100 Deutsche Lieblingsfilme #23: Mädchen – Mädchen (1966)

Mädchen Mädchen

Als 1960 Jean-Luc Godards „Ausser Atem“ in den europäischen Kinos erschien, war der Film nicht nur in finanzieller Hinsicht ein Erfolg, sondern sollte für die Filmlandschaft der 60er Jahre prägend bleiben. Ähnlich wie 3 Jahrzehnte später nach Quentin Tarantinos Durchbruch mit Pulp Fiction, gab es in den Folgejahren zahlreiche Variationen die Godards erzählerischen Stil und seine Inszenierung von Paarbeziehungen, wie sie sich auch in seinen späteren Filmen wie „Die Verachtung“ (1963) oder „Die Außenseiterbande“ (1964) wiederfinden sollten, zu kopieren versuchten. Das Neue dabei war nicht unbedingt die Fokusverschiebung auf junge Protagonisten, die Bezugnahme auf die Jugendkultur und die Einbindung von Popmusik und Werbeästhetik, das Neue war, wie Godard seine Figuren und ihre Gesichter, wie er Räume und Landschaften filmte, wie er Körper in Bezug zu ihrer Umwelt setzte. Und wie er seine Bilder und Töne, ihre auch voneinander unabhängige Dynamik, durch seine Schnitte strukturierte. Was jedoch die meisten Godardepigonen der 60er von den Tarantinoimitatoren der 90er unterscheidet, ist die überraschende Tatsache, dass viele Filme scheinbar mühelos die Qualitäten ihres Vorbildes erreichten oder sogar noch übertrafen. Roger Fritz’ Mädchen – Mädchen war einer davon.

Natürlich waren das auch fast immer Filme, in denen Männer Frauen filmten, und Helga Anders ist daher Roger Fritz’ Version von Anna Karina, wobei sie in vielen Momenten vor allem wie eine junge Brigitte Bardot wirkt. Sie ist die jungendliche Tochter einer kleinbürgerlichen Familie, die wegen ihrer Affäre zu einem reichen Geschäftsmann einige Monate in einer Erziehungsanstalt verbringen musste, und zu Beginn des Films entlassen wird. Ihr zur Seite wird Jürgen Jung als Sohn eben jenes Geschäftsmannes gestellt, der wohl schon lange Zeit heimlich in Anders verliebt war, und diesmal die Chance des abwesenden Vaters (Hellmut Lange, der in Folge der Affäre noch im Gefängnis sitzt) nutzt: Zwischen Anders und Jung kommt es zur Liebesbeziehung, die am Ende des Films auf die Probe gestellt wird als der Vater wieder zurückkehrt.

Angesiedelt ist die nur wenige Tage umspannende Geschichte auf dem Fabrikgelände, zwischen malerischen Waldabschnitten und sterilen Industrieanlagen, zwischen Freizeit und Alltag, Büro, Steinbruch und Herrenhausvilla, lediglich unterbrochen von einem kurzen Abstecher in die noch tiefere Provinz zu Anders’ Eltern oder einem Ausflug in eine angesagte Diskothek in München – alles in intensiv vibrierendem Schwarzweiß von Kameramann Klaus König, der auch Hans-Jürgen Syberbergs im gleichen Jahr entstandenen Romy. Porträt eines Gesichts oder später Johannes Schaafs Traumstadt (1973) fotografieren sollte. Das besondere an Mädchen – Mädchen ist einerseits eben dieser spezifische Schauplatz – dieser Mikrokosmos der deutschen Gesellschaft, in dem viele ihrer Akteure zu finden sind – und die kontrastreiche Atmosphäre die beim Aufeinanderprallen der zahlreichen Ebenen entsteht, sowie andererseits die Beobachtung, dass bei Fritz fast alle Figuren bei ihren Auftritten gleich wichtig erscheinen. Und alle strahlen sie Erotik aus – nicht, weil sie es von sich aus tun würden, sondern weil der Kamerablick es so will.

Das Portrait einer Zeit, einer Gesellschaft, aber mit Lässigkeit statt Didaktik, Interesse statt Ablehnung. Zärtlich, liebevoll, nachgiebig, hintergründig, absurd, klarsichtig, vielschichtig, widersprüchlich, verspielt, satirisch, bitter, komisch, frustriert, abgeklärt, gekonnt. Von Godard lernen, heißt siegen lernen.

 

Mädchen – Mädchen – BRD 1966 – 102 Minuten – Regie und Produktion: Roger Fritz – Drehbuch: Roger Fritz, Eckhart Schmidt – Kamera: Klaus König – Musik: David Llywelyn – Schnitt: Heidi Genée – Bauten: Jevgenji Cherniajev – Darsteller: Helga Anders, Jürgen Jung, Hellmut Lange, Renate Grosser, Klaus Löwitsch, Ernst Ronnecker, Monika Zinnenberg, Christian Doermer, Werner Schwier

100 Deutsche Lieblingsfilme #19: Küss mich, Monster (1967)





Als in einer stürmischen Gewitternacht ein mysteriöser Fremder seinen letzten Atem ausgerechnet auf der Türschwelle von Diana und Regina aushaucht, ist dies für die beiden Hobbydetektivinnen der Auftakt zu einem wilden Abenteuer. Der Tote hat nämlich nicht nur einen Wurfdolch im Rücken, sondern auch eine Partitur in der Hand. Die darauf verzeichneten Töne und Texte ergeben zusammen ein altes Volkslied, das die scharfsinnigen Schönheiten geradewegs auf eine sonnige Insel führt. Es dauert nicht lange, da sehen sich die beiden, die ihre Brötchen im Übrigen nicht nur durch Privatschnüffelei, sondern auch mittels freizügiger Varieté-Performanzen verdienen, mit einer illustren Schar skurriler Gestalten konfrontiert, die allesamt ein Auge auf eine ominöse Zauberformel geworfen haben und fürchten, Diana und Regina könnten ihnen eben diese abspenstig machen.

So treffen die leichtgeschürzten Detektivinnen unter anderem auf eine mysteriöse Sekte, eine Gruppe radikaler Feministinnen, verrückte Wissenschaftler, durchtriebene Doppelagenten und einen unmoralischen Geschäftsmann, der offenbar unter der Fuchtel eines verhaltensauffälligen Kindes steht, das bestürzende Ähnlichkeit zu einem Nacktaffen aufweist. Blöd nur, dass die Informanten, mit denen sich die Ermittlerinnen zwischen allerlei Tanz- und Gesangseinlagen treffen, meist durch zweckentfremdetes Schneidwerkzeug schon ein verfrühtes Ende finden, bevor sie ihre kostbaren Informationen überhaupt preisgeben können. Irgendwie gelingt es Diana und Regina am Ende dann aber doch noch, dem totgeglaubten Biologen auf die Spur zu kommen, der mithilfe der heiß begehrten Super-Formel eine muskelbepackte Übermenschen-Rasse zu züchten plant.

Klingt wirr? Ist es auch! Und es ist großartig! Jenseits jeglicher Logik oder Plausibilität entspinnt sich dieses herrlich beknackte Spionage-Spiel zwischen Palmen, Strand und Sleaze-Gestöber, immer nur auf den Genuss des Augenblicks aus und nie den Zwängen der Kontinuität gehorchend. Es ist schon bewundernswert, mit welcher Leichtfüßigkeit Franco seine Protagonistinnen von Szene zu Szene tänzeln lässt, egal ob sie nun gerade halbnackt Saxophon spielen oder sich der Attacken peitschenschwingender Tunichtgute erwehren müssen. Nichts wird ernst genommen, alles ist ein Spiel. Wen interessiert es da schon noch, wenn zwischen all den albernen Zipfelmützen-Mönchen und grunzenden Übermensch-Proleten die Plausibilität auf der Strecke bleibt? Ausgeklügelte Geschichten gibt es im Kino schließlich wie Sand am Meer (Sand am Meer gibt es in diesem Film übrigens auch wie Sand am Meer, entspinnt sich doch der gefühlte Großteil des Plots vor sonnigen Postkarten-Stränden).

Was „Küss mich, Monster“ zu bieten hat, ist dagegen deutlich rarer gesät. Hier wird das kunstgeplagte Gehirn des geneigten Cineasten auf eine All-inclusive-Kreuzfahrt über das Meer der enthemmten Trivialitäten geschickt. Wer sich auf den Trip einlässt, darf sich verwöhnen lassen von den coolen Sprüchen strammer Bikini-Miezen, sinistren Superschurken, die in etwa so furchteinflößend wie Graf Zahl aus der „Sesamstraße“ sind, und Dialogen, die streng nach deutschem Trashgebot gebraut sind. Prädikat: Wohlfühl-Franco!



Küß mich, Monster – BRD/Spanien 1967 – 79 Minuten – Regie: Jess Franco – Drehbuch: Karl Heinz Mannchen, Jess Franco, Luis Revenga – Produktion: Pier A. Caminnecci, Adrian Hoven, José López Moreno – Kamera: Jorge Herrero, Franz Hofer – Musik: Jerry van Rooyen – Schnitt: Francisco García Velázquez, María Luisa Soriano – Darsteller: Janine Reynaud, Rosanna Yanni, Chris Howland, Michel Lemoine, Manuel Velasco, Manolo Otero, Ana Casares, Adrian Hoven, Marta Reves.

Lulu (1962)

“Eine burleske Tragödie” verspricht klangvoll der Untertitel. Burlesk, das ist ein Adjektiv, das häufig das Frivole, das Obszöne, kurz: den Sleaze, miteinschließt. Man kann sich kaum ausmalen, welche ungeheuren Gefühle das deutsche Kinopublikum übermannt haben müssen, als es 1962 hilfloser Zeuge von Rolf Thieles unbarmherzigen Epos der reuelosen Verworfenheit wurde. Aus den verruchten österreichischen Ateliers geradewegs in die bundesrepublikanischen Provinzkinos! Und da wurde man Zeuge seiner großen Stars, die, einer nach dem anderen, getrieben, zerrissen und doch furchtlos der blonden Lulu in den Untergang folgten.

LULU ist ein verglühender, lüsterner Film. O. E. Hasse, Hildegard Knef, Mario Adorf, Rudolf Forster und Sieghart Rupp – sie alle verglühen unter dem ätherischen Schleier der Begierde für Nadja Tiller, die Rolf Thiele hier neu für sich erfunden hat. Denn auch er verglüht in den Sonnenstrahlen der von ihm geschaffenen Venus, die in der immer gegenwärtigen Lust, die sich aus ihr speist, badet und räkelt.
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100 Deutsche Lieblingsfilme #17: Das Kaninchen bin ich (1965)

Wenn man gemeinhin vom deutschen Film spricht, wird oft allzu schnell vieles vergessen. Über die Weimarer Republik, die NS-Zeit und das Nachkriegskino, ist man auch schon rasch bei den Oberhausenern, beim Neuen Deutschen Film und in der Gegenwart gelandet.

Die DDR ist ebenso Ausdruck deutscher (Film-)Geschichte wie deutscher Verdrängung; Parallelen zum Nazikino treten fast von Selbst auf. Wenn Maria im Film ihren Geliebten, der gleichzeitig auch Richter ist, fragt wie das Recht sich ändert, und warum es sich ändert, so antwortet er ihr: „Jede herrschende Klasse gibt ihr positives Recht als Naturrecht, als die allgemeine Glückseligkeit aus.“ Die DDR natürlich auch, schiebt er nach, aber mit größerem Recht.

Wenn man ins 20. Jahrhundert blickt, könnte man sich fragen, welcher deutsche Staat denn nun ein Rechtsstaat war, und wie deutsche Selbstbestimmung aussah. Aus heutiger Sicht scheint es klar – aber war das Kaiserreich ein größeres Unrecht als die Weimarer Republik, haben die Nazis die Macht ergriffen, während die DDR von der Arbeiterklasse hervorgebracht wurde, und hat der Westen Deutschlands von seinen Besatzern eine Verfassung geschenkt bekommen, die er nach der Wiedervereinigung an die frisch Hinzugekommenen weitergab?

Die Geschichtsschreibung steckt voller Mythen, und nicht anders verhält es sich mit der Filmgeschichte. Und diese Phantome, die Konstruktionen und Rechtfertigungsversuche des Geistes, scheinen sich bevorzugt einzuschleichen, wenn es um die Auseinandersetzung mit der eigenen Vergangenheit geht. Das Kaninchen bin ich wurde 1966 verboten, und durfte in der DDR nicht öffentlich vorgeführt werden. Es erscheint nicht als Zufall, dass er vor allem um die Verbindungen zwischen Vergangenheit und Gegenwart kreist.

Wenn ich mir den Film heutzutage anschaue, ist es schwierig zu entscheiden, was den Funktionären damals im Besonderen aufgestoßen haben mag. Den erwünschten Sozialistischen Realismus zeigt der Film sicher nicht, aber das hatte z.B. Berlin – Ecke Schönhauser fast zehn Jahre zuvor auch nicht gemacht. Statt Verbot gab es damals aber Auszeichnungen.

Vielleicht war das Unerhörte an diesem Werk, dass er den deutschen Faschismus als Kontinuitätslinie zeichnete, der in der DDR genauso zum Ausdruck kam, wie die überwunden geglaubten Jahrhunderte zuvor. Die Figur des Richters – mit seinen juristischen Argumentationen aber auch mit seinem Privatleben – hätte man so auch in die 30er Jahre verpflanzen können. Die Person und das Drama hätten genauso funktioniert. Es hatte sich eben nicht viel geändert.

Wenn man sogenannte Diktaturen als Sonderfälle der Geschichte darstellen, und ihre Filme sozusagen als Sonderlinien der allgemeinen Filmgeschichtsschreibung gleich mit ins Abseits stellen möchte, indem man sie vornehmlich als Zeitdokumente, als „historisch relevant“ betitelt, so übersieht man leicht die Kontinuität und die Verwandschaft, die Ähnlichkeiten des Einen mit dem Anderen, des Vergangenen und des Gegenwärtigen.

Nach über 40 Jahren seit Entstehung des Films, ist das Auffällige in erster Linie eben nicht das nihilistische Menschenbild, die marode Zeichnung der sozialistischen Gesellschaft, oder der schrankenlose Sexismus früherer Generationen. Erschreckend ist die Aktualität, die niederschmetternde Gewissheit, dass sich in der Gegenwart immer noch nichts geändert hat.

Das Schlussbild, in dem Angelika Waller als Maria Morzeck mit einem Leiterwagen in der Hand entschlossen ihren Weg zu gehen versucht, erweist sich somit nicht als historisch oder zeitverhaftet, sondern als universell. Und es ist auch keine Frau, die sich durchzusetzen versucht, sondern ein Mensch. Auch heutzutage noch – eine Utopie.

Das Kaninchen bin ich – DDR 1965 – 114 Minuten, ursprünglich 121 – Regie: Kurt Maetzig – Drehbuch: Kurt Maetzig, Manfred Bieler – Produktion: Martin Sonnabend – Kamera: Erich Gusko – Musik: Reiner Bredemeyer, Gerhard Rosenfeld – Schnitt: Helga Krause – Bauten: Alfred Thomalla – Darsteller: Angelika Waller, Alfred Müller, Ilse Voigt, Wolfgang Winkler, Irma Münch, Rudolf Ulrich, Helmut Schellhardt, Annemarie Esper, Willi Schrade, Willi Narloch, Bernd Bartoczewski

Der Löwe des gelben Meeres (1963)

Nach Christophs vorhergehendem wunderbarem STB-Ausrutscher-Langtext-Posting, habe ich mir überlegt es ihm wenigstens im Ansatz gleichzutun, und einen von mir noch ausstehenden STB-Kommentar (aus der problematischen Zeit vor unserem Providerwechsel) etwas auszubauen, und ebenfalls auf den Blog zu stellen. Eigentlich versuche ich ja meist nur Texte zu veröffentlichen, die aus einer Kombination aus Inspiration und Arbeit zu einem für mich zufriedenstellenden Ergebnis geführt haben, aber in diesem Fall möchte ich eine Ausnahme machen. Ich brauche nämlich einen Motivationsgrund anstelle einer möglichen Schreibblockade, die mich nach einem blöden Unfall vor ein paar Tagen aus Frustration überkommen hat. Statt einem längeren Eskalierende Träume Essay über einen älteren thailändischen Film der mir sehr imponiert hatte, gab es bei mir nach dem Stolpern über ein Stromkabel dank OpenOffice bug nur den kompletten Datenverlust und ein unlesbares Dokument zu begutachten, das sich auch nach mehreren Stunden herumklempnern nicht mehr reparieren ließ. Aus Vorsicht und Mißtrauen daher, erst einmal eine Sehempfehlung eines tollen japanischen Films, der mich vor ein paar Wochen überraschend zu begeistern wusste, bevor ich mich wieder an Texte wage, die mir mehr am Herzen liegen.

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Directed by Robert Hampton #3: Das Schwert des roten Giganten (1960)

“Another cheesy meatball”

Pretty average spectacle of the crank ‚em out kind that showed up every weekend when I was about six or seven.

Mickey Hargitay musta been busy greasin‘ up his biceps or frolicking around with Jayne and Reeves wanted good money so they opted for Roland Carey who despite a decent chest is very colorless and blah.

The plot is as thin as pizza but serves well for the usual blend of fight, flounder and flex.

To it’s credit there is some good fantasy music, a hilarious one eyed gorilla, a wacky witch and the requisite harem dance.

If you got some pals that are good with the MST3K style of back talk you’ll have plenty of fodder here. Fans of South Park will hardly resist a remark or two about Big Gay Al’s Big Gay Boat Ride.

If your a fan, check it out otherwise forget it unless you want something to clear the kids out of the room.

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Directed by Robert Hampton #2: The Spectre (1963)

Der wohlhabende schottische Arzt Hichcock ist seit Jahren halb gelähmt an seinen Rollstuhl gefessel, umhegt von seiner Frau Margaret (Barbara Steele) und seiner Magd Catherine (Harriet White). In der Hoffnung, seinen schlaffen Gliedern wieder Leben einzuhauchen lässt er sich täglich von seinem jungen Kollegen Charles Livingstone (Peter Baldwin) Strychnin injezieren, mit anschließendem Gegenmittel. Doch obwohl diese Methode gewisse Erfolge zeigt, ist er verbittert und stillt mit spiritistischen Séancen seine Todessehnsucht. Margaret ist in heimlicher Liebe Charles zugetan und leidet zunehmend unter der lethargischen Bitterkeit ihres Gatten. So fasst das Paar schließlich den Plan, den Doktor aus dem Weg zu räumen, indem Charles diesem nach seiner abendlichen Injektion das Gegenmittel vorenthält… Weiterlesen “Directed by Robert Hampton #2: The Spectre (1963)” »

Geborgte Filme – endlich gesehen! #3: The Apartment (1960)

„Das Appartement“ ist inzwischen der achte Film, den ich von Billy Wilder gesehen habe. Und ich muss sagen, vielleicht bin ich doch kein besonders großer Anhänger dieses Hollywoodtitanen, der wie so viele in den 30er Jahren aus Deutschland auszog, und die Welt das Lachen lehrte. Es ist tatsächlich so, dass mir Wilder am Besten gefällt, wenn es nichts zu Lachen gibt. Five Graves to Cairo (1943) und auch Sunset Blvd. (1950) finde ich großartig. Das Pathos, die Verzweiflung, das Lächerliche aber auch bedrohliche an Rommel und an Norma Desmond. Erich von Stroheim und Gloria Swanson, zwei Giganten des Stummfilms, die sich auch im Tonfilm pudelwohl fühlen, und alles an die Wand spielen, was ihnen begegnet. Überlebensgroß. Das Gewöhnliche, Alltägliche, die normalen, durchschnittlichen Leute die Wilder in seinen Komödien gerne in den Mittelpunkt stellt, gehen an mir vorbei. Jack Lemmon in „Manche mögen’s heiß“ (1959) oder Tom Ewell in The Seven Year Itch (1955). Komödiantisches Talent mögen sie besitzen, auch Marilyn Monroe ebenso wie Shirley MacLaine, und Jack Lemmon ist in manchen Szenen schon besonders gut. Aber auch bei ihm, ziehe ich die reine Verzweiflung dem humoristischen Kabinettstück vor. Wenn ich sehe, auf Welche Art seine Manierismen z.B. in Glengarry Glen Ross (1992) – sowieso einem der besten Schauspielerfilme ever – instrumentalisiert werden, gehe ich wahrlich in die Knie. Vielleicht liegt mein relatives Desinteresse an den „cleveren“ Filmen Wilders auch an meinem relativen Desinteresse an Komödien und Satiren aller Art, vor allem der aufgeweckten Sorte. Humor ist wirklich etwas schwer bestimmbares.

Wenn mir die trübe Welt von „Das Appartement“ ebenso egal war, wie die Figuren, die sich darin bewegen, liegt das nicht an den Qualitäten des Drehbuchs, der Inszenierung, oder der Schauspieler, und auch nicht daran, dass der Film unrealistisch wäre (was er nicht ist), oder zu nah am Leben (was er ist). Schon eher liegt es an der Unmöglichkeit sich bei Wilders Filmen mit irgendeiner Figur zu identifizieren. In den Filmen, die ich bisher von ihm kenne, bleibt der Zuschauer immer auf Distanz, ist Beobachter des Geschehens. Die Typen, die Wilder entwirft, sind immer sehr nah an der Realität, und trotz aller Überzeichnung könnten es der Nachbar oder die Nachbarin sein. Aber sie sind mir meist unsympathisch. Vielleicht geht es nur mir so, aber der Zynismus und die Abgeklärtheit Wilders scheinen mir in seinen Komödien ungenügend überdeckt, woraus bei mir kein Lachen über die Verzweiflung, sondern eher eine Verzweiflung über das Lachen zustande kommt. Wie bei den volkstümlichen deutschen (Schlager)komödien, bei denen jedes Lächeln der Schauspieler eine Verkrampfung im Zuschauer hervorzurufen imstande ist. Nur, Wilder ist, im Gegensatz zu manch anderen, ein mehr als begabter Regisseur. Aber er ist mir doch oft nicht entschlossen genug. Der Neorealismus hätte ihm gut zu Gesicht gestanden, und auch der pechschwarze Zynismus einer waschechten Groteske. So wie es ist, komme ich mit dem gespaltenen Gesicht seiner Filme, einerseits lachend, andererseits weinend, nicht zurecht. Das Unbehagen zeugt jedoch nicht von der verstörenden Kraft des Künstlers, sondern aus der Verstörung über die Zurückhaltung und Angepasstheit von Wilders Kritik. Bei aller Ehrlichkeit, scheint er das gleiche Problem wie Bunuel nach dem Ende seiner viel zu kurzen surrealistischen Phase gehabt zu haben: Den Zuschauer immer bei der Hand nehmen zu wollen.

Was mich in „Das Appartement“ wirklich beeindruckt hat, war das Setdesign. Bei einem Film der fast nur in Innenräumen spielt und die Klaustrophobie und Einsamkeit der Großstadt New York im Studio nachzustellen versucht, entfaltet die Künstlichkeit einen eigenen Realismus. Die Bürohallen in schwarz-weiß haben etwas futuristisches, und bei den Appartementszenen weht ein Hauch von film noir à la Citizen Kane durchs Bild. In dieser Umgebung kann man eigentlich nur durchdrehen, denn etwas Natürliches existiert nicht mehr. Schön ist in diesem Kontext die Szene mit den endlosen Parkbänken, die den Überfluss des Materiellen aufzeigt, in dem sich alle Figuren ausnahmslos bewegen. Wie bei Sirk, finden wir hier das Unbehagen an der Moderne, und den Versuch der Überwindung von Entfremdung durch menschliche Annäherung. Der Wunsch nach Liebe als Ausdruck nach Gefühl in einer toten Welt. Wer Plastik begehrt, wird selbst zu Plastik. Dass das Gegenüber nur vorübergehenden Halt zu geben vermag, schmerzt bei Sirk aber tiefer. Der Horror des „American Way of Life“, der ewige Leerlauf des Fortschritts und die Schicksalsgläubigkeit der Massen – bei Wilder ist das leider oft nur eine Farce.

Wartezimmer zum Jenseits (1964)



Da war zur Abwechslung von Wallace und May mal ein James Hadley Chase-Roman, den Horst Wendlandt aufgekauft und an sein bewährtes Team weitergeleitet hat um mit großzügiger als üblichem Budget einen internationalen Thriller aufzuziehen. Das hat natürlich nicht geklappt. Die Winnetou-Filme sind schließlich auch keine internationalen Großfilme geworden. Aber irgendwie hat sich da irgendetwas Absonderliches getan. Die Glieder der Wendlandt-Kette in der falschen Reihenfolge, mit dem falschen Fuß, dem falschen Auge? Man weiß es nicht. Wie könnte man auch bei diesem Film? Fangen wir mal an mit dem wichtigen Neuzugang und temporären Einsprung für Alfred Vohrers langjährigen Kamermann des Vertrauens, Karl Löb:
Wir wollen für einen Moment vergessen, dass Bruno Mondi als Kameramann in den 40igern die dämonischen Höhenflüge des Veit Harlan durch die Tiefen des nationalsozialistischen Manipulationslabyrinths so unendlich berauschend aussehen hat lassen. Stattdessen wollen wir uns kurzzeitig daran ergötzen, dass Bruno Mondi in WARTEZIMMER ZUM JENSEITS den kühl-stahlgrauen Höhenflug von Edgar Wallace-Regisseur Alfred Vohrer durch die düsteren Täler des Film noir mit schamlos glatter Bärbeißigkeit und schäbigem Grandeur veredelt.
Das gibt ihm den letzten Schliff. Diesem Vohrer, der wie kein anderer Kriminalfilm des schwulen Regisseurs beherzt zum tragischen, um zwei Ecken sexuell motivierten amerikanischen Genre-Pathos greift um es in europäischen Camp zu verwandeln, der so stillvoll und versonnen ist, dass er schon nicht mehr so recht campig sein kann. Dieses Pathos. Sexualität hat hier keine Präsenz mehr.
Mit ihm [dem Pathos] ist der Film auch wie kein anderes Werk des “kantigen Folterknechts des deutschen Krimis” (fiktives Zitat) irgendwie doch nah am Erzählkino dran. Das will er auch, so ein bischen jedenfalls. Eigentlich ist er doch ein ganz großes Melodram, in das manchmal das naive Krimimärchen nach Wallace-Constantin-Art hineinsickert. Was für ein Melodram das ist, eigentlich.
Das regenverhangene London, dass in Mondis schwermütigem, schwarzweißen Guillotine-Scope ein zum Sterben schöner, völlig toter Ort ist. Hildegard Knefs lakonischer, aber auch so unendlich schmerzender, trauriger Blick, der unter ihrem schweren Make-up zu versinken droht, wenn sie in Momenten der scheinbar gleichgültigen Konzentrationslosigkeit den Augenaufschlag macht. Ein Engel, der in einer Tabakwolke seine gebrochenen Flügel schwingt. Ihre kühle Hoffnungslosigkeit und morbide, reife Erotik trifft auf den virilen Sex des jungen, athletischen Götz George der aber so viril wie in seinen Karl May-Filmen dann doch nicht mehr ist. Der unfassbare und schwer greifbare Schwermut und die Depressivität dieses monströs-wunderbar mißlungenen Kommerzkino-Artefakts – Ein Flop, natürlich – muss auch ihn, den Haudrauf, ergriffen und in einen ätherischen Halbschlaf versetzt haben. Denn hier erträgt bei aller stilvollen Maskerade niemand, was ihm aufgebürdet wird. Die Knef nicht ihr Schicksal als einsame Dame in Schwarz am Ende der Kette und der George sein läppisches Buben-Heldentum, dass ihn gerade so davor bewahrt, als buchstäblicher Fleischmatsch zu enden. Überhaupt: Das titelgebende Wartezimmer. Eine sterile Vernichtungsmaschine, die im Noch-Nachkriegsdeutschland womöglich die Unbehaglichkeit des Films gekrönt haben dürfte. Pinkas Brauns schmieriger Westentaschen-Gangster wird davor ganz klein mit Hut. Von den Niederungen, in denen sich Klaus Kinskis erbärmlich versoffener Messerwerfer oder auch der “große”, gelähmte Gangsterboss Richard Münch bewegen, gar nicht zu sprechen. Verdammt sind sie alle, und dementsprechend stimmt Karl May-Komponist Martin Böttcher auf der Tonspur eine seiner unvergleichlichsten Kompositionen an, ein melancholisch-sehnsüchtiges Klavierkonzert, dass all diese Niedrigkeiten, diese so kalte, seelenlose Welt dieses Films, wieder in den trist-schönen Nieselregen und durchdringenden Frühjahrsnebel zurückmanövriert – dahin, wo sie zu Beginn hergekommen ist. Und da, ganz hinten, als Silhouette im Nebel, steht der Knef-Engel und weint sein aufweichendes Make up ins Meer.
So fühlt sich dieser Film in meinem Kopf nach drei Jahren an. Wenn ich ihn nun wieder sähe? Vielleicht ist dieser Text eine Wunschvorstellung. Oder eine Verklärung. Oder aber, und das wäre mir am liebsten, eine Lüge.

100 Deutsche Lieblingsfilme #11: Im Schloß der blutigen Begierde (1968)



Trotz seiner Verankerung in der Genre-Tradition, mit Gothic-Schloss, Mad Scientist, Frankenstein-Mythos, Sexploitation und einigen inszenatorischen Einfällen, die ganz unabhängig von der darstellerischen Besetzung an den frühen Jess Franco erinnern, umweht diesen Film in all seiner Konsequenz und Eigenwilligkeit etwas absolut Genuines, nicht nur im Kontext seiner Entstehungszeit. Die Mischung aus humoristischen und melodramatischen Momenten in einem Horrorfilm ist im Grunde nichts Ungewöhnliches, auch die Durchmischung von Gegenwart und Vergangenheit ist ein alter Hut. Doch wie so oft geht es hier nicht darum, was gezeigt wird, sondern wie es gezeigt wird. In seinen interessantesten Momenten wirkt der Film beinahe wie ein Vorläufer von Walerian Borowczyks LA BÊTE (1974), gepaart mit Farbspielen und dramaturgischen Wendungen eines Melodrams von Douglas Sirk, im Umfeld eines europäischen Sexfilms und einer deutschen Komödie der 60er Jahre. Die wundersam prolongierten OP-Szenen geben zusätzlich noch einen Vorgeschmack auf den Body-Horror à la Cronenberg, und betonen gegen Ende noch einmal den surrealistischen Kern des Films.

Wenn man sich mit den Einflüssen des Surrealismus auf den deutschen Film beschäftigen will, kommt man an IM SCHLOSS DER BLUTIGEN BEGIERDE kaum vorbei. Das Gefühl zeitlicher Entrücktheit setzt bereits direkt nach dem Prolog des Films auf einer eher typischen 60er Jahre Party ein. Die Diffusion von verschiedenen Zeitebenen wird dabei auch musikalisch von einer wunderbar verspielten Musik, zwischen orchestralen Klängen, Jazz und „typischer“ Krimimusik der 60er, forciert. Ein eklektizistischer Film im wahrsten Sinne des Wortes, ist IM SCHLOSS DER BLUTIGEN BEGIERDE noch am ehesten mit Paul Morrisseys fünf Jahre später entstandenem FLESH FOR FRANKENSTEIN vergleichbar, für den er wohl eine Art Blaupause darstellt. Der Anspielungs- und Ideenreichtum ist bei beiden Filmen schier unerschöpflich. Doch geht FLESH FOR FRANKENSTEIN im direkten Vergleich schlussendlich einen Schritt weiter ins Groteske, während IM SCHLOSS DER BLUTIGEN BEGIERDE den entrückten Zustand des Gothic Horror betont, und am Ende sogar noch inszenatorische Anklänge beim melancholischen Ernst von Jean Rollin findet.

Einzigartig macht den Film letztendlich diese für eine deutsche Produktion ungemein stilisierte Kombination aus Trieb, Wahn und Prüderie, eingefügt in einen Krimiplot, wie er auch in der Edgar-Wallace-Reihe gut vorstellbar wäre. Doch Hoven geht immer ein Stück weiter, als man vermuten könnte, und überschreitet lustvoll Geschmacksgrenzen – ob in den minutenlangen, ausgesprochen blutig-expliziten OP-Szenen (mutmaßlich mit eingefügten Bildern einer echten Herz-Operation) oder dem ungenierten Ausspielen von Anzüglichkeiten und Metaphern auf Ebene von Bild und Ton, im Verhalten und in der Sprache der Figuren. Ohne vor Plattheiten zurück zu schrecken, wird dem Zuschauer konsequent zu viel des Guten verabreicht. Der Schnitt betont dabei die Irrealität der Szenerie und in der teils wüst zwischen Handlungsorten wechselnden Montage, die schon mal Schlag auf Schlag Herz-Operation, sexuelle Verführung und den unvermittelten Angriff eines Bären in einen direkten Bezug setzt, spiegelt sich auch die Austauschbarkeit der Figuren und ihre Bedeutungslosigkeit in diesem eigentümlichen Schloss der seltsamen Umtriebe. Im nur notdürftig unterdrückten Exzess wild durchmischter Ideen und Inspirationen treffen Camp und Kitsch, Krudes und Kontrolliertes, Genre und Exploitation, Struktur und Ausbruch aufeinander und gehen eine wild wuchernde, absonderlich-schöne Symbiose ein.



Im Schloß der blutigen Begierde – BRD 1968 – 80 Minuten – Regie: Adrian Hoven – Drehbuch: Adrian Hoven, Eric Martin Schnitzler – Produktion: Pier A. Caminnecci, Adrian Hoven – Kamera: Jorge Herrero, Franz Hofer – Musik: Jerry van Rooyen – Darsteller: Janine Reynaud, Howard Vernon, Michel Lemoine, Elvira Berndorff, Claudia Butenuth, Jan Hendriks.

Hinweis: Die Nummerierung der Filme folgt lediglich der Reihenfolge der Einträge. Die Gesamtauswahl von 100 Filmen ist nicht redaktionell abgestimmt, sondern eine im Laufe der Veröffentlichung zufällig entstehende Zusammenstellung, die sich aus den Einzelbeiträgen und persönlichen Vorlieben der Teilnehmer ergibt.