Sex, Gewalt und Politik auf japanisch
Zurzeit findet im österreichischen Filmmuseum noch bis zum 30. November eine umfangreiche Werkschau des japanischen Filmregisseurs Nagisa Oshima statt. Sie umfasst (beinahe) alle Kinofilme, sowie einen seiner zahlreichen Fernsehfilme. Zeitgleich zum Auftakt der Retrospektive, veröffentlichte der österreichische Film- und Videovertrieb polyfilm am 06. November den ersten Titel einer 22 Filme unfassenden Reihe „Japanische Meisterregisseure“ auf DVD: Oshimas „Das Grab der Sonne“ (1960). Die ersten 4 Filme der Reihe sind Oshimas Schaffen gewidmet und sollen noch dieses Jahr erscheinen, darunter mit „Die Nacht des Mörders“ (1967) auch eine weltweite Erstveröffentlichung auf DVD.
Zum Auftakt der Retrospektive sprachen Olaf Möller und Roland Domenig vor der Vorführung von Oshimas „Nacht und Nebel über Japan“ (1960) über das vielschichtige Werk des inzwischen 77-jährigen Veteranen des japanischen Kinos, der aufgrund mehrerer erlittener Schlaganfälle wohl nicht mehr in der Lage sein wird weitere filmische Arbeiten zu vollenden. Oshimas Regietätigkeit erstreckte sich von 1959 bis ’99 und umfasste ein breites Ausdrucksspektrum, vom Animationsfilm über assoziativ-essayistische Ansätze bis zum „reinen“ Dokumentar- und Spielfilm. Obwohl er in den 60er und 70er Jahren unter Kennern im In- und Ausland allgemein als wichtigster Vertreter einer neuen Generation von jungen japanischen Filmschaffenden galt, die unter dem vielschichtigen Label der „Neuen Welle“ weltweit Anerkennung fanden, ist sein heutiger Einfluß wohl eher gering einzuschätzen. In Japan fand sich bis zum Erscheinen Takashi Miikes kaum ein Filmemacher der in der Lage gewesen wäre die innovativen formalen und inhaltlichen Konzeptionen von Oshimas Kino weiterzuführen. Im Ausland wurde wiederum lediglich wenigen ausgewählten Filmen der Weg auf Festivals und Kinoleinwände ermöglicht, so dass sich die Vielschichtigkeit seines Werkes den meisten Filmliebhabern nicht erschließen konnte. Oszillierend zwischen sinnlichem Rausch der Extreme und asketischer Sezierung sozialer Zustände, war Oshima immer bereit das Experiment und die Uneinheitlichkeit zu suchen. Die Heterogenität als Konzept, die Vielfalt als Programm verfolgend lassen sich seine Filme im Niemandsland zwischen Genrekinoinspirierten Sex & Crime-Geschichten und abstraktem Kunstfilm einordnen. Das viele von Oshimas Filmen auch heute noch einen „Skandal“ darstellen da sie nur wenig ihrer gesellschaftlichen und ästhetischen Relevanz eingebüßt haben, muß vielerorts erst noch erkannt werden. Wie bei so manchem ehemals hochgelobten Regisseur gilt auch hier: „Mittlerweile muss man Ōshima regelrecht wiederentdecken.“
Persönlich habe ich Oshima vor ziemlich genau zwei Jahren auf der Viennale im Rahmen der genialen Retrospektive Der Weg der Termiten (kuratiert von Jean-Pierre Gorin, einem noch um vieles unbekannteren renommierten Filmemacher) durch „The Man Who Left His Will on Film“ (1970) für mich „wiederentdeckt“. Nicht zuletzt wegen der brillanten Filmkopie geriet die Vorstellung im Saal des Filmmuseums für mich wohl zum bemerkenswertesten Kinoerlebnis des Jahres. Ich würde dieser Tage sehr gerne noch einmal nach Österreich reisen um wieder einen Oshima im Kino sehen zu können. Leider wird das aus zeitlichen und finanziellen Gründen diesmal wohl eher nicht klappen. Daher bedanke ich mich an dieser Stelle noch einmal schriftlich bei den Verantwortlichen von Polyfilm mit deren Veröffentlichungen ich mir (neben zahlreichen Western) den Winter vetreiben werde. Den ersten Film habe ich heute bereits gekauft.
Diesen ersten Film (Das Grab der Sonne) gestern wiedergesehen (beim ersten Mal vor Jahren auf VHS, Vollbild, kaum noch Erinnerungen außer an die ein bisschen morriconesque Musik): ein unglaublich finsterer und radikaler Film, Bild für Bild wird das klassische japanische Kino (Ozus Bahngleise, Mizoguchis leidende Frauen etc) erst evoziert und dann zerstört. Kaum zu glauben, dass der noch zu Lebzeiten Ozus entstand.
Mittlerweile ist die Reihe vor der Veröffentlichung der 11 Ozu-Filme, die ja eigentlich als „Herzstück“ geplant waren, eingestellt worden. Schade, dass die Reihe da ausgerechnet vor dem Erscheinen der Filme des kräftigsten Zugpferdes (selbst im japanische Filmgeschichte komplett ignorierenden Deutschland) beendet werden musste. Ich hätte mir schon vorstellen können, dass Ozu, der selbst in Teilen des Bildungsbürgertums noch irgendwie bekannt sein müsste, da etwas Geld in die Kassen hätte spülen können. Aber Oshima, Kinoshita oder Nomura scheinen in Deutschland so ohne jede Bedeutung zu sein, dass es einfach nicht mehr gereicht zu haben scheint. Irgendwie ja auch typisch, dass polyfilm ein österreichisches Label ist, und die DVDs in Deutschland nur weitervertrieben wurden, ansonsten hätte man auf Veröffentlichungen hierzulande wohl noch sehr lange warten können.
Dass es in D eine Vielzahl an engagierten japanischen und asiatischen Filmfestivals gibt, dass von neueren Veröffentlichungen immer noch verhältnismäßig viele Mainstreamfilme auf DVD erscheinen (wobei ich mir auch nicht sicher bin, ob sich das mittlerweile geändert hat, bin was DVDs angeht schon lange nicht mehr gut informiert), dass aber sobald man ein bißchen in der Zeit zurück geht fast gähnende Leere herrscht (abgesehen von der Lücke, die polyfilm gefüllt hat), weil die Filme offenbar gar nicht ziehen, verstehe ich nicht so ganz.
Bei Trigon-Film in der Schweiz sind einige Ozus mit deutschen Untertiteln erschienen, vielleicht kommen da ja noch mehr?
https://www.trigon-film.org/de/shop/DVD
Das ist natürlich erst einmal sehr schade. Aber ich muss auch gestehen, dass ich mir von den Ozus keinen gekauft hätte, ich von den bisherigen Veröffentlichungen hingegen alle Titel haben möchte. Von Ozu gibt es denke ich einfach bessere und umfangreichere Editionen der Filme im Ausland (und Polyfilm wäre mit 20 Euro im Vergleich auch nicht wirklich billiger gewesen), und mit der Aktion vom BFI, die demnächst alle 32 erhaltenen Ozus auf Blu-Ray rausbringen wollen (und ich bin sicher, damit auch finanziell Erfolg haben werden), hat sich für mich Ozu erstmal erledigt, was Neuanschaffungen auf DVD angeht (und ein paar seiner Filme besitze ich ja schon auf DVD).
Ich kann mir daher vorstellen – obwohl ich ebenfalls davon ausgehen würde, dass sich die Ozu-Filme im deutschsprachigen Gebiet am besten verkauft hätten – dass die Entscheidung von Polyfilm die Ozus nicht mehr zu veröffentlichen, auch im Hinblick auf Auslandsveröffentlichungen zu sehen ist. Dass die Reihe insgesamt sich finanziell nicht lohnen würde, davon bin ich schon im Vorfeld ausgegangen. Daher finde ich es umso lobenswerter, dass Polyfilm zumindest die ersten drei Filmemacher wie geplant veröffentlicht hat. Und ich denke, wenn die 11 Titel noch eine Weile im Verkauf bleiben, und die Rechte für Ozu wieder abgetreten worden sind, könnte das bisherige Minusgeschäft letzten Endes etwas positiver ausfallen. Ich glaube, dass die Veröffentlichung der Titel so schnell aufeinanderfolgte, dass viele Leute die im Prinzip gerne alle Titel besitzen würden, nicht auch jeden Monat 20 – 40 Euro dafür reservieren wollten.
Ansonsten könnte man noch viel spekulieren (hätten z.B. englische UT etwas gebracht?), aber ich denke Polyfilm hat hier die richtige Entscheidun getroffen. Bei asiatischen Filmen im Allgemeinen denke ich, dass sie auf dem deutschen markt wenig Chancen haben, und es hierzulande eben immer nur kurze „Gegentrends“ gibt, die aber rasch im Sande verlaufen. Im Gegensatz zu manch anderen Kontinenten oder Gebieten (Afrika, Lateinamerika, Osteuropa) verkaufen sich asiatische Filme auf DVD in Deutschland immer noch glänzend, und auch das Angebot ist hierbei wesentlich größer.
Was mich in Deutschland wirklich frustriert, ist die Tatsache, dass es auch wenig Veröffentlichungen zum deutschen Film gibt, und sich auch die Filmmuseen in dieser Richtung (nach Außen?) wenig interessiert geben. Eine Reihe wie die BFI Flipside Edition – nach einem Gespräch mit Christoph waren wir uns beide einig, dass so etwas in Deutschland undenkbar wäre. Die Österreicher haben es zumindest mit ihren „Standard-Editionen“ vorgemacht, und das Österreichische Filmmuseum scheint mir da auch wesentlich engagierter.
Die Trigon-DVDs sind sehr zu empfehlen, und ich könnte mir vorstellen, dass da noch 1 oder 2 Ozus folgen könnten.
Dem Lukas habe ich ja ganz vergessen zu antworten…
Habe „Das Grab der Sonne“ auch nur vor Jahren auf ner schäbigen VHS gesehen, aber (ich glaube mich zu erinnern) zumindest in Scope. War wahrscheinlich meine erste Begegnung mit Oshima, und da ich damals Suzuki viel interessanter fand, auch keine die mir besonders positiv in Erinnerung geblieben ist.
Dass so ein „dreckiger“ Film 1960 gedreht werden konnte, finde ich aber inzwischen auch bemerkenswert. Habe die Zweitsichtung immer noch nicht in Angriff genommen (die DVD auch seit geraumer Zeit verliehen), erwarte aber diesmal vom „Grab der Sonne“ übermannt zu werden. 🙂