählten Lebenswege aus – weil sie den Bruch möchte, ihn aber nicht erträgt. Und mit jedem Wechsel wird der Abstand zwischen den Bahnen größer. Und der Rasen, der zwischen der Abzweigung zertrampelt und zerwühlt wird, wird größer. Immer mehr Leute werden hineingezogen und verletzt. Die Einsätze werden immer höher. Länder werden verlassen, Leute an Flughäfen zurückgelassen.
Auf der anderen Seite ist Lino Venturas Figur bärbeißiger. Nicht dass er nicht einsichtig wäre und auch Flexibilität zeigt, wenn es darum geht, seine Tochter nicht zu verlieren. Aber er ist stolz und geradlinig. Er verfolgt seinen Weg, ohne jemanden Rechenschaft zu geben, ohne auf die Dornen Rücksicht zu nehmen, die in sein Fleisch schneiden.
Das hört sich ziemlich martialisch an und der Film übersetzt es auch wiederholt in Situationen von Aufruhr und Kampf – Studenten werden sich mit der Polizei Straßenschlachten liefern, ein Fußballspiel wird zu einer obskuren Konfrontation führen, in der die unterschiedlichen Ziele zu einer Niederlage für alle führen. Bzw. – und das ist entscheidend – endet das Fußballspiel gar nicht mit einer Niederlage, sondern mit einem Unentschieden. Weil LA GIFLE nicht nur auf die Ohrfeige des Titels zusteuert, sondern immer wieder auch auf Ausgleich und Liebeszuweisungen. Denn gerade weil es Hoffnung und Liebe zueinander gibt, ist die sich immer wieder einstellende Erkenntnis, nicht zusammen leben zu können, umso härter.
Und Isabelle Adjani wird mit ihrem Fahrstil und ihrer Babysitterkunst sichtlich in die Richtung eines verzogenen (End-)Teenagers geschoben, der sich der Konsequenzen seines Handelns nur bedingt bewusst ist. Aber doch ist es dem Pinoteau-Touch zu verdanken, dass dies nie wie eine Verunglimpfung wirkt. Vielmehr wie Lebensenergie … und wie Unsicherheit darüber, wie das eigene Leben aussehen soll. Eine Energie und Unsicherheit, die sich in jedem Lebensalter des Films findet. In den traurigen Augen, den wütenden Schreien und den gesenkten Köpfen, wenn die eigene Unvollkommenheit wieder auf einem wiegt. In den aberwitzigen und/oder albernen Entscheidungen, in der Lust das Schöne und Zärtliche mit offenen, lachenden Armen zu empfangen, egal wie schmerzhaft es enden kann. Weil LA GIFLE den Spagat schafft ein leichter, herzlicher Film voller Quatsch zu sein, aber auch ein tränenabringendes Melodrama.

Mittwoch 12.04.

Two Weeks in Another Town / Zwei Wochen in einer anderen Stadt
(Vincente Minnelli, USA 1962) [blu-ray, OF]

großartig

Eine Karriere geht zu Ende (Edward G. Robinson als der Regisseur Kruger, der inzwischen in Rom statt in Hollywood arbeiteten muss und der nur noch bedingt den Kruger-Touch in seinen Filmen vermitteln kann). Eine andere ist bereits vorbei (Kirk Douglas als Jack Andrus, der nach einer Trennung seine Karriere dem Alkohol geopfert hat). Und eine weitere verglimmt, ehe sie richtig begann (George Hamilton als Davie Drew – d.i.: als Clift- und Dean-Karikatur – der nach anfänglichen Erfolgen die Diva gibt, um seine Angst vorm Scheitern zu überspielen).
Diese drei und ihr Umfeld befinden sich auf ihrem jeweils eigenen Weg der mal krachenden, mal schleichenden Selbstzerstörung, weil sie ihre festgefahrenen Wege weiterverfolgen und letzten Endes das große, üble Ende erwarten, dass sie höchstens hinauszögern. Und überhaupt stützen sie sich am liebsten einfach nur auf die Engel und Teufel ihres Lebens, die Frauen.
Zugleich ist TWO WEEKS IN ANOTHER TOWN ein Film über den Beginn des Endes des Kinos. Hollywood ist ein angezählter Riese. An alte Drehs, an bessere Zeiten wird sich erinnert. Im Kino wird sich getroffen, um die alten Heldentaten zu bestaunen, deren verkrüppelte Nachklapps sie heutzutage produzieren. Jack Andrus versucht zwar in die Zukunft zu schauen, verstrickt sich aber in diesen zwei Wochen wieder in dieses auf Ruinen konzentrierte Umfeld, weil es ihn wie die Motte zum Licht zieht.
Und Minnelli verkauft uns die damit einhergehende Bitterkeit mit nonchalanter Melancholie und ruhigem Klassizismus. Doch geht es ihm letztendlich um ein Ende, das keines ist. Denn diese Bright Side of THE BAD AND THE BEAUTIFUL glaubt tatsächlich an einen Wandel und an die Freude, wenn die Fixierung auf den alten Kram exorziert ist.

The Private Lives of Elizabeth and Essex / Günstling einer Königin
(Michael Curtiz, USA 1939) [blu-ray, OF]

großartig +

Der The Private Lives-Teil des Titels ist blanker Hohn. Queen Elizabeth (Bette Davies) und der Earl of Essex (Errol Flynn) haben vll. zwei oder drei private Momente miteinander, die aber zielsicher in staatstragenden Streitgespräche umschlagen. Denn diese Melodramen-Masterclass – Curtiz inszeniert eine expressive Knochenmühle für nicht zu verwirklichende Gefühle, in der eine Liebender zu seiner Geliebten aus der Hölle emporsteigt, in der er von ihr geworfen wurde, und in der Schatten ihre Träger meterhoch überragen – lässt sich zwei stolze Figuren lieben, die politisch nach dem Kopf des anderen trachten.
Der Earl of Essex gibt sich hemmungslos seiner Selbstverliebtheit hin und möchte der Held des englischen Volkes sein. Er hat die Ambitionen und den Erfolg eines Julius Cäsar. Er möchte sich selbst verwirklichen. Er ist ein Mann in einer Männerwelt. Weshalb er nicht verstehen will, dass seine ganze Existent ein Affront gegen seine Königin ist, in der er nur eine Frau sieht.
Queen Elizabeth zerschlägt in einem Moment blanken Selbsthasses alle Spiegel ihres Palastes. Von Bette Davies wird sie als Hort von spasmischen Ticks gespielt, die psychisch und physisch aufs äußerste angespannt ist. Sie kämpft dagegen an, wer sie ist. Sie ist eine Frau in einer Männerwelt. Weshalb ihre Liebe zu dem Gockel Essex wirkt, als wäre sie eine illusorische Träumerei, als würde sie zu seiner Leichtigkeit gezogen, als wäre es eine weitere Knute, der sie sich hingibt.
Mit dieser Ausgangslage werden das Privatleben und die Liebe von Elizabeth und Essex in eine eiserne Jungfrau von einem sentimentalen Film gesteckt, dessen Dornen von allen Seiten kommen. Ein Melodrama, das sich nicht auf dem Ruhmesschild seines Feminismus‘ ausruht, sondern ihn für noch mehr emotionale Brutalität instrumentalisiert, das optisch in Technicolor-Plüsch gehüllt ist, der wiederum zum Ersticken und Verbrennen seiner Figuren genutzt wird. Und am Ende gibt es nicht einfach nur Tragik, sondern einen bitteren Triumph in dem der politische Sieg einem emotionalen Scheiterhaufen gleicht. Rührseligkeit ist hier zum Lachen des Jokers geworden.

La morte vivante / The Living Dead Girl
(Jean Rollin, F 1982) [blu-ray, OmeU]

großartig +

Zu Beginn wird Giftmüll in einem wahllosen Keller entsorgt, in dem eben Särge stehen und die sich nach dem Austreten der Soße aus einem der Fässer öffnen. Dieses Umweltschutz-Zombie-Thema ist aber lediglich Ausgangspunkt für den folgenden romantischen Rollin-Vampir-Film. Dieser spielt in einer verlassenen herrschaftlichen Villa im Nirgendwo – das Urbane des Auftakts bleibt ebenso versiegt, wie die Fässer nie wieder eine Rolle spielen. Über allem liegt die Patina des Vergangenen und Unbelebten. Die Villa steht mit Spielzeug und Krimskrams voll, auf denen Staub liegt und an dem der Zahn der Zeit nagt. THE LIVING DEAD GIRL ist ein Rachefilm, in dem sich eine Gestorbene an ihrer Geliebten rächt, weil sie sie im Tod verlassen hat. Es ist aber auch der Film einer Vergangenheit, die zurückgelassen würde und die nun alle Vertreter der Gegenwart und des Lebens attackiert und aussaugt, ohne dass sich an seinem Status etwas ändern würde. Das Ergebnis ist ein lakonisches, gotisch-romantisches Melodrama ohne Kampfgeist, in tieftrauriger Resignation.

Dienstag 11.04.

The Amazing Maurice / Maurice der Kater
(Toby Genkel, UK/D 2022) [DCP]

ok

Dies ist nicht so schlimm, wie die Pratchett-Verfilmungen, die ich bisher allesamt nur angefangen habe oder bei denen ich mich nur traute hineinzustechen. Hier ist es die postmoderne Schlaumeierei, die etwas anstrengend ist und die übertüncht, dass die Geschichte und der weitere Film etwas dünn ausfallen. Ansonsten aber wenigstens kein Stahlerlebnis. Auf der Habenseite findet sich aber vor allem, dass Lotti Z. (7 Jahre) nun mit dem Rattentod Bekanntschaft gemacht hat. Super.

秒速5センチメートル / 5 Centimeters per Second
(Shinkai Makoto, J 2007) [blu-ray, OmU]

gut

Drei Liebesgeschichten, in denen zwei Protagonisten räumlich und/oder emotional voneinander getrennt sind. In denen Schneestürme oder – trotz körperlicher Nähe – Lichtjahre zwischen ihnen liegen. Mit etwas Abstand finde ich alle drei tatsächlich berührend. Dem ewigen Impressionismus kurzer Eindrücke des Films aber ausgesetzt, die keinen Plot verfolgen, sondern von einer zerbrochenen Welt erzählen, ließen sie mich kalt. Weil mir der romantisch-melancholische Scherbenhaufen viel zu säuberlich aufgeräumt war und er zu sehr mit jedem Bild nach Erhabenheit strebte.

ほしのこえ / Voices of a Distant Star m
(Shinkai Makoto, J 2002) [blu-ray, OmU]

gut

Es ist durchaus witzig, dass der Kurzfilm eines Filmemachers, der sich stark von Wong Kar-Wai beeinflusst zeigt, im Jahr 2046 spielt … lange bevor Wong eben den Film dieses Namens gedreht hatte.

Sonntag 09.04.

すずめの戸締まり / Suzume
(Shinkai Makoto, J 2022) [stream, OmeU]

ok +

Ich bin leider nicht so warm mit SUZUME geworden… Aber alleine für den laufenden Kinderstuhl lohnt es sich schon irgendwie. Mehr dazu auf critic.de.

Sonnabend 08.04.

Ritratto di borghesia in nero / Die nackte Bourgeoisie
(Tonino Cervi, I 1978) [DVD, OmU]

großartig

EIN PLATZ AN DER SONNE, aber nicht von edlen Seelen bevölkert, die durch einen Schatten verführt werden, sondern als dekadentes Schauspiel, in dem sich die inzestuösen, verarmten Reichen mit ihrer sichtlichen moralischen Verkommenheit als die edlen Bürger in einem faschistischen Venedig herausstellen, während die gesetzteren Charaktere sich als gewissenslose Opportunisten offenbaren, die für Aufstieg und gesellschaftliche Spielchen noch zu jeder Niedertracht fähig sind. Ein Film, ein Sumpf aus alles aufschwemmendem Weichzeichner und vergilbten Farben, die hier und da von Grellem zerrissen werden. Am Schönsten: der Schnitt von der Einschlagung eines Kopfes zu einer Portion Vanilleeis, über das eine rote Soße läuft und das der Geschlagenhabenden kredenzt wird.

The Wrong Missy
(Tyler Spindel, USA 2020) [stream, OmeU]

großartig

David Spade spielt einen verklemmten Biedermann, der keinen Alkohol trinkt und auch sonst ein Langweiler ist und der durch ein Wochenende mit einem eskalierten Wirbelwind (Lauren Lapkus) zu unserem altbekannten reuelosen David Spade wird. Die Exposition ist so bieder wie der Abschluss, sobald und solange sich die Figuren aber an den intendierten Positionen befinden und es nicht um Dramaturgie, sondern um wahnwitzige Performances geht, dann ist THE WRONG MISSY ein sensationelles Inferno aus Fremdscham und Hemmungslosigkeit.

Mary Queen of Scots / Maria Stuart, Königin von Schottland
(Josie Rourke, UK/USA 2018) [blu-ray, OmeU]

ok

Mary Stuart (Saoirse Ronan) und Elizabeth (Margot Robbie) werden zum feministischen Schwesternpaar stilisiert. Beide befinden sich in einem höfischen Belagerungszustand, in dem sie sich als weibliche Herrscher von Männern und ihrer Meinungshoheit eingekreist sehen. Immer wieder werden beide durch Montagen verbunden, die ihre sehr eigenen Antworten auf die gleichen Probleme zeigen. Die eine, Mary, brennt im Kampf um ihr Vorrecht als Herrscherin und englische Thronfolgerin alle Brücken um sich ab. Wird nur ein mögliches Zugeständnis ihrer Macht erwähnt – als Teil von Verhandlungen und Kompromissen, um sich Verbündete zu sichern – beißt sie blind vor Wut in die ihr gereichten Hände.* Elizabeth andererseits knebelt ihre Weiblichkeit für ihre gesellschaftliche Rolle. Gerade optisch wird es ihr eingeschrieben. So wurde Margot Robbie wohl besetzt, damit ihre Schönheit entstellt werden kann, womit eben die Weiblichkeit Elizabeth symbolisch zersetzt wird.
Innen- und außenpolitische Probleme als auch religiöse Widersprüche werden ganz dem Hass und der Sympathie für die ferne Leidensgenossin untergeordnet. Schön ist es, wenn MARY QUEEN OF SCOTS Marys Entwicklung und die unentrinnbare Chancenlosigkeit ihrer Situation in zunehmend tristen und unschönen Sexszenen einfängt. Meist folgt der Film aber miefigen Historienschinkenallgemeinplätzen, konzentriert sich auf Unterredungen in kalten Schlössern, die stets den Plot und die Entwicklungen verhandeln und geradezu unterbinden, dass es hier um mehr gehen könnte, als um tragisch gegensätzliche Schwestern.
*****
* Der Film endet mit der Information, dass ihr Sohn sowohl König von England und Schottland werden wird. Dass er damit Frieden zwischen den Ländern bringe. Tatsächlich zeigt Mary Stuarts Charakter im Film aber viel eher das Verhalten, mit dem ihr Sohn James I (mit Abstrichen) und ihr Enkel Charles I (sehr nachdrücklich) Feuer in England legten und damit auch Schottland immer wieder mit hineinzogen. Mit ihren absoluten Herrschaftsansprüchen gossen sie Kerosin auf ein von Widersprüchen durchzogenen Englands und lösten den englischen Bürgerkrieg aus, der erstmals seit Jahrhunderten wieder einen Krieg auf englischen Boden brachte. Frieden, wenigstens das war ein guter Witz … mit dem bitterer Weise wohl gesagt sein soll, dass James I ein Mann ist und deshalb Frieden erlangt, weil er nicht dieselben Probleme wie seine weiblichen Vorgänger hatte.

Freitag 07.04.

La Boum 2 / La Boum 2 – Die Fete geht weiter
(Claude Pinoteau, F 1982) [blu-ray, OmU]

gut

Die Ehe von Vics Eltern (abermals Claude Brasseur und Brigitte Fossey) ist mal Teil eines hochromantischen Liebesfilms und dann doch wieder ein herzzerbrechendes Melodrama. Vic (Sophie Marceau) selbst verliebt sich, ist sich nicht sicher, kommt ihrem Liebsten näher und pendelt doch wieder von ihm weg. Wohin sich LA BOUM 2 entwickelt, ist nie sicher, da der Haken die einzige Konstante ist. Je nachdem ist das Ergebnis der wenig inspirierte Nachklapp zum ersten Teil oder eine auszuzelnde Erfahrung darüber, dass das Leben und wir selbst keiner klaren Geschichte folgen, sondern mal mehr, mal weniger ratlos nach dem roten Faden suchen und erst mit dem Tod einen Abschluss finden.

Donnerstag 06.04.

Air / Air – Der große Wurf
(Ben Affleck, USA 2023) [DCP, OF]

gut

Bei mir zu Hause steht ein Paar Air Jordans rum, die einer meiner Söhne mal unbedingt haben wollte und die er nach wenigen Wochen schon nicht mehr anzog. Ich hätte bei dem Text auf critic.de also nachtragend sein können. Ich bin jedoch über meinen Schatten gesprungen.

Mittwoch 05.04.

High Society
(Anika Decker, D 2017) [stream]

verstrahlt

Wer eine Welt sehen möchte, die aus alteingesessenen Turboreichen und verarmten Post-68-Hippie-Proletariat besteht, eine Welt, die auf einer Bildschlagzeilenrealität aufbaut, der schaue diese wilde, geschmacklose Sause, die Film nur als grotesken Jux versteht, und vll. lässt sich mit dieser noch mehr die Illusion abbauen, dass Filme irgendwas mit unserer realen Welt zu tun haben müssten. Eine Sause, die mit Max von Thun als eröffnenden und abschließenden Erzähler so gerahmt ist, dass die haarsträubende Handlung zwischen zwei unerreichbaren Gipfeln der Selbstvertrashung fast wieder geistreich wirkt.

Dienstag 04.04.

Murder Mystery 2
(Jeremy Garelick, USA 2023) [stream, OmeU]

gut

Die Fortsetzung ist besser als der erste Teil. So weit so gut. Ich bin aber weiterhin unentschlossen, ob Lazy-Sandler auch Peak-Sandler ist. Sichtlich hat er hier keine Lust groß etwas zu investieren. Aber vll. ist gerade diese Lockerheit auch ein charmanter, entspannter Mittelfinger gegen eine Industrie, die sich aus welchen Gründen auch immer auf Qualität versteift hat.

Montag 03.04.

Just Go with It / Meine erfundene Frau
(Dennis Dugan, USA 2011) [blu-ray, OmeU]

fantastisch

Ich hatte abgespeichert – mich auf Quellen berufend, die ich nicht mehr ausfindig machen kann –, dass der RomCom-Sandler (im Vergleich zu seiner früheren Persona) der gezähmte ist. Weshalb ich mich auf einen ruhigen Abend einrichtete. Wenn dies aber zahm ist, dann hat Adam Sandler vorher John Waters-Filme gedreht, von denen ich nichts weiß. So wird zum Vergnügen des Zuschauers ein weinendes Kind, das sich gerade emotional öffnen wollte, von Sandlers Figur verspottet. Beispielsweise. Und auch sonst sind die Witze auf Tiefschläge, Geschmacklosigkeiten und den Spaß aus, der darin lauert, dass etwas vll. nicht gut funktioniert, aber laut und schrill ist. (Letzteres lässt sich vor allem an Nick Swardsons Performance festmachen.) Erst in den letzten Minuten wird pflichtschuldig die Reißleine gezogen und der Film pro forma in einen stillen, romantischen Hafen gesteuert – der schon eine Ewigkeit in Sicht war und auf den es sichtlich hinauslaufen soll. Die Liebe zwischen den Figuren von Adam Sandler und Jennifer Aniston war ab Mitte des Films nur für sie selbst nicht offensichtlich. Aber alles Edle und Satisfaktionsfähige bleibt bis kurz vorm Schluss auf der Ersatzbank … bis sich voller Leidenschaft am Dubiosen ausgetobt wurde.

Sonntag 02.04.

Song of the Sea / Die Melodie des Meeres
(Tomm Moore, IRL/UK et al 2014) [blu-ray]

ok +

Es sieht schon ziemlich gut aus – irgendwo zwischen mittelalterlicher und Kinderbuchillustration – und die mythisch überhöhte Trauerarbeit ist eigentlich auch toll. Aber am Ende wurde nicht viel investiert – wir erleben eine kleine Abenteuerreise, die sich anfühlt als würde der Garten nicht verlassen, obwohl doch Kilometer hinter sich gebracht und mehrere Reiche durchwandert werden sollen –, weshalb sich SONG OF THE SEA schlicht auf der netten Seite befindet.

Lèvres de sang / Lips of Blood
(Jean Rollin, F 1975) [blu-ray, OmeU] 2

fantastisch

Es ist absurd: LÈVRES DE SANG ist vll. der Film Rollins, in dem er all seine Motive formvollendet verwebt. Es ist der auf gewisser Weise sein bester Film. Und gerade deshalb fällt es mir schwer zu sagen, dass es mein Liebster sei, weil diese Perfektion – im Kontext des Werks Rollins – mich stört. (Vll. liegt es aber daran, dass mich Hauptdarsteller Jean-Loup Philippe an Thomas Gottschalk erinnert.)

Sonnabend 01.04.

The Cotton Club / Cotton Club Kinofassung
(Francis Ford Coppola, USA 1984) [blu-ray, OmfU]

großartig

Der Vorspann: kalte Designs mit den Infos alternieren mit Tänzern in einem heißen, roten Licht. Der Film: ein weißer Cornett-Spieler (Richard Gere) mit seinen Problemen in der Liebe und mit Gangstern sowie ein schwarzer Tänzer (Greogory Hines) mit seinen Problemen in der Liebe und mit Gangstern. Angereichert wird es mit Motiven von Familienzwistigkeiten und sich liebenden Ersatzfamilien, vom Willen zum Aufstieg und dem damit einhergehenden Verrat an sich selbst, machtvolle Trennlinien (eines allgegenwärtigen Rassismus) und deren Überschreitung, Nostalgie und deren Ausstellung in künstlicher und kunstvoller Inszenierung, Stars und Sternchen (der Unterwelt) in den ausgehenden 1920er und frühen 1930er Jahren. Vor allem gibt es aber sehr viel Musik und Tanz … und vielleicht liegt es daran, dass ich THE COTTON CLUB mit dem Kopf sehr mochte, er sich aber noch nicht so ganz entfalten wollte … weil mir gerade der anstrengende, verrannte Coppola mehr mundet, als der leichte, verspielte, der seine Motive von Dualität ohne Anstrengung und Zwang jongliert.

Helle Nächte
(Thomas Arslan, D 2017) [DVD]

gut +

Nach dem Tod seines Vaters unternimmt Michael (Georg Friedrich) mit seinem jugendlichen Sohn Luis (Tristan Göbel) einen Trip durch Norwegen. Er sucht Nähe, nachdem beide lange keinen Kontakt hatten. Es soll nicht so stumm enden, wie zwischen ihm und seinem Vater. Nehme ich an. Denn diese offensichtliche Intention Michaels wird nie ausgesprochen. Weil Dialoge in HELLE NÄCHTE schlicht nicht die Aufgabe haben, dem Zuschauer etwas zu erklären. In den Worten teilen sich nur die unüberwindlichen Schranken zwischen den beiden Hauptfiguren mit … weshalb ihre Unterhaltungen fast durchgängig in Streit enden oder den Modus des Murrens nie verlassen.
Stattdessen eben die physische Präsenz von zwei exzellent besetzten Grantlern, denen es unmöglich scheint sich zu öffnen, und die karge Landschaft eines sommerlichen Norwegens, in dem die Sonne nie untergeht. Wehte früher bei Arslan der Wind durch die Zweige oder die Vorhänge, zieht hier eine karge, bühnenhafte Landschaft lediglich vorbei … und die ewige Helle setzt Michael und Luis in Weite und Offenheit aus. Womit alles eben offen vor uns liegt, auch wenn dieses alles nicht angesprochen wird. Die Dinge – die physiologischen Gegebenheiten, das psychologische Grundgemenge und die Intentionen der Figuren und Arslans – stehen klar vor uns und doch bleiben sie opak weggesperrt, verlieren sich in dieser bühnenhaften Weite, lassen einen nur ahnen. Es fehlt die Nacht und die Dunkelheit, um auch mal etwas verarbeiten zu können.

Je brûle de partout / Burning Up Inside
(Jesús Franco, F 1978) [blu-ray, OmeU]

verstrahlt

TAKEN nicht als Actionklopper, sondern als repetitiver Alptraum. Es startet in der Disco mit Jux, Tollerei und zwei dubiosen Abschleppern (u.a. Brigitte Lahaie). Amüsant wird ein Auto gestohlen und bei einem ruppigen One-Night-Stand bittet eine junge Frau (Susan Hemingway) um eine anale Penetration, damit sie Jungfrau bleibe. Wenn der Mann dann äußerst unsanft gehorcht, erleben wir einen sehr sprechenden Umbruchpunkt von Spaß in härtere Gefilde. Die Frau wird verschleppt und in die Prostitution verkauft.
Den größten Teil der Spielzeit verbringen wir auf einem Frachter. In einem kahlen Raum stehen Betten. In diesen liegen nackte Frauen. Immer wieder zeigt uns Franco das Rohr, aus dem ein Gas entströmt, welches die Frauen betäubt, sie ans Bett fesselt und gleichzeitig dauererregt. Narrativ erzählt uns der Film sehr wenig. Wenn der Sex und das Winden der Frauen kein Ende nehmen möchte, wenn gesetzte Pianomusik einen wilden Dreier und fiebriger Jazz Sex, Gewalt und Ausgeliefertsein untermalen, dann blickt Franco hier in einen Abgrund. Statt Erotik handelt sein Film von Überdruss und sich in Auflösung befindliche Dekadenz. Die Fesseln der Triebe haben in ihrer absoluten Übermacht und Dauererfüllung nichts mehr Schönes und Spielerisches.
Es endet mit einer Variation des Ödipus-Mythos. Nur sticht sich hier niemand mehr die Augen aus … oder besitzt noch die Kraft sich zu empören. Im Angesichts des Schreckens wird nur mehr zur Salzsäule erstarrt dagesessen und hingenommen.

März
Freitag 31.03.

Le Beau Mariage / Die schöne Hochzeit
(Éric Rohmer, F 1982) [DVD, OmU]

großartig

Der Klappentext der DVD phantasiert davon, dass DIE SCHÖNE HOCHZEIT eine einfühlsam erzählte Coming-of-Age-Geschichte sei. Dabei ist diese heruntergekochte Liebesgeschichte vor allem sadistisch. Für den Zuschauer auf der einen Seite, weil den ewigen Gefühlsexplosionen einer verzogenen Dramaqueen in eine Fremdschamhölle gefolgt werden darf. Diese beschließt dickköpfig und aus Trotz zu heiraten und einen Mann nur für sich haben zu wollen. Doch wo sie keine Probleme anerkennt, weil sie eh jeden um den Finger wickeln könne, lässt der Film, der eben auch ihr gegenüber sadistisch ist, sie immer fulminanter scheitern. Eine Komödie.

Ich bin dein Mensch
(Maria Schrader, D 2021) [stream]

gut

Eine Anthropologin (Maren Eggert) soll als eine von mehreren Experten aus verschiedenen Fachrichtungen drei Wochen mit einem Liebesandroiden (Dan Stevens) zusammenleben, um dessen Zulassbarkeit zu überprüfen. Wobei die Liebeskomödie nicht zu viel mit dem philosophischen Kern zu tun haben möchte, die am Ende groß in den Raum gestellt wird … was es nämlich aus der Liebe macht, wenn jemand einen per Algorithmus total durchschauen kann und dann einfach alle Knöpfe drückt, um einen um den Finger zu wickeln.
Stattdessen wird der Android lieber auf komische Abenteuer geschickt, wobei er als stocksteifes, alles missverstehendes Alien versucht Fuß zu fassen. Der dauer-dämlich grinsende Dan Stevens spielt dabei einen kleinen Alptraum, der damit abgerundet wird, dass ICH BIN EIN MENSCH in dieser Richtung ständig den möglichst dümmsten Zugang zu Moderne und Technik bereithält. Aber dann steckt eben doch ein ziemlich faszinierender Film für Maren Eggert in dem Ganzen. Sie möchte nämlich nicht glücklich sein und nicht umhegt. Und doch wird sie ins Glück manipuliert. Aus ihrem grauen, unbefriedigenden Alltag wird sie in einen sommerleuchtenden Liebesfilm gelockt, der nahelegt, dass etwas Gönnung auch mal sein muss, auch wenn sich dafür gehasst wird.

Donnerstag 30.03.

La Boum / La Boum – Die Fete
(Claude Pinoteau, F 1980) [blu-ray, OmU] 2

großartig

Eine Ehekrise wird parallel zur Geschichte einer ersten Liebe erzählt, wobei nahegelegt wird, dass die Probleme der Jungen im Grunde auch die der Alten sind … statt Erektionen in Popcornschachteln geht es nur eben inzwischen um Autos, die als Notlüge gecrasht werden. Womit uns LA BOUM vorführt, dass wir die Ahnungslosigkeit der Jugend nur bedingt ablegen werden. Mehr als das zeigt uns Pinoteau aber drei Leute – Sophie Marceau als Vic, Claude Brasseur als ihr Vater und Brigitte Fossey als ihre Mutter – die nur auf sich achten. Vic schafft es erst gegen Ende minimal ihren egoistischen Weltblick zu weiten, ihre Mutter arbeitet hingegen durchgehend am Zeichenbrett und ihrer Karriere, während der Vater durch Ehe und Job schlawinert. Keiner in dieser Familie ist wirklich für den anderen da, sondern nur an seiner eigenen REALITY interessiert. Einzig Uroma Poupette (Denise Grey) schafft es, ihr Leben zu leben und gleichzeitig ihre Urenkelin zu unterstützen. LA BOUM verteufelt diese Egozentrik jedoch nicht, sondern lässt sie durch ihre Realitäten gleiten, immer auf der Suche nach dem nächsten romantischen Drama und der nächsten Übersteigerung ds grauen Alltags, womit ihre Leben dann doch zu einem süßen, schwelgerischen Traum werden.

Mittwoch 29.03.

A doppia faccia / Das Gesicht im Dunkeln
(Riccardo Freda, BRD/I 1969) [blu-ray] 2

großartig

Die Exposition ist mega. Ein sinisteres Ehedrama mit einem manischen Schlagertitellied, einem Soundtrack, der Leid und Zweifel mit hymnischer Freude untermalt, dekadentem Schmier sowie Farben und einer Ausstattung, die der oberflächlichen Leblosigkeit mittels knalliger Farben, Sex mit sich führenden Blumenblüten und fiebriger Schnörkel eine hochromantische Emotionalität unterschiebt. Sobald aber die Gespenstergeschichte mit der Wiederkehr der ermordeten Frau beginnt, wobei nie auf ein nachweltliches Reich und auch nur bedingt auf perverse Begierden abzielt wird, sondern auf einen Krimi, dann wird DAS GESICHT IM DUNKELN doch etwas von der Steifheit der Figuren übernommen. Das sieht zwar weiterhin super aus und neblige Gasse, Messer, Haut und Murmelketten weiß Freda sichtlich zu inszenieren, aber das Brodeln ist dahin.

Dienstag 28.03.

Champions
(Bobby Farrelly, USA 2023) [DCP, OF]

gut

Die normalen Leute sind die wahren Behinderten, der herzensgute Hollywoodfilm. Aber tatsächlich ganz sehenswert. Mehr beim Perlentaucher.

Montag 27.03.

Derrick (Folge 264) Das dunkle Licht
(Alfred Weidenmann, D 1996) [DVD]

ok +

Ein verurteilter Mörder erblindet im Gefängnis. Zumindest kann er nur noch am Rand seines Sichtfelds etwas erkennen, weshalb er sein Profil dahinrichtet, wo er etwas sehen möchte, weshalb er einen mit dem Weiß seiner Augen anschaut. Er wird dadurch jedenfalls entlassen und alle sind sich sicher, dass er sich an seinen ehemaligen Komplizen, die in an die Polizei verrieten, rächen wird. Es ist eine DERRICK-Folge, die aus vielen bekannten Motiven zusammengebastelt ist und deren Verlauf nur Derrick überraschen dürfte, der eben nicht mehr das messerscharfe Menschenverständnis von früher hat. Hans Peter Hallwachs als tappender Mann, der indirekt zu sehen versucht, der nur noch die Unschärfe seines Sichtfelds hat, um etwas erkennen zu können, ist aber als irritierende Präsenz und als Bild der Heisenbergschen Unschärferelation ziemlich toll.

Sonntag 26.03.

千と千尋の神隠し / Chihiros Reise ins Zauberland
(Miyazaki Hayao, J 2001) [35mm] 4

fantastisch

Lotti Z. (7 Jahre) saß in der ersten Reihe und bekundete wiederholt, dass sie – bei diesem Film, den sie schon zwei Mal sah – Angst habe. Die Dunkelheit, die fehlende Fluchtmöglichkeit und die Größe der Bilder intensivierten diese auch so schon hochemotionale Erfahrung von CHIHIROS REISE INS ZAUBERLAND. Ich versuchte sie in den Arm zu nehmen und zu beruhigen, aber um uns muss ich wie ein Folterknecht erschienen sein, der seine Tochter dieser Qual aussetzt. Ich hatte sie gefragt, ob sie gehen wolle, was sie verneinte. Am Ende fragte ich sie, ob es trotzdem schön war … und da sagte sie grinsend: Jaaa!
Es war grenzwertig und ich versuche weiterhin mit ihr herauszufinden, was sie als zumutbar empfindet, statt es ihr vorzuschreiben … weil ich als Kind auch sehr gut einschätzen konnte, was mir zu gruselig war, weshalb ich lange keine Horrorfilme schaute … da ich schon Christopher Lee als Dracula in kurzen Vorschauen auf das Nachtprogramm zu schrecklich fand, um mir auch nur vorstellen zu können, warum sich das jemand freiwillig anschaut. … aber vll. mache ich es mit Lotti nicht so schnell nochmal in der Öffentlichkeit.

Geschwister – Kardeşler
(Thomas Arslan, D 1997) [DVD] 2

großartig

Beim ersten Flirt zwischen Leyla (Serpil Turhan) und ihrem späteren Freund lässt sie ihn beständig auflaufen. Auf dem Höhepunkt einer dysfunktionalen Unterhaltung sagt sie ihm eiskalt ins Gesicht: Frag doch mal ‚was Interessantes! Drei Geschwister laufen durch Berlin oder sind zu Hause, und bei Arslan fühlt es sich wie ein Gefängnisdrama an, in dem sich Leute, die keine Lust haben, an dem Punkt in ihrem Leben zu sein, an dem sie sich befinden, und schon gar nicht mit den Leuten, mit denen sie dort Zeit verbringen (müssen), Zeit zu verbringen. Abwarten, Flucht, Frust und durchgängiges gegenseitiges Anpöbeln bestimmen die sehr eigene Verarbeitung von MEAN STREETS und schafft ein spannendes Paradox: GESCHWISTER ist entspannt in seinem Tempo und impressionistisch in seiner Gestaltung, aber kocht fast über durch die portraitierte gedeckelte Wut.

Sonnabend 25.03.

The Clock / Urlaub für die Liebe
(Vincente Minnelli, USA 1945) [DVD, OF]

großartig

Robert Walker war in STRANGERS ON A TRAIN als Psychopath dermaßen überzeugend, dass ich mit ihm als ramontischer Hauptfigur nicht warm wurde. Es gibt einen Moment, in dem Judy Garland zum Bus geht und die von Walker gespielte flüchtige Bekanntschaft abschüttelt. Bevor er ihr nun folgt, verschwindet das treudoofe Lächeln aus seinem Gesicht, und ich sah etwas äußert Bedrohliches dessen Platz einnehmen. Dieser Film ist mglweise mehr als nur großartig, aber ich habe diese Ausprägung von Robert Walker nicht abschütteln können. Aber vll. kann ich bei einer neuerlichen Sichtung diesem Unbehagen etwas Positives abgewinnen.

The Screwy Truant / Der Schulschwänzer k
(Tex Avery, USA 1945) [DVD, OF]

großartig

Ein sehr schicker Cartoon, dessen Ablauf einem kreativen Bewusstseinsstrom folgt, was heißt, dass die Geschichte endlos assoziative Haken an die absurden meta-humoresken Orte schlägt, die Tex Avery eben als nächstens in den Sinn gekommen sind.

Billy Madison / Billy Madison – Ein Chaot zum Verlieben
(Tamra Davis, USA 1995) [stream, OF] 3

großartig

Punkisch hingerotzt feuert BILLY MADISON mit einem blutjungen Adam Sandler aus allen Rohren, ohne sich groß um Qualität und Pace zu kümmern. Das Ergebnis ist zwar Hit-and-Miss, aber gerade deshalb scheint mir diese kindisch ungestüme Slacker-Komödie mit Frank Capra-Einschlag weiterhin so gut wie am ersten Tag zu funktionieren.

Freitag 24.03.

Dealer
(Thomas Arslan, D 1999) [DVD]

gut

Birol Ünel hat nur eine kleine Rolle als Zivilfahnder, der das schroffe schlechte Gewissen von Can (Tamer Yiğit) spielt, der als Dealer arbeitet und den Film stetig zwischen tristen Gangster-Abhäng-Miniaturen und Ehedrama pendeln lässt, weshalb DEALER durchaus wie ein kleiner, ruhiger Scorsese-Epigone wirkt. Den wenigen Platz, den Ünel jedoch bekommt, nutzt er, um zu brennen. Das jemand mit einer solchen Präsenz, nur diese kleine Karriere hatte, … mir fällt es immer noch schwer zu glauben.

A Quiet Place
(John Krasinski, USA 2018) [stream, OmeU]

ok

Der schwangere Frau muss ihr Kind in einem Umfeld gebären, wo keine Geräusche gemacht werden dürfen-Part, der recht stiefmütterlich behandelt wird, hätte mich sehr interessiert, aber stattdessen geht es um Vater und Tochter können nach einer traumatischen Erfahrungen nur noch beklommen miteinander reden und deshalb passiert irgendwas mit Aliens-Zeug, der mir einen Hauch zu viel – oder zu wenig – über eine postapokalyptische Idylle erzählt, in der die Welt wieder einfach und – mit Abstrichen – angenehm ist.

Donnerstag 23.03.

John Wick: Chapter 4 / John Wick: Kapitel 4
(Chad Stahelski, USA 2023) [DCP, OF]

gut +

Fadenscheinige ästhetische Einschätzungen meinerseits finden sich bei critic.de. Wobei ich gestehen muss, dass ich diese nicht so klar in den Filmen sehe, jedenfalls bei der Sichtung. Aber doch scheint es mir deutlich enthalten zu sein.

Mittwoch 22.03.

Le lac des morts vivants / Sumpf der lebenden Toten
(Jean Rollin, Julian de Laserna, F/E 1981) [blu-ray, OmeU]

gut +

Ein Mädchen, die Tochter eines Nazis und einer jungen Französin, erlebt ihre Existenz als entspanntes und romantisches Heimat-Gore-Melodrama, in der die Vergangenheit in Form von Nazi-Zombies aus dem Weiher steigt und französische Dorfbewohner heimsucht. Mein erster Kontakt mit diesem ZOMBIE LAKE war durch Spott bestimmt. Er wurde in einer Liste der schlechtesten Filme erwähnt – ich weiß nicht mehr, ob überhaupt oder nach einer bestimmten Kategorie. Hauptgrund dafür wird das Makeup gewesen sein, weil die Wasserleichenzombies knall grün angemalt wurden und Teile des entstellenden Verbandes, der an ihren Gesichtern angebracht wurde, sichtlich beim Dreh wieder abging. Die Produktion Values sind wirklich nicht so besonders und noch der sichtbarste Unterschied zu anderen Filmen des Regisseurs – weshalb ZOMBIE LAKE die Ehre der Nennung wahrscheinlich zukam. Ich hingegen war fasziniert von diesen romantischen Wasserleichen, die wie Vampire ihre Opfer in den Hals bissen und ein verschlafenes, inzestuöses Dorf in Aufruhr brachten.

Dienstag 21.03.

Aftersun
(Charlotte Wells, UK/TR/USA 2022) [DCP, OmU]

großartig

Wir könnten AFTERSUN als einen zurückblickenden Film wahrnehmen. Die erwachsene Sophie schaut in dieser Perspektive auf ihr elfjähriges Selbst (Frankie Corio) zurück und wie sie Urlaub mit ihrem Vater (Paul Mescal) in der Türkei macht. Dass uns AFTERSUN mehrmals die erwachsene Sophie zeigt, unterstreicht diese Sicht. Außerdem werden die Bilder des Urlaubs, der den Film fast gänzlich bestimmt, mit den dort gemachten Videoaufnahmen vervollständigt.
Wir sähen dergestalt den Blick zurück auf eine (wahrscheinlich) letzte gemeinsame Zeit. Sichtlich belastet den Vater etwas. So verschwindet er mehrmals – scheinbar für immer – durch lebensmüdes Verhalten oder durch Suizid aus dem Film. Oder er weint hemmungslos alleine im Hotelzimmer, ohne dass wir einen Grund dafür bekämen. Weiß er um eine tödliche Krankheit, von der Sophie noch nichts weiß? Hat er Drogenprobleme? Es gibt minimale Andeutungen, aber nichts Konkretes. So gesehen ist AFTERSUN ein ziemlich beliebiges Drama, dass sich davor ziert, das Problem zu benennen und die Situation auszuarbeiten.
Wir könnten die Aufnahmen der erwachsenen Sophie aber auch als Foreshadowing begreifen. Gerade da sie immer wieder den Charakter von Visionen haben. Dann sähen wir den Film eines Mädchens an der Grenze zum Erwachsen werden. Eines Mädchens, welche das Knutschen und die Unabhängigkeit der Jugendlichen im Club beäugt und beginnt diese nachzuahmen. Der Status quo zwischen Vater und Tochter scheint zudem nicht nur durch sein teilweise manisch-depressives Verhalten unsicher. Auch sie ist nicht mehr das kleine Mädchen, weshalb sie nicht so richtig weiß, wie sie mit den eingespielten Vater-Tochter-Routinen weiterhin umgehen soll. Wir würden eben zwei Menschen sehen, die in einer ihnen fremden Welt ihr Verhältnis neu ausarbeiten müssen, ohne dass beide sonderlich gut darin wären. Und das Verschwinden des Vaters wäre der Ausdruck der Angst zweier Menschen, die befürchten die gegenseitige Nähe zueinander zu verlieren.
AFTERSUN wäre so das Testament einer nagenden Ungewissheit, was folgen, was aus einer innigen Vater-Tochter-Beziehung erwachsen und ob sie enden wird. Wenn der Film vage bleibt, drückt er nur Teil des Problems der beiden aus. Als Vater einer siebenjährigen Tochter fühlte ich mich jedenfalls, als erlebte ich eine Operation am offenen Herzen. Denn auch wenn sie mir noch jedes Mal um den Hals fällt und Niemals! sagt, so weiß ich doch, dass ich nicht für immer das Wichtigste für sie sein werde. Und vll. liegt es auch daran, dass sie nach ihrer Geburt um ihr Leben kämpfen musste, aber ich habe eine unbestimmte Furcht, dass ich nicht erleben werde, wer sie einmal wird, dass mir etwas passiert … dementsprechend habe ich angefangen einen Fahrradhelm zu tragen, weil ich mir plötzlich Gedanken machte, wenn ich ohne einen solchen einen Kopfsteinpflasterabhang herunterheizte. Mit anderen Worten: AFTERSUN drückt bei mir jede Menge Knöpfe.
So gesehen mag ich den zweiten Sichtweiße des Films deutlich mehr, zumal seine bestens Momente genau in diese Richtung gehen. Dreimal wird Musik genutzt, um das Narrativ ausklinken zu lassen und aus einem impressionistischen Portrait einen abstrakten, andeutungsreichen Alpdruck von Verlust zu machen. So verfällt Blurs TENDERS – zuvor eben Hymne der Zärtlichkeit der beiden – in Zeitlupe und wird zur Fratze seiner selbst. Oder es ist Sophie, die beim Karaoke alleine im Scheinwerferlicht LOSING MY RELIGION singt. Und am besten ist der Film, wenn UNDER PRESSURE irgendwann nur noch aus den Stimmen von Freddie Mercury und David Bowie besteht, womit aus Pomp etwas Fragiles und Verzweifeltes wird und sich Hoffnung in einen eklatanten Schmerz verwandelt.

Montag 20.03.

Der Gorilla von Soho
(Alfred Vohrer, BRD 1968) [blu-ray]

ok +

DIE TOTEN AUGEN VON LONDON in Farbe und mit Horst Tappert. Vor allem aber mit dem jungen Uwe Friedrichsen in der Rolle von Eddie Arent, Ralf Schermuly als Klaus Kinski und einem Gorillakostüm statt einem haarigen Ady Berber. Der Film ist zwar bunter und mit viel mehr offenem sexuellem Innuendo, aber die Besetzung kann nicht ganz dem Wahn früherer Tage mithalten. Alles ist irgendwie kleiner, gesetzter und auch Vorher mag oder darf nicht mehr wirklich durchdrehen. Lediglich Hubert von Meyerinck als Sir John ist und bleibt zu diesem Zeitpunkt eine Bereicherung.

Sonntag 19.03.

Chronique d’une liaison passagère / Tagebuch einer Pariser Affäre
(Emmanuel Mouret, F 2022) [stream, OmU]

großartig

Ein schöner Film über Verzicht, wie ich finde. Bei critic.de findet sich diese Einschätzung etwas mehr ausformuliert.

Sonnabend 18.03.

La femme de l’aviateur / Die Frau des Fliegers
(Éric Rohmer, F 1981) [DVD, OmU]

großartig

Man kann nicht an nichts denken. Und so denkt sich François (Philippe Marlaud) etwas, wenn er sieht, wie seine Freundin Anne (Marie Rivière) in der Frühe ihre Wohnung mit ihrem Ex-Freund Christian (Mathieu Carrière) verlässt … obwohl Anne es lieber sehen würde, wenn er einfach gar nicht denken würde. Lucy (Anne-Laure Meury) denkt sich hingegen ihren Teil, wenn sie sieht, wie François Christian durch einen Park verfolgt … und spielt gerne Spion mit dem gehemmten jungen Mann. Aber Rohmer lässt nicht zu, dass sich die ewigen Dialoge in Seelenmarter erschöpfen, sondern spielt mit Perspektiven, mit Verzicht und sexueller Hörigkeit, mit Tristesse und Dreistigkeit.

Freitag 17.03.

Derrick (Folge 263) Der Verteidiger
(Peter Deutsch, D 1996) [DVD]

ok

Derrick ist anscheinend inzwischen auch für Reinecker ein seniler Opa, den es mitzuschleppen gilt, weil die Serie seinen Namen trägt. Es ist kein Problem, dass er auf die Ersatzbank gesetzt wird, weil irgendwas über einen jungen, ehrgeizigen Anwalt (Philipp Moog) erzählt werden soll, der seine Seele an einen Teufel verkauft und sich noch rechtzeitig retten kann, auch wenn das alles ohne große Aufregung und Überraschungen geschieht. Was aber nicht sein muss, ist, dass mein Über-Ich-Derrick inzwischen wie Harry am Rande steht und nichts checkt und schon gar nicht jemanden in die Seele schauen kann. Vll. eine bittere Meta-Folge über das Altern.

Barry Lyndon
(Stanley Kubrick, UK/USA 1975) [35mm] 3

großartig +

Die erste Hälfte, in der Henry Fielding Schmier und Klamauk auf eine eiskalte Distanz in der Inszenierung trifft, ist schon sehr schön. Die zweite aber, in der der Film fast zum Stillstand kommt und Leute in den Sackgassen ihrer Leben – in Dekadenz, Selbsthass und Fäulnis – am langen Arm verhungern und leiden lässt, ist einfach nur entzückend … eine süße, süße Qual.

Donnerstag 16.03.

I Now Pronounce You Chuck & Larry / Chuck und Larry – Wie Feuer und Flamme
(Dennis Dugan, USA 2007) [blu-ray, OmeU]

verstrahlt

Größtenteils ist dies ein Film, mit dem ein paar Dudes der Welt/ihrem Umfeld erklären, dass schwul zu sein, voll ok ist. Aber halt nur aus einer unsicheren, heterosexuellen Perspektive erzählt. Das ist moralisch und ideologisch zuweilen fragwürdig, aber – wenn vll. auch nicht mit dem Kopf – so doch mit dem Herz am rechten Fleck. Aber im Grunde ist es völlig egal, weil hier Sandler und Co. Fremdscham mehr denn je zum Zentrum ihres Films machen. Und dafür ist er vll. sogar etwas zu zahm geraten.

Mittwoch 15.03.

Les paumées du petit matin / The Escapees
(Jean Rollin, F 1981) [blu-ray, OmeU]

großartig

Der frz. Titel heißt wohl so viel wie Die Verbummelten des frühen Morgens. Darin entfliehen zwei jungen Frauen einer Irrenanstalt. Wie Feuer und Wasser sind sie. Michelle (Laurence Dubas) befindet sich in einem emotionalen Angriffskrieg gegen die Welt und will ihr möglichst viel abtrotzen, so sagt sie. Und Marie (Christiane Coppé) versteckt sich vor ihren unverarbeiteten Traumata, vor der Welt, in sich selbst. Die beiden sensiblen, verletzten Frauen ziehen los, auf der Suche nach einem unwahrscheinlichen Glück. Durch die Welt eines Märchens, durch eine Welt, die der von PINOCCHIO oder A.I. entspricht. Sie landen bei Straßenkünstlern, Hafenkneipenbesitzern, in bürgerlicher Dekadenz. Nirgendwo endet ihre Reise, weil die bürgerliche Realität in Form von Polizei, Einsperrungsandrohung, Überforderung sie ständig einholt. Die überbordende Romantik der Filme Rollins in einer ausgestellt banalen Welt hat hier ihren Verfall fast erreicht. Nüchtern folgt der Film den Protagonisten in abgewirtschaftete Zauberwelten und kann an eine Rettung in dieser Welt nicht mehr glauben. Kurzzeitig, in einem weltvergessenen Eiskunstlauf glänzt es kurz. Aber es ist nur ein ungreifbarer Moment, der zwischen den Fingern zerrinnen muss, weil das Erwachen nicht lange auf sich warten lässt.

Dienstag 14.03.

A Close Shave / Wallace & Gromit unter Schafen m
(Nick Park, UK 1995) [blu-ray] 2

gut +

Der Widerstreit aus sympathischen Chaos und kalter Ratio aus dem Vorgänger wird im Grunde eins zu eins kopiert und mit süßen, chaotischen Schafen angereichert. Sprich: Mehr Niedlichkeit gegen den Stillstand.

A Matter of Loaf and Death / Wallace & Gromit – Auf Leben und Brot m
(Nick Park, UK 2008) [blu-ray]

gut

Die Serienmörderin, die die Bäcker der Stadt nach und nach umbringt, bekommt ein wirklich schönes Motiv für ihr Tun – bzw. ist sehr schön, dass es auf den Punkt, den es für den Film braucht, heruntergekocht wird: Sie hasse einfach Bäcker.

Manta, Manta
(Wolfgang Büld, D 1991) [stream] 6

großartig

Uwe Fellensiek und Martin Armknecht spielen sensationelle Unsympathen. Beatrice Manowski eine Außenseiter-Diva zum Verlieben. Und überhaupt ist der Cast mega und den meisten hätte ich schon eine etwas größere Karriere gegönnt.
Büld macht mit ihnen lässiges Pop-Kino – in der Disco läuft KLF! – im Ruhrgebietsniemandsland, das aus nichtssagenden oder vorgentrifizierten Straßenzügen besteht, aus Baggerseen und Industrielandschaften. Wer eine Ahnung davon haben möchte, wie es im Deutschland der beginnenden 1990er Jahren war, muss dies schauen. Und ich muss gestehen, dass ich nicht geglaubt hätte, dass sich MANTA MANTA so gut gehalten hat … bzw. dass er jemals so gut war.
Über allem thront aber Til Schweiger. Seine Karriere ist mir nun plötzlich viel verständlicher. Weil er – gerade hier in seinem weißen Unterhemd – die Aufmerksamkeit auf sich zieht, weil er als Posterboy einer unsicheren, überkompensierenden, völlig seiner selbst unbewussten Männlichkeit unschlagbar ist. Auf das Wegbrechen des männlichen Selbstverständnisses im Laufe der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts reagiert er mit Selbstverliebtheit, Ausstellung von Hypermaskulinität, und ständig ist er schon bei der kleinsten Kritik am Aufbrausen, weil sein Selbstbild als Alphamale unglaublich fragil ist.
Im Grunde hat er diesen verzogenen Bengel aus MANTA MANTA, der nichts von seiner Verletzlichkeit ahnt, bis heute kultiviert … ohne es selbst zu verstehen. Wenn er in ARTHUR beispielsweise einen der einfallenden Sachsen spielt, sieht er sich wahrscheinlich als einen kraftvollen Barbaren, aber was seine Figur ausmacht, sind die weichen Augen, mit denen er unterwürfig und nach Anerkennung flehend zu seinem Vater schaut. Weil ich zu sehr auf seine Versuche achtete, seine Selbstprojektion in Filme zu packen, dass er sich eben als coolster der Coolen inszenieren wollte, hatte ich bis hierhin nicht ganz verstanden, dass er ganz essentiell eine tragische Figur ist.

Montag 13.03.

A Grand Day Out / Wallace & Gromit – Alles Käse m
(Nick Park, UK 1989) [blu-ray]

gut

Der Kampf eines pedantischen Roboters gegen die kreativen, schussligen Protagonisten, welche eine erschreckende Vorliebe für Käse besitzen.

The Wrong Trousers / Wallace und Gromit – Die Techno-Hose m
(Nick Park, UK 1993) [blu-ray] 2

großartig

Eine Heist-Psycho-Thriller-Komödie, die von der diabolischen Energie lebt, mit welcher der Antagonist, ein Pinguin mit schwarzen undurchdringlichen Perlen als Augen, die von einer unheimlichen Erkennungsmusik in ihrer Wirkung noch dahin gesteigert werden, dass sie an unserem Selbstverständnis und unserer (Selbst-)Sicherheit nagen, inszeniert ist.

The Fabelmans
(Steven Spielberg, USA 2022) [DCP, OmU]

fantastisch

Dass Spielberg THE TINY TOONS ADVENTURE: HOW I SPENT MY VACATION Direct-to-Video veröffentlicht haben wollte, damit es von den Kindern wiederholt geschaut werden kann, bekommt eine ganz neue Bedeutung, wenn sein Standin Sammy Fabelman (Gabriel LaBelle) hier einen 8mm-Urlaubsfilm in der Schneidemaschine immer wieder anschaut, vor- und zurückspult, nur um nach Manier von BLOW UP und BLOW OUT zu entdecken, was in seiner Familie unter seinen Augen vorgeht. Ansonsten sicherlich einer der Filme des Jahrs, wenn nicht Jahrzehnts, der von Rajko B. im perlentaucher sehr schön zusammenfasst wird.

Sonntag 12.03.

Der schöne Tag
(Thomas Arslan, D 2001) [DVD]

großartig

Ein Motiv ist, dass Deniz (Serpil Turhan) Synchronsprecherin eines Éric Rohmer-Films ist. Passgenau versucht sie die Wörter der Liebe einer anderen Person nachzusprechen bzw. dieser diese Worte (in einer anderen Sprache) in den Mund zu legen. DER SCHÖNE TAG lässt Deniz durch einen Tag streifen, der zwischen Neubauviertel und Natur pendelt – wobei Letzteres anders als bei Schanelec kein mythischer Rückzugsort ist, sondern einfach nur Ruhe und Kontemplation bedeutet. Und dabei scheint alles ungerichtet, aber in dem entspannten Fluss der Dinge lauert doch der (verkrampfende wie scheiternde) Wille in der Liebe die richtige Form zu finden.

Leidenschaftliche Blümchen
(André Farwagi, D 1978) [blu-ray]

tba.

Den folgenden Dienstag früh standen in der Bahn drei Teenie-Mädchen neben mir, die sich gegenseitig beweisen mussten, wie taff sie als Filmschauerinnen sind. Titanic: langweilig! Ich gucke gar nicht nur Liebesfilme! Filme, in denen jemanden die Fingernägel ausgerissen werden: Toll! Sowas gucke ich auch nur. Und das Letzte vor meinem Aussteigen war dann: Mein Vater guckt nur so Liebes-Zeug. Twenty Four Seven. Ich weiß auch nicht, was mit dem schief gelaufen ist. Eine Unterhaltung, die das Spirit Animal für diesen Film sein könnte. Mehr dazu bei critic.de.

Sonnabend 11.03.

Elizabeth: The Golden Age / Elizabeth – Das goldene Königreich
(Shekhar Kapur, USA/UK/F 2007) [blu-ray, OmeU]

nichtssagend

Viel weniger als der Vorgänger ist dies eine Schau der Ornamente. Das Drama, um eine verliebte Königin im Keuschheitsgürtel der Macht, weiß nicht so richtig, was es mit sich anfangen soll, versandet frühzeitig und wird leblos mitgeschleppt. Der epische Weltpolitikthriller begnügt sich mit ein wenig Katholikenrufmord, da sie als Fanatiker in einem giftgrün-gegradeten Spanien zu finden sind, wo sie Teuflisches planen. Und Clive Owen spielt – wie schon in KING ARTHUR – ohne Lust oder irgendwas.

Freitag 10.03.

The Hot Chick / Hot Chick – Verrückte Hühner
(Tom Brady, USA 2002) [stream, OmeU]

großartig

Heruntergekommener Tankstellenräuber (Rob Schneider) und Highschool-Queen-Bee (Rachel McAdams), die eigentlich ziemlich liebenswürdig ist, durch ihr gutes Aussehen aber mit allem durchkommt und deshalb verdorben wurde, tauschen die Körper. Und es ist der Magnum Opus im Œuvre Rob Schneiders. Eine Frau muss lernen, dass es nicht darauf ankommt, wie sie aussieht – selbst wenn sie im Körper Rob Schneiders steckt –, sondern wer sie ist. Ihr Freund akzeptiert hingegen lieber, dass sie eine rumhurende Verbrecherin geworden ist, als den offensichtlichen Körpertausch – weil er dann Rob Schneider küssen und lieben müsste. Und überhaupt verliebt sich die beste Freundin (Anna Faris) in ihre BFF im männlichen Körper … und wird am Ende damit alleingelassen, dass sie voller Gefühle für Rob Schneider ist, der jetzt aber eben wieder ein heruntergekommener Tankstellenräuber ist. Der Korridor des Happy Ends, auf den THE HOT CHICK hinausläuft, ist sehr eng und an seinen Seiten sammelt sich das ideologische und emotionale Geröll eines über Oberflächeneindrücken und Geschlechterrollen organisierten Karambolagefilms. Und hinter allem lauert Rob Schneider, der für seinen Wunsch, akzeptiert zu werden, sein Talent als suboptimaler Mensch voll auskostet und dies zur polymorphen Schau von Selbsthass und Selbst-akzeptanz macht, von Breisreflexen, um sich selbst als Teil von etwas zu verstehen, und relaxtem Hinnehmen.

Wallace & Gromit: The Curse of the Were-Rabbit / Wallace & Gromit – Auf der Jagd nach dem Riesenkaninchen
(Nick Park, Steve Box, UK/USA 2004) [blu-ray]

großartig

Dies ist eine Verbeugung vor den Universal-Horrorfilmen in Form eines Horrorfilms für Kinder, in dem ein Mr.-Hyde-Kaninchen-Mann nachts durch die Schatten streift – auf der Jagd nach Gemüse. Und mir fehlt jede Phantasie, warum in einem Film, der durch und durch aus altehrwürdigen Horrorfilmbildern besteht, Were-Rabbit mit Riesenkaninchen übersetzt werden muss. Als ob ein Wortbestandteil noch irgendwas abfedern würde… Beim Titel, logisch, um die Kunden zu täuschen, aus dem biederen Gefühl heraus, den Ausmaß des Grusels verbergen zu müssen, weil … die armen Kinder. Wenn im Film aber wiederholt vom Riesenkaninchen geredet wird, ist es einfach nur lächerlich.

Taken / 96 Hours
(Pierre Morel, F/USA 2008) [stream, OmeU]

gut

Ein CIA-Agent (Liam Neeson), der durch seine Karriere Frau und Tochter an einen Mann verloren hat, der für die beiden da ist, darf den beiden Verlorenen auf seine Weise beweisen, dass er für sie da ist und es wert, geliebt zu werden. Indem er nämlich Befehle ignoriert und böse Menschen aller Schichten zu Klump schlägt, die die Jungfräulichkeit seiner 17-jährigen Tochter mit Gewalt und Drogen bedrohen. Und oft schafft es dieser no-nonsense Nonsense nur das Ruckeln des Glücks zu bebildern, die diese gerechte Gewalt für ihn ist. Aber wenn Liam Neeson immer wieder verschüchtert grinst, weil ihn zuletzt doch alle lieben und toll finden, dann kann einem schon das Herz aufgehen.

Donnerstag 09.03.

Das Verrätertor
(Freddie Francis, BRD/UK 1964) [blu-ray]

nichtssagend

Dass Rialto für die Edgar-Wallace-Filmreihe auch mal auf britische Filmemacher zurückgreifen würde, scheint ein logischer Schritt – wenn denn außer Acht gelassen wird, dass das England besagter Filme sehr tiefgreifend ein sehr deutsches Fantasieprodukt ist. Dass die Rialto von Freddie Francis einen eher behäbigen Heist-Thriller erhalten würden, der zuweilen wie eine Touri-Schau für die Deutschen wirkt, damit war aber weniger zu gerechnen.

Mittwoch 08.03.

Elizabeth
(Shekhar Kapur, USA 1998) [blu-ray, OmeU]

gut +

Der Film bedient so ziemlich die zu erwartenden Klischees: Die Dekors und die Optik des Films sind überbordend und sinnlich – weil eben ein indischer Regisseur auf dem Regiestuhl sitzt –; gleichzeitig lauert im Drehbuch ein wildes, schmieriges, überaus kitschiges Melodrama, aber es wird zu Gunsten eines epischen Dramas über eine selbstbestimmte Frau, die sich für ihr Land opfert, ausgebremst – weil dem indischen Regisseur im westlichen Produktionsrahmen eben die Hände gebunden sind. Mit etwas böserer Zunge könnte auch gesagt werden, dass ELIZABETH verdeutlicht, warum Shekhar Kapur Indien verließ und im Westen blieb … weil die gedämpfte Qualität seiner Filme eben dorthin passt. Aber weder habe ich einen seiner indischen Filme gesehen, noch weiß ich irgendwas Genaues über die Produktionsbedingungen dieses Films hier. Es ist nur mehr als deutlich für mich, dass das, was in ELIZABETH allgegenwärtig kurz vorm Ausbruch steht, zu meinem Verdruss nicht ausbricht: die Qualitäten, die gemeinhin mit dem indischen Kino verbunden werden.

Dienstag 07.03.

Grown Ups 2 / Kindsköpfe 2
(Dennis Dugan, USA 2013) [blu-ray, OF]

verstrahlt +

Wir sind kaum im Film und schon wird Adam Sandler in seinem heimischen Bett von einem Rentier angepinkelt. … Mir fällt es schwer meine Gedanken zu all dem Folgenden zu ordnen … bzw. fällt es mir schwer, mehr darüber zu sagen, als dass dies ein wilder Trip ist, bei dem nicht mal mehr der Versuch von Kohärenz unternommen wird. Am faszinierendsten war aber, dass ich den ganzen Film lang darauf gewartet habe, dass Rob Schneider doch noch vorbeischaut. Ich habe ihn vermisst … und das habe ich nicht kommen sehen … es hat mich überrascht, wie sehr ich ihn und David Spade einmal wertschätzen werde.

Montag 06.03.

TÁR
(Todd Field, USA 2022) [DCP, OmU]

großartig

Eine solide Welt zerfällt. Dokumentarische Sachlichkeit schlägt in Fragmentierung um, in Horror, Surrealität, Spott, hilfloses Treiben. Aus der Karriere einer Koryphäe (Cate Blanchett als Dirigentin Tár, die kurz davor steht den Mahler-Sinfonie-Zyklus abzuschließen und als Letztes auch noch die 5. mit dem gleichen Orchester aufzuführen und bei der Deutschen Grammophon zu veröffentlichen) wird eine Ruine. Wegen der Cancel Culture, weil sie über ihre Selbstgerechtigkeit stolpert, weil ihr schlechtes Gewissen und ihre Zweifel ihre Selbstsicherheit zerfressen. Und Field inszeniert, was es eben zu inszenieren gibt: Einen makaber-kontrollierten Film über Kontrollverlust, der keine Antworten hat und Diskurse höchstens in den Raum stellt.
Bei allen schönen Ideen – das gleichzeitig garstige wie sweete Monster-Hunter-Ende beispielweise – und anregenden Unklarheiten – das gleichzeitig garstige und sweete Monster-Hunter-Ende beispielsweise – wäre TÁR vor allem aber ziemlich erwartbar und bieder, wäre da nicht Cate Blanchett. Ihre expressive Camp-Performance mit ihrem snobistischen gebrochenen Deutsch und ihrer Dirigentenauftritte kurz vor Hampelmann: Es ist einfach ein großer Spaß ihr zuzusehen.
Was meiner Meinung nach aber am meisten für TÁR spricht, ist sein Zugang zu Musik. Denn Mahler und Co. werden immer nur angespielt, bis der Dirigent oder der Schnitt es wieder unterbricht. Es wird über sie geredet und sie ist sichtlich der Kitt eines sehr speziellen sozialen Feldes, dem Orchesterbetrieb. Musik bricht außerdem als improvisierter Schmähgesang ein oder es sind Rhythmus und Melodie, die Tár im Schlaf und bei der Arbeit verfolgen. Sie ist und bleibt Fragment, da Field nicht den Fehler macht und uns Mahler genießen lässt, uns den Lohn der Arbeit gibt, sondern uns auf ewig vertröstet.

Sonntag 05.03.

La 7ème cible / Tödliche Angst
(Claude Pinoteau, F 1984) [blu-ray, OmU]

großartig +

Ich muss mehr Pinoteau schauen, denn offensichtlich ist er einer der Guten. Weil ein Thriller für ihn anscheinend nur mit eigenwillig eingebauten Tristkindern und Bauchrednerpuppen interessant ist. Mehr dazu bei critic.de.

Sonnabend 04.03.

Ich war zuhause, aber
(Angela Schanelec, D/SRB 2019) [blu-ray]

fantastisch

Die Roy Anderrson-Komödie unter den Schanelec-Filmen, in der die schanelecsche Sprachlosigkeit einerseits endgültig auch verlorene Sprache bedeutet – ein Fahrradverkäufer kann beispielsweise nur mit elektrischer Sprechhilfe kaum verständliche Störgeräusche von sich geben –, aber andererseits Maren Eggerts Figur zunehmend in Schimpftiraden verfallen und sich in Monologen verirren lässt.

Requiem pour un vampire / Die Folterkammer des Vampirs
(Jean Rollin, F 1971) [blu-ray, OmeU] 2

großartig +

Die Pointe ist, dass der Vampir, der letzte seiner Sorte, nicht der Gewalttäter ist, sondern seine menschlichen Nacheiferer, die möglichst sadistisch sind, damit sie auch Vampire sein können … bzw. die Vampire sein wollen, damit sie ihrem Sadismus freien Lauf lassen können. Und genau das spiegelt sich auf der Herstellungsebene des Films. Eines lyrischen, poetischen, fast stummen Films, in dem zwei Frauen durch ein gotisch-expressionistisches Schauermärchenzauberland wandeln, das durch den Willen der Produzenten mit zwanghaft eintönigen Folter-, Vergewaltigungs- und Sexszenen angereichert wurde, in denen sich die Leute wie gefühllose, zwanghafte Maschinen benehmen, die menschliches Handeln imitieren, ohne dessen Ursprung zu verstehen und in Folge ihre Ahnungslosigkeit Grobschlächtigkeit überkompensieren.

Schöne gelbe Farbe k
(Angela Schanelec, D 1991) [blu-ray, OmeU]

großartig

Hochkultur trifft auf den Budenzauber des Einbruchs von Geschwindigkeit, Lärm, Anarchie und Pop. Ein Spaß.

Weit entfernt k
(Angela Schanelec, D 1992) [blu-ray, OmeU]

gut

Ich konnte, glaube ich, nicht so viel mit dem Film anfangen, aber die Szene eines unerwarteten und unerwartet charmanten Diebstahls hat ihn mir schon sehr sympathisch gemacht.

Prag, März 92 k
(Angela Schanelec, D 1992) [blu-ray, OmeU]

ok +

Durchaus schön anzusehender Bewegtbild-Diaabend mit Angela Schanelec.

Mary of Scotland / Maria von Schottland
(John Ford, USA 1936) [dvd, OF]

gut

Katharine Hepburn als arglose Maria Stuart, die nach Schottland kommt und für ihr Volk da sein möchte, die beabsichtigt, Toleranz und Miteinander zu verbreiten. Sie scheitert aber an Clan-Differenzen und den Fesseln der Gesellschaft – symbolisiert durch eine gefühllose, rationelle Elizabeth, die sie wegsperrt und einem diabolischen Über-Ich-Tribunal aussetzt. Im Grunde handelt es sich um klassisches Terrain für John Ford. Das Individuum wird durch das Soziale, die Emotionen durch die Ratio beschnitten. Nur findet dieses Melodrama keinen Weg, um mehr zu bieten, als die nette Geschichte einer gütigen Märtyrerin. Was mich aber durchaus fasziniert, ist der Umstand, dass die katholische Königin hier die durchweg Gute ist und nicht die protestantische. Es kommt dann doch nicht so oft vor.

Freitag 03.03.

新座頭市物語・笠間の血祭り / Zatoichi’s Conspiracy
(Yasuda Kimiyoshi, J 1968) [blu-ray, OmeU]

gut

Zum Abschluss der ursprünglichen Kinoreihe kommt Ishi nach Jahren der Abwesenheit nach Hause. Die Dinge, die er verlassen hat, liegen in Ruinen. Oft kontempliert er umgeben von Spinnenweben oder sucht am Straßenrand im Gras nach den Resten eines Schreins. Hinzukommt eine bestechende Perspektivierung der ökonomischen Zusammenhänge. Nur am Ende überrascht Yasuda dann doch vollkommen, indem er das alles in einem herkömmlichen ZATOICHI-Film auslaufen lässt, der keine Änderung wagt.

The Longest Yard / Spiel ohne Regeln
(Peter Segal, USA 2005) [stream, OmeU]

ok +

Aldrichs Film war auf sehr unangenehme Art seltsam und darin ziemlich faszinierend. Davon ist im Remake nicht viel übriggeblieben. Symptomatisch ist Burt Reynolds Cameo, der seine schlimmsten Tendenzen voll auskostet und quasi fortwährend dem Zuschauer zuzwinkert: Geil, dass ich hier bin, nech?! Hinzukommt, dass der Sport-/Knastdramateil zu ernst genommen wird, weshalb sich die anarchische Slackerkomödie ausgebremst anfühlt. Kurz: schöne Ideen hier und da, ich konnte aber mit dem Großteil des Films nicht viel anfangen.

Donnerstag 02.03.

Creed III
(Michael B. Jordan, USA 2023) [DCP, OF]

ok

Wie CREED III durch seine zwei Stunden auf der Suche nach einem Thema, nach kathartischen Momenten und erzählerischen Synergien irrlichtet und schlussendlich nicht fündig wird, könnte durchaus charmant sein. Zumal er doch etwas hübscher ist als sein direkter Vorgänger. Aber irgendwie bleibt es bei der Aneinanderreihung generischer Momente. Jonathan Majors als Kuschelbär-Mr.T ist ziemlich super. Das Spiegelmotivische der beiden Hauptfiguren – womit es irgendwie auch darum geht, dass Adonis (Michael B. Jordan) nun noch das Ghetto aus sich exorziert und er seinen Frieden damit findet, Kaffeekränzchen mit seiner Tochter in seiner Luxusvilla zu feiern – ist ziemlich nett. Ebenso die Idee – auch wenn sie zu schnell wieder aufgegeben wird –, die Geräusche beim Endkampf bis auf die der Kämpfenden verstummen zu lassen. Aber dieses bequeme Kreisen um ROCKY III, das eigene Erbe und all den Kram verhindern, dass sich irgendwas entfalten kann.

Mittwoch 01.03.

Creed II / Creed II: Rocky’s Legacy
(Steven Caple Jr., USA 2018) [blu-ray, OF]

nichtssagend

Mehrmals fragt Rocky (Sylvester Stallone) Adonis (Michael B. Jordan), warum er denn in den Ring steige. Die einfache Antwort des Films liegt darin, dass er Schmerz ertragen (lernen) muss. Aber weil weder Drehbuch noch Schnitt eine Ahnung haben, warum sich hier schon wieder mit Rocky und Creed beschäftigt werden muss, walzen sie ein nichtexistentes Drama bis an die Grenze des Erträglichen aus. Auf der anderen Seite zeigen die wenigen Pinselstriche bezüglich der Dragos, wie effizient ein packendes Drama geschaffen ist. Ein viel kürzerer Film über diese beiden, das wäre was gewesen.

Februar
Dienstag 28.02.

Grown Ups / Kindsköpfe
(Dennis Dugan, USA 2010) [blu-ray, OF] 3

großartig

Das Kino des Eric Rohmer mit anderen Mitteln fortgesetzt. Bzw. Rohmer, wie er gänzlich von diversen Ausprägungen der US-amerikanischen Kultur kolonialisiert aussehen würde. Nur bin ich mir nicht sicher, ob dieser ein so giftiges, herablassendes Ende in einem seiner Filme untergebracht hätte. Wie Christian Petzold auf eine Adam Sandler-Box reagieren würde, täte mich aber schon interessieren.

Montag 27.02.

La Femme dangereuse / Killing Car
(Jean Rollin, F 1989) [vhs, OmeU]

großartig

Man hat das Gefühl, dass Rollin LETZTES JAHR IN MARIENBAD als Filmirage-Produktion neu interpretieren wollte. Letztendlich ist das Ergebnis jedoch ein klassischer Rollin-Film – schon allein, weil er diverse kleinere Motive aus seinen Werk samplet, was heißt, dass es zwar keinen Strand von Dieppe gibt, aber eben beispielsweise eine Sense. Das Ergebnis ist demensprechend großartig. Nur: Ich bin mir sicher, dass bei D’Amato der Tod selbst Lambada getanzt hätte und nicht irgendein Statist.

Sonntag 26.02.

Momias / Mumien – Ein total verwickeltes Abenteuer
(Juan Jesús García Galocha, E 2021) [DCP]

nichtssagend

Ein netter kleiner Spaß mit Mumien, der so wenig aufregend ist, dass ich mich ständig gefragt habe: Wenn die mumifizierten Leichen in einem Land unter der Erde weiterleben, wie werden soziale Spannungen umgangen, wenn so einige unsterbliche Pharaonen aufeinandertreffen? Was für eine Gesellschaft entsteht da? Wie blutig wird ausgehandelt, wer nun der Herrschende ist? Naja.

Gestehen Sie, Dr. Corda!
(Josef von Báky, BRD 1958) [blu-ray]

gut

Meine erste selbstgekaufte CD war das Album MEIN GOTT, SIND WIR BEGABT von Torfrock. Ich besitze sie noch immer und erschreckend viele Sympathien für Hits wie DÜNEN BODO oder ICH BIN SCHAFANPFLOCKER AUF’M DEICH. Bei einem Track dieses Albums handelt es sich um eine Ansammlung von Quatschideen: RADIO TORFMOORHOLM. Und eine dieser Ideen ist der Blitzkrimi zur gewohnten Sekunde. Als ich erfuhr, dass es wirklich einen Film namens GESTEHEN SIE, DR. CORDA! gab, musste ich ihn sofort sehen. Das Ergebnis war, dass mir Ja, ist in Ordnung jedes Mal im Kopf antwortete, wenn Dr. Corda wieder und wieder aufgefordert wurde, seine Tat zu gestehen. Mehr zum Film selbst findet sich bei critic.de.

Sonnabend 25.02.

Marseille
(Angela Schanelec, D/F 2004) [DVD] 2

fantastisch

Vor fast zehn Jahren hatte ich MARSEILLE bereits gesehen. Ich konnte mich aber nur noch an den ersten Teil erinnern, in dem Sophie (Maren Eggert) durch Marseille streift und Bilder macht. Fast nichts geschieht, nur eine vorsichtige Annäherung. Den folgenden Part in Deutschland, in dem es nicht mehr um Freiheit, sondern um Enge geht, um Familien, die sich mit ihren Fesseln ins Fleisch schneiden, um Theater und andere Dinge, die ein Flucht nötig machen werden, war mir völlig entfallen. Am besten finde ich aber, dass MARSEILLE schlicht die Verfilmung des Umstands aus den MONOLOGEN AUS MALLORCA darstellt, der hier vor wenigen Wochen noch assoziativ für die Annäherung an Schanelecs MEIN LANGSAMES LEBEN diente.

Magnolia
(Paul Thomas Anderson, USA 1999) [blu-ray, OmeU] 2

ok +

Paul Thomas Anderson auf seiner großen Ich beweise allen, dass ich es draufhabe-Tour, deren Eltern-Kind-Drama-Short-Cuts eben vor allem seine Meisterschaft kommunizieren wollen. Für den Film sprechen die Frösche, Tom Cruise(?!) und der Umstand, dass ich nicht aus dem Kopf bekomme, dass ich nach dem Kinogang damals Juliane Moore gehasst habe. Wohl weil ich sie mit ihrer Figur verwechselt habe, und erst als ich ihren Auftritt in Altmans SHORT CUTS sah, ist es mir aufgegangen, dass ich irgendwas auf sie übertrage hatte. Warum es zu diesen intensiven Gefühlen kam und wieso sie sich so schnell auflösten, fasziniert mich mehr, als das Meiste in MAGNOLIA. Leider.

Freitag 24.02.

Sandy Wexler
(Steven Brill, USA 2017) [stream, OmeU]

verstrahlt

War gestern bei THE COBBLER noch das Abseitigste völlig normal, ist hier noch der normalste Vorgang völlig jenseitig. Das Portrait von Sandlers tatsächlichem Agenten wird dabei zur dysfunktionalen Romantikkomödie, in der ein dauerlabernder Sonderling (Sandler), der unfähig ist, die Wahrheit zu sagen, und die von ihm vertretenen talentierten, wunderschönen Sängerin (Jennifer Hudson), die die Augen vor ihren Gefühlen verschließt und stattdessen blind Beziehung auf Beziehung aneinanderreiht, was sie langsam zerstört, sich gegen jede Chance in einander verlieben. Ich brauche, glaube ich, noch Monate, um das zu verarbeiten.

Donnerstag 23.02.

The Cobbler / Cobbler: Der Schuhmagier
(Tom McCarthy, USA 2014) [blu-ray, OmU]

verstrahlt

THE COBBLER hat mich ein wenig auf dem falschen Fuß erwischt, weil ich mit einer Komödie rechnete und erst mit der Zeit das Warten aufgab. THE COBBLER ist nämlich eher eine Art Märchen über einen Schumacher (Adam Sandler), der mit seinem Leben nicht zufrieden ist und mittels einer magischen Schuhnähmaschine die Gestalt der Besitzer der bearbeiteten Schuhe annehmen kann. Er kann also wortwörtlich in ihren Schuhen laufen. Das folgende Schlawinern endet in Verwicklungen mit Verbrechern und diese wiederum in Nahtoderfahrungen sowie einem BRAZIL-artigen Happy End. Er kommt eben bei der Erkenntnis an, dass sein Leben doch ganz irre und toll ist – womit THE COBBLER schlussendlich jede Anbindung an eine sonst wie gearteten Realität aufgibt.
Vll. sind es folglich auch nicht meine falschen Erwartungen gewesen, die mich nicht so ganz in den Film haben kommen lassen. Vll. ist es THE COBBLER selbst, der Genreschranken durchgängig unterläuft und von Tom McCarthy so inszeniert ist, als würden wir den normalen Ablauf der Dinge, die aus einer solchen Möglichkeit eben folgen, präsentiert bekommen. Und auf diesem ohne Aufregung verfolgten Weg tötet Sandlers Figur einen Gangster (Method Man) mit dem Absatz des Stilettos des Transsexuellen, der er gerade ist, oder ersetzt für ein romantisches Diner mit seiner Mutter seinen vor Jahren verschwundenen Vater (Dustin Hoffman). Das seltsame von THE COBBLER ist eben, wie unscheinbar Vergewaltigungs-, Inzests- und sonstwie entrückte Phantasien völlig normal in seinen Wohlfühlfluss aufgenommen werden.

Mittwoch 22.02.

헤어질 결심 / Die Frau im Nebel
(Park Chan-wook, ROK 2022) [DCP, OmU]

gut

Mitten im Film würgt DECISION TO LEAVE seine obsessive Liebesgeschichte zwischen einem zwanghaften Spanner/Polizisten (Park Hae-il) und einer möglicherweise hintertriebenen potentiellen Mörderin (Tang Wie), die sich zu Gewalt und Selbsthass hingezogen fühlt, zwischen zwei kaputten Seelen, die sich gesucht und gefunden haben, einfach ab. Der Film kommt zwar wieder bei seiner düsteren Ramontik an, aber Parks eigener Zwang zur Überkonstruktion, der erst zu diesem Abwürgen führte, sorgt wiederum dafür, dass es sich nur schwerfällig wiederaufbaut und niemals mehr sein intuitives Gespür für zerstörerische Leidenschaften erlangt … gleichzeitig aber auch nicht die Fäulnis des ewig herausgezogenen Endes und von Figuren, die unfähig zur Erlösung sind, erreicht – dessen Meister der späte Visconti war. Trotzdem vll. der beste Park, den ich kenne … weil er tatsächlich Sinn für die eigene Absurdität zeigt und weil die Momente, in denen diese seltsame Liebe Zeit und Raum der Realität aushebelt, sehr, sehr schön sind.

Dienstag 21.02.

50 First Dates / 50 erste Dates
(Peter Segal, USA 2004) [blu-ray, OmeU]

großartig

Hinter 50 FIRST DATES steckt die Idee, dass ein Weiberheld mit Bindungsangst die perfekte Frau für sich findet. Seit einem Autounfall vergisst Lucy (Drew Barrymore) nämlich über Nacht die Ereignisse jedes neuen Tages. Er, der nach kurzen Affären am liebsten vergessen ist, ist es nun automatisch. Er, der sich vor Routinen fürchtet, kann keine aufbauen. Er, dem die Frauen hinterherrennen, hat eine echte Herausforderung, weil er immer nur einen Tag mit dieser aufgeweckten, schlagfertigen Frau hat und deren Zähmung nicht mit abgedroschenen Mitteln zu bewerkstelligen ist. Und selbstredend geht es darum, dass er nun doch versuchen wird, in ihrem Gedächtnis hängen zu bleiben. Dass er Routinen in deren Absenz wertzuschätzen lernt und welche aufbauen möchte. Dass er jemanden an sich heranlässt, weil diese sich nicht nach wenigen Angriffen vernaschen lässt.
Aber irgendwie ist 50 FIRST DATES nicht dieser Film. Jedenfalls nicht zur Gänze. Den Aspekt des Weiberhelden verliert Henry (Adam Sandler) sobald er auf Lucy trifft. Alle Entwicklungen des Films rennen bei ihm offene Türen ein. Gar nicht mal, weil der Film und Lucys Umfeld ordentlich moralischen Druck gegen das Ausnutzen der Situation aufbauen – und das tun sie. Sondern weil 50 FIRST DATES durchgängig darauf abzielt, herzensgut zu sein. Dies ist eben mit ganzem Herzen eine herzerwärmende romantische Komödie, in der sich alle Probleme in Rauch auflösen und es höchstens pro forma um ein mit Späßen aufgeladenes Drama geht. Weil die frische Liebe wieder und wieder genossen wird.
Der Cast besitzt genau dafür eine tolle Chemie. Die Möglichkeiten von Wiederholungen und Variationen wecken zudem sichtlich die Kreativität von Sandler und Co. – ein wenig wird dabei mit der Struktur von GROUNDHOG DAY gespielt, aber dann doch schnell hinter sich gelassen, da der sich stets wandelnde Aufbruch ins Glück dominiert. Die (wie sooft) allgegenwärtige sexuelle Unsicherheit konterkariert die Entspanntheit des Films mit spritziger, geschmackloser Nervosität. Aber trotzdem wird 50 FIRST DATES erst dadurch abgerundet, dass er seine düsteren Implikationen nicht abzuschütteln weiß … und das gerade an seinen süßesten und romantischsten Stellen.
Sandlers Figur ist eben zuvorderst nicht der hawaiianischer Pappagallo der Exposition, sondern ein Meeresbiologe, der sich fürsorglich um Walrösser und Pinguine kümmert – die als anthropomorphe Gegenparts Sandlers vll. das Highlight des Films darstellen. Wenn der Film dazu von einer Frau und ihrer Familie erzählt, die aus einer sich endlos im Kreis drehenden Situation befreit werden müssen, ergibt sich ein etwas verstörenderes Bild. So ist dies eben ein Film, in dem ein Wissenschaftler ein Projekt annimmt, um jemanden zu helfen … der ihm weitestgehend ausgeliefert ist.
Nur weil der Film am Ende den Bodyhorror einer Schwangerschaft ausblendet und einfach ein paar Jahre überspringt, steckt in dem Film doch sehr lebhaft die Vorstellung von Lucy, die Tag für Tag in der Gewissheit aufwacht, dass nur ein weiterer ganz normaler Tag aus ihrem ledigen, ungebundenen Leben anbricht, und plötzlich ist da dieser Schwangerschaftsbauch an ihr dran. Vor Jahren habe ich eine Wertschätzung des Schauspiel Adam Sandlers gelesen, wo es um die Pausen ging, die er vor Repliken stehen lässt. In diesen Augenblicken schwängen immer die fiesen und kruden Antworten mit, die er sich tatsächlich verkneift. Die aber auf all die Abgründe weisen, die in ihm und seinen Figuren noch stecken. Die Schatten, von denen Bob Ross ständig erzählt, dass sie Tiefe erzeugen, sind dort zu finden. Und der gutaufgelegte, warmherzige 50 FIRST DATES steckt voller dieser Schatten.

Montag 20.02.

Neues vom Hexer
(Alfred Vohrer, BRD 1965) [blu-ray] 2

ok +

Während Vohrer bei seinen späten Wallace-Filmen einfach nichts mehr ernst nahm, ohne dies groß zu rechtfertigen, suchte der erste DER HEXER noch beständig die Rückversicherung. Dass es sich um einen ironischen Spaß handelt, der nicht ernst zu nehmen ist, wird wieder und wieder betont. Das Ergebnis ist sehr bemüht. NEUES VOM HEXER ist ein Schritt weg von seinem Vorgänger und ein gutaufgelegtes Potpourri aus Fantômas-, Agatha Christie- und Dr. Mabuse-Versatzstücken. Kinder zähmen dabei wilde Tiger allein mittels ihres süßen Aussehens. Oder: Kinski als auch Arent tragen einen Böserzwilling-Vollbart. Während NEUES VOM HEXER allerdings viele schöne Momente besitzt, verliert er sich trotzdem in seinem Mittelweg aus Krimi und Unernst. Zusehends wird er lauwarm, da er für seine schnellen, oft – für seine Figuren tödlichen – Pointen der Geschichte der Grundlage beraubt. Übrig bleibt wieder die Bemühung.
Ganz toll finde ich aber, dass diejenigen, die sich als jemand anderes verkleiden, nicht kenntlich gemacht werden. Nur wird es leider lediglich für schnelle, witzige Offenbarungen genutzt, nicht aber für eine anhaltende Paranoia oder wilde Absurdität.

Sonntag 19.02.

Puss in Boots / Der gestiefelte Kater
(Chris Miller, USA 2011) [blu-ray]

gut

Seltsam an diesem meist gut aufgelegten Film ist, dass die Computeranimation von Menschen nach einem Endneunziger Videospiel aussieht, während der Rest halbwegs erträglich anzusehen ist.

Sonnabend 18.02.

Paddington 2
(Paul King, UK/USA/F 2017) [blu-ray] 2

großartig

Während die Tollpatschigkeiten Paddingtons für Lotti Z. (7 Jahre) vor drei Jahren noch zu viel an sozialem Stress darstellten, hat sie inzwischen darüber lachen können. Filme sind wirklich toll, um Entwicklungsprozesse nachvollziehen zu können, die im Alltag gar nicht so offenbar sind. Ansonsten: Kinderfilmvirtuosentum.

Tytöt tytöt tytöt / Girls Girls Girls
(Alli Haapasalo, FIN 2022) [stream, OmU]

großartig

Ein Film, dem ich gern zugeschaut hab, wie er die Blicke seiner Protagonisten anschaut. Mehr dazu beim perlentaucher.

Freitag 17.02.

Big Daddy
(Dennis Dugan, USA 1999) [stream, OmeU]

großartig

Im Gegensatz zu Frank Coraci, dessen THE WEDDING SINGER ziemlich geradlinig inszeniert ist, zeigt sich Dennis Dugan deutlich mehr an Widrigkeiten und Widerhaken interessiert. BIG DADDY ist kaum weniger warmherzig als besagte romantische Komödie. Sandler aber greift seine Sweetness in Wort und Tat beständig an und vor allem nimmt der Film jeden Umweg gerne mit, um dem Süßen mit Trotz und einer gewissen Räudigkeit zu begegnen. BIG DADDY mäandert durch Gewalt, schrille Ideen und fragwürdige Running Gags und fühlt sich wie ein hochgezüchteter und mutierter Tom & Jerry-Cartoon an, der seinem Liebreiz zur Fratze verzieht.

R.H.I.N.O.
(Jane Howell, UK 1983) [DVD, OF]

ok

Das britische Bildungssystem scheitert an einer jungen Frau mit jamaikanischen Wurzeln. Sie schwänzt die Schule, damit sie sich um ihren kleinen Neffen kümmern kann und dieser nicht im Heim landet. Sie klaut Fleisch, damit es was Anständiges zu Essen gibt. Der Kamera geht es um Konfrontation und vor allem um ein Ziehen an unserer stoischen Hauptfigur, in dem die Kamera eben unruhig an den Geschehnissen vorbeifliegt, als könnten die Dinge nicht ruhig betrachtet werden. Das ist alles sehr richtig und nachvollziehbar gemacht, was im Endeffekt aber nur ein Drama ergibt, bei dem von Beginn an alles klar ist.

Donnerstag 16.02.

Der traumhafte Weg
(Angela Schanelec, D 2016) [DVD]

großartig +

Michael K. fasst auf critic.de sehr, sehr schön zusammen, was diesen Film zweier Trennungen und eines Pfads resignierender Hoffnungen ausmacht. Vll. hätte er nur noch erwähnen können, wie witzig Maren Eggerts Outfits zuweilen sind, mit denen ihre deprimierte Figur – so will es scheinen – zur ihrer minimalen Erheiterung als trauriger Clown durch ihr Leben läuft. Oder die Hände von Thorbjörn Björnsson, deren Fingernägel aussehen, als fielen sie gleich ab und die deshalb als Fenster in seine Seele dienen. Sowie das Moos, in das sich gekuschelt wird, als könnten wir in ihm wieder völlig heil sein – leider funktioniert es nicht.

Mittwoch 15.02.

The Wedding Singer / Eine Hochzeit zum Verlieben
(Frank Coraci, USA 1998) [DVD, OmeU]

großartig

Dies gehört wahrscheinlich zu den großen warmherzigen Werken im Œuvre Adam Sandlers. Beinahe alles an THE WEDDING SINGER ist sweet und sensibel … nur wird in einer Tour unterstrichen, dass die Handlung in den 1980er Jahren spielt. Mit der Musik, der Poptrivia, dem Look. Es resoniert zwar hier und da mit dem Unwillen der beiden Hauptfiguren, die sich von eingefahren Ideen nur schwer trennen können. Und doch nervt die Zwanghaftigkeit sehr, da der Film dadurch unnötigerweise zur Nostalgieshow gemacht wird.

Dienstag 14.02.

Gesicht der Erinnerung
(Dominik Graf, D 2022) [stream]

gut +

Ein bisschen VERTIGO, ein bisschen DIE FREUNDE DER FREUNDE. Eine Frau verliebt sich in einen jungen Mann, in dem sie die Wiedergeburt der Liebe ihres Lebens zu erkennen vermeint. Der Liebe ihres Lebens, die sie 20 Jahre zuvor durch einen Autounfall(? – die Betonung der fehlenden Bremsspuren) verlor. Die Farben und der Schnitt des Films sind so erratisch, wie die romantische Wahrheit, die er anstrebt. Das Ergebnis ist ein schönes Spätwerk eines großen Regisseurs, aber irgendwie kommt es nicht so an, wie frühere Filme. Ein wenig hatte ich das Gefühl, dass Dominik Graf seinen Stiefel runterspielt. Als ob er zu sehr weiß, was er machen muss, bzw. was er denkt, was er machen müsste.

Sonntag 12.02.

Die Drei ??? – Erbe des Drachen
(Tim Dünschede, D 2023) [DCP]

ok

Beim ERBE DES DRACHEN handelt es sich, glaube ich, schon um einen ziemlich netten Film. Ich kann nur so rein gar nichts mit den Hauptfiguren anfangen … und mit Justus Jonas – gerade in der hier gezeigten Form – noch viel weniger.

Magic Mike’s Last Dance / Magic Mike: The last Dance
(Steven Soderbergh, USA 2023) [DCP, OF]

gut

Bei XXL war Soderbergh nicht Regisseur und da kickt es dann auch gleich viel mehr. Und jetzt ist er wieder Regisseur und da kickt es gleich wieder weniger. Es handelt sich bei LAST DANCE trotzdem um einen ganz schönen Film. Mehr dazu bei critic.de.

Sonnabend 11.02.

Magic Mike XXL
(Gregory Jacobs, USA 2015) [blu-ray, OmeU]

großartig +

Es ist ein wenig wie mit der WEST SIDE STORY. Dort hüpfen Straßengangs rum, statt zu kämpfen. Hier wird getanzt, statt einfach Sex zu haben. Nun kann argumentiert werden, dass die Tanzszenen, obwohl sie offensichtlich Sexuelles darstellen, ziemlich unerotisch sind. Für fleischliche Erregung ist MAGIC MIKE XXL tatsächlich eher nicht geeignet. Er ist eben zuerst Musical, dem es um Tanz geht. Und dieses ist vll. nicht sonderlich sexuell erregend, aber frivol, schmierig, enthemmt und völlig jenseitig in Bezug auf Darstellbares in Hollywood und politisch korrekte, unproblematische Darstellungen weiblicher Sexualität.
MAGIC MIKE XXL ist ein Road Movie über Male Entertainer, die von Florida nach Georgia reisen und die über die immer seltsameren Parallelwelten, in denen sie Station machen, zunehmend mit sich ins Reine kommen … weil sie erkennen, dass es ihr Verdienst ist, dass sie es schaffen, Frauen von ihren Hemmungen zu befreien. Das ernsthafte Drama des ersten Teils ist damit in Abwesenheit von Soderbergh als Regisseur völlig von diesem abgefallen. Stattdessen geht es um Tanz als befreiendes Ritual und um die zweifelhafte Ehre der der Lust Dienenden … in tollen, teilweise völlig bescheuerten Tanzchoreographien. Wohltemperiertes und Durchdachtes gibt es hier eben noch weniger zu holen als Wichsvorlagen.

Freitag 10.02.

新座頭市物語・折れた杖 / Zatoichi in Desperation
(Katsu Shintarō, J 1972) [blu-ray, OmeU]

großartig

Zatōichi selbst (also dessen Darsteller Katsu Shintarō) übernimmt beim vorletzten Teil der Reihe die Regie. Und das Ergebnis ist prunken und protzig. So sehr wird auf ansehnliche, expressive Bilder wertgelegt, dass eine realistische Konsistenz in der Inszenierung hinten runterfällt. Entsprechend kommt es zu sogenannten Amateuerfehlern, wenn Zatōichi beispielsweise weit weg auf einer Brücke steht und wir seinen Dialog hören, als stehe er direkt neben uns. Aber auch Abstruses. So wird der blinde Masseur von rasanten Monatgeflashbacks eines Todes verfolgt – also von Bildern –, die er gar nicht hat sehen können. Es steht im krassen Gegensatz zu den Filmen, die noch unter der Schirmherrschaft von Daiei entstanden, wo rationell und ohne große Sperenzchen von einem Blinden erzählt wurde, der alles sehen konnte.
Die Pointe ist nun, dass ZATOICHI IN DESPERATION eine Augenweide ist, Zatōichi aber die großen Dramen um sich übersieht. So geblendet ist er von einem zufälligen Tod, für den er sich verantwortlich macht, dass er das ausgegrenzte Straßenkind und die 14-jährige Geisha, die auf ein Happy End hoffen, einfach nicht wahrnimmt. Stattdessen rettet er jemanden, der gar nicht gerettet werden möchte … und läuft mit ihr an sozialen Unruhen und bitteren Schicksalen vorbei.
Die Reihe ist mit ZATOICHI IN DESPERATION schlicht in ihrer Dekonstruktion angekommen ist. Wie ein Spiegel funktioniert der Film, der keinen Helden zeigt, sondern eine verlorene, tragikomische Actionfigur, deren heroisches Töten nichts mehr zum Besseren wenden kann. Ihm bleibt nur mehr der Schmerz.

A Simple Favor / Nur ein kleiner Gefallen
(Paul Feig, USA/CA 2018) [stream, OmeU]

gut

Die Frage bleibt, warum Paul Feig diesen Hitchcock-DIABOLIQUES-Suspense-Thriller gemacht hat, obwohl ihm nicht nur das Talent, sondern sichtlich auch der Wille für Suspense fehlt. Jede Windung und Wendung des Plots kündigt sich groß an, als ginge es darum, das Drehbuch stolz zu präsentieren und nicht darum es zu inszenieren. Bestenfalls wird der Ablauf des Thrillers noch mit Metapointen zugekleistert. Statt Thriller ist A SIMPLE FAVOR deshalb ein launiges Spielzeug, das zumindest oft Spaß macht und das über einen überaus gut aufgelegten Cast verfügt … vor allem finde ich bemerkenswert, dass Blake Lively in den vier Filmen, die ich vorher mit ihr gesehen hatte, so gar keinen Eindruck bei mir hinterlassen hatte und hier nun dermaßen glänzt und sich in den Mittelpunkt spielt.

Donnerstag 09.02.

Knock at the Cabin
(M. Night Shyamalan, USA 2023) [DCP]

verstrahlt

Die Zeugen Jehovas klopfen an die Tür und haben die Apokalypse oder ein Gespräch über Gottes Problem mit Schwulen im Schlepptau. Im Vorfeld war ich mir sicher, dass Shyamalan mich im Rahmen seiner Shyamalanität nicht mehr überraschen kann. Aber ich lag falsch. Mehr dazu bei critic.de.

Mittwoch 08.02.

Derrick (Folge 262) Riekes trauriger Nachbar
(Eberhard Itzenplitz, D 1996) [DVD]

ok

Lara-Joy Körner spielt drei Folgen nach MÄDCHEN IM MONDLICHT gleich wieder ein Ausbund von Reinheit und Unschuld, der durch Sex zugrunde gerichtet wird. Dieses Mal nicht durch Vergewaltigung, sondern durch Sex mit einem HIV-Positiven, der um seine Infizierung wusste. Und sie hat sich natürlich angesteckt. [Die könnte ein Spoiler sein, glaube ich.]
DERRICK-Folgen in den Neunzigern sind schon ein Erlebnis für sich, weil sie in einen sehr eigenen Duktus abgedriftet sind, aber auch hier ist wieder nicht viel mehr als dieser zu entdecken … zumal ich diese Geschichten von reinen, geschändeten Wesen nicht sehr viel abgewinnen kann. Hier also etwas AIDS-Hysterie seiner Zeit, die einerseits wenig Interessantes erzählt – der Paukenschlag der Krankheit soll hinausgezögert werden und der Weg dorthin fühlt sich wie eine Ansammlung von Füllszenen an –, und die andererseits einen Nachbarn auf Krücken (Michael Maertens, der spätere Falko von Falkenstein) einbaut. Mit diesem wird nahelegt, dass andere mit ihren Krankheiten/Behinderungen auch weiterleben, es also keinen Grund für das Verlieren von Lebensmut gibt – hab‘ dich nicht so, schwaches, reines Mädchen.

Dienstag 07.02.

Le frisson des vampires / Sexual-Terror der entfesselten Vampire
(Jean Rollin, F 1971) [blu-ray, OmeU] 2

fantastisch

SHIVERS OF THE VAMPIRE, so der englische Titel, war der zweite Film, den ich je von Jean Rollin sah … nach dem Aufstehen an einem Sonnabend noch im Bett liegend. Wenige Monate nachdem mich LES DÉMONIAQUES ratlos zurückgelassen hatte. Damals hatte ich ihn als Obskurität abgespeichert. Mehr als spaßigen Zeitvertreib als mir damals bestimmt lieb war. Weil ich wie ein Schwein vorm Uhrwerk stand und es mir schwerfiel etwas damit anzufangen … und weil ich dieses Zeug doch gern mehr hätte nachvollziehen können. Was sie von mir wollen, was die Macher antrieb, wieso in ihnen das los ist, was in ihnen los ist. Inzwischen bin ich, denke ich, an Rollins Filmen gewachsen und mag sie sehr. Es ist fast wie ein Heimkommen, wenn ich mal wieder einen schaue. Aber bei SHIVERS OF THE VAMPIRE spürte ich noch die ratlose Perspektive von damals.
Es ist wahrscheinlich schon ein, zwei Mal in diesem Sehtagebuch erwähnt worden, wie seltsam die ersten Begegnungen mit Rollins Filmen für mich waren. Weil meine Ratlosigkeit bei anderen Filmen keinen vergleichbaren Grad erreichte. Jeder andere Film, den ich bisher sah, schien mir wahrscheinlicher in seiner Existenz als LES DÉMONIAQUES und SHIVERS OF THE VAMPIRE. Und auch wenn ich mich inzwischen im Werk Rollin bestens aufgehoben fühle, bleibt immer noch ein wenig der Unglaube über das Vorhandensein dieser Filme.
So ist seinen Filmen ihre Entstehungszeit immer anzusehen und doch wirken sie wie die Werke von jemanden aus dem Umfeld der frühen Surrealisten – vll. hätte surrealistische Stummfilme damals so ähnlich wie Rollins Filme ausgesehen, wenn Roman- und Kinohasser André Breton nicht die Führung der Gruppe übernommen hätte und/oder wenn sie Kafka als Erweiterung der Bücher um Fantômas entdeckt und wertgeschätzt hätten. Jedenfalls wirken Rollins Filme stets wie Fenster in Parallelwelten … und nicht, weil in den Filmen oft solche betreten werden und sich diese auf die Realität auswirken, sondern weil ihre Realitäten immer schon Parallelwelten sind … und eben auch Parallelwelten voneinander. Die immer gleichen Motive verbinden sie. Die gleiche Liebe für Ornamente, eine schleppende Gangart – das getragene Schreiten in den Wahnsinn/ins Glück einer eigenen Welt –, die ambivalente Haltung zu Sex und Gewalt, die wie Rituale fremder Wesen wirken, der Hang zu erratischem Geheimwissen.
Es ist alles hier schon zur Genüge erwähnt worden, denke ich. Was aber auch zentral ist, ist die fehlende Bereitschaft bzw. das fehlende Können einen immersiven Film zu gestalten. Die Filme können einen schon in ihren Bann schlagen, aber sie geben sich keine Mühe sicherzustellen, dass die Zuschauer mitgenommen werden … oder scheitern daran, wenn sie es denn versuchen sollten. Rollin scheint mir blind daran zu glauben, dass die Bilder, die Motive, sein Kino eben Attraktionen sind. Als beherrsche ihn der Glaube an das Kino wie in dessen Frühzeit. Es geht folglich nicht um geschulte Filmemacherei und eingeweihte Zuschauer, sondern um Bilder per se, die durch ihr Vorhandensein und ihr Zeigen schon Realitäten erschaffen müssen … in den Köpfen der Zuschauer, der Träumenden.
In einem Interview, das der blu-ray beigefügt ist und das auf seine Weise auch schon wieder sehr bizarr ist, meint Rollin, dass SHIVERS OF THE VAMPIRE eine schwarze Komödie sei. Vor allem, weil er die Schauspieler, die die beiden zu Vampiren gewordenen Vampirjäger spielen, Michel Delahaye und Jacques Robiolles, freidrehen und ziemlich viel Durchgedrehtes erzählen lässt. Dieser Film, der vll. noch am nächsten an Bram Stokers DRACULA liegt, bekommt durch sie tatsächlich mehr Schlagseite Richtung offene Absurdität, in ihrem wortreichen Kreisen und Ringen um Verständnis kann ich mich aber auch sehr gut einfühlen.

Montag 06.02.

Flying Into the Wind
(Edward Bennett, UK 1983) [DVD, OF]

gut

Drehbuchautor David Leland hasst das britische Schulsystem (seiner Zeit). Jedenfalls hinterlassen die Filme aus der Box TALES OUT OF SCHOOL diesen dringenden Eindruck. Hier kreischt ein kleines Mädchen panisch, weil wenn es zur Schule gebracht wird. Die Eltern nehmen es daraufhin aus dem System, stellen ihr eigenes Leben um und richten es auf ihre beiden Kinder aus, denen sie nur das erklären und beibringen, was diese interessiert. Auf der einen Seite ist FLYING INTO THE WIND dabei das Porträt eines Schul- und Rechtssystems, dass Abweichler in ihre bürokratischen Wege hereinzwingen möchte. Größtenteils artikuliert es sich als melodramatisches Gerichtsdrama. Auf der anderen Seite geht es um neugierige Kinder. In einem Fall sehen wir ein verzweifeltes Kind, im anderen ein sich wunderndes und wunderliches. Und die Teile mit Letzterem sind am besten, vor allem wenn ein Richter mit dem Jungen einen Ausflug zum See macht, um ihn kennenzulernen und um einschätzen zu können, ob seine Erziehung vll. auch ohne Schule und jeglichen Druck funktioniert. Ihr Aufeinandertreffen ist so eigenartig, dass es gleichzeitig Komödie und Thriller ist. Und den verwunderten Blick eines Kinds auf Erwachsene richtet, die so ziemliche alle seltsam sind.

Sonntag 05.02.

Les 12 travaux d’Astérix / Asterix erobert Rom
(René Goscinny, Albert Uderzo, F 1976) [blu-ray] 63

großartig +

Dieses Mal war ich verwundert, dass mir die ganzen Ejakulationssubstitute, die Leuten ins Gesicht spritzen, nicht früher aufgefallen sind.

Die seltsame Gräfin
(Josef von Báky, BRD 1961) [blu-ray]

großartig

In diesem Film – und deshalb ist er auf seine Weise ein Phänomen – sind alle denkbaren Unsitten des deutschen Films versammelt, schrieb die Deutsche Zeitung und Wirtschaftszeitung 1961. Ähnlich präzise äußerst sich der Film-Dienst: Die konfus verhäkelte Handlung spielt angeblich in London, könnte mit ihren Klischees in verschwommen gezeichneter Umgebung aber auch auf dem Mond stattfinden. Was die beiden Urteile aber sichtlich als Nachteil empfinden, steht dem Film gut zu Gesicht. Ein Anstaltsarzt, der freudig davon ausgeht, dass den Patientinnen seine Spritze geholfen hat – *zwinker zwinker*; Klaus Kinski, der einen freudigen Psychopathen darstellt, der wie ein verzücktes Kind Katz und Maus mit seinem Opfer spielt, der genauso gut der unter Draculas Einfluss stehende R.M. Renfield sein könnte; überhaupt die ganzen entrückten Charaktere, die nicht ironisch gebrochen sind; dass sich von Báky sichtlich an Langs Mabuse-Filmen orientiert und den Spaß nicht besserwisserisch gegen seinen Film richtet, sondern das Alberne einfügt: Es kommt wirklich sehr viel zusammen, was das deutsche Kino der Zeit auszeichnet … mit einem Hang zu Creeps und Verwirrten. Und schon weiß ich nicht, was gegen DIE SELTSAME GRÄFIN sprechen sollte.

Sonnabend 04.02.

A Matter of Time / Nina – Nur eine Frage der Zeit
(Vincente Minnelli, USA 1976) [DVD, OF, ≠]

fantastisch

Während SUNSET BOULEVARD auf einen Hag-Horror hinausläuft und den Träumen einer Hollywood-Diva alter Tage brutal die Realität entgegen-stellt, da macht es sich A MATTER OF TIME entgegengesetzt in der Illusion bequem. Bzw. wird bei ihm nicht so stark zwischen (Alp-)Traum hier und Realität da unterschieden.
Die Erzählung wird dementsprechend als Erinnerung gerahmt. Der Ort der Handlung – ein heruntergekommenes, ehemaliges Nobelhotel – und seine Inszenierung betonten Irreales und die allgegenwärtige Schäbigkeit. Die Künstlichkeit der Bilder ist nicht auf grelle Schönheit aus, sondern verbindet Nostalgie und diverse Verwesungsprozesse. Das Hotel, das Leben der alternden Diva, Vincente Minnellis Karriere, dessen letzter Film dies sein sollte: alle haben ihre besten Tage hinter sich. Und Verfall ist dabei eben glorios wie das Gloriose einer verlorenen, phantasierten Vergangenheit verfallen ist. Beides ist nicht voneinander zu trennen und Ausdruck eines Trotzes gegen die Realität, ohne die Bitterkeit über den Verlust auszusperren.
Die Schauspiel-Diva Nina (Liza Minnelli) erinnert sich in A MATTER OF TIME an ihre bescheidenen Anfänge in Rom und wie sie die alternde Sex Goddess Contessa Sanziani (Ingrid Bergman) kennenlernte, die in der entrückten Parallelwelt ihrer Vergangenheit lebt, mit der sie ihre jetzige Armut und Vergessenheit, ihr Alter überschreibt. Sie könnte beschaulich bei ihrem Ex-Mann (Charles Boyer) leben, aber für Kompromisse, für ein Einknicken vor den Gegebenheiten der Wirklichkeit ist sie nicht zu haben. Und Ninas Erfolg basiert eben auf ihrer Abwendung von der Realität im Fahrwasser ihres Idols, deren Glamour nur noch sie zu erkennen weiß.
A MATTER OF TIME ist dabei ein Film der Echos. Nicht nur zieht der ganze Aufbau nach sich, dass die Schicksale der Charaktere, Orte und Zeitpunkte aufeinander abstrahlen. Nicht nur scheinen die Bilder wie Echos einer besseren Zeit. Auch spielt Isabella Rossellini mit und sieht wie eine jüngere Version ihrer Mutter aus, die statt ihrer als Nonne weiterlebt. Auch ist mir nie mehr aufgefallen, wie sehr Liza Minnelli wie ihr Vater aussieht. In einer Echokammer steckt alles fest und vergammelt glücklich und episch in einer garstigen, kleinen Welt vor sich hin.

Nachmittag
(Angela Schanelec, D 2007) [DVD] 2

gut +

Zwei Tage in einem Haus am See. Darin: eine Familie. Alex (Fritz Schediwy), der Altvordere und etwas Gebrechliche, der einfach nur noch da ist. Irene (Angela Schanelec), am ehesten seine Tochter, deren Anwesenheit wie die kurzfristige Unterbrechung ihrer Abwesenheit wirkt. Ihr neuer Freund Max (Mark Waschke), der irritiert und allein gelassen herumsitzt. Konstantin (Jirka Zett), Irenes ca. 20-jähriger Sohn, der nicht möchte, dass sich etwas ändert. Die Nachbarin Agnes (Miriam Horwitz), die Konstantin liebt, aber weg möchte. Die vll. 4- bis 5-jährige Mimmi (Agnes Schanelec), die am ehesten die Tochter von Konstantin ist, aber genaues bekommen wir nicht erklärt. Jeder hat ein anderes Verhältnis zu dem Haus. Was nichts anderes heißt, als dass es um vier(?) Generationen geht, deren Bedürfnisse und Lebensentwürfe nicht wirklich zusammenpassen. Die in nächster Nähe leben, aber einander nur schwer verstehen.
NACHMITTAG zeigt uns das alles durch Auslassungen. In zwei Tagen, an sonnigen Badewetternachmittagen lassen sich die Leute treiben und ihre Konflikte deuten sich nur an. Beispielsweise wird nie klar, wie sich Mimmi wirklich zur Familie verhält. Der anzunehmende Urgroßvater Alex kümmert sich am ehesten um sie. Wenn Konstantin aber der Vater ist, wer ist die Mutter? Agnes? Aber warum hat sie dann nichts mit Mimmi zu tun? Vll. habe ich auch nur etwas nicht mitbekommen, und es ist sonnenklar. So schien es mir symptomatisch für einen Film, der Torsos oder andere Details beschaut und Köpfe abschneidet. Weil es faszinierender ist, als die ewigen Gesichter. Weil wir eben nie alles (einer Person) sehen.
Wie in MEIN LANGSAMES LEBEN reden die Figuren hier ziemlich geschwollen und nichts scheint ihre ökonomische Absicherung zu bedrohen. Doch im Augenwinkel, in den Pausen, in der Schönheit von Fragmentierung und Verwischung der Hintergründe steht ein existentielles Leiden, das sich in Schweigen und Übertünchen der Probleme realisiert und in seinem vagen Nagen wirksamer ist, als wenn direkt draufgehalten ist. Was NACHMITTAG auch gleich beweist, wenn ein Suizidversuch groß ins Bild gestellt wird und aus den Lautsprechern knistert. Dann wirkt der Film plötzlich so verloren wie die Leute, wenn sie miteinander reden müssen.

Freitag 03.02.

King Arthur
(Antoine Fuqua, USA/IRL/UK 2004) [stream, OmeU]

nichtssagend

Als Diss gegen England ganz amüsant: König Arthur (Clive Owen – eher nicht so toll) als Vertreter einer romano-britischen Kultur verteidigt Britannien gegen die einfallenden barbarischen Nazisachsen – womit das Angelsächsische eben das Böse darstellt, welches bis zur normannischen Eroberung England ausmachen wird, dem Land seinen Namen gibt und dafür sorgt, dass das nur noch Schottland und Wales sich auf ihre keltischen Wurzeln berufen. Die Überfremdung durch die Angeln und Sachsen, die den Traum eines britischen Paradieses bedroht: hier wird sie noch verhindert.
Darüber hinaus liegt der Film aber eher auf der hässlichen Seite, ist träge und lässt seinen Jungstraum von aufrechtem Heldentum und selbstmörderischen Heroismus im matschigen Grau der Bilder und des Drehbuchs untergehen. Bezeichnenderweise ist das beschämte Spiel Til Schweigers im Angesicht von Stellan Skarsgård eine der wenigen Schönheiten des Films.

Donnerstag 02.02.

Scooby-Doo
(Raja Gosnell, USA 2002) [stream, OmeU]

uff

Nicht nur, dass die Pointen nicht funktionieren, weil sie schlecht geschrieben sind und ohne jegliches Timing vorgetragen werden, nicht nur, dass Großteil des Casts fehlbesetzt ist, am Ende bricht SCOOBY-DOO das Genick, dass er unfassbar hässlich aussieht.

Mittwoch 01.02.

The Shining / Shining
(Stanley Kubrick, USA/UK 1980) [blu-ray] 5

großartig

Dramaturgisch passt nichts. Von Beginn weg ist alles klar. Nicholson ist ein Psychopath und wird Amoklaufen. Shelley Duvall spielt ein hilfloses Opfer, dass Gewalt anzuziehen scheint. Und Kubrick macht nichts, als jede Szene noch dick zu unterstreichen und einem die Stimmung mit der Musik reinzuwürgen. Es ist einerseits schön, dass er von Start weg in die Vollen geht, der Spannungsbogen um Scatman Crothers ist mega und die Bilder aus dem letzten Drittel sind mehr oder weniger zurecht ikonisch geworden. Andererseits ist der Film in besagtem Drittel einfach nur noch lasch, weil lediglich das abgewickelt wird, was von der ersten Minute zu erwarten ist. Oder anders: Selbst als ich noch vor fast allen Horrorfilmen einen tierischen Bammel hatte, fand ich an THE SHINING wenig gruselig.
Solange aber das Haus im Mittelpunkt steht und noch nicht der Axtmörder, solange es um verwinkelte Gänge geht, um Bälle, die kaum bis zu den weit entfernten Wänden geworfen werden können, um Ecken in diesem Labyrinth, wo Sex als Sumpfleiche auf einen wartet, oder die eigene Selbstverleugnung als leere Bar, wo der zwanghafte Aufbau der Szenen mal bewusst, mal unbewusst in Schangel umschlägt, weil nun wirklich nichts an diesem Film dezent ist, wenn Kubrick Horror als irren durch eine Kirche der inneren Hölle versteht, ist der Film schon sehr schick.

Januar
Dienstag 31.01.

Der grüne Bogenschütze
(Jürgen Roland, BRD 1961) [blu-ray] 2

gut

Für den Film spricht, dass Karin Dors Augen nie tiefer aussahen. Gegen ihn spricht, dass der Bogenschütze etwas arg kurzkommt.

Montag 30.01.

Mein langsames Leben
(Angela Schanelec, D 2001) [DVD] 2

fantastisch

Vor vielen Jahren stand ich vor einem Club und hörte irgendwann den Leuten zu, die hinter uns in der Schlange standen. Ich fand ziemlich blöd, was sie redeten. Als ich mich wieder dem Gespräch meiner Freunde widmete, dem Gespräch dessen Teil ich gerade selbst noch gewesen war, fand ich das dort Gesagte – nun aus einer beobachtenden Perspektive betrachtet – nicht unbedingt besser. Ich entschied, dass es einen eklatanten Unterschied macht, ob wir Teil eines Small Talks sind oder diesen von außen betrachten.
In MEIN LANGSAMES LEBEN sind wird nie Teil der geführten Gespräche. Sie wirken durchgehend banal, falsch, aufgesetzt und bemüht (geistreich). Statt Immersion zu bieten, lässt uns Schanelec mit Menschen allein, deren Gedanken von ihren gesagten Wörtern betrogen werden scheinen. Die reden, weil sie soziale Wesen sind, aber nicht, weil sie etwas ausdrücken wollten oder könnten. Manchmal, wenn sie sich zu sehr etwas Wichtigen annähern oder wenn ihre Bonmots an etwas Wahrhaftem kratzen, schweigen sie auch gleich und blicken betroffen ins Leere.
Wenn sie nun schweigen und blicken, scheinen sie aber gleich mehr zu sagen zu haben. Dann ist diese Ansammlung von Begegnungen unterschiedlicher Menschen, die höchstens einem groben roten erzählerischen Faden folgen, tatsächlich berührend. Dann geht es eben um Menschen, die allein sind und die weder ein, noch aus wissen, obwohl es ihnen an nichts fehlt. Ihre unnachgiebige Präsenz in den langen Einstellungen, in den Augenblicken irgendwo aus Raum und Zeit aufgegriffen, hat eben viel mehr Bestand, als die Dinge, die sie sagen.
Aber wie Thomas Bernhard so schön in MONOLOGE AUF MALLORCA ausführt, geht er zum Schreiben irgendwo hin, wo er die Leute nicht versteht. Nun wirkt es gleich viel schöner und philosophischer, wenn die Leute reden, weil ihre Vulgaritäten nicht mehr zu verstehen sind. Und vll. ist es hier ja ähnlich, dass die schweigenden Gesichter auch nur eine Wand zeigen, hinter der lediglich unsere Phantasie mehr als nur Fluchtgedanken und sozialen Stress vermutet. Wenn die Leute aber tanzen oder vor raumgreifenden verregneten Fenster stehen, dann wohnt ihnen eine sagenhafte Schönheit und eine körperliche Aufrichtigkeit inne, die durch nichts verraten werden kann.

Sonntag 29.01.

パンダコパンダ / Panda! Go Panda!
(Takahata Isao, J 1972) [DVD] 3

großartig +

Sieben Kinder waren bei uns in der Wohnung und meist hatte jedes seine eigene Vorstellung davon, was zu machen sei. Wenn aber ein Kampfhund einem Pandakind in den Kopf beißt, aber quasi auf den Granit eines unkaputtbaren Schädels trifft, dann herrscht Einigkeit, dass die Zeit gerade hervorragend genutzt wird.

Derrick (Folge 261) Das leere Zimmer
(Horst Tappert, D 1996) [DVD]

ok

Herbert Reinecker lässt Derrick mit dem Täter in einem leeren, weißen Zimmer herumstehen und reden. Es ist ihm anscheinend ein wichtiges Motiv, weshalb er die Folge danach benennt. Dass sich einer der beiden ins Abstrakte verloren hat, soll sich in dem Bild ausdrücken. Nur offenbart Horst Tappert als Regisseur für dieses Setting nun überhaupt keinen Sinn und präsentiert die beiden in besagtem Raum fast durchgängig in Großaufnahmen ihrer Gesichter. Der Raum wird dergestalt optisch obsolet. Aus mir nicht ganz schlüssigen Gründen ist Tappert eher an Tableaus mit eng zusammengequetschten Leuten interessiert, die anklagend oder angeklagt schauen. Dabei geht es der Folge gar nicht so sehr um Schuld und Sühne, sondern um einen Mann, der die Dreistigkeit der Mächtigen zu kopieren versucht, dadurch aber im Leeren endet. Es geht um Männer, die sich sicher sind, dass eine Frau, die in drei Jahren keinen Kontakt mit ihrem Kind aufnehmen wollte, tot sein muss. Um Männer, die Frauen nur im kommerziellen Rahmen als aktiv sexuelle Wesen etwas abgewinnen können. Es ist eine Folge über trüb-toxische Männlichkeit, die die Männer zerfrisst oder die diese gar nicht verstehen lässt, dass hier etwas falsch läuft. Aber dies steht nur am Rand einer Folge, die Finger in Wunden legen möchte, aber wiederholt knapp danebentippt, weil niemand so richtig weiß, was er macht.

Sonnabend 28.01.

Young Mr. Lincoln / Der junge Mr. Lincoln
(John Ford, USA 1939) [DVD, OF]

großartig

Eine schüchterne Rede im Wahlkampf; die gekonnte Rede vor einem Lynchmob, die geschickt von Humor zu Ernst wechselt; das Gerichtsdrama, in dem Abraham Lincoln (Henry Fonda) schlussendlich zum all-american Menschenfänger geworden ist, der selbst seinen Gegnern Respekt abverlangt, die Richter zu gleichgestellten Menschen macht, der noch flexibler zwischen Spaß und Entschiedenheit agiert: In den Scharnieren von YOUNG MR. LINCOLN steht die Entfaltung der Potentiale einer Ikone. Als Volkstheater wird es präsentiert, wie sich ein Heiliger unter uns gegen die allzu menschliche Vulgarität der Reichen und der Armen durchsetzt.
John Ford ist aber nicht an einer psychologischen Entwicklung interessiert, die mit Ursache und Wirkung nachgezeichnet werden würde. Lincoln ist eigentlich nur da und passt sich den Notwendigkeiten an, sobald es nötig ist. Stattdessen kann sich der Film eigentlich kaum an seiner Ruhe und seinem Ruhen in sich sattsehen: Er sitzt am Grab einer jung verstorbenen Freundin, er fläzt im Gerichtssaal, er sitzt am Fenster und überlegt. Es ist seine Superkraft … und nur im Hintergrund sind die Kräfte zu sehen, die in ihm walten, und die Mächte des Schicksals, das auf ihn zukommt. In den artifiziellen Rückprojektionen von treibenden Flüssen voller Eisschollen oder einem stürmischen Himmel voller Wolken zeigt sich das Ausmaß seiner Ruhe, mit der er das Schöne, Wahre und Gerechte meistert, obwohl die Welt leidenschaftlich beschaffen ist.
… und Fonda trägt dabei eine Gumminase, damit er mehr nach Lincoln aussehe. Diese lächerliche Maske macht den kommenden Präsidenten verletzlich, menschlich und lässt ihn noch imposanter erscheinen, weil er dieses Ding voller Selbstbewusstsein trägt.

Mais ne nous delivrez pas du mal / Und erlöse uns nicht von dem Bösen
(Joël Séria, F 1971) [DVD, OmU] 2

großartig

Einerseits ist MAIS NE NOUS DELIVREZ PAS DU MAL der Film von zwei Jugendlichen (Jeanne Goupil als Anne und Catherine Wagener als Lore), die dem Kindsein gerade entwachsen. Es ist der Film eines ewigen Sommers, von freien, elternlosen Nächten in einer dörfischen Landschaft, die nur für einen da zu sein scheinen, und einer neuerlichen Weite des Geistes, wenn Lautréamonts DIE GESÄNGE DES MALDOROR wie wahrhaftige Abenteuer erscheinen, die die bisher gekannte Welt auf den Kopf stellen … weshalb die beiden sich daraufhin spielerischen der Perversion des Katholizismus und der mütterlichen Umsorgung in satanischen Riten verschreiben. Im Geiste der ABENTEUER VON TOM SAWYER steht das Ganze – nur dass die Protagonisten mittels ihrer Phantasie nicht zu Piraten und Rittern werden, sondern zu unschuldigen, naiven Sünderinnen, die ihre aufkeimende Sexualität in kindlich verspielte Späße übersetzen. Spiele, in denen sie sich alternative Institutionen für eine neue Welt erdenken und dabei nicht bedenken, dass ihr Handeln Konsequenzen haben könnte.
Andererseits hat Joël Séria ein tolles Ende als Ass im Ärmel. Eltern schauen sich dort eine Schulaufführung an … und damit, wie schön sich ihre Kinder in ihre gesellschaftlichen Verpflichtungen einfügen. Wie sie harmlosen Quatsch machen, den die Erwachsenen für sie erdacht haben. Ein sensationelles Gedicht wird aber auch rezitiert, mit dem Anne und Lore das Kindliche und die Fremdbestimmung exorzieren. Ein Feuer greift folglich um sich. Séria kostet dieses Ende sichtlich aus und beschließt seinen Film denkwürdig.
Diese beiden Dinge – unschuldige Sünde und zerstörerischer Exzess –, für die sich der Film sichtlich interessiert und bei denen er zu sich kommt, sind von einem Graben getrennt. Das Problem ist, wie von dem einem zum anderen zukommen ist. Der Film könnte nun den Widerspruch einfach stehen lassen und das eigenwillige Paradies ohne vorherige Kratzer in Flammen aufgehen lassen. Oder er könnte das Paradies langsam zersetzen und die Flammen zur Antwort darauf machen. MAIS NE NOUS DELIVREZ PAS DU MAL entscheidet sich für Zweites, kennt aber kaum mehr als sexuelle Gewalt, was die naiven Verkommenheitsbehauptungen nach sich ziehen könnten.
Immer wieder teasen die beiden (geistigbehinderte) Männer, ziehen ihre Röcke hoch oder werfen alles außer der Unterwäsche ab, reden anzüglich … und wundern sich dann, dass die Herren übergriffig werden. Lang und zermürbend wälzen sich die mit ihrer Lust scheinbar nun wirklich geistig behindert gewordenen Männer mit der sich wehrenden Lore – die jünger aussehende der beiden, die die nur mit ihrer Freundin mitläuft – auf dem Boden, womit der Film garstig wird. Aber mit einer Form von Garstik, die einer revanchistischen Moral das Tor öffnet. Rufe wie: Geschieht ihnen ganz recht! schleichen sich quasi ein. Oder unsere Protagonisten werden zu armen, fehlgeleiteten Kindern.
Was wohl alles kein Problem wäre, würde es der sonstigen Weite und Unbestimmtheit nicht einen ästhetischen wie moralischen Klotz ans Bein nageln, in dem auf die schlimmen Folgen geglotzt wird. Zu lang und zu oft sucht der Film dies als Fluchtpunkt der Handlungen der Mädchen auf. Hier scheint mir einfach eine biedere Form von christlicher Moral zu übernehmen, wo doch die Religion im Rest des Films nur mehr ein Comic ist, mit dem sich ausgetobt werden kann. Vll. muss ich mich damit auch erst noch arrangieren und beim nächsten Mal sehe ich es in einem anderen Licht, weil ich mich dann nicht mehr um meine Abenteuer der sündigen Huck und Tom betrogen fühle.
*****
Eine Anmerkung dazu, dass dies als Zeitsichtung markiert ist. Ich hatte ihn 2012 – also vor ziemlich genau 10 Jahren – schon einmal gesehen. In meinem damals frisch begonnenen Sehtagebuch steht, dass ich aber sehr viel verschlafen hatte und den Film deshalb die folgende Woche nochmal schauen werden würde. Naja, jetzt ist die Woche doch noch rum.

Freitag 27.01.

Windtalkers
(John Woo, USA 2002) [stream, OmeU]

gut

Immer wieder rennt jemand ins Kreuzfeuer und versucht einen angeschossenen Kameraden aus der Schusslinie zu tragen. Jedes Mal werden diese aber auch angeschossen und beide – der Rettende und der zu Rettende – sterben. Nicolas Cages Figur ist traumatisiert und leidet darunter, dass er in einer Schlacht weder seinen Kameraden half, noch starb. WINDTALKERS zeigt ihn als Grießkram mit Herz aus Gold, der nicht nur seinen Heldenmut immer wieder beweisen darf, sondern irgendwann sogar den Mut findet jemanden zu helfen. Krieg und seine Gräuel ist zumindest für den erträglich, der für seine und mit seinen Mitmenschen lebt – das Adrenalin geschwängerte Melodrama … das mir vll. einen Tick zu wenig kitschig war.

Donnerstag 26.01.

Im Banne des Unheimlichen
(Alfred Vohrer, BRD 1968) [blu-ray]

verstrahlt

Der ausgelebte Lippen- und Zungen-Fetisch, Farbschangel und (behaupteter) Hippie-Schick, Leute, die grün angemalt werden, weil es erscheinen soll, dass sie aus der Karibik stammen würden, das absurde Halloweenkostüm des Widersachers, mit dem er zum Schrecken der ihn Sehenden immer wieder durch Fenster schaut: Gegen Ende versiegt die Spiellust etwas, aber größtenteils ist dies nur noch aberwitzig. Für Vohrer sind die Wallace-Filme zu der Zeit sichtlich nur mehr ein Spielzeug, dass zu ramponiert ist, um noch ernsthaft damit zu spielen. Tongue in Cheek … mit Loch in der Wange.

Mittwoch 25.01.

Derrick (Folge 260) Mordecho
(Helmuth Ashley, D 1996) [DVD]

ok +

Reineckers Drehbuch wird angetrieben von der Vorstellung, dass Mörder irgendwann von ihrem schlechten Gewissen eingeholt werden … und dass sich an allen Missetätern gerächt werden müsste, die finden, dass es ihnen sehr gut gehe. Die solide Kunstsprechfolge wird aufgewertet durch die indirekte und zumindest ästhetisch wertvolle Gegenüberstellung der schwarz-weißen – und damit quasi verblichenen – Videoaufnahme des Mörders vor seiner Selbsterkenntnis und des eindringlichen – und zum Behufe dieser Wirkung wiederholten – Moments der schmerzhaften Erkenntnis von Gut und Böse … sowie die leicht dissonant zueinanderstehende Klaviertastendrücker, zwischen denen zwar keine Pause einer Ewigkeit steht, aber doch das klamme Gefühl des Zweifels und des Leidens an sich.

Montag 23.01.

Orly
(Angela Schanelec, F/D 2009) [DVD, OmU]

ok

Angela Schanelecs NIGHT ON EARTH, wobei sie die Taxis der Welt mit dem Flughafen von Orly austauscht, die Nacht gegen den Tag und die warmherzige, pointierte Absurdität gegen warmherzige, elliptische und vielsagende Impressionen aus Leben im Auf- oder Umbruch. Und wenn dann von den Leuten im Gewirr des Flughafens auf Großaufnahmen geschnitten wird, sobald sich Intimität einstellt, dann wirkt der Film umso mehr wie das Klischee des Versuches Schanelecs einen Indiefilm nachzustellen.

Sonntag 22.01.

The Great Mouse Detective / Basil, der große Mäusedetektiv
(Ron Clements, John Musker, et al, USA 1986) [DVD] 18

großartig

Die Tanznummer in der Hafenbar – eine weibliche Maus wirft ihre Kleidung ab und tanzt leichtbekleidet (mit Strumpfband am Oberschenkel) weiter, wobei sie sich vom braven, unschuldigen, hilflosen Mädchen zur taffen, mit allen Wassern gewaschenen, positiven Frau wandelt – zeigt Disney vll. von seiner anzüglichsten Seite. Dazu kommen ein toller Ohrwurm sowie effektiv inszenierte Noir-Bilder und Jump-Scares, die BASIL in die Nähe eines Horrorfilms für Kinder rücken. Zuletzt war ich von ihm enttäuscht, jetzt würde ich sagen, dass es sich um den besten Disney-Film der – leider eher euphemistisch benannten – Meisterwerk-Reihe handelt.

Donald’s Crime / Donalds Verbrechen k
(Jack King, USA 1945) [DVD] 3

großartig

Ein Noir-Studie. In nicht einmal zehn Minuten ist alles da, was es braucht. Und deshalb vll. eher: eine Studie der Erzählökonomie. Und noch dazu witzig, voller optischer Ideen und packend.

Clock Cleaners / Die Uhrenreinigung k
(Ben Sharpsteen, USA 1937) [DVD] 5

großartig

Kinetische Energie – der Film. Mickey, Goofy und Donald reinigen eine Turmuhr und werden von Zahnrädern und der sich ein ums anderen Mal unter ihnen öffnenden Tiefe, der es zu entkommen gilt, gefangen genommen. Super simpel, super schön.

Das Geheimnis der gelben Narzissen
(Ákos Ráthonyi, BRD 1961) [blu-ray]

ok +

Christopher Lee spielt in Yellow Face quasi das Unbehagen mit diesen undurchdringlichen Orientalen-die Figur, darf sich aber dafür eine irrwitzige Ladung an fiktiven chinesischen Sprichwörtern ausdenken. Er und Kinski, der in völliger Auflösung spielt, sowie die ständige Belauerung von verdächtigen Figuren erinnern daran, dass dies ein Edgar Wallace-Film ist. Ansonsten ist er eher sachlich und optisch aufgeräumt, hell ausgeleuchtet und irgendwie nur da. Vll. fehlt aber einfach nur Eddie Arent.

Sonnabend 21.01.

Father of the Bride / Vater der Braut
(Charles Shyer, USA 1991) [stream, OmeU]

ok

Im Vergleich mit Minellis Version fällt auf, wie selbstbewusst und in sich ruhend diese war. Stattdessen wird hier sehr unentspannt den Lachern und sentimentalen Gefühlen von Verbundenheit mit den Protagonisten hinterhergerannt. Sehr oft wird die Geschichte mit Behauptungen von Vergangenheit vollgestellt, die uns den Leuten und ihrer Liebe zueinander näherbringen soll, aber es ist nur anstrengend. Und erschreckender Weise ist Steve Martin eher Teil des Problems, weil er – anders als Tracy – symptomatisch um Mitgefühl und Lacher bettelt. (Zumindest als Straight Man für Martin Short taugt er.) Auf jeden Fall ein schöner Film, um Minellis Können nachzuvollziehen.

Freitag 20.01.

Father’s Little Dividend / Ein Geschenk des Himmels
(Vincente Minnelli, USA 1951) [stream, OmeU]

ok +

Der etwas biedere Nachklapp, der das Thema des Kampfes zwischen den Eltern des Brautpaares um mehr Einfluss behandelt, des gegenseitigen Neids und des Erweichens eines Grantlers. In der Regel wird dabei wiederholt und ausbaut, was schon im Vorgänger nur der nette Teil war, und das wird weggelassen, was eben toll an diesem war.

Source Code
(Duncan Jones, USA/CA/F 2011) [stream, OmeU]

ok

UND TÄGLICH GRÜSST DAS MURMELTIER trifft TWELVE MONKEYS. Mir macht es zumindest sehr viel Spaß Jake Gyllenhaals bei seinen vielen (Schauspiel-)Ticks zuzusehen.

Donnerstag 19.01.

Babylon / Babylon – Rausch der Ekstase
(Damien Chazelle, USA 2022) [DCP, OmU]

verstrahlt +

Einen der enthaltenen Filme mag ich sehr und der Rest scheitert mindestens sehr ansehnlich. BABYLON – eine erfreuliche Tortur. Mehr dazu bei critic.de.
Im dortigen Text werden qualvolle Retakes unter qualvollen Bedingungen erwähnt. Eine der wenigen wirklich überzeugenden Entscheidungen, die Chazelle trifft, ist der Verzicht auf eine Montage von aberwitzig vielen Retakes – durch das Schlagen der Klappe rhythmisiert. Stattdessen sind es nur wenige Versuche, die ungefähr in Echtzeit gezeigt werden. Das es vll. nur acht Versuche braucht, macht spürbar wie schnell und wie sehr die Nerven blank liegen. Es macht spürbar, wie nachdrücklich die Selbstverständlichkeit und die Lust, sich auszuprobieren, verloren gegangen ist. Leistungsdruck scheint erstmals Einzug gehalten zu haben. Und die niedrige Anzahl der Takes verhindert schlicht, dass der Film sich zu sehr mit der Erzählung dieses Sündenfalls durch den Ton verbrüdert. Die Probleme sind so vor allem auch selbstgemacht.

Dienstag 17.01.

Father of the Bride / Vater der Braut
(Vincente Minnelli, USA 1950) [stream, OF]

gut +

Ein Vater (Spencer Tracy) verliert seine Identität als Vater und Nummer 1 im Leben seiner Tochter (Elizabeth Taylor), als diese heiratet: FATHER OF THE BRIDE ist eine Protositcom, die sicherlich auf Lacher aus ist, aber dem Vater seine Würde und seinen Schmerz lässt, die eine tolle Alptraumsequenz ihr Eigen nennt und die die 50er Jahre und ihre Wertvorstellungen in a nutshell vorführt … bzw. ein Film, der seinen sehr trinkfreudigen Figuren jede Ausrede lässt, um immer wieder und immer wieder zum Glas zu greifen.

Montag 16.01.

Derrick (Folge 259) Mädchen im Mondlicht
(Jürgen Goslar, D 1996) [DVD]

ok

Eine junge Frau (Lara-Joy Körner) wird in einem Fort zum Engel stilisiert. Sobald sie auftaucht, wird von alten, staunenden Männern, die ganz wuschig werden, weil es die Unschuld noch gibt. betont, dass sie aufrichtig ist, herzlich, mitfühlend, rein und im Grunde nicht von dieser Welt. Und all das wird lediglich unternommen, um sie dann schänden zu lassen und die Frage in den Raum zu stellen, ob ein Vergewaltiger eines solchen Engels nicht vll. den Tod verdient hat. Doch als Derrick vor dieser Frage steht, flieht die Folge ins Ende. Und wir bleiben mit einer Episode zurück, die zumindest im Wechsel aus ihren drei Örtlichkeiten – ein (erstaunlich expliziten) Stripclub, eine Armenküche und eine weltenthobene Villa, die diesem anderen Dreck entfliehen will – eine ästhetische wie inhaltliche Spannung sowie einen schönen moralischen Twist erhält und in der Derrick den Täter einfach mal ohne jeglichen Grund anruft und in die Episode holt, die ansonsten aber nur schwerfälliger Aufbau für eine Bildzeitungsschlagzeile ist.

Sonntag 15.01.

Die toten Augen von London
(Alfred Vohrer, BRD 1961) [blu-ray] 3

großartig

Es könnte hier einiges über weiße Augen, Nebel, Totenkopfzigarettenhalter, sehr behaarte Hände, einen schwächelnden Eddie Arent und das Stilprägende für die Reihe stehen, aber es reicht auch Kamil M.s Einschätzung auf letterboxd: The real London never quite lived up to Vohrer’s perverse reimagination. Pure cinema.

Sonnabend 14.01.

Don’t Breathe 2
(Rodo Sayagues, USA 2021) [blu-ray, OmeU]

gut

Mein Lieblingsmoment war, als – wenige Minuten nachdem ich Sabrina Z. sagte, dass mich das so sehr an HOME ALONE erinnert, dass ich nur darauf warte, dass sich jemand an einem Türknauf die Hand verbrennt – sich jemand an einem Türknauf die Hand verbrannte. Mitunter ist DON’T BREATHE auch richtig schön anzusehen, wenn er beispielswiese im Orange eines Sandsturms endet oder weil er allgemein mit faszinierenden Antagonisten aufwartet – optisch wie moralisch. Meist ist er aber etwas arg ernst dafür, dass er ZATOICHI STIRBT LANGSAM ALLEIN ZU HAUS ist, und schlägt zeitweise arg öde Erklärbärwege ein.

Freitag 13.01.

座頭市御用旅 / Zatoichi at Large
(Mori Kazuo, J 1972) [blu-ray, OmeU]

großartig

Zatoichi muss mal wieder auf ein Kind aufpassen, Yakuza fallen in ein ruhiges Dorf ein, beim Würfelspiel wird betrogen, und und und: ZATOICHI AT LARGE ist sichtlich der 23. Teil einer Filmreihe, die von Beginn an kaum große Ambitionen zeigte, Neues zu erzählen. Doch Mori umarmt es und macht seinen Film zu einer Art Best-of, das ironischer Weise da glänzt, wo Neuland betreten wird. Wenn ein Kind Zatoichi damit konfrontiert, wer er ist, ein Mörder. Wenn der Endkampf Zatoichi aus der Hölle aufsteigen lässt. Wenn der Kampf mit dem Samurai eine äußerst pointierte Coda darstellt. Zudem ist die Musik toll, es werden Scherze mit Urin gemacht und überhaupt wird der parallel ansteigenden Welle der Pinkus et al Tribut gezollt. Ein alter Wein in einem neuen Schlauch also … und das im besten Sinn des Wortes.

Antebellum
(Gerard Bush, Christopher Renz, USA 2020) [stream, OmeU]

ok

Dass die Vergangenheit nicht abgeschüttelt ist und archaisches Gedankengut in der Moderne steckt, wird hier zum Horrorfilm. Einen netten, sauberen Film über Vergewaltigung und Sklaverei, der kaum mehr macht, als seine interessante Idee in nette, saubere, nicht aufwühlende Bilder von Hilflosigkeit, Rebellion und eine hoffnungsvolle Arglosigkeit zu packen. Die Idee ist sicherlich nicht schlecht. Nach dem Film erzählte ich Sabrina Z., dass das eben Gesehene auf einer wahren Geschichte basieren würde … und sie glaubte es so bereitwillig, wie sich mir der Gedanke dieser Behauptung gekommen war. Als ich Antebellum daraufhin googlete, weil ich mir nicht mehr sicher war, ob es vor dem Krieg oder auf in den Krieg hieß, war die erste Frage in den FAQs, ob der Film auf wahren Begebenheiten beruhe. Es ist erschreckend wie leicht es zu glauben ist. …und wie kuschelig mit dieser erschreckenden Vorstellung umgegangen wird.

Donnerstag 12.01.

Don’t Breathe
(Fede Álvarez, USA 2016) [blu-ray, OmeU] 2

gut +

Der Aufhänger – drei jugendliche Einbrecher stecken mit einem blinden Psychopathen im Haus fest und müssen sich teilweise in den selben Räumen vor ihm verstecken – und die Sensibilitäten von Fede Álvarez – am wohlsten fühlt er sich sichtlich, wenn Kugeln durch Schädel schnellen oder wenn Fäuste in Gesichter und Füße gegen Körper krachen – stehen sich ein wenig im Weg. Weshalb DON’T BREATHE, bei all seinen sichtlichen Qualitäten, ein wenig in der Luft hängt … zwischen Ruhe und Übersicht sowie lustvollem Gore. Beides kommt nicht wirklich zu sich und lässt immer im Raum stehen, dass das durchaus noch einen Tick atmosphärischer oder krasser hätte sein können.

Mittwoch 11.01.

Das indische Tuch
(Alfred Vohrer, BRD 1963) [blu-ray]

gut +

Eine Vorform von EINE LEICHE ZUM DESSERT. Zehn Krimikarikaturen – jeder ist für sich exzentrisch, grell und natürlich verdächtig – sitzen in einem Schloss fest und töten sich wegen eines Erbes einer nach dem anderen. Und eigentlich stört nur die etwas bemühte Farce des Drehbuchs Vohrers brillanten Horrorschangel.

Dienstag 10.01.

Derrick (Folge 258) Frühstückt Babette mit einem Mörder?
(Eberhard Itzenplitz, D 1996) [DVD]

gut

Aufrichtiges, unschuldiges junges Mädchen schmilzt das Herz des Psychopathen: es könnte eine sehr biedere Folge sein, wäre da nicht Christoph Bantzers Ultrakunst, der die künstliche Sprache Herbert Reineckers zu seiner Waffe macht und in die Performance eines in einer Edgar Allen Poe artigen Zwischenwelt gefangenen Mannes inkorporiert. Jeder Satz, jedes Wort ist der Ausdruck eines Wahnes, den jemanden befallen hat, der in seiner gotischen Luxusvilla den Kontakt zur Realität, zu Menschen und seinen Gefühlen verloren hat. Und Horst Tappert macht das einzig Richtige. Er spielt nicht den Onkel Derrick, den er zuletzt immer gibt, sondern einen Wischiwaschi-Ermittler, der in Anbetracht des ihm gegenüberstehenden Wahnsinns einfach nur eine Comicfigur ist.

05.01.-08.01.: 20. außerordentlicher Filmkongress des Hofbauer-Kommandos
Sonntag 08.01.

Von Haut zu Haut
(Hans Schott-Schöbinger, BRD 1970) [35mm]

gut +

Telepathische Zwillinge, die sich ihre Lust- und Nahtoderfahrungen teilen, ein sinisterer Ladenbesitzer, der einem ein fatales Schicksal verkauft, Lampenschirme und verschnörkelte Inneneinrichtung, ein übernatürlicher und vll. doch ganz normaler Stalker, endlose Gassen in einer verlassenen Stadt: VON HAUT ZU HAUT ist ein Auffangbecken von diversen Ideen, hängt ästhetisch dem Prinzip einer stilvollen Leere nach und ist vor allem sehr genügsam. Leider wird er nie mehr so gut wie in dem Moment, wo weiße Zweige und Blätter vor dem pulsieren Rot – die Kopie war eben auch schon arg rot – einer Sexszene vorbeiziehen und einfach nur Schönheit definieren.

Das Herz durch Wüsteneyen rennt – Arbeitstitel k
(Garegin Vanisian, D 2021) [16mm]

gut

Sichtlich eine Verbeugung – in Wort und Bild – vor dem Kino und den eigenen Lieblingen. Und zwangsläufig liegt deshalb auch ein wenig der frühe Jean-Luc Godard in der Luft, mit etwas weniger Schalk und mehr Kunst. Und gerade, wenn sich zu verfestigen scheint, dass der Film vll. etwas zu viel Verehrung und zu viel künstlerisches Gimmick bereithält, da bricht das Ende mit der Sehnsucht nach Nähe und mehr Emotionen emotional über uns herein.

Sharon’s Rosebud m
(Richard Wilton, USA 1976) [16mm, OV]

großartig

Etwas mehr Cunnilingus ist zu sehen, ansonsten findet sich hier das Bildmaterial eines ottonormalen Pornos aus der Zeit. Und doch ist etwas anders. Statt einer Geschichte, in denen es schnell zum Sex kommt, baut sich hier etwas auf. Eine Pornodarstellerin (Sharon Thorpe als sie selbst) wird interviewt und nach ihrem Lustgewinn befragt. Und auch wenn der Film, wenn sie ein paar ihrer erotischen Phantasien zum Besten gibt, zu handelsüblichen Sexszenen wechselt, ist SHARON’S ROSEBUD ein Film voller Bedacht. Langsam, ganz langsam arbeitet die knappe Stunde des Films auf ihren Höhepunkt hin. Erst ist es nur Thorpe, die sich streichelt und die zeigt und erklärt, wie sie es mag, später kommt ein Darsteller hinzu, der sie leckt, dann kommen erst die Phantasien und irgendwann ihre Penetration. Es ist eben nicht so, dass gleich die Wallung übernimmt und eine schnelle Befriedung gesucht wird, sondern es Genuss ausgebreitet und genossen wird … und überhaupt ist Sharon Thorpes Stimme der Wahnsinn und der Resonanzkörper, der selbst Karottenaction nicht ins Alberne abgleiten lässt.

Lujuria tropical / Tropische Sinnlichkeit
(Armando Bó, ARG 1964) [35mm]

fantastisch

Die Vorstellung von fleischlicher Sünde basiert im Grunde darauf, dass Sex zu Kindern führt und dass Mütter – und vll. das größte Problem: deren Familien – in Folge alleine auf den Verpflichtungen mit dem Nachwuchs sitzen bleiben können. Die Ehe als Lösung dürfte dann zu Besitzansprüchen usw. geführt haben. Ich bin nicht auf dem neusten Stand der Forschung in Sachen Anthropologie, aber es scheint mir durchaus schlüssig.
Als ich dieses fiebrige Melodrama sah, befand ich mich zudem seit Tagen in THE WORLD TURNED UPSIDE DOWN von Christopher Hill. Darin wird nun mehrmals der Gedanke geäußert, dass Sünde (im England des 17. Jahrhunderts im Speziellen, aber auch allgemein) von der entstehenden Klasse der Besitzenden genutzt wurde, um ihr Eigentum zu legitimieren. Grob gesagt, wurde mit dem Sündenfall begründet, dass es bessere und schlechtere (im Sinne von erleuchtete/gerettete und sündige Menschen gab, und dass bessere Menschen in dieser nicht paradiesischen Welt des Leidens eben Land nehmen können oder Produktionsgüter für sich allein beanspruchen. Gedanken eben, die Leute, die in Hütten in Wald, Wiesen und Mooren lebten und die vertrieben werden sollten, erstmal klargemacht werden mussten.
Und wie heute niemand mehr religiöse Argumentationen braucht, um seinen Besitz zu legitimieren, so ist die dem Sex immanente Gefahr des Nachwuchses wohl nicht mehr nötig, um Eifersucht und den Willen nach Besitz eines Lustobjekts zu legitimieren. Vll. träume ich auch nur von paradiesischen Zuständen, wenn ich denke, dass mehrere tausend Jahre Ehe einfach ihre Spuren hinterlassen haben. Aber endlich zum Film:
TROPISCHE SINNLICHKEIT spielt nun in einem tropischen, feuchten, heißen weltlichen Paradies. Strand, Sonne und Palmen lassen den Film hinterhältiger Weise so aussehen, als ob hier nichts weiter gebraucht wird, um glücklich zu sein. Es kommt hinzu, dass Isabel Sarlis Figur mit mehreren Männern und oftmals Sex hat. Die Gefahr, Kinder zu bekommen, besteht aber offenbar nie. Womit es eben auch keinen Grund für Sünde geben dürfte. Und doch ist sie da und herrscht … wie der Hund, der seinen Schwanz jagt.
Die Männer des Films interessieren sich nämlich nicht für die Frau, die sich gerne auszieht und im Meer sich treiben lässt, weil es ihr ein Gefühl von Freiheit schenkt. Nur ihr üppiges Fleisch interessiert sie. Die Männer sind das Feuer, sie ist das Meer … aber eines, das das Feuer speist und selbst verzehrt wird. Sex und Freiheit sind in diesem Fegefeuer männlicher Geilheit und einer entfesselt laufenden Besitzideologie unmöglich zu vereinen, weil Isabel Sarli einen Körper als Sünde darstellt. Einen der keine Folgen mehr braucht, sondern der an sich Frevel geworden ist. Der mächtig ist und deshalb die Männer beunruhigt.
Der Film treibt seine als brennendes Lustmelodram getarnte Studie über die Folgen von christlichen Ideologien aber noch auf die Spitze, wenn er eine Bekehrung von Sarlis Figur integriert. Unter den heißen, zerstörerischen Besitzansprüchen der Männer bricht diese nämlich irgendwann zusammen und möchte mit Gott (auf sich, auf die Lust) verzichten. Aber auch die Religion ist nur eine bittere Fessel, die schlicht nichts nützt. Sie kann verzichten wollen, wie sie möchte, ihr Körper lockt weiter die Männer, die wie monströse Motten erscheinen und Zärtlichkeit als Schwäche missinterpretierten. Die Sünde, der Wahn ist in dieser Welt übermächtig.

Sonnabend 07.01.

Der Kongress tanzt
(Erik Charell, D 1931) [35mm]

fantastisch

Leider hatte ich kurz vor Schluss die Augen geschlossen und bemerkte gar nicht, dass ich weggenickt war … bis mich ein kollektives Raunen über die Brachialität des Endes weckte. Aber auch das Letzte, was ich sah, war eines wunderbaren Endes würdig: Fürst Metternich (Conrad Veidt) ist alleine im Beratungssaal, während alle Gesandten abwesend sind. Er kann Europa seinen Willen diktieren und dirigiert die leeren, durch sein Amüsement wippenden Sitze um ihn. Die Welt ist Tanz und Kater.

ගැහැණු ළමයි / The Girls
(Sumitra Peries, LK 1978) [35mm, OmeU]

großartig

Klassenkampf als überfallartiges Ende eines ruhigen, auseinanderlaufenden Coming-of-Age-Films, der lange mehr an Palmenblättern interessiert zu sein scheint, als daran tragischer Liebe, ihre Kinder verheiratende Eltern, Schul-Mobbing und Mobilitätschancen mehr als individuelle, vorbeiziehende Erfahrungen sein zu lassen.

Madame Hyde
(Serge Bozon, F 2017) [DCP (?), OmeU]

gut +

Ein wenig erinnert es an Kirkegaards PHILOSOPHISCHE BROSAMEN. Eine zurückhaltende, wenig durchsetzungsfähige Lehrerin (Isabelle Huppert) wird vom Blitz getroffen und wird zu einer Mischung aus Superheld und Hexe, die ein Parallelleben führt und nachts glühend durch das Leben ihrer Schüler streift. Wie von Geisterhand verwandelt sie ihre Problem- in Musterschüler und schafft es noch den abgehängtesten Schüler aus dem Banlieue für Wissenschaft statt für Gangsterrap zu begeistern. Gleichzeitig lehrt sie genau diesem Schüler das Nachdenken, indem sie auf Umwege hinweist, auf indirekte Wege etwas zu verstehen, die helfen, wenn es auf direktem Weg nicht geht.
MADAME HYDE ist größtenteils seltsam. Er bleibt völlig opak und möchte keine Zusammenhänge erklären, sondern lässt die Wandel einfach geschehen. Und selbst die Wandel werden nicht moralisch eingeordnet, sondern stehen für sich. Wie Kierkegaard geht es in MADAME HYDE eben darum, dass Dinge indirekt vermittelt werden müssten … während beide – Buch wie Film – ihre Botschaft doch sehr direkt aufsagen. Und vll. ist es das schönste Geschenk von MADAME HYDE: dass wir danach nicht ganz sicher sind können, ob die zuweilen abgestandenen Späße einer Sozialsatire nicht Teil eines auf seiner Metaebene – einem nichts verpflichtet scheinendem Irrens – vorzüglichen Films sind und deshalb doch ganz gut(?).

Amarelo Manga / Mango Yellow
(Cláudio Assis, BR 2002) [35mm, OmU]

gut +

24 Stunden-Short Cuts aus der brasilianischen Unterschicht. Auf der einen Seite: kurze thematische Montagen, wo beispielsweise sehr appetitanregend im Essen gefuhrwerkt wird; ein mit dem Unterleib ausgelebtes Lebensgefühl aus Resignation und Trotz; ein leicht ekliges Gelb in der Farbgebung. Auf der anderen Seite: dann eben doch ein wenig typisches Post-PULP-FICTION-Kino.

Heiter bis wolkig k
(Bruno Sukrow, D 20??) [digital]

großartig

Erste Gehversuche eines verrenteten Maschinenschlossers als Filmregisseur, der ganz scheinbar natürlich die gleichen Entdeckungen macht wie Georges Méliès.

Die wahre Titanic k
(Bruno Sukrow, D 2010) [digital]

großartig

Der beste, allerbesteste Twist der Filmgeschichte … und auch der Rest ein schöner früher Film eines geborenen Künstlers.

Der alte Mann und das Meer k
(Bruno Sukrow, D 2010) [digital]

großartig

Hemingway ohne die große Erzählung des Widerstands des aufrechten Mannes gegen ein einem alles abverlangendes Leben, sondern als knapper Freudentaumel über die zwangsläufige Niederlage. Die poetische Liebeserklärung an das Kleine und Unschöne.

Grolsch m
(Bruno Sukrow, D 2018) [digital]

großartig +

Außerirdische kommen auf die Erde, um ein paar Kästen Grolsch zu besorgen – für sie ein geheimnisvolles Gesöff, dass sie über das Fernsehsignal der Erde kennenlernten –, und legen dabei – anscheinend ausversehen – die Stromversorgung auf der gesamten Erde lahm. GROLSCH bietet mit dieser Ausgangslage ein weltweites Panorama privater Miniaturen aus lakonischer Akzeptanz bis hysterischer Verzweiflung, was denn nun ohne Strom anzustellen sei. INDEPENDENCE DAY nicht als Panoptikum der Sammlung des menschlichen Widerstands, sondern als idosynkratische Collage der Vereinzelung – entstanden aus einem entrückten Blicks auf die Kulturen der Erde.

Ha llegado un ángel / Ein steiler Zahn
(Luis Lucia, E 1961) [35mm]

großartig

Ein Exorzismus mit dem Teufel. Eine dysfunktionale Familie – der Vater ist ein Duckmäuser, die Mutter eine egozentrische Heuchlerin, die nur interessiert, was ihre Freundinnen denken, der älteste Sohn ein Hallodri, der andere ein neurotischer Dauerturner, die älteste Tochter eine egoistische Traumtänzerin und die jüngste ein verzogenes Balg – erhält Besuch von einem verwandten Waisenmädchen (Marisol) und nach und nach heilt dieses die Familienmitglieder von ihren eindimensionalen, selbstbezogenen Identitäten und macht aus ihnen soziale Lebewesen. Sie tut dies mit einem zuckersüßen Lächeln und Flamenco, den sie irgendwo zwischen naiver Übertreibung und wahnhaftem Angriffskrieg gegen Sinn und Verstand singt und tanzt. Mit grenzenloser guter Laune wird aber nicht nur das Aufeinanderprallen einer psychotronisch-humanistischen Positivität mit diversen Formen eines verlorenen bürgerlichen Snobismus zum Reigen der Weltvergessenheit inszeniert, sondern auch der Schwarze Peter der Mutter zugeschoben. Abschließend ist sie die einzige, die keine Rettung erhält. Das Gramm Garstigkeit in diesem Meer aus Fröhlichkeit färbt es ganz unmerklich schwarz und macht dies noch mehr zur sehr eigenen Erfahrung.

Freitag 06.01.

Love’s Places – Plätze der Liebe
(Eckhart Schmidt, D 2019) [digital]

uff

Eine Kamera umkreist Frauen – als Ausdruck von Schönheit, Verzweiflung, Rebellion/Resignation oder Lust. Kalendersprüchen unterbrechen die Bilder und laden sie inhaltlich auf. Die dazu gespielte Musik reicht von Richard Wagner bis zum improvisierten Orgelgedudel. Es ist in seinen Ansätzen sehr schön, grundlegend aber – gerade in der zweiten Episode – zu lang für seinen hypnotischen Fetischblick auf Weiblichkeit als Prinzip und inviduellen Körper.

ポルノ時代劇 忘八武士道 / Bohachi Bushido: Code of the Forgotten Eight
(Ishii Teruo, J 1973) [35mm, OmeU] 2

gut +

Ein unbesiegbarer Kämpfer (Tamba Tetsurō) ist des Mordens überdrüssig und ertränkt sich selbst. Daraufhin erwacht er in einem selbstherrlichen Fegefeuer bzw. in den Armen von nackten Frauen einer hyperkapitalistischen, antitugendhaften Prostitutionsmafia. Diese Mafia möchte ihn als persönlichen Bodyguard in einem Turf War, wo er weiter heroisch töten soll. Gleichzeitig wollen sie ihn am Vergewaltigen – dem Brechen und Zureiten – von Frauen teilhaben lassen, weshalb er auch noch als tugendhafter Verzichter glänzen darf. Der redliche Mörder der Italo Western und Samuraifilme wird hier auf die Spitze getrieben … mit wunderschönen inszenatorischen Ideen, die leider Ausnahmen bleiben, während Menschenverachtung etwas gefällig vor uns ausgebreitet wird.

Scarf of Mist, Thigh of Satin / Verdammt zur Lust
(Joseph W. Sarno, USA 1967) [35mm, OV]

großartig +

Der Film stammt aus dem Jahr 1967, dem Jahr des Summers of Love. Es ist die Zeit der Blumenkinder, aber Joe Sarno zeigt uns lieber ihren Gegenpart: in leeren Wohnungen, in kargen Einstellungen, im übergriffigen Lusthaushalt der Männer gefangene Leute – nicht nur Frauen, sondern die Männer selbst –, die nach den eigenen Vorteilen suchen – oder die zu naiv für diese Welt sind – und sich damit in kalte Orgien der Niedertracht befördern. Ein slow burnender Scheiterhaufen kalter, selbstverliebter oder hasserfüllter Blicke.

Pierrot le Fou / Elf Uhr nachts
(Jean-Luc Godard, F 1965) [blu-ray, OmU] 6

fantastisch

Seitdem ich PIERROT LE FOU das letzte Mal sah, ist viel passiert. Die Liebe zu Godard ist abgekühlt und ein bisschen hatte ich Angst, dass mein damals liebster Godard mir nichts mehr geben könnte. Es war dann so, als wäre ich wie auf eine Ex getroffen, deren mich störende Eigenschaften schon überdeutlich waren, während aber auch deutlich zu erkennen war, warum ich einst verliebt war. Vor allem die Kameraarbeit von Raoul Coutard, dessen Bilder von einer sagenhaften sommerlichen Frische sind, war wunder-, wunderschön..
*****
Wobei ich in dem verlinkten Text mehr über mich zu erfahren vermag, als über PIERROT LE FOU selbst. Ich würde es nicht mehr so unterschreiben, aber doch kommt Diverses herüber, was ich immer noch mag.

Wo der Wildbach rauscht
(Heinz Paul, BRD 1956) [35mm]

großartig

Es gibt süße Tiere und eine symmetrische Struktur der Generationen, die ihr Schicksal wiederholen müssen … oder sich von diesem zu lösen vermögen. Die Erzählgeschwindigkeit ist auch ein wenig dröge – mutmaßlich um abzusichern, dass wir, die Zuschauer, nachvollziehen können. Der immer wieder gezeigte Wildbach mit seinem reißenden Wasser ist schlicht nicht das Element des Films. Das Wilde bleibt ein Ding, dass mehr beschaut als vermittelt wird. WO DER WILDBACH RAUSCHT sorgt ziemlich gründlich für die eigene Zähmung.
Dieser Umstand wird aber auch nur nötig, weil Sex, Wahn und Hass heiß aus den entscheidenden Gegebenheiten und Wendungen des Films glühen. Wenn Andrä Muralt (Walter Richter) beispielsweise trunken mit den Frauen über die Tanzfläche derwischt. Wenn ein ganzer Ort auf den losgeht, der den am wenigsten deutsch klingenden Namen trägt und die am wenigsten gesitteten Sitten hat. Wenn das Drama des Films überhaupt erst zum Melodrama werden kann, weil der romantische Held sich als heißblütiger Schläger offenbart. Der Wildbach rauscht zwar nicht, aber der Film brennt denoch in einer unterdrückten Leidenschaft, die der porträtierten Gesellschaft vll. nicht unähnlich ist.

Christen und Kirchen: Die Taufe k
(Jörg Grünler, BRD 1983) [16mm]

verstrahlt

In den Gesichtern findet sich der Schlüssel dieses Lehrfilms, in dem Kinder und Pfarrer über die (Notwendigkeit der) Taufe sprechen. Denn so neugierig und aufgeschlossen die Dialoge scheinen, so sehr sehen die Kinder aus, als würden sie mit Pistolen neben der Kamera zum Sprechen gezwungen, und die Erwachsenen, als brächten sie ihre unschuldigen Kinder gegen besseres Wissen zum Schafott. Vll. ist es nur Aufregung und schlechtes Schauspiel, mir schien sich darin aber ein sehr sprechender Abgrund aufzutun.

Biggi – eine Ausreißerin
(Charles Köhn, BRD 1980) [35mm]

verstrahlt +

Biggi reißt von zu Hause aus, um Ausschweifungen mit Mann und Frau zu erleben. Sie bringt zwar nur wenige Kilometer hinter sich und doch könnte der Mief, in welchen sie vordringt, dem nur sehr kurz angerissenen Mief ihres Heims kaum diametraler entgegenstehen. Einen Orkan aus Dirty Talk – der Bereich der Grenzerfahrung wird erreicht – und Natursekt wird von ihr ausgelöst und der vom reichen Opa bis zum jungen Lack-und-Leder-Punker einen kleinen Querschnitt der Gesellschaft einfängt. Kurz: Deutschland wird zum sumpfigen Hinterzimmer der sehr eigenen Freude gemacht. Wir bekommen eine Utopie zu sehen.
Faszinierend sind dabei vor allem – neben dem Umstand, dass der lesbische Sex sehr flächendeckend gezeigt wird und dass die Männer nur wenig erotisches Potential besitzen/zu entfachen wissen – die durchweg schlaffen Penisse. Männer sind ziemlich traurige Gestalten in BIGGI, weshalb der Film durchaus als psychotronisches Manifest des Körpersaftfeminismus gelesen werden könnte. Hinzukommt die unansehnliche Mischung aus Pippi-(*Zwinker Zwinker*)-Langstrumpf-Zöpfen und räudiger Vokuhila, welche Biggi den Film über trägt. Um Schönheit geht es dem Film sichtlich nicht.

The City Girl / Die Karrierefrau
(Martha Coolidge, USA 1984) [VHS, ≠]

(großartig )

Leider plauzten die Türen in meinem Hotel über das gesamte Wochenende spätestens ab 8 Uhr frühs regelmäßig, weshalb mein Schlafdefizit eher zu als abnahm. Beim jeweils ersten und letzten Films der Tage hatte ich folglich mit dem Schlaf zu kämpfen. Bei keinem hat es mich aber so arg erwischt wie bei diesem zu Beginn, in der Mitte und am Ende – wenn ich immer mal wieder wach war – entrückt aussehenden Sexverhinderungsthriller, den ich sehr gerne richtig gesehen hätte.

Donnerstag 05.01.

Generation Z – Da war ein Himmel
(Eckhart Schmidt, D 2020) [digital]

großartig

Die ausführlichen Melodramamonologe – dies ist ein Omnibusfilm aus mehreren (zumeist) unabhängigen Kapiteln von Frauen in emotionaler Aufwühlung, die von einer Kamera umkreist (abermals: zumeist) mit der Luft oder einem Telefon reden – sind sichtlich nicht geschrieben, sondern improvisiert. Sie sind folglich nicht geschliffen, sondern bieten viel Raum für Einfalt, grammatikalische Kapriolen und noch mehr Fremdscham evozierende Aussagen. Womit ich mich noch mehr in die Frauen einfühlen konnte, wenn sie einfach vor sich hin erzählen und danach ins Leere starren, weil sie mit Schrecken zu reflektieren beginnen, was sie gerade alles gesagt und getan haben. In der ungeschliffenen Doofheit von GENERATION Z steckt seine treffende, verletzliche Menschlichkeit.
Dazu werden die erzählenden Schauspielerinnen gefilmt, als ob ein Lustgreis mit Handy neben ihnen steht und sie mit einem Handy abtastet – ihnen dabei gnadenlos auf die Pelle rückend. Es wirkt so, weil die Realität der Aufnahmen vielleicht aus einer Perspektive durchaus dem glich. Die vernetzte Welt der sozialen Medien findet darin ein vielleicht gar nicht so verzerrtes Ebenbild, in dem wir von solchen vielleicht sogar manchmal zärtlichen, oft aber auch einfach nur aufdringlichen Blicken verfolgt werden.

Perfect
(James Bridges, USA 1985) [35mm, Omschwe/finU] 4

fantastisch +

Ein Film über die Liebe und über stete Dualität, i.e. unüberwindliche Widersprüche. Das hell ausgeleuchtete 80er Neon der Fitness-Clubs und das schattige, erdige braun des Dramas. Das Schrille, Witzige, Sexuelle vs. das in sich Gekehrte. Die diversen Suchen nach Perfektion vs. die Blicke der Paranoia und das vergnügte Suhlen im Schmutz. Die klaren Genrestrukturen, die aber nicht ganz aufgehen … denen die klare Auflösung verwehrt wird. Und mehr, viel mehr. Womit PERFECT ein reicher, toller Film ist, der nirgendwo richtig ankommt und sich – im Schönen wie in den Abgründen – treiben lässt.

Mittwoch 04.01.

Die Bande des Schreckens
(Harald Reinl, BRD 1960) [blu-ray]

ok

In manchen Einstellungen und einzelnen Miniaturen aus Schatten und Schrecken ganz schön, im Großen und Ganzen als dauerironische Nichtveranstaltung, die immer und immer wieder betont, dass sie nichts ernst nimmt, dann aber etwas anstrengend.

Montag 02.01.

Astérix – Le Secret de la Potion Magique / Asterix und das Geheimnis des Zaubertranks
(Alexandre Astier, Louis Clichy, F 2018) [3D-blu-ray] 2

gut

Astier und Clichy versuchen sich bei ihrem zweiten Film über das gallische Dorf an einer eigenen Geschichte und greifen nicht auf eine Vorlage zurück. Die erste Hälfte zeigt abermals das Händchen für den Humor der (unter der Mitwirkung von Goscinny entstandenen) ASTERIX-Comics, welches schon den Vorgänger auszeichnete. Mit der Zeit geht aber nicht nur der Drive der Geschichte verloren, sondern auch eben dieser Witz. Running Gags aus dem Vorgänger und die Rivalität von Automatix und Verleihnix werden immer wieder aufgegriffen. Symptomatisch ist, dass Asterix zu diesem Zeitpunkt mehr oder weniger seinen Platz im Geschehen verloren hat. Schafften es Goscinny und Uderzo gerade die Running Gangs gezielt in ihre Geschichten einzuweben, da fehlt Astier und Clichy entweder dieses Gespür, weshalb sie diese überstrapazieren, oder sie nutzten diese inflationär, um den Schiffbruch der Geschichte zu übertünchen. So oder so wird es zunehmend eindimensional und dröge, sobald die Geschichte zusammengepackt werden muss und das Drama seinen Höhepunkt erreicht – überhaupt wird in den Filmen nach ASTERIX BEI DEN BRITEN viel zu viel Wert auf Drama gelegt, als würde höchtens die Rettung des Dorfs vor der fast sicheren Auslöschung noch einen Film rechtfertigen. Und gerade weil sie einem soviel Hoffnung machten, ist diese Entwicklung dann doch ziemlich bitter.

Sonntag 01.01.

Das Rätsel der roten Orchidee
(Helmuth Ashley, BRD 1962) [blu-ray] 2

ok

Leider bergen die wenigen Orchideen, die auch keine Bedeutung für die Handlung haben, kein Rätsel. Und das ist auch schon der größte Aufreger des Films.

Barbarian
(Zach Cregger, USA 2022) [stream, OmeU]

ok

In meinem Text auf critic.de sollen zu viele Spoiler stehen. Wurde mir gesagt. Ich verstehe das Konzept nicht ganz, wenn dem aber so sein sollte, tut es mir ein wenig leid.