STB Robert 2021 II

„Walking alone in the desert is wonderful. It’s like walking on the face of a clock that’s stopped.“ (Legend of the Lost)


Wertung: Ich kann nichts mit Zahlen zur Bewertung anfangen. Deshalb gibt es hier ein prosaisches System. Eine Skala ist mit der Qual verbunden, Filme in eine lineare Ordnung zu quetschen. Deshalb hat die Wertung zumindest eine Y-Struktur für freieres Atmen. Die Einstufungen radioaktiv und verstrahlt reflektieren, dass ein Film in seiner eigenwilligen Qualität es einem nicht einfach macht, ihn einfach zu genießen. Wertungen in Klammern verweisen auf das ein oder andere Nickerchen beim Schauen.

Legende: Ist im Grunde selbsterklärend. Wenn hinter der eckigen Klammer eine Zahl steht, dann gibt sie die Anzahl der Sichtungen wieder. Je höher die Zahl, desto mehr ist sie geschätzt. Da ich mit Fernsehen und Kino aufgewachsen bin, wo nur gekennzeichnet wird, wenn ein Film nicht in deutscher Sprache läuft, tue ich das schändlicherweise auch. (OmU=Originalfassung mit Untertiteln, OmeU=Originalfassung mit englischen Untertiteln, OF=Originalfassung, EF= englischsynchronisierte Fassung, OZmeU=Originalzwischentitel mit englischen Untertitel) Hinzu kommen die Zeichen ł, wenn der Film gekürzt war, und ≠, wenn ich mitbekommen haben sollte, dass das Format nicht hinhaute. Ein kleines K hinter einem Titel bezeichnet einen Kurzfilm (bis 20 Minuten), während ein kleines M einen mittellangen Film (21 bis 60 Minuten) kennzeichnet.


Vorangegangene Sehtagebücher:
2012/II | 2013/I | 2013/II | 2014/I | 2014/II | 2015/I | 2015/II | 2016/I | 2016/II | 2017/I | 2017/II | 2018/I | 2018/II | 2019/I | 2019/II | 2020/I | 2020/II | 2021/I

to be continued … und zwar hier

Dezember
Freitag 31.12.

Jak utopit dr. Mráčka aneb Konec vodníků v Čechách / Wie soll man Dr. Mracek ertränken oder Das Ende der Wassermänner in Böhmen
(Václav Vorlíček, CS 1975) [DVD] 2

großartig

Der Generationenkonflikt als luftig leichte Geschichte von Mord und Ertränken, über Liebe und das Menschsein als Abwerfen der Fesseln des Obrigkeitsgehorsams. Und über die Freuden durch Waschbecken reisen zu können.

Filme von Georges Méliès
(Georges Méliès, F 1898-1912) [DVD]

tba.

L’île de Calypso: Ulysse et le géant Polyphème [Die Insel der Calypso] (1905)
Les Incendiaires [Die Brandstifter] (1906)
Une Chute de cinq étages [Ein Sturz aus der fünften Etage] (1906)
Les quatre cents farces du diable [Die 400 Farcen des Teufels] (1906)
Les affiches en goguette [Die beschwipsten Plakate] (1906)
La Cardeuse de matelas [Die Matratzen-Wollkämmerinnen] (1906)
Les malheurs d’un photographe [Das Pech des Fotografen] (1908)
Il y a un dieu pour les ivrognes [Es gibt einen Gott für die Säufer] (1908)
Un homme de têtes [Ein Mann der Köpfe] (1898)
Le fakir de Singapour [Der Fakir von Singapur] (1908)
Le Génie du feu [Der Feuergeist] (1908)
Le déshabillage impossible [Das unmögliche Ausziehen] (1900)
Cendrillon ou La pantoufle merveilleuse [Aschenputtel oder der wunderbare Pantoffel] (1912)
*****
Das Gimmickkino Méliès‘ wird zunehmend in ein Erzählkino überführt. Je mehr die kreativen, wie liebevollen Spezialeffekte nur noch Teil – teilweise kleine Teile – der Geschichte werden, desto weniger machen diese Filme Spaß. Lotti Z. (5 Jahre) bat sogar darum, noch mal ältere Filme zu sehen, die ihr so gut gefallen hatten und so weit weg von den Filmen ab 1906 waren, die sie größtenteils nicht interessierten.

The Polar Express / Der Polarexpress
(Robert Zemeckis, USA 2004) [3D-blu-ray]

nichtssagend

Die nachträgliche 3D-Konvertierung, die ein wenig zu sehr die Tiefe der Bilder künstlich in die Länge zerrt, lässt einen eh schon sehr creepy aussehenden Film, der für den Glauben in den Kampf gegen Wissenschaft und Vernunft zieht, noch unangenehmer aussehen.

Bad Trip
(Kitao Sakurai, USA/CA 2021) [stream, OmeU]

großartig

Es könnte gesagt werden, dass dies JACKASS meets BORAT ist. Ein Roadtrip Richtung Liebesgeschichte bietet den roten Faden, an dem die öffentlichen Gross-Out-Momente und Momente von sozialem Unbehagen angehangen werden, die den Film ausmachen. Doch anders als bei JACKASS steht nicht die Idiotie der Performer (Eric André und Lil Rel Howery) im Mittelpunkt, und anders als bei BORAT geht es nicht darum, die Idiotie, den Rassismus und die Ignoranz (Teile) der Gesellschaft offenzulegen. Stattdessen geht es um Menschen, die mit Wahnsinn konfrontiert werden … und u.a. eben auch glänzen dürfen. Auf die aber auch nicht herabgeschaut wird, wenn sie es nicht tun. Das Ergebnis ist dann tatsächlich sowas wie ein herzlicher Film.

Donnerstag 30.12.

奇謀妙計五福星 / Winners & Sinners
(Sammo Hung, HK 1983) [DVD, OmU] 3

großartig

Weder hat WINNERS AND SINNERS in seinen Actionszenen den Punch der beiden Fortsetzung noch deren Hang zu redundanten, abstrakten Zotten. Was aber noch lange nicht heißt, dass dies kein Vergnügen ist. Vor allem wenn Richard Ng auf einem Markt in ein Walkie-Talkie singt und … es ist bezeichnend: dieser blöde Quatsch, der so einfach von den Bildern vermittelt wird, ist viel zu komplex, um ihn hier kurz zusammenzufassen. Schaut selbst. Und zwar hier.

Mittwoch 29.12.

Annette
(Leos Carax, F/B/D/USA/J/MEX/CH 2021) [DCP, OmU]

uff

Männlicher Selbsthass, der männlichen Selbsthass in einem ätzenden Film geißelt, oder: Redundanz der Film … in dem die leider nur netten Songs der Sparks – die auch das Drehbuch schrieben – das eindimensionale Geschehen über jede Schmerzgrenze hinaus in endlos wiederholten Slogans zusammenfassen. Tatsächlich hätte mich mehr das Leben von Annette interessiert, die nun im Anschluss an das Geschehen lernen muss, damit zu leben, dass ihre Mutter aus ihr ein Ding der Rache machte, während ihr Vater nur Interesse im Sinn ökonomischer Ausbeutung an ihr zeigte. Eines der wenigen guten Dinge, die ich über den Film sagen könnte, ist, dass ich nach dem Film dachte, dass das ziemlich zähe 90 Minuten waren, beim Blick auf die Uhr aber bemerkte, dass ANNETTE zweieinhalb Stunden gedauert hatte.

This Is the End / Das ist das Ende
(Seth Rogen, Evan Goldberg, USA 2013) [stream, OmeU]

großartig

Sicherlich, THIS IS THE END ist vor allem ein Vanity Project seiner Macher. Ein paar Schauspieler (u.a. Seth Rogen, Jonah Hill, James Franco – aber der Film ist angefüllt mit Berühmtheiten, was eine Aufzählung eher absurd macht) spielen sich selbst, während das Jüngste Gericht über sie hereinbricht. Aber höchstens der Auftritt von Channing Tatum wirkt etwas gewollt, während es doch die meiste Zeit höchst sympathisch ist, wie sich diese Stars hier selbst durch den Kakao ziehen. Wenn Jonah Hill, der netteste Heuchler Hollywoods, von einem Teufel mit riesigem Penis vergewaltigt wird, oder der brave Michael Cera – wäre ich er, hätte ich Geld dafür gezahlt, diese Version meiner selbst spielen zu dürfen – koksend und fickend durch eine Party zieht, dann geht es eben vor allem um die eigene Eitelkeit der Darsteller, welche sich nicht verteufeln, sondern eben nicht ganz gute und nicht ganz schlechte Menschen spielen, die ein Recht auf Erlösung haben … und sich dabei urkomisch selbst im Weg stehen. Und wo andere solcher Komödie irgendwann ihre Sachen zusammenpacken und einfach nur noch den Plot zu Ende erzählen sowie die Guten und Bösen, die Geläuterten und Verlorenen sauber trennt, da hält THIS IS THE END durch und lässt auch auf den letzten Meter nicht mit Blödeleien und Einfällen nach.

Dienstag 28.12. – Mittwoch 29.12.

Lucie, postrach ulice / Luzie, der Schrecken der Straße
(Jindrich Polák, CS/BRD 1980) [blu-ray] 3

fantastisch

Eine von Eltern und Freunden verlassenes Mädchen (Žaneta Fuchsová) lernt die Freuden der Realitätsvergessenheit kennen, wenn – beim Ladendiebstahl erwischt – sie sich gegen die Realität und für die Träumerei entscheidet. Aus einer Packung Knete werden umgehend zwei magische Knetfiguren, welche ihre Welt bunt, schön und abenteuerlich machen. Am besten hat mir die Folge gefallen, in der Friedrich und Friedrich, also die Figuren, die Mattscheibe vom Fernseher abnehmen und das Meer von Luzies Piratenfilm sich ins Haus ergießt. Und in der Luzies Eltern Fantômas in einem fiktiven Film schauen, der nur aus sich wiederholenden Sex und Gewalt-Motiven zusammensetzt. Fernsehen ist hier nicht der Ort von Geschichten, sondern von Bildern aus dem Unterbewusstsein, weil das Kind die Geschichte noch nicht erkennt – irgendwie so imaginiere ich jedenfalls auch meinen kindlichen Blick. Auf jeden Fall ist Kultur dabei nur etwas wunderschön Bizarres.

Dienstag 28.12.

七小福 / Painted Faces
(Alex Law, HK 1988) [blu-ray, OmeU]

großartig

In diesem Film über die Peking Schauspiel- und Theaterschule spielt Sammo Hung seinen Lehrmeister Yu Jim-Yuen. Dieser züchtigt mehrmals seine Schüler und sieht dies auch als sein Recht, weil er sie aufgenommen hat, um aus ihnen etwas zu machen. Vor allem sind die Schüler Sammo und Big Nose seine Opfer. Schüler, die für Sammo Hung und Jackie Chan einstehen. PAINTED FACES ist ein Film über Klassenunterschiede, Ausgrenzung, Gestrandetsein in der Moderne … und vor allem ist es ein nostalgischer Film voller Jugenderinnerungen, die von der Musik zu vergangenen Sehnsuchtsorten stilisiert. Und wenn Sammo Hung als Meister Yu den von Yeung Yam-Yin und Chung Gam-Yam gespielten Sammo prügelt und beschimpft, dann stellt sich die Frage, inwieweit Sammo Hung diesen nostalgischen Blick teilt. Ob hier vll. etwas wie ein Stockholm Syndrom vorliegt oder die Jugend, egal wie sie aussieht, zum Ort der Verklärung werden kann. PAINTED FACES ist so nicht nur ein nostalgischer Film, sondern auch einer über Nostalgie.

狄仁杰之四大天王 / Detective Dee: The Four Heavenly Kings
(Tsui Hark, CHN/HK 2018) [3D-blu-ray, OmU] 2

großartig

Gegen Ende poppen einem Giganten, der einer Armee in einer induzierten Massenillusion erscheint, alle seine hundert Augen aus dem Kopf. Das 3D-Bild gleicht dann einem Aquarium, dass mit Augen statt Wasser gefüllt ist. Tsui Hark erzählt eine verwickelte Geschichte, über Täuschung und Enttarnung, politische Verwicklungen, Machtkämpfe und Macht als persönlichkeitsverändernde Droge. Aber mir fällt es schwer, dass alles einzuordnen, weil dieser Film optisch so verspielt ist und ich es nicht ganz schaffte am Ball zu bleiben. Ein Film zum Verirren über eine Welt zum Verirren.

Montag 27.12.

林世榮 / The Magnificent Butcher
(Yuen Woo-ping, HK 1979) [blu-ray, OmeU]

großartig

Die krude Version von DIE SCHLANGE IM SCHATTEN DES ADLERS, in der Sammo Hung – anders als Jackie Chan – eine Vergewaltigung plus Mord in die Schuhe geschoben wird … mit einem Meister, der noch ausgiebiger säuft, um Betriebstemperatur zu bekommen, und noch wahnwitzigeren Kampftechniken. Ambivalenz statt Klarheit. Und alles, weil Hungs Figur sich nichts zu Ende anhört und lieber voreilige Schlüsse zieht.

Life of Pi / Life of Pi: Schiffbruch mit Tiger
(Lee Ang, USA/TW/CA/UK 2012) [3D-blu-ray, OmeU]

großartig

Pascals Wette, dass wir, grob gesagt, wenn wir glauben, nur gewinnen können, und wenn wir nicht glauben, nur verlieren, als Ode auf die (filmische) Erzählkunst.

Mittwoch 15.12. – Montag 27.12.

Arabela / Die Märchenbraut
(Václav Vorlíček, CS/BRD 1980) [blu-ray] 3

großartig

Durch Zufall verschlägt es Menschen in die Märchenwelt und Märchenfiguren in die Tschechoslowakei der frühen 80er Jahre, wodurch die Märchenwelt ins Chaos stürzt und mehrere Menschen und Figuren in der Irrenanstalt landen. Dramaturgisch ist es ein einziges Durcheinander, dass dadurch am Laufen gehalten wird, dass wenn an einer Stelle ein Erfolg gefeiert und ein Schritt Richtung Happy End genommen wird, an anderer Stelle des Durcheinanders Leute sich völlig dämlich und/oder niederträchtig benehmen und verursachen, dass alles noch verworrener und aussichtsloser wird. Eine kuddelmuddlige Kurzfassung der Abläufe der Weltgeschichte also – inkl. Fantômas, der mit Pistolenfingern aus der Märchenwelt der Erwachsenen kommt und Recht und Ordnung im Nachbarreich stiftet.

Sonntag 26.12.

The Grand Budapest Hotel / Grand Budapest Hotel
(Wes Anderson, USA/D 2014) [blu-ray, OmeU]

gut

Hochqualitatives Kasperltheater – wirklich mit allem Respekt – über eine fiktive, ziemlich deutsch-österreichische Alpenrepublik im östlichsten Zipfel Europas. Und auf seine Art ist es ein würdiger Nachfolger von BEERFEST … auch wenn es dessen Klasse dann doch ein wenig verfehlt.

Sonnabend 25.12.

戰神傳說 / Moon Warriors
(Sammo Hung, HK 1992) [blu-ray, OmeU]

großartig

Ching Siu-Tung und Corey Yuen sind als Actionchoreographen mit beteiligt. Seltsamerweise gibt es zwei, drei Actionsequenzen, die unfassbar fad bleiben. Aber es gibt eben auch einen Bösewicht, der mit der Sehne seines Bogens jemanden enthauptet, einen Pfeil durch ein Feuer schießt, Pfeil und danach auch noch durchbohrten Kopf entzündet und damit eine dämonisch brennende Botschaft in der Landschaft vollendet … woraufhin der Film zu Andy Lau schneidet, der mit einem Belugawal, welcher später einen entscheidenden Schlag in der finalen Schlacht beiträgt, kuschelt und fröhlich durchs Meer schwimmt. Von der Action ist dies vll. einer der schwächsten, wenn nicht der schwächste Film von Sammo Hung. Was aber nichts daran ändert, dass der gefühlsbetonte Kampf gegen Korruption und niederträchtige Usurpatoren des Throns ein schöner Film ist.

L’année des méduses / Teuflische Umarmung
(Christopher Frank, F 1984) [DVD, OmU]

vertsrahlt

Ein Mann (Bernard Giraudeau), seines Zeichens Zuhälter, wird im Jahr der Quallen, so der französische Titel, von einer jungen Frau (Valérie Kaprisky) ins Meer geschubst, das nun eben mit unzähligen Quallen angefüllt ist. Halb verbrannt wird er aus dem Nass gefischt. Weder ist es ein Akt der Selbstverteidigung noch weiblicher Ermächtigung. Das Geschlecht spielt auch nur eine untergeordnete Rolle. Es ist Teil einer (sexuellen) Rivalität zwischen einer Tochter und ihrer Mutter (Caroline Cellier). Der Mann machte der Mutter den Hof, die Tochter war in ihn verliebt, so sagt sie. Und doch ist es Zufall, dass es ihn trifft – ihn erwischt es, weil der Film nicht schon wieder Frauen zu Opfern von Zuhältern machen möchte, aber tatsächlich hätte es jeden in diesem Film treffen können.
Ältere Herren schlafen hier mit der 16-jährigen Tochter ihres besten Freunds. Jugendliche Töchter reizen ältere Männer gnadenlos, um sie doch im letzten Moment wieder wegzuschicken. Männer verhökern Frauen. Frauen verkrallen sich in Rivalinnen. L’ANNÉE DES MÉDUSES erzählt von einem St. Tropez-Urlaub, der einem Säurebad gleicht. Von tatsächlichen sexuellen Handlungen wird sofort weggeschnitten. Immer nur die Wege dorthin sind zu sehen, davon weg und um sie herum. Das Gesagte ist dabei nicht unbedingt etwas Authentisches, sondern übernimmt den expressiven Part der Handlungen, die passiv bleiben. Wir bekommen so eine beständige Belagerung ohne Befriedigung vorgeführt. Sonnen, Sonnenschein und Reichtum schmeicheln den Augen, aber tatsächlich dünstet hier alles in seinem eigenen Saft.
Passend dazu irgendwie: Der Film lässt am Strand Frauen grundsätzlich blankziehen und versucht damit wohl etwas Erotik zu erzeugen, verstärkt aber nur das ungute Gefühl beim Portrait von Ungutem.

Freitag 24.12.

Guardians of the Galaxy
(James Gunn, USA 2014) [blu-ray, OmeU] 2

ok +

Die dämonische Witwe Bolte namens Ronan the Accuser (Lee Pace) ist maximal verschenkt. Optisch super, als Charakter völlig überflüssig und nur als Endgegner da. Dafür ist es ein Casting-Coup, dass Vin Diesel gecastet wurde, nur um immer wieder einen simplen Satz zu sagen. Ich mag Star-Lord (Chris Pratt) nicht wirklich, was ich daran merke, dass die Verwendung von MOONAGE DAYDREAM – und wie sie verwendet wird, nämlich so, dass es sofort weggemischt wird, sobald es nicht mehr nur anschmiegsamer Pop ist – mich ärgert. Dafür mag ich seine Mitstreiter. Für jedes Dafür gibt es ein Dagegen.

Mittwoch 22.12.

The Matrix Resurrections / Matrix Resurrections
(Lana Wachowski, USA/D 2021) [DCP]

gut

Naiver proseminarbegleitender Pomo-for-Dummies-Lektürekurs fürs Sci-Fi-Kinderzimmer, in dem jemand wohnt, der vll. doch mal aus dem Elternheim ausziehen sollte. Oder etwas anders hier bei critic.de.

Dienstag 21.12.

Derrick (Folge 252) Die Ungerührtheit der Mörder
(Helmuth Ashley, D 1995) [DVD]

ok

Derrick erzählt in dieser Episode von der größeren Verletzlichkeit des weiblichen Geschlechts. Damit, wie die Frauen dann auf einen Mörder reagieren – das Thema der Folge –, wird ihm auch gerne recht gegeben. Aufhänger: Ein Lehrer, der nicht begreift, was Mörder in der Schöpfungsgeschichte verloren haben, lädt einen entlassenen Mörder in die Schule ein, damit dieser seinen Schülern Rede und Antwort stehe und alle einen Aufsatz schreiben können. Es geht schief. Die Veranstaltung wird nicht nur zum Schauprozess, sondern der Mörder wird auch sterben. Auf dem Papier eine außerirdische Folge, tatsächlich macht sie es sich aber nur in ihrer tendenziösen Soße bequem und spult diese runter. Einzig Michael Mendl als Mörder sind so ambivalent, wie es die Folge gerne hätte.

Montag 20.12.

The Da Vinci Code / The Da Vinci Code – Sakrileg
(Ron Howard, USA 2006) [stream, OmeU]

ok +

Für einen dreistündigen Cluedo-Abend mit starkem Trivial Pursuit-Einschlag ist es gar nicht mal schlecht.

Sonntag 19.12.

Lauras Stern
(Joya Thome, D 2021) [DCP]

gut

Night at the Museum: Battle of the Smithsonian / Nachts im Museum 2
(Shawn Levy, USA/CA 2009) [stream, OF]

nichtssagend

Nachdem Larry Daley (Ben Stiller) im ersten Teil im Kurzdurchlauf zum verantwortungsvollen Vater erzogen wurde, muss er nun sein inneres Kind wiedererlangen. Dabei muss er durch so ziemlich alle Flügel der Smithsonian-Museen. Überall erlebt er kurze Abenteuer, die Werbung für die Bandbreite des Smithsonian machen. Weshalb sich dies wie ein Werbefilm für die Institution anfühlt und nicht für deren Inhalte.

Sonnabend 18.12.

甜蜜蜜 / Comrades: Almost a Love Story
(Peter Chan, HK 1996) [blu-ray, OmeU]

gut

Zwei Festlandchinesen kommen in den 80ern nach Hongkong, um Geld zu verdienen und ihre Wünsche zu erfüllen. Jun-Li (Leon Lai) möchte seiner Freundin etwas bieten und sie heiraten. Dabei bleibt er lebenslang Landei aus der Volksrepublik. Qiao Li (Maggie Cheung) möchte etwas aus sich machen. Sie wird grundsympathische Hyperkapitalistin, deren Schicksal wie der Verlauf der Börse schwankt. Im Laufe des Films wird sie einen Triadenboss (Eric Tsang) heiraten, der sich Mickey Mouse für sie auf den Rücken – zwischen seinen Drachen – tätowieren lässt. Doch beide lieben sich, auch wenn sich stets etwas zwischen ihre Liebe stellt. Beziehungsweise sind sie es, die immer wieder etwas dazwischen stellen. Denn dies ist auch die nicht ganz einfache Liebesgeschichte der Wiedervereinigung zwischen China und Hongkong.
COMRADES: ALMOST A LOVE STORY hat in seiner episodischen, elliptischen tragischen Liebesgeschichte starke Wong Kar-Wai-Vibes. Statt um harte Schicksalsschläge geht es um Melancholie und das Schweben in der Leere. Weshalb der Film vor allem aus Gesichtern besteht, auf die die unmittelbare Realität einwirkt, hinter deren Fassade sich aber das wahre Schicksal abspielt. Die Gesichter sind das Meer dieser Melancholie. Weshalb das Casting von Leon Lai etwas suboptimal ist, da er zwar herrlich arglos grinsen kann, aber seinem Jun-Li sonst kaum etwas mitzugeben versteht. Das Drama seiner alles hinnehmenden Figur ist im Vergleich zu seinen Mitspielern ziemlich ausdruckslos.

Freitag 17.12.

Derrick (Folge 251) Dein Bruder, der Mörder
(Hans-Jürgen Tögel, D 1995) [DVD]

gut +

In eine völlig egoistische, niederträchtige Welt – es sind die Highlights der Folge, wie wenn der verschwitzte Tante-Emma-Ladenbesitzer (Kurt Weinzierl) seine kleine Enkelin aus dem Laden wirft, weil er mit der Tochter einer ermordeten Prostituierten nichts zu tun haben möchte, da dies seinem Laden schade, oder wenn der verwöhnte, zum Übermensch erzogene Student (Holger Handtke) im Angesicht seines Mordes schweigsam die Aufräumarbeiten an seine Familie delegiert und dann zum dauerredenden Echauffierten wird, sobald die Dinge nicht so laufen, wie er möchte – wird ein netter, liebevoller, verantwortungsvoller Mensch eingelassen. DEIN BRUDER, DER MÖRDER ist in den zunehmend um Gott kreisenden DERRICK-Episoden die glückliche Erlösungsgeschichte, die ein nachdenklicher, ruhiger, zuvorkommender Mensch in diese Welt bringt … so der sichtliche Wunsch der Folge.

Night at the Museum / Nachts im Museum
(Shawn Levy, USA/UK/CA 2006) [stream, OF]

ok

Wer ein guter Vater sein möchte, muss lernen den eigenen Held in sich zu erkennen, um streitende Kinder aller Größen zu einer Einheit zu einen und gegen den Feind zu führen. So die Makroperspektive des Films, mehr oder weniger. Was bei mir aber hängen bleibt, ist das breite Lächeln Ben Stillers. Sein Vater ist am Ende glücklich wie ein Honigkuchenpferd. Stiller sieht dabei aber aus, als ob er sich dieses Grinsen schwerer abkämpfen muss, als den Sieg über all seine mannigfaltigen Widersacher davor. Ein Lächeln wie ein Ganzkörperkrampf. Der fröhliche Ben Stiller sollte einmal eine Art depressiven Joker ohne Selbstbewusstsein spielen.

Donnerstag 16.12.

The Matrix Revolutions / Matrix Revolutions
(Lilly & Lana Wachowski, USA 2003) [blu-ray, OmeU]

nichtssagend

Während der zweite Teil des zweiten Teils von THE MATRIX sich größtenteils als Schlachtengemälde des Kriegs zwischen Mensch und Maschinen versteht und schließlich seinen großen philosophischen Aufbau zum Plottwist verpuffen lässt und überhaupt weiterhin davon ausgeht, dass wenn der nervigste Charakter ins unendliche geklont wird, dass der Film dann mit einem charismatischen Bösewicht ausgestattet ist, hat mich am meisten gefreut, dass der Film in seiner Exposition – wie die beiden Vorgänger, nur abermals ganz anders – in einen Club tanzen geht.

Mittwoch 15.12.

Dívka na koštěti / Das Mädchen auf dem Besenstiel
(Václav Vorlíček, CS 1972) [DVD]

großartig

Filme, in denen Schüler lieber die Lehrerschaft in Hasen verwandeln und zum Schlachten bringen und auch sonst jeden auslöschen wollen, statt sich Fehler einzugestehen, sind schon mal sehr gut. Ansonsten handelt es sich bei DAS MÄDCHEN AUF DEM BESENSTIEL um eine Vorform von Vorlíčks Serie DIE MÄRCHENBRAUT. Statt einer stringenten Dramaturgie gibt es eine Abfolge von Kalamitäten, die einer Hexe geschehen, die es in die Menschenwelt verschlägt, welche sie nicht versteht. Und am besten: die Insistenz darauf, die Figuren völlig neben der Spur handeln zu lassen, um noch mehr Quatsch mit Jahrmarktsattraktionsspezialeffekten und kleinen Wunderlichkeiten in den Film zu packen, statt Leute rational handeln zu lassen.

Die kleine Hexe k
(Bruno J. Böttge, Manfred Henke, DDR 1983) [DVD]

ok

Ein Scherenschnittanimationsfilm, in dem eine Hexe, dass Hexen lernt, weil sie einen geliebten Prinzen helfen möchte, der von einer Prinzessin, die dieser liebt, die aber einen Konditor liebt, losgeschickt wird, Aufgaben zu erfüllen, womit sie ihn eigentlich loswerden möchte. Die Geschichte von Leuten, die voneinander nur die Konturen erkennen können, sozusagen. So verworren es sich aber anhört, so übersichtlich ist es erzählt … mit Traute Richter als alles einordnende und alle Figuren sprechende Erzählerin.

Derrick (Folge 250) Eines Mannes Herz
(Alfred Weidenmann, D 1995) [DVD]

gut

Die Erstausstrahlung war im August. In EINES MANNES HERZ wehen aber die Schneestürme … und dem Schnee, dem Wind und der Nässe vor der Haustür steht eine emotionale Vergletscherung in den Innenräumen entgegen, die Reineckers Drehbuch aufzubrechen versucht. Eine junge Frau ist verschwunden. Ein Mann nimmt sich das Leben, nachdem er ihre Familie aufsuchte. Er vermacht ihnen sein Herz, dass nicht seins ist, sondern das der Vermissten. Heruntergewirtschaftete, auf dem Zahnfleisch gehende … oder eher schlurfende Leute reden miteinander. Reden über den Vermisstenfall, über Moral und Verantwortung. Bis es aber soweit ist, dass jemand von Mitgefühl übermannt wird, steckt die Folge in den reineckerschen Wiederholungen fest. … Steckt in den reineckerschen Wiederholungen fest? Ja, sie steckt in den reineckerschen Wiederholungen fest. Eine Episode wie ein erstarrter Abnutzungskrieg.

Dienstag 14.12.

The Matrix Reloaded / Matrix Reloaded
(Lilly & Lana Wachowski, USA 2003) [blu-ray, OmeU] 3

gut

Kant versuchte in KRITIK DER REINEN VERNUNFT den Widerspruch zwischen den Konzepten von Freiem Willen und Determination zu lösen, indem er zwei Perspektiven einführte. Wir sind, grob, in unseren Entscheidungen determiniert und Teil von Ursache und Wirkung. Erkenn- wie entschlüsselbar wird es aber nur retrospektiv … oder besser außerzeitlich, mit dem Blick eines Gottes. Bei aller Determination ändert sich eben nichts daran, dass wir in den Situationen selbst unsere eigenen Entscheidungen treffen müssen, ohne etwas von den Fesseln der Determination zu spüren.
In der zweiten, nachgestellten Realität der Matrix beginnt in THE MATRIX RELOADED nun eine Suche nach Schicksalen und eigenen Entscheidungen. Etwas ähnliches wie Kant versuchen die Wachowski-Schwestern, nur verlieren sie sich noch mehr in Orakelsprüchen als Kant. In den unzähligen bedeutungsschwangeren Dialogen des Films gibt es quasi DIE KRITIK DER REINEN VERNUNFT, die ein unbedarfter Pop-Art-Künstler, der sein Geld als Müllmann verdient, zu entwerfen versucht.
In seiner Struktur ähnelt der erste Teil des zweiten Teils von THE MATRIX der starren Entgegenstellung von Sammo Hungs TWINKLE TWINKLE LUCKY STARS. Auf all die langen, irrlichternden Dialoge folgen die Actionsequenzen. Einmal muss mit Unmengen von Agent Smiths gekämpft werden, der als Virus die Matrix befällt, wie er es den Menschen in Bezug auf die Welt vorgeworfen hatte. Zuletzt gibt es dann einen Heist, der zu einer Autoverfolgungsjagd und der Auseinandersetzung mit zwei Albino-Techno-Geistern kommt. Das, was THE MATRIX noch stimmig ineinanderschob, steht hier nun unvermengt nebeneinander. Die ästhetisch nachhaltig inszenierte Action und das Bedeutungsschwangere.
Dieses megalomanische Irgendwas, das dabei entsteht, könnte sehr schmackhaft sein, nur ist der Drang nach Coolness und Bruce-Lee-Impressionen in diesem Teil so aufdringlich, dass es mitunter schmerzhaft wird. Vor allem: nach THE MATRIX RELOADED habe ich einen sehr nachdrücklichen Hass auf Sonnenbrillen entwickelt.

Montag 13.12.

山河故人 / Mountains May Depart
(Jia Zhangke, CHN/F/J 2015) [DVD, OmeU]

großartig

Drei Jahrzehnte, drei Beziehungen, drei Episoden, drei Formen der Entfremdung. Das China der jüngeren Vergangenheit, der Gegenwart und der Zukunft. Zuerst eine Dreiecksbeziehung in einer Einöde, die mit Anzeichen von Industrialisierung gezeichnet ist und in die moderne Kapitalistenschlitten und Technodiscos Einzug halten. Danach die gleichen drei Leute, die nun nicht mehr (direkt) miteinander reden. Entweder ist ein Tablet zwischen ihnen oder die Scham über die eigenen Entscheidungen. Die Moderne als Welt der Gewinner und Verlierer, die zwar weniger Schutt um sich haben, dafür aber emotionalen Trümmer mit sich herumtragen. Zuletzt verschwinden die ursprünglichen Figuren fast total aus dem Film. Sie sind nur Überbleibsel im Leben des Kindes einer der beiden … in Australien. Hier, im dritten Teil verfestigt sich, was der Film als Potential die ganze Zeit mit sich schleppt, dass dies nämlich die Erzählung eines Identität fressenden Kapitalismus ist. Wenn es nur noch darum geht, nicht mehr zu wissen, wer man ist, während die alte Generation in einer sie abgehängt habenden Zukunft gestrandet ist, dann ist MOUNTAINS MAY DEPART am schwächsten. Wenn die persönlichen Schicksale hinter der Allegorie verschwinden. Vll. ist es aber auch das Problem, dass Zhao Tao und ihr Blick zwischen Arglosigkeit und emotionaler Vergletscherung aus dem Film verschwindet, und damit gleich viel weniger zu zeigen hat.

Sonntag 12.12.

My Little Pony: A New Generation
(J. L. Ucha, M. Fattibene, R. Cullen, USA/CA/IR 2021) [stream]

gut

Im Grunde ist dies ein toller Film. In vielerlei Hinsicht sogar besser als MY LITTLE PONY: THE MOVIE. Nur fremdele ich mit den Hauptfiguren, die sich ein wenig auf der nichtssagenden Seite befinden. Sein größtes Problem ist meiner Meinung jedoch, dass mir die Filmplakate am präsentesten bleiben. Das sehr detailgetreue TERMINATOR-Plakat für den Film JUDGEMENT NEIGH beispielsweise mit einem Pony als Arnold Schwarzenegger. Oder FILLY ELLIOTT. Oder HORNS statt JAWS mit einem Einhorn, dass ein Erdpony aufzuspießen droht. Wenn Easter Eggs aber das Beste eines Films sind, dann stimmt bei aller Qualität etwas nicht.

Ben-Hur
(William Wyler, USA 1959) [35mm]

gut +

Es beginnt und endet sehr, sehr ausführlich. Tragische Exposition und erbauliche Passionsgeschichte mit grenzenlosem Happy End, in welchem Jesus nicht nur die Sünden der Menschen auf sich nimmt, sondern alle Wunden heilt, vollziehen sich fast in Zeitlupe. Wobei, es handelt sich nicht um Slow Cinema, sondern um eine Geschäftigkeit, die nicht von der Stelle kommt. In der Mitte geht es aber um die saftigen Teile, die den Trockenen entgegenstehen. Dort ist BEN-HUR der sündhafte Film, für den mit den tugendhaften Klammern bezahlt wird. Höhepunkt dieser Mitte und des gesamten Films: Ein Konsul möchte die Rudersklaven seiner Galeere mal richtig ins Auge fassen und setzt sich neben den Takttrommler. Immer schneller lässt er schlagen und damit immer qualvoller rudern. Und der Film wird zum wilden Tanz aus Schuss und Gegenschuss von schwitzenden, muskulösen Männerköpern am Rande des Zusammenbruchs und einem geilen Blick aus sie. Am Ende beendet der Konsul alles und der Film lässt offen, ob er befriedigt ist oder sich zu Selbigem mit den Bildern im Kopf zurückzieht. Eins ist aber klar: Kurzzeitig ist BEN-HUR hier ein Porno.

Sonnabend 11.12.

吉星拱照 / The Fun, the Luck & the Tycoon
(Johnnie To, HK 1990) [blu-ray, OmeU]

gut +

In Johnnie Tos Version von DER PRINZ UND DER BETTELKNABE gibt es keinen Bettelknaben. Beziehungsweise kommt es in seiner Variation von DER PRINZ VON ZAMUNDA kaum zum Culture Clash. Chow Yun-Fat spielt einen Tycoon, der von seiner Familie zur Heirat mit seiner Cousine gezwungen wird und deshalb lieber Putzkraft in einem Fast-Food-Laden wird, weil arme Leute sich in der Liebe frei entscheiden können. Das Konzept des Films ist dabei, jede Figur gnadenlos zu überziehen – außer vll. Sylvia Changs Figur, in die sich der Tycoon verliebt … weil die Liebe nämlich das Außergewöhnliche sucht, also das Normale – und dem Kleinklein der vielen Einzelteile die Kohärenz opfert. Weder macht die Geschichte Sinn, noch folgt sie etwas anderem als einer groben, äußerst groben Dramaturgie. Der Irrwitz ist ausgesucht, aber genau wie die Figurenzeichnung all over the palce.

The Matrix / Matrix
(Lilly & Lana Wachowski, USA/AUS 1999) [blu-ray, OmeU] 5

gut

Der Anfang in der Matrix, der seine besten Elemente von DAR CITY entleiht, gefällt mir am besten. Der Steam-Punk-Noir, wo im Regen durch dunkle Gassen die Minidisc mit den illegalen Inhalten vor Agenten der Regierung, Agenten der Schatten in Sicherheit gebracht werden muss. Wo es um verbotene Freuden in schimmligen Kellern geht. Wenn es dann um die Leere der Identität geht, die jeder nach eigenem Gusto füllen kann, wenn es um Willensfreiheit und Schicksal geht, um MTV-Actionszenen, die einen Hass gegen Säulen ausagieren, dann ist THE MATRIX vor allem ziemlich nett.
*****
Ein schöne Zusammenfassung des Phänomens gibt es hier.

Freitag 10.12.

Derrick (Folge 249) Derricks toter Freund
(Theodor Grädler, D 1995) [DVD]

ok

Reinecker und ein Theodor Grädler, der inzwischen alles in der Dramaturgie meidet, was Ebbe und Flut gleichen könnte, versuchen zu klären, was die Frauen der Macher unserer Gesellschaft wollen. Ihr Vorschlag: Ein Lachen, Nähe und Passivität … ein erwachsenes Kind. Zuweilen sind die nichtssagendsten Folgen von DERRICK diejenigen, die mich am meisten verstören.

Donnerstag 09.12.

West Side Story
(Steven Spielberg, USA 2021) [DCP, OF]

großartig

Einerseits mag ich die Songs von Leonard Bernstein inzwischen sehr. Andererseits steckt mir immer noch in den Knochen, wie wir den Inhalt des Musicals im Musikunterricht durchgekaut haben. Also nicht die Musik, sondern die so schon aufdringlichen sozialen Themen wurden uns nochmal Stück für Stück durchgekaut. Ich glaube beides hatte Einfluss auf meinen Text für critic.de.

Mittwoch 08.12.

Sechse kommen durch die Welt
(Rainer Simon, DDR 1972) [DVD] 4

großartig +

Die atemlose Suche nach Worten für das eben Gesehene, mit welchen Lotti Z. (5 Jahre) ihrer Mutter vermitteln wollte, was wir gerade gesehen hatten, fängt das Erlebnis dieses seltsamen Märchenfilms vll. am besten ein. Leider habe ich nicht die Gnade so schreiben zu können. Deshalb klickt hier, und hört die wunderschöne Musik von Peter Rabenalt, die Lotti noch im Bett vor sich hin summte.

Derrick (Folge 248) Kostloffs Thema
(Dietrich Haugk, D 1995) [DVD]

verstrahlt +

Ein exzentrischer Theaterbetreiber, -autor und -schauspieler (Gerd Anthoff – der das so schon hölzern-theatrale Schauspiel der Serie zum jenseitigen Schwelgen durch die Worte eskaliert) sammelt gelegentlich am Bahnhof Männer auf – vornehmlich Ossis, weil sie keine Vergangenheit und Zukunft haben. Sie ziehen zu ihm in das ausladende Schloss seiner Mutter, wo er Schauspieler aus ihnen machen möchte. Wenn er genug von ihnen hat, wobei nicht klar ist, ob er die sexuelle Lust an ihnen verliert oder diese ihn doch zu sehr überkommt, dann bringt er sie um … für sich rationalisiert er die Taten damit, dass Mord und Authentizität Hand in Hand gehen, oder sowas.
Es handelt sich mal wieder um eine völlig entrückte, romantische Folge, in der Béla Bartóks Konzert für Orchester leitmotivisch die emotionalen Wellen hochpeitscht. Ein normaler, unbedeutender Schnitt zu einer Limousine wird durch die Musik zum wagnerianischen Schicksalsmoment. Die Leute am Rande des Nervenzusammenbruchs. Parallelwelt folgt auf Parallelwelt. Die Öde und/oder Gemeinheit der Realität scheint hier nur noch als Hysterie ertragbar. Am Ende rieseln Kiesel im Steinschlag. Ohnmacht.

 

Dienstag 07.12.

高度戒備 / Full Alert
(Ringo Lam, HK 1997) [DVD, OmU] 2

großartig

Der Wendepunkt in Ringo Lams Karriere. Jeden Impuls zu Witz und Wahnsinn unterdrückt er, um ein Thriller zu machen, der ganz Drama ist. Ein Cop (Lau Ching-Wan) und ein Verbrecher (Francis Ng) werden von der Vergangenheit verfolgt, doch statt mit jedem Schritt, den sie tätigen, verstärkt sich ihre Vergiftung. Oder wie es Sean G. bei letterboxd zusammenfasst:
Ringo Lam does a Milkyway-style film right as Milkyway launches, with Lau Ching-wan as the head cop on a team tracking down a small gang of killers and robbers (see also: Expect the Unexpected, Breaking News, Drug War). There’s a car chase, a tense standoff and a neatly constructed final heist sequence, but the most disturbing scene is a POV shot of an empty apartment, a child crying behind a door.
It’s not built around a strong relationship like Lam’s best films (City on Fire and Prison on Fire) but much more grounded than the gloriously ludicrous Full Contact. Both cop and crook are haunted by deaths they’ve committed or witnessed, and the film is suffused with the same apocalyptic (read: Handover) tone as the early Milkyway cycle. Films where men of violence can’t escape the world they’ve made and are eventually consumed by it.

Sonntag 05.12.

Аленький Цветочек / Die feuerrote Blume
(Irina Povolotskaya, UdSSR 1978) [DVD] 2

fantastisch

Einzig die Erzählerin, die ständig einordnet und verortet und von der ich nicht weiß, ob sie im russischen Original vorhanden ist, stört mich hier. Ansonsten ist die Version von DIE SCHÖNE UND DAS BIEST mit das Schönste und Eigenwilligste, was ich kenne. Ein Mann kommt in ein fremdes, irreales Land und bringt seinen Töchter Geschenke daraus mit. Nur muss er dafür mit seinem Verbleib in diesem Reich bezahlen, wo ein Laubbiest und eine Art Eiskönigin herrschen. Die 360-Grad-Regel wird dabei ständig verletzt. Schnitte werfen einen immer wieder an unerwartete Stellen. Überall herrscht Traumlogik. Die Bilder, gerade im Schloss sind von dekadentem Überfluss. Und im fremden Reich sind alle Bilder in einem irrwitzigen monochromen Rot gehalten. Es ist wie Tarkowskijs Kino, nur ohne thematische Schwere und stattdessen mit einem hemmungslosen Willen zur ästhetischen Partybombe.

Sonnabend 04.12.

Captain America: The Winter Soldier / The Return of the First Avenger
(Anthony & Joe Russo, USA 2014) [DVD, OmeU] 2

ok

Die Sequenz im NSDAP-Computerpool, in dem mittelalterliche Technik so viel potenter als moderne ist, weil sie eben von dem bösen Geist der Nazis besetzt ist, finde ich immer noch sehr sehenswert. Ansonsten ist die Geschichte zwischen Captain America und Black Widow ganz nett. Es gibt hier und da etwas, das den Film ganz unterhaltsam macht, aber interessant und sehenswert wird es trotzdem nur bedingt.

Freitag 03.12.

Moonrise Kingdom
(Wes Anderson, USA 2012) [DVD, OF]

großartig +

Nach DARJEELING EXPRESS und FANTASTIC MR. FOX fremdelte ich mit den Filmen Wes Andersons. MOONRISE KINGDOM habe ich mir lediglich auf DVD gekauft, statt ihn im Kino zu sehen. Und dann lag diese auch noch Jahre lang herum, ohne dass ich große Lust gehabt hätte, sie in den Player zu stecken. Die Filme, die danach kamen, bestätigten mich darin, dass es zwischen mir und Wes Anderson irgendwie vorbei war. Jetzt wo ich ihn mir doch anschaute – und das auch nur, um aus Gründen einen Film mit Tilda Swinton zu schauen –, ärgerte ich mich. So viel öfter hätte ich ihn schon sehen können. Das Symmetrische, Knuffige, dieses seltsam statisch Verspielte, es war plötzlich wieder Ausdruck eines unermesslichen Schmerzes. All der zwangsneurotische Kitsch war geerdet in Gefühlen. Zwei pubertierende Kinder hauen ab, weil sie sich lieben und weil sie ihre Welten von Zwang und Erniedrigung – Pfadfinder, Anwälte, Sozialarbeiter und Polizisten bilden das erwachsene Personal – verlassen wollen. Das Ergebnis ist ein Film über ein allgegenwärtiges Scheitern, der das Leben sauber aufräumen muss, um darin nicht unterzugehen.

Do You Like to Read? k
(Wes Anderson, USA 2012) [DVD, OF]

tba.

Die Bücher aus MOONRISE KINGDOM werden vorgestellt. Mit etwas Budget, Zeit und Anstrengung könnte dies, das bessere THE FRENCH DISPATCH sein … oder genauso egal. In dieser Form, einer Form der Potentiale, ist es aber ganz schön.

Κυνόδοντας / Dogtooth
(Yorgos Lanthimos, GR 2009) [DCP, OmU]

ok

Ein Elternpaar sperrt ihre Kinder in der eigenen Villa ein und erzählt ihnen, dass die Außenwelt tödliches Terrain ist. Dabei geht es Yorgos Lanthimos zuvorderst um eine simple wittgensteinsche Figur, wobei sich die Sprache der Kinder zwangsläufig von der anderer Menschen unterscheiden wird, dass eben die Wörter andere Dinge bedeuten – Zombies sind bei ihnen beispielsweise gelbe Blumen – und dass ihre Verhaltensformen dadurch absonderliche werden. Andererseits geht es ihm um Sex, einmal wenn der mittzwanziger Sohn mit informellen Geschlechtsverkehr mit Angestellten und seinen Schwestern befriedet wird, und dem erwachenden unheimlichen Gefühlen der älteren Schwester, die durch ihre strukturell nicht befriedeten Lust den Ausbruch sucht … und dann geht es Lanthimos eben noch um nackte Frauenkörper als Lustobjekte und nackte Männerkörper als kleine Pointen. Im Großen und Ganzen ist das aber auch nichts, was nicht in 15 Minuten auserzählt ist.

Donnerstag 02.12.

Das Feuerzeug
(Siegfried Hartmann, DDR 1959) [DVD] 4

ok +

Das tatsächliche Märchen von Hans Christian Andersen ist ziemlich … düster. Ein Soldat erschlägt eine alte Frau, weil er sich einen Vorteil davon verspricht. Um sich zu rechtfertigen, erklärt er sie zur Hexe. Mit einem Feuerzeug, dass er durch den Mord in seinen Besitz bringt, kann er riesige Hunde befehligen. Sie dürfen ihm dann nächtens eine Prinzessin bringen, die er bis zum Sonnenaufgang bei sich behält und die nie zu Wort kommen wird. Die einfach nur ein zu besitzender Körper bleibt. Entdeckt nimmt er König und Volk mittels der Hunde als Geisel, um sich zur Thronfolge zu pressen. Siegfried Hartmanns Version des Ganzen setzt darauf, den Schmutz und die Widerwärtigkeit auszubügeln und mit süßen Spezialeffekten und etwas moralischen Lehren über die müßiggängerischen Kinder der Reichen anzureichern. DAS FEUERZEUG braucht unbedingt eine werkgetreuere Neuverfilmung.

Mittwoch 01.12.

House of Gucci
(Ridley Scott, USA/UK/CA 2021) [DCP]

großartig +

Ich habe mir mit meinen Text für critic.de den Herzenswunsch erfüllt, Ridley Scott mit etwas größerer Reichweite als diesem Sehtagebuch einen Gorebauern zu nennen (… auch wenn er es im Film selbst gar nicht ist).

November
Montag 29.11.

Run Hide Fight
(Kyle Rankin, USA 2020) [blu-ray, OF]

nichtssagend

Etwas weniger DIE HARD-Zitate und mehr wirkliche Ambivalenz hätte ich mir gewünscht … sage ich bei critic.de.

Sonntag 28.11.

Far From the Tree k
(Natalie Nourigat, USA 2021) [DCP]

ok

Eine knuffige Geschichte darüber, dass sich Eltern an ihre Kindheit erinnern sollen und Erlittenes nicht an ihre Kinder weitergeben. Eine knuffige Geschichte, die sich doch zu sehr in ihrer nach allen Seiten ausgleichenden Pädagogik – niemand ist schuld, wir müssen nur lernen – erschöpft.

Encanto
(Byron Howard, Jared Bush, USA 2021) [DCP]

gut

Ein Film über eine Familie mit Superkräften, über ein Haus, in dem jedes der Familienmitglieder ihren eigenen Raum hat, der genau ihnen und ihrem Können entspricht, über Leute, die in den engen Wänden der Repräsentation ihrer Identität gefangen sind, über ein Haus als Symbol für den Zusammenhalt der Familie und die Einkerkerung des Selbst. Am besten: die Oma ist der Bösewicht.

The Enforcer / Dirty Harry III – Der Unerbittliche
(James Fargo, USA 1976) [blu-ray, OmeU]

ok

Im Geiste ist dies die direkte Fortsetzung des ersten Teils, die alles wieder aufgreift, nur weniger interessant und mit einem neuen Sidekick, mit dem, was ein Gag, Harry Callahan (Clint Eastwood) eine Frau zur Seite gestellt wird, wodurch er sich mit Damen und institutionell gefördertem Feminismus auseinandersetzen muss. Allem Schönen des Films steht damit sehr viel cringe entgegen.

Sonnabend 27.11.

Magnum Force / Dirty Harry II – Callahan
(Ted Post, USA 1973) [blu-ray, OF] 2

gut

Rücksichtslos geht Callahan (Clint Eastwood) gegen Selbstjustizler vor – um sich quasi von den Vorwürfen der Selbstjustiz gegen den ersten Teil reinzuwaschen. Es beginnt vor Gericht, in totaler Hysterie, weil ein Verbrecher freigesprochen wird. Reporter und Demonstranten schreien durcheinander. Das Bild besteht aus einem Meer aus Menschen. Hier, im Wahnsinn fühlt sich Ted Post sichtlich am wohlsten. Danach bedient aber das Klein-Klein des Vorgängers. Hier macht Harry wieder kleinere Aufgaben – beispielsweise stoppt er Flugzeugentführer, in dem er als Pilot an Bord geht, während des Starts eine Vollbremsung vollzieht und dann eben doch mitten durch die Passagiere sein Feuergefecht austrägt – und auf der anderen Seite wird menschlicher Abschaum, dem es viel zu gut geht, ermordert – zum Beispiel ein afroamerikanischer Zuhälter, der eine seiner Damen brutal umbringt. In seiner klaren Trennung und einem umständlichen Spannungsbogen verliert sich etwas der Wahnsinn, der diesem Film innewohnt.

Irma Vep
(Olivier Assayas, F 1996) [blu-ray, OmeU]

großartig +

Regisseur René Vidal (Jean-Pierre Léaud) möchte ein eins-zu-eins-Remake von Feuillade LES VAMPIRES mit Maggie Cheung (Maggie Cheung) als Irma Vep drehen. IRMA VEP erzählt dabei von Filmsets als Ort der Besessenheit, Nervenzusammenbrüche, Liebeleien, als Ort ständigen Geschehens und endlosem Bewegen in ungelösten Potentialen. Sicherlich ließe sich viel über den Film schreiben, ich muss ihn aber erstmal verarbeiten … und mir geht einfach nicht aus dem Kopf, wie schön und filmisch die blu-ray von Arrow aussah. Sehr, sehr schön.

Nocturnal Animals
(Tom Ford, USA 2016) [blu-ray, OmeU]

ok

Eine Frau (Amy Adams) in einer Designerwelt wird von einem Roman gequält, in dem ein Ex (Jake Gyllenhaal) ihre Trennung als House-Invasion-Rape-and-Revenge-Thriller mit schwerer Selbstbefragung verarbeitet. Leere trifft auf oberflächliche Gemeinheiten. Jeder Teil nur für sich oder wenn Ford sich seiner Geilheit verschreiben würde, wäre dies womöglich was. So bleibt nur der Hauch einer schwülen Bedrohung aus der Dunkelheit, die der Film viel zu oft ignoriert und lieber seine Leere mit nichts weiter Bemerkenswertem auffüllt.

Freitag 26.11.

Trainwreck / Dating Queen
(Judd Apatow, USA 2015) [stream, OmeU]

gut

Sportstars wie Lebron James spielen zentrale Rollen … und jedes Mal, wenn diese Geschichte einer Frau mit Bindungsängsten wie zum Ausgleich für das Hauptthema zum Nerdfest wird und besagte Stars mehr schlecht als recht eine weitreichende Rolle bekommen, dann freut sich Apatow sichtlich, dass er diese gewinnen konnte. Für den Film sind sie aber meist mehr als unnötig, nicht zuletzt, weil der Witz dieser Szenen sehr bemüht bleibt.

Donnerstag 25.11.

濟公 / The Mad Monk
(Johnnie To, HK 1993) [DVD, OmeU]

ok

Johnnie To hat das Hyperaktive dieser Komödie, in der ein affenkönigartiger Untergott wettet, dass er drei Menschen von ihren seit mehreren Inkarnationen angeeigneten Lebensweisen (Prostitution, Betteln, Verbrechen) abbringt. Wo A CHINESE ODYSSEY sein Durcheinander an Stimmen und Momenten aber sowohl krasser einsetzt und gleichzeitig in erzählerischen Grenzen belässt sowie alles über tragische Liebesgeschichten und seine Schönheit erdet, herrscht bei THE MAD MONK nur wenig mitreißendes Kuddelmuddel. Mit Stephen Chow, Maggie Cheung und Anthony Wong ist es aber toll und sehenswert besetzt.

Mittwoch 24.11.

Gran Torino
(Clint Eastwood, USA/D 2008) [35mm, OmU] 2

großartig

Eastwoods Kraftausdruckkomödie finde ich am besten, wenn sie nicht BOYS ‚N THE HOOD-Ghettodrama mit etwas simpler Erlösungsauflösung ist, sondern wenn Eastwood die Cuisine und Aufmerksamkeit weiblicher Hmong genießt und seine Hmong-Hilfskraft (Bee Vang) durch die Nachbarschaft schickt, um mit kleinen Handwerksaufgaben alles ein bisschen schöner zu machen. Es gab Zeiten, da hätte ich dies schrecklich sentimental gefunden. Jetzt aber, etwas reifer, kann ich sehr gut nachvollziehen, dass gutes Essen, Zuneigung und etwas Straßenfegen sehr lebenswert erscheinen. Solange es also darum geht, dass Eastwood einen Grund zum Leben findet, mag ich den Film mehr, als wenn er Gründe zum Sterben sucht.

Dienstag 23.11.

Army of Thieves
(Matthias Schweighöfer, USA/D 2021) [stream, OmeU]

uff

Neben Safe-Innenleben-Porn interessiert sich Schweighöfer für Gesichter. Zuvorderst das eigene und Ruby O. Fees. Und während er da das Gold seines Heistfilms vermutet, lauert dort eher die Ernüchterung. Wenn ARMY OF THIEVES am Ende Szenen aus ARMY OF ZOMBIES nutzt, ist es wie ein Aufatmen aus eben dieser Enge herauszukommen.

Sonntag 21.11.

DuckTales: The Movie – Treasure of the Lost Lamp / Ducktales Der Film: Jäger der verlorenen Lampe
(Bob Hathcock, USA/F 1990) [DVD]

ok

Eine dieser ernüchternden Wiederbegegnungen. In meiner Erinnerung hatte mich vor allem gestört, dass Dagobert Duck einen anderen Synchronsprecher als in der Serie hat. Tatsächlich ist der Film besser gealtert als viele Folgen eben dieser. Aber es handelt sich auch um einen dieser Filme, die Hektik mit fetziger Unterhaltung verwechseln.

Ghostbusters
(Ivan Reitman, USA 1984) [blu-ray, OF] 6

gut

Aus eine Diskussion im Gesichtsbuch Redebeiträge von Thomas G. und Hasko B.:
T.G.:Ghostbusters ist ja auch kein Film aus den 80ern, sondern eigentlich einer aus den 70ern, so wie auch die Figuren eigentlich alle aus den 70ern sind (die ewigen Schluffis und Lebenlaufverweigerer), die aber plötzlich in den 80ern aufwachen, sich mti den Reagonomics konfrontiert sehen und dann eben das machen, was der US-Entrepreneurism am besten kann: Selling bullshit with a smile. Nur dass der Bullshit dann real wird und mit einem Mal die 70s-Slacker die Welt retten müssen.
H.B.: […] Ghostbusters bringt ja den neuen anarchischen Comedy-Humor der jungen 70er-Stars ins damals sehr familienfreundliche Blockbusterkino. So schluffig-egoistisch wie Murray hier war vorher nur Murray in STRIPES. Und außerdem, was das „Filmische“ angeht: Look und Feel, insbesondere Kamera, sind in Reitmans Film Augenschmaus Deluxe. Das ist auch einfach ein toller New-York-Film, mit all dem Grit, den die Stadt damals noch hatte.
T.G.: Und auch interessant, wie der Film die Gegensätze New Yorks zueinander ins Verhälnis setzt. Hier die self-employed Schluffis von der Uni, dort der upper-class elitism und der Bürokratismus. Wenn die bunten Neongeister dann Einzug in die Stadt halten, ist das im Grunde genommen ein Kampf der 70er gegen den Corporatism der 80er. Ein toller, hybrider Film.
Das ist unbedingt so zu sehen. Nur leider hat der Film auch eine völlig unnötige Rick Moranis-Figur, die von der teilweisen Lustlosigkeit kündet, die den Film hier und da befällt.

Sonnabend 20.11.

Enchanted / Verwünscht
(Kevin Lima, USA 2007) [stream, teilw. OF]

gut +

Mich hat etwas gestört, glaube ich, dass ENCHANTED vor und nach der Szene, in der Giselle (Amy Adams) die Tiere wie Disneys Schneewittchen zum Saubermachen einer Wohnung ruft, aber nur, da sie sich in Manhattan befindet, Ratten, Tauben und Ungeziefer erscheinen, mit denen sie dann trotzdem putzt, dass der Film nie wieder dieses Niveau aus Selbstreferenzialität, Selbstironie und Übermut erreicht.

Dirty Harry
(Don Siegel, USA 1971) [blu-ray, OF] 3

großartig

Während DER DRECKSCHE HARRY, wie der deutsche Titel in einer besseren Welt gewesen wäre, den Copthriller der kommenden Jahre und Jahrzehnte definiert, sammelt diese Rappelkiste der Unfassbarkeiten Dinge an, statt eine Geschichte zu erzählen. Der Serienmörder, der sowieso batshit crazy ist, bezahlt einen großen, bulligen Afroamerikaner, der ihn zusammenschlägt, um wiederrum Harry der unnötigen Gewalt beschuldigen zu können. Harry wird vermöbelt, weil Nachbarn ihn beim Observieren eines Tatverdächtigen für einen Spanner halten. Harry verweigert, dass seine Hose aufgeschnitten wird, damit sein angeschossenes Bein operiert werden kann, weil diese zu teuer war. DER DRECKSCHE HARRY erzählt Episoden einer ranzigen, sadistischen Welt, die den Bürgern auflauert, und gibt dabei seiner Hauptfigur eine Coolness, die moralisch genauso heruntergekommen ist, wie die Welt, in der sie die Dreckarbeit erledigt. Der Wahnwitz einer faschistischen Phantasie.

Freitag 19.11.

A Pure Place
(Nikias Chryssos, D 2021) [stream]

uff

Ich rate ab. Eine ausführlichere Argumentation zur besagten Abratung findet sich hier auf critic.de.

Donnerstag 18.11.

Ghostbusters: Afterlife / Ghostbusters: Legacy
(Jason Reitman, USA/CA 2021) [DCP, OF]

uff

Der Film beginnt mit einer Verfolgungsjagd. Bzw. damit, wie Egon den Köder spielt, um einen Geist in eine Falle zu locken. Gegen Ende des Films werden seine Kinder denselben Plan ausführen. Von kleinen Variationen abgesehen, gleichen sich die beiden Einfangsequenzen wie ein Ei dem anderen. Selbst die Fehler müssen nochmals stattfinden. Und so ist es mit dem gesamten Film, dessen Exposition als wahllos geschnittener, mit Hals und Beinbruch die wichtigsten Informationen kommunizierend Imagefilm anfängt, der dann einiges mit uninteressanten Figuren und uninteressanten Geschichten ausprobiert, sich aber doch nicht vom sklavisch verehrten Ursprungsfilm lösen kann.

Mittwoch 17.11.

Breezy / Begegnung am Vormittag
(Clint Eastwood, USA 1973) [blu-ray, OmeU]

großartig

Für das Liebespaar mit dem Altersunterschied in ALL THAT HEAVEN ALLOWS bzw. ANGST ESSEN SEELE AUF kommt der Druck zuvorderst von außen. Hier geht es jedoch um Innenleben und Selbstzweifel, wenn der alternder Lebemann Frank (William Holden) vom Hippiemädchen Breezy (Kay Lenz) heimgesucht wird – tatsächlich ist Liebe hier so etwas wie eine Gespenster- und Besessenheitsgeschichte. Während Breezys Innenleben Eindrücke direkt in ein Ausleben der Reaktionen überführt, also nur Scharnier ist, da herrscht in Frank (William Holden) eine gern verdrängte Selbstbeschau. Mit den Augen seiner Peers sieht er in sich einen Lustgreis, mit denen der Jugend fühlt er sich sichtlich als verknöchertes Skelett. BREEZY geht es aber meist gar nicht um die Probleme der Liebesbeziehung. Der damals 33-Jährige noch-Regieneuling Eastwood erzählt schon damals von einem seiner Hauptthemen, vom Überleben im Alter. Denn Breezy bleibt vor allem eben die frische Brise, die einem verblüfften Frank erleben lässt, wie lieblich Irritation sein kann und dass das Neue eine Chance für das Alte ist. Und BREEZY verdichtet höchstens über das Symbol eines alten, heruntergekommenen Hundes für Frank etwas. Meist wirkt er aber lediglich wie eine Brise des Geschehens.

Sonntag 14.11.

A Boy Called Christmas / Ein Junge namens Weihnacht
(Gil Kenan, UK 2021) [DCP]

nichtssagend

Lotti Z. meinte nach dem Film, dass dieser ihr schon gefallen habe, dass aber die Wandlung des Bösewichts nur durch das Ansichtigwerden einer Kette etwas überstürzt kam und etwas mehr hätte ausgebaut werden können. Beim Perlentaucher steht, was ich zum Film meine.

Sonnabend 13.11.

Große Freiheit
(Sebastian Meise, A/D 2021) [stream]

großartig +

Dieser sehr schöne Film, den ich ausführlicher bei critic.de empfehle, enthält auch, obwohl er fast ausschließlich in einem Gefängnis spielt, einen schönen Live-Auftritt von Peter Brötzmann, seines Zeichens Free Jazz-Drastiker. Sehr schön.

Freitag 12.11.

Two Mules for Sister Sara / Ein Fressen für die Geier
(Don Siegel, USA/MEX 1970) [35mm]

ok +

Ein ziemlich zahmer Versuch eines Revolutions-Italo-Westerns aus Hollywood und Mexiko, der die Pointe, dass ein Engel – eine Nonne – tatsächlich eine Hure ist, bis zum Schluss aufhebt, aber doch immer schon ganz offen kommuniziert. Es war alles sehr erwartbar. Es war aber auch so, dass ich etwas übernächtigt und vll. nicht ganz geduldig und offen gegenüber dem Film war.

Donnerstag 11.11.

Last Night in Soho
(Edgar Wright, UK 2021) [DCP]

ok

Die Vorstellung von musikalischer Aktualität von LAST NIGHT IN SOHO, der mit großem Drang gegen eine idealisierte Vergangenheit und dem Verweigern vor der Gegenwart losprescht, hört übrigens 1980 auf. Ein Gefühl fürs Hier und Jetzt offenbart er auch nicht so wirklich. Mehr dazu bei critic.de.

Mittwoch 10.11.

High Plains Drifter / Ein Fremder ohne Namen
(Clint Eastwood, USA 1973) [35mm] 3

großartig

Auf youtube habe ich kürzlich einen Clip entdeckt, in welchem Don Rickles Clint Eastwood bei einer Preisverleihung einmal ordentlich durch den Kakao zieht. Der Eastwood, der dort zu sehen ist, unterscheidet sich drastisch von seinen Auftritten als Schauspieler. Das breite Grinsen, die weichen Augen, die Unsicherheit im Blick: Dort werden wir eines grünen Jungen in einem alten Körper ansichtig, den ich zunehmend auch in seinen Filme zu erkennen meine. Zumindest in den Regiearbeiten, weil, wie gesagt, das Gesicht immer ein anderes ist. Und HIGH PLAINS DRIFTER war gerade deshalb, wo mir nun der weiche Kern immer offensichtlicher scheint, eine Überraschung, da diese Groteske wirklich gemein und dreckig ist. So schön der Film aussieht, so arschig ist er in seinem pechschwarzen Herz, dass sich von der Menschheit abwendet.

Sonnabend 06.11.

Lieber Thomas
(Andreas Kleinert, D 2021) [stream]

ok

Thomas Braschs Lebensgeschichte als Geschichte der Widersprüchlichkeit eines ganz allgemeinen Künstlers, in dem vergessen wird, dass gerade Thomas Brasch Kind sehr realer Widersprüche ist. Finde zumindest ich laut meines Textes bei critic.de.

Mittwoch 03.11.

A Perfect World / Perfect World
(Clint Eastwood, USA 1993) [35mm, OF] 2

großartig +

Ein Roadmovie mit einem vaterlos aufwachsenden Kind (T.J. Lowther) und einem erwachsen gewordenen Kind (Kevin Costner), das, sobald es sieht, wie ein anderes Kind gequält wird, die Sicherungen verliert und sich vom charismatischen Spielkameraden-Vaterersatz zum Sadisten wandelt. Und A PERFECT WORLD ist Ausdruck eines Kinos, in dem eine einfache Geschichte erzählt wird, ohne den Subtext zu verdichten, nur um dadurch einen offeneren, reicheren und widersprüchlicheren Inhalt zu erhalten. Mehr Gefühle durch Unklarheit. In dieser Ballade lässt NRA-Verfechter Eastwood von Schusswaffen nur Angst, Wahnsinn und Schmerz ausgehen … wenn sie nicht von Tattergreisen unverantwortlich in die Nacht abgefeuert werden. Es ist eine Geschichte von Männlichkeit und Vatersein, in der die Weite der Landschaft von Freiheit und Möglichkeiten der eigenen Identität erzählt und die Verfolgung von der Einengung durch die Gesellschaft. Seine stärkste Szene erzählt von einem Bruch. Erst wird zu einem Lied zärtlich und berührend getanzt. Beim abermaligen Abspielen desselben Liedes herrscht aber nur noch Beklemmung. Und an der Bruchstelle liegt der männliche Kontrollverlust, der das, was ein Junge in seinem Vater sieht, was einen Mann ausmacht, in den Dreck zieht.

Dienstag 02.11.

嘩!英雄 / What A Hero!
(Benny Chan, HK 1992) [DVD, OmeU]

verstrahlt

KARATE KID und Buddy-Cop-Movies werden hier mit Wong Jing-Sensibilitäten zusammengeworfen, ohne dass sehr darauf geachtet werden würde, dass es am Ende ein sinnvolles Ganzes ergibt. Und so wird die Geschichte eines lokalen Superpolizisten, der in der großen Stadt in wilden Gangsterjagden und an dysfunktional organisierten Polizeirevieren zu scheitern droht, eben durch ein Polizei-Taekwondo-Turnier beschlossen und nicht mit festgesetzten Gangstern.

Montag 01.11.

No Time to Die / James Bond 007: Keine Zeit zu sterben
(Cary Joji Fukunaga, UK/USA 2021) [DCP, OF]

nichtssagend

Durchgehend wird kommuniziert, dass das Gewicht einer Geschichte nur durch Trauer erreicht werden kann. Daniel Craig guckt den ganzen Film lang wie ein bedröppelter Pudel, während M (Ralph Fiennes) immer wieder bedrückt in die zweite Hälfte des Films drapiert wird. Der Sommer am italienischen Mittelmeer sieht aus, als ob besser ein Pullover angezogen wird. Eine Spannung, die vielleicht noch ganz interessant ist, aber sobald die Sonne weg ist, sieht NO TIME TO DIE nur noch hässlich aus. Und weil es ein Abschiedsfilm für diese Bond-Figur ist, fällt den Machern nichts Besseres ein, als ständig die Abendsonne einfallen zu lassen.
Statt auch mal zu thematisieren, dass Q in dieser Welt der Hackerangriffe und einer durchdigitalisierten Spionagewelt inzwischen der Hauptdarsteller sein müsste, gibt es eben nur die nächste unmotivierte, unnütze und unschöne Autoverfolgungsjagd. (Zumindest führt eine solche zu einem schönen Nebel und einer Sequenz in der hohe Einsätze nicht nur behauptet werden, sondern tatsächlich spürbar sind.)
Seinen hanebüchenen, eigentlich sehr schönen Bond-Plot, der an einem Ultrabondbösewichtstandort endet, an dem gesichtslose Schergen in Schutzanzügen in einer Art Reisfeld aus Säure und leuchtendem Zeug arbeiten, umarmt der Film aber nicht, sondern nähert sich ihm hochgradig affektiert. Am schlimmsten: Remi Maleks Schauspiel … oder vll. doch der Umstand, dass sein nichtssagender Handlanger präsenter sein darf.
Und Blofeld (Christoph Waltz) wird nochmal so lieblos abserviert, wie damals schon von Roger Moore.

Oktober
Sonntag 31.10.

Thor: The Dark World / Thor: The Dark Kingdom
(Alan Taylor, USA 2013) [DVD, OmeU] 2

nichtssagend

Irgendwas mit viel zu wenig Kat Dennings.

Sonnabend 30.10.

Cave of Forgotten Dreams / Die Höhle der vergessenen Träume
(Werner Herzog, USA/F/D/UK 2013) [3D-blu-ray, OF] 2

großartig

Ein Archäologe führt an einer Stelle Werner Herzog ein Jagdinstrument der Höhlenmenschen vor, deren Höhlenmalerei Zweiterer porträtiert. Und sichtlich ist Herzog kaum interessiert und wenig beeindruckt. Denn wenn er hier Höhlen in 3D dokumentiert, dann geht es nicht darum sie spürbar und greifbar zu machen. Vielmehr wird Distanz mit der bildlichen Tiefe ausgestellt. Es geht um Äonen von Jahren, unvorstellbare Entfernungen und ein Leben, dass sich nur vorgestellt werden kann, aber im Grunde völlig versperrt ist. Es ist das Dokument eines Abgrunds, in dem sich die Fantasie verlieren kann. Die tatsächliche Anwendung eines Jagdinstruments ist dann eben etwas langweilig und passt nicht ins Bild, weil die Existenz unserer Vorfahren damit einen Tick greifbarer wird.

Sukkubus – den Teufel im Leib
(Georg Tressler, BRD 1989) [blu-ray]

fantastisch

Für diesen lüsternen Heimathorrorfilm habe ich etwas für critic.de geschrieben.

Freitag 29.10.

狄仁杰之神都龙王 / Detective Dee und der Fluch des Seeungeheuers
(Tsui Hark, CHN/HK 2013) [3D-blu-ray, OmU] 2

großartig +

Superdetektive, die zwischen Gefängnis und Starruhm pendeln, Kleinststaaten, die Ninjahorden durch die Hauptstadt jagen, Teehändler, die zum Ding aus dem Sumpf verwandelt werden, tödliche Parasiten, die sich nur durch das Trinken von Eunuchenurin aus dem Körper entfernen lassen, Seeungeheuer, komplexe und romantische Rauminszenierungen, Liebe und knappe Zeitbudgets: Politik wird in seinen Mikro- und Makroebenen zu einem wilden Abenteuer vernetzt und übersteigert. So schön und atemraubend das aber ist, am Ende schaffen es selbst Übermenschen nur hauchdünn sich darin zu behaupten. Aber vll. war Ernüchterung auch noch nie so energetisch.

Richard Jewell / Der Fall Richard Jewell
(Clint Eastwood, USA 2019) [blu-ray, OF]

großartig

Ich delegiere das Wort faulerweise mal wieder an Lukas F. bei letterboxd, wo Folgendes zu lesen ist: Much has been said about politics and / vs performance, and this certainly is a fascinating, conflicted film on both counts. I was also intrigued by its structure, the movement from generous, fluid open-air 90s nostalgia – Macarena, children jumping through water fountains, Muhammad Ali – to an enclosed world of paranoia and suspicion, a retreat into interior spaces and communities of purpose, with the occasional marker of history and the outside world (Clinton, Michael Johnson) relegated to tv screens. Ich möchte lediglich anmerken, dass Olivia Wilde (Kathy Scruggs) als laszive, skrupellose Reporterin sichtlich viel Spaß hatte und macht, dass sie aber gegen Ende mit einer lustlosen Geste und einer noch überflüssigeren Erkenntnis leider ziemlich unschön abgespeist und aus der Ökonomie des Films gestrichen wird.

Double Impact / Geballte Ladung
(Sheldon Lettich, USA 1991) [blu-ray, OF]

großartig

Action wie Plot sind ziemlich hölzern, aber DOUBLE IMPACT konzentriert sich eh auf einen doppelten Jean-Claude Van Damme, der mal wieder ein Zwillingspaar spielt, die nach der Geburt getrennt wurden. Nur anders als in MAXIMUM RISK suchen die unterschiedlichen Persönlichkeiten im gleichen Schauspielkörper dieses Mal nicht nach Gemeinsamkeiten. Vielmehr ist dies eine Varieté-Show der Kontraste. Auf der einen Seite spielt Van Damme einen verwöhnten, schmierigen Frauenschwarm in Spandex, auf der anderen einen hartschaligen, seine Unsicherheiten überspielenden Straßenköter, der seine Liebe durch den virilen Doppelgänger bedroht sieht. DOUBLE INPACT ist im Aufeinanderprallen von Van Damme mit Gel- als auch Fönfrisur ein Karneval der Schauspielkunst, der Kostümierung und des misstrauischen Beschnüffelns zweier klischeehaften Ausprägungen von Männlichkeit.

Unforgiven / Erbarmungslos
(Clint Eastwood, USA 1992) [35mm] 2

fantastisch

Mal von English Bob (Richard Harris) abgesehen, der sich als kaltblütiger Sadist einen Spaß daraus macht, die ihm über den Weg laufenden Leute zu provozieren, um diese demütigen/umbringen zu können, und dem blutrünstigen Vergewaltiger, der die Geschichte auslöst, von diesen beiden also abgesehen ist UNFORGIVEN angefüllt mit Leuten, die das Richtige tun wollen. Nur wählen alle den Weg von Macht, Lust und den eines brennenden Schwertes. Zwanzig Jahre nach HIGH PLAINS DRIFTER inszeniert Eastwood abermals den Westen als Hölle, welche die Seelen der Leute verschlingen wird. Doch wo in seiner zweiten Regiearbeit die Menschen von einer unmenschlichen Kraft aus dem Jenseits verhöhnt werden und in dem ihr Wohnort an einem blauen, ruhigen See in roter Farbe, Feuer und Niedertracht ertrinkt, da regnet es nun am Ende dieses lakonischen, weit weniger realitätsvergessenen Films voller alter Männer, pragmatischer Frauen und zurückgelassenen Kindern, dann regnet es Hunde und Katzen, wenn das Flammenschwert zu richten beginnt, weil das Handeln der Leute nur noch traurig ist.

Donnerstag 28.10.

上海之夜 / Shanghai Blues
(Tsui Hark, HK 1983) [DVD, OmU]

fantastisch

Virtuos inszenierte Dreiecksgeschichte, die den Wust eines präkommunistischen Shanghais voller Chancen, Armut, Improvisation und Wahnwitz als Zirkus versteht, der bei aller überschäumender alberner Turbulenz in seinem Kern die Trennung Hongkongs von Chinas als herzzerreißende Liebesgeschichte erzählt.

海上花 / Immortal Story
(Yonfan, HK/TW 1986) [blu-ray, OmeU]

gut

Unterkühlter Schmalz. Eine sich über Jahre ziehende Dreiecksgeschichte, in der sich eine Nachtclubsängerin (Sylvia Chang) in Macau in einen japanischen Elitestudenten (Tsurumi Shingo) verliebt, der aber in seine Heimat zurückkehrt, weshalb sie im Unglück als drogensüchtige Prostituierte endet, wobei sich wiederum ihre Zuhälterin (Jenny Tseng), mit der sie sich nur freundschaftlich verbunden fühlt, in sie verliebt. Montagen von glücklichen Zeiten, schwelgende Momente eines flüchtigen Glücks, bittere Ironie der Schicksalsschläge, Heroin, ein Mord: IMMORTAL STORY hat alle Zutaten für ein glühendes Melodrama, stattdessen verweilt es aber in der Atmosphäre eines verklärten retrospektiven Blicks. Die Emotionen kochen folglich nicht hoch – als schaue jemand aus dem Jenseits sein Leben an, wobei der Schmerz kein Problem ist. Es ist nur schön sich Teile des Glücks nochmal zu vergegenwärtigen.

座頭市あばれ火祭り / Zatoichi Goes to the Fire Festival
(Misumi Kenji, J 1970) [blu-ray, OmeU]

großartig

Manchmal braucht es eben 16-17 Einträge bis eine Filmreihe richtig aufblüht. Wenn Zatoichi zum Feuerfestival geht, dann durchlebt er einen Bondfilm, eigenwilligen Exploitationwust und spielerische Selbstzitate. Die eingefrorenen Formen der Serie werden dabei einfach über Bord geworfen. Oder wie es Lukas F. bei letterboxd ausdrückt: The plot mostly vanishes into thin air, while new kinds of attractions compete for our attention: nudity (including a naked bathouse fight that would’ve made Cronenberg proud), psychedelic imagery, crude body-focused humor, villains with bizarre physiognomy. […] Pretty awesome overall, although there’s no denying that the series now, finally, approaches the kind of baroque late style that is no longer infinitely sustainable.

ズームアップ 聖子の太股 / Zoom Up: Seiko’s Thigh
(Ohara Kôyû, J 1982) [DVD, OmeU]

nichtssagend

Ein eher random zusammengewürfelter Beitrag zum Thema Schlüpferfotografie, der Tropen und typischen Szenen seines Metiers abhakt. Gegen Ende gab es kurz einen schönen Ansatz für etwas Interessantes, leider habe ich zu lange gewartet dies aufzuschreiben und nun habe ich vergessen, was es war.

Mittwoch 27.10.

幽霊屋敷の恐怖 血を吸う人形 / The Vampire Doll
(Yamamoto Michio, J 1970) [blu-ray, OmeU]

ok

Ein Hammer-Dracula-Film mit ein paar von PSYCHO entliehenen Dingen. Leider hält die Tendenz der Hammer-Filme zum Staubigen und Müden am meisten Einzug.

呪いの館 血を吸う眼 / Lake of Dracula
(Yamamoto Michio, J 1971) [blu-ray, OmeU]

gut

Der neuerliche Vampirfilm Yamamotos ist bunter, gotischer. Statt sich in der Struktur PSYCHOs zu verlieren, gibt es eine einfache Geschichte über eine als Kind traumatisierte Frau, deren Realität zusammenbricht … bis sie sich den alten Ängsten zu stellen beginnt. Manchmal könnte die zunehmende Infizierung des Umfelds der Frau (durch Sex/Vampirismus) auf eine Vorform von SHIVERS deuten. Aber gänzlich frisch fühlt sich auch dieser Film nicht an.

血を吸う薔薇 / Evil of Dracula
(Yamamoto Michio, J 1974) [blu-ray, OmeU]

gut +

Dieses Mal herrscht Dracula, ein Opfer der Christenverfolgung im Japan des 16. Jahrhunderts, in einem Mädcheninternat. Es ist schade, dass Yamamoto nach diesem Film aufhörte seinem Vampirzyklus nachzugehen. Denn sehr oft verwirklicht er einige Potentiale dieser süffigen Ausgangslage. Vll. hätte er irgendwann den vorsichtigen Erzähler in sich abgeworfen und wäre noch mehr geiler Eskalator geworden.

E la nave va / Fellinis Schiff der Träume
(Federico Fellini, I 1983) [35mm]

großartig

Europa segelt ins Delirium. Kurz vor Ausbruch des Ersten Weltkrieg macht sich ein Schiff mit Opernstars und Gesellschaftssternchen auf, um die Asche einer verstorbenen Diva im Mittelmeer zu verstreuen. Unterwegs schmettern die Sänger für Heizer um die Wette und verlieren sich im Nirgendwo ihrer kleinen, abgegrenzten Welt. Vom sehr systematischen Beginn abgesehen, in dem sich der Film langsam vom frühen Stummfilm zum frühen Tonfilm wandelt, ist auch E LA NAVE VA nicht an Verdichtung interessiert. Selbst als serbische Flüchtlinge, aufgrund des Attentats eines serbischen Terroristen Zuflucht suchen, schlendert der Film in seiner eigenen wirklichkeitsverlustigen Welt dahin … mit Einstellungen, die das nebenher-eine-Kamera-Draufhalten zur großen Kunst werden lässt. Wenn dann aber dann doch noch ein Panzerkreuzer auftaucht, der das Symbolische des Ganzen auch noch mal verfestigt und unterstreicht, der den Ernst des Ganzen zementiert, da versaut sich Fellini imho sehr viel.

Dienstag 26.10.

Heartbreak Ridge
(Clint Eastwood, USA 1986) [blu-ray, OmeU]

fantastisch

Clint Eastwoods AUF KRIEGSFUSS MIT MAJOR PAYNE ist gleichzeitig der Film, mit dem er am nächsten an klassisches Hollywood – im besonderen John-Wayne-Prügelkomödien – sowie das kontemporäre Hongkongkino herankommt. Ein abgehalfterter Soldat (Eastwood), der einerseits erkennt, dass er etwas an sich ändern muss und zwischen Alkoholexzessen und dem allgemeinen Machosein Frauenmagazine liest, um etwas Inspiration zu bekommen, der andererseits nichts an sich ändern möchte und deshalb nicht nur gern Garn aus seiner Vergangenheit wiedergibt, sondern auch die Plätze und die Beziehungen seiner Vergangenheit wiederbeleben möchte, soll ein paar Taugenichtse, die sich mit Hand und Fuß gegen Disziplin wehren, zu brauchbaren Soldaten ausbilden. So trifft Albernheit auf Melancholie und eine simple Komödie auf sie durchziehende Untertöne, die das ganze Geröll in der Hauptfigur auftürmen. Und statt Auflösungen zu suchen, werden nur immer mehr Ambivalenzen angesammelt, während eine simple Geschichte von Etappe zu Etappe springt.
*****
Es ist einer dieser Filme, wo davon ausgegangen werden kann, dass Lukas F. zu diesem bei letterboxd einen wunderschönen Kommentar geschrieben hat. Als ich nachsah, war da aber keiner … was aber nichts daran ändert, dass HEARTBREAK RIDGE so schön ist, dass er diesen Fehltritt der Realität zur Randnotiz macht. Die Vorstellung von diesem naturgesetzlich vorhanden seienden Kommentar bleibt bestehen.

大冒險家 / The Adventurers
(Ringo Lam, HK 1995) [blu-ray, OmeU]

ok +

THE ADVENTURERS hat ähnliche Probleme wie schon UNDECLARED WAR. Hier und da ist er super, besonders, wenn sich Lam wie nie zuvor dem schlüpfrigen Slapstick hingibt. Aber durch den überkomplizierten Plot verlor sich bei mir auf die Laufzeit jede Lust.

The French Dispatch
(Wes Anderson, USA/D 2021) [DCP, OmU]

ok

Im Bücherschrank von Lotti Z. (5 Jahre) steht ein Pop-up-Buch, dass 20.000 MEILEN UNTER DEM MEER auf 14 Seiten zusammenfasst. Mein Taschenbuch des Romans hat etwas mehr als 600 Seiten. Jede Doppelseite ist dabei fantastisch gestaltet, nur kommt Jules Vernes Geschichte arg unter die Räder. In Wes Andersons Portrait einer fiktionalen Zeitschrift, die wohl an den New Yorker angelehnt ist, bekommen wir deren grobe Geschichte und dreieinhalb Artikel filmisch nacherzählt. Jedes Bild, jede Szene zeugt von einem überschäumenden Gestaltungswillen. Sprachwitz und Schreibstil der fiktiven Autoren sollen dargestellt werden. Nur konnte ich der Form wenig abgewinnen, dieser durchgehenden Stafette von Pop-ups, Ballons und originellen Charakteren. Ich wünschte mir während des Films lieber etwas zu lesen, das vll. nicht so liebreizend an mir vorbei zieht.

Montag 25.10.

Panique / Panik
(Julien Duvivier, F 1946) [blu-ray, OmeU]

großartig

Es ist ein Paradox. Michel Simon spielt einen Außenseiter, der sein Leben lang Abneigung in seinen Mitmenschen ausgelöst haben soll, ohne dies aktiv zu verursachen. Sein Gesicht und seine Art brächten die Menschen gegen ihn auf. Aber mit Michel Simon als Darsteller von diesem Umstand geht das nicht. Sein herzensgebrochener Adliger, der sich im Armenviertel versteckt, ist zwar schrullig, aber selbst wenn er eigenbrötlerisch mault, wirkt er doch eher sympathisch. Michel Simon eben, der nette Bär von nebenan. Dass jemand ihn nicht mögen könnte, ist völlig unwahrscheinlich. Gleichzeitig habe ich aber den Film über gedacht, dass dieser fürchterliche, schwer erträgliche Schauspieler Michel Simon diesen etwas hölzern aufgebauten, aber einfühlsamen und phantasievoll inszenierten Film kaputt macht.

The Girl on a Motorcycle / Nackt unter Leder
(Jack Cardiff, UK/F 1968) [blu-ray, OmU]

verstrahlt +

Jack Cardiff sei ein wunderbarer Kameramann, aber ein limitierter Regisseur. Dieses des Öfteren vertretene Urteil ließe sich durchaus an THE GIRL ON A MOTORCYCLE belegen. Die psychedelische Farbigkeit, das surreale Zerfließen der Bilder in hochromantischen Kitsch, die Geilheit von Leder, der Rausch der Geschwindigkeit, der expressive Wahnsinn: Die Bilder dieses Films sind nicht nur gut, sondern zum niederknien. Manchmal auf eine sehr geschmacklose Art, aber immer noch irreal schön. Wenn jedoch versucht wird, eine Geschichte zu erzählen, oder den Schauspielern die Freiheit gelassen wird, ihren schlimmsten Impulsen zu folgen, dann ist der gleiche Film erschreckend unangenehm und scheitert in einem fort. Alleine wenn Alain Delon mit Hornbrille in einem Buchladen oder im Sessel einer Heidelberger Uni, die nach Gentlemans Club aussieht, einen nietzscheanischen Intellektuellen der freien Liebe mimt, dann wirkt es wie ein Sketch, bei dem alle gleich loslachen müssen, es aber irritierenderweise nie machen. Schauerlich.
Da der Film aber so schön ist, fällt es mir schwer zu akzeptieren, dass dies ein schlechter Film sei. Stattdessen gehe ich lieber davon aus, dass dies eine bitterböse Farce über die Gegenkultur Ende der 60er Jahre ist, in dem neurotische Selbstinszenierer in ihrer gänzlichen Trübheit porträtiert werden. Warum soll ein Film auch immer Helden zeigen. Rebecca (Marianne Faithfull) flieht vor ihrem Ehemann und einem gesitteten Leben hin zu Liebhaber Daniel (Delon). Sie flieht vor Frankreich und der Schweiz nach Deutschland, was im Film heißt, dass sie vor Militarismus und gleichförmiger Enge sowie Neutralität in ein Land heißer Freigeistigkeit flieht – allein diese Charakterisierung ist ein Husarenstreich des Wahnsinns. Wir sehen aber keinen Helden der Selbstbestimmung, sondern einen orientierungslosen Performer, der sich herrlich naiv darin gefällt, edgy die Freiheit zu suchen. Ein wunderschöner Graus.

Titane
(Julia Ducournau, B/F 2021) [DCP, OmU]

großartig

Ziemlich treffende Kommentare zu TITANE finden sich beispielsweise hier und hier. Ich möchte vor allem anmerken, dass ich Vincent Lindon auf die Fingernägel gestarrt habe. Sie sind nicht nur kurz geschnitten, sondern enden kurz nachdem sie die Nageltasche verlassen haben. Sie verschwinden fast in der Fleischigkeit der Finger. Als hätte jemand Babynägel auf Wurstfinger angebracht. In einem Film, der von Körpern, Körperlichkeit und der Schönheit von Deformation handelt, vor diesen geradezu überläuft, waren sie das Faszinierendste.

Sonntag 24.10.

Boîte noire / Black Box
(Yann Gozlan, F 2021) [stream, OmU]

ok +

Mehr zu diesem Film, der sich zuvorderst auf der netten Seite befindet, habe ich für den Perlentaucher geschrieben. Das Ergebnis findet sich hier.

Die Schule der magischen Tiere
(Gregor Schnitzler, D/A 2021) [DCP]

uff

Mit Lotti (5 Jahre) lese ich gerade die dazugehörigen Bücher, weshalb wir den Film nicht verpassen durften. Ich bin zwar nicht der größte Fan der Bücher, aber ihre Unaufgeregtheit ist sehr angenehm. Der Film bezahlt dann seine inhaltlichen Verkürzungen damit, dass jede Figur als aufdringliche und überzogene Karikatur daherkommen muss. Das Ergebnis ist Ausdruck davon, dass hier Leute einen Film für Kinder machen, statt selbst kindisch zu sein.

cellu l’art Kurzfilmfestival (Special) B-Sides
(Diverse) [DCP]

tba.

BÌNH (Ostin Fam, VN 2020) – großartig
ZDARZENIA O WĄTPLIWYM ZNACZENIU [OCCURENCES OF QUESTIONABLE SIGNIFICANCE] (Dave Lojek, PL 2020) – gut +
DEIINOTSU (Denis Kolerov, R 2020) – gut
SOMETIMES A LITTLE SIN IS GOOD FOR THE SOUL (Alex Beriault, CA 2020) – gut
THE MIDDLE (Soheil Soheili, IRN 2020) – ok +
BODY PROP – MOVEMENT 1 [destroyed be forever all the bonds of nature] – gut
*****
Destroyed be forever all the bonds of nature, der Untertitel des letzten Films der B-Sides hätte auch als Titel des gesamten Programmblocks dienen können. Denn: In BÌNH stehen die Ebenen streng voneinander getrennt nebeneinander. Die zu hörenden Gesprächsausschnitte eines gestrandeten Außerirdischen, die keinen Widerhall in den Bildern finden – lediglich die Zuschauer sind es, die das Geschehen durch ihn umdeuten. Die slow-cinema-Wirklichkeit eines Gelegenheitsarbeiters, der zweimal mit Huhn auf dem Weg zu einem Medium ist. Die stilisierten Einschübe mythischer Erfahrung, die das Reale der Moderne zerschneiden. In OCCURENCES OF QUESTIONABLE SIGNIFICANCE ist es der Sinn selbst, der von den Tableaus von Menschen mit Tierköpfen abgekappt wird, die mit einer Banane telefonieren oder sich mit dieser einreiben. DEIINOTSU, eine Spielerei optischer Tricks, löst räumliche Kohärenz auf. Eine Familie sitzt in THE MIDDLE am Esstisch und verzehrt das nicht mehr frische, von Fliegen überströmte Mahl, während sie der Ton mit Kriegsgeräusch und Nachrichten belagert. Witze werden erzählt, wichtige Dinge besprochen … und doch wirkt der familiäre Zirkel zuvorderst unkittbar zertrennt. BODY PROP – MOVEMENT 1 besteht aus Fetzen von Bildern und Tönen und SOMETIMES A LITTLE SIN IS GOOD FOR THE SOUL ist alles vom Benannten ein wenig … mit (bekleideten) Stripperinnen, die ästhetisch, artistisch wie philosophisch hochwertige Poledancefiguren zur Aufführung bringen. Es erübrigt sich wahrscheinlich zu erwähnen, dass das Programm und die meisten Filme selbst etwas durchwachsen waren.

Sonnabend 23.10.

Fleisch
(Rainer Erler, BRD 1979) [blu-ray]

großartig

Monica (Jutta Speidel) und Bill (Wolf Roth) sitzen in einem Motelzimmer. Sie wissen, dass gleich jemand kommt und sie entführen wird. Sie wissen, dass der Kaffee, den sie bekommen haben, mit Betäubungsmitteln versetzt ist. Da sie nun aber wissen, was auf sie zukommt, ist der Suspense aufgehoben. Es bleibt das Warten, da FLEISCH nicht gewillt ist, gleich zum Entführungsversuch zu springen. Stattdessen sehen wir Bill, der auf dem Bett sitzt und mit den Händen auf den Schenkeln trommelt. Wie beide unruhig hin und her laufen und noch Dinge tun, die sinnvoll sein könnten. Wie Augen unruhig hin und her wandern. Wie die Versuche, Ruhe in sich zu bekommen, scheitern.
Kinoplakate und DVD-Cover nutzen durchgängig das Motiv, der halbnackten, verschreckten Jutta Speidel, die von einem Krankenwagen durch die Wüste gejagt wird. Sex, Gewalt und Exploitation werden darin großgeschrieben. FLEISCH selbst jedoch besitzt die Ruhe, die seinen Figuren abgeht. Ohne Hast und größere Abkürzungen werden Arten von Fleisch nebeneinander-gestellt. Das Fleisch als Ausgangsort und Fluchtpunkt der Lust. Das Fleisch als Empfänger von körperlicher Gewalt. Tiefgekühlte Kuhhälften, die für eine spätere Auswertung von der Westküste an die Ostküste der USA gekarrt werden. Truckfahrer, die ihre Körper kapitalistisch ausbeuten und tagelang ohne Pause fahren, um ihr Leben in einem Trailer aufrechthalten zu können. Körper, die nur als Ersatzteillager für Organspende wahrgenommen werden.
Doch weder wird dies alles zu einer festen Symbolik ausgebaut, noch drängt es sich in den Vordergrund. Es sind eben Stationen eines Films, der sich zuvorderst für ein Gefühl der Verlorenheit interessiert. Auf die Idylle einer Hochzeit folgen Verfolgungsjagden, das Irren durch die unmittelbare Umgebung, durch die eigene Lebenssituation, durch ein sich unabänderlich änderndes New York. Die Figuren sind von Auswertungsmaschinen belagert, nur finden sie den Ausweg nicht. Weshalb FLEISCH eben nicht an Taten interessiert ist, sondern an einem nagenden Warten und Ausharren … oft im Gewand einer aufwendigen Betriebsamkeit. Monica wird entsprechend lange in einem LKW sitzen, der sie zwar durchs ganze Land fährt, in dem sie aber nicht vorwärtskommt. FLEISCH ist existentialistisches Kino, das nur oberflächlich das Gewand eines Thrillers trägt.

Freitag 22.10.

Derrick (Folge 247) Ein Mord und lauter nette Leute
(Theodor Grädler, BRD 1995) [DVD]

gut

Wie in einer früheren Folge, wo einen KAFFEE MIT BEATE getrunken zu haben, so viel hieß, wie mit ihr geschlafen zu haben, sagen die netten Leute (ua. Klausjürgen Wussow und Sky du Mont) hier wiederholt, dass sie mit Ruth bekannt waren. Und zwar zu ihrer kleinen Schwester, welche sie mit dieser netten Umschreibung und Geld für sich gewinnen wollen. Es sollen nicht zu viele Fragen gestellt werden. Und solange EIN MORD UND LAUTER NETTE LEUTE auf diese Art ein Cringe-Fest ist, macht die Folge sehr viel Spaß. Aber dann folgen eben doch eine gezieltere Ermittlung und der halbgare Versuch Leidenschaft in eine aalglatte Gesellschaft zu bringen.

Donnerstag 21.10.

Cry Macho
(Clint Eastwood, USA 2021) [stream, OF] 2

großartig

Bei der zweiten Sichtung hatte ich des Öfteren, wenn Eastwood im Bild war, den Kopf des Navigators vorm inneren Auge und damit Lust mal wieder MONKEY ISLAND zu spielen. Noch ein Pluspunkt für den Film.

Mittwoch 20.10.

Near Dark / Near Dark – Die Nacht hat ihren Preis
(Kathryn Bigelow, USA 1987) [blu-ray, OmU] 2

gut

Caleb (Adrian Pasdar) möchte von seiner nächtlichen Bekanntschaft (Jenny Wright als Mae) nur einen Kuss, nothing too much, bevor er sie weiter nach Hause fährt. Im Folgenden, wenn er sich von ihrem Biss zum Vampir verwandelt findet, wird er mit der eigenen Übergriffigkeit konfrontiert. Ein Vampirclan – Bill Paxton wird für seine Rolle des charismatischen Beavis-n-Butthead-Psychopathen Severen die große Bühne geboten – möchte von ihm Morde sehen, wenn er bei ihnen bleiben darf. Dafür leben sie es ihm in einem ausgebreiteten, ästhetisch hochwertigen MTV-Clip von Redneckgrausamkeit vor. Gleichzeitig schaltet sich seine Sexualität aber auch mit den Ansprüchen Maes gleich. Vielsagend werden Ölbohrtürme hinter den beiden Liebenden pumpen oder Caleb erhebt sich nach dem Aussaugen von Mae Pulsadern, wobei es aussieht, als hätte er sie geleckt, während sie menstruiert.
NEAR DARK ist lange ein sehr genussvoller Film von Hitze – Gewalt und Sex, zunehmend voneinander getrennt – in unterkühlten Bildern. Dies schwingt dann aber um. Caleb wird von seinem Vampirsein entlassen und als geretteter Cowboy muss er gegen die kämpfen, die ihn zum Mörder machen wollten und die ihn durch ihr schlechtes Vorbild vor sich selbst retteten. Der entstehende Kampf zwischen Gut und Böse ist dann entsprechend fast entsexualisiert. Und das ist so schade, wie es die Umsetzung des digital geglätteten Transfers der Filmjuwelen-blu-ray ist.

Sonntag 17.10.

König Drosselbart
(Walter Beck, DDR 1965) [DVD] 3

(gut)

Als ich Lotti Z. (5 Jahre) das Märchen vor Kurzem vor dem Schlafengehen vorlas, war sie begeistert. Der Film gefiel ihr auch. Ich bin noch unsicher, was ich von dieser Geschichte einer verwöhnten Prinzessin halten soll, die genüsslich bestraft und zur Demut gepeitscht wird. Auf jeden Fall ist dieser Film um einiges perverser als Fellinis SATYRICON. Und der Film lässt dabei den repetitiven Rhythmus der Geschichte der Gebrüder Grimm außen vor. Mit äußerst künstlichem Charme stellt er lediglich die Comicbuchwelt dieser sadomasochistischen Liebesgeschichte aus.

Sonnabend 16.10.

Cry Macho
(Clint Eastwood, USA 2021) [stream, OF]

großartig

Auf critic.de wurde (m)eine Rekapitulation des Films veröffentlicht. Darin hätte vor allem aber die Bühnenpräsenz des Hahns deutlich mehr erwähnt werden können.

Freitag 15.10.

Sully
(Clint Eastwood, USA 2016) [blu-ray, OmeU]

großartig

Ein Mann im Kampf mit seinem durch Institutionen vertretenem Über-Ich. Ein Mann auf der Suche, nach der verlorenen Sicherheit. Ein in sich verbissener Professional, der überlegt, ob er etwas falsch gemacht hat. Der nicht den Helden in sich erkennen kann, zu dem er gemacht wird, der stattdessen lediglich nur keinen Fehler begangen haben möchte. Und weil es eben um einen Zweifelnden geht, der seine Taten rekapituliert, zeigt uns SULLY die Notlandung Sully Sullenbergers (Tom Hanks) im Hudson gleich zweimal. Und durch Simulationen noch öfter. Während gleichzeitig die Telefonate zu dessen Frau (Laura Linney) aus dem Film verschwinden und das äußerst latente Ehedrama noch verstärken. Im Alter offenbart Eastwood immer mehr, wieviel europäischer Autorenfilmer in ihm steckt und dass er nicht nur der klassische Hollywooderzähler ist, von dem immer erzählt wird.

Mittwoch 13.10.

Fellini – Satyricon / Fellinis Satyricon
(Federico Fellini, I/F 1969) [35mm] 4

ok +

Joris-Karl Huysmans’ GEGEN DEN STRICH handelt von einem von Inzucht gezeichneten Lebemann, der alle seine perversen Gelüste ausgelebt hat und impotent geworden ist. Zwischenzeitlich bekommt er noch eine Erektion, wenn seine Geliebte, eine Bauchrednerin, nachstellt, dass ihr Mann sich an der verschlossenen Tür lautstark Eintritt zu verschaffen sucht. Aber es ist nur ein kurzes Glück.
SATYRICON fühlt sich mehr wie eine Ausstellung an, statt wie ein Film. Fetische werden dargeboten, die ein ebenso impotenter Mann uns zeigen könnte. Ein wenig Lust glüht noch in ihnen, zum Ausleben reicht es aber nicht. Junge Männerkörper, fleischige Frauen, Lust an Schmerz und Erniedrigung stehen herum. Doch all dies setzt sich nicht in Bewegung. Nichts wird ausgelebt. Einzig die recht gorig inszenierte Gewalt wird zugelassen. Weshalb dies eben eine interessante Ansammlung von Dingen ist, die leblos an uns vorbeigeführt werden.
*****
Ich habe kurz vor Schluss ein kleines µ verschlafen. Weshalb ich alle Teile von SATYRICON nun mindestens einmal gesehen habe, wo ich doch ansonsten viel größere Portionen verschlafen haben. Es bleibt aber dabei, dass Fellinis Filme Morpheus’ Pfeil für mich im Köcher haben.

Montag 11.10.

Changeling / Der fremde Sohn
(Clint Eastwood, USA 2008) [blu-ray, OF]

fantastisch

Drama über den Kampf gegen die Institutionen, Irrenanstaltsthriller, Gerichtsfilm, True Crime und erhauliches Schicksalbewältigungsdrama: CHANGELING ist vieles, zusammengeschnürt durch ein feministisches Leitthema. Optisch als auch thematisch ist es aber noch komplexer. Das auszuarbeiten wäre anstrengend, deshalb verweise ich glücklich an den sehr schönen Kommentar von Lukas F. bei letterboxd.

Sonntag 10.10.

The Golden Blade / Das goldene Schwert
(Nathan H. Juran, USA 1953) [DVD] 9

gut

Wenn Harun (Rock Hudson) von Pfeifenrauch benebelt und mit animalischem Blick in eine irreale Tanzsequenz torkelt, dann offenbart das kunterbunte 1001-Nacht-Vergnügen, dass es ganz selbstverständlich gen Musical tendiert. Dass diese Neigung allzu lange unterbunden wird, ist das große Manko des Films. Auch da sich dort umso mehr offenbart, wie sehr der Stoff zum Schmier tendiert, der nicht allzu weit weggesperrt ist.

Der letzte Sommer
(Harald Braun, BRD 1954) [DVD]

ok

Es hätte ein Heimatfilm sein können, in dem jemand erkennt, dass ein Wald, nicht nur Holz ist, das gerodet und nutzbar gemacht werden muss, sondern auch eine Heimat. Es ist aber ein Gleichnis geworden, zu dem es bald bei critic.de einen Text geben wird.

Sonnabend 09.10.

Moana / Vaiana – Das Paradies hat einen Haken
(Ron Clements, John Musker, USA 2016) [blu-ray] 4

gut

Versteckt im Kurzbesuch in der Welt der Monster und dort auch nur in einem kurzen Moment findet sich die Essenz allen J-Horrors in einer Animefigur von unfassbarem Grusel. In einem Disney-Kinderfilm.

Freitag 08.10.

Iron Man 3
(Shane Black, USA 2013) [DVD, OF] 2

ok +

Wer ist Iron Man? Tony Stark oder der Anzug? Um diese Frage zu beantworten, macht Shane Black IRON MAN 3 zur Buddy-Action-Komödie, in der sich Tony Stark (Robert Downy jr.) zuweilen als profaner Mensch ohne Rüstung als Actionstar beweisen muss. Der Anzug sitzt nicht nur demoliert neben ihm, sondern verliert seine Individualität, wenn Stark final eine Armada aus Anzügen befehligt. Die Antwort wird klar ausfallen und die Identitätskrise nur eine kurze Episode bleiben.
Dazu gibt es einen multimedialen Fake-News-Terroristen-Bösewichten, der kluge Andockpunkte für die Kritik der jetzigen Weltordnung bereithält, und eine Kriegsmaschine, die in Blau, Rot und Weiß angestrichen wird und folglich Patriot heißt. Es bleibt aber wie beim Set Piece, bei dem Iron Man ein Dutzend aus einem Flugzeug Fallender retten muss und es zu einer zirkusreifen Choreografie der Fallenden kommt: Es ist eine tolle, ziemlich bekloppte Idee, die ziemlich mau umgesetzt ist.

Donnerstag 07.10.

ホテル強制わいせつ事件 犯して! / Sexual Assault at a Hotel: Rape Me!
(Kurahara Koretsugu, J 1977) [DVD, OmeU]

ok

Die (wohl vor allem männlich geprägte) Vision, was es heißt eine Frau als sexuelles Wesen zu sein, wenn die Männer um einen Schweine sind. Es gibt drei Frauen, eine wild promiske, eine die Lust auf Sex hat, aber die Männer und ihre tendenziellen Vergewaltigungsversuche lediglich erträgt, und eine, die vor Sexuellem zurückschreckt. Zu Beginn ist es Letztere, die durch eingestreute Fetzen von Rückblenden traumatisiert scheint, es läuft aber anscheinend darauf hinaus, dass Lust am Sex nur entsteht, wenn der Verstand nach all den Übergriffen, die es zu überstehen gilt, aussetzt. Sei es wie es sei. SEXUAL ASSAULT AT A HOTEL entwickelt für sein hysterisches Thema kaum Energie und arbeitet seine Die-Welt-der-Frauen-ist-eine-Hölle-durch-Männer erschreckend unaufgeregt ab. Was vll. das Grusligste darin ist, wie sehr es seine Weltsicht nicht als außergewöhnlich versteht.

Mittwoch 06.10.

Le notti di Cabiria / Die Nächte der Cabiria
(Federico Fellini, I/F 1957) [35mm]

gut

Vll. würde er mir in der italienischen Synchronisation mehr gefallen. Die deutsche Stimme von Giulietta Masina unterstreicht in meinen Ohren nämlich aufs Brutalste die Zwangsjacke, in die sie von Fellini immer wieder gesteckt wird. Wenn sie tanzt und verschmitzt grinst, spricht eine unvergleichliche Lebenslust aus ihr. In den Filmen ihres Mannes muss sie dann aber auch noch eine bittere Seite der Naivität darstellen und sich von einer garstigen, realen Welt ausnehmen lassen und an ihr scheitern. Und die Stimme möchte nun eben nicht einfach nur, dass die Figur wie ein Dummchen, sondern gleich als Kind gelesen wird. Ich verstehe seinen Fetisch einfach nicht, warum er dieser wunderbaren Schauspielerin nicht den Film schenken möchte, der sichtlich in ihr steckt. Vielmehr höre ich stets die Stimme von Fellinis Alter Ego aus ACHTEINHALB, der diese plumpen Gegensätze von Reinheit und Dreck satthat.
Am schönsten ist der Film dann auch, wenn er seinen episodischen Neorealismus hinter sich lässt und sich in der Bildsprache an Romantik, Melodramen und Krimis annähert. Wenn die Welt eben überhöht und am unterliegenden Wahnsinn und den Möglichkeiten von Freude in diesem angelangt, statt aussagekräftig die Gemeinheit der Welt absolut setzt.

Montag 04.10.

八両金 / Eight Taels of Gold
(Mabel Cheung, HK 1989) [blu-ray, OmeU]

fantastisch

EIGHT TAELS OF GOLD erzählt von Slim (Sammo Hung), der als Jugendlicher während der Kulturrevolution China verlies und in die USA floh. Nun kehrt er in das Dorf seiner Kindheit zurück, um zu seiner Familie zurückzukehren … und um dieser zu zeigen, dass er etwas aus sich gemacht hat. Wofür sich der Taxifahrer acht Tael Gold in Form von Uhren, Ketten und Ringen von seinen Freunden leiht. Es beginnt als Roadmovie – einem, der sich zuweilen mit den Sensibilitäten eines ZAZ-Films ausgestattet zeigt –, doch relativ schnell kommt Slim an, um sich dann auf die Suche nach der verlorenen Zeit zu begeben, nach einem Punkt an dem die Reise endlich aufhört.
Von Vertrautheit und Fremde erzählt der Film durchgehend. Parallelen und Differenzen stehen ständig im Bild. Selbst die USA und die Volksrepublik China gleichen sich zeitweise wie zwei verschrobene Geschwister … wenn beispielsweise außerhalb von Autos gänzlich unterschiedliche Welten vorbeijagen, es aber nichts daran ändert, dass Slim unbeeindruckt der Unterschiede andere Verkehrsteilnehmer fröhlich mit Kraftausdrücken bedeckt und wenig auf Regeln und Vernunft im Straßenverkehr gibt. Oder wenn sich der Kampf, um den kleinen Dollar/Yuán sich nur darin unterscheidet, dass Slim in den USA das kleine Schlitzohr ist und in China der übers Ohr gehauene Bonze.
Der Film ist vollgestellt mit diesen bittersüßen Momenten der Entzweiung von Vertrauten oder von der Vertrautheit mit der Fremde. Politische, kulturelle, biographische, amouröse Ausdrücke findet EIGHT TAELS OF GOLD dafür und ist so ein Film der Sehnsüchte und des Unerreichbaren, ein Film von Hoffnung und Verlust. Selbst in seinem Aufbau ist es sichtbar. Wenn er als Roadmovie beginnt und dann nur noch lose emotionale Eindrücke ansammelt. Je vertrauter wir mit den Figuren werden, umso unklarer ist, mit was für einem Film wir es überhaupt zu tun haben.
Sammo Hung wird dabei keine Schläge oder Tritte austeilen oder einstecken. Sein trauriger, verlorener Blick wird nie durch einen Gewaltausbruch getrübt. Er ist nur der hilflose Junge, der daran scheitert andere stolz zu machen. Faszinierenderweise ist Sammo Hungs Figur diejenige, die am klarsten erkennbar ist, … und doch fehlt ihr das, was den Schauspieler seine Karriere lang definierte.
Worauf dies alles hinausläuft ist eine unerfüllbare Sehnsucht nach einer Heimat. Gegen Ende wird Hongkong als größte Chinatown der Welt eingeordnet. China wird zum Sehnsuchtsort dieses Heimatgefühls, der sich im Film zu liberalisieren scheint und mehr kauzig als menschenfeindlich erscheint. Und doch gibt es kein Happy End. Seine Premiere in Toronto feierte der Film drei Monate nachdem ein Massaker die monatelangen Proteste auf dem Platz des himmlischen Friedens beendet hatte. Seine Hoffnungen und deren Begräbnis müssen zu der Zeit der Veröffentlichung wie Operationen am offenen Herzen gewirkt haben.

Sonntag 03.10.

Derrick (Folge 246) Teestunde mit einer Mörderin?
(Alfred Weidenmann, BRD 1995) [DVD]

großartig

Die Hauptbewegung ist eine Sympathieverschiebung. Eine Geliebte wird umgebracht, um uns eine dysfunktionale Ehe zu zeigen. Agnes Ortner (Ursula Lingen), ca. 60 Jahre alt und reich, lebt mit Osteoporose in einer Art Märchenschloss fern der Realität. Ihr Ehemann Roland (Thomas Kretschmann) ist viel jünger, gekauft und geht offen mit der Situation um. Nach mehreren Dates mit Derrick wird aus der Hexe Agnes, die ihren Ehemann wie ein kleines Kind behandelte und als Despotin auftritt, aber eine romantische, verlorene Frau, die es sich wohl einen Tick zu bequem in selbstgerechten Idealen von Liebe macht. Sprich: aus ihr wird ein verletzliches Opfer. Roland hingegen wird zum berechnenden Egoisten, der die Menschen um sich quält, ohne es überhaupt zu realisieren.
In der ersten Hälfte wird Agnes dabei mittleidig über Roland erklären, dass er nach dem Mord von seiner Emotionalität mal wieder überfordert sein wird und wohl nichts versteht. Doch schon der oft wiederholte Schnitt auf irgendwelche Blumen, von denen zu den Figuren geschwenkt oder gezoomt wird, spricht eine andere Sprache. Dass nämlich nicht nur Roland seinem Fühlen nichts entgegenzusetzen weiß, sondern die ganze Folge nur der Ratio von Romantik und Gefühl folgt. Blumen, Schlösser, Pferde, Regen, Bücherregale, die wie Vorhänge mit Buchregalaufdruck aussehen, und der zunehmende Anteil von Dialogen über Ideale, Gott und die Rechte, die die Liebe mit sich bringt: Sie sind Ausdruck einer Weltwahrnehmung, die (nur allzu gern) in ihren Gefühlen ertrinken.
Derrick versteht als Philosoph zwar, was gesagt wird, er bleibt aber doch der Ritter des Königs Justiz, der, wenn nach seinen Beziehungen und seinem Wissen auf dem Gebiet der Liebe gefragt, unsicher vor allgemeinen Bildbänden und Lexika stehend sichtlich ratlos bleibt. Er ist nur sicher darin, zu ermitteln, wer vor ein Gericht gehört. Wie all das vor einem Gott aussehen muss, weiß er hingegen nicht. Mit Klaus Theweleit gesprochen, ist er der erigierte Penis in der stürmischen Brandung der Emotionen, der anders als eine faschistische Psyche nicht dagegen ankämpft, was er bei den Reibungen spürt, sondern melancholisch all den Sensationen nachspürt, die er sich selbst doch verwehrt. Manchmal scheint er eben doch nicht nur von Kafka erdacht, sondern auch ein Posterboy unserer Demokratie zu sein.

Sonnabend 02.10.

Boogie Nights
(Paul Thomas Anderson, USA 1997) [blu-ray, OmeU] 2

gut

Dass das Porno-Business als krude Familiengeschichte von Ausgestoßenen und Träumern mit wenig Realitätssinn erzählt wird, die sich im zwischenzeitlichen Erfolg, Drogen und den verdrängten Traumata verlieren, ist äußerst faszinierend auf einer Linie zwischen Parodie und Liebeserklärung erzählt. Nur die Inszenierung ist unfassbar showy. Nach der zehnten Plansequenz und noch einer expressiven Kurzmontage u.ä. ist es nur noch nervig.

September
Donnerstag 30.09.

Maximum Risk
(Ringo Lam, USA 1996) [blu-ray, OmeU] 2

großartig

Jean-Claude van Damme spielt Zwillingsbrüder, die sich nie kennenlernten, die als Baby getrennt wurden und zwei völlig unterschiedliche Lebenswege bestritten. Der eine Bruder stirbt in den adrenalingeschwängerten Anfangsminuten. Der andere spürt in Folge dessen Biographie nach, indem er seinen Körper an die Orte seines zweiten Ichs bringt. In dem er den Stress des weniger behüteten Wohnorts der Kindheit des anderen aufsucht, in die gleiche Sauna geht, mit derselben Frau eine Affäre hat. Dabei geht es wie in allen Lam/van Damme-Filmen um die Frage, wie sehr Biographien von den Eindrücken geprägt sind, die Eltern und externe Einflüsse auf sie hinterlassen. Der Film startet in einem beschaulichen Europa, mit alten Gassen und Inneneinrichtung wie bei Oma, sucht us-amerikanische Slums auf, besucht das heruntergekommene Neon der Großstadt, die verzerrten Versionen einer russischen Heimat in der Emigration, modernen Designer-Häusern, um dann wieder in einem beschaulichen, aber moderneren Nizza anzukommen. MAXIMUM RISK handelt so nicht nur von der Wirkmacht von Biographien, sondern auch von gesellschaftlicher Geschichte. Und da es sich um einen Film Ringo Lams handelt, werden alle die Räume, die vom Einfluss auf ihre Bewohner und dem Einfluss der Bewohner auf sie sprechen, als Bühnen einer lustvollen wie dramatischen Zerstörung begriffen.

Mittwoch 29.09.

Mattress Man Commercial k
(Paul Thomas Anderson, USA 2003) [stream, OF]

gut

Nicht so absurd wie die Realität. Aber wie soll auch etwas satirisch überspitzt werden, was sich schon am äußersten Extrem befindet.

Couch k
(Paul Thomas Anderson, USA 2003) [stream, OF]

ok

Adam Sandler wird von Couchen gefressen, der viel zu lange Sketch. Laufzeit: 3 Minuten.

Ballchewer k
(Paul Thomas Anderson, USA 2002) [stream, OF]

ok +

Adam Sandlers Hund, Luis Guzmán und eine Überraschung als nette Pointe.

Davon träumen alle Mädchen
(Thomas Engel, BRD 1961) [DVD] 2

verstrahlt

Eine Schlagerkomödie, die so tut, als wäre Harald Juhnke ein fescher, frecher Jung, auf den die Mädchen fliegen, obwohl in seinem Lächeln so viele Hintergedanken zu stehen scheinen, dass es einen gruseln mag. Tatsächlich schaute Lotti Z. (5 Jahre) in der Mitte eine Zeit lang mit und ihr gefiel es auch etwas. Aber ich machte mir schon Sorgen um sie und was sie aus dem Film mitnimmt. (Vor allem fiel mir die übergriffige Schmierigkeit des Ganzen noch mehr ins Auge, als nun eine Minderjährige mitschaute.)

Montag 27.09.

Das verlorene Gesicht
(Kurt Hoffmann, D 1948) [DVD]

gut

Einmal wird der Titel des Films auch metaphorisch genutzt. Dass jemand Schande über sich gebracht hat. Und tatsächlich ist dieser Film, über den es bei critic.de einen Text gibt, eine Aufarbeitung damals sehr aktueller deutscher Geschichte bzw. des Problems, wie psychologisch mit der Täterschaft umgegangen werden soll.

Sonnabend 25.09.

The Avengers
(Joss Whedon, USA 2012) [blu-ray, OmeU] 3

nichtssagend

Vor der ersten Sichtung 2012 hatte ich einen Text gelesen, der davon handelte, wie schön Hulk von THE AVENGERS getroffen wird. Bzw. wie gut die Spannung zwischen Banner und Hulk funktioniert, ohne eine der beiden Seiten zu vernachlässigen. Und es stimmt. Darin ist der Film wirklich toll. Was ich damals darüber aber völlig übersehen haben muss, ist, wie nichtssagend der Film aussieht, was für ein betriebsames Nichts das alles ist. Dieses Mal war ich schockiert, als ich wartete, dass der tolle Film anfängt, den ich in Erinnerung hatte … der aber nie kam.

Freitag 24.09.

La liceale seduce i professori / Jetzt treibt sie’s auch noch mit dem Pauker
(Mariano Laurenti, I 1979) [35mm, ł]

verstrahlt

Die gezeigte Kopie war wohl nicht im eigentlichen Sinn gekürzt. Sie war nur schon sehr oft vorgeführt worden und nicht mehr ganz vollständig. Diese Aneinanderreihung von Sketchen war dergestalt umso holpriger als eh schon. Eine Geschichte konnte nur erahnt werden. Zusammen mit der zuweilen kruppstählernen Härte der Witze ergab dies ein Erlebnis, von dem leider wirklich gesagt werden kann: Sowas gibt es heute leider nicht mehr.

Donnerstag 23.09.

Agent Orange k
(Tony Scott, USA 2004) [stream]

ok +

Sehr, sehr schöne Farben und eine sehr, sehr schöne Unruhe, in den wild geschnittenen Bildern. Aber irgendwie konnte ich mit dem erzählerischen Teil des Films überhaupt nichts anfangen, der eine aufbauende Liebesgeschichte erzählt.

Die Sünderin
(Willi Forst, BRD 1951) [DVD] 2

großartig

Eine Sternstunde düster-melodramatischer, schicksalshaft-religiös verbrämter deutscher Miefigkeit, maximale Dosis. Diesen Film können Sie als Deutscher nur verkraften, wenn sie einen ausgeprägten Sinn für Humor oder einen Fetisch für Hildegard Knef haben. Im Idealfall beides. schrub Christoph 2011 in seinem Sehtagebuch. Aber auch ein seltsam gespaltener Film. Auf der Bildebene: das expressive Melodrama eines Schmierfinks, dem es am Ende immer um Sex geht. Über den für sich sprechenden Bildern liegt aber ein Off-Kommentar, der wiederholt oder überdefiniert, was zu sehen ist. Geplapper und Geschwätz erfüllt den Film, vll. weil etwas in ihm nicht ins Auge geschaut werden möchte

Mittwoch 22.09.

In Hell
(Ringo Lam, USA 2003) [DVD, OmU]

gut

IN HELL ist ein Kampfsportturnier-im-Knast-Film irgendwo zwischen PENITENTIARY und UNDISPUTED 2 oder 3. Nur lässt Ringo Lam Jean-Claude van Damme eine Persönlichkeitsentwicklung per Trial-and-Error vollziehen. Repetitiv landet dieser in Einzelhaft. Ein gelber Abfluss zieht dort durch die Ruine einer Zelle, an deren Decke – 8 bis 10 Meter hoch – ein Fenster daran erinnert, dass es etwas wie Freiheit und Hoffnung gibt. Der Geist seiner vergewaltigten und ermordeten Frau unterstützt ihn dort sich selbst zu finden – als Schmetterling. Drei Stufen durchläuft er dabei. Er ist dort unten als Wrack, als verbitterte Kampfmaschine und als Erleuchteter. Und alles, was im Grunde über den Film gewusst werden muss, ist, dass van Damme in der mittleren Stufe seine Haare wie in KARATE TIGER trägt, dazu aber einen sehr, sehr spitzen evil twin-Goatee.

Dienstag 21.09.

He Dies At The End k
(Damian Mc Carthy, IR 2008) [stream, OF] 3

gut

Als er beim cellu l’art zu Jena aufgeführt wurde, saß ich erhoben hinter dem Publikum. Beim Jump-Scare, auf den die wenigen Minuten des Films hinarbeiten, ging eine Welle durchs den Zuschauerraum. Es war ein schönes Erlebnis. Ebenso schön ist, dass der Film nur bedingt verliert, sobald die Pointe/der Jump-Scare bekannt ist.

Deuce Bigalow: European Gigolo
(Mike Bigelow, USA 2005) [stream, OF]

gut

Die Fortsetzung hat mehr Punsch als der Vorgänger. Ist witziger und funktioniert tatsächlich stellenweise. Doch dann wird plötzlich doch das Gleiche wieder aufgewärmt. Deuce Bigalow darf wieder eigenwillige Freierinnen glücklich machen. Und in dem Moment wird EUROPEAN GIGOLO zynisch.

Sonntag 19.09.

Redoubt
(Matthew Barney, USA 2019) [DCP]

ok +

Eine russische Matrone war mit ihrem ca. 10-jährigen Sohn/Enkel im Kino. In diesem abstrakten Film, in dem Ausdruckstanz, Symbolismus und Lächeln die Dialoge als Ausdrucksmöglichkeiten der Leute ersetzen. Eine Winterlandschaft. Ein Förster mit Frau, Pickup-Truck, Jagdhunden und Hang zum Kunsthandwerk. Eine Jägerin, laut Abspann Göttin Diane, mit zwei Gehilfen, die im Wald wohnen und einzig Zelt, Hängematte und ein Waffenarsenal als Zeichen der Zivilisation mit sich führen. Beide jagen die Jäger der Wildnis: er Wildkatzen, sie einen Wolf. Diane und ihre beiden Frauen werden zum künstlerisch wertvollen Spannobjekt des anderen. Viel Zeit wird sich für nicht viel gelassen. Details von Schnee, elektrisches Brummen, Klöppeln und minimale Choreographien. Ich weiß noch nicht ganz, ob sich die Kindheit des Jungen als hart oder leicht vorgestellt werden muss.

Stage Struck
(Allan Dwan, USA 1925) [35mm, OZ]

gut +

Die Traum- und Theatersequenzen in STAGE STRUCK sind in einem frühen Farbverfahren aufgenommen. Die schwarzweiße Realität des Films wirkt im direkten Vergleich – trotz aller schönen Slapstickroutinen – farblos. Schon 1925 war zu sehen, wie unvermeidlich Film als Reich der Träume farbig werden musste.

流れる / Flowing
(Naruse Mikio, J 1956) [35mm, OmeU] 3

fantastisch +

Während die (alternden) Cowboys in THE WILD BUNCH, nachdem sie erkannten, dass der Westen ihnen keinen Raum mehr zum Leben lässt, mit einer großen Explosion aus dem Leben scheiden, reagieren die (alternden) Geishas in FLOWING auf dieselbe Erkenntnis mit ihrem Weitermachen. Sie mogeln sich durch ihren nicht akzeptierten Bankrott. Sie ertragen die ständige Demonstration, dass ihre Existenz anachronistisch ist. Die ständige Auflösung von Hoffnungsschimmern. Statt einer Explosion fließt das Drama ohne Stromschnellen und findet in jedem (angestrengten) Lächeln mehr Mut als Peckinpah im Furor des Sterbens.

Sonnabend 18.09.

Dune
(Denis Villeneuve, USA/CA 2021) [DCP, OF]

ok

DUNE ist ein Film der Empfangshallen, Bankett- und Turnräume und anderen Orte eines Zusammentreffens. Gleichzeitig zeigt er sie in verschiedenen Ausprägungen. Mal verfallen im Sand, mal in die Natur eingelassen, oft die Umwelt aussperrend und sich in Metall, Stein und Weitläufigkeit verlierend. Spannend bleibt, ob Villeneuve seinen überdeutlichen bis redundanten Film in seinem zweiten Teil mehr in die Wüste verlegt und damit nochmal ein Konzept mehr bereithält.
Ps: Eines der schönsten/ekligsten Schlammbäder der Filmgeschichte ist zu sehen.

おかあさん / Die Mutter
(Naruse Mikio, J 1952) [35mm, OmeU] 2

fantastisch

Catherine Russell argumentiert in ihrem Buch THE CINEMA OF NARUSE MIKIO: WOMEN AND JAPANESE MODERNITY – eine lesenswerte Film-für-Film-Analyse Naruses Werks –, dass es sich bei MOTHER um das Drama einer Witwe (Tanaka Kinuyo) handelt, die sich in den Kollegen und Freund (Katō Daisuke) ihres verstorbenen Mannes (Mishima Masao) verliebt, aber auf ihn verzichtet, weil ihre Tochter (Kagawa Kyôko) diese neue Liebe nicht akzeptiert. Bei ihr liest sich die Geschichte des Films so eindeutig, als könnte Douglas Sirks Meisterwerk der Macht garstiger Kinder über ihre Eltern THERE’S ALWAYS TOMORROW (1955) eine Variation des Themas von MOTHER sein.
Ein Merkmal von Naruses Vorgehen war, dass er Drehbücher gnadenlos eindampfte. Nebenhandlungen, Szenen, Dialoge: Alles nahm unter seiner Hand ab oder wurde ganz gestrichen. Statt zu reden und ihre Kunst offensiv aufführen zu können, mussten die Schauspieler teilweise nur noch ins Leere schauen. Im ursprünglichen Drehbuch könnte es also deutlich gewesen sein. Im fertigen Film ist selbst die Liebe nur eine Andeutung und es bleibt völlig in der Schwebe, ob sie gegenseitig, ob sie nur ein Schimmer in den Augen oder etwas Handfesteres ist. Und worin die Gründe liegen, dass sie nicht in einer Beziehung/Ehe endet … und ob dies je eine Option war.
Genauso wird eben auch die Geschichte eines sich leerenden Hauses erzählt. Erst stirbt der älteste Sohn, dann der Vater. Dann wird eine noch junge Tochter Verwandten anvertraut, die sich besser um sie kümmern können, die mehr finanzielle Sicherheit bieten … und selbst ihren Sohn im Krieg verloren hatten. Die Heirat der ältesten Tochter kündigt sich ebenso an, wie die Heimkehr des Neffen/Cousins, der mit aufgenommen wurde, bis sich seine Mutter wieder um ihn kümmern kann. Es ist ein Film über Familie und deren ökonomischen Bedingungen. Ein Film über Lebensverhältnisse, der sich in einem Haus abspielt, dessen wenige Räume oft gemeinsam im Bild sind und die Enge und Pragmatismus ins Bild schreiben.
Naruses Kino ist eines der Details – die Tochter verdient zu Beginn nebenher Geld in dem sie Pancakes verkauft; das Eisen, auf dem sie diese brät, wird später unter dem Bügeleisen liegen und dieses Erwärmen, wenn die Familie ihre Wäscherei wiedereröffnet. Explizites wird gerne begrenzt. Es ist ein Kino, das über Räume und Blicke erzählt, das Mensch und Gesellschaft im Widerstreit zeigt, indem die Menschen eben in sprechenden Umgebungen zu sehen sind, die mehr als die Schauspieler zu sagen haben. Expressives wird gemieden und gerne einen Fluss aus scheinbar Unbedeutsamen erzeugt. Das Sterben des Vaters ist beispielsweise größtenteils ein Siechen im Hintergrund, während der Tod und der unmittelbare Eindruck auf die Familie und ihre Mitglieder ausgelassen wird. Der Film verschluckt diese, wie die Leute es schlucken und nicht nach außen tragen. Catherine Russell meint auch, dass dies einer der sentimentalsten Filme seines Regisseurs ist. Was stimmt, aber Greifbarer oder gar Offensiv wird er trotzdem kaum.
Und doch hat MOTHER – ein oft gutgelaunter Film, der sich nicht an Leid labt, sondern zeigt, wie mit diesem gelebt wird – einen Moment, der Naruse als großen kinematographischen Spaßmacher zeigt, der einen Metawitz einbaut, den ich hier nicht erklären werde. Als ich den Film erstmals sah, schaute ich ihn gerade um diesen zu sehen und er wirkte in meiner angespannten Erwartung überhaupt nicht. Dieses Mal im Arsenal war die Verwirrung im Saal spürbar, wobei die Pointe zu einem ruckartigen Spannungsabbau und Lachern führte. Es ist einer der Fälle, wo ausnahmsweise direkt auf die Meisterschaft dieses tollen Regisseurs gewiesen werden kann … und doch ist es eine der Dinge, wo ich tatsächlich den Begriff des Spoilers verstehe und finde, dass eben doch nicht auf ihn gezeigt werden sollte. Es ist ein typischer Naruse.

浮雲 / Floating Clouds
(Naruse Mikio, J 1955) [35mm, OmeU] 3

großartig

Egal, welche Erniedrigung sie sich einander antun, das Liebespaar Yukiko (Takamine Hideko) und Kengo (Mori Masayuki) kommt nicht voneinander los und verglüht langsam in der gegenseitigen Hassliebe. FLOATING CLOUDS tritt dergestalt auf der Stelle und wiederholt das ewig Gleiche, während sich um sie doch alles beständig verändert, … und zeigt, wie zwei Menschen sich nicht von dem Glück lösen können, dass sie zu Filmbeginn zusammen in Indochina erlebten … während Japan dieses im Zweiten Weltkrieg erobert hatte. Wobei der Krieg aber kaum bis nicht zur Sprache kommt oder ins Bild findet. Das Leid ist hier also programmatisch, weil dies eine bittere Abrechnung mit Japan ist, mit dessen Krieg und den Folgen, mit einem depressiven, trüben Land und seinen heimtückischen Möglichkeiten von Glück und Reichtum. FLOATING CLOUDS ist der Nest beschmutzende Film, den Japan (und vll. auch Deutschland) gebraucht hatte/hätte. Und nebenher zeigt der Film, wie schmierig Naruse zuweilen werden konnte, wenn ein Mann beispielsweise erklärt, dass er an Baumharzen schnüffelt, weil er länger keinen Kontakt mehr mit Frauen hatte.

Freitag 17.09.

驟雨 / Sudden Rain
(Naruse Mikio, J 1956) [35mm, OmeU]

großartig +

Gegen Ende wird die Nachbarschaft zu einer Versammlung gebeten. Das Problem der freilaufenden Hunde und ihrer Zerstörungswut soll besprochen werden. Tatsächlich handelt es sich wohl nur um einen Hund, der ab und zu Pantoffeln und Hüte mopst, und eine Frau, die sich darüber echauffiert. Die Teilnehmer driften nach Eröffnung der Problemlage aber schnell ab und bringen alle ihre Sorgen und Nöte zur Sprache, die das Zusammenleben für sie mit sich bringen. Das Grundproblem, selbst wenn zwischendrin um mehr Fokus gebeten wird, will einfach nicht mehr zur Sprache kommen. SUDDEN RAIN findet hier im Kleinen seinen Wiedergänger.
Der Aufbau scheint lange klar. Zwei Ehepaare, direkte Nachbarn, stehen sich gegenüber. Fumiko (Hara Setsuko) und Ryōtarō (Sano Shūji) leben in einer routinierten Ehe und beide ignorieren bzw. ahnen nicht, was die Situation dem anderen an Leid abverlangt. Sie ist ans Heim gebunden und hat keinen Platz für Selbstverwirklichung. Er wird von Geldsorgen und der Kündigung geplagt … auch weil seine Männlichkeit es so verlangt, muss er sich alleine darum kümmern, ohne das Fumiko Bescheid wissen oder helfen darf. Nebenan ziehen Imazatos ein. Sie: jung, attraktiv und egoistisch. Er geht auf Arbeit und hilft notgedrungen zu Hause … als auch Fumiko. Die Ehepartner finden sich schnell von den neuen Nachbarn angezogen … und ein wenig möchte die Passivität, mit der die Partner ins Fremdgehen gezogen gelassen werden, an DIE VERACHTUNG gewahren. Nur wird keine große Geste gesucht oder gefunden.
Schnell ist jedenfalls klar, dass es um Geschlechtermodelle in der Ehe geht, um Tradition und Moderne, um vier holzschnittartige Personen, die für mehr als sich selbst einstehen. Doch wie niemand über den Hund reden möchte, sondern nur über sich, ziehen die Figuren den Film unmerklich an sich und lassen den symmetrischen Aufbau immer mehr hinter ihrer Individualität zurücktreten. Was bei Naruse heißt, dass ihr Leid in Momenten von Sprachlosigkeit aus der Ansammlung kleiner Geschehnisse heraussticht. Das nicht enden wollende Fließband des Films hält aber nicht an. Immer geht es weiter mit Dingen, die nebenher angetrieben werden und so die Nöte der Menschen überlagern, statt auszustellen. Und SUDDEN REIN findet so einen eindrücklichen Ausdruck für den inhärenten Schmerz eines solchen Lebens.
Besonders deutlich wird es im Soundtrack, der größtenteils bis völlig – ich müsste nochmal ein Ohr riskieren – intradiegetisch ist. Völlig unpassend klimpert ein Klavier über die Gefühle der Beteiligten und Situationen hinweg. Nebenan übt jemand Klavier. Oder beginnt halt unvermittelt und hört ebenso auf. Erst bei der Nachbarschaftsversammlung wird es Sicherheit, dass es überhaupt ein Nachbarskind ist, als sich dort darüber beschwert wird. Der Soundtrack jedenfalls ist keine Unterstreichung der Gefühle, sondern stimmt in das ignorierende Nebenher mit ein.
Das Tolle an SUDDEN RAIN ist aber nicht nur der Zusammenbruch eines Konzepts, sondern auch das es sich um eine Komödie handelt. Eine zuweilen sehr bittere, aber auch eine (für Naruse Verhältnisse) sehr angeheiterte, die nicht erst im kindischen Finale sehr verspielt ist.

稲妻 / Lightning
(Naruse Mikio, J 1952) [35mm, OmeU]

großartig +

Kiyoko (Takamine Hideko) arbeitet als Fremdenführerin, die aus dem Bus den Touristen ein sonniges und florierendes Tokio zeigt. Auch in Japan herrscht Wirtschaftswunder. Privat sieht es aber anders aus. Mit ihrer Mutter, drei Halbschwestern und einem Halbbruder wohnt sie zusammen. Und in dieser dysfunktionalen Familie geht es nur um Geld, Ausbeutung, Selbstmord und das eigene Ego. Da wo SUDDEN RAIN seinen Grundriss – seine Geschlechtsthematik – sehr klar legt, da ist LIGHTNING diffuser und bedrückender, obwohl es klar vor uns liegt. Das blühende Tokio ist nur die Klammer, die kurze Momente im Leben von Menschen einrahmt, die es nicht schaffen Ferien vom ich zu machen und schamlos in erster Linie an sich denken. Und wie ein Blitzschlag ist dann die Erkenntnis, dass all dieser mitgeschleppte Sumpf des Films – für Naruse-Verhältnisse ist er noch sehr melodramatisch, weshalb nicht nur Emotionsausbrüche und die damit einhergehende Gewalt im Bild stehen können – nicht durch einen Umzug und schöne, neue Fassaden abgehängt ist … und aus irgendeinen mir noch nicht ganz verständlichen Grund schafft es LIGHTNING dies versöhnlich enden zu lassen, ohne den Fluss der Niederträchtigkeiten zu korrumpieren.

Donnerstag 16.09.

Schachnovelle
(Philipp Stölzl, D/A 2021) [stream]

nichtssagend

Eine Woche vor Kinostart durfte ich SCHACHNOVELLE bereits erleben, damit es auf perlentaucher.de auch etwas über den Film zu lesen gibt. Hier das Ergebnis. (Jochen W. schreibt dort auch über das (neue) Werk von Anders Thomas Jensen, was sich interessant anhört, wobei ich dessen Filme bisher nicht so interessant fand. Vll. demnächst ein neuer Versuch.)

Mittwoch 15.09.

スパイの妻 / Wife of a Spy
(Kiyoshi Kurosawa, J 2020) [stream, OmU]

gut +

Kurosawas Film findet sich gerade exklusiv bei mubi und ich habe diesen Umstand nehmen dürfen, um über ihn für critic.de zu schreiben. Hier das Ergebnis.

Sonntag 12.09.

Ferien vom Ich
(Hans Deppe, BRD 1952) [DVD]

großartig

Industriemogul George B. Stevenson (Rudolf Prack) muss sich von einem Herzschlag erholen und sich Freizeit gönnen. Dafür finanziert er Dr. Hartungs (Willy Fritsch) Traum von einem Ferienressort, den Ferien vom ich. Dabei verliebt sich Stevensons in Gutsbesitzerin Eva von Dornberg (Marianne Hold), in die sich auch Dr. Hartung verliebt, und schlägt nebenher noch die Korruption in der eigenen Firma nieder. Doch FERIEN VOM ICH ist weniger diese Stichpunkte, die einen Plot suggerieren, sondern ist am besten, wenn – was er oft, wenn nicht sogar durchgehend tut – die Implikationen des Titels ernst genommen werden.
Die Liebes- und Eifersuchtsgeschichte ist ebenso nur ein Hauch wie die unholden Machenschaften. Dass der Film optisch mit seiner freudig nachgegangenen Landwirtschaft gut und gerne als Kolchosen-, wenn nicht gar Nazipropagandafilm durchgehen könnte, ist ebenso neben dem Punkt wie der Umstand, dass der Arbeitsethos Stevensons Urbanisierung, Kapitalismus und Amerikanisierung diskreditieren. Es geht in den Landwirtschaftsszenen eben nicht um die Bildung eines glorreichen Landes, sondern um Urlaub. Nicht nur der US-Amerikaner muss loslassen, sondern ebenso die bürgerliche Mitte, die noch tief von Militarismus durchzogen ist und im einfachen Weitermachen nach dem Krieg verloren ist.
Nicht das der Film frei von Ideologie ist, bei weitem nicht, aber in seiner losen Sammlung erzählt er völlig entspannt vom Loslassen und damit von Leuten, die eine kurze Pause davon brauchen, etwas zu sein bzw. etwas sein zu müssen. Vor allem Deutsche nach dem Zweiten Weltkrieg. Und wenn die Flucht vor der Realität zu mehr Entspannung und zarten Annäherung an intensive Emotionen führt, dann ruhig her damit.

珠光寶氣 / Whatever You Want
(Wong Jing, HK 1994) [dvd, OmeU]

großartig +

Auf Empfehlung von David Bordwells PLANET HONGKONG haben wir dies geschaut. Bordwell beschreibt nämlich, dass hierin Wong Jing eine sehr persönliche Vendetta mit Wong Kar-Wai austrägt. In einer Kinoszene läuft u.a. eine sensationelle Persiflage von ASHES OF TIME des Regisseurs Wong Jing-Wai und das Publikum macht nach dem Film Jagd auf den Filmemacher, um sich für ihre Qualen zu revanchieren. Diese Auseinandersetzung ist aber nur ein Nebenschauplatz in einer äußerst idiosynkratischen Liebeskomödie, in der sich ein Filmfan, mit ständig wechselnden Jobs, (Anita Yuen) in einen Lampengeist (Michael Wong) verliebt, den sie ihrer von ihr verehrten Halbschwester Pearl (Christy Chung) zur Paarung anheimstellt. Statt einer geradlinigen Dramaturgie gibt es drei Versionen von SPEED, die einen Film vorantreiben, der zwar genau weiß, wo er hinmöchte, seinen Weg aber nach Lust und Laune wählt.
Vor allem ist WHATEVER YOU WANT dabei ein weiterer Beweis dafür, dass Wong Jing (♥) zwar nicht der ernsteste und begnadetste Regisseur ist, selbst wenn er sich aber auf der dünnen Linie zwischen Bescheuertheit und Genialität bewegt, dann ist er eben doch jemand, der mit seinen Umwegen und Eigenheiten einen emotionalen Kern entwickeln kann, der Wong Kar-Wai in nichts nachsteht.

Der Priester und das Mädchen
(Gustav Ucicky, A 1958) [DVD, ≠]

ok +

Glück ist etwas, von dem man träumt. Erinnerung das Paradies, aus dem man nicht vertrieben wird. So oder so ähnlich lautet ein Zitat aus diesem Verzichtsmelodrama, in dem ein Priester (Rudolf Prack – seit 1952 scheinbar um Jahrzehnte gealtert) eine neue Gemeinde übernimmt und sich dabei in eine junge, traumatisierte Frau (Marianne Hold) verliebt. Sorgsam wird aufgebaut, dass diese Liebe nicht sein kann, … inkl. dörfischen Matronen, die ihren infernalisch verurteilenden Schatten vorauswerfen. Doch wenn es dann zum Verzicht kommt, dann übt sich DER PRIESTER UND DAS MÄDCHEN selbst in einem solchen. Das Dorf wird größtenteils aus der Rechnung gestrichen und Pracks Figur hat einfach das schnell akzeptierte Nachsehen. Die gewaltigen (als auch die trüben) Potentiale des Verzichts werden final unterdrückt. Vll. ist es umso brutaler, weil von den Gefühlen der Figur Marienne Holds abgesehen, die einen expressiven Unfall haben darf, niemandes Emotionen zugelassen werden.

Sonnabend 11.09.

Burg Schreckenstein
(Ralf Huettner, D 2016) [blu-ray]

gut

2013, als sich meine WG auflöste und meine gerade gefundenen Familie in die Wohnung einzog, waren im Interregnum Sano und Christoph zu Besuch, um mit einer Ausgabe des Festivals des miefigen Films eine Art eines Junggesellenabschieds zu feiern. Nun wo ich diese Wohnung (mit meiner Familie) verlasse, weil sie zwar Unmengen Charme hat, aber eben, wie ich an diesem Wochenende merkte, auch sehr viel Gebrauchsanweisung und Toleranz benötigt, schien es nur sinnig, dass sich das Festival des miefigen Films wiederhole. Sano war verhindert und wurde durch David L. von Whoknows Presents und am Sonntag zudem durch Benjamin K. ersetzt. Zudem wurden die Heimatfilme mit Hongkongkomödien angereichert, um das Konzept lustbedingt etwas zu verwässern.
Den Anfang machte nach dem vereitelten Beginn am Freitag ein aktueller Kinderfilm von Ralf Huettner. Einem Film, der deutlich erkennen lässt, dass der Regisseur seine Wurzeln im Horrorfilm hat, und der sich mehr für Röcke interessiert, die durch einen enormen Furz in der Luft stehen, als sich um Dramaturgie und erzählerische Kontingenz zu scheren. Hier und da ist das Ergebnis auf der miefigen Seite, aber im Großen und Ganzen doch sehr schön.

Die Winzerin von Langenlois
(Hans H. König, A 1957) [tv, ≠]

ok

Zu Beginn sitzt ein kleiner Junge alleine und verloren auf seinem Koffer in einem fremden Dorf. Er ist von Berlin in die österreichische Provinz gekommen, um Ferien auf einem Hof zu machen, bei einer Frau, die zwar kein Geld mehr, aber gerne Kinder um sich hat. Sein trauriges Verweilen in der Tristesse eines steinernen Marktes ist früh im Film der erste Höhepunkt. Immer wenn der Film seine Kinder aufgreift, dann wirkt er gleich etwas frischer und … unangenehmer, auch da eines der Kinder des Hofes Blackface trägt, wohl im noblen Willen für mehr Diversität, aber eben mit einer … nicht ganz geglückten Taktik. Oder wenn der Film aus seinen ständigen mittleren Einstellungen ausbricht, in denen sich zwei Figuren unterhalten. Wenn beispielsweise die Frau vom Hof für einen Lehrer entbrennt und sie beim gegenseitigen Kennenlernen an einen Kamin tritt, dessen Flamme den kompletten Platz neben ihr einnimmt. Ansonsten ist DIE WINZERIN VON LANGENLOIS ein eher fades Werk in der Filmografie eines ansonsten sehr bemerkenswerten Regisseurs.

褲甲天下 / King of Stanley Market
(Jamie Luk, HK 1988) [blu-ray, OmeU]

großartig

David L. ist noch nicht der große Connaisseur des Hongkongkinos. Christoph und ich erzählten ihm deshalb vor dem Film (und auch schon vor sicher war, welcher es werden würde), dass Komödien aus dem Landstrich aus der Zeit sehr hochenergetisch und hochgradig albern sind. Wir – was heißt: vor allem Christoph – schworen ihn darauf ein, auf das er nicht überrannt werde. Immer mit dem Hinweis, dass wir nichts über den Film wissen, außer das Richard Ng mitspielt, was auf ein hohes Maß von Albernheit schließen lässt. Und dann kam KING OF STANLEY MARKET, der durchaus quatschig ist, vor allem aber entspannt und herzlich. Zwei Jeansladenbesitzer (Ng und Sylvia Chang), die sich in einer direkten Konkurrenzsituation zueinander befinden, verlieben sich in dieser romantischen Komödie nach diversen Komplikationen ineinander. Doch der Film interessiert sich nicht für ihre Auseinandersetzungen, sondern fokussiert die Liebe, die Nähe, die gegenseitige Anziehung. In den Blicken, den lockeren Figuren und der nicht minder lockeren Struktur.

Sonntag 05.09.

千と千尋の神隠し / Chihiros Reise ins Zauberland
(Miyazaki Hayao, J 2001) [blu-ray] 3

fantastisch

Lotti Z. (5 Jahre) schaut weiter Studio Ghibli und hatte hier etwas mehr mit der Angst zu kämpfen. Am Ende aber war sie doch wieder euphorisiert und ich hatte nicht so ein schlechtes Gewissen, weil ich ihr einen Film empfahl, den ich gar nicht so gruselig in Erinnerung hatte.

Sonnabend 04.09.

Deuce Bigalow: Male Gigolo / Rent A Man: Ein Mann für gewisse Sekunden
(Mike Mitchell, USA 1999) [stream, OF]

gut

Rob Schneiders Selbstrettungsversuch ist nicht unbedingt ein Film, in dem jede Pointe funktioniert – aber es ist schon wieder sehr witzig, wie die Witze vorsätzlich das Konzept von Witzigkeit torpedieren. Dafür ist DEUCE BIGALOW aber grundsympathisch. Deuce Bigalow (Schneider) ist für seine Umwelt und den Film höchstens eine Witzfigur. Durch Umstände wird er zum Sparpreisgigolo und seine Kundinnen sind ebensolche Witzfiguren. Sie sind übergewichtig oder haben Tourette (Amy Poehler). Deuce (Schneider) nimmt sie aber als Personen ernst und hilft ihnen sich als normal zu verstehen. Nur Sex hat er mit ihnen nicht. (Es ist vll. das bitterste Element des Films, dass er eben keinen unromantischen Sex haben kann, ohne sich und andere schon wieder abzuwerten. Denn Promiskuität scheint in dieser hypersexualisierten Welt das Normal, dass es vom Thron zu stoßen und verdammen gilt.) Aber der Punkt ist ja, dass er mit dem Verständnis für die Damen auch Verständnis für sich erbittet. Das wir lieb zu Leuten wie Deuce Bigalow sind, als auch zu jemanden wie Rob Schneider. Eigentlich ist es bei aller naiven Hoffnung auf Liebe auch traurig diesen Film zu sehen, der dermaßen von einem tief internalisierten Selbsthass angetrieben wird.

Freitag 03.09.

Blended / Urlaubsreif
(Frank Coraci, USA 2014) [stream, OmeU]

gut

Mein Urlaub dieses Jahr bestand darin umzuziehen. Zum Zeitpunkt der Sichtung steckten anderthalb Wochen intensivem Umzugs in mir und ich war urlaubsreif. Mir ging es aber besser als diesen wunderbar neurotischen Figuren in BLENDED, die sich im Afrikaurlaub in eine Klischeemaschine zurückziehen, damit Geschlechter, Völker und Paarbeziehungen wieder so sind, wie sie es sich vorstellen. Das Problem, wenn denn der Film eines hat, liegt aber nicht im reaktionären Moment, den die neurotischen Figuren bekommen, um glücklich zu sein, sondern darin, dass der Film nicht greller war.

August
Freitag 27.08.

Leningrad Cowboys Go America
(Aki Kaurismäki, FIN/S 1989) [35mm] 4

gut

Dies Lief im Zuge der Öffentlichen Testsichtung im Schillerhof. Was heißt, dass eine ungesichtete Kopie des Filmarchivs Bögelein zu sehen ist und geschaut wird, ob diese noch Brauchbar ist. Vorher wird aber nicht verraten, was zu sehen sein wird. Als der Film begann und ein Acker in der Tundra zu sehen war, musste ich direkt lachen, weil mir unmittelbar schwante, was auf mich zu kam. Dabei hatte ich es seit bestimmt 15 Jahren nicht mehr gesehen.

Mittwoch 25.08.

Austin Powers: International Man of Mystery / Austin Powers – Das Schärfste, was Ihre Majestät zu bieten hat
(Jay Roach, USA 1997) [35mm] 6

gut

Ich muss tatsächlich nicht mal mehr auf die Leinwand zeigen, damit Leute neben mir lachen, wenn mein Name im Vorspann auftaucht.

Dienstag 24.08.

That’s My Boy / Der Chaos-Dad
(Sean Anders, USA 2012) [stream, OmeU]

gut

Susan Sarandon und Vanilla Ice im gleichen Film gesehen zu haben, muss ich noch verarbeiten. Es ist aber, um zu etwas anderem zu kommen, leider auch etwas bezeichnend, dass die einzigen positiven Frauen mit eigenständiger Sexualität, diejenigen sind, die weggesperrt sind oder sich im höheren Alter befinden.

Montag 23.08.

The Ridiculous 6 / Die lächerlichen Sechs
(Frank Coraci, USA 2015) [stream, OmeU]

uff

Weder funktionieren die Witze, noch die Verbeugungen vor dem Genre. Das Einzige, was mir lohnenswert für ein Verweilen im Gedächtnis scheint und auch das Potential dazu hat, ist Taylor Lautners gnadenlose Selbstvertrashung. Hinzukommt, dass Norm MacDonald in einer Bar zu sehen sein soll … und ich ihn verpasst habe.

Sonntag 22.08.

PAW Patrol: The Movie / Paw Patrol – Der Kinofilm
(Cal Brunker, USA 2021) [DCP]

uff

Mit Mühe und Not schafft es PAW PATROL – DER KINOFILM eine angemessene Laufzeit zu erreichen. Die Eindimensionalität der 3D-computeranimierten Figuren macht es sicherlich auch nicht einfacher, dieser Aneinanderreihung generischer Faulheit etwas abzugewinnen.

Donnerstag 19.08.

Polizeiruf 110 (Folge 393) Bis Mitternacht
(Dominik Graf, D 2021) [stream] 2

großartig

Damit die Qualität des zu erstellenden Textes für critic.de steigen werde, habe ich den POLIZEIRUF abermals geschaut. Es hatte den Vorteil, dass ich mich an die Kraft der Bildschirmschoner erinnerte, die dann auch den Text beenden durften.

Mittwoch 18.08.

The Green Knight
(David Lowery, UK/CA/IR/USA 2021) [DCP, OmeU]

ok +

Sir Gawain (Dev Patel) ist der Neffe des alternden, verstaubten König Artus (Sean Harris). Er bringt seine Tage im Bordell zu und lebt völlig entfremdet von einer Welt der Ritterlichkeit, der Legenden und Mythen, der Geschichten und des Geschichtenerzählens dahin. Bei einem Treffen an der Tafelrunde erzählt ihm der König, dass er es bedaure, wie wenig er an Gawains Leben bisher teilgehabt habe. Prompt erscheint ein Ritter – halb Mensch, halb Baum – und fordert die Tafelrunde auf, einen der ihren zum Zweikampf zu schicken. Wenn der Gegner es schaffe, einen Treffer bei ihm zu landen, bekomme dieser seine Axt als Lohn. Er müsse aber zudem ein Jahr später den gleichen Schlag von ihm empfangen. Sir Gawain nimmt die Herausforderung an und schlägt dem sich nicht wehrenden Ritter den Kopf ab. Was nur Gawain überraschen dürfte, ist, dass der Ritter seinen Kopf danach aufhebt und seinen Widersacher daran erinnert, dass er in einem Jahr auch den Kopf abgeschlagen bekommt.
Größtenteils besteht THE GREEN KNIGHT aus der Odyssee Gawains zu seinem Termin im folgenden Jahr. Er wird dabei von Wegelagerern ausgeraubt, trifft Geister von Ermordeten, versandet fast in der Annehmlichkeit der Burg eines Jägers und Ritters. In wunderschönen Bildern und einer ohne Druck dahinschlendernden Dramaturgie wird in den Episoden Gawains Ritterlichkeit dekonstruiert … bzw. beziehungsweise Ritterlichkeit an sich. Wir bekommen ambivalente, nicht eindeutige Gleichnisse, die jede Bestimmung zu Höherem, eine Quest oder überhaupt den Edelmut des Ritters ad absurdum führen.
Es bleibt aber ermüdende Dopplung, weil Gawain von allen geschehenden Dingen völlig entfremdet bleibt. Seine Pflicht scheint immer von außen oktroyiert, während er dieser lustlos und innerlich unbeteiligt nachgeht. Es geht hier nicht um den ritterlichsten aller Ritter, der im Original einen kleinen Fehler macht und sich Vorwürfe macht, während niemand dafür Grund zu sehen scheint. Jemand völlig unritterliches ist nicht sehr ritterlich, mehr nicht. Es zieht bedeutungsschwanger dahin, ohne dem Punkt, dass das Konzept der Ritterlichkeit einer Lüge entsprungen sein könnte, etwas groß hinzuzufügen, ohne dem Kino Sofia Coppolas mit dem Mehr an Kryptik und Epik Entscheidendes hinzuzufügen.

Montag 16.08.

那夜凌晨,我坐上了旺角開往大埔的紅VAN / The Midnight After
(Fruit Chan, HK 2014) [blu-ray, OmeU] 3

fantastisch +

Laut DeepL heißt der Originaltitel übersetzt: In den frühen Morgenstunden dieser Nacht bestieg ich einen roten Van von Mongkok nach Tai Po. Es ist vll. nicht so griffig wie Die Mitternacht danach, entspricht aber durchaus dem Witz des Films, der im Großen und Ganzen darin besteht, uns (aus filmischer Sicht) banale Dinge (wie Telefonanrufe und J-Horror-Damen) zu zeigen, um dann aber schnell wegzurennen und den Zuschauer mit dem Versuch, schlau daraus zu werden, allein zu lassen. Wie im STB von 2016 (Teil II) schon zu lesen ist: ein Film über das Lebensgefühl im bisherigen 21. Jahrhundert.

Sonntag 15.08.

Yakari : La grande aventure / Yakari – Der Kinofilm
(Toby Genkel, Xavier Giacometti, F/D/B 2020) [DCP]

nichtssagend

Ein durch und durch computeranimierter (und nicht unbedingt schön aussehender) Film, der völlig ironiefrei von der anzustrebenden Einheit mit der Natur erzählt. Und darin leider vor allem nett und ziemlich egal bleibt.

念念 / Murmur of the Hearts
(Sylvia Chang, TW/HK 2015) [blu-ray, OmeU]

großartig

Ein Familiendrama an der Oberfläche ist MURMUR OF THE HEART zuvorderst ein Film über das Meer zwischen Taiwan und der Volksrepublik. Wie es Identitäten schafft und verschluckt. Wie die teilweise Überquerung eine Familie auseinanderreißt und eine neue Annäherung erschwert. Ein Film der Meerjungfrauen und Wellen. Es scheint etwas ziemlich einfach zu Greifendes zu sein, aber doch sind die Bewegungen und die Tiefe des Wassers kaum abzuschätzen.

Sonnabend 14.08.

Fabian oder Der Gang vor die Hunde
(Dominik Graf, D 2021) [DCP]

großartig

Ein Film über den Einbruch des Modernen in eine tradierte Welt und deren Zurückschlagen. Ein Film über die Vergangenheit und Heute. Ein Film der Überlagerungen, der sich in all seinen Programmatiken verkopft anhören muss, der es aber nicht ist. Am besten ist es, sich den Wollmilchcast dazu anzuhören.

Polizeiruf 110 (Folge 393) Bis Mitternacht
(Dominik Graf, D 2021) [stream]

großartig

Statt einen Täter zu suchen sind hier alle überzeugt, ihn schon gefunden zu haben. Er muss nur noch zum Geständnis gebracht werden. Das Beste an BIS MITTERNACHT ist, dass die Frage nach der Schuld nie abschließend geklärt wird, es einfach unter den Tisch fällt … ohne dass es großartig wirkt, als ob etwas fehlen würde. Weil es um Polizisten geht, die aus verschiedensten Gründen einfach Recht haben müssen. Und das ist das Grusligste und Provokanteste, wie egal die wichtigste Frage für die Beteiligten scheinbar ist.

Freitag 13.08.

Captain America: The First Avenger
(Joe Johnston, USA 2011) [blu-ray, OmeU] 3

gut +

Das diegetische Übel des Films ist Hydra, eine von Red Skull geführte, noch fanatischere, auf mythische Weise noch bösere Untergruppe der NSDAP, die das macht, was die SA nicht schaffte (und vll. nie versuchte), nämlich nach der Macht in Hitlerdeutschland und der Welt greifen. Ihr Gruß ist einfach der Hiltergruß mit zwei Armen und Fäusten. Es ist eine sensationelle Idee und passend für diesen Film. Völlig faul und platt wird das Gemeinte gedoppelt, aber tatsächlich vermittelt es sehr griffig einen Sinn für die inwendige Absurdität des Ganzen.

Mittwoch 11.08.

The Ipcress File / Ipcress – streng geheim
(Sidney J. Furie, UK 1965) [35mm] 2

fantastisch

Im Schillerhof lief anlässlich des kommenden Kinostarts des neuen James Bonds eine kleine analoge Filmreihe mit dem Namen Bond ohne Bond. Zwischen NORTH BY NORTHWEST und AUSTIN POWERS war dieser von Harry Saltzman produzierte Spionagethriller zu sehen. Ein etwas anderer Bond-Epigon. Denn da, wo der Erfolg der ersten drei Bond-Filme diverse Nachahmer auf den Plan gerufen hatte, wollte Saltzman etwas raffinierter auf seinen eigenen Zug aufspringen. Er engagierte zwar Leute wie Peter R. Hunt und John Barry von seiner Erfolgsfilmreihe, ließ es aber ansonsten mit den Parallelen bleiben. Lieber wollte er einen Gegenentwurf bieten.
Die Verfilmung des Romans von Len Deighton, der neben Spionageromanen Koch und Geschichtsbücher schrieb, es ist dem Film anzumerken, interessiert sich nicht für Exotik, Sex und Action. Stattdessen sehen wir Abläufe und das Entlanghangeln an den Dienstvorschriften. Der Film besteht aus Büros, Gängen, Meetings, Überwachungen, Formalien, Einkäufen im Supermarkt, Kochen und Warten. Harry Palmer (Michael Caine in seiner ersten Hauptrolle, die direkt seinen Durchbruch bedeutete) ist die schnoddrige Anomalie in einem durch und durch bürokratischen Apparat. Weshalb THE IPCRESS FILE einen Film wie THE FRENCH CONNECTION vorwegnimmt, nur dass wir hier keinem heruntergekommenen Besessenen bei seinem obsessiven Stalking folgen, sondern einem kultivierten Slacker, der sich in einem tristen Schlangennest bewegt. (Es ist auch so ein Unterschied zum Agenten im Dienst seiner Majestät. Der MI6 steht hinter Bond, während Palmer nur Wegwerfprodukt im Kalten Krieg ist.) Wenn das Alltägliche und Unbedeutende des kleinen Lichts Palmer auf dessen trockenes Getrolle trifft, dann ist THE IPCRESS FILE ein eleganter, stilvoller Fluss, der gerade im wenig Besonderen eine essentielle Schönheit in der Ödnis findet.
Erst im letzten Drittel franst der Film dann aus. Er wird aufregend und wild, wenn der Kalte Krieg als Bilderreigen des Wahnsinns über Palmer einbricht. Wenn sein Gehirn gewaschen werden soll. Doch schon das vermeintlich Trockene der Abläufe hatte an dem Thema der audiovisuellen Konditionierung gearbeitet. Wenn beispielsweise zwei Entführungen/Morde sich auf die gleiche Weise vollziehen, dann wissen wir beim zweiten Mal bereits, was uns erwartet. Filmisch wird sich dem Einlullen des bürokratischen Alltags und der Überwältig der Umkonditionierung angepasst. Oder andersherum: Wir sehen u.a. eine Metafilm, der sich den Möglichkeiten seines Mediums auf das Bewusstsein auf zwei Wege annähert.
Kurz: THE IPCRESS FILE ist ein weiteres Meisterwerk eines Regisseurs, der immer zur falschen Zeit am richtigen Platz war. Sein THE LEATHER BOYS (1964) in seiner Sensibilität für Kitchen Sink-Drama und Homosexualität, für Leder- und Motorenfetisch und die Enge der Gesellschaft war zu polymorph in seinen Interessen und zu wenig belehrend, im Gegensatz beispielsweise zum ungleich erfolgreicheren und filmgeschichtlich nachwirkenderen VICTIM (1961). Wäre Marlon Brandos Karriere nicht Anfang der 1970er Jahre wiederbelebt worden, THE APPALOOSA (1966) wären mit seiner lakonischen Genreprätention und seinem leuchtenden Abendrot ein schöner Film gewesen, der dem Verglühen seines Stars würdig war. Durch Budgetgerangel wurde Sidney J. Furie nicht wie geplant Regisseur von THE GODFATHER (1972). THE BOYS IN COMPANY C (1978) war Vorbild für FULL METAL JACKET (1987), ohne dass der Film aber noch groß im Bewusstsein der Filmgeschichte reüssieren würde. Der Jetfliegeractionfilm IRON EAGLE (1986) wurde vom später im selben Jahr veröffentlichten TOP GUN völlig überstrahlt. Oder es war sein SUPERMAN IV (1987), der das Franchise für fast 20 Jahre entgleisen ließ. Das, was ihr an historischer Resonanz fehlt, macht diese Filmografie aber mit ungleich viel mehr Faszination wett.

Montag 09.08.

ヘヴンズ ストーリー / Heaven’s Story
(Zeze Takahisa, J 2010) [stream, OmeU]

großartig

In seinen besten Momenten ist es nicht ganz einfach, schlau aus den Dingen zu werden, die sich hier vollziehen. Viereinhalb Stunden mäandert HEAVEN’S STORY dahin und springt zwischen seinen Figuren hin und her, deren Verbindung untereinander sich erst nach einiger Zeit – wenn überhaupt – erschließt. Ohne expliziten Marker wird mittendrin ein Jahrzehnt übersprungen. Mehrere Leute müssen damit leben, dass ihre Familie umgebracht wurde. Ein anderer muss damit leben, dass er jemanden die Familie raubte. Viereinhalb Stunden ist HEAVEN’S STORY eine Meditation über innere und äußere Leere, über Verlorenheit, über ein unbestimmtes Wirken von Traumata im Alltag, über die Unmöglichkeit mit dem Unaussprechlichen eines kurzen, brutalen Moments klarzukommen. Die Taten werden nicht gezeigt, nur Annäherungen und die langen, sich ziehenden Folgen. In seinen besten Momenten ist HEAVEN’S STORY ein loses Sammelsurium von Eindrücken und Assoziationen. Wenn er sich in der zweiten Hälfte zusammenzieht und auf einen Punkt hinsteuert, an dem sich alles auflöst, verliert er aber ein wenig von seiner sonstigen Kraft, die darin liegt, mit all dem Vagen, den großen Gefühlen, die sich unter einer dicken Schicht von Taubheit verstecken, allein gelassen zu sein.
*****
Die paar Zeze Takahisa-Filme, die ich zuletzt schaute, dienten der Möglichmachung einer Ankündigung der Reihe seiner Filme im Berliner Zeughaus beziehungsweise der Annäherung an Zezes Schaffen für critic.de.

Sonntag 08.08.

Finding Dory / Findet Dorie
(Andrew Stanton, USA 2016) [blu-ray]

ok

Dorie verirrt sich als Kind und verliert ihre Eltern. Dorie verliert auf der Suche nach ihren Eltern Nemo und Marlin. Dorie findet Freunde und verliert sie. Und alle finden sich immer wieder. Verlieren und Wiedersehen, der Film.

Sonnabend 07.08.

ストレイヤーズ・クロニクル / Strayer’s Chronicle
(Zeze Takahisa, J 2015) [stream, OmeU]

ok +

Ein für den japanischen Zweig von TimeWarner produzierter Superheldenfilm von einem (weitestgehend) ehemalige Pinku-Regisseur, in dem es nicht um Materialschlachten geht, sondern Verkrüppelte, die entweder ihre Gaben teuer bezahlten oder für ihre seelischen Narben Gaben erhielten. Onkel Bens Mit großer Macht kommt große Verantwortung ist im Angesicht dessen Hohn, da die Macht nichts Reines ist, was sich einfach an Körper und Geist anschließt, ohne dass diese beeinflusst werden würden. Selbst die Action ist toll inszeniert. Nur verliert es sich etwas in seinen Diskussionen über Moral und Handlungsmöglichkeiten.

猥褻暴走集団 獣 / No Man’s Land m
(Zeze Takahisa, J 1991) [stream, OmeU, ł]

gut

Zeze nennt sich in den Credits Jean-Luc Zezemusch. Die Verbeugung vor STRANGER THAN PARADISE und DOWN BY LAW als auch den Essaytechniken Godards ist kaum zu übersehen. Nur ist das, was von Jarmusch an Bildern zitiert und übernommen wird, gänzlich oberflächlich. Zeze macht damit aber dermaßen eigene Dinge mit Sex, unklaren Zeitebenen und einer zähen Zeit, dass ich kaum nachvollziehen kann, was Zeze an Jarmusch nun so fasziniert, dass er ihn aufgreift. Welchen Einfluss hat er in diesem Werk eines gänzlich anders gelagerten Regisseurs hinterlassen?

Freitag 06.08.

高級ソープテクニック4 悶絶秘戯 / The Dream of Garuda
(Zeze Takahisa, J 1994) [DVD, OmeU, ł] 2

großartig +

Lukas F. schrieb bei letterboxd einen ganz passenden Kommentar, der leider bei der Wertschätzung nicht zu den richtigen Schlüssen kommt. Denn dies mit seinen verlorenen Menschen, die ua. in glitschigen Sexmassagen Sühne suchen, ist sensationell.

黒い下着の女 雷魚 / Raigyo
(Zeze Takahisa, J 1997) [DVD, OmeU] 2

großartig

Von den 1990er Pinkus, die ich von Zeze kenne, ist dies nicht nur der Geradlinigste, sondern auch derjenige, der fast auf Sex verzichtet. Das japanische Ödland steckt dafür in Farbbildern, die wunderschön ungesund leuchten, während die Leute irrlichternd nach Genugtuung und ausgleichende Gerechtigkeit suchen. Oder wie Kamil M. bei letterboxd zu schön schrieb: Desire is a fish riddled with worms that no one wants to eat

Mittwoch 04.08.

North by Northwest / Der unsichtbare Dritte
(Alfred Hitchcock, USA 1959) [35mm, OmU] 2

großartig

Die Blaupause für die James Bond-Filme: Ein Mann (hier: Carry Grant) reist in Spionagedingen umher und tauscht Anzüglichkeiten mit Frauen aus. Leider ist die Doppeldeckerszene einer der größten Spoiler der Filmgeschichte. Als ich NORTH BY NORTHWEST das erste Mal sah, erreichte mich der schön gebaute Suspense der Szene gar nicht, da ich nur auf die mir bekannte Auflösung wartete.

Dienstag 03.08.

トーキョー×エロティカ / Tokyo X Erotica
(Zeze Takahisa, J 2001) [DVD, OmU] 2

großartig

Eine Frau bespritzt einen Mann mit dessen eigenem Sperma, welches sie in eine Wasserspritzpistole füllte. Ein Mann im Plüschhasenkostüm wird nach dem Sex zum Mörder. Eine Frau pisst auf einen Teppich und ein Jahrzehnt früher nehmen die Bewohner der Wohnung plötzlich den Geruch war. Sex und Zweisamkeit sind notwendig und doch Dinge der Unmöglichkeit, wenn die Menschen für kurze Momente in die Absurdität des Lebens abtauchen, dass irgendwo in der Unendlichkeit der Zeit aufblitzt. Ein Gebet mit Körperflüssigkeiten für den modernen Menschen.

Montag 02.08.

Nomadland
(Chloé Zhao, USA/D 2020) [DCP]

ok +

Es ist die Geschichte vom Huhn und vom Ei. NOMADLAND ist Portrait von Leuten, die durch die Vereinigten Staaten ziehen, die in Caravans und umgebauten Bullis leben und die sich saisonal verdingen. Die sozialen Bedingungen kommen aber nur bedingt in den Fokus. Das, was nötig sein muss, damit Leute in Autos wohnen und als mobile Hobos arbeiten, ist größtenteils unausgesprochenes Hintergrundrauschen. Der Auftakt an einem Amazonlager im Schneetreiben muss scheinbar ausreichen, damit das Allgemeinwissen um die dortigen Arbeitsbedingungen auf den Rest vom Film abstrahlen zu lassen. Die Fratze des kontemporären Kapitalismus wird schnell vorgeführt und dann eben Fratze sein gelassen, die nicht ständig aufgezeigt werden muss. In seinen lakonisch-distanzierten Indiebildern interessiert sich NOMADLAND für die Individuen und ihrer Lebensweise. Oder um genauer zu sein für die Romantik des Ganzen. Und so bleibt eben ungeklärt, was hier die Leute auf die Straße zwang: die Not oder das Abenteuer.
Fast ausschließlich wird beim Cast auf reale Nomaden zurückgegriffen. Frances McDormand spielt die Hauptfigur, Fern, und neben ihren realen Konterparts wirkt ihr Schauspiel schrecklich affektiert – vll. liegt es an der Synchro, die ich nach Jahren des O-Ton-Hörens als sehr befremdlich empfand, aber bei den anderen Figuren hat sich dieses Gefühl des Fremdelns nicht auf sie/ihre Figuren übertragen. Während die anderen also ihre kleinen Momente haben, rückt mit Fern eine Liebesgeschichte in den Fokus, was Ferns Ei und Huhn noch diffiziler macht. Immer wieder flieht sie vor Sesshaftigkeit und Liebe, wenn Daves (David Strathairn) Avancen bei ihr nur Flucht und Frust auslösen – trotz der Gefühle, die auch sie zu haben scheint.
NOMADLAND könnte eine sehr ruhige Liebesgeschichte unter modernen Hobos – mit einer Fehlbesetzung – sein. Dass er sich nicht weiter für die Zwänge der Gesellschaft interessiert, ist auch nicht weiter dramatisch. Was es aber ist, ist die fürchterlich säuselnde Klaviermusik, die alles mit ihrer Ramschmelancholie überzieht. Sie vertreibt einem jede Lust über die Macken des Films hinwegzusehen.

Sonntag 01.08.

Spirit Untamed / Spirit – Frei und ungezähmt
(Elaine Bogan, USA 2021) [DCP]

ok

Manchmal bin ich sehr einfach gestrickt und Träume, in denen Pferde durch eine überschwemmte den Himmel spiegelnde Prärie reiten, oder Erinnerungen, in denen Frauen von einer Schwärze voll Feuerwerk verschluckt werden, versöhnen mich etwas mit der wirklich nicht schönen Computeranimation und der klischeehaften, etwas öden Geschichte eines Wildfangs, die, indem sie ein Wildpferd rettet, sich selbst rettet.

ばるぼら / Tezuka’s Barbara
(Tezuka Makoto, J 2019) [DVD, OmU] 2

nichtssagend

Nachdem ich das Manga nun gelesen habe, wirkte dies nochmal etwas öder. Mehr dazu findet sich auf critic.de, wie schon am 24.07. angekündigt.

Juli
Sonnabend 31.07.

Thor
(Kenneth Branagh, USA 2011) [blu-ray, OmeU] 2

gut

Manchmal bin ich sehr einfach gestrickt. Schon die ständig schrägen Einstellungen lassen den Eindruck bei mir entstehen, einen aufregenden Film zu sehen. Und im Gegensatz zu den drei MCU-Filmen davor interessieren mich die Figuren tatsächlich und ich fand schön, dass es so gut wie keine herumstehenden Anknüpfungspunkte an anderes gibt.

Freitag 30.07.

パンダコパンダ 雨ふりサーカスの巻 / Panda! Go Panda!: Rainy Day Circus m
(Takahata Isao, J 1973) [DVD] 2

großartig

Der erste Teil nochmal … dieses Mal mit epischen Überschwemmungen, Tigerangriffen und Zugunglücken. Immer noch ein großes Vergnügen und ein unfassbar niedlicher Film.

Jungle Cruise
(Jaume Collet-Serra, USA 2021) [DCP]

ok

Manchmal scheint es, als würde JUNGLE CRUISE alles scheuen, was weiter entferntet ist als eine nahe Einstellung oder eine Großaufnahme. Als ob er die Welt um das ewige Grinsen von The Rock und Emily Blunt nicht zeigen möchte, weil … vll. weil da zu viel CGI wartet? Weil da Monster warten, wie ein verfaulende Mischung aus Konquistador und Bienenstock oder dem Konquistador, der von Schlangen ausgefüllt ist und unter dessen Haut es schlängelt und aus dem diese hervorschießen, die beide aber neben den zuweilen alptraumhaften Bildern von Einmannzerstörungsmaschinen bei den Leuten im Film keinen Schaden anrichten und deshalb irgendwann impotent wirken? Weil es dem Film Spaß macht, eine Figur (The Rock) als schlechten Witzemacher einzuführen, ihn aber kaum schlechte Witze machen lässt, weil er immer wieder sentimental werden muss … und deshalb immer an den Gesichtern hängen muss? Alles jedenfalls nicht so erfreulich. Und einer dieser Film nachdem Cassevetes‘ FACES vll. in EIN BUNTER STRAUSS AUS VIELEN EINSTELLUNGSARTEN umbenannt werden sollte.

Street Heat / Heiße Verführung
(Ned Morehead, USA 1987) [35mm]

ok

Eine Frau betritt das Büro eines Privatdetektivs. Eine andere Frau ist verschwunden. Er soll sie wiederfinden und klappert deshalb ihre Stationen und Bekanntschaften (u.a. Jamie Gillis) ab. Ein Hardcore-Noir, in dem einmal neben den Sexhabenden ein Schatten die Wirklichkeit düster doppelt, der Schatten eines Kleiderständers mit befüllten Pistolenhalfter an der kahlen Wand. Oder in dem einmal, während vorne in der Einstellung noch ein Stecher alleine am Pool sitzt, hinter seiner Schulter dessen Bodyguard nochmal vom Gehenden zusammengeschlagen wird … wobei STREET HEAT mehr Sinn für Mise en Scène beweist als der von mir davor gesehene JUNGEL CRUISE. Aber es sind nur kurze Momente von Stilbewusstsein, die STREET HEAT gerne auch wieder vergisst und einfach nur den nächsten emotionslosen, gleichaussehenden Fick nachreicht.

Donnerstag 29.07.

パンダコパンダ / Panda! Go Panda! m
(Takahata Isao, J 1972) [DVD] 2

großartig +

Ein wirklich intensiver Mittelfinger gegen die Realität und ihren Schmerz, ihre Ödnis, ihre Gemeinheit, ihre Undurchsichtigkeit. Eine Waise wohnt ein paar Tage allein in einem Haus im Wald, weil ihre Oma zu einer Gedenkfeier muss. Zwei wilde Tiere, Papa-Panda und der kleine Pandi, sind aus dem Zoo ausgerissen und ziehen bei ihr ein. Die Welt ist dabei immer bestens und schön. (Etwas geschliffen wird Miyazaki sein Script dann später als MEIN NACHBAR TOTORO wiederverwenden.)

Old
(M. Night Shyamalan, USA 2021) [DCP, OF]

großartig +

Statt dem naheliegenden Witzen, wie viele Jahre man altert, während man Old schaut, verlässt sich mein Text bei critic.de auf einen noch naheliegenderen Kalauer.

Mittwoch 28.07.

Replicant
(Ringo Lam, USA 2001) [DVD, OmU]

verstrahlt

Ein Essay über Erziehung und den Einfluss der Eltern auf ihre Kinder, in dem ein als ausgewachsener Mann geborener Klon (Jean-Claude van Damme), der von seinem Vaterersatz (Michael Rooker) wiederholt misshandelt wird, weshalb es an einem Wunder grenzt, dass er kein Psychopath wird, sein eigentliches, von seiner Mutter verkorkstes Ich (Jean-Claude van Damme) jagt, dass dem Replikat als abschreckendes Vorbild dient und ihn auf der rechten Bahn hält. Das Ganze als Actionreißer. Ich weiß wirklich nicht, was dieser Film darstellen soll. Aber es ist toll.

Montag 26.07.

Druk / Rausch
(Thomas Vinterberg, DK/NL/S 2020) [DCP, OmU]

ok +

Dreimal kommt RAUSCH an den Punkt, an dem sich Martin (Mads Mikkelsen) zwischen Nüchternheit und Alkohol entscheiden muss. Nur die Implikationen sind jeweils andere. Beim ersten Mal ist es die Wahl zwischen lebloser Verbitterung und Befreiung, beim zweiten Mal zwischen einer neugewonnenen Belebung und Absturz, beim dritten Mal zwischen Aufrechterhaltung seiner bürgerlichen Existenz und einem bunten Leben. Aber im Grunde handelt es sich auch jeweils um die Entscheidung zwischen Familie und Freunden.
Familie ist dabei etwas Kompliziertes, das einen fertigmachen kann, das aber auch beglückt. Und Freunde stehen dagegen für stressfreien Spaß … und Alkohol, der das Leben schöner und einfacher macht, der einem aber ebenso alles andere zerstört. Oder anders: Alkohol macht erst alles besser, schöner und einfacher, bis es eine gewisse Grenze überschritten ist und er zu viel Platz im Leben einnimmt – während der Alkohol und seine Wirkungen die große Bühne bekommt, läuft die Familie nur nebenher. Die Frage ist nur, ab wann es zu viel ist und ob der Alkohol in seinen Grenzen gehalten werden kann.
Dies bildet die Ausgangsannahme und -frage, die RAUSCH für seinen Versuchsaufbau nutzt. Und bekommt dabei heraus, was reingesteckt wurde. Das Leben mit als auch ohne Alkohol sind unmöglich, so wird angenommen und vorgeführt. Und wie sich Martin eben an den drei Wendepunkten immer für den Alkohol entscheidet, so ist RAUSCH trotz eines tollen Mikkelsen sehr schematisch. Hätte es mehr Befreiendes und Unerwartetes gegeben wie die tolle Musicalsequenz, die den Film beschließt, dies hätte etwas sein können.

Sonnabend 24.07.

The Ipcress File / Ipcress – streng geheim
(Sidney J. Furie, UK 1965) [blu-ray, OF]

fantastisch

Beim 35mm-Kino in meiner Heimatstadt wird bald THE IPCRESS FILE gezeigt. Für meine dann stattfindende Einführung habe ich den Film bereits geschaut und diesen Versuch eines Werbetextes geschrieben: Die britischen Filmspione James Bond und Harry Palmer teilten sich zu ihrer Anfangszeit Produzent, Komponist und Cutter. Doch statt Karibik, Frauen und kalten Drinks bekommt Palmer (Michael Caine) in IPCRESS Büros, Papierkram und Supermarktbesuche serviert. Beide haben immer einen Spruch auf den Lippen und improvisieren sich durch ihre Hindernisse, doch Palmer ist nicht Teil eines bunten Pop-Art-Spaßes, sondern eines Paranoia-Thrillers, in dem jegliche Wärme einem steifen, eigennützigen, durchtriebenen Spionagesystem abgekämpft werden muss. Und rettet der Geheimdienstplayboy ihrer Majestät nur die Welt, bekommt es Palmer mit den Mächten des Wahnsinns zu tun, wenn dieser subtile, stillvolle Film eines Spionagealltags schließlich flamboyant durchdreht.

ばるぼら / Tezuka’s Barbara
(Tezuka Makoto, J 2019) [DVD, OmU]

ok

Den habe ich für critic.de geschaut. Ich denke, dass da bald etwas kommt. Vorher besorge ich mir aber noch das Manga, um mich von meinem Eindruck zu überzeugen bzw. abzubringen, dass dies Narrengold ist.

Freitag 23.07.

座頭市喧嘩太鼓 / Samaritan Zatoichi
(Misumi Kenji, J 1968) [blu-ray, OmeU]

ok +

Lukas F. und Filipe F. preisen SAMARITAN ZATOICHI. Ich sehe, was sie meinen, aber ich kann nicht einstimmen. Ein, zwei schöne Momente gibt es, wenn bei einem Jahrmarktswettbewerb einer Frau beispielsweise klar wird, dass die hier so unschuldig vorgeführte Virtuosität die gleiche ist, die ihren Bruder umbrachte, oder wenn ein intimer Ort mit einem Schnitt zu einem überlaufenden wird. Ansonsten folgt der Film dem Mythos der Reihe und der zunehmenden Introspektion. Es wird aber kaum etwas hinzufügt … außer das mehr denn je naheliegt, dass schöne Frauen im damaligen Japan ihre puppenartige Schönheit am besten mit Säure oder Feuer zerstören hätten sollen, um nicht in den Fokus der Missbrauchgierigen zu geraten.

Iron Man 2
(Jon Favreau, USA 2010) [blu-ray, OmeU] 3

nichtssagend

Der erste Teil nochmal, nur etwas umgestellt. So wird der Antagonist früher offenbart und in zwei Personen getrennt, in einen Strompeitschen-schwingenden Superbösewicht (Mickey Rourke) und einen Kapitalistenhampelmann (Sam Rockwell). Oder Agent Coulson (Clark Gregg) wird zu Black Widow (Scarlett Johansson) hochgepimpt. Aus der Wüste Afghanistans werden Autorennen in Monaco. Fast alle Entscheidungen gehen auf und machen die Ödnis erträglicher … aber es bleibt eben ein Film, der krampfhaft nach einem menschlichen Kern in einer Ironiemaschine (was heißt: im Film wie in seiner Hauptfigur) sucht.
Und am schlimmsten ist jeder Versuch, das MCU aufzubauen. S.H.I.E.L.D. und jeder Verweis auf andere Filme (inkl. des kurzen Werbespots für THOR am Ende) fühlen sich überflüssig und umständlich an. Als wolle ein Zeuge Jehovas die Unterhaltung ganz unbemerkt auf das Thema Religion wenden.

Mittwoch 21.07.

Blue Velvet
(David Lynch, USA 1986) [35mm, OF, ł] 5

fantastisch

Als ich BLUE VELVET das erste Mal schaute, hatte ich LOST HIGHWAY und MULHOLLAND DRIVE bereits gesehen. Ich empfand es damals als schrecklichen Rückschritt, dass Lynch hier noch nicht alles in Abstraktion und Surrealismus kippen lies, dass hier am Ende alles erklärt wird. Wenn ich BLUE VELVET heute schaue, scheint es mir, dass mein früheres Ich blind war. Weil die Dualität aus Tag und Nacht, aus sauberen und dreckigen Frauen, aus Normalität und Wahnsinn in seiner von Fetischen getragenen Darstellung schlicht unwirklich ist. Zwar wird alles auf der Handlungsebene aufgelöst und erklärt, die Inszenierung aber und wie sie die Düsternis der Nacht am Ende aus dem Film entfernt und nur das strahlende Licht eines sonnigen Nachmittags belässt, erzählt aber eine andere Geschichte. Dieses Happy End ist das Produkt eines brutalen, irrsinnigen Gewaltakts, der die Nacht und ihre Schatten nicht besiegt hat, sondern die Augen vor ihnen verschließt. Bürgerlichkeit als Leugnung aller Krankheiten, die in andere gepflanzt/gespritzt wurden und des Verlangens dies weiter zu tun. Danach sieht es aus.

Dienstag 20.07.

江戸川乱歩全集 恐怖奇形人間 / Horrors of Malformed Men
(Ishii Teruo, J 1969) [DVD, OmU]

gut +

Hirosuke (Yoshida Teruo) flieht aus einer Irrenanstalt, wo er seiner Meinung nach zu Unrecht festgehalten wird, kommt über den Umweg eines Zirkus in einer reichen Familie unter, die ihn für das verstorbene Familienoberhaupt hält, und reist von dort auf eine Insel weiter, auf der seltsame Gestalten auf ihn warten … warten, um alles zu erklären. Dieses Chamäleon eines Films zieht viele Register in Sachen Wahnsinn, Paranoia, düstere Familien-geheimnisse und deformierte Vor- und Nachfahren, hält oft dezent seine Spannung, indem es unzählige Abgründe andeutet, diese sich aber nicht verwirklichen lässt, setzt trotzdem immer wieder bunt und wild seine Vorstellung eines kinematischen Zirkus um, und endet schlussendlich mit einem ausladenden, lustfeindlichen Erklärbär, der in der letzten halben Stunde alles daran setzt, keine der Wendungen und Entwicklungen ungeklärt zu lassen.

Montag 19.07.

怪談昇り竜 / Blind Woman’s Curse
(Ishii Teruo, J 1970) [DVD, OmU]

großartig

Der Anfang ist hiermit gemacht. Unter der Kritik zu BLIND WOMAN’S CURSE bei critic.de findet sich nun eine knappe Definition des Begriffs Schangel. In wenigen Jahren laufen die Berichte von der Berlinale mutmaßlich unter dem Banner Mit dem Schangel-Shuttle in das Land des Schlocks.

Sonntag 18.07.

秋天的童話 / An Autumn’s Tale
(Mabel Cheung, HK 1987) [blu-ray, OmeU] 2

fantastisch

Einer der zentralen Filme über den heruntergekommenen Chic des Prä- Giuliani New Yorks kommt aus Hongkong und ist eine melancholische Komödie über die Ungleichzeitigkeit der Liebe, die weniger eine Geschichte erzählt als Momente ansammelt, die irgendwann über den Gefühlen der Protagonisten zusammenstürzen.

Sonnabend 17.07.

The Emperor’s New Groove / Ein Königreich für ein Lama
(Mark Dindal, USA 2000) [DVD]

gut +

Seit Wochen versuchte ich Lotti Z. (5 Jahre) zu diesem Film zu überreden. Ich machte ihn dann einfach an und schaute ihn. Kaum lief er, saß sie auch neben mir. Als der Abspann lief, griff sie zur Hülle, schaute darauf und sagte, dass wir den auch mal mit ihrer Mama schauen könnten.

The Incredible Hulk / Der unglaubliche Hulk
(Louis Leterrier, USA 2008) [blu-ray, OF] 2

uff

Verzichtshumor – wenn Bruce Banner (Edward Norton, der den ganzen Film im Dackelblick-Ich-armer-Tropf-Modus verbringt) beispielsweise mit Betty Ross (Liv Tyler) immer intensiver pettet, aber darauf hinweist, dass zu viel Aufregung (Sex) ihn verwandeln würde – ist eines der wenigen Metiers, auf die sich dieser HULK versteht.

Donnerstag 15.07.

The Fate of the Furious / Fast & Furious 8
(F. Gary Gray, USA 2017) [DVD, OF] 2

ok

Ich glaube wirklich, dass eine andere Frisur für Charlize Theron und etwas weniger Hackerkämpfe, in denen die Kontrahenten nur sagen, wie gut ihr Gegenüber ist, mich mit diesem Film aussöhnen könnten. Wo bleibt der digital-enhanced-Cut?

F9 / Fast & Furious 9
(Justin Lin, USA 2021) [DCP, OF]

ok +

Eines der im Text bei critic.de nicht erwähnten Versäumnisse des Films ist, dass die F9-Taste keine Rolle spielt. Dafür ist verlässlichen Quellen des Internets zu entnehmen, dass der nächste Teil FAST10 YOUR SEATBELTS heißen wird.

Mittwoch 14.07.

Judas and the Black Messiah
(Shaka King, USA 2021) [DCP, OmU]

gut

JUDAS AND THE BLACK MESSIAH – oder: der charismatische Fred Hampton (Daniel Kaluuya) und sein nichtssagender Gegenpart (Lakeith Stanfield). Oder noch anders: Auf der einen Seite ein völlig legitimer Kampf gegen einen rassistischen, faschistischen Staatsapparat, für den der Film kein Gegenargument bietet – die Schießereien der Black Panther mit der Polizei sind auch die eines Rebellionsactionepos –, während die Gegenseite nur weniger asketisch eingerichtete Lebenswelten bietet, bessere Kleider, bessere Restaurants. Dem Informant Billy O’Neal (Stanfield), der die Panther fürs COINTELPRO aushorcht, bekommt kaum eine Legitimation für sein Tun.
In meiner Jugend habe ich ALL POWER TO THE PEOPLE: THE BLACK PANTHER PARTY AND BEYOND gesehen. Ich weiß nicht, wie bewusst dies war, aber in dieser Doku kamen die Folgen von COINTELPRO sehr gut heraus. Aus einer einfachen, klaren, einstimmigen Erzählung wird mit der Zeit ein paranoider Wust aus sich widersprechenden Ahnungen, Vermutungen und Hörensagen. Das FBI schaffte nicht nur mit Mord und Gefängnisstrafen einzuschüchtern und zu demotivieren, sondern machte indirekt auch eine Zusammenarbeit unmöglich, da jeder ein Verräter sein konnte.
Und JUDAS AND THE BLACK MESSIAH scheint es u.a. darum zu gehen, wie wenig vonnöten ist, um diesen gerechten Kampf zu sabotieren. O’Neal wird sicherlich eine Haft angedroht, wenn er Hampton nicht ausspioniert. Wenn er aber erklärt, dass sein zuständiger FBI-Agent Roy Mitchell (Jesse Plemons) – auch vom Film als netter Mann gezeichnet, der Angst vor der Radikalität der Black Panther hat und der von J. Edgar Hoover (Martin Sheen) persönlich zu den niederträchtigen, jeder Rechtsstaatlichkeit widersprechenden Maßnahmen des FBIs durch die selben Verhörmethoden eingeschüchtert werden muss, die er an O’Neal anwendet – dass dieser Agent also sein Vorbild sei, weil er sich was leisten kann, ein beschauliches Heim hat und etwas für die USA tut, dann erscheint es wie eine faule Ausrede. Eine Ausflucht, mit der er sich einredet, dass sein Handeln nicht völlig verkommen ist. Es sind eben nur etwas Drohungen hier und eine bürgerliche Einrichtung da, die einer Masse von Gerechtigkeit und Charisma entgegenstehen. Und deshalb ist JUDAS AND THE BLACK MESSIAH in seinen besten Momenten ziemlich bitter.

Montag 12.07.

Justice League The Snyder Cut
(Zack Snyder, USA 2017/2021) [blu-ray, OF]

gut

Es ist kaum zu glauben, aber kaum ist der Bösewicht nicht nur ein ab und zu vorbeischauendes Irgendwas, schon ist das alles gleich viel Faszinierender. Was die beiden Filme zu einem Beweisstück dafür macht, dass wenn ein Filmemacher seinen Film darauf anlegt, ein großes, umfassendes Bild seiner Geschichte zu zeigen, dass dann Kürzungen den Film zwar kürzer machen, der ganze Aufbau der Geschichte und der Szenen aber nicht mehr passt. Hach, was wären die Filme von von Stroheim toll gewesen.
Schön: Aquaman ist nun nicht mehr die Lachnummer des Films. … Trotzdem finde ich nicht wirklich den Zugang zu Snyders Superhelden.

Bad Luck Banging or Loony Porn
(Radu Jude, ROM/L/CZ/CR 2021) [DCP, OmU]

ok

Zuerst ein fiktiver selbstgemachter Porno, der fast in seiner ganzen Pracht ausgehalten wird. Eine Lehrerin hat darin Sex mit ihrem Ehemann. Irgendwie ist dieser ins Internet gelangt und nun eine große Sache an der Schule. Der erste Teil des Films zeigt Lehrerin Emi Cilibiu (Katia Pascariu) beim Laufen durch die Stadt. Sobald sie aus dem Bild gelaufen ist, schwenkt die Kamera und zeigt Plakate, Häuserfronten und anders geartetes Stadtleben. Kurz: wir bekommen Schlaglichter darauf, in welcher Gesellschaft Emi lebt. In welcher Gesellschaft ihr Film entstand und in welcher er skandalisiert wird.
Der zweite Teil zeigt eine großzügige lexikalische Ansammlung von Begriffen, die dieses Gesellschaftsbild als bunte Montage vertieft. Meist ist es etwas mit Nazis oder Sex. Beide Teile operieren in einem Gestus der Freiheit – erst ist es der impressionistische Stil mit sehr wenig Dialogen und Handlung, dann eben eine Sammlung von mehr oder weniger wahllosen Dingen. Doch stets ist der Unterton präsent. Anzügliche Werbung, ignorierte Coronamaßnahmen und blank liegende Nerven im Straßenbild; Niedertracht, Perversion und eine heuchlerische Religion im Lexikon. Die scheinbar freien Diskussionsangebote drängen penetrant in eine Richtung.
Der dritte Teil, der den außerordentlichen Elternabend zeigt, in dem Emi mehr oder weniger vor einem Tribunal sitzt, spielt dann erstmals mit offenen Karten. BAD LUCK BANGING ist eine Groteske. Die Frage nach der Möglichkeit von Zusammenleben wird nicht diskutiert, sondern in einer trolligen Form in Frage gestellt. Sprich alle reden durcheinander, die Wertesysteme und Diskussionskulturen sind höchst divergent und überhaupt ist alles nur ein Karneval in der moderne, wissenschaftliche Selbstverständlichkeit auf eine antimoderne, religiöse, faschistische Selbstverständlichkeit trifft. Und irgendwie fühlt sich der Film eben nie frei an, weil seine Groteske zuvorderst auf die zweite der beiden zielt. Der dritte Teil ist der beste, aber auch nur das Äquivalent von ein paar Minuten Fox & Friends zu einem Streitthema, mit der zu Zirkusmusik gestellten Frage, ob das aushaltbar ist.

Sonntag 11.07.

Godzilla vs. Kong
(Adam Wingard, USA 2021) [3D-DCP]

nichtssagend

Alles was Kongs Kampf mit Godzilla betrifft – vor allem der Punkt, dass ein weinendes Kind die beiden (bzw. Kong) zur Besinnung kommen lässt, woraufhin sich beide aufhören wie Arschlöcher zu benehmen – ist hervorragend. Aber es sind zu viele Menschen, zu wenig, was mit ihnen angefangen wird – weiterhin an Monarch als SHIELD-Ersatz festzuhalten ist eine sich nie rentierende Last –, und der Besuch in der Welt unter der Erde bleibt leider nur ein kurzer Ausflug, so schön, dass es wehtut, dass mit ihm nichts angefangen wird. Was mich aber am meisten störte, war, dass die unwichtigste der vielen unwichtigen menschlichen Figuren, die aber trotzdem sklavisch durch den Film gezerrt und wie eine Hauptfigur behandelt wurde, dass diese mir jedes Mal einen kleinen Schock versetzt, wenn nach längerer Zeit wieder zu ihr geschnitten wurde, da Alexander Skarsgård in diesem Fall immer kurz nach Christian Lindner aussah.

Sonnabend 10.07.

Army of the Dead
(Zack Snyder, USA 2021) [stream, OmeU]

großartig

Ich war auf vieles gefasst, aber nicht auf ARMY OF THE DEAD MODERN DANCERS. Die Zombies rennen nicht nur, sie lassen keine Gelegenheit aus, um zum beherzten Sprung über Dinge anzusetzen, als gäbe es eine Rolle in Cats zu gewinnen. Superb.

Blank Generation
(Ulli Lommel, USA 1980) [DVD, OF]

gut +

Billy (Richard Hell) ist Sänger und Bassist. Sein Agent möchte ihn groß rausbringen, er empfindet es aber schon als Käfig, wenn die Zuschauer irgendwann von ihm erwarten, dass er die Konzerte seiner Band im Überdruss über seine Rolle immer wieder abbricht. Nada (Carole Bouquet), seine Geliebte, macht in durchgedrehten Szenen, wenn sie ihn beispielsweise aus seiner eigenen Wohnung wirft, wiederholt mit ihm Schluss. Und in einem Nebenplot versucht Hoffritz (Ulli Lommel) ein Interview mit Andy Warhol zu bekommen. Szene auf Szene folgt, Bild auf Bild gafft antriebslos: BLANK GENERATION kreist um die Orientierungslosigkeit von Gestrandeten, ohne dabei etwas anzustreben oder zu verdichten, außer selbst ebenso gestrandet zu sein. Ulli Lommel scheint sich als Teil der Blank Generation zu verstehen. Auch sein zweiter Warhol-Film zeigt ihn nicht als Beobachter von Jugendlichkeit, sondern als Teilhaber.

Freitag 09.07.

座頭市果し状 / Zatoichi and the Fugitives
(Yasuda Kimiyoshi, J 1968) [blu-ray, OmeU]

großartig

Dieses Mal wird weniger darüber meditiert, wie das Gute in einer niederträchtigen Welt bestehen kann, sondern wie in der allgemeinen Verbitterung bestanden wird. Selbst der Ausbund der Tugend (Takashi Shimura) wird sich dabei als verbiesterter Miesepeter offenbaren. Und deshalb geht es um doppelte Gangsterfronten, sinnlose Gewalt, Sadismus und abgetrennte Glieder.

Iron Man
(Jon Favreau, USA 2008) [blu-ray, OmeU] 3

uff

Als Sabrina Z. und ich vor wenigen Tagen FAR FROM HOME schauten, verstand sie nicht, was mit dem Blip gemeint war. Sie hatte die letzten MCU-Filme nicht mehr gesehen. Weshalb sie meinte, dass sie die gern mal nachholen wollte. …und ich trage den mir kaum erklärlichen Gedanken mit mir herum, die ganzen Phasen bis zum ENDGAME mal halbwegs hintereinanderweg zu schauen. Weshalb wir das jetzt wohl machen.
Was mich bisher davon abhielt, war das Bore-Fest IRON MAN. Er hat mich nicht ganz so genervt, wie die ersten beiden Male. Aber ich kann wirklich kaum Interesse dafür entwickeln, was darin geschieht und zu sehen ist. Diese Stufe ist nun aber genommen…

Donnerstag 08.07.

The Lion King II: Simba’s Pride / Der König der Löwen 2: Simbas Königreich
(Darrell Rooney, USA/AUS 1998) [DVD]

ok

Ein Film, der von Doppelungen und Spiegelungen besessen ist … und davon Spiegelbilder als Wirklichkeit einzuführen, die sich dann als falsch offenbaren … um zu erzählen, dass niemand in die Fußstapfen von jemanden treten muss … um selbst aus den Fußstapfen des ersten THE LION KING herauszukommen … indem er sich an diesem Vorgänger beständig abarbeitet.

Mittwoch 07.07.

Kronika wypadków milosnych / Chronik von Liebesunfällen
(Andrzej Wajda, PL 1986) [35mm, OmeU]

gut

Es beginnt mit einer Zugfahrt, die Witek (Piotr Wawrzyńczak) für den Sommer vom Internat nach Hause bringt. Der Film erzählt die Geschichte dieses Sommers und macht diese Reise zum Übergang in ein seltsames Reich. So wird Witek beim Blick in ein Abteil eines Gespenstes gewahr, das den Film über immer wieder auftauchen und verschwinden wird, dass mit seinen Erinnerungen ringt und in seinen kryptischen Sätzen von einer bitteren Zukunft kündet. Es handelt sich wohl um Witeks älteres Ich, das sich an seine erste Liebe erinnert. Es könnte sich bei diesem Gespenst aus der Zukunft durchaus um den Träger der Erinnerungen an den Sommer handeln, so entrückt das Geschehen ist, so sehr die Sonne fast durchgängig strahlt und einen verklärenden Blick auf die Jugend präsentiert. Die Bilder und der Verlauf sind aber zu klar für den um Erinnerung Kämpfenden, der da immer wieder durchs Bild läuft.
Innerhalb dieses retrospektiven Sommers wandelt Wittek zwischen zwei Orten. Direkt neben seinem Elternhaus befindet sich das Anwesen einer deutschen/deutschstämmigen Familie. Es sind alte Freunde, die nach ihm verlangen. Dort trifft er auf Medikamentenmissbrauch, Selbstverleugnung/-hass, Todessehnsucht, kurz: den süßlichen Charme des sich überlebt Habenden, eine Party zum eigenen Verfall in Zeitlupe. Er trifft aber auch die Tochter eines Arztes (Paulina Mlynarska), die halb weggeschlossen lebt, die einer besseren Klasse als Wittek angehört, die von einem Hund beschützt wird. Sie verlieben sich, müssen aber auch erst in den Umständen und mit ihrem Stolz zurechtkommen. Es sind Momente von jugendlicher Dummheit und Überschwänglichkeit, von Unsicherheit und Nervenkitzel. Auch hier entsteht Todessehnsucht, aber eher um die Liebe zu verewigen, als das Bestehende hinter sich zu bringen. Und beide irreale Reiche (die Reiche von moralischem Verfall und Glückseligkeit, von Ekel/Verankerung und Frische/Neugier) haben dabei ihre ganz eigene Form von Erotik.
CHRONIK VON LIEBESUNFÄLLEN könnte ein sehr schöner Jugenderinnerungsfilm sein, der feststeckt und nur langsam vorankommt – ein Sumpf lässt Wittek nicht los, während die gleisende Zukunft immer wieder verbaut ist. Nur handelt es sich um den Sommer von 1939 und der Krieg bzw. die Invasion von Polen kündigen sich auch immer wieder an. Soldaten laufen und reiten durchs Bild. Ein Kriegsausbruch wird angesprochen und nicht ernst genommen. Jüdische Leute dürfen immer wieder ernst in die Kamera schauen und werden traurig in ihrer noch bestehenden Welt betrachtet. Als Symbol für den unwiederbringlichen Verlust der Liebe, der Unschuld und eines ganz bestimmten Polens sind diese zeitliche Setzung und gerade die Bilder der jüdischen Bevölkerung etwas zynisch, weil ein unfassbares Leid für ein durchaus fassbares instrumentalisiert wird. Und als Marker der Schrecken des Holocaust sind diese touristischen Bilder – seht, all dies wird zerstört werden – dann ist CHRONIK VON LIEBESUNFÄLLEN etwas uninspiriert und unangenehm.

Dienstag 06.07.

Luca
(Enrico Casarosa, USA 2021) [stream, OF]

großartig

Da es das Schicksal so wollte, folgte, nachdem der Cannes-Zug durchs Dorf getrieben wurde, noch mein Text zu LUCA bei critic.de.

Sonntag 04.07.

Us Again / Noch einmal wir k
(Zach Parrish, USA 2021) [DCP]

gut

Tanzen als Ausdruck von Lebenslust. Im Gegensatz zur Animation von RAYA AND THE LAST DRAGON, bei dem Gesichter zuweilen aussehen, als können die Figuren nach einer Botoxbehandlung ihre Gesichtszüge nicht ändern, als würden sich alle Regungen hinter einer gestraften Haut vollziehen, sind es hier nicht nur die Tanzbewegungen, sondern auch die Gesichter, welche den Film tragen.

Raya and the Last Dragon / Raya und der letzte Drache
(Don Hall, Carlos López Estrada, USA 2021) [DCP]

ok +

Eine Suppe, die erst schmeckt, wenn sie Zutaten aus allen fünf Ländern der Welt von RAYA enthält, ist ein zentrales Symbol. Ein Symbol für das zwingend notwendige Überkommen von Zwietracht und nationalen Vorurteilen, da diese Welt sonst dem (ökologischen) Untergang geweiht ist. Der Abspann offenbart dann auch beim zentralen Stab und Cast einen sehr bunten Strauß aus Namen unterschiedlichster Herkunft. Ein wenig wird darin deutlich, dass bei der Produktion von RAYA AND THE LAST DRAGON sehr viel Wert daraufgelegt wurde, sich keine Kultur anzueignen und die propagierte Einigung der Nationen auch vorzuleben. Mitunter scheint es aber auch, dass sich mehr für den guten Willen interessiert wurde, als dafür tatsächlich eine divergente, aufregende Welt zu kreieren. Denn bei allen Stärken vergisst der Film sein Grundkonzept mit Leben zu füllen und aus seinen fünf Nationen mehr als beiläufige Klischees zu machen, die der Film schnell mal aufsucht und schnell wieder für viel herkömmlich Nett- und Süßigkeiten aus den Augen verliert.

Derrick (Folge 245) Ein Mord, zweiter Teil
(Alfred Weidenmann, D 1995) [DVD]

ok +

Reinecker benutzt mal wieder ein wiederkehrendes Thema: Ein Ex-Ehemann zieht, nachdem er seine Haftstrafe wegen Todschlags am Liebhaber seiner Frau abgesessen hat, bei seiner nun ehemaligen Frau und ihrem neuen Mann ein. Es ist ein Aufeinandertreffen der Gesichter, in dem Wolf Roths liebreizende Dreistigkeit Edwin Noels zaghafte Hoffnung, dass ja doch alles ganz nett gemeint sein könnte, terrorisiert. Es ist eine einfache, effektive Folge, die Reinecker mit einem Diskurs aufbauscht: Gibt es den vollkommenen Verbrecher? Die Antwort der Folge fällt gnädig aus, die Frage allein presst aber die sehr schöne, im Herzen ziemlich romantische Suche nach der Motivation der rothschen Figur in ein moralisches Schema und entkräftet sie etwas.

Sonnabend 03.07.

火燒紅蓮寺 / Burning Paradise
(Ringo Lam, HK 1994) [blu-ray, OmeU]

großartig

Ringo Lams TEMPEL DES TODES steht solitär in seinem Werk. Nicht nur, weil es den Gangsterfilmer Lam in einen Wuxia verschlägt, sondern auch, da diese Produktion von Tsui Hark von anzüglichen Kalauern durchzogen ist. Während die Kamera also immer wieder den häretischen Wahnsinn eines buddhistischen Sex- und Menschenopfertempels durchs Feuer aufnimmt, geht es auch wiederholt um Handabdrücke in Schritten und die möglichen Missetäter. Eine schöne Mischung.

Spider-Man: Far from Home
(Jon Watts, USA 2019) [3D-blu-ray, OmeU]

nichtssagend

Peter Parker wird als Nachfolger Tony Starks aufgebaut. Für das MCU ist es wahrscheinlich wichtig, mich interessiert es nicht so wirklich. Spiderman kämpft zudem gegen die Fake-News und eine Medientechnik, die wahr und falsch ununterscheidbar macht. Dies führt zu einer schönen (surrealen) Sequenz. Ansonsten sind die Dinge auf wenig aufregende Weise nicht das, was sie zu sein scheinen, und wir bekommen Schattenboxen der Illusionen, passenderweise als betriebsame Zeitverschwendung inszeniert, Kämpfe gegen Dronenprojektoren und den eigenen Vater-( bzw. hier: Onkel-)Komplex – der holterdiepolter überwunden sein wird. Und schließlich ist FAR FROM HOME der Film einer Klassenfahrt, der von Jugend und Liebe handelt. Venedig, Prag und London werden darin zu beliebigen Handlungsorten, die bestenfalls kurz als Klischees ihrer selbst durch‘s Dorf getrieben werden. (Zumindest wird nicht LONDON CALLING angespielt.) Hier ist der Film aber tatsächlich witzig und sympathisch … weshalb die Superhelden/-schurken umso mehr nerven, weil sie immer wieder das Eigentliche der Erzählung unterbrechen.
*****
Ich war hundemüde. Aber etwas können diese MCU-Filme wirklich. Es passiert viel und das, was geschieht, bedarf keiner näheren Verarbeitung. Bei so ziemlich jedem anderen Film wäre ich an diesem Abend eingeschlafen. Hier nicht. (Nur war ich gegenüber der Erfahrung FAR FROM HOME vll. etwas verdrießlicher, als wenn ich munterer gewesen wäre.)

Freitag 02.07.

Nobody
(Ilya Naishuller, USA 2021) [DCP]

ok +

Ich hätte gern diesen Film gesehen, in dem ein sachlich denkender Familienvater durch die fanatische Gewaltbereitschaft seiner Umwelt in den Wahnsinn getrieben wird. Oder dieses JOHN WICK ALLEIN ZU HAUS-Film, der NOBODY zu seinen besten Momenten ist. Wenn Bob Odenkirk und/oder Christopher Lloyd sich diebisch darüber freuen, dass Kugeln an ihren Ohren vorbeisausen und dass ihnen die Möglichkeit gegeben wird, Arschlöcher zusammenzuschlagen und selbst zusammengeschlagen zu werden. Wenn Gangster in einen präparierten Baumarkt gelockt werden. Aber bitte ohne die ständigen Zeitlupenmusikvideoactioninszenierungen, die als stilistisches Mittel schon nach dem ersten Einsatz ausgelutscht ist … oder das eben nicht so effektiv wie das Lächeln von Odenkirk respektive Lloyd ist. Zusammen ist es aber eine etwas zu selbstverliebt inszenierte Glorifizierung männlicher Ermächtigung, wenn Odenkirk als entmännlichter Mann endlich wieder das machen kann, zudem er qua Geschlecht berufen ist: Prügeln und Prollschlitten fahren.
*****
Ich hoffe übrigens sehnlichst, dass das Kino hier bald wieder Vorstellungen mit Originalton anbietet. Wenn Odenkirk stöhnte, außer Atem war oder sonst welche gutturalen Laute äußerte, dann war seine wunderbare Stimme zu erahnen … nur um in den Dialogen wieder ins nichtssagende abzugleiten. Es war teilweise kaum auszuhalten.

Donnerstag 01.07.

Monster Hunter
(Paul W.S. Anderson, D/CA/J 2020) [3D-DCP]

großartig +

Ich habe mich so sehr auf den Film gefreut und mich so gerne von ihm mitreißen lassen, dass ich nun auch den neuen Stil wertschätzen kann, wie ich bei critic.de drüben versuche zu erklären.