RE: John Frankenheimer



Abgespalten aus dem Kommentarbereich meines Sehtagebuchs aufgrund extraordinärer tagescinepolitischer Relevanz.

Happy Harry mit dem Harten schrieb on October 9th, 2010 at 03:03:

Sehr interessante Bewertungen zu Frankenheimer, machen richtig Lust es dir gleich zu tun und eine kleine Retro einzulegen. Bin mal gespannt, wie dir “Seconds” (sonst kenne ich nur noch “Ronin” und “Der Zug”) gefällt, in meinen Augen einer der progressivsten amerikanischen Filme der 60er und wirklich mal ein völlig unter Wert verkauftes Meisterwerk, so unbekannt wie der heute ist. “Harry Crown” wird jedenfalls schnellstmöglich geschaut. Gibt es vielleicht auch was schriftlich dazu? “Reindeer Games” und “Prophecy” kommen ja meist nicht so gut weg wie bei dir…

Eigentlich ist das gar keine Frankenheimer-Retro, die ich da veranstalte, sondern nur das Resultat der cineastischen Offenbarung, die mir ganz unerwartet und aus heiterem Himmel 99 AND 44/100 % DEAD und THE MANCHURIAN CANDIDATE (den ich mir aus Begeisterung für ersteren gleich am nächsten Tag angesehen habe) beschert haben. Nach einer Woche Frankenheimer bin ich völlig geplättet und glühe vor Begeisterung.
Aber gleichfalls ein wenig vor Enttäuschung: Der Mann muss einer der unterbewertetsten und auch missverstandendsten (was die Filme angeht, die keinen „Klassiker“-Status erreicht haben, angeht) amerikanischen Filmemacher überhaupt sein, den ich jetzt, ohne zu zögern, in einem Atemzug mit Hitchcock, Kubrick, Scorsese, Huston, Ford etc. nennen würde. Ich hatte mich nie für ihn interessiert, leider und glücklicherweise, denn die Zeit war, glaube ich erst jetzt reif für mich, ihn zu entdecken. Vor letzter Woche kannte ich nur ein Stück von BIRDMAN OF ALCATRAZ und GRAND PRIX, den ich ziemlich mochte, der mich allerdings auch nicht neugierig auf seinen Regisseur gemacht hatte, als ich ihn vor zwei Jahren überwältigenderweise auf 70mm sehen konnte. Und den hochgradig eigentümlichen THE HOLCROFT COVENANT, der mich vor einem Monat etwas neugieriger gemacht hat, den ich aber immer noch ein wenig in die Kategorie „Betriebsunfall“ eingeordnet hatte. Ich hielt es eben nicht so recht für möglich, dass dieser John Frankenheimer vielleicht ein subversives Spielkind im Kino-Sandkasten sein könnte – ich hatte mit seinem Namen immer nur solides “Craftmanship” verbunden, ein Vorurteil, welches anscheinend weiter verbreitet ist.

Da ich mir ganz und gar nicht sicher bin, dass ich in meinem momentanen Stadium der Überwältigung und aus dem diffusen Strom von Gedanken etwas Brauchbares (und Würdiges) aufs Papier bringen könnte, hole ich jetzt hier mal ein wenig aus, auch für meine geliebten Mitautoren, die sich ein natürliches Misstrauen gegenüber meinem ständigen Überschwang angeeignet haben und die einen grob umrissenen Einblick in meine frische Frankenheimer-Obsession erhalten sollten.;-)
Gestern Nacht habe ich SECONDS gesehen und bin sprachloser denn je weil er, wie du auch schon angerissen hast, wirklich zeigt, wie Frankenheimer durch die Decke gegangen ist zu seiner Zeit, in seinem System, in seiner Schule. Derartige Feststellungen sind für mich zwar immer eher sekundär (ich bin ja nicht Rajko), aber trotzdem: Ein Wunder, dass dieser Film ihm nicht seine Karriere ruiniert hat. Nicht nur der formale Exzess des Films. Nicht nur, dass er amerikanische Lebensmüdigkeit noch harscher aus dem Schatten reißt… Für seine Verhältnisse beinahe exzessiv harsch, da eine der vielen staunenswürdigen Eigenschaften seiner Filme seine mühelos ausbalancierte Beobachtungsgabe für soziale und politische Getriebe ist, die seine Feststellungen – die immer nur temporäre Gültigkeit zu haben scheinen – nie in die Gefahr der Anmaßung laufen lässt. Und trotzdem leistet er sich auch diese schrille Stilisierung, diese Comichaftigkeit (wenn man mich fragen würde, woran ich bei Frankenheimers visuellem Stil zuerst denke, würde ich vermutlich mit “schiefer Kamera” oder “Weitwinkel-Schangel” antworten) und dieser draufgängerische Leichtsinn, der seinen Bildern oft innewohnt. Und das sind dann einfach Bilder, deren amerikanischer Eskapismus auf eine, hm, europäisch anmutende Ruhe und Geduld treffen, eine Freude an der plötzlichen Zerstörung von Rhytmik – was dann häufig in Szenen mündet, die von entweder provozierender und / oder hypnotisierender bis surrealer sowie gelegentlich tatsächlich amüsant absurder Länge sind – in dem Sinn, dass er mit großen Genuss immer jeweils das hervorquellen lässt, für das im Studiokino normalerweise nie die Zeit bleibt (weil man es meist auch nicht haben möchte;-). Da kommt das Anzügliche, das Jämmerliche, das flüchtig Poetische, das runtergespielt Aggressive, das unbeabsichtigt Hämische, das zufällig Zärtliche, das dezent Perverse und das unbeachtet Tragische zum Vorschein für den kurzem Moment, den es sonst nicht oft vergönnt bekommt. Vielleicht können das auch wirklich nur sehr wenige Regisseure tatsächlich bannen und wenn dem so ist, würde das Frankenheimer nur noch höher platzieren. All diese neun Filme haben mir auch einen Mann gezeigt, der nicht nur die Ironie und das Risiko liebt, sondern der auch enorm verletztliche Figuren und Räume entwirft, tatsächlich verletztliche Filme dreht, die sich nicht gegen Widersprüche – stilistischer wie psychologischer Art – wehren. Das ist ihm dann wohl auch so schlecht bekommen, denn da Cineasten auch nur Menschen sind (man hält es ja kaum noch für möglich, aber doch!) und die Menschen Dinge, die für sie nicht zusammenpassen und die nicht augenscheinlich miteinander harmonisieren, nicht ausstehen können, können sie Frankenheimer auch nur dann so richtig doll ausstehen, wenn er sich als klassischer Filmemacher der alten Schule präsentiert und ihnen z. B. einen homogenen Politthriller wie THE MANCHURIAN CANDIDATE oder ein introvertiertes Quasi-Kammerspiel wie BIRDMAN OF ALCATRAZ vorsetzt.

Und auf der anderen Seite ist er eben der wahrscheinlich größte Actionregisseur, der mir, einem Ignoranten, der sich lange Zeit für Actionfilme (für Action natürlich schon) nie besonders interessiert hat, mit den Autorennen in GRAND PRIX und vor allem den Verfolgungsjagden in RONIN und REINDEER GAMES Freudentränen in die Augen treibt, der rein filmische Dynamik so innig begriffen hat, dass man vor einer einfachen Autoverfolgungsjagd atemlos in die Knie gehen und verzaubert “Kunst” hauchen möchte. Die Montage ist eine von Frankenheimers größten Stärken und er schneidet manchmal auch sehr gerne über die Köpfe der Schauspieler hinweg. ALL FALL DOWN zum Beispiel (Völlig vergessen, der Film. Kann mir nicht erklären, warum. Viel zeitloser und frischgebliebener als so mancher kanonisierter Jugend-Problemstreifen dieser Jahre) hat etwas sehr Kazaneskes an sich (nicht nur wegen der vielen Kazan-belasteten Mitwirkenden), aber in Momenten, die Kazan wahrscheinlich ehrfürchtig der stehenden Kamera und seinen Schauspielern überlassen hätte, setzt es bei Frankenheimer aus heiterem Himmel einen physischen Insert-Shot. Der Schnitt in SECONDS ist ja auch vollkommen unfassbar und furchteinflößend. Da entsteht tatsächlich durch das Zackige Schnittgewitter weit mehr Surrealismus als durch die Kamera selbst.

Überhaupt: Schauspieler und Orte bei Frankenheimer. Die Schauspieler saugt er immer bis zum letzten Tropfen aus, unterdrückt aber gleichzeitig den Schauspieler in dem Charakter so sehr, dass nie die Bedrohung eines theatralen Flairs aufkommt. Gerade auch in einem Film wie ALL FALL DOWN erkennbar – solche Filme machten Stars damals, um nach ihrem Hauptdarsteller-Oscar noch einen Nebendarsteller-Oscar abzustauben. Was man den Darbietungen von Stars in diesen Filmen leider auch oft anmerkt (nichts neues, das hat sich bis heute gehalten und ist penetranter denn je, da Stars heute in aller Regel keine… na ja.)
Der Schauspieler verschwindet also und mit ihm auch die Schauspielführung. Unglaublich. Ich habe das noch nie so natürlich gesehen und es wirkt bei Frankenheimer auch noch besonders intensiv, da er eigentlich keinen lästigen Realismus-Fetisch hat, der ihn ständig zu Spülwasser-Dampf, Straßenstaub oder natürlichem Licht anspornen würde. Realismus ist bei ihm ein filmischer Effekt wie jeder andere auch (ich liebe es) und das ist eine Tugend, die noch weit rarer ist als seine übrigen, die ich bereits aufgezählt habe (das nimmt hier leider auch gerade die Form einer Aufzählung an – klassisches Krankheitsbild unbeschreiblicher Euphorie). Filmischer Realismus – den halte ich schon seit längerem für ein Trugbild. Den gibt es so einfach nicht.

Und dann Locations bei Frankenheimer. Hier zeigt sich für mich ein besonders tiefes Verständnis der emotionalen und körperlichen Schlucht zwischen Leinwand und Kino, bzw. Kamera und Auge, Lichtquelle und Filmmaterial, etc. pp.
John Frankenheimer ist für mich ein Meister der Location. Nicht einmal so sehr der Location-Wahl sondern schlicht und einfach in seinem Umgang mit Locations, seinem Blick auf Locations, seiner Wahrnehmung bis hin zu seiner passiven Interpretation von Locations. Wenn er in RONIN Nizza filmt oder in THE CHALLENGE Japan, ist die Kamera nie Tourist, selbst wenn die Figuren es sind (Frankenheimer ist auch total multiperspektivisch und springt ständig, häufig unberechenbar, hin- und her. SECONDS ist da mit seiner extremen subjektiven Objektivität eine Ausnahme in meinem bisherigen Erfahrungsbereich).

Man spürt die Orte (nicht „erlebt“ – da käme dieses ärgerliche Realismus-Verständnis wieder ins Spiel). Man kann sie auf sich wirken lassen, oft auch innerhalb kurzer Momente. Sie sind begehbar, erstastbar, ohne dass mit der Kamera gewackelt würde, um uns zu signalisieren „Hey, ihr seid jetzt DA!“. Oder das man manipulativen Gebrauch von Direktton machen würde, um uns eine crispe Geräuschkulisse einzutrichtern, wie man es heute in diversen „naturgeschmäcklerisch“ verbrämten Arthouse-Pralinen antreffen kann (Um die Nerven einiger meiner Mitträumer nicht eskalieren zu lassen, will ich hier keine Titel nennen).
Die Orte leben immer und wirken eben gerade nicht wie Locations, die man für einen Film ausgesucht hat, sondern wie organische Instanzen, die ihren festen Platz haben neben den Darstellern und manchmal auch der Requisite. Es ist die ganz eigene Atmosphäre der Orte, die Frankenheimer an ihnen vorfindet und die einzufangen er versteht wie nur wenige andere. Es verstehen meiner Erfahrung nach überhaupt sehr wenige Filmemacher, ihren Drehorten auf Augenhöhe zu begegnen.
Die Locations sind Darsteller – aber eben nicht so, wie man manchmal über ein altes Schloss in einem Gothic-Horrorfilm sagt, es sei der Hauptdarsteller des Films. Wenn die Locations Schauspieler wären, wären sie also in Frankenheimers Filmen Laiendarsteller und keine method actors.
Gerade diese schwer greifbare, eigene Art, mit Orten und Gebäuden umzugehen, diese Art, die mit Realismus an sich nichts zu tun hat, weil es ausschließlich um Wahrnehmung und nicht um Eindrücke geht, macht Frankenheimers Filme ungeheuer sinnlich. Sie sind rauschende Sinnenfeste, auch REINDEER GAMES und PROPHECY sind Sinnenfeste.

Von letzterem versprach ich mir tatsächlich nur einen mäßigen Horrorfilm, der aber als Film an sich vielleicht interessant sein könnte. Bekommen habe ich einen Film, der als Film an sich und als Brainstorming zum damaligen politischen Schleudertrauma sehr interessant ist, der aber tatsächlich in allererster Linie zu meiner intensivsten und markerschütterndsten Horrorfilm-Erfahrung seit meiner inzwischen fast fünf Monate zurückliegenden Sichtung von Serradors EIN KIND ZU TÖTEN geriet. Unsereins ist bekanntermaßen ja nicht mehr allzu leicht von der Stelle zu bewegen in Sachen Horror. PROPHECY hat mir aber letztlich eine jener seltenen, herben Adrenalin-Duschen geschenkt, die mir seit meiner traumatischen jugendlichen Horrorfilm-Initiation mit Argentos L’UCCELLO DALLE PIUME DI CRISTALLO und Carpenters HALLOWEEN nicht mehr oft vergönnt sind. Der Film ist eine furios umgesetzte Achterbahnfahrt, die auf eine hinterhältig gewundene Spannungskurve baut, die dem ersten HALLOWEEN sehr ähnelt, nur der Bösewicht hier natürlich nicht das Monster, sondern die Quecksilbervergiftung des Flusses ist, die als Bösewicht mit einem melodramatischen Kunstgriff so eingeführt wird, dass mir, zum vielleicht ersten Mal bei einem „Verseuchte Umwelt produziert Mutantenmonster“-Film, tatsächlich mulmig zumute war. Dass das funktioniert, führe ich auf das m. E. überdurchschnittliche Drehbuch zurück, aber damit stehe ich wohl allein. Gerade die Charaktere in PROPHECY sind in meinen Augen ausnahmsweise einmal nicht amerikanische Täter, die sich für Opfer halten, sondern tatsächlich nur amerikanische Opfer, die im Gebirgswald, ihrer mythischen Wiege, gegen einen degenerierten Bären kämpfen – der Mythos selbst ist also degeneriert und unter diesem Gesichtspunkt wirkt dann vielleicht auch das indianische Element des Films nicht mehr ganz so ungelenk wie von vielen behauptet. Den Vorwurf, das Drehbuch sei reine Kolportage, kann ich nicht nachvollziehen. Es ist nicht allzu komplex, aber es ist weder simpel, noch psychologisch anmaßend. Aber ich gehöre ja auch zu denen, die eisern darauf beharren, dass Joe Eszterhas‘ SHOWGIRLS-Drehbuch eine Meisterleistung darstellt.

Frankenheimer hat Ende der 60iger in einem Interview festgestellt, dass seine bisherigen Filme ja doch sehr maskuline Filme gewesen wären, da er sich bisher nie so recht an weibliche Figuren herangetraut hat (glatte Lüge, wenn man sich die starken weiblichen Parts in ALL FALL DOWN, THE MANCHURIAN CANDIDATE oder SECONDS besieht). Das Paradoxe daran ist, dass er einerseits zwar recht hat, da es sich tatsächlich um sehr männlich dominierte Filme handelt, diese Filme andererseits jedoch denkbar weit entfernt vom Testosteron-Pathos zahlreicher anderer Prä-New Hollywood-Dramatiker und Mythologen ist. Chauvinismus, Männerfreundschafts-Romantik, distanzlose Parolen-Drescherei, selbst wenn sie nur “in character” wäre, habe ich bei Frankenheimer noch nicht entdecken können. Eigentlich haben seine Filme, von den Figuren her aufgerollt, etwas ausgesprochen ungeschlechtliches an sich, nicht selten sogar in Form einer leichten, aber merklichen Verschiebung, die manchmal dazu führt, dass die vermeintlichen Geschlechterrollen auf nahezu surrealistische Weise vertauscht werden. Mein letzter Frankenheimer war BLACK SUNDAY, etwas abstrakter betrachtet eine äußerst irritierende Travestie-Show mit Marthe Keller als agilem Rauhbein, Bruce Dern als diffuser “damsel in distress” und Robert Shaw als Ober-Transe, die pausenlos ihren Body-Suit wechselt. Unfassbar. Und natürlich nicht einmal halb so schrill, wie ich es hier klingen lasse. Es bleibt, wie das meiste, was an Frankenheimers Filmen so toll ist, ein elusives, unstetes und letztlich natürlich auch schangeliges, Metaebenenartiges Geflecht zwischen den Bausteinen, auf die es als Wirt es nicht angewiesen ist (was experimentellere oder auch einfach nur verspieltere Frankenheimer-Filme wie SECONDS, GRAND PRIX oder z. B. auch REINDEER GAMES beweisen), deren naheliegender und natürlich manchmal vorgeschriebener Gebrauch Frankenheimer aber eher entgegenkommt, weil er mit der Konvention, mit Genreregeln genau die Art von höllisch-nonchalantem Spaß hat, die nur jemand daran haben kann, der sie genauestens kennt und von Herzen liebt.
Gleichzeitig ist es ihm – oder war es ihm zumindest einmal – aber auch nicht ganz geheuer, denn dann liest man ihn wieder sagen (1969), dass Hitchcock ja eigentlich bei aller technischen Güte seiner Filme eben doch „a commercial director if there ever was one“ sei und dass er niemals mit Hitchcock tauschen wollen würde. Dieses manchmal etwas schizophren erscheinende Verhältnis zum Genre (wobei er tatsächlich meinte, dass er meist „character-driven action films“ im Sinn hätte) kommt perfekt zum Tragen in meinem Initiations-Funkenfilm 99 AND 44/100 % DEAD, dem ultimativen postmodernen, untertrieben surrealen Gangsterfilm, der all das schon so unendlich viel eleganter, reiner, klarer und reifer gesagt und getan hat, was die Filmemacher der 80iger und 90iger, die heute als „Postmodernisten“ gelten, so unendlich weniger klar, rein und um soviel selbstvereinnahmter und -bewusster nochmal (und immer und immer wieder und wieder) wiedergekäut haben.

Wenn Frankenheimer versucht, ganz klar und nüchtern Erzählkino zu machen, endet das eher in dem Malheur, dass er sich seinem eigenen Ehrgeiz zuliebe – und wie die meisten amerikanischen Filmemacher seiner Schule hält er das klassische Erzählkino natürlich für die Königsdisziplin – zurechtstutzt und seine assoziative Spontaneität wie die unglaublicher- wie anbetungswürdigerweise damit eng verbandelte Stilisierungswut einer Schlicht- und Kühlheit Platz macht, die mitunter etwas unbequem in “echtem” (s. o.) Film-Realismus mündet wie in ANDERSONVILLE, einem Film, der zwar von diesem Realismus gerettet wird, dessen dramaturgisches Konstrukt (das Drehbuch) offensichtlich diesen Ansatz nicht unterstützt. Es ist schon sehr tragisch, wie stiefmütterlich man Frankenheimer für den gesamten Rest seiner Karriere nach dem Einbruch der späten 70iger, behandelt hat von Seiten der Studious und Sender. Obwohl ich aus Frankenheimers Spätwerk bisher nur drei Filme kenne, empfinde ich den Unterschied zu seinem Früh- und Zentralwerk als extrem drastisch, weil man in diesen späten Filmen (in RONIN vielleicht nicht so sehr – aber RONIN ist im Endeffekt auch fast ein Remake von BLACK SUNDAY) zum ersten Mal ein Tauziehen zwischen dem Film und seinem Regisseur bemerkt, einen Konflikt, der nur in brillantem Chaos enden kann (so wie bei REINDEER GAMES), nicht aber in chaotischer Brillanz (Frankenheimers spezifische Brillanz).

Chaotische Brillanz. Davon sollte es einfach mehr geben. Viele der wenigen Regisseure, die dazu im Stande sind, haben sich bereits einen Platz in meinem Pantheon erobert und Frankenheimer hat auch schon seine Säule. Habe ich schon erwähnt, dass ich seine Filme als zutiefst elegisch und poetisch empfinde? Man traut sich ja fast nicht mehr, so etwas über Filme zu schreiben ohne sich der Schlöndorfferei schuldig zu machen.

BlackSunday
Seconds
99And44/100%Dead
AllFallDown
52PickUp
AllFallDown
99And44/100%Dead
Seconds
Andersonville
TheManchurianCandidate
BlackSunday
Seconds

Dieser Beitrag wurde am Sonntag, Oktober 24th, 2010 in den Kategorien Ältere Texte, Blog, Blogautoren, Christoph, Filmschaffende veröffentlicht. Sie können alle Kommentare zu diesem Beitrag über den RSS 2.0 Feed verfolgen. Sie können diesen Beitrag kommentieren, oder einen Trackback von ihrer eigenen Seite setzen.

10 Antworten zu “RE: John Frankenheimer”

  1. Mr. Vincent Vega on Oktober 24th, 2010 at 22:52

    Gott sei Dank: Dass du nicht ich und ich nicht du bin. 😀

  2. Christoph on Oktober 24th, 2010 at 22:59

    Muss ich das verstehen? Kannst du mir nicht einfach direkt ans Bein pinkeln anstatt immer einen Strohhalm zu benutzen? Und könntest du vielleicht einfach mal zur Abwechslung auch mal einen meiner Texte wirklich lesen und ihm etwas Postprocessing zukommen lassen, statt immer gleich daherzusticheln? Wie bin ich denn zu dir, du dekadente Luxus-Zicke, du?

    Allerdings hast du natürlich recht. Ich bezweifle, dass du den Schock über die unerwartete Bewusstseinserweiterung überlegen würdest, wenn du plötzlich ich wärst. Und ich würde eingehen, wenn ich plötzlich nur noch kommerzielles amerikanisches Kino der Gegenwart gucken dürfte und meine Sonntagabende mit dem perfekten Promi-Dinner verbringen müsste. 😀

  3. Mr. Vincent Vega on Oktober 25th, 2010 at 00:41

    „Muss ich das verstehen? “

    —> „[…] (ich bin ja nicht Rajko) […]“ (Zitat aus deiner Frankenheimer-Prätentionsvertrashung)

  4. Mr. Vincent Vega on Oktober 25th, 2010 at 00:47

    PS: Erzähl mir nichts von amerikanischem Gegenwartskino. Bevor du kürzlich deine etwas nerdige Ich-muss-die-gesamte-Filmographie-von-Frankenheimer-abreißen-Phase begonnen hast, kannte ich mehr von dem Mann als du. Mit dem Unterschied, dass meine Bodenaftung plus unglaubliche Kompetenz mich nicht verleiten würde, Quatsch wie REINDEER GAMES zu Mega-Autorenkino hoch zu pushen. 😀

  5. Christoph on Oktober 25th, 2010 at 01:35

    Bodenhaftung ist öde, Kompetenz gleich Professionalität und somit noch öder und Autorenkino ist doch ein leerer, längst überkommener Begriff, den nur noch Filmkritiker so ernst nehmen (aber du bist ja einer). Sieh dir REINDEER GAMES lieber nochmal genauer an. Eine Sichtung vor fast zehn Jahren, als du noch ein zarter Knabe warst, kann unmöglich die Behauptung, es handele sich bei dem Film um Quatsch (sowieso total platt, das), begründen, du kleines Konsensbärchen. Und etwas pushen tut hier nur einer, nämlich du mich – zum trashigen, selbsternannten Cine-Messias, der ich gar nicht sein will und nicht bin. 😉

    Was die Klammer betrifft – genau wie du vergesse ich doch auch immer, was genau ich geschrieben habe. Ich übernehme keinerlei Verantwortung dafür.^^

  6. Mr. Vincent Vega on Oktober 25th, 2010 at 01:41

    Genau wie ich? Nee, nee. Mit anderen Worten: Du arbeitest unkonzentriert und leidest unter ersten Altersanzeichen. Ob das manch verquere Rezeptionsschlenker erklärt? 😀

  7. Christoph on Oktober 25th, 2010 at 01:48

    Das ist natürlich Totschlagargument Nummer eins – da kann ich ja nur kapitulieren. Du schlägst mich mit meinen eigenen Waffen (bzw. den Argumenten, die ich oft genug selbst gegen mich ins Feld führe).
    Mach dich auf was gefasst bei unserem nächsten Gespräch. Übrigens nehme ich an, dass du den Post, zu dem du hier gerade Kommentare postest, tatsächlich noch nicht gelesen sondern lediglich überflogen hast.

  8. Mr. Vincent Vega on Oktober 25th, 2010 at 01:50

    Habe ihn gelesen, sonst wäre mir ja die feine, originelle und EXTREM subtile Spitze gegen mich entgangen. *zwinker und küsschen aufs nüsschen*

  9. HappyHarry mit dem Harten on Oktober 28th, 2010 at 23:35

    Das es bei deiner Retro nicht um eine geplante Aktion ging war mir schon klar, für mich ist es dennoch eine solche – besonders wenn man sieht, wie sehr du Frankenheimer eben vor anderen vorgezogen hast und deine Filmauswahl ja sonst eher sprunghaft und in deinem besonderen Sinn ausgewogen scheint. Bei mir entstehen solche Retrospektiven auch immer eher intuitiv. Bei Bresson hatte ich mir eigentlich eine ausgedehnte Reihe vorgestellt. Nach drei Filme war Schluss. Warum? Kann ich nicht sagen, haben mich MOUCHETTE und PICKPOCKET doch extrem verzückt (besonders letzterer, der ja unwahrscheinlich viele Parallelen zu dem von mir verehrten Dostojewski aufweist). Nur folgerichtig das sich Bresson später an eine direkte Adaption gewagt hat. Wird wohl der nächte Bresson sein, also UNE FEMME DOUCE – mit einem direkten Durchlauf hat es dann aber nicht geklappt – nicht weil mir die JOHANNA nicht geschmeckt hat sondern weil ich nach drei Werken etwas Abstand brauchte und ein gnadenloses Durchziehen nicht viel bewirkt hätte. Anders war es dieses Jahr etwa bei Romero, Cronenberg, Fassbinder, Solondz, Takashi Ito, Kurt Kren und einigen anderen, die ich nahezu komplett verschlungen habe – jeder Filmemacher braucht eben auch die richtige Zeit…

    Schon SECONDS rechtfertigt zumindest für mich die Annahme, das du mit deinen Lobpreisungen so falsch gar nicht liegen kannst. Du hast übrigens gut daran getan, deine Antwort als eigenständigen Post zu veröffentlichen – ist ja schon ein richtiger Essay geworden, den du da verfasst hast. Vielen lieben Dank auf jeden Fall für deine ausführliche Stellungnahme. Ein simpel zu fassender Routinier scheint Frankenheimer jedenfalls nicht zu sein, was auch RONIN belegt – habe den nicht allzu toll gefunden, muss aber rückblickend immer wieder feststellen, wie genau ich ihn teilweise in Erinnerung habe und wie sehr er retrospektiv gewachsen ist. Dominik Graf schreibt ja auch sehr schon in einem Text (in seinem Sammelband gelesen), das Leute wie Lumet, Peckinpah, Altman und eben Frankenheimer schon das eigentliche „New Hollywwod“ waren und das deren Filme von echter Lebenserfahrung geerdet waren, die mit den Filmschülern Coppola, Spielberg und Lucas aus dem amerikanischen Kino verschwinden sollte – ohne mich jetzt in deinen kleinen Disput mit Rajko einmischen zu wollen: Lucas und Coppola halte ich gleichermaßen für die Pest, Spielberg mag ich mit wenigen Ausnahmen sehr gerne. Aber das hatten wir ja schon an anderer Stelle.

    Tatsächlich ein Wunder, das Frankenheimer mit SECONDS durchgekommen ist. So kompromisslos grausam habe ich nur selten einen Film empfunden. Das fängt schon mit den zu recht von dir verlinkten Credits an (welch eine Meisterleistung und gleichzeitig so perfekte Einstimmung in die wummernde Soghaftigkeit des Films) und findet im Finale einen Höhepunkt, der mir wirklich so unangenehm in die Knochen gefahren ist wie nur ganz selten irgendein anderer Film zuvor. Von deinen eloquenten Beschreibungen hat es für mein Empfinden das „unbeachtet Tragische“ am besten getroffen – ohne da jetzt zu sehr ins Detail gehen zu wollen, da bei mir im Moment nur Wortmüll raussprudelt.

    Da ich vor kurzem MACHETE gesehen habe und den als zutiefst selbstverliebt und sich-selbst-genug einstufen würde, muss ich mich langsam aber sicher deiner und Rajkos Anti-Post-Postmoderne-Meinung anschließen, denn HARRY CROWN sieht um so vieles abgeklärter, klüger und vor allem – wie du schon sagst – reiner und reifer aus, als alles was diese Retro-Schinken bewirken sollen. Damit meine ich aber explizit nicht Tarantino, zu dem ich meine Einstellung nicht geändert habe. Aber Rodriguez und Konsorten werden mir langsam echt zu blöd, auch den Blaxploitation-Wiederbelebungsversuch BLACK DYNAMITE musste ich wider Erwarten 3 mal anfangen um ihn überhaupt durchzustehen.

    Zu SHOWGIRLS: Meine letzte Sichtung entstammt noch einem ganz frühen Stadium der Entwicklung meines filmischen Geschmacks. Damals fand ich den intuitiv ganz toll, hab das aber ganz schnell als guilty pleasure abgehakt, weil das in einer Zeit war, in der ich gedacht habe, ein von allen Seiten so verachteter Film kann eben nur gut sein, weil er so schlecht ist, das man ihn mag. Dabei weiß ich noch ganz gut, das mich damals schon Zweifel beschlichen haben, was zum Geier denn so übel sein soll an diesem wahnsinnig unterhaltsamen und unverkrampften Streifen. Heute denke ich da natürlich anders drüber und ich bin mir fast sicher, das ich SHOWGIRLS nach einer neuen Begegnung ebenfalls als Meisterwerk klassifizieren würde. Überhaupt liebe ich Verhoeven. Einer der ganz wenigen, die ihre Filme mit den Eiern machen – und zwar wesentlich stärker noch als der gute Jodo…

    Kann gerade nicht so richtig klare Gedanken fassen und weiteren Input für die Diskussion muss ich mir erst mit 2 bis 3 Frankenheimern holen. Eine erste Antwort wollte ich aber schon liefern…

    Lieben Gruß
    Marco

  10. Sano on November 5th, 2010 at 22:27

    @Christopher Columbus

    Habe jetzt auch endlich dein schönes Posting gelesen. Die Frankenheimer-Wut ist ja leider bisher noch nicht auf mich übergesprungen, aber so etwas wie eine verspätete Initiation hat sich ja bei unserer gemeinsamen Sichtung von Dead Bang (1989) ergeben. Schon skurril, dass ausgerechnet dieser Frankenheimer (und auch noch mein bereits Sechster Film von ihm), auch mein liebster ist.

    Aber obwohl mir The Challenge letzten Monat (in der deutschen Synchro?) nicht munden wollte, und ich dir an dieser Stelle eben mit diesem Japsploitationstreifen widersprechen möchte, wenn du sagst Chauvinismus, Männerfreundschafts-Romantik, distanzlose Parolen-Drescherei, selbst wenn sie nur “in character” wäre, habe ich bei Frankenheimer noch nicht entdecken können – bin ich inzwischen doch auch so begeistert von Frankenheimer, wie ich es mir bereits zweimal in meinem Leben (jeweils vor der Sichtung von Ronin, den ich jetzt sicher NOCH EINMAL sehen werde!) gewünscht hatte.

    Die eigentliche Initiation kam aber wohl zufällig im September im Urlaub, als ich (wie ich dir ja bereits erzählt habe) beim Zapping im Fernsehen ehrfürchtig bei der Unfallszene des Champions in Grand Prix vor dem Bildschirm verharrte. Der Film erschien mir dabei so brillant zu sein, wie ich es mir zwei Jahre zuvor bei der 70mm-Sichtung nie zu erträumen wagen erhofft hätte.

    Blablabla, wie auch immer. Vielen Dank nochmal, dass du mir letztes Wochenende die Frankenheimerausschnitte gezeigt, und mir All Fall Down dagelassen hast! Ich werde mich bald daran zu laben wissen. 😀

    Außerdem verstehe ich jetzt auch zu 100% was du über Frankenheimer und Locations schreibst. Wow! Sehe ich ebenso. Und die Tragik sowieso. 😉

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