Under re-construction

Wie kaum zu übersehen ist, ändert Eskalierende Träume gerade sein Erscheinungsbild und teilweise auch seine Struktur. Rund ein Jahr nach dem eigentlichen Start bekommt die Seite nun endlich das Design und die Funktionen, die uns eigentlich von Anfang an vorschwebten. Natürlich klappen solche Umstellungen meistens nicht reibungslos von einer Minute auf die andere, daher bitten wir um etwas Geduld und Nachsicht während der momentanen Umstellungsphase und hoffen, dass der Relaunch der Seite und die Fehlerbehebung bis Anfang nächster Woche zufriedenstellend abgeschlossen werden kann. Sobald das geschehen ist, werden wir außerdem eine Serie von Artikeln starten, in der wir eine Auswahl aus unseren deutschen Lieblingsfilmen, die meisten davon eher abseits des Filmgeschichtskanons, präsentieren.

Das Joch cineastischer Selbstdisziplin…

… spontan untersucht am Beispiel von CAPOTE (2005).

Capote1

Es funktioniert eben doch so gut wie nie. Das mit dem „einen Film absichtlich schlecht finden“. Jedenfalls nicht mehr bei mir. So gut wie nie mehr. Mit eiserner Disziplin habe ich für zwei Jahre versucht, eine Technik zu entwickeln, die es mir erlaubt, alle eventuell vorgefassten Meinungen, Vorurteile, Erwartungshaltungen, Prinzipien zur Beurteilung filmischer Qualität, naheliegende Vergleiche, aus denen sich Erwartungshaltungen speisen könnten und eben all diese ganzen schönen Bretter vor dem Kopf mit Aufblenden des Projektors oder Drücken der „Play“-Taste über Bord zu werfen und mich völlig in die Hände des jeweiligen Filmes zu begeben, um ihm die Chance zu lassen meine Gedanken zu formen und nicht umgekehrt. Gelegentlich bezeichne ich mich daher auch scherzhaft als „Film-Hure“, die alles nimmt. Bisherige Versuche, dieses „Prinzip gegen Rezeptionsprinzipien“ anderen Cineasten zu erklären, schlugen weitgehend fehl und ich möchte mich damit hier auch gar nicht aufhalten (viel zu kompliziert!), denn es wurde mir sogar schon vorgeworfen, mich von der Filmrezeption auf die Rezeptions-Rezeption zu verlagern und manchmal kann man einfach nicht anders, als die Lästermäuler durch Schweigen zum Schweigen zu bringen. Und manchmal, trotz all der wundersamen Überraschungen und der grenzenlosen Freiheit von Gedanken und Assoziationen die dieser sich inzwischen gänzlich in einer diffus blubbernden Gedankensuppe verselbstständigte Rezeptions-Ansatz mir gebracht hat und mit der sich meine Sicht aufs Kino radikal verändert hat (sowas klingt immer schön und flach weswegen man beim dreschen derartiger Phrasen immer gerne darauf hinweist, dass man sie nur bei genuinen Anlässen drischt), verwünsche ich ihn fast.

Denn wo ist sie nur hin, die geliebte einstige Selbstdisziplin, mit der ich meine, nennen wir es mal ganz profan „Meinungsbildung“, lenken und manchmal auch geradezu domptieren konnte? Was, wenn meine Rezeption tatsächlich, wie auch schon unterstellt, ein wenig zu beliebig, zu wohlwollend, zu unkritisch, zu diffus geworden ist?

Zu meiner eigenen Genugtuung überwiegt die meiste Zeit die Erleichterung darüber, dass ich mich von oben beschriebenem Ballast befreien konnte, der exzessive Genuss der Vorzüge und die geheime Sehnsucht, dass dieses Rezeptions-Modell unter Cineasten vielleicht mal mehr in Mode kommen könnte als es jetzt der Fall ist. Nicht mit mir als Missionar, oh nein! Lediglich, um Filmen mehr Spielraum zu gewähren, die ihn unter den üblichen Vorraussetzungen nicht bekommen. Und da will ich auch gar nicht zu schrill sein sondern mir beispielsweise nur wünschen, dass ein paar mehr Leute Jess Franco gelegentlich auch als ernstzunehmenden Künstler in Betracht ziehen denn angeblich einige nerdige französische Filmkritiker (diese ominösen französischen Filmkritiker sind schon beinahe ein mystisches Klischee für sich, dass man immer nach Belieben zitieren kann, ohne konkret zu werden, nicht wahr, lieber Filmdienst?). Warum schreibe ich all das mit „Capote“ als Beispiel, einem Film der von vorne bis hinten gängigen Vorstellungen von anspruchsvollem Qualitäts-Kino entspricht?

Gerade deswegen eben! Hat mich diese Öffnung – mit der ich nach eigener Einschätzung noch bei weitem nicht an meine Grenzen gestoßen bin da ich mich regelmäßig dabei ertappe, beispielsweise über einen meiner werten Mitautoren hier zu schmunzeln, wenn er in Unverständnis über die Reputation eines durchweg anerkannten Klassikers die Stirn runzelt oder einen obskuren Hongkong-Actionfilm aus den 70igern mit Eisenstein vergleicht – vielleicht verletzlicher gemacht für Manipulation, den segensreichen Fluch des Kinos, den wir ebenso faszinierend wie, in Cineastenkreisen zumindest, auch gelegentlich beängstigend finden? Bin ich am Ende dank dieser Veränderung meiner Rezeptionshaltung wieder genau in dem Stadium angekommen, dessen Kreation ich noch vor etwas mehr als drei Jahren so lautstark als die Todsünde des Hollywood-Kinos beschimpfte, im Zustand williger Manipulierbarkeit für gefälligen Eskapismus und emotionale Prostitution?

Mit Hollywood-Kino beziehe ich mich hier, natürlich, primär auf die letzten 20 bis 30 Jahre, größtenteils. Auch ein springfreudiger Cineast, der zwischen den Dekaden, zwischen Ton- und Stumm-, Farb- und Schwarzweiß-, Vollbild- und Breitwandfilm nach Herzenslust hin- und herhüpft, ist doch ein Stück weit als Filmgucker in seiner eigenen Zeit verankert (wäre es erschreckend oder vorteilhaft, wenn nicht? Das wäre eine andere interessante Frage, die man beliebig erweitern und hypothetisch auseinandernehmen könnte).

Es wäre verführerisch ersteres Kino („gefälliger Eskapismus“) ins Feld zu führen, beispielsweise mit dem von mir kürzlich gesichteten und (vielleicht, aber nicht notwendigerweise dank akutem Filmentzug für Wochen) erheblich genossenem „V for Vendetta“. Weiterlesen…

„Halloween“ (1978)/„Assault“ (1976) sive de mali subsistentia

Multifariam et multis modis olim Veritas loquens patribus in prophetis novissime diebus istis locutus est nobis in alio quodam Carpentario, qui ominosum nomen suum certe derivatum habet ab ipsa professione dominica Latinis quidem ‘fabri’, Anglosaxonicis modernis autem ‘Carpentarii’ nomine designata. Sicut enim Dominus ipse prophetarum vice terram Palaestinae digressus est et populo suo paradoxam quandam entitatem sensibus humanis nullo modo sufficienter comprehensiblem, entitatem mali sive peccati eorum dico, ad oculos demonstravit, ita et novissimis diebus nova species prophetae orta est non iam illustri voce praedicationis, sed potius ipsa imagine nitens, ut non solum uni populo, sed omni terrae istius entitatits sive quasi-entitatis admirabile aenigma eo clariore modo illustretur. Qualiter enim subsistere possit id, quod ab omnibus ‘malum’ vocatur, cum omnis creatura bona et seipsi familiaris et desiderata esse debet, longius a philosophis disputata et quaesita est, maxime a Plotino et Proclo Neoplatinicis qui mali (Plotinus) sive malorum (Proclus) subsistentiae tractatus gravissimi ponderis dedicaverunt.

Plotin

His duobus unum quidem firmissime constat naturam mali non solum ad mores humanas pertinere, sed radicem illius in dispositione ipsius universatis quaerendam esse, cui triplex malum Leibnitii (non solum morale, sed et metaphysicum et physicum) inevitabiliter inhaerere deberet. Tali consideratione diadochus Platonicus Proclus inde perductus est, ut realitatem mali quamvis absurdam et paradoxam totaliter negaret et illi nonnisi praeterexistentiam, parhypostasin, concederet. Secundum hunc didadochum, qui certe metaphysicam mali vel potius malorum conceptionem summa cohaerentia et consequentia elaboravit, quae vocantur mala solum ad individua sublunaria pertinent, quorum detrimentum autem ad conservationem universi valde necessarium et inde sub specie totius neque malum putandum est. Plotinus econtra, plus Platonicis quam Aristotelicis studiis, quos Proclus in hac quaestione persecutus est, imbutus, determinare et designare temptavit quandam quasi-identitatem naturae mali, qualem semper habet et exercit, quamquam a vertitate entis et identitatis suam originem non traxit. A Platonis Chorae, loci generationis dico, in Timaeo et Peniae in Symposio descriptione igitur inspiratus mali naturam invenit in ultima privatione formarum et entis in genere, in insatiabili indigentia ultimae umbrae ab animae luce intellectuali et ontologica necessarie creatae. Quales speculationes, quamvis ad intelligendam recentis Prophetae intentionem perutiles, tamen aliquali modo corrigendae sunt, ut praedicationi primi et ultimi sicut et novissimi Carpentarii adaptentur. Generalis consensus tamen cui eorum omnium considerantiones paene unanime favent, sequentibus tribus propositionibus potest exprimi:

 

Entitas mali est eius non-entitas

 

Realitas sive entitas proprie dicta numquam potest malo convenire, quia malum eo ipso non est desiderabile, neque proprie a voluntatibus humanis sive animalium instincto, neque metaphorice a viribus naturalibus. Quare malum per se neque potest habere causam, et quia nihil sine causa in ordine entium nullo modo cadit. Haec inexplicibilitas mali a novissimo Carpentario summo ingenio in suis duobus clarissimis operibus describentibus sive universam massam perditionis omnem crudelitatem sine omni causa urgentem (Assault) sive modo iam significantiore unicam personam homicidae lunatici, qui tamen omni respectu motivatione psychologica totaliter carens omnino impersonaliter et necessarie agit (Halloween), quae descriptio etiam tangit intimam apostoli Pauli de peccato conceptione substantiam: Si qui facit peccatum servus est peccati et numquam libere agit, exprimitur nihil nisi hoc ipsum, quod malum non est obiectum voluntatis iuxta bonum in arbitrio nostro positum, sed potius quaedam occulta vis numquam cadens in ordine obiectorum sive entium et tamen semper dominans actiones deplorabilis lapsi hominis.

Assault

 

Identitas mali est eius non-identitas

 

Quaestione de entitate mali iam difficilior apparet ea de identitate mali, quia identitas secundum Platonicos ibi maxime Parmenidem sequentes solius entis veri est praerogativa. Sicut unica sanitas ad multiformas aegritudines comparata, ita et malum debet esse mutliforme et numquam sibi idem sive aequale comparatum ad unicum bonum et unum. Sed Platone iam concedente in illustri loco Theaeteti malum semper necessario moralem naturam pervagari Plotinus illi saltem quasi-identitatem insatiabilis et intransformabilis defectus et absolutae privationis attribuit absoluto bono semper quandam contrarietatem postulante. Utrum hoc tamen possint nota mali phaenomena tam pulchre a duobus, ut ita dicam, Carpentariis descripta, sufficienter explicari, certe dubitandum est, cum utrique supponunt sponanietatem, immo quandam obscuram, sed tamen omnibus notam personalitatem mali, homicidae dico et mendacis ab initio Diaboli. Malum itaque quodam modo nominabile et omni modo recognoscibile Carpentarii Halloween optime descripsit, ubi de nomine mali (Michael Myers) omnes conveniunt et etiam actiones eius omnes praescire debuissent. Sed quia essentia Diaboli in hoc ipso constitit, quod omnes de eo noverunt ad portam apparentem tamen numquam recogoscunt sive recognoscere volunt, incolas urbis Haddonfield eruptio mali tam subito et impraedicibili modo aggressus est quam officiarios in urbe Anderson. Dum enim Halloween potius identitatem sive recogniscibilitatem mali pertractat, Assault elaborat eius aspectum apocalypticum: Ibi adventus eius non pluribus decenniis praedicibilis neque stato die ipsius horroris accidit, sed sicut fur in nocte, subita et globalis eruptio et unda omnes homines in mutua crudelitate accendit et seperabitur homo adversus patrem suum et filia adversus matrem suam et nurus adversus socrum suam et inimici homines domestici eius.

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Zitat der Woche

„Wenn der Tod der VHS-Kassette nicht gebührend betrauert wird, dann aus Geringschätzung des Unbeabsichtigten ganz allgemein. Es gibt auf manchen alten Bändern dieses krude „Hintendran“ und „Zwischendrin“, das beim Überspielen ungewollt entsteht. Durch brodelnde Spratzer hindurch, aus elektrischen Wogen tauchen die Enden von Filmen auf, die man nie mehr sehen wollte. Wie Gespenster spotten sie: „Du wolltest mich vergessen, aber hier bin ich.“ Und manchmal freut man sich sogar. Die Rückseiten von Zeitungsausschnitten sind meist interessanter als die Vorderseiten, hat Farocki mal geschrieben. Wer, anders als die davon schweigende Mehrheit, seinen Videorekorder tatsächlich auch zum Aufnehmen zu gebrauchen weiß, der ist im Besitz solcher Kassetten, in denen sich Filmschlüsse abgelagert haben wie Erdschichten. In Stufen liegt da der Wandel im persönlichen Filmgeschmack offen zu Tage. Lehm, Kalk, Kohle und Erz.“

zitiert nach: Rainer Knepperges: Die Tiefe der Schublade, aus: SigiGötz-Entertainment, Die dreizehnte Wiege, München, Februar 2008. S. 17.

Die aktuelle Ausgabe von SigiGötz-Entertainment mit – unter anderem – einem Überblick über den deutschen Genrefilm seit 2001 (eine schöne Ergänzung zum Kanon des deutschen Films aus Ausgabe 12) und einem manchmal schockierenden Rückblick auf die Bewertungstabelle der FILMKRITIK kann man hier bestellen.

Sex, Gewalt und Politik auf japanisch

Shonen

 

Zurzeit findet im österreichischen Filmmuseum noch bis zum 30. November eine umfangreiche Werkschau des japanischen Filmregisseurs Nagisa Oshima statt. Sie umfasst (beinahe) alle Kinofilme, sowie einen seiner zahlreichen Fernsehfilme. Zeitgleich zum Auftakt der Retrospektive, veröffentlichte der österreichische Film- und Videovertrieb polyfilm am 06. November den ersten Titel  einer 22 Filme unfassenden Reihe „Japanische Meisterregisseure“ auf DVD: Oshimas „Das Grab der Sonne“ (1960). Die ersten 4 Filme der Reihe sind Oshimas Schaffen gewidmet und sollen noch dieses Jahr erscheinen, darunter mit „Die Nacht des Mörders“ (1967) auch eine weltweite Erstveröffentlichung auf DVD.

Zum Auftakt der Retrospektive sprachen Olaf Möller und Roland Domenig vor der Vorführung von Oshimas „Nacht und Nebel über Japan“ (1960) über das vielschichtige Werk des inzwischen 77-jährigen Veteranen des japanischen Kinos, der aufgrund mehrerer erlittener Schlaganfälle wohl nicht mehr in der Lage sein wird weitere filmische Arbeiten zu vollenden. Oshimas Regietätigkeit erstreckte sich von 1959 bis ’99 und umfasste ein breites Ausdrucksspektrum, vom Animationsfilm über assoziativ-essayistische Ansätze bis zum „reinen“ Dokumentar- und Spielfilm. Obwohl er in den 60er und 70er Jahren unter Kennern im In- und Ausland allgemein als wichtigster Vertreter einer neuen Generation von jungen japanischen Filmschaffenden galt, die unter dem vielschichtigen Label der „Neuen Welle“ weltweit Anerkennung fanden, ist sein heutiger Einfluß wohl eher gering einzuschätzen. In Japan fand sich bis zum Erscheinen Takashi Miikes kaum ein Filmemacher der in der Lage gewesen wäre die innovativen formalen und inhaltlichen Konzeptionen von Oshimas Kino weiterzuführen. Im Ausland wurde wiederum lediglich wenigen ausgewählten Filmen der Weg auf Festivals und Kinoleinwände ermöglicht, so dass sich die Vielschichtigkeit seines Werkes den meisten Filmliebhabern nicht erschließen konnte. Oszillierend zwischen sinnlichem Rausch der Extreme und asketischer Sezierung sozialer Zustände, war Oshima immer bereit das Experiment und die Uneinheitlichkeit zu suchen.  Die Heterogenität als Konzept, die Vielfalt als Programm verfolgend lassen sich seine Filme im Niemandsland zwischen Genrekinoinspirierten Sex & Crime-Geschichten und abstraktem Kunstfilm einordnen. Das viele von Oshimas Filmen auch heute noch einen „Skandal“ darstellen da sie nur wenig ihrer gesellschaftlichen und ästhetischen Relevanz eingebüßt haben, muß vielerorts erst noch erkannt werden. Wie bei so manchem ehemals hochgelobten Regisseur gilt auch hier: Mittlerweile muss man Ōshima regelrecht wiederentdecken.“

Persönlich habe ich Oshima vor ziemlich genau zwei Jahren auf der Viennale im Rahmen der genialen Retrospektive Der Weg der Termiten (kuratiert von Jean-Pierre Gorin, einem noch um vieles unbekannteren renommierten Filmemacher) durch „The Man Who Left His Will on Film“ (1970) für mich „wiederentdeckt“. Nicht zuletzt wegen der brillanten Filmkopie geriet die Vorstellung im Saal des Filmmuseums für mich wohl zum bemerkenswertesten Kinoerlebnis des Jahres. Ich würde dieser Tage sehr gerne noch einmal nach Österreich reisen um wieder einen Oshima im Kino sehen zu können. Leider wird das aus zeitlichen und finanziellen Gründen diesmal wohl eher nicht klappen. Daher bedanke ich mich an dieser Stelle noch einmal schriftlich bei den Verantwortlichen von Polyfilm mit deren Veröffentlichungen ich mir (neben zahlreichen Western) den Winter vetreiben werde. Den ersten Film habe ich heute bereits gekauft.

Running in Madness, Dying in Love

 

Der Tod als Flucht. Die Bewegung als Flucht. Der Gedanke als Flucht.

 

 

Der Film ist gezeichnet von Fluchtbewegungen, von der geistigen Impotenz bzw. der Omnipotenz seiner geprägten Strukturen, letzten Endes von der Unmöglichkeit der Flucht vor sich selbst.

Die Verzweiflung als Zustand des Menschen in der Welt, folgt aus der Identifizierung mit der zugewiesenen oder auserwählten gesellschaftlichen Rolle innerhalb dieser, endet aber nicht in der Erkenntnis der Verflechtung mit den Menschen, sondern manifestiert sich zum dauerhaften Problem des „das ist so gewesen“. Die Macht des Tabus wirkt über Generationen, lässt sich auch rationalisieren, passt sich den jeweiligen Glaubensstrukturen an.

 

 

Sünde als Erfindung der Gesellschaft. Schuld als regressives Verhalten. Die Unfähigkeit Dinge zu sehen wie sie sind. Der Zwang nach Sinn und Struktur. Moral als Repressionsmittel der Macht. Das Tabu als Grundlage der Moral. Nicht richtiges handeln, sondern das Falsche definiert sie. „Du sollst nicht“, statt „du sollst“. Sozial legitimiertes moralisches Handeln leitet sich somit aus der Vermeidung des Unmoralischen ab.

 

 

Der Film zeigt das Ende der Utopien die mit den japanischen Studentendemonstrationen der 60er einhergingen. Der Machtlose ist an seine Machtlosigkeit gefesselt, wie das Kind an die Mutter. Nicht der Mensch stützt sich gegenseitig, sondern das Glaubenssystem in das man hineingeboren wurde bietet Halt. Gewalt als legitimer Akt der Mächtigen – Gewalt braucht Legitimation. Wo diese fehlt, fehlt die Struktur, fehlt der Halt.

 

 

Wie kann man ein Anderer werden? Bei Wakamatsu ist das kaum möglich. Die Vergangenheit lässt sich nicht abschütteln.

Das ist das wirklich schockierende an den Filmen Wakamatsus – die Darstellung einer kollektiven Psychose in der wir alle gefangen sind, ohne Lösung, ohne Ausflucht, ohne Katharsis. Durch den eigenwilligen formalen Aufbau wird diese klaustrophobische Situation noch unterstützt. Das scheinbare Aufbrechen klassischer Regeln und Strukturen, ohne jedoch selbige grundsätzlich in Frage zu stellen. Denn erzählt wird eben doch. Immer noch. Ein Zwang eben. Eine Flucht.

 

 

Die Rebellion geschieht dann auch nicht unbedingt auf der Ebene der Figuren, sondern auf der Ebene des Films. Im Nachklingen, im sich nicht vollständig erklären lassen wollen, im verweigern eines sauberen Abschlusses. Gerade durch die Erkenntnis der Zwänge und Beschränktheit menschlichen Handels und ihrer Zurschaustellung, wird es dem Zuschauer möglich Zusammenhänge zu verstehen die die Protagonisten nicht überblicken, Wahrheiten auszuhalten an denen die Figuren zerbrechen. Die Rebellion als Utopie – nach dem Film.

 

Kyôsô jôshi-kô – Japan 1969 – 72 Minuten – Regie, Produktion und Schnitt: Kôji Wakamatsu – Drehbuch: Masao Adachi, Izuru Deguchi – Kamera: Hideo Itoh – Musik: Takehito Yamashita – Darsteller: Ken Yoshizawa, Yoko Muto, Rokko Toura, Hatsuo Yamaya, Shigechika Sato, Masao Adachi