RE: John Frankenheimer

Abgespalten aus dem Kommentarbereich meines Sehtagebuchs aufgrund extraordinärer tagescinepolitischer Relevanz.

Happy Harry mit dem Harten schrieb on October 9th, 2010 at 03:03:

Sehr interessante Bewertungen zu Frankenheimer, machen richtig Lust es dir gleich zu tun und eine kleine Retro einzulegen. Bin mal gespannt, wie dir “Seconds” (sonst kenne ich nur noch “Ronin” und “Der Zug”) gefällt, in meinen Augen einer der progressivsten amerikanischen Filme der 60er und wirklich mal ein völlig unter Wert verkauftes Meisterwerk, so unbekannt wie der heute ist. “Harry Crown” wird jedenfalls schnellstmöglich geschaut. Gibt es vielleicht auch was schriftlich dazu? “Reindeer Games” und “Prophecy” kommen ja meist nicht so gut weg wie bei dir…

Eigentlich ist das gar keine Frankenheimer-Retro, die ich da veranstalte, sondern nur das Resultat der cineastischen Offenbarung, die mir ganz unerwartet und aus heiterem Himmel 99 AND 44/100 % DEAD und THE MANCHURIAN CANDIDATE (den ich mir aus Begeisterung für ersteren gleich am nächsten Tag angesehen habe) beschert haben. Nach einer Woche Frankenheimer bin ich völlig geplättet und glühe vor Begeisterung.
Aber gleichfalls ein wenig vor Enttäuschung: Der Mann muss einer der unterbewertetsten und auch missverstandendsten (was die Filme angeht, die keinen „Klassiker“-Status erreicht haben, angeht) amerikanischen Filmemacher überhaupt sein, den ich jetzt, ohne zu zögern, in einem Atemzug mit Hitchcock, Kubrick, Scorsese, Huston, Ford etc. nennen würde. Ich hatte mich nie für ihn interessiert, leider und glücklicherweise, denn die Zeit war, glaube ich erst jetzt reif für mich, ihn zu entdecken. Vor letzter Woche kannte ich nur ein Stück von BIRDMAN OF ALCATRAZ und GRAND PRIX, den ich ziemlich mochte, der mich allerdings auch nicht neugierig auf seinen Regisseur gemacht hatte, als ich ihn vor zwei Jahren überwältigenderweise auf 70mm sehen konnte. Und den hochgradig eigentümlichen THE HOLCROFT COVENANT, der mich vor einem Monat etwas neugieriger gemacht hat, den ich aber immer noch ein wenig in die Kategorie „Betriebsunfall“ eingeordnet hatte. Ich hielt es eben nicht so recht für möglich, dass dieser John Frankenheimer vielleicht ein subversives Spielkind im Kino-Sandkasten sein könnte – ich hatte mit seinem Namen immer nur solides “Craftmanship” verbunden, ein Vorurteil, welches anscheinend weiter verbreitet ist.

Da ich mir ganz und gar nicht sicher bin, dass ich in meinem momentanen Stadium der Überwältigung und aus dem diffusen Strom von Gedanken etwas Brauchbares (und Würdiges) aufs Papier bringen könnte, hole ich jetzt hier mal ein wenig aus, auch für meine geliebten Mitautoren, die sich ein natürliches Misstrauen gegenüber meinem ständigen Überschwang angeeignet haben und die einen grob umrissenen Einblick in meine frische Frankenheimer-Obsession erhalten sollten.;-)
Gestern Nacht habe ich SECONDS gesehen und bin sprachloser denn je weil er, wie du auch schon angerissen hast, wirklich zeigt, wie Frankenheimer durch die Decke gegangen ist zu seiner Zeit, in seinem System, in seiner Schule. Derartige Feststellungen sind für mich zwar immer eher sekundär (ich bin ja nicht Rajko), aber trotzdem: Ein Wunder, dass dieser Film ihm nicht seine Karriere ruiniert hat. Nicht nur der formale Exzess des Films. Nicht nur, dass er amerikanische Lebensmüdigkeit noch harscher aus dem Schatten reißt… Für seine Verhältnisse beinahe exzessiv harsch, da eine der vielen staunenswürdigen Eigenschaften seiner Filme seine mühelos ausbalancierte Beobachtungsgabe für soziale und politische Getriebe ist, die seine Feststellungen – die immer nur temporäre Gültigkeit zu haben scheinen – nie in die Gefahr der Anmaßung laufen lässt. Und trotzdem leistet er sich auch diese schrille Stilisierung, diese Comichaftigkeit (wenn man mich fragen würde, woran ich bei Frankenheimers visuellem Stil zuerst denke, würde ich vermutlich mit “schiefer Kamera” oder “Weitwinkel-Schangel” antworten) und dieser draufgängerische Leichtsinn, der seinen Bildern oft innewohnt. Und das sind dann einfach Bilder, deren amerikanischer Eskapismus auf eine, hm, europäisch anmutende Ruhe und Geduld treffen, eine Freude an der plötzlichen Zerstörung von Rhytmik – was dann häufig in Szenen mündet, die von entweder provozierender und / oder hypnotisierender bis surrealer sowie gelegentlich tatsächlich amüsant absurder Länge sind – in dem Sinn, dass er mit großen Genuss immer jeweils das hervorquellen lässt, für das im Studiokino normalerweise nie die Zeit bleibt (weil man es meist auch nicht haben möchte;-). Da kommt das Anzügliche, das Jämmerliche, das flüchtig Poetische, das runtergespielt Aggressive, das unbeabsichtigt Hämische, das zufällig Zärtliche, das dezent Perverse und das unbeachtet Tragische zum Vorschein für den kurzem Moment, den es sonst nicht oft vergönnt bekommt. Vielleicht können das auch wirklich nur sehr wenige Regisseure tatsächlich bannen und wenn dem so ist, würde das Frankenheimer nur noch höher platzieren. All diese neun Filme haben mir auch einen Mann gezeigt, der nicht nur die Ironie und das Risiko liebt, sondern der auch enorm verletztliche Figuren und Räume entwirft, tatsächlich verletztliche Filme dreht, die sich nicht gegen Widersprüche – stilistischer wie psychologischer Art – wehren. Das ist ihm dann wohl auch so schlecht bekommen, denn da Cineasten auch nur Menschen sind (man hält es ja kaum noch für möglich, aber doch!) und die Menschen Dinge, die für sie nicht zusammenpassen und die nicht augenscheinlich miteinander harmonisieren, nicht ausstehen können, können sie Frankenheimer auch nur dann so richtig doll ausstehen, wenn er sich als klassischer Filmemacher der alten Schule präsentiert und ihnen z. B. einen homogenen Politthriller wie THE MANCHURIAN CANDIDATE oder ein introvertiertes Quasi-Kammerspiel wie BIRDMAN OF ALCATRAZ vorsetzt.

Und auf der anderen Seite ist er eben der wahrscheinlich größte Actionregisseur, der mir, einem Ignoranten, der sich lange Zeit für Actionfilme (für Action natürlich schon) nie besonders interessiert hat, mit den Autorennen in GRAND PRIX und vor allem den Verfolgungsjagden in RONIN und REINDEER GAMES Freudentränen in die Augen treibt, der rein filmische Dynamik so innig begriffen hat, dass man vor einer einfachen Autoverfolgungsjagd atemlos in die Knie gehen und verzaubert “Kunst” hauchen möchte. Die Montage ist eine von Frankenheimers größten Stärken und er schneidet manchmal auch sehr gerne über die Köpfe der Schauspieler hinweg. ALL FALL DOWN zum Beispiel (Völlig vergessen, der Film. Kann mir nicht erklären, warum. Viel zeitloser und frischgebliebener als so mancher kanonisierter Jugend-Problemstreifen dieser Jahre) hat etwas sehr Kazaneskes an sich (nicht nur wegen der vielen Kazan-belasteten Mitwirkenden), aber in Momenten, die Kazan wahrscheinlich ehrfürchtig der stehenden Kamera und seinen Schauspielern überlassen hätte, setzt es bei Frankenheimer aus heiterem Himmel einen physischen Insert-Shot. Der Schnitt in SECONDS ist ja auch vollkommen unfassbar und furchteinflößend. Da entsteht tatsächlich durch das Zackige Schnittgewitter weit mehr Surrealismus als durch die Kamera selbst.

Überhaupt: Schauspieler und Orte bei Frankenheimer. Die Schauspieler saugt er immer bis zum letzten Tropfen aus, unterdrückt aber gleichzeitig den Schauspieler in dem Charakter so sehr, dass nie die Bedrohung eines theatralen Flairs aufkommt. Gerade auch in einem Film wie ALL FALL DOWN erkennbar – solche Filme machten Stars damals, um nach ihrem Hauptdarsteller-Oscar noch einen Nebendarsteller-Oscar abzustauben. Was man den Darbietungen von Stars in diesen Filmen leider auch oft anmerkt (nichts neues, das hat sich bis heute gehalten und ist penetranter denn je, da Stars heute in aller Regel keine… na ja.)
Der Schauspieler verschwindet also und mit ihm auch die Schauspielführung. Unglaublich. Ich habe das noch nie so natürlich gesehen und es wirkt bei Frankenheimer auch noch besonders intensiv, da er eigentlich keinen lästigen Realismus-Fetisch hat, der ihn ständig zu Spülwasser-Dampf, Straßenstaub oder natürlichem Licht anspornen würde. Realismus ist bei ihm ein filmischer Effekt wie jeder andere auch (ich liebe es) und das ist eine Tugend, die noch weit rarer ist als seine übrigen, die ich bereits aufgezählt habe (das nimmt hier leider auch gerade die Form einer Aufzählung an – klassisches Krankheitsbild unbeschreiblicher Euphorie). Filmischer Realismus – den halte ich schon seit längerem für ein Trugbild. Den gibt es so einfach nicht.

Und dann Locations bei Frankenheimer. Hier zeigt sich für mich ein besonders tiefes Verständnis der emotionalen und körperlichen Schlucht zwischen Leinwand und Kino, bzw. Kamera und Auge, Lichtquelle und Filmmaterial, etc. pp.
John Frankenheimer ist für mich ein Meister der Location. Nicht einmal so sehr der Location-Wahl sondern schlicht und einfach in seinem Umgang mit Locations, seinem Blick auf Locations, seiner Wahrnehmung bis hin zu seiner passiven Interpretation von Locations. Wenn er in RONIN Nizza filmt oder in THE CHALLENGE Japan, ist die Kamera nie Tourist, selbst wenn die Figuren es sind (Frankenheimer ist auch total multiperspektivisch und springt ständig, häufig unberechenbar, hin- und her. SECONDS ist da mit seiner extremen subjektiven Objektivität eine Ausnahme in meinem bisherigen Erfahrungsbereich).

Man spürt die Orte (nicht „erlebt“ – da käme dieses ärgerliche Realismus-Verständnis wieder ins Spiel). Man kann sie auf sich wirken lassen, oft auch innerhalb kurzer Momente. Sie sind begehbar, erstastbar, ohne dass mit der Kamera gewackelt würde, um uns zu signalisieren „Hey, ihr seid jetzt DA!“. Oder das man manipulativen Gebrauch von Direktton machen würde, um uns eine crispe Geräuschkulisse einzutrichtern, wie man es heute in diversen „naturgeschmäcklerisch“ verbrämten Arthouse-Pralinen antreffen kann (Um die Nerven einiger meiner Mitträumer nicht eskalieren zu lassen, will ich hier keine Titel nennen).
Die Orte leben immer und wirken eben gerade nicht wie Locations, die man für einen Film ausgesucht hat, sondern wie organische Instanzen, die ihren festen Platz haben neben den Darstellern und manchmal auch der Requisite. Es ist die ganz eigene Atmosphäre der Orte, die Frankenheimer an ihnen vorfindet und die einzufangen er versteht wie nur wenige andere. Es verstehen meiner Erfahrung nach überhaupt sehr wenige Filmemacher, ihren Drehorten auf Augenhöhe zu begegnen.
Die Locations sind Darsteller – aber eben nicht so, wie man manchmal über ein altes Schloss in einem Gothic-Horrorfilm sagt, es sei der Hauptdarsteller des Films. Wenn die Locations Schauspieler wären, wären sie also in Frankenheimers Filmen Laiendarsteller und keine method actors.
Gerade diese schwer greifbare, eigene Art, mit Orten und Gebäuden umzugehen, diese Art, die mit Realismus an sich nichts zu tun hat, weil es ausschließlich um Wahrnehmung und nicht um Eindrücke geht, macht Frankenheimers Filme ungeheuer sinnlich. Sie sind rauschende Sinnenfeste, auch REINDEER GAMES und PROPHECY sind Sinnenfeste.

Von letzterem versprach ich mir tatsächlich nur einen mäßigen Horrorfilm, der aber als Film an sich vielleicht interessant sein könnte. Bekommen habe ich einen Film, der als Film an sich und als Brainstorming zum damaligen politischen Schleudertrauma sehr interessant ist, der aber tatsächlich in allererster Linie zu meiner intensivsten und markerschütterndsten Horrorfilm-Erfahrung seit meiner inzwischen fast fünf Monate zurückliegenden Sichtung von Serradors EIN KIND ZU TÖTEN geriet. Unsereins ist bekanntermaßen ja nicht mehr allzu leicht von der Stelle zu bewegen in Sachen Horror. PROPHECY hat mir aber letztlich eine jener seltenen, herben Adrenalin-Duschen geschenkt, die mir seit meiner traumatischen jugendlichen Horrorfilm-Initiation mit Argentos L’UCCELLO DALLE PIUME DI CRISTALLO und Carpenters HALLOWEEN nicht mehr oft vergönnt sind. Der Film ist eine furios umgesetzte Achterbahnfahrt, die auf eine hinterhältig gewundene Spannungskurve baut, die dem ersten HALLOWEEN sehr ähnelt, nur der Bösewicht hier natürlich nicht das Monster, sondern die Quecksilbervergiftung des Flusses ist, die als Bösewicht mit einem melodramatischen Kunstgriff so eingeführt wird, dass mir, zum vielleicht ersten Mal bei einem „Verseuchte Umwelt produziert Mutantenmonster“-Film, tatsächlich mulmig zumute war. Dass das funktioniert, führe ich auf das m. E. überdurchschnittliche Drehbuch zurück, aber damit stehe ich wohl allein. Gerade die Charaktere in PROPHECY sind in meinen Augen ausnahmsweise einmal nicht amerikanische Täter, die sich für Opfer halten, sondern tatsächlich nur amerikanische Opfer, die im Gebirgswald, ihrer mythischen Wiege, gegen einen degenerierten Bären kämpfen – der Mythos selbst ist also degeneriert und unter diesem Gesichtspunkt wirkt dann vielleicht auch das indianische Element des Films nicht mehr ganz so ungelenk wie von vielen behauptet. Den Vorwurf, das Drehbuch sei reine Kolportage, kann ich nicht nachvollziehen. Es ist nicht allzu komplex, aber es ist weder simpel, noch psychologisch anmaßend. Aber ich gehöre ja auch zu denen, die eisern darauf beharren, dass Joe Eszterhas‘ SHOWGIRLS-Drehbuch eine Meisterleistung darstellt.

Frankenheimer hat Ende der 60iger in einem Interview festgestellt, dass seine bisherigen Filme ja doch sehr maskuline Filme gewesen wären, da er sich bisher nie so recht an weibliche Figuren herangetraut hat (glatte Lüge, wenn man sich die starken weiblichen Parts in ALL FALL DOWN, THE MANCHURIAN CANDIDATE oder SECONDS besieht). Das Paradoxe daran ist, dass er einerseits zwar recht hat, da es sich tatsächlich um sehr männlich dominierte Filme handelt, diese Filme andererseits jedoch denkbar weit entfernt vom Testosteron-Pathos zahlreicher anderer Prä-New Hollywood-Dramatiker und Mythologen ist. Chauvinismus, Männerfreundschafts-Romantik, distanzlose Parolen-Drescherei, selbst wenn sie nur “in character” wäre, habe ich bei Frankenheimer noch nicht entdecken können. Eigentlich haben seine Filme, von den Figuren her aufgerollt, etwas ausgesprochen ungeschlechtliches an sich, nicht selten sogar in Form einer leichten, aber merklichen Verschiebung, die manchmal dazu führt, dass die vermeintlichen Geschlechterrollen auf nahezu surrealistische Weise vertauscht werden. Mein letzter Frankenheimer war BLACK SUNDAY, etwas abstrakter betrachtet eine äußerst irritierende Travestie-Show mit Marthe Keller als agilem Rauhbein, Bruce Dern als diffuser “damsel in distress” und Robert Shaw als Ober-Transe, die pausenlos ihren Body-Suit wechselt. Unfassbar. Und natürlich nicht einmal halb so schrill, wie ich es hier klingen lasse. Es bleibt, wie das meiste, was an Frankenheimers Filmen so toll ist, ein elusives, unstetes und letztlich natürlich auch schangeliges, Metaebenenartiges Geflecht zwischen den Bausteinen, auf die es als Wirt es nicht angewiesen ist (was experimentellere oder auch einfach nur verspieltere Frankenheimer-Filme wie SECONDS, GRAND PRIX oder z. B. auch REINDEER GAMES beweisen), deren naheliegender und natürlich manchmal vorgeschriebener Gebrauch Frankenheimer aber eher entgegenkommt, weil er mit der Konvention, mit Genreregeln genau die Art von höllisch-nonchalantem Spaß hat, die nur jemand daran haben kann, der sie genauestens kennt und von Herzen liebt.
Gleichzeitig ist es ihm – oder war es ihm zumindest einmal – aber auch nicht ganz geheuer, denn dann liest man ihn wieder sagen (1969), dass Hitchcock ja eigentlich bei aller technischen Güte seiner Filme eben doch „a commercial director if there ever was one“ sei und dass er niemals mit Hitchcock tauschen wollen würde. Dieses manchmal etwas schizophren erscheinende Verhältnis zum Genre (wobei er tatsächlich meinte, dass er meist „character-driven action films“ im Sinn hätte) kommt perfekt zum Tragen in meinem Initiations-Funkenfilm 99 AND 44/100 % DEAD, dem ultimativen postmodernen, untertrieben surrealen Gangsterfilm, der all das schon so unendlich viel eleganter, reiner, klarer und reifer gesagt und getan hat, was die Filmemacher der 80iger und 90iger, die heute als „Postmodernisten“ gelten, so unendlich weniger klar, rein und um soviel selbstvereinnahmter und -bewusster nochmal (und immer und immer wieder und wieder) wiedergekäut haben.

Wenn Frankenheimer versucht, ganz klar und nüchtern Erzählkino zu machen, endet das eher in dem Malheur, dass er sich seinem eigenen Ehrgeiz zuliebe – und wie die meisten amerikanischen Filmemacher seiner Schule hält er das klassische Erzählkino natürlich für die Königsdisziplin – zurechtstutzt und seine assoziative Spontaneität wie die unglaublicher- wie anbetungswürdigerweise damit eng verbandelte Stilisierungswut einer Schlicht- und Kühlheit Platz macht, die mitunter etwas unbequem in “echtem” (s. o.) Film-Realismus mündet wie in ANDERSONVILLE, einem Film, der zwar von diesem Realismus gerettet wird, dessen dramaturgisches Konstrukt (das Drehbuch) offensichtlich diesen Ansatz nicht unterstützt. Es ist schon sehr tragisch, wie stiefmütterlich man Frankenheimer für den gesamten Rest seiner Karriere nach dem Einbruch der späten 70iger, behandelt hat von Seiten der Studious und Sender. Obwohl ich aus Frankenheimers Spätwerk bisher nur drei Filme kenne, empfinde ich den Unterschied zu seinem Früh- und Zentralwerk als extrem drastisch, weil man in diesen späten Filmen (in RONIN vielleicht nicht so sehr – aber RONIN ist im Endeffekt auch fast ein Remake von BLACK SUNDAY) zum ersten Mal ein Tauziehen zwischen dem Film und seinem Regisseur bemerkt, einen Konflikt, der nur in brillantem Chaos enden kann (so wie bei REINDEER GAMES), nicht aber in chaotischer Brillanz (Frankenheimers spezifische Brillanz).

Chaotische Brillanz. Davon sollte es einfach mehr geben. Viele der wenigen Regisseure, die dazu im Stande sind, haben sich bereits einen Platz in meinem Pantheon erobert und Frankenheimer hat auch schon seine Säule. Habe ich schon erwähnt, dass ich seine Filme als zutiefst elegisch und poetisch empfinde? Man traut sich ja fast nicht mehr, so etwas über Filme zu schreiben ohne sich der Schlöndorfferei schuldig zu machen.

BlackSunday
Seconds
99And44/100%Dead
AllFallDown
52PickUp
AllFallDown
99And44/100%Dead
Seconds
Andersonville
TheManchurianCandidate
BlackSunday
Seconds

Geborgte Filme – endlich gesehen! #3: The Apartment (1960)

„Das Appartement“ ist inzwischen der achte Film, den ich von Billy Wilder gesehen habe. Und ich muss sagen, vielleicht bin ich doch kein besonders großer Anhänger dieses Hollywoodtitanen, der wie so viele in den 30er Jahren aus Deutschland auszog, und die Welt das Lachen lehrte. Es ist tatsächlich so, dass mir Wilder am Besten gefällt, wenn es nichts zu Lachen gibt. Five Graves to Cairo (1943) und auch Sunset Blvd. (1950) finde ich großartig. Das Pathos, die Verzweiflung, das Lächerliche aber auch bedrohliche an Rommel und an Norma Desmond. Erich von Stroheim und Gloria Swanson, zwei Giganten des Stummfilms, die sich auch im Tonfilm pudelwohl fühlen, und alles an die Wand spielen, was ihnen begegnet. Überlebensgroß. Das Gewöhnliche, Alltägliche, die normalen, durchschnittlichen Leute die Wilder in seinen Komödien gerne in den Mittelpunkt stellt, gehen an mir vorbei. Jack Lemmon in „Manche mögen’s heiß“ (1959) oder Tom Ewell in The Seven Year Itch (1955). Komödiantisches Talent mögen sie besitzen, auch Marilyn Monroe ebenso wie Shirley MacLaine, und Jack Lemmon ist in manchen Szenen schon besonders gut. Aber auch bei ihm, ziehe ich die reine Verzweiflung dem humoristischen Kabinettstück vor. Wenn ich sehe, auf Welche Art seine Manierismen z.B. in Glengarry Glen Ross (1992) – sowieso einem der besten Schauspielerfilme ever – instrumentalisiert werden, gehe ich wahrlich in die Knie. Vielleicht liegt mein relatives Desinteresse an den „cleveren“ Filmen Wilders auch an meinem relativen Desinteresse an Komödien und Satiren aller Art, vor allem der aufgeweckten Sorte. Humor ist wirklich etwas schwer bestimmbares.

Wenn mir die trübe Welt von „Das Appartement“ ebenso egal war, wie die Figuren, die sich darin bewegen, liegt das nicht an den Qualitäten des Drehbuchs, der Inszenierung, oder der Schauspieler, und auch nicht daran, dass der Film unrealistisch wäre (was er nicht ist), oder zu nah am Leben (was er ist). Schon eher liegt es an der Unmöglichkeit sich bei Wilders Filmen mit irgendeiner Figur zu identifizieren. In den Filmen, die ich bisher von ihm kenne, bleibt der Zuschauer immer auf Distanz, ist Beobachter des Geschehens. Die Typen, die Wilder entwirft, sind immer sehr nah an der Realität, und trotz aller Überzeichnung könnten es der Nachbar oder die Nachbarin sein. Aber sie sind mir meist unsympathisch. Vielleicht geht es nur mir so, aber der Zynismus und die Abgeklärtheit Wilders scheinen mir in seinen Komödien ungenügend überdeckt, woraus bei mir kein Lachen über die Verzweiflung, sondern eher eine Verzweiflung über das Lachen zustande kommt. Wie bei den volkstümlichen deutschen (Schlager)komödien, bei denen jedes Lächeln der Schauspieler eine Verkrampfung im Zuschauer hervorzurufen imstande ist. Nur, Wilder ist, im Gegensatz zu manch anderen, ein mehr als begabter Regisseur. Aber er ist mir doch oft nicht entschlossen genug. Der Neorealismus hätte ihm gut zu Gesicht gestanden, und auch der pechschwarze Zynismus einer waschechten Groteske. So wie es ist, komme ich mit dem gespaltenen Gesicht seiner Filme, einerseits lachend, andererseits weinend, nicht zurecht. Das Unbehagen zeugt jedoch nicht von der verstörenden Kraft des Künstlers, sondern aus der Verstörung über die Zurückhaltung und Angepasstheit von Wilders Kritik. Bei aller Ehrlichkeit, scheint er das gleiche Problem wie Bunuel nach dem Ende seiner viel zu kurzen surrealistischen Phase gehabt zu haben: Den Zuschauer immer bei der Hand nehmen zu wollen.

Was mich in „Das Appartement“ wirklich beeindruckt hat, war das Setdesign. Bei einem Film der fast nur in Innenräumen spielt und die Klaustrophobie und Einsamkeit der Großstadt New York im Studio nachzustellen versucht, entfaltet die Künstlichkeit einen eigenen Realismus. Die Bürohallen in schwarz-weiß haben etwas futuristisches, und bei den Appartementszenen weht ein Hauch von film noir à la Citizen Kane durchs Bild. In dieser Umgebung kann man eigentlich nur durchdrehen, denn etwas Natürliches existiert nicht mehr. Schön ist in diesem Kontext die Szene mit den endlosen Parkbänken, die den Überfluss des Materiellen aufzeigt, in dem sich alle Figuren ausnahmslos bewegen. Wie bei Sirk, finden wir hier das Unbehagen an der Moderne, und den Versuch der Überwindung von Entfremdung durch menschliche Annäherung. Der Wunsch nach Liebe als Ausdruck nach Gefühl in einer toten Welt. Wer Plastik begehrt, wird selbst zu Plastik. Dass das Gegenüber nur vorübergehenden Halt zu geben vermag, schmerzt bei Sirk aber tiefer. Der Horror des „American Way of Life“, der ewige Leerlauf des Fortschritts und die Schicksalsgläubigkeit der Massen – bei Wilder ist das leider oft nur eine Farce.

Final Mission (1984)

     

Mein erster Film von B-Film Legende Cirio H. Santiago hat mich gleich von Anfang an in seinen Bann gezogen. Final Mission ist einer von unzähligen Vietnamfilmen die in den 80ern gedreht worden sind, verbindet hierbei aber zusätzlich noch Elemente des Polizeifilms mit einer Rachegeschichte. Im letzten Drittel geht es dann um ein Quasi-Remake des 2 Jahre zuvor entstandenen First Blood. Viel geklaut möchte man da vielleicht sagen, und in der Tat äußern sich die meisten Kommentare, über die ich im Internet gestolpert bin, hierzu auch ziemlich abfällig. Aber die Kreuzigungsszene ist in der Geschichte der Malerei auch schon tausendfach abgebildet worden, und die Notenskala lässt sich in der Musik ebenso endlos variieren. Im Gegensatz zu landläufigen Meinungen habe ich prinzipiell nicht das Geringste gegen Plagiate einzuwenden. Originalität ist was man daraus macht, und wie beim Jazz ist Improvisation manchmal entscheidend. Das „Wie“ ist also wieder einmal wichtiger als das „Was“. Jedenfalls in meiner Welt. Weiterlesen “Final Mission (1984)” »

Comanche Station (1959)

Rund ein halbes Dutzend Western hat Budd Boetticher in der zweiten Hälfte der 50er Jahre in den USA gedreht. B-Movies, die aus heutiger Sicht jedoch eher als A-Pictures auftreten, weil sie dem mäanderndem Austattungsfilm das Bestimmte entgegensetzen, dem Ausschweifenden das Komprimierte, dem Überfluss die Klarheit. Eine Bescheidenheit, die die meist auf Überwältigung setzenden Melodramen, Komödien und Kostümfilme im amerikanischen Attraktionskino der 50er Jahre an Größe glatt übertrifft. Ein weiteres Merkmal ist jedoch die Farbe. Von Seven Men from Now (1956) bis Comanche Station (1959) sind diese Western allesamt in Farbe gedreht, entsprechen dadurch weniger dem Klischee der „typischen“ B-Western der damaligen Zeit, und orientieren sich in ihrer formalen Gestaltung eher an Shane (1952), als an Forty Guns (1957). Das Breitbildformat verhindert bei Boetticher nicht die Intimität.

Der Nähe zu seinen Protagonisten zum Trotz, hat Boetticher ein wunderbares Gefühl für den Raum, für Landschaften in die die Figuren eingebettet sind, und für die Umgebung in der sie sich zurechtfinden müssen. Scheinbar klassisch gefilmt, kommt Comanche Sation mit wenig Nahaufnahmen aus. Boetticher bevorzugt die Totale, was seinen intimen Charakterstudien etwas monumentales verleiht, dass diese sehr zeitverhafteten Filme für mich äußerst modern erscheinen lässt. Ein progressiver Filmemacher, filmt traditionelle Westerngeschichten auf eine formal so schlichte und reduzierte Art, dass die Figuren bereits im Wilden Westen aus der Zeit gefallen wirken. Vielleicht macht dass die Kollaborationen von Randolph Scott und Boetticher auch emotional so effektiv. Die melancholischen Helden leben in einer Zeit, die ihre Auffassung von Moral und Gerechtigkeit nicht teilt. Aber Gut und Böse gibt es trotzdem nicht. Der einsame Protagonist lebt unter Menschen – unter Seinesgleichen.

Was heute veraltet wirkt sind die Holywoodkonventionen die dennoch bestand haben, und dadurch den Unterschied und Zwiespalt zwischen Boetticher und dem Studiosystem noch betonen. Boettichers Qualitäten liegen im Beobachten, im beinahe improvisierten dahingleiten der Momente zwischen den sogenannten Ereignissen. Wenn er der Handlung nicht direkt folgt, treten seine Qualitäten als Filmemacher am stärksten zu Tage. Daher auch die wunderbaren Vorspänne, in denen der Protagonist in den Film hineinreitet, und genauso zufällig auf die Story stößt wie Boetticher selbst. Die Ereignisse kommen von allein. Dennoch beweist er gegen Ende seiner Karriere, (denn trotz seiner knapp 40 Jahre, hat Boetticher über die 50er hinaus nur noch eine Hand voll Projekte verwirklichen können), auch große Geschicklichkeit als Erzähler. Waren z.B. bei Behind Locked Doors (1948) die beiden Hälften des Films für mein Verständnis noch etwas auseinander gefallen – nachdem die brillante Einführung der Figuren den Regeln des B-Films gemäß zugunsten eines konventionellen Kriminalplots zum Abschluß gebracht werden musste – bringt er die Dynamik von Stillstand und Bewegung, Charakterstudie und Aktionskino, in Comanche Station zu einer vollkommenen Symbiose. Dass man nichts forcieren muss, weil alles schon da ist, das ist die Weisheit der ganz großen Stilisten. Es ist wirklich verblüffend mit welcher Souveränität und Beiläufigkeit die komplexesten Sachverhalte komprimiert zu Füßen des Zuschauers gelegt werden. Alles liegt offen zu Tage. Nichts bleibt verborgen. Und doch behalten die Filme ihre Würde und ihr Geheimnis. Wie die Verkörperungen von Randolph Scott, bleiben diese Filme auf ihre Art autonom und unantastbar. Erwachsen.

Die neuen Phantome des verrückten Hutmachers Timmy B.

Probable chat of two Disney producers around three years ago:

A: Hey Bob, we should really bring out a totally new version of „Alice in Wonderland“, don’t ye think so? All in 3D, everyone will love it!!!

B: Well, Alan… only thing is..ye know…this book.. „Alice“…it aint got no proper story..

A: Uhah..

B: …and it’s pretty weird…much too weird for the big audience!

A: But…

B: I know what you’re gonna say, but what worked fifty years ago aint gonna work nowadays… People want the straightforward fight of good against evil, they wanna see another „Lord of the Rings“, another „Chronicles of Narnia“, another „Harry Potter“ with a niiiice li’l piece of moral advice wrapped into it…

A: I’m afraid you’re right. This Lewis Carroll surely had something, but his ideas are just to strange, to crazy…the whole book does have this… Burton-touch, doesn’t it?

B: Yeah, yeah, you’re right!!! It’s got the Burton-touch,so why not let Burton make a totally crazy version of Alice and…

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Ich war einfach besoffen oder Reviews die die Welt nicht braucht, Teil 1: Road House

Endlich mal wieder ‚was markiges! Für alle diejenigen, die nicht (oder nicht bewusst) in den 80ern aufgewachsen sind ist Road House die Offenbarung schlechthin. Denn hier wird gnadenlos aufgezeigt, wie das Zeitalter von Dieter Bohlens größten Erfolgen auf der anderen Seite des Atlantiks aussah.

© 1989 Silver Pictures

© 1989 Silver Pictures

Während in Deutschland die Grenzöffnung bevorsteht kloppt sich Patrick Swayze in einer abgehalfterten US-Kleinstadt mit deren informeller Obrigkeit. Da werden Eier blau gefärbt und Poseur-Patrick reißt in einer Art goldenen Griff der Filmgeschichte einem Rivalen die Kehle aus dem Halse. Klitschnass torkelt er noch ein wenig durchs Bild bis auch dem letzten Zuschauer klar wird: Es ist kein Schweiß, sondern Testosteron pro Analysis, das dem Protagonisten aus den Poren trieft. Die Antagonisten sparen natürlich auch nicht mit diesem göttlichen Hormon, so dass es während des gesamten Films hin und wieder zu Konflikten kommt. Im Laufe der 114 Minuten werden diese aber alle gelöst.

Übrigens löst auch Peter Griffin von Family Guy in S08E04 – ‚Brians Got a Brand New Bag‘ seine Probleme galant in Road House-Manier.

Weiterhin wird gemunkelt, dass Rainer Brandt für die Synchronisation dieser Milieustudie eine nicht näher genannte Summe geboten haben soll, dann aber von Ulrich Gressieker einen Tritt aufs Nasenbein bekam.

Panik im Needle Park

 
Jerry Schatzberg ist einer der Vergessenen der Filmgeschichte. Eine Randnotiz, eine Fußnote. Natürlich gibt es viel unbekanntere Filmemacher. Aber Schatzberg war einmal berühmt. Nicht nur als Modephotograph (er arbeitete u.a. für Vogue, Esquire, Life – erinnern wir uns kurz an Michelangelo Antonioni’s Blow Up oder Will Trempers Playgirl (beide 1966) um uns in Erinnerung zu rufen wie angesagt dieser Beruf während der 60er Jahre war), sondern als einer der herausragenden Regisseure des New Hollywood während der 70er. Von den etwas über ein Dutzend Spielfilmen seiner Karriere (Schatzberg ist inzwischen 82 Jahre alt, sein letzter Spielfilm entstand 2000) wurden vier für die Goldene Palme nominiert, und er gewann sie auch einmal, 1973 für Scarecrow. Ein Kritikerliebling also, aber auch einer jener Künstler, denen der Übergang von der Fotografie zum Film gelungen ist, und der durch seine frühere Arbeit einen Anderen Zugang zur Inszenierung gefunden hat, als manche jüngeren Zeitgenossen die ohne größere Umwege auf dem Regiestuhl landeten. Ich musste an Maurice Pialat und Loulou (1980) denken. Pialat kam ebenfalls spät zum Filmemachen, war zunächst Maler, und seine Sensibilität wirkt auf mich in vergleichbarer Weise wie bei Schatzberg. Eine eigene Auffassung von Rhythmus, Fragmentierung der Erzählung, und vor allem der Umgang mit Lichtsetzung und Kameraführung. Cinéma vérité als Versprechen eines neuen Bewusstseins. Es wäre eine lohnenswerte Arbeit, die Traditionslinie dieser Methode nicht nur im Dokumentarfilm sondern auch im Spielfilm zu thematisieren. Panic in Needle Park wäre sicher einer der herausragenden Vertreter.

Den Blick des Fotografen erkennt man nicht nur an der ausgesuchten Komposition der Bilder, sondern typischerweise vor allem am Interesse an den Schauspielern, ihren Blicken und Gesten. Was Panic in Needle Park jedoch von vielen sogenannten Schauspielerfilmen unterscheidet ist Schatzbergs Aufmerksamkeit für Details der Umgebung. Der Film wirkt somit im besten Sinne als Zeitdokument, als nostalgisch-verklärtes Bild einer vergangenen Ära. Das Postmoderne geht ihm jedoch noch weitgehend ab. Sein Authentitätsversprechen muss damals noch gewirkt haben, ist keine leere Geste, kein Zitat sondern ein Ausdruck von genuinem Interesse. Neorealismus in der Form New Hollywoods. Was ebenfalls auffällt ist die Lichtführung. Die Ausleuchtung – oft natürliches Licht – wird im klassischen Sinn zur stärkeren Ästhetisierung benutzt, ist zum großen Teil der Stimmungsfaktor des Films. In Kombination mit einer atmenden Handkamera gibt es ein Gefühl der Unmittelbarkeit, das aufs genaueste geplant erscheint. Was mir am meisten imponiert hat, waren die vielen beiläufigen Gesten. Hände beim verdünnen und verpacken von Heroin. Großaufnahmen von Gesichtern, wie zufällig beobachtet. Es ist alles für die Kamera inszeniert, wirkt jedoch natürlich. Das Leben – übergroß. Im Grunde sind die klassischen Hollywoodtugenden nur leicht variiert, eine Verschiebung nur. Doch die Wirkung ist eine Gegenteilige. Fragmentarisch statt geschlossen, unvollendet statt vollkommen.

Wenn es heutzutage einen amerikanschen Filmemacher gibt der am offensichtlichsten von Schatzberg gelernt hat, dann ist das James Gray. Nicht nur weil er New York filmt wirkt vieles bekannt. Die Farbigkeit, die Oberflächentextur ist ähnlich. Die Einbettung der Figuren in räumliche Kontexte. Die exakte Beobachtung und die Determiniertheit der Abläufe.

Leider gibt es zu Schatzberg soviel ich weiß nicht viele Bücher oder ausführlichere Artikel. Dieses Schicksal teilt er natürlich mit einigen anderen Ikonoklasten der amerikanischen Gesellschaft während der 60er und 70er wie Monte Hellman, Hal Ashby, Bob Rafelson oder Dennis Hopper, die ihre Popularität und ihren Kultstatus während der 70er nicht anhand ihrer notorisch vernachlässigten Werke und deren prägenden Wirkung auf die Kinematographie in die Gegenwart retten konnten, sondern Opfer der kategorialen Umstrukturierung der Populärkultur und der folgenden Massenamnesie  der Reaganära wurden. Soll heißen: die meisten der Filme wurden später nicht mehr gesehen, obwohl sie oft erwähnt worden sind.

Wie gesagt: viel Zusammenhängendes wurde über Schatzberg wohl nicht geschrieben. Gefunden habe ich lediglich ein Buch von Michel Ciment. Was seine anderen Filme hergeben weiß ich leider noch nicht. Doch es scheint klar zu sein, dass ihn eine besondere Sensibilität auszeichnet, die trotz seiner brillanten Form auf die Öffnung des Bildes setzt. Somit könnte sich wieder einmal die Frage des Stils stellen. Ist man variabel, zählt man bei den meisten Leuten noch immer nicht zu den „bevorzugten“ Autoren. Die Dominanz eines angeblichen einheitlichen Stilwillens á la Tarkovsky, Bergman, Ford oder Bresson scheint mehr zu beeindrucken als Vielfalt und Reichtum der angewandten Mittel. Aber das ist natürlich auch Polemik meinerseits, und vielleicht eine andere Baustelle…

Ich habe an dieser Stelle viel über Schatzbergs Herangehensweise geschrieben, aber im Grunde lediglich den einen Film, Panic in Needle Park, vor Augen gehabt. Ebenso ergeht es Schatzberg mit seinen Protagonisten. Er scheint über die Welt, über soziale Problematiken zu berichten. Der Fokus liegt jedoch die ganze Zeit auf der Liebesgeschichte zwischen zwei Individuen. Das Allgemeine löst sich im Spezifischen auf. Dass das Zentrale immer noch die handelnden Personen sind, ist der nostalgische Rest den Schatzberg mit seinen amerikanischen Kollegen des New Hollywood teilt. Ein  Kino der Hoffnung vielleicht.

 

Das Joch cineastischer Selbstdisziplin…

… spontan untersucht am Beispiel von CAPOTE (2005).

Capote1

Es funktioniert eben doch so gut wie nie. Das mit dem „einen Film absichtlich schlecht finden“. Jedenfalls nicht mehr bei mir. So gut wie nie mehr. Mit eiserner Disziplin habe ich für zwei Jahre versucht, eine Technik zu entwickeln, die es mir erlaubt, alle eventuell vorgefassten Meinungen, Vorurteile, Erwartungshaltungen, Prinzipien zur Beurteilung filmischer Qualität, naheliegende Vergleiche, aus denen sich Erwartungshaltungen speisen könnten und eben all diese ganzen schönen Bretter vor dem Kopf mit Aufblenden des Projektors oder Drücken der „Play“-Taste über Bord zu werfen und mich völlig in die Hände des jeweiligen Filmes zu begeben, um ihm die Chance zu lassen meine Gedanken zu formen und nicht umgekehrt. Gelegentlich bezeichne ich mich daher auch scherzhaft als „Film-Hure“, die alles nimmt. Bisherige Versuche, dieses „Prinzip gegen Rezeptionsprinzipien“ anderen Cineasten zu erklären, schlugen weitgehend fehl und ich möchte mich damit hier auch gar nicht aufhalten (viel zu kompliziert!), denn es wurde mir sogar schon vorgeworfen, mich von der Filmrezeption auf die Rezeptions-Rezeption zu verlagern und manchmal kann man einfach nicht anders, als die Lästermäuler durch Schweigen zum Schweigen zu bringen. Und manchmal, trotz all der wundersamen Überraschungen und der grenzenlosen Freiheit von Gedanken und Assoziationen die dieser sich inzwischen gänzlich in einer diffus blubbernden Gedankensuppe verselbstständigte Rezeptions-Ansatz mir gebracht hat und mit der sich meine Sicht aufs Kino radikal verändert hat (sowas klingt immer schön und flach weswegen man beim dreschen derartiger Phrasen immer gerne darauf hinweist, dass man sie nur bei genuinen Anlässen drischt), verwünsche ich ihn fast.

Denn wo ist sie nur hin, die geliebte einstige Selbstdisziplin, mit der ich meine, nennen wir es mal ganz profan „Meinungsbildung“, lenken und manchmal auch geradezu domptieren konnte? Was, wenn meine Rezeption tatsächlich, wie auch schon unterstellt, ein wenig zu beliebig, zu wohlwollend, zu unkritisch, zu diffus geworden ist?

Zu meiner eigenen Genugtuung überwiegt die meiste Zeit die Erleichterung darüber, dass ich mich von oben beschriebenem Ballast befreien konnte, der exzessive Genuss der Vorzüge und die geheime Sehnsucht, dass dieses Rezeptions-Modell unter Cineasten vielleicht mal mehr in Mode kommen könnte als es jetzt der Fall ist. Nicht mit mir als Missionar, oh nein! Lediglich, um Filmen mehr Spielraum zu gewähren, die ihn unter den üblichen Vorraussetzungen nicht bekommen. Und da will ich auch gar nicht zu schrill sein sondern mir beispielsweise nur wünschen, dass ein paar mehr Leute Jess Franco gelegentlich auch als ernstzunehmenden Künstler in Betracht ziehen denn angeblich einige nerdige französische Filmkritiker (diese ominösen französischen Filmkritiker sind schon beinahe ein mystisches Klischee für sich, dass man immer nach Belieben zitieren kann, ohne konkret zu werden, nicht wahr, lieber Filmdienst?). Warum schreibe ich all das mit „Capote“ als Beispiel, einem Film der von vorne bis hinten gängigen Vorstellungen von anspruchsvollem Qualitäts-Kino entspricht?

Gerade deswegen eben! Hat mich diese Öffnung – mit der ich nach eigener Einschätzung noch bei weitem nicht an meine Grenzen gestoßen bin da ich mich regelmäßig dabei ertappe, beispielsweise über einen meiner werten Mitautoren hier zu schmunzeln, wenn er in Unverständnis über die Reputation eines durchweg anerkannten Klassikers die Stirn runzelt oder einen obskuren Hongkong-Actionfilm aus den 70igern mit Eisenstein vergleicht – vielleicht verletzlicher gemacht für Manipulation, den segensreichen Fluch des Kinos, den wir ebenso faszinierend wie, in Cineastenkreisen zumindest, auch gelegentlich beängstigend finden? Bin ich am Ende dank dieser Veränderung meiner Rezeptionshaltung wieder genau in dem Stadium angekommen, dessen Kreation ich noch vor etwas mehr als drei Jahren so lautstark als die Todsünde des Hollywood-Kinos beschimpfte, im Zustand williger Manipulierbarkeit für gefälligen Eskapismus und emotionale Prostitution?

Mit Hollywood-Kino beziehe ich mich hier, natürlich, primär auf die letzten 20 bis 30 Jahre, größtenteils. Auch ein springfreudiger Cineast, der zwischen den Dekaden, zwischen Ton- und Stumm-, Farb- und Schwarzweiß-, Vollbild- und Breitwandfilm nach Herzenslust hin- und herhüpft, ist doch ein Stück weit als Filmgucker in seiner eigenen Zeit verankert (wäre es erschreckend oder vorteilhaft, wenn nicht? Das wäre eine andere interessante Frage, die man beliebig erweitern und hypothetisch auseinandernehmen könnte).

Es wäre verführerisch ersteres Kino („gefälliger Eskapismus“) ins Feld zu führen, beispielsweise mit dem von mir kürzlich gesichteten und (vielleicht, aber nicht notwendigerweise dank akutem Filmentzug für Wochen) erheblich genossenem „V for Vendetta“. Weiterlesen “Das Joch cineastischer Selbstdisziplin…” »

„Halloween“ (1978)/„Assault“ (1976) sive de mali subsistentia

Multifariam et multis modis olim Veritas loquens patribus in prophetis novissime diebus istis locutus est nobis in alio quodam Carpentario, qui ominosum nomen suum certe derivatum habet ab ipsa professione dominica Latinis quidem ‘fabri’, Anglosaxonicis modernis autem ‘Carpentarii’ nomine designata. Sicut enim Dominus ipse prophetarum vice terram Palaestinae digressus est et populo suo paradoxam quandam entitatem sensibus humanis nullo modo sufficienter comprehensiblem, entitatem mali sive peccati eorum dico, ad oculos demonstravit, ita et novissimis diebus nova species prophetae orta est non iam illustri voce praedicationis, sed potius ipsa imagine nitens, ut non solum uni populo, sed omni terrae istius entitatits sive quasi-entitatis admirabile aenigma eo clariore modo illustretur. Qualiter enim subsistere possit id, quod ab omnibus ‘malum’ vocatur, cum omnis creatura bona et seipsi familiaris et desiderata esse debet, longius a philosophis disputata et quaesita est, maxime a Plotino et Proclo Neoplatinicis qui mali (Plotinus) sive malorum (Proclus) subsistentiae tractatus gravissimi ponderis dedicaverunt.

Plotin

His duobus unum quidem firmissime constat naturam mali non solum ad mores humanas pertinere, sed radicem illius in dispositione ipsius universatis quaerendam esse, cui triplex malum Leibnitii (non solum morale, sed et metaphysicum et physicum) inevitabiliter inhaerere deberet. Tali consideratione diadochus Platonicus Proclus inde perductus est, ut realitatem mali quamvis absurdam et paradoxam totaliter negaret et illi nonnisi praeterexistentiam, parhypostasin, concederet. Secundum hunc didadochum, qui certe metaphysicam mali vel potius malorum conceptionem summa cohaerentia et consequentia elaboravit, quae vocantur mala solum ad individua sublunaria pertinent, quorum detrimentum autem ad conservationem universi valde necessarium et inde sub specie totius neque malum putandum est. Plotinus econtra, plus Platonicis quam Aristotelicis studiis, quos Proclus in hac quaestione persecutus est, imbutus, determinare et designare temptavit quandam quasi-identitatem naturae mali, qualem semper habet et exercit, quamquam a vertitate entis et identitatis suam originem non traxit. A Platonis Chorae, loci generationis dico, in Timaeo et Peniae in Symposio descriptione igitur inspiratus mali naturam invenit in ultima privatione formarum et entis in genere, in insatiabili indigentia ultimae umbrae ab animae luce intellectuali et ontologica necessarie creatae. Quales speculationes, quamvis ad intelligendam recentis Prophetae intentionem perutiles, tamen aliquali modo corrigendae sunt, ut praedicationi primi et ultimi sicut et novissimi Carpentarii adaptentur. Generalis consensus tamen cui eorum omnium considerantiones paene unanime favent, sequentibus tribus propositionibus potest exprimi:

 

Entitas mali est eius non-entitas

 

Realitas sive entitas proprie dicta numquam potest malo convenire, quia malum eo ipso non est desiderabile, neque proprie a voluntatibus humanis sive animalium instincto, neque metaphorice a viribus naturalibus. Quare malum per se neque potest habere causam, et quia nihil sine causa in ordine entium nullo modo cadit. Haec inexplicibilitas mali a novissimo Carpentario summo ingenio in suis duobus clarissimis operibus describentibus sive universam massam perditionis omnem crudelitatem sine omni causa urgentem (Assault) sive modo iam significantiore unicam personam homicidae lunatici, qui tamen omni respectu motivatione psychologica totaliter carens omnino impersonaliter et necessarie agit (Halloween), quae descriptio etiam tangit intimam apostoli Pauli de peccato conceptione substantiam: Si qui facit peccatum servus est peccati et numquam libere agit, exprimitur nihil nisi hoc ipsum, quod malum non est obiectum voluntatis iuxta bonum in arbitrio nostro positum, sed potius quaedam occulta vis numquam cadens in ordine obiectorum sive entium et tamen semper dominans actiones deplorabilis lapsi hominis.

Assault

 

Identitas mali est eius non-identitas

 

Quaestione de entitate mali iam difficilior apparet ea de identitate mali, quia identitas secundum Platonicos ibi maxime Parmenidem sequentes solius entis veri est praerogativa. Sicut unica sanitas ad multiformas aegritudines comparata, ita et malum debet esse mutliforme et numquam sibi idem sive aequale comparatum ad unicum bonum et unum. Sed Platone iam concedente in illustri loco Theaeteti malum semper necessario moralem naturam pervagari Plotinus illi saltem quasi-identitatem insatiabilis et intransformabilis defectus et absolutae privationis attribuit absoluto bono semper quandam contrarietatem postulante. Utrum hoc tamen possint nota mali phaenomena tam pulchre a duobus, ut ita dicam, Carpentariis descripta, sufficienter explicari, certe dubitandum est, cum utrique supponunt sponanietatem, immo quandam obscuram, sed tamen omnibus notam personalitatem mali, homicidae dico et mendacis ab initio Diaboli. Malum itaque quodam modo nominabile et omni modo recognoscibile Carpentarii Halloween optime descripsit, ubi de nomine mali (Michael Myers) omnes conveniunt et etiam actiones eius omnes praescire debuissent. Sed quia essentia Diaboli in hoc ipso constitit, quod omnes de eo noverunt ad portam apparentem tamen numquam recogoscunt sive recognoscere volunt, incolas urbis Haddonfield eruptio mali tam subito et impraedicibili modo aggressus est quam officiarios in urbe Anderson. Dum enim Halloween potius identitatem sive recogniscibilitatem mali pertractat, Assault elaborat eius aspectum apocalypticum: Ibi adventus eius non pluribus decenniis praedicibilis neque stato die ipsius horroris accidit, sed sicut fur in nocte, subita et globalis eruptio et unda omnes homines in mutua crudelitate accendit et seperabitur homo adversus patrem suum et filia adversus matrem suam et nurus adversus socrum suam et inimici homines domestici eius.

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Ghosts of Mars (2001)

Je mehr ich von Carpenters Filmen ab 1990 sehe, desto mehr drängt sich mir der Verdacht auf, dass die immer mal wieder aufgeschnappte Behauptung Carpenter habe nach THEY LIVE konstant abgebaut, nicht mehr als ein böswilliges Gerücht ist. GHOSTS OF MARS zum Beispiel, wurde bei seinem Kinostart übelst verrissen,  zwei Jahre nach MATRIX hatte offenbar niemand mehr Lust auf handgemachte Genrekost, selbst eingefleischte Carpenter-Fans loben höchstens noch den Trash-Faktor des Films. Aber mal im Ernst: Allein die Idee, ASSAULT – ANSCHLAG BEI NACHT ein futuristisches Update auf dem Mars zu geben, mit Courtney Love in der Rolle von Ethan Bishop und Ice Cube als Napoleon Wilson, hat einen sehr verrückten Charme.

Und wenn Courtney Love nicht eine Woche vor Drehbeginn die Ex-Frau ihres Lovers über den Fuß gefahren wäre, Carpenters Casting-Coup wäre voll aufgegangen. Mit Love als Vertreterin des (feministischen) Hardcorepunks und Grunge und mit Ex-N.W.A.-Mitglied Ice Cube als Vertreter des Westküsten-Hip Hops, bzw. Gangsta Raps wären die Verteter zwei der wichtigsten amerikanischen Subkulturen der Neunziger (die 2001 natürlich schon längst Geschichte und in Mainstream und Ausverkauf angekommen waren) aufeinander getroffen. Wenn man sich jetzt noch daran erinnert, dass die Gangproblematik und Ghettobildung in L.A. eine Art mythologischen Hintergrund für ASSAULT bildete, ist die Besetzung von dem aus South Central stammenden Ice Cube, der mit Liedern wie „Black Korea“ den Soundtrack zu den Rodney King riots von 1992 lieferte, doppelt interessant.

Leider kann Natasha Henstridge Love nicht wirklich ersetzen, aber das wäre auch schon der einzige Kritikpunkt den ich vorbringen kann. Ansonsten hat der Film einen wunderbar trashigen, hemdsärmeligen Charme und wirkt mit seinen Pappkulissen in Zeiten als CGI und Blue Screens gerade groß im Kommen waren natürlich völlig aus der Zeit gefallen, aber eben auch wie eine nostalgische Hommage an die anpackende, schnörkellose Kunst B-Filme zu drehen. Toll auch die sexuell aufgeladene Atmosphäre in der sich die Figuren ständig Anzüglichkeiten an den Kopf werfen und sich gegenseitig flachlegen wollen, aber nie richtig zum Zug kommen (Jason Stathams Begehren erinnert da doch sehr an die Zigarette, die Napoleon Wilson in ASSAULT so vehement verlangt und erst von Laurie Zimmer gegen Ende des Films überreicht bekommt). Und wie immer bei Carpenter ist natürlich der Western nicht weit: Die verlassende Stadt in der Wüste, der Saloon, der großartig inszenierte Zugüberfall am Schluß. Ein wirklich starker Film.