Gesammelte Jahreslisten 2011 – Die Enzyklopädie
Was lange währt, wird endlich gut? Wir hoffen es, wenn wir nun nach aufreibenden, von Zeitnot und ungeahnten Komplikationen geplagten Tagen endlich unseren diesjährigen Sammelbeitrag mit den Jahreslisten der aktuellen Filme 2011 veröffentlichen können (der auf unsere Entdeckungslisten 2011 in der Tradition der Gesammelten Jahreslisten 2010 folgt). Zum Ausgleich bemühen wir uns dabei endgültig um die Sprengung jeden herkömmlichen Rahmens.
Andreas
„Anschnallen“ ist in der Tat ein gutes Stichwort, denn nachdem sich diesmal leider kein Alex (weder P. noch S.) am Listenwahnsinn beteiligt, fängt die alphabetische Sortierung der Namen mit mir an, und damit dann auch sofort mit der umfangreichsten Liste (nicht jedoch mit dem umfangreichsten Beitrag) dieses Sammelpostings. Ein Sprung ins kalte, tiefe Wasser also, und das hat natürlich seine Gründe: Mein in den letzten Jahren bereits kontinuierlich angestiegenes Sichtungspensum aktueller Filme vergrößerte sich 2011 noch einmal in deutlichem Umfang, was natürlich vor allem mit einigen intensiven Festivalbesuchen zusammen hing. Und obwohl ich bereitwillig vieles mitgenommen habe, was der aktuelle Jahrgang angeboten hat, so habe ich die Auswahl gleichzeitig in aller Regel dennoch sehr selektiv getroffen, jenseits vereinzelter Ausnahmen das Vermeidbare auch tatsächlich lieber vermieden und mit zunehmend ausgeprägterem Gespür nach den potenziellen Trüffeln gefahndet. Berlinale, Filmfest München und Viennale bildeten die breite Basis, zumal ich dort 2011 nicht nur allgemein jeweils mehr Filme als in sämtlichen Vorjahren gesehen habe, sondern vor allem bei ersteren beiden diesmal fast nur aktuelle Produktionen. Ich hatte 2011 schlichtweg oft Lust auf aktuelles Kino (und fühlte mich durch meine Auswahl bestätigt, ein glückliches Händchen hilft natürlich dabei) und die angebotenen Retros waren diesmal in beiden Fällen zudem auch höchstens partiell verlockend. Aber auch darüber hinaus gab es viele kleinere Veranstaltungen, von Fantasy Filmfest über Underdox bis Menschenrechtsfestival, natürlich auch manches im regulären Kinoangebot gesehen oder zuhause nachgeholt. Klar, es waren einige Haufen Mist und Enttäuschungen dabei, aber vor allem eine große Zahl bemerkenswerter, aufregender, mitunter großartiger Filme. Ein Filmjahr ist eben meistens umso besser und ergiebiger, je tiefer man sich in dessen Verwinkelungen begibt, wobei ich gar nicht so tun will, als wäre auch diese Zahl nicht auch bestenfalls ein Schwimmen an der Oberfläche des tatsächlichen jährlichen Produktionsumfangs. Aber warum darum grämen? Warum sich nicht daran erfreuen, was hier und dort zugänglich war/ist und Freude bereitet? Genau durchgezählt habe ich es nicht, aber allein eben durch die geballten Festivalsichtungen dürften es auf jeden Fall über 250 aktuelle Langfilme und noch einmal über 50 aktuelle Kurzfilme gewesen sein. Das verlangt zwangsläufig nach einer ausführlichen Liste, weshalb ich diesmal sowohl eine Kurz- als auch Langfassung meiner Liste erstellt habe, dann kann jeder für sich entscheiden, inwieweit ihn/sie das nun genauer interessiert oder nicht. Eine Komplettliste wie letztes Jahr poste ich dieses Jahr allerdings nicht, nachdem ich in meinem STB ohnehin separat die meisten gesehenen aktuellen Filme erfasst habe (hier und da fehlt natürlich auch mal was, etwa Viennale oder auch so manche Kurzfilme, aber der Großarteil von 2011 ist dort auf jeden Fall erfasst).
Mehr Worte braucht es von meiner Seite an dieser Stelle nicht, weshalb ich stattdessen als Warm-Up einige Bonus-Kategorien und die bewährten Awards vergebe, wobei ich hinsichtlich der Materialfetischisten und Pixelforscher natürlich jene Filme hier nicht noch einmal berücksichtigt habe, die bereits bei den Festivalrückblicken zur Berlinale, Filmfest München, Fantasy Filmfest oder (dieser Beitrag kommt hoffentlich tatsächlich noch) Viennale gewürdigt wurden. Daher die Beschränkung auf jeweils eine prägnante Top 3 an dieser Stelle…
Der Materialfetischisten-Award für besondere Verdienste hinsichtlich Erhalt, Umgang und Einsatz von klassischem Filmmaterial geht (ergänzend zu den Berlin/München/Wien-Preisträgern) an:
Der Name der Leute (Michel Leclerc)
Whores’ Glory – Ein Triptychon (Michael Glawogger)
Eighty Letters (Václav Kadrnka)
Unter diesem Gesichtspunkt mit lobender Erwähnung:
Herzensbrecher (Xavier Dolan)
Der Pixelforscher-Award für bemerkenswerte Verdienste im Umgang mit den Möglichkeiten des digitalen Filmemachens geht (ergänzend zu den Berlin/München/Wien-Preisträgern) an:
Hollywood Fling (Eckhart Schmidt)
A Night in Nude: Salvation (Takashi Ishii)
Hobo with a Shotgun (Jason Eisener)
Besondere Erwähnung für bemerkenswerten Umgang mit 3D:
The Hole 3D (Joe Dante)
Die Höhle der vergessenen Träume 3D (Werner Herzog)
Lieblingstrailer des Jahres (eine spontane Top 10 mit Verlinkungen):
American Translation
Ars Colonia (HBF/IFFR-Trailer)
Cassandras Warnung
The Day He Arrives
House of Tolerance
Lo que mas quiero
The Return of Uncle Benon
Student Services
The Turin Horse
Whores’ Glory
***
***
Kurzfassung meiner Jahresliste 2011
Lieblingsfilme des Jahres:
Oča – Dad (Vlado Škafar)
House of Tolerance (Bertrand Bonello)
Weitere Ultrakunst, um eine handliche Catch-22 voll zu machen:
Eighty Letters (Václav Kadrnka)
The Terrorists (Thunska Pansittivorakul)
Hollywood Fling (Eckhart Schmidt)
Century of Birthing (Lav Diaz)
Cassandras Warnung [Langfassung] (Dominik Graf)
The Day He Arrives (Hong Sang-soo)
Schmugglers‘ Songs (Rabah Ameur-Zaïmeche)
A Night in Nude: Salvation (Takashi Ishii)
The Innkeepers (Ti West)
Cut (Amir Naderi)
This Is Not a Film (Jafar Panahi, Mojtaba Mirtahmasb)
Aita (José Maria de Orbe)
Arrietty – Die wundersame Welt der Borger (Hiromasa Yonebayashi)
Brownian Movement (Nanouk Leopold)
Dreileben – Komm mir nicht nach (Dominik Graf)
Guilty of Romance [Langfassung] (Sion Sono)
Vampire (Shunji Iwai)
3 Kreuze für einen Bestseller (Klaus Lemke)
The Tiniest Place (Tatiana Huezo Sánchez)
Miss Bala (Gerardo Naranjo)
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Langfassung meiner Jahresliste 2011
Um die schiere Anzahl der Filme bewältigen zu können, ohne gleichzeitig durch eine allzu ausgebaute Rangliste die hinteren Plätze automatisch abzuwerten, habe ich mich diesmal für eine Aufteilung meiner 2011er Favoriten auf fünf Listen entschieden (eigentlich fünfeinhalb, weil die erstplatzierten der „Überraschungen“ auch noch klar in die Quartalslisten gehört hätten). Vier entfallen auf je ein Quartal des Jahres (nach Sichtungs-, nicht nach Premieren- oder Startzeitpunkt; zu Vermeidung allzu großer Ungleichgewichte habe ich außerdem angesichts der übervollen Viennale-Ausbeute die sonstigen Filme des 4. Quartals, ohnehin zumeist im weiteren Sinne Nachholfilme, komplett ins 3. Quartal verfrachtet), eine weitere widmet sich den Kurz- und mittellangen Filmen bis ca. 50 Minuten. Eigentlich bin ich durchaus kein Freund davon, kurze oder kürzere Filme gesondert zu behandeln, wie sich schon daran zeigen dürfte, dass ich letztes Jahr zwei Kurzfilme in meiner engsten Top 10 hatte. Aber angesichts des übervollen 2011er Jahrgangs schien mir eine Auslagerung kürzerer Filme auf eine separate Liste ganz pragmatisch die beste Lösung, um sie nicht in der Menge untergehen zu lassen, sondern sie besonders zu würdigen, weil ich gerade auch in diesem Bereich in diesem Jahr eine Reihe toller Filme sehen und ungeahnter Entdeckungen machen durfte. Soweit erläuternd zu dieser Handhabung, die weiteren Listen dürften selbsterklärend sein.
Favoriten des 1. Quartals 2011
1. The Terrorists (Thunska Pansittivorakul)
2. Brownian Movement (Nanouk Leopold)
3. Vampire (Shunji Iwai)
4. The Turin Horse (Béla Tarr)
5. The Hole 3D (Joe Dante)
6. The Residents (Tiago Mata Machado)
7. The Host and the Cloud (Pierre Huyghe)
8. Die Höhle der vergessenen Träume 3D (Werner Herzog)
9. Schlafkrankheit (Ulrich Köhler)
10. Heaven’s Story (Takahisa Zeze)
Runners-Up:
The Big Eden (Peter Dörfler)
Essential Killing (Jerzy Skolimowski)
Im Alter von Ellen (Pia Marais)
Die Jungs vom Bahnhof Zoo (Rosa von Praunheim)
Lost Land (Pierre-Yves Vandeweerd)
Sleepless Nights Stories (Jonas Mekas)
Unter Kontrolle (Volker Sattel)
Viva Riva! (Djo Tunda Wa Munga)
Favoriten des 2. Quartals 2011
1. Oča – Dad (Vlado Škafar)
2. Cassandras Warnung (Dominik Graf)
3. The Day He Arrives (Hong Sang-soo)
4. Aita (José Maria de Orbe)
5. Dreileben – Komm mir nicht nach (Dominik Graf)
6. Guilty of Romance [Langfassung] (Sion Sono)
7. American Translation (Pascal Arnold, Jean-Marc Barr)
8. Le Havre (Aki Kaurismäki)
9. Hanna (Joe Wright)
10. Headshots (Lawrence Tooley)
Runners-Up:
Atmen (Karl Markovics)
Black Field (Vardis Marinakis)
Bonsái (Cristián Jiménez)
Chantrapas (Otar Iosseliani)
Die Räuberin (Markus Busch)
Jean Gentil (Israel Cárdenas, Laura Amelia Guzmán)
The Journals of Musan (Park Jung-bum)
Der Junge mit dem Fahrrad (Jean-Pierre & Luc Dardenne)
Marimbas from Hell (Julio Hernandez Cordon)
Lo que más quiero (Delfina Castagnino)
Mercado de Futuros (Mercedes Álvarez)
Michael (Markus Schleinzer)
Ocaso (Théo Court)
Play (Ruben Östlund)
Porfirio (Alejandro Landes)
Truce (Svetlana Proskurina)
Unten Mitte Kinn (Nicolas Wackerbarth)
El Velador (Natalia Almada)
Wasted Youth (Argyris Papadimitropoulos, Jan Vogel)
Year Without a Summer (Chui Mui Tan)
Favoriten des 3. Quartals 2011
1. Eighty Letters (Václav Kadrnka)
2. Hollywood Fling (Eckhart Schmidt)
3. A Night in Nude: Salvation (Takashi Ishii)
4. The Innkeepers (Ti West)
5. Arrietty – Die wundersame Welt der Borger (Hiromasa Yonebayashi)
6. Whores’ Glory – Ein Triptychon (Michael Glawogger)
7. A Stoker (Aleksei Balabanov)
8. Bridesmaids (Paul Feig)
9. Cold Fish (Sion Sono)
10. The Invader (Nicolas Provost)
Runners-Up:
Artificial Paradises (Yulene Olaizola)
Boxing Gym (Frederick Wiseman)
Correspondencia Jonas Mekas – J.L. Guerín (José Luis Guerín, Jonas Mekas)
I Wish (Hirokazu Kore-eda)
My Soul to Take (Wes Craven)
Der Name der Leute (Michel Leclerc)
Portraits deutscher Alkoholiker (Carolin Schmitz)
Putty Hill (Matthew Porterfield)
Das schlafende Mädchen (Rainer Kirberg)
Sibérie (Joana Preiss)
Sonnensystem (Thomas Heise)
Weekend (Andrew Haigh)
The Woman (Lucky McKee)
The Yellow Sea (Na Hong-jin)
Favoriten des 4. Quartals 2011
1. House of Tolerance (Bertrand Bonello)
2. Century of Birthing (Lav Diaz)
3. Schmugglers‘ Songs (Rabah Ameur-Zaïmeche)
4. Cut (Amir Naderi)
5. This Is Not a Film (Jafar Panahi, Mojtaba Mirtahmasb)
6. The Tiniest Place (Tatiana Huezo Sánchez)
7. A Simple Life (Ann Hui)
8. Crazy Horse (Frederick Wiseman)
9. 3 Kreuze für einen Bestseller (Klaus Lemke)
10. Summer of Giacomo (Alessandro Comodin)
Runners-Up:
Color Runaway Dog (Andrés Duque)
The Color Wheel (Alex Ross Perry)
A Dangerous Method (David Cronenberg)
Faust (Alexander Sokurov)
It May Be That Beauty Has Strengthened Our Resolve – Masao Adachi (Philippe Grandrieux)
The Last Buffalo Hunt (Lee Anne Schmitt)
Life Without Principle (Johnnie To)
Nana (Valérie Massadian)
The Pettifogger (Lewis Klahr)
Take Shelter (Jeff Nichols)
Totem (Jessica Krummacher)
Two Years at Sea (Ben Rivers)
A Useful Life (Federico Veiroj)
Yatasto (Hermes Paralluelo)
Favoriten unter den kurz- und mittellangen Filmen
Der Besen (Klaus Schneider)
Cet Homme (Markus Ruff)
Conference (Notes on Film 05) (Norbert Pfaffenbichler)
Correspondence (Robert Fenz)
Esel mit Schnee (Romuald Karmakar)
Führung (René Frölke)
La fuite du jour (Christophe Clavert)
L’inconsolable (Jean-Marie Straub)
Leonardos Tränen (Heinz Emigholz)
Machtentfaltung (Klaus Schneider)
Memories of a Morning (José Luis Guerín)
Menschen am Sonntag (Friedl vom Gröller)
Meteor (Christoph Girardet, Matthias Müller)
Miss Candace Hilligoss‘ Flickering Halo (Vincenzo Core, Fabio Scacchioli)
Der Mond (Klaus Schneider)
Oral History (Volko Kamensky)
The Pushcarts Leave Eternity Street (Ken Jacobs)
Red Dawn (João Rui Guerra da Mata, João Pedro Rodrigues)
River Rites (Ben Russell)
Sack Barrow (Ben Rivers)
Schakale und Araber (Jean-Marie Straub)
Schwere Augen (Siegfried A. Fruhauf)
Slow Action (Ben Rivers)
The Sole of the Foot (Robert Fenz)
Wie ich den Sommerwind fing (Reginald Ginster)
Schönste Überraschungen (die ersten fünf oder sechs gehören eigentlich in die jeweiligen Quartals-Top-10-Listen, sind aber wegen Überfüllung hier mit besonderer Betonung ausgelagert; gerade bei den ersten dreien, aber auch bei Farhadi, spielt eine Steigerung, Weiterentwicklung oder Neuorientierung gegenüber den letzten Filmen der Regisseure eine große Rolle bei dieser Nennung, bei den anderen hier Genannten bezieht sich die erfreuliche Überraschung wiederum nicht zwangsläufig auf Beteiligte, meist eher auf Negativ-Hype, abschreckende Prämissen o.ä.)
Miss Bala (Gerardo Naranjo)
Alps (Yorgos Lanthimos)
Once Upon a Time in Anatolia (Nuri Bilge Ceylan)
Hobo with a Shotgun (Jason Eisener)
Declaration of War (Valérie Donzelli)
Kill List (Ben Wheatley)
F (Johannes Roberts)
Ses – The Voice (Umit Unal)
Super 8 (J.J. Abrams)
Rebounce (Heidi Maria Faisst)
Nude Nuns with Big Guns (Joseph Guzman)
Nader und Simin – Eine Trennung (Asghar Farhadi)
The Ward (John Carpenter)
Attack the Block (Joe Cornish)
Zwiespältig, aber doch bemerkenswert (Filme, die mich letztlich auf die ein oder andere Weise bereichert und nicht wirklich losgelassen haben, die ich aber nicht guten Gewissens bei den Favoriten einsortieren kann und will, manche nicht wirklich im eigentlichen Sinne mag, nichtsdestotrotz in Teilen oder als Ganzes aber dennoch interessant oder faszinierend finde und sie daher dann doch letztlich lieber erwähne als manchen Teil des hier ungenannten bleibenden, und sei’s durchaus gelungenen Mittelfelds)
13 Assassins (Takashi Miike)
Arirang (Kim Ki-duk)
Drive (Nicolas Winding Refn)
Good Bye (Mohammad Rasoulof)
Kidnapped (Miguel Ángel Vivas)
The Tree of Life (Terrence Malick)
Twenty Cigarettes (James Benning)
Vapor Trail (Clark) (John Gianvito)
Enttäuschungen (aus verschiedenen Gründen, teils auch einfach Filme, die ich überschätzt finde)
Almayer’s Folly (Chantal Akerman)
Dreileben – Eine Minute Dunkel (Christoph Hochhäusler)
Impardonnables (André Téchiné)
Underwater Love – A Pink Musical (Shinji Imaoka)
Balada Triste de Trompeta (Álex de la Iglesia)
Ostende (Laura Citarella)
Dreileben – Etwas Besseres als den Tod (Christian Petzold)
Midnight in Paris (Woody Allen)
Der Preis (Elke Hauck)
Maya Deren’s Sink (Barbara Hammer)
Herzensbrecher (Xavier Dolan)
Jess + Moss (Clay Jeter)
Martha Marcy May Marlene (Sean Durkin)
Dirty Eyes (Lawrence Weiner)
Sennentuntschi (Michael Steiner)
Potiche (François Ozon)
Girimunho (Helvécio Marins Jr., Clarissa Campolina)
The Artist (Michel Hazanavicius)
Back to Stay (Milagros Mumenthaler)
Petropolis (Peter Mettler)
Die Schattenseite: Unerquickliches (auf den vorderen Plätzen einfach fad, dann absteigend immer unerträglicher werdend)
Ways of the Sea (Sheron Dayoc)
Kampf der Königinnen (Nicolas Steiner)
My Little Princess (Eva Ionesco)
Americano (Mathieu Demy)
Medianeras (Gustavo Taretto)
Stone (John Curran)
Kriegerin (David Falko Wnendt)
Point Blank (Fred Cavayé)
The Company Men (John Wells)
Unter Schnee (Ulrike Ottinger)
Die Haut, in der ich wohne (Pedro Almodóvar)
A Little Closer (Matthew Petock)
Tyrannosaur (Paddy Considine)
Mothers (Milcho Manchevski)
The Colors of the Mountain (Carlos Cesar Arbelaez)
I Spit on Your Grave (Steven R. Monroe)
True Grit (Joel & Ethan Coen)
Repeaters (Carl Bessai)
The Forgiveness of Blood (Joshua Marston)
Late Autumn (Kim Tae-Yong)
Hesher (Spencer Susser)
The King’s Speech (Tom Hooper)
I Saw the Devil (Kim Ji-woon)
The Mountain (Ole Giæver)
In der Welt habt ihr Angst (Hans W. Geißendörfer)
Confessions (Tetsuya Nakashima)
Biutiful (Alejandro González Iñárritu)
Auschwitz (Uwe Boll)
Frankfurt Coincidences (Enkelejd Lluca)
The Divide (Xavier Gens)
Blubberella (Uwe Boll)
Christian
2011: Top 10
Es ist schön, dass es heutzutage so einfach ist, einen Film zu machen und ihn zu vertreiben. Schöner wäre es jedoch, wenn man nicht ständig mit digitalem Dreck zugeschüttet werden würde. Zum Glück gibt es Filmemacherinnen und Filmemacher, die verstanden haben, welche Möglichkeiten das digitale Kino bietet. Deren Werke zeigen aber auch, wie schmal der Grat zwischen Gelingen und Scheitern ist. Möglicherweise war es noch nie schwieriger, einen guten Film zu machen.
American Translation (Jean-Marc Barr & Pascal Arnold)
Hereafter (Clint Eastwood)
Hollywood Fling (Eckhart Schmidt)
Melancholia (Lars von Trier)
A Night in Nude: Salvation (Takashi Ishii)
Paul (Greg Mottola)
Polisse (Maiwenn)
Portrait of a Call Girl (Graham Travis)
The Tree of Life (Terrence Malick)
Whores´ Glory (Michael Glawogger)
Christoph
2011 muss, hinsichtlich aktueller Filme, der frustrierendste Jahrgang meines bisherigen Cinelebens gewesen sein. Obwohl ich mir tapfer soviele aktuelle Filme wie nur überhaupt möglich zwischen die Schenkel presste und sogar zum ersten Mal seit drei Jahren wieder die faulige Festival-Dusche der Berlinale über mich ergehen lies, ist die Ausbeute so mager, medioker und banal ausgefallen, dass ich mich bedingungslos meinem eskalierenden Mitträumer Sano anschließe: Früher war einfach alles besser (#342), heutzutage wird nur noch alle Lichtjahre einmal ein überhaupt nur interessanter Film auf handwerklich akzeptablem Niveau und 35mm gedreht und eine so exzessive Auseinandersetzung mit zeitgenössischem Kino lohnt schlicht die Mühen und Festival-„Burn outs“ nicht! Nachdem mein geschätzter Freund und frater in spirito cinematografico, Alex Pfaehler, mich in der Vergangenheit wiederholt aufgrund „schwerer Nostalgie“ kritisierte, startete ich nur mit den besten Vorsätzen ins Cinejahr 2011, doch obwohl ich selbiges Vorhaben mit eiserner Standkraft verfolgte, steht am Ende dieser wilden Cinehatz nichts als die ganz große Ernüchterung. Wo sind nur die ehrgeizigen Filmemacher, die Werke von sonderbarer Schönheit, erfüllt vom Hunger auf Kino, auf ein Spiel und eine Affäre mit den Bildern, wo ist nur all das hin? Ständig wurden mir große Versprechungen gemacht, von transgressiven Filmen, die ausschließlich Aufnahmen von mit Mülltonnen kopulierenden Rentnern zeigen sollten, nie wurden dergestaltige Versprechungen eingehalten, stets saß ich, von den Filmen allein gelassen, im dunklen Saal und sehnte mich nach der handwerklichen Professionalität und Luzidität von klassisch geschulten Meisterregisseuren wie Howard Hawks oder Akira Kurosawa. Offenbar ist kinematographische Wahrhaftigkeit und Komplexität heute, im postmodernen Zeitalter filmstudentischen, digitalen und kaum je genuinen „Filmemachens“ von den Leinwänden verschwunden, lediglich das einheimische Filmlustspiel wußte mich dieses Jahr zu begeistern – die Vielzahl an verwegenen, provokanten, frischen und originellen, anrührenden und dabei doch von wunderbarer Leichtigkeit durchzogenen Komödien, angeführt von so freudenspendenden, spritzigen Werken wie ALMANYA – WILLKOMMEN IN DEUTSCHLAND, RUBBELDIEKATZ, FLIEGENDE FISCHE MÜSSEN INS MEER, KEIN SEX IST AUCH KEINE LÖSUNG, WHAT A MAN oder KOKOWÄÄH gibt Anlass zu der Hoffnung, dass dem deutschen Kino endlich, nach 20 Jahren künstlerischer und wirtschaftlicher Tristesse, eine neue, wirkliche Perspektive für die Zukunft anheim gegeben ist. Leider bin ich damit auch schon am Ende meines Lobes angelangt, denn jenseits des deutschen Filmlustspiels nagte sich der Hunger durch meine Seele, ein schmerzender, erbarmungsloser Hunger, der nie Stillung fand. Deswegen ist meine Bestenliste auch so klein, karg und mager – trist und geradezu jämmerlich winzig. Aber ich höre schon auf, Trübsal zu blasen. Hier kommt also das kümmerlich kleine Händchen voll Filme, das mich 2011 wenn auch nicht begeistert, so doch zumindest nicht verärgert hat:
44 Schönheiten, lose nach Rang geordnet:
1. Melancholia (Lars von Trier)
2. Die Prinzessin von Montpensier (Bertrand Tavernier)
3. Polizeiruf 110: Cassandras Warnung (Dominik Graf)
4. The Innkeepers (Ti West)
5. American Translation (Pascal Arnold, Jean-Marc Barr)
6. Truce (Svetlana Proskurina)
7. Heaven’s Story (Takahisa Zeze)
8. My Soul to Take (Wes Craven)
9. Arietty – Die wundersame Welt der Borger (Hiromasa Yonebayashi)
10. A Night in Nude: Salvation (Takashi Ishii)
11. Esel mit Schnee (Romuald Karmakar)
12. Road to Nowhere (Monte Hellman)
13. Dreileben – Komm mir nicht nach (Dominik Graf)
14. Guilty of Romance (Sion Sono)
15. Wer ist Hanna? (Joe Wright)
16. Leonardos Tränen (Heinz Emigholz) [Kurzfilm]
17. Meek’s Cutoff (Kelly Reichardt)
18. Weekend (Andrew Haigh)
19. Glückliche Fügung (Isabelle Stever)
20. Hollywood Fling – Diary of a Serial Killer (Eckhart Schmidt)
21. Headshots (Lawrence Tooley)
22. Attenberg (Athina Rachel Tsangari)
23. Wasted Youth (Argyris Papadimitropoulos, Jan Vogel)
24. The Ward (John Carpenter)
25. The Woman (Lucky McKee)
26. Bellflower (Evan Glodell)
27. The Terrorists (Thunska Pansittivorakul, 2011)
28. Kill List (Ben Wheatley)
29. Vampire (Shunji Iwai)
30. Die Höhle der vergessenen Träume (Werner Herzog)
31. Caterpillar (Kôji Wakamatsu)
32. Unter Kontrolle (Volker Sattel)
33. 13 Assassins (Takashi Miike)
34. Aita (José María de Orbe)
35. Sleepless Nights Stories (Jonas Mekas)
36. Hobo With a Shotgun (Jason Eisener)
37. Die Räuberin (Markus Busch)
38. Das rote Zimmer (Rudolf Thome)
39. The Big Eden (Peter Dörfler)
40. Das schlafende Mädchen (Rainer Kirberg)
41. Trash Humpers (Harmony Korine)
42. Saturnus (Bruno Sukrow)
43. Marimbas From Hell (Julio Hernández Cordon)
44. Die drei Musketiere (Paul W. S. Anderson)
2 heiße Spitzenkandidaten, von negativen Sichtungsumständen beschädigt:
Dad (Vlado Škafar)
Brownian Movement (Nanouk Leopold)
Runners up
(in Reihenfolge der Sichtungen)
Schlafkrankheit (Ulrich Köhler)
The Residents (Tiago Mata Machado)
Lost Land (Pierre-Yves Vandeweerd)
Scream 4 (Wes Craven)
Atmen (Karl Markovics)
Porfírio (Alejandro Landes)
Essential Killing (Jerzy Skolimowski)
Stadt Land Fluss (Benjamin Cantu)
Bonsái (Cristián Jiménez)
The Sword and the Rose (João Nicolau)
Aardvark (Kitao Sakurai)
Michael (Markus Schleinzer)
Arirang (Ki-duk Kim)
Jean Gentil (Israel Cárdenas, Laura Amelia Guzmán)
Cold Fish (Sion Sono)
Vier Leben (Michelangelo Frammartino)
F (Johannes Roberts)
Black Field (Vardis Marinakis)
Finisterrae (Sergio Caballero)
Wie ich den Sommerwind fing (Reginald Ginster)
Bonus #1: 5 x Spaß
(in Reihenfolge der Sichtungen)
The Stool Pigeon (Dante Lam)
Rebounce (Heidi Maria Faisst)
Ohne Limit (Neil Burger)
Mad Circus – Eine Ballade von Liebe und Tod (Alex de la Iglesia)
Black Bread (Agustí Villaronga, 2010)
Bonus #2: 5 x Guilty Pleasure
(in Reihenfolge der Sichtungen)
Bullhead (Michaël R. Roskam, 2011)
Dreileben – Etwas Besseres als den Tod (Christian Petzold, 2011)
Engel des Bösen – Die Geschichte eines Staatsfeindes (Michele Placido, 2010)
Sennentuntschi (Michael Steiner, 2010)
The Tree of Life (Terrence Malick, 2011)
Bonus #3: Sondermüll und Peinlichkeiten
(von grauenhaft abwärts bis schlimm)
1. Hell (Tim Fehlbaum)
2. Tatort – Nasse Sachen (Johannes Grieser)
3. Kampf der Königinnen (Nicolas Steiner)
4. Herzensbrecher (Xavier Dolan)
5. Black Swan (Darren Aronofsky)
6. The Day He Arrives (Sang-soo Hong)
7. The Angel of Doel (Tom Faessert)
8. Dreileben – Eine Minute Dunkel (Christoph Hochhäusler)
Einige Filme, die ich gerne gesehen hätte:
Eine dunkle Begierde (David Cronenberg)
The Host and The Cloud (Pierre Huyghe)
Tournee (Mathieu Amalric)
Ostaggi (Lamberto Bava)
Viva Riva (Djo Tunda Wa Munga)
To Die Like a Man (João Pedro Rodrigues)
Thor (Kenneth Branagh)
Whore’s Glory (Michael Glawogger)
Le Havre (Aki Kaurismäki)
The Invader (Nicolas Provost)
The Hole (Joe Dante)
Eighty Letters (Václav Kadrnka)
Haus der Sünde (Bertrand Bonello)
Self Referential Traverse: Zeitgeist and Engagement (Sun Kim)
3 Kreuze für einen Bestseller (Klaus Lemke)
Urban Explorer (Andy Fetscher)
Das Hofbauer-Kommando
Bei der letztjährigen Verleihung des Goldenen Ernst 2010 für Verdienste um den Erhalt von Sleaze im gegenwärtigen Kino machten wir abschließend unser Hoffnung auf ein noch saftigeres Jahr 2011 Luft. Hätten wir nur geahnt, welch lüsterne Geister wir damit weckten!
Die Fülle auszeichnungswürdiger „Sleisterwerke“ schwoll 2011 mit derartiger Rasanz an, dass sich das unter verschärftem Stoßzwang befindliche Hofbauer-Kommando gezwungen sah, die Anzahl der Preisträger vielfach zu potenzieren, um den prachtvollen Auswüchsen und enormen Ausbeulungen des Jahrgangs noch gerecht werden und (Hosen)raum bieten zu können. Auch kamen wir nicht umhin, eine Vielzahl einzelner Ressorts einzurichten, die sich um Vorsortierung, Prämierung und schriftliche Auswahlbegründung im jeweiligen Bereich sorgsam kümmern. Nur durch viele personelle Mehrfachbesetzungen und die vereinten Kräfte der jüngst von drei auf vier Kapitäne aufgestockten Führungsebene des Hofbauer-Kommandos war es möglich, den Ansturm in aufwendigen Selektionsprozessen und detaillierten Begründungen zu bewältigen. Insgesamt dürfen nun in finaler Entscheidung für das Jahr 2011 schlagartig 17 Preisträger stolz die Auszeichnung „besonders sleazevoll“ in Gestalt des „Goldenen Ernst“ entgegen nehmen. Wir präsentieren nun die riesige Sieger-Wendeltreppe in all ihrer ausladenden Pracht…
Sweet Sixteen mit cremigem i-Tüpfelchen – eine klebrig-süße Auswahl von 16 Langfilmen und einem Kurzfilm, die sich ihren Goldenen Ernst redlich verdient haben.
Die Begründungen der einzelnen Ressorts:
Ressort: Tourismus
3 KREUZE FÜR EINEN BESTSELLER (Klaus Lemke)
Genialer Schachzug dieses entspannten Inselfilms in bester Jesus(-Franco)-Manier ist, dass Klaus Lemke selbst eine der drei Hauptrollen spielt und sich so als Spielleiter auf einer innerfilmischen Metaebene in Szene setzt. Es versteht sich von selbst, dass er dabei nicht um allerlei verständnisvolle Ratschläge verlegen ist und mit flotten Sprüchen das triebige Geschehen zusätzlich anzutreiben versucht („Das ist so eine vertrocknete Norddeutsche, wenn du da mit deinem Münchnerisch kommst, wird die weich!“), aber seine Muse auch gern mit fiesen Sprüchen stichelt („Das ist Scheiße, das ist Mutter-Migräne-Magersucht-Literatur, was du da schreibst!“). Der eigentliche Protagonist ist allerdings Sleaze-Shootingstar Henning Gronkowski, der sich nach SCHMUTZIGER SÜDEN erneut als pornöser Gammeljockel im Sprüchereißen und Posieren bewährt. Doch was tatsächlich alles in dieser lässigen Wundertüte von Film steckt, kann auch das härteste Presswerkzeug nicht in so wenigen Zeilen zusammenschnüren. Das Hofbauer-Kommando streckt die Waffen und verzehrt sich schon jetzt nach neuen Taten und Auftritten des wilden Klaus!
Ressort: Gastronomie
A NIGHT IN NUDE: SALVATION (Takashi Ishii)
Was kriecht denn da das Bein der Hauptdarstellerin hinauf? Oh, es ist die Kamera von Takashi Ishii! Ein wunderbares Schmiersüppchen hat uns der freundliche Japano-Lustgreis da geköchelt. Und siehe da: es schwimmt auch noch der eine oder andere Brocken Ultrakunst darin! Damit benetzt man doch gerne den Gaumen.
Es ist ein Genuss. Ishiis nackte Erlösungs-Nacht spreizt ihre Beine weit zum Spagat zwischen Neo-Noir und Sexploitation. Dazwischen entblößt sie die Zwiespältigkeit ihrer Figuren, hoffnungslos nach Erlösung gierende Seelen in den Neonschluchten der Großstadt. Ein Film über die Psyche, visualisiert durch eine Zelebration des Körpers.
Dann entwickelt die Kamera ein Eigenleben, wandert unter Tische und Röcke, fährt genüsslich die Fun-Parts diverser Stripperinnen ab und zeigt sich überhaupt herrlich selbstvergessen. Nunja, mit mittlerweile 65 Lenzen auf dem Buckel muss ein Regisseur eben Prioritäten setzen! Doch dann kommt Ishii völlig zu sich und entfesselt im dramatisch-voyeuristischen Finale ein Weitwinkel-Inferno, wie die Welt es noch nicht gesehen hat. Als hätten sich Andrzej Zulawski und Jess Franco zusammengetan, um einen Pinkfilm zu inszenieren! Das Hofbauer-Kommando war den Freudentränen nahe. Definitiv ein Film für Herz und Hose.
Ressort: Gentrifizierung
CASSANDRAS WARNUNG (Dominik Graf)
Bewiesen die verehrten Herren Graf und Schütter bereits in ihrer güldenen Vergangenheit hinreichend und -reißend ihr feines Gespür für gefühlsumwölkte Situationen und das kleine, versteckte, schmutzige deutsche Seelchen, so stoßen sie nun mit diesem bayerischen Neo-Giallo an die Grenzen des im Fernsehen Ausziehbaren: Von „Liebeskunst“, „Tittenspechten“ und „Ständereulen“ ist da die Rede und auch vor angriffslustigen und hingebungsvollen Anstößigkeiten klassischer Prägung (deren mager gesäte Ausformungen im aktuellen Deutschen Kino man nie genug belobigen kann) schrecken unsere reifen Münchner Wunderknaben nicht zurück: In der HK-relevantesten Szene des Films, leider in der entsafteten ARD-Fassung gekürzt, hebt die wohltuend verruchte Alma Leiberg triumphierend das Röckchen, um den umstehenden Bullen nachzuweisen, dass sie kein Transvestit sondern „eine echte Frau ist“. Soviel keß blubbernde Verwegenheit verschlug selbst dem anspruchsvollen Hofbauer-Kommando den stockenden Atem. Indes, es ist nicht nur das Rohe sondern auch die lakonische Schönheit dieser Genre-Hymne, in die wir uns verliebten: Maternales Verständnis schlug sich nieder in den betrübten, bitteren Worten der Simmel-Ikone Doris Kunstmann. Als gealtertes Kind der 70iger sehnt sie sich nach unschuldiger Frivolität auf Parkbänken, von denen nunmehr kinderreiches Jungvolk Besitz ergriffen und das einst so fiebrige München in der „Babyscheiße“ versinken hat lassen. Das Hofbauer-Kommando stimmte nachdenklich, etwas wehmütig, jedoch auch in leiser Verzückung ein in ihr Klagen, hatte man doch eben dieses verlorene Glück gerade 90 Minuten lang in tiefen Zügen aufgesogen.
Ressort: Familienpolitik
COLD FISH (Sion Sono)
Wo der Patriarch in einer Männlichkeitskrise feststeckt, bedarf es eines wahren Fischkenners, die säumigen Familienmitglieder wieder am Futtertrog zu vereinigen. Doch in diesem leuchtenden Bassin schwimmen nicht nur gierige Geldhaie, sondern auch abtrünnige Weibchen, die sich nur zu gerne ein hilfloses Weichtier zwischen die Kiemen schieben. Da muss Papi aufpassen, wo er seine Angel auswirft und welch unergründete Becken dabei zu Entdeckungen einladen. Denn kommt es hart auf hart, wird auch der stramme Hecht schnell zum Zitteraal. Trotz so viel glitschiger Verunsicherung weist jedoch der geschmeidige Schwarm-Anführer stets den Weg ins gemachte Flussbett. Auch sein gewiefter Weitwinkel-Advokat weiß, an welcher Muschel es sich zu horchen lohnt und welcher Kanal noch einen salzigen Zufluss verträgt. Selbst wenn ihm schließlich beim Vorstoß in enge Unterströme die Luft wegbleibt, gibt er als umtriebiger Höhlentaucher doch lange genug ein nur allzu anschauliches Vorbild. So lernt dann auch Vati, wie man die Flosse richtig schwingt. Mit neuer Stärke auf den rechten Weg gebracht, führt er schließlich so manchen roten Hering der artgerechten Fischfutterverarbeitung zu. Wer sodann den Laich im Keller hat, kann nun auch endlich wieder mit erhobenem Haupt seiner Pflicht als Familienernährer nachkommen. Schleimige Selbstfindung im engmaschigen Fischernetz – dieser überschäumende Film hatte auch das Hofbauer-Kommando unversehens am Haken.
Ressort: Karriereplanung
ENGEL DES BÖSEN (Michele Placido)
Auch wenn wir wiederholt schweren Herzens und eingefallener Hose betrübt feststellen mussten, dass das einst so reich durchtränkte, prall glänzende und für seine fachmännisch geschmierte Elastik berühmte italienische Kino inzwischen tragisches Opfer der allgegenwärtigen, Filmförderungs- und Fernsehgesteuerten Entschmuddelung geworden ist – Michele Placido, Haudegen von altem Schrot und Korn, tut wirklich alles, um auch im kühl-stylischen Mainstream-Gloss an vergangene Ruhmestaten anzuknüpfen und Renato Vallanzascas Dasein als Filmgangster, als duften Typen in all seinen von heißen Höschen gesäumten und kumpelhaft-verständnisvollen, schillernden Facetten amoralisch exploitativ schillern zu lassen. Wir meinen, dass solch unmanierliche Ruchlosigkeit und folgenloses Machismo trotz ästhetischer und verschämt ideologischer Vorbehalte einer Belobigung würdig sind. Wir verweisen außerdem auf die Rezension von HK-Gründungsmitglied Christoph.
Ressort: Literatur
FAUST (Alexander Sokurov)
Nach dem Eröffnungssequenz beginnt dieser saftig-zärtliche FAUST umgehend mit der Großaufnahme eines Schniedelwutz – das kleine Herrchen eines Toten, der dann auch kurzerhand erst einmal ausgeweidet wird. Auch sonst wird nicht an Körperflüssigkeiten gespart, überall ist es stickig und schmutzig, wimmelt und wuselt es. Ein Film nah am Gemenge, aber auch bei der Natur, nah an den natürlichen Elementen! Später wird erst vor, dann in einer Kirche auf dem Boden der Stuhlgang verrichtet, und im Badehaus so mancher Weibesrock lüstern-kichernd gelupft! Gekichert wird von den badenden Damen aber auch über die schrumpelige Falte, die der entkleidete Wucherer im kühlen Nass anstatt eines Genitals präsentiert. Schon diese wenigen Impressionen sollten als Untermauerung des HK-Urteils genügen: vorzüglich irritierend und wundersam sind die Wege des großen Alexander geraten!
Ressort: Emanzipation
GUILTY OF ROMANCE (Sion Sono)
Am Anfang waren die symmetrisch platzierten Pantoffeln und der wohltemperierte Kaffee, am Ende Wiener Würstchen am Spieß, Pornografie und Perversionen. In der pragmatisch veranlassten klitoralen Ekstase kommt das niedliche japanische Hausfrauchen als fröhlich quiekender Sexualapparatus völlig zu sich in Frauenversteher Sion Sonos episch ausfließendem Bilderbogen der Verworfenheit, liebevoll beschmiert mit pinken Farbbeuteln und aufweichenden Regentropfen, die durch im Neonlicht modernde Dachpappe sickern. Gewiss, einigen Zuschauer auf dem Filmfest München stieg die Zornesröte ins Gesicht ob dieser mit adoleszentem Esprit verkneteten und vulgärphilosophisch verbrämten Verausgabungen, doch vielleicht nahmen sie auch nur aus den Augenwinkeln heraus Anstoß an den zerfetzten Beinkleidern des wohlig in seinen Sitzen versunkenen Hofbauer-Kommandos. Spätestens dieses Werk empfiehlt Sion Sono als heißen Kandidaten für den „Shiny Ernst Future Award“.
Ressort: Balzverhalten
HOLLYWOOD FLING – DIARY OF A SERIAL KILLER (Eckhart Schmidt)
Die vom Hofbauer-Kommando am sehnsüchtigsten erwartete DVD-Veröffentlichung 2011. Wir hatten kaum noch daran geglaubt, Eckhart Schmidts sehr geheim gehaltenen film maudit erblicken zu können. Dieses Wunderwerk der Digitalität, durchgängig aus der Sicht eines Serienkillers erzählt. Wie ein perverser Sex-Cyborg wirkt dieses Monster, dessen Augen die Kamera sind. Aber er ist auch ein Connoisseur weiblicher Sinnlichkeit, den Plastiktitten anwidern. Er sucht die girls next door, ihren Glamour der Natürlichkeit. Auf dem Hollywood Boulevard, der so bizarr zwischen Schäbigkeit und Glitter oszilliert, fixiert er sie mit zärtlichen und gierigen Blicken. Verführerisch und sehnsuchtsvoll lassen sie sich auf das Spiel des vermeintlichen Castingagenten ein. Ihre Hoffnung auf etwas Glück bezahlen sie im Saharan Motor Hotel mit ihrem Leben. Dort erleben wir die unerbittliche Klimax dieses walk of death. Eine in ihrer Intensität die Hose zum Platzen bringende Visualisierung entarteter Triebhaftigkeit, die verstörende Vermählung von Point Of View-Pornografie und Serienkillerfilm. Das Kameraauge zittert, schwankt unkontrolliert, wandert erregt und gehetzt über Brustknospen und Schamlippen – auch nachdem das Lebensflämmchen dieser zauberhaften Geschöpfe erloschen ist. Der schmerzliche Anblick ihrer verwelkten Blüten der Lust ist unvergesslich. Die FSK empfand “Hollywood Fling“ als “Zumutung“, als “verachtend“, und stufte ihn als jugendgefährdend ein. Wir dagegen sind hocherfreut, wenn Wahrheiten an die Oberfläche gebracht werden, die im perfiden Beruhigungsdiskurs des gediegenen bürgerlichen Kinos in die Tiefe des Mieders gepresst bleiben müssen. Wenn dies auch noch mit einer so mutigen und radikalen Konsequenz geschieht wie beim Grandseigneur des deutschen Autorenfilms, verbeugen wir uns mit tiefstem Respekt. „You can see all the stars as you walk down Hollywood Boulevard…“ (Ray Davies)
Ressort: Völkerverständigung
THE INVADER (Nicolas Provost)
Am Anfang in groß: eine weiße Freudenspalte am FKK-Strand, ungläubig bestaunt vom angespülten Flüchtling! Am Schluss im Dunkel, sich im Schlafzimmer vor einem wohlbetuchten, schlafenden weißen Paar aufbauend: ein schwarzer Lustprengel, am grinsenden Besitzer baumelnd! Kein Wunder, dass sich sogleich die Empörung reckt und streckt, handelt es sich doch um ein Immigranten-Drama, das da vermeintlich sagt: „Wenn wir den Neger ins Land lassen, macht er sich über unsere Frauen her!“ Das Hofbauer-Kommando wiederum amüsierte sich prächtig darüber, weil es diesen so wunderbar unverschämten, begierlichen und ungenierten Affront von einem Film vor allem für einen hält, der sich über solche Vorstellungen und paranoid-rassistischen Ängste recht bösartig lustig macht. Damit solidarisiert man sich angesichts der meisten billig emotionsheischenden und ihre Figuren oberflächlich als bemitleidenswerte Exoten ausstellenden filmischen Alternativen zum Thema gerne und schließt sich Dominik Kamalzadehs Worten aus der Cargo-SMS an: „Nicolas Provosts THE INVADER ist ein mutiger, vielleicht sogar radikaler Film. Ein illegaler Afrikaner in der EU, der sich nimmt, was er begehrt. Ein Gegenkonzept zum PC-Sozialdrama, in vibrierenden Oberflächen-Texturen.“
Ressort: Theologie
NUDE NUNS WITH BIG GUNS (Joseph Guzman)
Ein Film dem gelingt, was gerade den Wiederbelebungsversuchen des Exploitationskinos oft gänzlich fehlt: seine Schmierigkeit hat etwas Organisches und Echtes, fühlt sich nicht platt, verschämt oder behauptet an. Der schöne Schmier ist es dann auch, der diesen Film zusammenquetscht, in den Fugen hält und flutschen lässt, während er sonst vielleicht nicht ohne Abrieb über die Runden käme. Neben delikaten Höhepunkten (eine der getöteten Eltern beraubte Jungfrau wird mit „Wanna pop her cherry?“ und öliger Gestik dargereicht) schlägt vor allem die Verbindung zwischen zwei Metiers Funken: das klassische American Grindhouse mit seinen wüsten Bikern, schmuddeligen Motels und zwielichtigen Stripbars bildet den Tortenboden, während die Nunploitation italienisch-japanischer Prägung mit ihren lüsternen Ausschlachtungen klerikaler Tabus eine sämige, dicke Sahneschicht dazu spritzt. Dass das Filmherz nicht immer voll auf seine Kosten kommt, lässt sich leicht verschmerzen, wenn bei soviel offenherziger Schmierigkeit dem Hofbauer-Kommando umso schneller die Hose aufgeht.
Ressort: Handelswaren
VIVA RIVA! (Djo Tunda Wa Munga)
Aspiring upcoming oil(y) gangster Riva und die anderen, mächtig duften Typen in diesem hibbelig vor lauter Lustdurchwallungen bebenden Film machen nicht zu knapp auf dicke Hose, in der es ganz offensichtlich unentwegt juckt. Im Hexenkessel Kinshasa jagen sich atemlos aufreizende erotische Provokationen und ungeheure Gefühle von vehementer Dringlichkeit. Ob Disco-Schönheiten sich beim heißen Tanz befingern lassen und später in der Pinkelpause ungeniert zur Beobachtung feilbieten. Ob ältere Vermittlerinnen die Gesuche bedürftiger junger Burschen entgegen nehmen, die sich „10 Jahre lang mit den Hängetitten von den Landeiern auf dem Dorf“ begnügen mussten und nun endlich mal „straffe Brüste in der Hand haben“ wollen. Ob Sicherheitsmänner sich bei den im Badezimmer weilenden Kirchendamen erkundigen, inwieweit sie sich denn womöglich die Langweile vertreiben, indem sie sich „die Möse am Waschbecken reiben“. Oder ob in verwinkelten Seitengassen so Manchem plötzlich einfällt, dass er gerade ganz heiß werde und auf der Stelle „seine Ladung loswerden“ müsse, was sodann mit einer eilig herbeigeschafften Straßenstrichbekanntschaft über einer Mülltonne verrichtet wird. Kurzum: Die Gefühle brodeln hier fast ununterbrochen, und das gewiss nicht auf Sparflamme, erst recht, wenn die unverblümten deutschen Untertitel noch ein wenig nachheizen. Auf der eruptiven Zielgeraden wird der Drang zu Vermehrung schließlich ruppig vom Drang zur Auslöschung abgelöst. Töte alle und kehr allein zurück, wenn du es noch kannst – das sind Aufträge, die auch das von derart appetitlichen Aussichten gelockte Hofbauer-Kommando nicht ablehnen kann.
Darstellerpreis für Sean Bridgers in THE WOMAN (Lucky McKee)
Den HK-Darstellerpreis dürfen rechtmäßig nur die Schmierfinger jenes Schweinebären umschließen, dessen performative Eruptionen die Beinkleider des Hofbauer-Kommandos auf die extra-ordinärste Zerreißprobe gestellt haben. Im Jahr 2011 kann damit nur einer gemeint sein.
Er ist das lauernde Flanellhemd hinter dem amerikanischen Vorgartenzaun. Die Ballung aller Triebe, nur mühsam verborgen hinter dem zahnseidigsten Klaviertastenlächeln diesseits von Tennesse. Er macht keinen Unterschied zwischen Lauf- und Saustall, er ist – Sean Bridgers als Familienvater in „The Woman“!
Keinem anderen wäre es so wie ihm gelungen, im Spannungsfeld zwischen Terrorfilm und USA-Satire das zarte Pflänzchen Sleaze derart zum erblühen zu bringen. Aber ein dufter Samen boxt sich nun einmal durch. Ob beim ungezwungenen Schäkern mit der Sekretärin, oder dem verständnisvollen Zu-Bett-bringen sorgenvoller Teenager, dieser Dad hat für jede Situation die passende Schmiere parat.
Verehrter Herr, diesen Preis haben Sie sich verdient!
Darstellerpreis für Miranda Colclasure (aka Mimi Le Meaux) in TOURNEE (Mathieu Amalric)
Das Hofbauer-Kommando liebt „Frauen, die sich selbst bedienen“ und damit ist keineswegs nur der Griff zum „Zauberstab zur Selbstmassage“ gemeint! Eine, die sich gern selbst bedient, ist TOURNEE-Hauptdarstellerin Miranda Colclasure, hier zugleich Protagonistin einer ganzen Truppe von Ami-Wuchtbrummen einer Burlesque-Show auf Tour durchs sinnenfreudige Frankreich. In der hosengefährdendsten Szene des Films schnappt sie sich ohne großes Aufhebens ein Männchen, schleift es auf die Hotel-Toilette, und macht sich mit eindeutigen Absichten an ihm zu schaffen – aber prompt folgt die Ernüchterung: aufgrund dieses erregenden Überrumpelungs-Vorgangs ergießt sich ihr Lustknabe verfrüht in seine eigene Hose! Doch Frau weiß sich zu helfen, nimmt kurzerhand seinen Kopf, drückt ihn zwischen ihre Beine, und lässt sich, auf der Kloschüssel zurückgelehnt, so richtig von des Mannes Zunge den Honig aus den Waben schlecken, während sich draußen einige kleine chinesische Mädchen wundern, ob sich wohl angesichts der komischen Geräusche „Tiere“ in der Toilette befänden! Bei so viel animalischer Energie blieb auch dem Hofbauer-Kommando der Mund offen stehen.
Kategorie Dokumentarfilm:
THE BIG EDEN (Peter Dörfler)
Nachtclub-Tycoon und Playboy-Urgestein Rolf Eden, gewiss nicht nur aufgrund seiner eindrucksvollen Beteiligung am frühen Hofbauer-Klassiker SCHWARZER MARKT DER LIEBE ein glühender Stern am Himmel der HK-Prominenz, wird spät, aber doch mehr als nur hinreichend verewigt, gewürdigt und verstanden in diesem glamourös aufgebrezelten Gemälde eines umtriebigen Lebens für den Sleaze, in CinemaScope. Dörfler gibt nicht den Moderator, er lässt seinen auch mit wackeren 80 Jahren noch tief in Duftesse und Frauenverständnis watenden Helden sprechen, wirken und strahlen dass es nur so eine Art hat. Vitale Auftritte HK-relevanter Stars wie Uschi Buchfellner und Ingrid Steeger runden dieses Road Movie durch Jahrzehnte deutscher Dekadenz angemessen ab. Das Hofbauer-Kommando ist voll des Dankes für diesen wichtigen Beitrag zur Dokumentation der deutschen Gefühlshistorie, die bisher von der Kinematographie und Filmgeschichtsschreibung schändlichst übergangen wurde.
CRAZY HORSE (Frederick Wiseman)
„Nach einer Stunde mit Titten und Ärschen bin ich gegangen. Sowas schau ich mir doch keine zwei Stunden lang an!“ hörte man später eine verstimmte Zuschauerin wettern. Das Hofbauer-Kommando hingegen sieht sich sowas selbstverständlich sehr gerne zwei Stunden lang an. „Der Kavalier genießt und schweigt“ heißt es so schön, aber Wiseman schafft es, sowohl zu genießen als auch die Worte sprechen zu lassen. Ungerührt schwelgt der Film fast die halbe Laufzeit in den glitzernden Paraden der Nuditäten, weidet sich an der Pracht der Formen und Rundungen, eröffnet in seinen Bildern die denkbar schönste „Kurvendiskussion“ (Viennale). Auf der anderen Seite durchleuchtet er aber auch die organisatorische, ökonomische und soziale Stuktur, blickt hinter die Bühne und lässt die Menschen hinter den verführerischen Silhouetten sprechen. Für soviel harmonischen Einklang zwischen soziologischem Interesse und genießender Lüsternheit bleibt dem Hofbauer-Kommando nur aufrichtige Anerkennung.
LAS MARIMBAS DEL INFIERNO (Julio Hernandez Cordon)
Wenn im Leben eines Mannes auch vieles den Bach der Dinge hinunter geht, solange er an seiner natürlichen Lässigkeit, seiner „Duftesse“ festhält, ist Mann gegen arges Geschick gefeit. In „Marimbas from Hell“ sind solcher geschlagener, aber nicht hilfloser Männer gleich drei, vereint in den Ruinen ihres einstigen Lebens von der Vision einer gemeinsamen Metal-Band – der ersten Metal-Band mit Marimba-Soloist! Freilich dünkt ein solch kühnes Unterfangen steinig und schwer im armen, mit modernem Kulturgut hadernden Guatemala, aber Beharrlichkeit ist bekanntlich die beste Medizin gegen Erschlaffungserscheinungen. Schlaffe Beharrlichkeit ist hingegen, was der koboldhafte Jüngste im Bunde zur Schau trägt, als er sich, im Muskelshirt und die Baggy pants ganz tief hängend, seine Augen schwerfällig in Höhlen rollend und das Kinn fragend nach vorne geschoben, in die Wartesessel eines städtischen Amtes lümmelt, wo es eine Genehmigung einzuholen gilt. Das hat eine natürliche Ruhe, eine charmante Naivität, unschuldiges adoleszentes Machismo, von dem sich die alten Recken mit ihrem Marimbaphon und ihrer verehrten Stretch-Gitarre gerne anstecken lassen. Musiker sein, das bedeutet immer auch, Verführer zu sein, wo man auch geht, steht – und sitzt.
Kategorie Kurzfilm:
WIE ICH DEN SOMMERWIND FING (Reginald Ginster)
Mit keckem Schalk und liebevoller Sentimentalität im Nacken folgen die edlen Kuratoren des „geheimnisvollen Filmclub Buio Omega“ dem charmanten Herrn Weber, einem pensionierten und passionierten Sammler stilvoller alter Erotica, auf dem Weg ins Glück. Beim nachmittäglichen Käffchen mit dem Frauchen im gemütlichen Stüberl aufgeschreckt von einer Blitzmeldung über den Fund verstaubter Filmdosen in einem Bunker, flitzt besagter Herr in einem Zustand „minütlich wachsender Erregung“ einer deutschen 35mm-Kopie von Doris Wishmans Nudie-Klassiker NACKT IM SOMMERWIND hinterher, die dann mit der fachmännischen Routine eines Metzgermeisters seziert, in der Badewanne gewaschen und restauriert wird. All das schien den mit Materialfetischismus und profunder Liebe zu klassischer Softerotik ebenso gesegneten Hofbauer-Kommandanten allzu heimelig vertraut. Könnte unser Lebensabend, so fragten wir uns, nicht ganz ähnlich aussehen, abgesehen möglicherweise von Käffchen, Frauchen und Stüberl? Eine charmante Miniatur über einen liebenswerten Schutzengel der siebten Kunst, von verständnisvollen Menschen für verständnisvolle Menschen.
Marian
2011 nach binärem Bewertungssystem (alphabetisch geordnet):
1:
A Night in Nude: Salvation (Takashi Ishii)
A Stoker (Aleksei Balabanov)
The Adventures of Tintin (Steven Spielberg)
Arirang (Kim Ki-duk)
Attack the Block (Joe Cornish)
Chantrapas (Otar Iosseliani)
Cold Fish (Sion Sono)
Essential Killing (Jerzy Skolimowski)
F (Johannes Roberts)
Guilty of Romance (Sion Sono)
The Hole 3D (Joe Dante)
Kill List (Ben Wheatley)
Marimbas from Hell (Julio Hernandez Cordon)
My Soul to Take (Wes Craven)
Pornografie und Holocaust (Ari Libsker)
Die Räuberin (Markus Busch)
Whores‘ Glory (Michael Glawogger)
The Woman (Lucky McKee)
0:
Die Haut, in der ich wohne (Pedro Almodóvar)
I saw the Devil (Kim Ji-woon)
In der Welt habt ihr Angst (Hans W. Geißendörfer)
The King’s Speech (Tom Hooper)
Melancholia (Lars von Trier)
True Grit (Ethan Coen, Joel Coen)
Nübetzki, Hermann
(Von der Inkludierung eines Filmbildexzerpts möchte ich an dieser Stelle absehen. Bilder sind ihrer Natur nach profan und unterminieren die Wirkkraft der Sprache.)
Die Kinematographie ist seit 1950 tot. Als letzte relevante kinematographische Bewegung ist der italienische Neorealismus anzusehen. Spätestens mit den sogenannten „Neuen Wellen“ der 1960er Jahre kann von einer Zersetzung jeglicher künstlerischer Integrität gesprochen werden. Ab diesem Zeitpunkt ist die Bildproduktion in festen Händen der Advokaten des Trivialen, die als Erfüllungsgehilfen des Unterdrückungsapparats ihr Werk verrichten und den Bedürfnissen des Publikums zuarbeiten, dessen Verdummung sich in seinem Wunsch nach sogenannter Unterhaltung exemplifiziert. Auch die schriftliche Auseinandersetzung mit Bewegtbildern ist somit in letzter Instanz seit 1974 obsolet. Das Jahr 2011 zementierte den Wahrheitsgehalt dieser Feststellungen neuerlich. Dieser Jahrgang hat lediglich einen qualitativ hinreichenden Film hervor gebracht:
La musique de la tombloise (Grégoire Wylchadrawski)
Mit distinguierter Bildsteuerung werden Emotionen, Schauwerte und Formverfremdungen en gros suspendiert. Der Zuschauer wird auf seine Urteilskraft zurück geworfen und verbleibt in Ratlosigkeit. Chapeau!
Gehaltvolle diskursive Ansätze waren darüber hinaus lediglich in La folie Almayer (Chantal Akerman), Cet homme (Markus Ruff), Copie conforme (Abbas Kiarostami) und Eine Serie von Gedanken (Heinz Emigholz) auszumachen. Die gesamte sonstige Filmproduktion des Jahrgangs erwies sich hingegen als minderwertig. Insbesondere ist die dominante Majorität von primitiven narrativen und spekulativen Filmwerken zu desavouieren und scharf abzustrafen. Zu meinem Leidwesen war ich 2011 aus akademischen Obligationen erneut zu einer Auseinandersetzung mit Bewegtbildern gezwungen. Es verschafft mir Erleichterung, dass sich diese Situation mit dem Jahreswechsel gewendet hat. Im neuen Jahr werde ich mein Augenmerk einzig auf Rezitateure des epischen Theaters im frühen neunzehnten Jahrhundert lenken.
Sano
Es ist mal wieder Listenzeit. Am Ende des Jahres lässt man traditionell ja gerne das vorige Jahr noch einmal Revue passieren, erinnert sich an Erlebtes und versucht bestimmte Dinge noch einmal festzuhalten. Das ist auch unter Filmliebhabern so. Da werden gerne die 10 besten Filme benannt, die gelungensten Schauspielleistungen, die schönsten Melodien, und die ansprechendsten sonstwas. So weit so gut. Ich mache das ja selbst inzwischen auch schon eine Weile mit, aus der Erinnerung heraus sind es wohl über 10 Jahre, und auch bei mir haben sich inzwischen bestimmte Mechanismen und Strukturen gebildet, die sich hierbei alljährlich wiederholen. Ich finde es grundsätzlich auch bereichernd, sich bestimmte Abschnitte der Vergangenheit wierder ins Gedächtnis zu rufen, und dass Cinephile dieser Tätigkeit gerne um das Jahresende herum ausgiebig und meist mit Enthusiasmus frönen, stört mich ebenso wenig (auch wenn das immer einen gewissen Listen-Overkill mit sich bringt, der nach einer Weile lästig werden kann, was aber bei jedem geballt auftretenden Phänomen der Fall ist – wer kennt das nicht: Nie wieder Alkohol…).
Was mir aber jedes Jahr mehr und mehr unangenehm aufstößt, und mich dieses Jahr zum Verfassen dieses Textes genötigt hat, ist die Tatsache, dass solche Jahresrückblicke und Listen sich bevorzugt mit sogenannten „neuen“ oder „aktuellen“ Filmen auseinandersetzen. Das sind Filme, die es vor dem betreffenden Jahr entweder gar nicht, oder nur teilweise (z.B. als Festivalpremieren) zu sehen gab, weil sie meist im Jahr davor noch nicht existiert hatten, sie also in jüngster Vergangenheit erst entstanden sind. Diese „neuen“ Filme sind ja größtenteils das Thema und der Inhalt der meisten Kinos, der meisten Videotheken und auch der meisten Festivals – vermutlich nicht nur in Deutschland oder Europa, sondern weltweit. Das Fernsehen ist da zwar nicht ganz so exklusiv (ebenso wie das Internet und mit ihm viele Online-Videotheken, oder auch die nicht zu unterschätzenden Stadtbüchereien in den vielen Städten Deutschlands), und tendiert meiner Beobachtung nach eher zu einem breiteren Angebot, in dem der „aktuelle“ Film nur eine, und teilweise nicht einmal die wichtigste Rolle einnimmt. Aber auch das Fernsehen dreht gerne und regelmäßig viel Neues, das es dann verständlicherweise auch sendet, und inzwischen, in Konkurrenz zum Kino, auf den besten Sendeplätzen am Vorabend platziert, und dabei auch nicht müde wird, es gerne als Ereignis der Woche oder des Monats anzupreisen.
Diese Fokussierung auf dieses umgangssprachlich eben so benanntes „aktuelles“ im Filmbereich ist selbst sicherlich nichts Neues, sondern hat bereits Tradition. Hunderte von alljährlich stattfindenden Galen und Preisverleihungen haben es sich in der Filmbranche inzwischen zur Aufgabe gemacht, junge Produktionen auszuzeichnen und zu ehren, da man in diesem Kontext berechtigterweise davon ausgehen kann, dass die älteren Generationen von Filmen und Filmschöpfern ihren Anteil an Aufmerksamkeit ja bereits erhalten haben. Derselben Logik folgt auch das Kino, und das Verleihgeschäft im generellen. Alte Filme haben ihre Zuschauer bereits gefunden, haben Geld eingespielt, haben kulturell und wirtschaftlich bereits einen Raum erhalten, der nun jüngeren Produktionen zusteht. Großzügig betrachtet, ist das ein immergleicher Kreislauf, der selten in Frage gestellt wird, da er sich in den meisten Produktsegmenten unserer zivilisierten Welt in vergleichbarer Weise abspielt. Auch in der Automobilindustrie, geht es jedes Jahr aufs neue um die gegenwärtigen Entwicklungen und Modelle, und der Blick scheint stetig in die Zukunft gerichtet zu sein. Ebenso im Computerbereich – kaum einer berichtet heutzutage noch regelmäßig über seine Erfahrung mit einem C64 – und in den meisten anderen Gebieten scheint es ebenso zu sein. Auch im Literatur- Musik- oder Theaterbetrieb. Was ist daran auch falsch, mag man fragen? Eigentlich nichts. Unsere Produktion von Erzeugnissen ist aus wirtschaftlicher Sicht prinzipiell darauf ausgelegt, Nachfragen zu wecken oder sie zu befriedigen, und diese Sicht scheint sich auf den ersten Blick auch mit den Bedürfnissen der meisten Menschen, die sich als Konsumenten dieser Waren sehen, zu decken. Ich möchte an dieser Stelle auch gar keiner breit angelegten Kulturdebatte anschließen oder Vergleichbares thematisieren. Vielmehr geht es mir um eine Verschiebung des Blicks.
Denn es gibt auch noch andere Tatsachen. Schreiben oder sprechen wir zum Beispiel über unsere sozialen Erlebnisse als Menschen, machen wir Tagebucheintragungen oder ähnliches, geht es zwar auch immer um Gegenwart, und unsere gegenwärtige Wahrnehmung unserer Vergangenheit und Zukunft, aber eine vergleichbare Unterscheidung in „Neues“ und „Altes“ oder eine einseitige Fokussierung auf einen bestimmten Ausschnitt des Erlebten, findet meiner Erfahrung nach nicht statt. Wir erzählen nicht nur von unseren Begegnungen mit kürzlich geborenen Menschen, sondern zumeist auch von unseren jüngsten Begegnungen mit langjährigen Freunden, Verwandten oder gar den nicht mehr wirklich taufrischen Großeltern oder Urgroßeltern. Auch unser Umfeld besteht in diesen Berichten nicht nur aus Aufenthalten in kürzlich errichteten Gebäuden – ganz im Gegenteil. Viele Menschen die zum Beispiel von ihren Reisen in bisher Unbekannte Gebiete berichten, erwähnen oft prominent oder exklusiv ihre Begegnungen mit Teilen der Vergangenheit, bevorzugt in Form von Monumenten oder sonstigen baulichen Sehenswürdigkeiten. Auch Menschen die man neu kennenlernt, oder Erlebnisse die man zum ersten mal in seinem Leben macht, sind in erster Linie nicht kürzlich und neu auf diesem Planeten eingetretene Tatsachen, sondern in 99% der Fälle wohl bereits bestehende und existierende Teile unserer Wirklichkeit die eben nur wir zum ersten mal kennengelernt haben, und die daher auf uns lediglich neu wirken, vielleicht auch nur aus diesem Grund für uns „neu“ oder „aktuell“ sind. Unsere Gegenwart wirkt auf uns deshalb gegenwärtig, weil wir sie ständig als solche Erleben, und auch „altes“ ist aktuell, solange es in unserem Leben eine Rolle spielt. Es geht also meistens nur um unsere Wahrnehmung, die bestimmt welche Aktualität, welchen gegenwärtigen Stellenwert ein Ereignis für uns einnimmt.
Man möge mir diese wissenschaftlich sicher nicht haltbaren Verkürzungen und Verallgemeinerungen an dieser Stelle verzeihen, doch dienen sie in diesem Text dem Hinweis auf ein Dilemma, das mich mehr und mehr quält, und das sich dieses Jahr für mich in einer vorläufig finalen Form manifestiert hat. Warum soll ich über diese auf den ersten, allgemeinen Blick als „aktuell“ geltenden Filme schreiben? Und daraus folgend und noch viel wichtiger: Was sind denn eigentlich für mich „aktuelle“ Filme? Ich neige zur Zeit in dieser Hinsicht vermutlich mehr zu den gerade beschriebenen sozialen Erlebniswelten des Alltags, als zur wirtschaftlich orientierten Meinung des Produkttesters, und sehe mich folglich in meinem Selbstverständnis als Autor nicht so sehr als Dienstleister meiner Leser (was auch immer das im Einzelnen bedeuten mag), sondern mehr als jemand, der aus einem inneren Bedürfnis heraus von seinen Filmerlebnissen erzählt, und durch die indirekte Kommunikation über das Internet von seinen (imaginären) Lesern einfach grundlegend erwartet, dass sie das eventuell interessieren könnte. Ich bin also bildlich gesprochen vermutlich mehr derjenige, der in der Kneipe aus einer Laune heraus ein Gespräch mit seinem Tischnachbarn anfängt, als der Handelsvertreter der an der Haustür klingelt. Verhältnisse von Angebot und Nachfrage interessieren mich also in erster Linie nicht. Und meine (gegenwärtige) Erlebniswelt sieht in den letzten Jahren mehr und mehr folgendermaßen aus: von den 500 bis 600 Filmen die ich jährlich sehe, zählen meistens lediglich 100 Stück zu diesen sogenannten „neuen“ oder „aktuellen“ Filmen. Das ist immer noch eine stattliche Anzahl, und ein nicht zu unterschätzender und sicherlich dominanter Anteil, geht man vom durchschnittlichen Auftauchen bestimmter Produktionsjahre seit Anbeginn der Kinematographie innerhalb dieser Menge aus. Daher kann ich auch definitiv immer noch davon sprechen, dass ich 2011 zum Beispiel mehr Filme aus den Jahren 2010 und 2011 gesehen habe, als aus jedem anderen Jahrgang der Filmgeschichte, und daher theoretisch auch mehr zu diesem Bereich beuzusteuern und zu berichten hätte. Aber vieles davon hat eben auch mit Gewohnheiten zu tun, und mit der tatsache, dass viele Festivals in meiner näheren Umgebung die ich immer noch gerne und regelmäßig besuche, in der Mehrheit oder teilweise ausschließlich jüngere Filme im Programm haben. Betrachte ich jedoch unabhängig von Festivalzusammenstellungen meine Auswahl von Filmsichtungen, engt sich das Feld jüngerer und jüngster Produktionen aber noch einmal beträchtlich ein. Nichtsdestotrotz, gibt es persönliche Schwerpunkte natürlich auch mit Hinblick auf andere Bereiche zu verzeichnen – so habe ich letztes jahr auch weit mehr US-amerikanische und deutsche Produktionen gesehen, als beispielsweise indonesische oder thailändische. Dieses Phänomen (sowie alle anderen) hängt natürlich auch zu einem nicht zu unterschätzenden Teil mit dem Angebot, also der gegenwärtigen Verfügbarkeit zusammen. Ich begegne hierzulande beispielsweise zwangsläufig vielen Informationen zu deutschen Filmen, und entwickle dadurch auch ein intensiveres Interesse an einer Begegnung mit ihnen, als wenn ich mich über längere Zeit in einem anderen Land der Welt aufhalten würde. Doch spielt in den meisten anderen Bereichen immer noch ein aktives Interesse meinerseits bei der Wahl der Schwerpunkte eine Rolle. Ich muss gestehen, dass es sich mit der jüngeren Filmgeschichte inzwischen zunehmend anders verhält.
Ich begegne zwar immer noch in großer Anzahl Informationen zu „aktuellen“ und „neuen“ Filmen (sei es in Filmzeitschriften, Kinos oder auf Filmwebsites), und sehe mir wie gesagt auch weiterhin eine große Anzahl dieser Filme an. Doch kann ich nicht behaupten, dass mich gegenwärtig ein Film aus dem Produktionsjahr 2010 mehr interessieren würde, als ein Film des Jahres 1910. Wenn ich ehrlich bin, ist genau das Gegenteil der Fall. Mein Interesse an einem Film steigt proportional zu seinem Alter, und es geht sogar soweit, dass der „Inhalt“, die „Handlung“ oder das „Thema“ eines alten Films als Auswahlkriterien seiner Sichtung keine ausschlaggebende Rolle mehr spielen müssen. Für einen Film aus dem Jahr 1910 genügt es meist, dass er aus dem Jahr 1910 stammt, um mein Interesse zu wecken; etwas was ich über einen 2010 entstandenen Film in dieser Form überhaupt nicht mehr sagen kann. Auch andere eindeutige Veränderungen kann ich inzwischen an mir beobachten. Beispielsweise würde ich mir vermutlich beinahe jeden beliebigen US-amerikanischen Film der 30er ansehen, während ich um die meisten Filme der USA des letzten Jahrzehnts einen weiten Bogen machen würde. Instinktiv und grundsätzlich. Über die vielfältigen Gründe dieser Entwicklung (denn es war beileibe nicht immer so) möchte ich an dieser Stelle keine Worte verlieren. Es geht mir nämlich nicht um eine Aufwertung der Vergangenheit im Bezug auf die Gegenwart, um keine Apologie eines Nostalgikers oder die Rechtfertigung der durchaus angreifbaren Aussage, dass früher alles besser war. Vielmehr geht es mir um eine Gleichberechtigung und Gleichbetrachtung der Dinge, die über ein bloßes Nebeneinander von „Neuem“ und „Altem“ weit hinausweist.
Ich empfinde nämlich zunehmend alle Filme die ich mir zu einem bestimmten Zeitpunkt ansehe als neu oder aktuell, als gegenwärtig für mich relevant, und meiner Aufmerksamkeit bedürfend. Ansonsten würde ich sie mir auch kaum ansehen. Mein Interesse am Film ist eben primär kein wirtschaftliches, kein archäologisches und auch kein eingeschränktes. Film interessiert mich erst einmal als Film. In seiner spezifischen Materialität, genauso wie in seinem kulturellen Kontext, und nicht weniger in seinem individuellen künstlerischen Ausdruck. Das ist jetzt keine Aufzählung, sondern nur eine Illustration meiner Interessen am Film, die weniger damit zu tun haben, aus welchem Jahr ein Film stammt, als mit der Tatsache, dass ich mich gerade (und zumindest in der Zeit der Sichtung, des Ansehens, der zeitlich begrenzten Wahrnehmung einer Vorführung) mit einem Film auseinandersetze. Ein Film ist mir also wichtig, weil ich ihn gerade sehe oder über ihn nachdenke. Und der Großteil dieser Filme sind sogenannte „alte“ Filme. Und das heißt eben nicht, dass alte Filme deshalb interessanter oder relevanter wären, weil sie aus einer anderen Zeit stammen, sondern es verweist lediglich auf die unbestreitbare Tatsache, dass das aktuelle Jahr (und auch alle kommenden) nur eines unter vielen sind. Rein von der Quantität überwiegen ältere Filme neu entstehende Produktionen um solch ein Vielfaches, dass es geradezu idiotisch scheinen müsste, vom „aktuellen Filmgeschehen“ als mehr als etwas Marginalem zu berichten. Eine Gleichberechtigung des Neuen mit dem Alten zu fordern, ist in dieser Hinsicht nicht weniger idiotisch und kurzsichtig, da es kein allgemeines zusammenzufassendes „altes“ gibt. Es gibt im Grunde keinen neuen und keinen alten Film, nur gerade neu entstehende, und bereits bestehende. Die immer in irgendeinem Jahr entstanden sind, das für sich genommen auch nicht wichtiger oder unwichtiger als jedes andere Jahr ist. Filme aus dem Jahr 2011 haben daher die absolut gleiche Relevanz, wie Filme aus dem jahr 1958, 1962, 1924 oder 1891. Und wenn ich mich mit Filmen und der Filmgeschichte an sich befassen will, spielen Produktions- oder Aufführungsjahrgänge (von denen der aktuelle eben auch nur ein beliebiger unter vielen ist) an sich eine untergeordnete Rolle.
Um aber noch einmal zum leidigen und an sich wie gesagt völlig fehlbezeichneten Thema der „alten“ Filme zu kommen: Für mich sind sie eben gar nicht alt, gar nicht vergangen. Ein Film wird immer zum Zeitpunkt seiner Aufführung wahrgenommen, und auch wenn alt tendenziell etwas sein könnte, das ich bereits kenne, so ist jedes Wiedersehen mit einem Film, den man glaubt bereits zu kennen, ebenso wie jede Begegnung mit der Welt und den Menschen, immer wieder etwas neues, das es im Moment der Entstehung zu begreifen gilt. Das gilt auch unabhängig der Tatsache, dass ich die meisten Filme, die ich mir regelmäßig ansehe, meist vor diesem Zeitpunkt noch gar nie gesehen habe. Jeder Film ist daher so frisch und neu und aufregend, wie es ein Film eben nur sein kann. Und wenn ich mich gezwungen sehe über meine Erlebnisse des vergangenen Jahres zu berichten, erscheint es mir unverständlich, einen eigenen Bereich, einen eigenen Artikel oder eine eigene Aufmerksamkeit auf das fälschlicherweise so benannte „aktuelle“ Filmgeschehen zu werfen, und so zu tun, als ob ältere Filme in meinem Erfahrungsbereich nur eine marginale oder untergeordnete Rolle gespielt hätten, ja gar implizit zu behaupten, dass es für mich eine konzeptionelle Trennung (in welcher Form auch immer) zwischen einem wie auch immer gearteten „neuen“ und „alten“ Film gibt. Den genau diesen Unterschied, dieses Phantasma, gibt es eben ganz und gar nicht! Und es geht mir zunehmend auf die Nerven, mir neu entstandene Filme unter anderem aus dem Grund ansehen zu müssen, dass sie neu entstanden sind, nur um das Gefühl zu haben (oder weiterhin haben zu können) „den Überblick über das aktuelle Geschehen zu behalten“, „auf der Höhe der Zeit zu sein“, oder „mit anderen Filmfans über gerade interessante Ereignisse oder Entwicklungen sprechen zu können“. Diese mehr als diffusen Phrasen sagen ja im Grunde gar nichts aus. Und wieso sollte ich mehrheitlich ein größeres Bedürfnis verspüren, mich mit einem Cinephilen über den letztjährigen Cannes-Wettbewerb zu unterhalten, als über die chinesische Filmproduktion der 60er Jahre?
Wie gesagt: wenn ich ehrlich bin, interessiert mich die Filmgeschichte als Ganzes, jahresübergreifend, länderübergreifend und auch sonst in all ihren Facetten. Natürlich hat jeder eigene Schwerpunkte, und bestimmte Interessen die sich stärker bemerkbar machen als andere. Aber ich besitze nun mal nicht mehr die Vorstellung mich vorrangig oder auch nur betont mit so etwas diffusem wie dem „aktuellen Filmschaffen“ auseinandersetzen zu müssen, und es stört mich auch relativ wenig, dass ich nicht alle vier- bis fünfhundert 2011 in Deutschland neu im Kino angelaufenen Filme gesehen habe. Viel mehr stört mich da schon, dass ich keine Ahnung habe, was für Filme 2011 in Indien oder Pakistan gedreht worden sind. Was wiederum im Umkehrschluss aber noch nicht heißt, dass ich automatisch ein Interesse daran hätte, einen Großteil dieser Filme auch (sofort) zu sehen. Man sollte wohl unterscheiden zwischen dem Interesse an Information über etwas Spezifisches, und dem Interesses an diesem Spezifischen an sich. Und Filme schauen ist für mich keine Informationsbefriedigung. Ich schaue mir Filme in erster Linie deshalb an, weil sie mich im Moment der Sichtung als Filme, durchaus mit all ihre historischen und kulturellen Implikationen, aber eben als einzelne Werke an sich interessieren. So einfach ist das.
Das sind jetzt, wie bereits erwähnt, an dieser Stelle natürlich alles Verallgemeinerungen und es gibt Momente und Situationen in denen sich die Dinge anders verhalten. Aber im Großen und Ganzen, kann ich von einem ehrlichen Jahresrückblick nur im Hinblick auf mein letztes Listenposting sprechen. Die vorliegende Aufgabe erscheint mir in diesem Kontext daher eher als eine lästige Pflichtübung, die ich in Zukunft nach Möglichkeit gerne weitestgehend vermeiden würde. Zumindest dann, wenn ich in einem Jahr nicht zu 90% Filme der letzten zwei Produktionsjahrgänge gesehen habe. Denn an sich gibt es an einer Auseinandersetzung mit einem bestimmten Filmjahrgang ja wie gesagt rein gar nichts auszusetzen. Nur warum es ständig und immer wieder der aktuelle sein muss, das leuchtet mir nicht ein. Filme die 2011 entstanden sind waren sicherlich genauso vielfältig interessant wie Filme jedes beliebigen anderen Jahrgangs und werden das auch in hundert Jahren noch bleiben. Doch glaube ich fest daran, dass die Zukunft nicht zeigen wird, dass alles davor entstandene nicht die Brisanz und Relevanz jedes für uns dennoch immer wieder so aufregend neuartig erscheinenden „akutuellen“ Jahrgangs hatte – auch nicht im Jahre 2011.
In diesem Sinne, und in Erwartung der Tatsache nächstes Jahr vielleicht endlich alle gesehenen Filme in einem Beitrag abhandeln zu können, und nicht mehr an solch einem exklusiven Unterfangen wie dem jetzigen teilnehmen zu wollen, hier nun dennoch und trotzdem meine Liste und Einordnung der „neuen“ Filme die mir 2011 begegnet sind. Auflistungen, so man sie denn genauer überdenkt, können ja trotz aller spielerischen Aspekte eine Komplexität und Deutungsvielfalt annehmen, die anderen Einordnungsversuchen in nichts nachstehen. Deshalb wäre zur Erläuterung meiner Liste (falls man an einem Verständnis der spezifischen Zusammensetzung interessiert ist) noch folgendes zu sagen: Meine Top 10 beinhaltet inzwischen schon traditionsgemäß grundsätzlich Filme, die ich vermutlich in jedem Jahr und zu jeder Zeit auf eine Top 10 setzen würde. Daher kann sie auch beliebig viele Filme enthalten (meine Top 10 also immer auch aus 24, 42, oder 87 Filmen bestehen könnte), die ich ganz allgemein als Favoriten, oder Lieblingsfilme bezeichnen würde. Ein paar weitere sehenswerte Filme finden diesmal nach der Top 10 Erwähnung, darunter Filme, die nach einer weiteren Sichtung unter Umständen das Potential hätten sich zu meinen Favoriten zu gesellen, aber auch allgemein Filme, die mich aus diversen Gründen zumindest in großen Teilen zu fesseln verstanden. Die in diesem gestaffelten Kontext unaufgelistet bleibenden Filme sind aber nicht einfach „der Rest“, also ein übriggebliebener der Erwähnung nicht würdiger Haufen, sondern reichen von ärgerlich (The Tree of Life, Harry Potter and the Deathly Hallows: Part 2, „Underwater Love“), über durchschnittlich (bspw. “Die Nacht der Wölfe” oder “The Colors of the Mountain”) bis zu teilweise wirklich interessanten Arbeiten, die mich aber im Endeffekt nicht zur Gänze überzeugen konnten, sei es aus stilistischen, inhaltlichen oder sonstigen Gründen. Ein sprechendes Beispiel für einen einzigen Teilaspekt der für mich dennoch den ganzen Film abgewertet hat, wäre beispielsweise das Ende des ansonsten außerordentlichen Oral History von Volko Kamensky. Ohne seinen Schlusstwist (der eben leider noch Teil des Films ist) wäre der Film sicherlich mühelos auf meiner Top 10 gelandet. So, muss er sich eben nur mit einer „lobenden Erwähnung“ zufrieden geben. Andere Zuschauer haben die Auflösung am Ende sicher anders bewertet oder auch komplett anders wahrgenommen, und für manche mag es gar einer der ausschlaggebenden Gründe für eine positive Erwähnung sein. Eindrücke sind natürlich immer etwas flüchtiges, haben mit der Situation während dem Seherlebnis zu tun, können sich aber statt sich zu verflüchtigen auch verfestigen. Aber so sieht es nun mal gerade bei mir aus, es handelt sich also um eine Momentaufnahme des Erstellungszeitpunkts. Und um es nocheinmal zu betonen: Meine Top 10 bestehen daher nicht aus den 10 besten Filmen die ich in diesem Jahr gesehen habe (wie auch immer man „beste“ jeweils definieren möchte), gleichgültig der Tatsache ob ich alle diese 10 Filme überhaupt genossen hätte. Daher empfinde ich es auch als zwingend notwendig, eine Gesamtauflistung aller neueren Filme anzubieten, die bei solch einer Zusammenstellung von mir berücksichtigt worden sind. Denn eine Liste von 10 Filmen von einer Person, die überhaupt nur 10 Filme gesehen hat, ist für mich gänzlich anders zu lesen als die äußerlich gleich aussehende Liste einer Person, die jedoch zum Beispiel 500 Filme gesehen hat. Auch wenn man Listen rein als Empfehlungen wahrnimmt (was ich im Grunde auch tue), möchte ich dennoch immer auch gerne wissen, aus welchem Pool von potentiellen Empfehlungen der jeweilige Listenersteller geschöpft hat. Denn ich bin mir sicher, dass wir als Listenleser auch automatisch immer darauf reagieren, wenn ein bestimmter Film nicht auf einer Liste auftaucht. Und daraus ziehen wir gewollt oder ungewollt auch regelmäßig unsere Schlußfolgerungen. Wenn man sich über längere Zeit mit dem Sinn und Unsinn von wertenden Auflistungen eigentlich unkategorisierbarer, unvergleichbarer und nicht objektiv messbarer, scheinbar materieller, aber im Grunde ebenso ideeller Objekte beschäftigt, kommt man zu so mancher weiteren „Erkenntnis“, die ich dem Leser dieses Textes jedoch im weiteren ersparen will.
Ansonsten gäbe es noch anzumerken, dass ich letztes Jahr keinen jüngeren Film gesehen habe, der mir zur Gänze missfallen hätte, und ich eigentlich im Filmjargon sagen muss: keinen einzigen schlechten Film gesehen. Das erstaunt mich selbst am Meisten, und stellt für mich vermutlich ein Novum dar, geht aber passend mit dem Motto dieses Beitrags zusammen: Sehen heißt auch immer wieder hinsehen, und nicht nur danach zu suchen, was man vielleicht gerne sehen würde, sondern aus dem was man zu erkennen glaubt etwas mitzunehmen, das die Möglichkeit einer Bereicherung darstellt.
Im Einzelnen möchte ich aber nicht mehr viele Worte über die nun kommenden und auf unterschiedliche Art gelisteten Filme verlieren. Den ersten Platz 2011 hält (für mich wiederum wenig verwunderlich) ein neuerer Film von Dominik Graf, zu dem auf Eskalierende Träume bereits Christoph einige enthusiastische Zeilen gedichtet hat, die ich so auch gerne unterschreibe. Vielleicht folgt in Zukunft auch noch ein eigener Beitrag für die „deutsche Reihe“. In dieser Hinsicht bemerkenswert ist wahrscheinlich, dass fast die Hälfte aller von mir 2011 gesehenen „neuen“ Filme in Teilen deutsche Produktionen sind. Daraus erklärt sich dann auch die Häufigkeit und Dominanz deutscher (Ko-)Produktionen bei meinen Auflistungen. Sion Sono hat mich vor einiger Zeit mit „Love Exposure“ begeistert, der für ihn wohl eine Art Befreiungsschlag darstellen musste, da er sich meiner Auffassung nach mit „Cold Fish“ in einer klassizistischen, beinahe kubrickesken Phase befindet, die einen formal vollendeten Filmemacher präsentiert, der sich in Zukunft möglicherweise anderen Themen zuwenden sollte, falls er nicht Gefahr laufen will, sich bald nur noch selbst zu zitieren. Vielleicht reicht sein Talent aber auch aus, um diese Gefahr auf andere Weise zu umgehen, und Sono wird sich wie Ford, Miike, Bergman oder Ozu bis zum Ende seiner Karriere weiterhin relativ gleichbleibender Konzepte bedienen. Wie auch immer freue ich mich im Moment auf jeden weiteren seiner Filme. American Translation war hingegen eine Empfehlung und eine Entdeckung die ich Andreas zu verdanken hatte. Hier der für mich immer noch sehr ansprechende Trailer. Eine Entdeckung völlig anderer Art waren die halböffentliche Vorführung einer Handvoll von Filmen von Klaus Schneider, alle von ihm gedreht, montiert, konzipiert und auch vorgeführt: Im Kino auf der großen Leinwand in Vollbild, von farblich bezauberndem stummem Super8-Filmmaterial, mit ebenso kongenial erstellter oder ausgewählter akkustischer Begleitung. Ein Beweis dafür, dass manche genialen Filmemacher nicht mehr als einer Kamera und ihrer eigenen Kreativität bedürfen, die auch ohne finanzielle Mittel grenzenlos erscheinen kann. Der avantgardistische Geist aller do-it-yourself-Pioniere zeigt sich in so einem überraschenden Moment in vollem Glanz, und ich erinnere mich inzwischen nur noch an mein ungläubiges Staunen im Kinosessel, einem künstlerischen Werk zu begegnen, dass unmittelbar auf ein instiktives Talent in der Übersetzung der eigenen Ideenwelt in filmisches Denken schließen lässt. Zuletzt war ich von einem vergleichbar von jeglichen Zwängen ungebundenen cineastischen Geist so beeindruckt beim Entdecken dreier Filme Danny Williams‘ auf der Berlinale 2007, die danach zwar auch auf der Viennale gelaufen sind, von denen ich aber seither leider nichts mehr gehört oder gelesen habe. Zu Schneiders Der Mond wird es daher von mir in demnächst vermutlich ebenfalls einen Text für die „deutsche Reihe“ geben. Aber nun endlich ohne weitere Umschweife: Auf zur Liste!
Top 10
1. Cassandras Warnung
Dominik Graf Deutschland 2011
2. Tsumetai nettaigyo “Cold Fish”
Sion Sono Japan 2010
3. American Translation
Pascal Arnold, Jean-Marc Barr Frankreich 2011
4. Hwanghae “The Yellow Sea” [140 min. Fassung]
Hong-jin Na Südkorea 2010
5. Der Mond
Klaus Schneider Deutschland 2010
6. Whores’ Glory
Michael Glawogger Österreich, Deutschland 2011
Runners-up (in alphabetischer Reihenfolge):
1000 Gramm
Tom Bewilogua Deutschland 2010
Bas-fonds “Gregs”
Isild Le Besco Frankreich 2009
Congo in Four Acts
Dieudo Hamadi, Kiripi Katembo Siku, Divita Wa Lusala, Patrick Ken Kalala
Demokratische Republik Kongo, Südafrika 2010
Das rote Zimmer
Rudolf Thome Deutschland 2010
Die Besen
Klaus Schneider Deutschland 2010
El Mocito “The Young Butler”
Marcela Said, Jean de Certeau Chile 2010
Führung
René Frölke Deutschland 2010
I Know Where I’m Going
Ben Rivers GB 2009
Machtentfaltung
Klaus Schneider Deutschland 2009
Nûdo no yoru: Ai wa oshiminaku ubau “A Night in Nude: Salvation”
Takashi Ishii Japan 2010
Oral History
Volko Kamensky Deutschland 2009
Portraits deutscher Alkoholiker
Carolin Schmitz Deutschland 2009
Slow Torture Puke Chamber
Lucifer Valentine Kanada 2010
Unter dir die Stadt
Christoph Hochhäusler Deutschland, Frankreich 2010
Vapor Trail (Clark)
John Gianvito USA 2010
Abschließend möchte ich einen letzten magischen Kinomoment 2011 nicht unerwähnt lassen. In Paula Markovitchs El premio hat mich das Zusammenspiel der Kinderdarsteller, allen voran der Protagonistin Ceci und ihrer besten Freundin, derart umgehauen, dass sich mir in der anschließenden Erläuterung Markovitchs bezüglich ihrer Regiemethode ganz neue Perspektiven für die Zusammenarbeit mit jungen und unerfahrenen Darstellern erschlossen. Eine derartig brillante Gruppendynamik unter Laien habe ich in einem Spielfilm bisher wohl noch nie gesehen, obwohl es mit Hirokazu Koreedas „Nobody Knows“ (2004) oder Carlos Reygadas‘ „Battle in Heaven“ (2005) in den letzten Jahren in dieser Hinsicht vergleichbare Ansätze gegeben hat. Definitiv ein Film, den man sich schon allein wegen der Schauspieler ansehen muss, um sich mal wieder mit eigenen Augen davon zu überzeugen, welchen Wert bewusst gelenktes „dokumentarisches“ Material für einen fiktiven Rahmen erhalten kann. Schade, dass man der Hauptdarstellerin Paula Galinelli Hertzog bei der letztjährigen Berlinale nicht den Darstellerpreis zugesprochen hat und ihre atemberaubende Darstellung bei der Preisverleihung gänzlich leer ausging, denn dafür scheint zumindest eine Auszeichnung wie der Silberne Bär für eine herausragende künstlerische Leistung wie geschaffen zu sein. Für mich war diese Leistung auch gegenüber allen gelisteten Filmen wahrscheinlich nicht nur der schauspielerische, sondern sogar der künstlerische Höhepunkt 2011.
Frauke
Solche Listen sind irgendwie schon eine komische Sache. Ich habe deshalb darum gebeten, dass meine Liste trotz alphabetischer Sortierung der Autorennamen erst als letzte dran kommt. Mir fällt so eine Aufstellung nämlich schwer, muss ich sagen. Vor allem wenn ich dann diese ganzen unbekannten, exotischen Titel auf den anderen, endlos langen Listen sehe! Interessiert das wirklich jemanden und wer außer unseren Nerds hier guckt sich sowas an? (sorry, auch wenn wir befreundet sind, muss ich das mal sagen, Jungs). Denn ich finde auch, dass Filme nur dann eine Bedeutung haben, wenn sie von vielen Menschen gesehen werden und alle darüber sprechen können. Bevor ich einen Film ansehe, warte ich eigentlich erst einmal die Besucherzahlen der ersten oder zweiten Woche ab oder sehe mich mal auf facebook oder studivz um. Außerdem ist natürlich ganz wichtig, ob in meinem Bekanntenkreis sich abseits der Filmnerds auch wirklich Leute für den Film interessieren (außer natürlich, es spielt einer meiner Lieblingsschauspieler mit!). Mir nützt es doch nichts, komische Kunstfilme anzusehen, wenn ich mich dabei nur langweile und dann nicht mal mit meinen Freundinnen darüber sprechen kann. Was bringt das?! Deshalb guck ich mir lieber nur ausgewählte Sachen an, von denen ich dann auch wirklich was habe oder zumindest weiß, dass ich hinterher mit anderen darüber lästern kann, wenn mich doch mal ein Film gelangweilt oder genervt hat. Man braucht ja auch noch Zeit fürs real life und wenn man sich soviele seltsame Filme ansieht, frage ich mich manchmal schon, ob das nicht so eine Ego-Tour ist.
Deshalb beschränke ich mich hier auf ein paar wenige Filme, bei denen ihr dafür aber auch sicher sein könnt, dass sie auch wirklich toll sind und nicht nur ein paar Freaks irgendwas hinein interpretiert haben. Und ich versuche auch, nicht nur nach meinem eigenen Geschmack zu gehen, sondern eine streng objektive Wahl zu treffen denn darauf kommt es schließlich an! Aber ich will euch nicht mit meiner Plauderei nerven, kommen wir also zur Sache – den besten Filmen des Jahres 2011:
The King’s Speech (10/10)
Ich hab mich bei der Berlinale schon morgens um 4 Uhr mit Schlafsack vor den Kassen positioniert, um auf jeden Fall eine Karte für die Premiere zu kriegen! Sogar um die Zeit hatte sich schon eine kleine Schlange vor der Kasse gebildet, aber ich hatte dann doch Glück und hab die gewünschten Karten gekriegt. Und was soll ich sagen, es hat sich mehr als gelohnt, alle meine Erwartungen wurden noch übertroffen! Endlich mal wieder ein Film, der große Schauspiel-Leistungen und eine packende Geschichte verbindet und dabei auch noch anrührt! Ich hatte echt Tränen in den Augen bei ein paar Momenten, so intensiv wird es da, obwohl es „nur“ um eine Ansprache geht, aber man kann eben trotzdem richtig mitfühlen, welche Ängste und Sorgen der König da ausgestanden hat! Aber ich will keinen falschen Eindruck vermitteln, der Film hat auch viele total lustige und originelle Szenen, es kommen also im Endeffekt alle auf ihre Kosten! Endlich mal ein Film, der den Oscar wirklich verdient hat!
The Tree of Life (9/10)
Endlich mal wieder so ein richtiger Film über das wichtigste auf der Welt: Die Familie. Denn seien wir mal ehrlich, ohne unsere Eltern gäbe es uns ja alle gar nicht. Das da vorher natürlich noch viel passiert ist und auch Gott im Spiel war, zeigt uns dieser Film in wahnsinnig tollen Bildern und mit viel klassischer Musik. Und ich sage nur: diese putzigen Dinos! Tiere sind eben auch nur Menschen, und in Gottes Schöpfung hat alles seinen Platz. Aber nochmal zurück zur Familie. Ist schon alles ziemlich toll und gleichzeitig auch ein bisschen traurig, wie da die Familie durch äußere Umstände gezwungen ist ihre Krisen zu überwinden, und dann sogar aus ihrem schönen Haus wegziehen muss. Wie im richtigen Leben, und es geht auch mal alles schnell und ist so verwirrend wie man das ja selber auch kennt: Im Leben passiert ja immer so viel, kaum kommt das eine, schon kommt das nächste. Da kann man ja gar nicht genug davon kriegen! Und im Gegensatz zu seinem letzten Hollywoodfilm mit den indianern ist das diesmal auch nicht so langatmig, sondern richtig schnell und knackig. Als der Bruder gestorben ist, musste ich übrigens total weinen, aber zum Glück sehen sich am Schluss alle wieder. Und so eine liebe Mutter wie im Film hatte ich zum Glück ja auch. Danke Mama! Schade nur, dass Sean Penn nicht so viel zu tun hat, und leider wenig spricht. An seinem gequälten Gesichtsausdruck kann man aber immer erkennen wie wichtig ihm das alles ist. Insgesamt zwar nicht ganz so mitreißend wie King’s Speech, aber trotzdem genauso ehrlich.
Hell (9/10)
Zum Glück habe ich mit ein paar Freunden diesen Film noch in der letzten Woche erwischt, in der er hier im Kino lief. Ich dachte mir: na ja, so ein deutscher Horrorfilm, ob der was taugt? Ich war aber total überrascht, der Film ist richtig gut! Die tolle düstere Atmosphäre bekommen einheimische Produktionen ja fast nie so hin, aber hier hat der junge Regisseur Tim Fehlbaum mal wirklich was von den Amerikanern gelernt. Die Bilder sind richtig stylisch und sorgen für eine echt beklemmende Stimmung, die einen nicht mehr loslässt. Alles ist sehr abwechslungsreich gemacht, ständig passiert etwas und es kommt nie Langweile auf. Die Schauspieler spielen zwar manchmal ein bisschen unrealistisch und übertrieben, das ist eben so bei deutschen Filmen, aber wenigstens traut sich der Film auch was, das sich andere nicht trauen! Das Finale auf dem Bauernhof war mir aber zu krass, fast so heftig wie Michael Bay´s Texas Chainsaw Massacre, ein paar Mal hätte ich mir fast die Augen zugehalten. Nur die Szene, in der Hanna Herzsprung flieht war null glaubwürdig, das hat mich ein bisschen aufgeregt. Ist doch total unlogisch, dass sie dem Typen nur einmal auf den Kopf haut und dann aus dem Fenster steigt, ohne nochmal nachzugucken, oder? Sonst hat mir aber alles gefallen und ich fand ich die Message von dem Film gut, dass wir mehr auf unsere Umwelt achten müssen, damit sowas Schlimmes nicht wirklich passiert. Fazit: Endlich mal ein empfehlenswerter deutscher Horrorfilm, der sich nicht hinter Klassikern wie 28 Days Later oder Dawn of the Dead zu verstecken braucht!
In der Welt habt ihr Angst (9/10)
Warmherzig, dramatisch, voller Emotion und Überraschung! Ich fand das total schön, wie der ältere Mann dann im Laufe des Films immer mehr Verständnis für das verzweifelte junge Paar aufbringt und dann sogar lernt, über seinen Schatten zu springen und ihnen zu helfen, obwohl sie ihn vorher heftig bedroht haben! Endlich mal ein guter deutscher Film, bei dem ganzen Müll, der heutzutage aus unserem Heimatland kommt. Obwohl ich mir ja die Filme mit Til Schweiger auch gerne ansehe, aber ich meine jetzt auch eher diese abgehobenen Kunstfilme und dieses ganze Zeug, das kein Mensch versteht. Leider saßen vor mir im Kino ein paar Leute in meinem Alter, die sich dauernd über den Film lustig gemacht haben, das war echt ätzend. Was gibt es denn bitteschön zu lachen an einer so tragischen Geschichte um Kriminalität, Drogensucht und wahre Liebe? Manche Leute werden einfach nie erwachsen, total nervig. Deswegen gehe ich auch immer seltener ins Kino, zuhause auf DVD stört wenigstens keiner. Für den hier hat sichs aber gelohnt, alleine schon, weil er praktisch gleich bei mir vor der Haustür gedreht wurde!
Herzensbrecher (9/10)
Einfach der ideale Film für einen schönen Mädels-Abend mit anschließendem Cocktail und Plaudern. Kaum zu glauben, dass dieser Xavier Dolan in diesem Alter schon so ein Riesentalent hat! Jedes Bild ist absolut perfekt, der Film ist wunderschön anzuschauen und die Musik hab ich mir am nächsten Tag gleich auf CD bestellt. Die Story ist eigentlich gar nicht so interessant, aber der edle Look und die tollen schauspielerischen Leistungen machen einiges wett. Den Typen, um den sich die beiden Freunde im Film streiten, fand ich allerdings eher langweilig. Er ist ja schon ganz süß, aber sich wegen dem eine Freundschaft kaputt machen? Diese Streitigkeiten sind dafür aber sehr überzeugend dargestellt, ich hatte das Problem auch mal, als meine beste Freundin und ich in der 9. Klasse in den gleichen Typen verknallt waren. Wir haben dann auch so eine Art Styling-Wettkampf zwischen uns gehabt, ziemlich stressig. Aber Gottseidank wächst man ja über dieses kindische Alter irgendwann hinaus, daher fühlt sich der Film fast ein bisschen nostalgisch an. In den knuffigen Xavier Dolan könnte ich mich aber auch verlieben. Schade, manchmal glaube ich wirklich, dass was dran ist an dem Klischee, das immer die attraktivsten Kerle schwul sind. Komischerweise hat der Film Christoph trotzdem nicht so gefallen. Vielleicht waren ihm da einfach nicht genug eklige behaarte Männer dabei, er steht ja nicht so auf Bubis. *g* Auf jeden Fall ein total erfrischender, origineller und unverbrauchter Film mit unvergesslichen Bildern. Ein bisschen traurig ist er teilweise schon, aber das gehört eben zum träumen von Mr. Right dazu. Ach ja, die Outfits von Mona Chokri waren zum Heulen schön, wo kann man sowas nur kaufen?
Die schlechtesten Filme des Jahres, totaler Müll:
A Night in Nude: Salvation
So etwas abartiges und schlechtes hab ich ja noch nie gesehen! Zuerst sieht man ewig nichts als einen alten Knacker, so einen Privatdetektiv, der sinnlos in der Gegend rumläuft und eklige porno-mäßige Strip-Szenen. Am Ende läuft dann so eine durchgeknallte Frau eine halbe Stunde lang völlig nackt durch eine komische riesige Höhle und peitscht sich dabei auch noch selbst. Ich hab meinen Augen nicht getraut. Wer denkt sich sowas aus?!?! Und auch noch total voyeuristisch und frauenverachtend alles! Solche kranken Sachen können sich wohl auch nur die Japaner ausdenken… Ich hätte es ja wissen müssen und mich nicht von Christoph, Marian und Andreas dazu überreden lassen sollen, den Film mitzugucken. Ich musste mich ständig auf die englischen Untertiteln konzentrieren und dann haben die Jungs neben mir auch noch dauernd so komische Seufzer und Grunzgeräusche von sich gegeben!
Schlafkrankheit
Der Titel ist hier echt Programm, mehr muss man dazu gar nicht mehr sagen! Ich hab bei der Berlinale zufällig eine Karte für den Film geschenkt gekriegt, sonst hätte ich mir den bestimmt gar nicht angesehen. Aber ich bin dann bei der Hälfte zu meinem Glück eingenickt, kann also auch nicht viel dazu sagen, außer dass er total zum Einschlafen ist!
My Soul to Take
Da dachte ich mir, dass der Film bestimmt gut sein wird, weil er vom Regisseur von Scream ist, und dann so eine billige 08/15 Story um ein paar Teenager, die von einem Killer abgeschlachtet werden. Das ist doch so lahm! Die Macher haben das aber anscheinend selber auch gemerkt und versucht, den Film ein bisschen lustiger und abgefahrener zu machen, was aber in die Hose geht und einfach nur total lächerlich wirkt. Besonders an der Art und Weise, wie die Jugendlichen in dem Film reden, merkt man schon, dass der alte Regisseur gar keine Ahnung von der heutigen Zeit hat. Leider war auch das 3D sehr schwach und ich hab mich kein einziges Mal gegruselt. Schade um das Geld fürs Kino. Warum wird solcher hirnverbrannte Mist überhaupt gedreht?
Cassandras Warnung
Krimi am Sonntag Abend ist bei uns zuhause Pflicht und macht immer Spaß, aber sowas langweiliges und verwirrendes ist mir selten untergekommen. Der Ton war teilweise so schlecht, dass man nur die Hälfte vom Satz verstanden hat und dauernd so komische schnelle Schnitte und verwirrende Kamerabewegungen. Und dann wird auch noch ständig sinnlos gezoomt, wie in einem Urlaubsvideo! Die Handlung wird dabei total schlecht erklärt und keiner blickt mehr durch. Das ist doch alles künstlerische Onaniererei! Bei einem Krimi geht es doch um die Story und originelle Wendungen, das wurde hier total vernachlässigt und man kann irgendwann kaum noch was nachvollziehen! Außerdem waren die rassistischen Dialoge und die ganzen sexuellen Anspielungen das letzte! Hab mich vorher total auf diesen neuen München-Polizeiruf gefreut, aber das war echt gar nix, und für sowas zahl ich auch noch Fernsehgebühren?!
Brownian Movement
Wieder so ein Film, den mir die Jungs empfohlen haben. Wollen die mich ärgern?! Das war mit Abstand das sinnloseste und ödeste, was ich seit langem im Kino gesehen habe. Sandra Hüller ist schon eine tolle Schauspielerin, aber hier hat sie den ganzen Film über nur den gleichen Gesichtsausdruck. Die Protagonistin ist psychologisch überhaupt nicht nachvollziehbar und es wird nie erklärt, warum sie dauernd mit ganz fetten, behaarten oder verkrüppelten Männern ins Bett geht. Wer würde das freiwillig machen? Das glaubt doch kein Mensch?! Anscheinend ist sie geisteskrank, jedenfalls ist das meine eigene Interpretation. Bis man aber mal soweit ist, hat man sich zwei Stunden zu Tode gelangweilt und dann gibt es noch nichtmal ein richtiges Ende, der Film hört einfach mittendrin auf. Ehrlich Jungs, das nehme ich euch jetzt übel!
Ich glaube, mehr schlechte Filme hab ich zum Glück nicht gesehen, reicht ja aber auch!
Anmerkung zum Schluss:
Bei dieser seltsamen „Ekstase“-Liste (schon bei der Überschrift kriege ich Fremdscham!) kürzlich hab ich übrigens bewusst nicht mitgemacht, weil ich 2011 vermutlich nur zwei oder drei alte Filme gesehen habe. Und das auch nur durch Zufall. Natürlich gibt es schon ein paar gute alte Filme, z. B. Der Himmel über Berlin oder Little Buddha, aber meistens ist es doch überflüssig, sich Filme anzusehen, die älter als fünf oder zehn Jahre alt sind. Damit kann man sich doch überhaupt nicht mehr identifizieren, und die Bilder und die Mode sind total hässlich! Kino muss doch modern sein, sonst kann ich auch gleich in Omas Fotoalben blättern! Wer sich ständig diese alten Dinger anschaut, der wühlt wahrscheinlich auch gern in der Altpapiertonne und hat eine totale Messie-Wohnung! Sowas find ich echt total abtörnend, man muss doch auch der Gegenwart ins Auge blicken, und sich nicht nur in seine Nischen verkriechen. Jaja, ihr habt mich schon richtig verstanden!
@Andreas: House of Tolerance sozusagen dein „Lieblingsfilm 2011“, habe ich Ende des Jahres nachgeholt gehabt, aber bei mir ist nichts wirklich hängen geblieben, war jetzt auch nicht enttäuscht, aber halt auch nichts was mit Purzelbäume hätte schlagen lassen :-).
Ich bin ja froh, dass ich in diesem Jahr zum ersten Mal überhaupt, mein Filmkonsum einschränken konnte (sei die Filmfestivalbesuche, Kinobesuche und DVD-Sichtungen) war und ist immer noch irgendwie zuviel und versuche 2012 nochmals zu reduzieren, bin auch froh darüber, dass ich irgendwie 2011 den Punkt erreicht habe, nicht mehr unbedingt alles sehen zu wollen oder auch das Gefühl zu haben, dass man soviel verpaßt bzw. sein Filmhorizont zu erweitern, in dem man neuentdecktes direkt vertieft usw. 2011 kann man schon von einem fast entspannten Filmjahr reden 🙂
Was ich ausgesprochen amüsant (und interessant) finde, ist die (ich denke mal nicht intendierte) Komplementarität der Beiträge von Nübetzki, Hermann und Sano. Hier trifft die satirische Figur mit ihrer fiktiven Klage über den Tod des Kinos auf den Brustton der Überzeugung eines Listenkritikers, der aktuelles nicht von „vergangenem“ kino abkoppeln möchte (in einem bemerkenswert elaborierten Vortrag, der mich den halben Tag gekostet hat), damit also der überzogene Unernst des einen durch das leidenschaftliche Appell des anderen bestätigt wird. Für den Außenstehenden ermöglicht dies spannende impulsive Effekte.
[durch den leidenschaftlichen Appell]
Neben der erwartbaren, wie üblich in Granit gemeißelten ET-Orthodoxie diesmal auch herausragende Beiträge: Hermann und Frauke. Wobei letztere es zugegeben etwas schwer hat bei mir. In meiner Jugend hießen Mädchen reihenweise „Frauke“ und „Britta“ – das rollende „R“ läuft mir immer eiskalt über den Rücken beim ganzen Frrrauke und Brrrritta-Tum. Zugegeben: Unfair gegen Frauke. Aber…
…trotzdem nur zweiter Platz für Frauke. Denn die #1 geht ganz unangefochten an Sano.
Der unfassbarste Vortrag in der Geschichte von ET. Das lässt alle Monsterlisten weit hinter sich, alle rezeptionsreformatorischen Traktate des Hofbauer-Kommandos werden zu filmtheoretischen Lappalien. Man darf auch ältere Filme gerne schauen! Man muss nicht alles gesehen haben! Einfach so. Das ist Wasser auch meine Mühlen. Das hätte ich mich jetzt so einfach nicht getraut zu sagen. Sano, du musst jetzt kein schlechtes Gewissen haben, du kannst 2012 bei Sieben Berge anfangen 🙂
Ihr seid echt klasse. Alle 🙂
@Andi Du kommst mit deiner Top-14 dank der zwei Iraner meiner Klischeevorstellung vom überanspruchsvollen Arthouse-Junkie schon sehr nahe. 😉 Und gefühlt ist in dieser vorangigen Liste auch gar nichts mehr regulär in den deutschen Kinos 2011 gestartet, oder? Wäre ja auch mal ganz interessant, nachzuverfolgen, ob frühere absolute Lieblingsfilme von Top Ten-Listen überhaupt noch das Licht der Welt außerhalb des Festivalzirkus erblickt haben. Ich kenne immerhin drei deiner Lieblingsfilme, wovon ich zwei gelassen durchwinken kann („Hollywood Fling“, „The Innkeepers“) und mir der dritte so egal ist, dass er mich nicht einmal zu einer Spitze anregt. Was mich aber etwas verwundert, ist, dass das Hofbauer-Kommando das Filmprojekt „Hotel Desire“ total verschlafen hat; wie mich überhaupt die Kommandoliste mehr zum Ergänzen als zum Nachziehen anregt: „Mishen“, „Klovn“, „Hall Pass“, „Saint“, „Sleeping Beauty“, „Womb“, „Sennentuntschi“, „We Need to Talk About Kevin“, „Revenge: A Love Story“, „Code Blue“ & „Simon Werner a disparu“.
Das erste Stöbern hat Spaß gemacht!
@Rajko
Da ich die Zusammenstellung der Listen und die Reihenfolge nicht komplett verfolgt und mitinitiiert habe, könnte schon was dran sein, dass meine Liste halbwegs bewusst zwischen Herrn Nübetzki und Frauke platziert worden ist, jedoch kann ich darüber keine abschließenden Aussagen treffen. Da musst du schon Hermann oder Frauke selbst fragen – vielleicht wissen die mehr. 😉
Aber amüsante und interessante Denkanstöße sind bei uns ja immer willkommen, so impulsiv sie auch sein mögen. Von daher scheint alles richtig gelaufen zu sein, mit der Auflistung.
@Sieben Berge
Danke für die Einladung.Werde ich im Hinterkopf behalten. 😉
Der Text musste für mich einfach endlich mal sein, im ständig wahrgenommenen rumgehetze um die Kinoquoten, Verkaufscharts, das neueste Meisterwerk, den neuesten Schund, und den generellen Kinokampf sowie die in den Zeitschriften ausgfochtenen Überlebens- und Abgrenzungskämpfe an sich, etc. pp. Dinge in denen wir ja alle irgendwie drinstecken, und die wir oft gerne als (gegebene und unumgängliche) Gegenwart darstellen. Dass da ständig Millionen von Filmen rumschwirren, die keinen Kampf auszufechten haben, sondern die einfach nur daliegen, und die man sich ansehen kann oder nicht (die Leute, die das interessieren würde sind zum größten Teil ja schon tot, und es bleiben im Grunde nur noch gleichgesinnte spätergeborene Enthusiasten), gerne auch in Hülle und Fülle, das ist dann wiederum doch (wenigstens) wieder sehr ET-typisch, oder? 🙂
Habe nochmal ein paar kleinere Umstellungen bei meiner Liste vorgenommen (vor allem die „Überraschungen“-Kategorie erweitert, um damit die teils übervollen Quartalslisten etwas zu entlasten). Der ganze Formatierungsscheiß hat zuviel Zeit und Nerven gekostet, so dass für den letzten Feinschliff der Liste selbst erst jetzt Gelegenheit blieb.
@Spidy
Ja, HOUSE OF TOLERANCE ist bei den aktuellen Filmen zusammen (und hauchdünn hinter) OCA mein Lieblingsfilm 2011. Allein sein Umgang mit Zeit, Raum und Licht, aber auch mit diesem wunderbaren Darstellerensemble. Für mich ist der Film die beste Überbrückung bzw. Drüber-Hinweg-Tröstung dafür, dass man auf den neuen Film von Hou Hsiao-Hsien bereits viel zu lange warten muss – und das ist mit das höchste Lob, das ich mir vorstellen kann, aber Hou mag ja beileibe auch nicht jeder, insofern verwundert es mich nicht, dass auch Bonello in Cannes insgesamt eher lauwarm aufgenommen wurde. Obendrein haben mir die letzten Minuten förmlich das Herz rausgerissen und haben ihn damit auch zu einem der emotionalen Höhepunkte des Jahres gemacht.
Bei mir war’s 2011 eher umgekehrt, dass ich möglichst alles sehen wollte, was sich so angeboten hat. Die Sinnlosigkeit und Unmöglichkeit dieses Unterfangens liegt gleichzeitig aber natürlich auch auf der Hand, und am Ende hat man obendrein auch noch ziemlich Probleme, sich bei so einer Liste halbwegs zu beschränken, wenn man einfach zu viel tolles gesehen hat. 2012 wird es bei mir aber aus diversen Gründen wohl auch wieder deutlich weniger, jedes Jahr brauche ich so einen Exzess wie 2011 auch nicht. Wobei das gegenüber echten Vielsehern bei mir auch noch ziemlich moderat ist: über 250 aktuelle Langfilme und insgesamt (also „altes“ und „neues“) wohl zwischen 500 und 600 Langfilme, was erstmal viel klingt und für meine bisherigen Maßstäbe auch ist. Aber nachdem deutlich über 150 Filme allein innerhalb weniger Wochen auf die Festivals Berlin/München/Wien entfallen, pendelt es sich ansonsten bei einem Schnitt von einem bis anderthalb Filmen pro Tag ein (häufig schaue ich auch tagelang nichts und dann bei bestimmten Gelegenheiten halt mal gleich drei oder vier Filme), was im Cineasten-Vergleich normal bis moderat sein dürfte. Wieviele Filme waren es denn bei dir bisher etwa jährlich, wenn ich fragen darf? 😉
Hast du eigentlich SIBÉRIE von Joana Preiss gesehen? Da spielt ja quasi Bruno Dumont eine der beiden Hauptrollen und ist gleichzeitig einer der beiden Kameraleute, wenn man das bei einem Tagebuch-Doku-Essay mal so sagen will. Fand ich ziemlich toll, ist nur knapp an der Quartals-Top-10 vorbei geschrammt.
@Rajko
(ich denke mal nicht intendierte) Komplementarität
I doubt that! 😀
Aber natürlich super, wenn sich manche erhoffte Reibungen und „Kommunikationen“ zwischen den einzelnen Beiträgen tatsächlich einstellen. Dieses Sammelposting geht in der Vermischung und Grenzauflösung zwischen heiligem Ernst und irrwitziger (v.a. Selbst-)Vertrashung wohl nochmal etwas weiter als bisher. Gerade, wenn man so tief in einer cinephilen „Binnenperspektive“ drin steckt, wie wir das wohl zwangsläufig tun, schadet die ein oder andere (v.a. selbst-)ironische Kontrastierung sicherlich nicht.
@Schwanenmeister
Musste jetzt die Kurzfassung doch noch etwas aufstocken, weil der Schnitt bei der 14 etwas unglücklich gesetzt war, und prompt kommen einige mehr reguläre Starts hinein und überhaupt auch einige wichtige Facetten. Die beiden Iraner sind übrigens die Filme der Stunde über den Status Quo und die Möglichkeiten des Kinos. Panahi über den Künstler im Angesicht von existenzieller Bedrohung und Arbeitsverbot, aber nicht als Lamento, sondern als kluge, gewitzte, durchaus selbstironische, aber letztlich natürlich sehr bittere Reflexion. Naderis CUT wiederum hat mit dem Iran außer der Abstammung des Regisseurs nichts zu tun, sondern ist eigentlich ein durchweg japanischer Film des ansonsten vorwiegend in den USA arbeitenden Naderi. Dreiviertel der Laufzeit handeln einzig davon, wie sich der wegen seiner Filmleidenschaft verschuldete Protagonist gegen Geld Tag für Tag zu Brei schlagen lässt. Eher kein Film, den das Arthousepublikum deines aufgerufenen Klischees goutieren würde 😉 Was reguläre Kinostarts und Publikumszuspruch über einen Film aussagen (bzw. sagen sie natürlich eine Menge aus, aber was das mit der persönlichen Einschätzung und Platzierung zu tun haben sollte), hat mich schon immer eher gewundert. Mir geht es durchaus nicht darum, möglichst obskure Sachen aufzulisten, aber wenn man viel auf Festivals sieht, schlägt sich das natürlich automatisch auch in der Liste nieder. Dass ganze Segmente des Filmschaffens hierzulande kaum noch eine Chance haben, wahrgenommen zu werden, ist natürlich fraglos ein massives und betrübliches Problem. Deutschland ist in Sachen Kinokultur tatsächlich Entwicklungsland, wie es jemand mal so treffend ausdrückte. Sogar bei den österreichischen und schweizer Nachbarn sieht es in Sachen Vielfalt (bzw. kommt da wenigstens mal der ein oder andere ambitioniertere Festivalfilm auch regulär ins Kino) noch besser aus. Wenn man jetzt nur mal meine ersten 15 nimmt, liefen bisher tatsächlich nur drei regulär (einer Kino, einer DVD, einer TV), Bonello und Thunska sind aber zumindest für 2012 angekündigt. Letztes Jahr hatten zwei meiner Top-Ten-Filme regulären Kinostart (ein weiterer DVD), mittlerweile kamen aber auch Thome und Godard noch auf die Leinwand und Frantzis ist angekündigt. Zumindest ein bisschen was tut sich manchmal, auch wenn es oft arg dauert. Aber um die deutsche Kinolandschaft, in der fast jedes Wagnis meist abgestraft wird, ist auch wahrlich kein Verleiher zu beneiden. Übrigens hatten doch von deiner 2011er Top-15 bislang auch nur vier Filme reguläre Kinostarts, insofern sehe ich (auch wenn es wegen ihres Genre-Potenzials noch einige zumindest auf DVD schaffen werden) jetzt gar nicht soo den wahnsinnig großen Unterschied 🙂
Empfehle ansonsten gerade hinsichtlich verstärkter Genre-Präsenz meine 3. Quartalsliste und die Überraschungen-Liste. Was das HK angeht, ist das HOTEL DESIRE natürlich auf dem Schirm, aber erscheint ja offenbar erst 2012?! Und deine Ergänzungen bestätigen die Ergiebigkeit des Jahrgangs, aber alles kann man halt nicht berücksichtigen, zumal gerade du ja gerne nach einer Beschränkung bei den Listen rufst. Und sowas wie SENNENTUNTSCHI hat zwar ein paar einschlägige Momente, kann insgesamt in Sachen Sleaze und erst recht filmisch aber beispielsweise dem gloriosen japanischen Triumvirat (Ishii & zweimal Sono – hast du eigentlich einen davon gesehen?) nicht das Wasser reichen. Sonst wären dann auch Filme wie MEAT, BLACK FIELD oder MY LITTLE PRINCESS sicher noch Kandidaten gewesen, die es aber auch bereits nicht geschafft haben. Bei SLEEPING BEAUTY habe ich ähnlich wie bei STUDENT SERVICES und DEVIL’S DOUBLE noch dringend eine HK-Sichtung angeregt, die aber das auch (und erst recht) filmhistorisch stets vielbeschäftigte Kommando nicht mehr bewältigen konnte. Die vorliegende Auswahl finde ich trotzdem ziemlich erlesen, vor allem weil die meisten prämierten Filme auch über die Sleaze-Qualitäten hinaus ungeahnt viel zu bieten haben. Jedenfalls dahingehend und überhaupt ein ziemlich sagenhaftes Jahr.
@Sano: In „2*50ans de cinema français“ gibt es diesen Moment, wo Godard erzählt, dass Filme viel schneller altern, als es Kunstwerke anderer Gattung tun. Das niemand „Don Quichote“ ein altes Buch nennen würde, außer dieser jemand meint den Zustand des effektiv vorliegenden Buches. Unter div. Vorbehalten hat er damit Recht. Sein Schluß,das Kino sei sterblich, finde ich aber abstrus. Vielmehr deutet dieser Umstand eher darauf, dass das Kino noch jung (und populärer) ist, während es vielmehr Bücher als solche es sind, die als alt(modischer) wahrgenommen werden. Die Top Ten des aktuellen Jahres ist damit eher eine „Einarbeitung“ dieses Jahres in die noch junge Filmgeschichte. Eine Art „Verdauung“, Verarbeitung des Aktuellen. Ein Abschliessen der Gegenwart und vll. ist es ja eine Abschiebung in die Geschichte. Aber mit Geschichte ist es ja so, für die einen ist sie damit dahin und weg (verschwunden), für andere ein Teil der eigenen Identität, der gerade erst die Auseinandersetzung mit der Gegenwart und Zukunft möglich macht. Ich finde gerade aktuelle Jahreslisten spannend, weil sie für mich letzteres bewirken, dieses Jahr etwas greifbarer machen, aber auch auf die Welt hinter der Liste weisen, denn nie werde ich eine Liste so lesen, dass sie mir alles sagen könnte, sondern ich setze mich in Bezug dazu. Ach, ich will ja gar nicht besserwissen und dir sagen,w ie du Jahreslisten zu sehen hast. Dein Text ist wunderbar, spannend und wahr, dass ich vielleicht Angst habe in all den guten, schönen Argumenten unterzugehen. Und es mir schon heute eine Freude mich auf die nächstjährige Liste zu freuen, die alle Grenzen sprengen wird (:
wg. 1000Gram: mit dem komme ich bis heute nicht klar. Der ist so herablassend in seinem „Jeder muss seine eigene Meinung bilden“ Ansage, die aber im krassen Gegensatz zu dem geradezu anklägerischen (vor allem diesem „das Fernsehn ist schuld“) in seiner Bildsprache steht. Wenn ich drüber nachdenke, finde ich diese Form spannend,diese Anklage, die über sich hinaus greift und sich selbst anzweifelt. Aber wenn ich den Film tatsächlich sehe, missfällt mir das Denunzierende extrem. „Scissu“ hat ja auch diese Vergewaltigungsszene, die den ganzen Film so etwas ekliges gibt. … Ach, je mehr ich drüber schreibe, desto besser finde ich sie und Tom Bewilogua, dieses unangenehmen Widerling (:
@ET: durch den erneuten Auftritt von Frauke, kann ich nicht umhin an der Realität der Existenz der Autoren hier zu zweifeln. Wenn es sich nicht nur bei ein oder zwei um ausgedachte Figuren handelt. Was wenn dieser Blog von Frauke unter verschiedenen Synonymen geführt wird. Wenn die Satire nicht am Ende des Beitrags steht, sondern im Großteil (des Jahres). Mir platzt gleich der Schädel. (:
@Andreas:
Allein sein Umgang mit Zeit, Raum und Licht…
Ich glaube das entwickelt sich langsam zu Deiner Lieblingsstandardphrase (zuletzt meine ich das von Dir in Zusammenhang mit KINATAY gelesen zu haben, davor zu AITA etc.), aber finde ich nicht schlimm, da dies bei geläufigen Prätentionsfilmen i.d.R. auch meist zutrifft und von daher nie wirklich falsch sein kann. 😀 😀 😀
@Andreas: Im Schnitt habe ich fast jeden Tag ein Film im Kino gesehen, wenn ich mich nach meiner Zählung recht erinnere, habe ich 354 mal ein Kinoticket gelost (inklusive Filmfestivals), dann kommen noch ca. 400 DVD-Sichtungen (alt und neue Filme), ich frage mich, wo ich die Zeit dafür hatte, wenn ich mir die Zahlen so ansehe. Aber auch nicht viel mehr als du 🙂
Nein, kenne SIBÉRIE nicht. Aber halte den Film mal im Hinterkopf, wenn ich mal die Gelegenheit bieten wird, werde ich mir diesen mal ansehen.
Was mir gerade noch so einfällt, Bellflower soll Ende März in Deutschland als DVD-Premiere erscheinen, was mich positiv echt überrascht, habe eher damit gerechnet, dass der Film erst Jahre später den Weg als DVD-Premiere in Deutschland findet.
@vannorden
Interessante Aussage bezüglich dem Alterungsprozess von Filmen. Kann ich persönlich jedoch nicht so sehr nachvollziehen, da ich denke, dass Personen die Filme im negativen Sinne als alt bezeichnen (also nicht eine rein subjektiv „zeitliche“ Einordnung vornehmen), dies bei anderen Kunstwerken genauso tun. Nur dort vielleicht eher mit einer ausgeprägteren Selbstverständlichkeit (Literatur) oder zumindest mit einem Hauch von Ehrfurcht/Respekt (Malerei und vielleicht mehr noch: Architektur). Dass sich die Wahrnehmung von „alt“ im Sinne der Zeitspanne der Existenz einer Kunstgattung verschiebt würde ich jedoch genauso sehen. Also dass Menschen eine Kunstgattung mit längerer (Vor)Geschichte anders wahrnehmen. Das beste Beispiel sind Computerspiele. Da gelten die 90er ja bereits in diesem herablassenden Sinne als Alt/Unzeitgemäß, etc. Ein immer aktuelles Beispiel ist Mode, wo man dann aber auch gerne mit Begriffen wie „zeitlos“ hantiert. Ich kann diesen ganzen Konzepten (wie man aus meinem Text wohl ganz gut erkennt) wenig abgewinnen. Alt ist für mich eher was ich kenne, und neu, was ich nicht kenne. Und auch das ist nicht immer eine Wertung (obwohl ich generell zu meiner Ansicht nach konservativen Meinungen neige).
Dass das Kino (wie alle Künste überhaupt) sterblich ist, würde ich aber unterschreiben. Die Idee eines Bewegtbildes hat es aber natürlich schon immer gegeben und wird es auch immer geben. Da gehe ich mit Bazin, der grob vereinfacht sagt, dass diese Idee eine menschliche ist, die aus unserer kulturell entwickelten Alltagswahrnehmung stammt.
Was du zur Verdauung, Einarbeitung und Abschiebung der „Gegenwart“ in die „Vergangenheit“ sagst leuchtet ein. Aber wie gesagt ist das Aktuelle eigentlich subjektiv immer unterschiedlich. Diese bemühte objektive Konstruktion eines spezifischen (neuen) „aktuellen“ geht mir aber gehörig auf den Sack. Mit dem Greifbarmachen dieses diffusen Aktuellen geht es uns wohl allen so. Das kommt aber daher, dass wir (meist fälschlicherweise) vermuten, Dinge ließen sich so bewältigen/überblicken, da „wir“ das ja schon immer so getan haben. Das ist dann wiederum eine Konstruktion von verstandenem/durchdachtem/bewältigtem „Vergangenem“, dass wir nun als (positive) Info und Ausgangslage für die Gegenwart/Zukunft verwenden können. Dass halte ich aber für Quatsch mit Soße. Das ist ein Mythos, der vielleicht aus unseren erwachsenen Denkstrukturen entspringt, also der inzwischen eingefahrenen Art wie wir bei uns Zeit wahrnehmen. Als solcher interessant. Aber als „wahr“ oder „notwendig“ erachtet ein Trugschluss. Daraus entstehen dann (jetzt grob vereinfacht gesprochen) solche Ideen wie z.b. die „Verarbeitung“ des 2. Weltkriegs. Etwas was meiner Meinung nach nie stattgefunden hat, weil es nie versucht wurde. Die methode passt also nicht. Aber genug dieser arg vereinfachten Assoziationen. Das sprengt jetzt den Rahmen meiner Kommentierungsfähigkeiten bei weitem. 😉
Vielleicht ließe sich da (etwas verschoben betrachtet, aber immerhin) noch abschließend sagen: Kampf der Identität. 🙂
Ich habe ja auch gar nichts gegen Jahreslisten, und die von mir erhobenen (und von dir ja teilweise bestätigten) Einschränkungen bestehen ja auch in anderen Listen weiter. Nur ist mir das Korsett bei diesen Würdigungen des „aktuellen“ zu eng, und ich möchte für mich das aktuelle als etwas anderes erfahrbar vermitteln – vor allem im Bereich des Films. Daher wirds dann in Zukunft von mir hoffentlich eine „kombinierte“ Jahresliste 2012,ff. folgen, bei der das Alte und das Neue keine Verschmelzung oder Symbiose eingehen, sondern die meiner Meinung nach notwendige Subsumierung des Neuen unter das Alte passieren wird. Die Masse (Filmgeschichte) frisst also das Brotkrumen („das neue Jahr“). Und mir gefällt das momentan sehr gut.
Zu 1000 GRAMM: Wo hast du den Film gesehen? Und SCISSU auch!? Würde mich sehr interessieren. Ich war bei 1000 GRAMM in einer Festivalvorstellung in Mainz, und es war sehr aufschlussreich die teilweise extrem aggresiven und ablehnenden Meinungen und Ausrufe des Publikums wahrzunehmen. Die Aggression des Films löst im Zuschauer selbst auch Aggressionen aus. Das gefällt mir. Nur interessant, dass es den Filmemacher trifft. Tom finde ich persönlich übrigens sehr sympathisch, und ich hoffe in Zukunft auf Eskalierende Träume auch etwas mehr über seine Arbeit und die seines Teams (ist ja beinahe ein Filmkollektiv) zu berichten. Daher wird es dann auf ET sicher noch mehr Diskussionen zu diesen beiden Filmen geben.
Aber wie gesagt, interessant, dass du gerade diesen Film herauspickst. Meiner Meinung nach, haben wir in Deutschland keine vergleichbaren Filme. Eine Kombination dieser spezifischen Ästhetik (und Ästhetisierung) von Lebensrealität hat bei uns keinen Platz. Das ist dann entweder cool, oder spannend. Aber selten konfrontativ reflexiv gemeint.Daher unterstütze ich die formale Herangehensweise an die explizit soziologischen Interessen von SCISSU und 1000 GRAM zur Gänze, da sich für mich eine Interessante Alternative zur für mich ähnlich gelagerten „Berliner Schule“ (scheiße, jetzt benutze ich dieses Wort doch mal wieder…) darstellen, aber aus einer gegensätzlichen Richtung kommen bzw. ansetzen. Von Außen, vom großen ganzen her. Nicht introvertiert sondern extrovertiert. Nicht bescheiden und fragend, sondern arrogant bezeichnend. Mir gefällt das. Man kann es platt finden, ich finde es ehrlich. Und die Filme wimmeln meiner Meinung nach nur von Dualismen und diskursiven Ansätzen, was vor allem beim wiederholten Sehen, bzw. längerer Auseinandersetzung auffällt. Das Einfache ist hier kompliziert. Also wiederum umgekehrt zum scheinbar Komplexen der „Berliner Schule“, dass sich dann aber als Einfaches herausstellt. Das ist natürlich sehr verkürzt erläutert (das scheint in diesem Kommentar meine liebste Redewendung zu sein), aber erklärt für mich zum Teil das aufregend „neue“ was ich in diesen beiden Filmen in Bezug auf deutsches Kino zu entdecken glaube. Als Tom bei einem Q & A auf den unaudweichlichen Vergleich zu Gaspar Noé angesprochen wurde, sagte er übrigens in etwa: „kann sein, Noé gefällt mir, aber das tun auch viele andere Filmemacher. Man ist beeinflusst von dem was man mag, und wenn man sich für Vorbilder in meinen Filmen interessiert, gibt es auch zahlreiche andere zu entdecken (z.b. Hitchcock, Kubrick, Scorsese). “ Das ist jetzt stark aus dem Gedächtnis paraphrasiert, imponierte mir aber in der nonchalanten Art in der er sagte, Vorbilder und Inspiration gibt es immer, es kommt aber darauf an was man daraus macht sehr – also dass er sein eigenes Ding macht.
Nochmal was zu diesem Aufeinanderprallen lassen der Gegensätze in 1000 Gramm: was mir sehr gefallen hat ist zum Beispiel folgende sehr einfache Konstellation (da du den Film kennst, weißt du vermutlich wovon ich spreche): Im Parkhaus, als sie das handy zuklappt, und er das Messer aufklappt. In Großaufnahme sieht man das Handy zufallen, dann Schnitt und in Großaufnahme das Messer aufklappen. Sehr einfach, sehr schnell, sehr klar, sehr direkt. Diese Art von Analogien mag nicht jedermans Sache sein. Mir gefällt sie sehr.
Vielleicht denke ich in manchen Aspektenaber auch generell ähnlich wie der Regisseur. Daher hatte ich mit dem Denunzierenden kein Problem, da ich persönlich auch immer so sagen würde „das Fernsehen ist schuld“ (nicht umsonst habe ich schon seit jahren keinen Anschluss). Vielleicht kann man das ein wenig Vergleichen mit der Diskussion um Gus Van Sants ELEPHANT, wo scheinbar alles mögliche als „Erklärungsgrundlage“ herhalten muss. Dieses „alles mögliche“ sind jedoch wir. „Das Fernsehen“ ist daher auch nur ein Aspekt von uns, etwas was wir hervorbringen und konsumieren, was wir scheinbar haben wollen um es uns einzuverleiben. Passt wie ich finde dann auch ganz gut zum Thema Fleisch. 😉
Aber jetzt habe ich doch viel mehr geschrieben als ich eigentlich wollte, und natürlich trotzdem viel zu wenig um irgendetwas auch nur Ansatzweise verständlich darzulegen. Ich hoffe du kannst mit meinen Denkanstößen trotzdem was anfangen. Scheinbar öffnet man mit einem Kommentar schnell die Büchse der Pandora, und eine Bändigung von Gedanken und ein sinnvoller Austausch sind wiederm nur in und durch eine(r) Vielzahl von kommentaren möglich.
@Andreas
Ich glaube, wir müssen uns wieder viel öfters über Filme unterhalten. Was da alles für Schätze in deiner Liste schlummern, von denen ich noch nie was gehört habe, und von denen du auch noch nichts vorgeschwärmt hast. Ich glaube, du solltest mehr über jüngere FIlme auf Eskalierende Träume posten. Gerne auch als übergeifende Sammelpostings oder materialfetischistische Überlegungen zum „Gegenwartskino“. 😉
Wo hast du übrigens den Grandrieux gesehen??. Ich erinnere mich noch eindrücklich über Nicole Brenez‘ Erwähnung des Films in Frankfurt, und wie ich dachte: klingt super, gibt es aber wenn überhaupt wohl erst im Lauf des nächsten Jahres zu sehen. Ich freue mich schon auf kommende Festivalbesuche mit dir, wo ich mich guten Gewissens an deine Rockzipfel hängen werde, und in jeden jüngeren Film den du dir anschaust hinterherdackeln (sofern er sich nicht mit Retros und ähnlichem überschneidet). 🙂 Hehe, davon haben wir wohl alle immer geträumt: den perfekten Festivalguide durch das unüberschaubar wirkende Filmgetümmel. 😀
@Andi Na, wollen wir hoffen, dass die Erweiterung nicht nur erfolgte, um sich des Vorwurfs der fehlenden regulären Kinostarts zu erwehren. 😉 Sind ja schöne Sachen dazu kommen: Der Ghibli, von dem ich das erste Mal bei den Listen des Filmdienstes gestolpert bin und zwei meiner aktuellen Most-Wanted-Filme „Miss Bala“ & „Vampire“. Fein, fein. Und ich kann da nur aus meiner eigenen Erfahrung plaudern, dass nämlich im Kino gesehene Filme durch den Aufwand, den man für sie betreibt, dazu gewinnen. Ich kann mir schon vorstellen, dass wenn ich extra nach Wien pilgere und Filme zu sehen bekomme, die andere wohl nie oder erst in fünf Jahren nachholen dürfen, dass das einen Extrakick gibt. Und gerade wenn es um absolute Lieblingsfilme in der Endabrechung geht, entscheiden ja die Kleinigkeiten. Das ist dann wie in der Champions League. Deswegen finde ich es auch immer am spannendsten, wenn du das Festivalzelt verlässt und dich mit populären Hollywoodproduktionen oder von mir aus auch deutschem Mainstream anlegst, was viel zu selten vorkommt. Und „Hotel Desire“ kam regulär 2011 als Streamingangebot bei irgendeinem größeren Onlineportal heraus. Gesehen habe ich ihn aber auch noch nicht. 😉 Zu Sono fand ich neulich Björn Lahrmanns Kommentar in den Manifest-Jahreslisten herrlich, weil er mich davor bewahrt, mir 200-minütige Epen von unsicherer Qualität anzutun. „Sleeping Beauty“ ist ein vollkommen anderes Kaliber als der unsägliche „The Devil’s Double“. Und dass du selbst diesen französischen TV-Film auf deiner Must-See-Liste hattest, der allgemein eher unter dem Titel „Studentin, 19, sucht“ berüchtigt ist, verwundert mich nicht, zeigt mir aber deine beinahe allumfassende Gründlichkeit des Abgrasens.
@Andi: Ich glaube, so weit haben wir noch nie auseinandergelegen (was sich übrigens auch schon in der anderen Liste mit den Entdeckungen unter den früheren Jahrgängen gezeigt hat, da kannte ich gerade mal drei von 88 Filmen – wobei ich mich schon gefreut habe, daß „I wie Ikarus“ einer von denen war). Von Deiner (ja nochmal erweiterten) Kurzliste habe ich überhaupt nur „Vampire“ und Grafs „Dreileben“-Beitrag gesehen; daß ich „Vampire“ ziemlich schwach und öde fand, ist ja kein Geheimnis, und den Graf-Film halte ich zwar auch für den besten Beitrag zum insgesamt doch sehr enttäuschenden „Dreileben“-Experiment, wäre aber nie auf die Idee gekommen, den als einen der Höhepunkte des Jahres zu betrachten. Auf der anderen Seite kann ich meinen eindeutigen, alles überragenden Favoriten 2011 nirgends bei Dir finden – nicht bei den Höhepunkten, nicht beim Zwiespätigen, auch nicht bei den Enttäuschungen oder dem Unerquicklichen, sondern schlicht und ergreifend gar nicht – sollte es also wirklich sein, daß Du bei bei 250 Langfilmen gerade den nicht gesehen hast?
Bin ich zur Persona non Grata erklärt worden, oder wieso wurde mein Kommentar nicht angezeigt?
@Sano: „Kampf der Identität. :-)“ unterschreib ich vollends. Ich bin vielleicht genauso angekotzt von Konzepten, die die Geschichte/Vergangenheit abhacken und verdrängen. So will ich das, was ich sagte, auch gar nicht verstanden wissen. Die Aufteilung in so einzelne Zelle, die dann ein Filmjahr sind, sind ja auch zweifelhaft, hat aber durch aus seine Vorteile, wenn nicht dabei stehen geblieben wird. Wahrscheinlich/vll sind wir in unseren Meinungen gar nicht so weit entfernt (dafür ist mir deine Argumentation zu verständlich), nur das ich die Welt um mich aufgegeben habe. 😡 Ich hab da auch einfach keine Kraft mehr mich über die (manchmal auch nur vermutete) Ignorranz anderer zu kümmern. Vll bin ich auch nur extrem egozentrisch 🙂 Aber was manchmal als alt, klassisch wahrgenommen wird ist schon unfassbar erschreckend. Ich habe vor kurzem das erstemal „Kabel1 classics“ gesehen. Ich bin mal das Programm durchgegangen. Der älteste Film an dem Tag war „Faculty“, der ja so Ende der 90er ist. Das war schon sehr ernüchtend. Alles vor den 90ern war scheinbar schon zu alt, um es noch jemanden zumuten zu können, oder zu erwarten, dass sich jemand dafür interessiert. (Da kommen wahrscheinlich auch ältere Film (vom Produktionsdatum her), aber dann nur soetwas, was als gesichert daherkommt, dass es sich noch jemand anguckt. Sicherlich ist Kabel1 an sich schon nicht der Hort, wo ich das Wahre, Gute und Gerechte finden hoffe, aber sowas.
Das mit der Sterblichkeit trifft denke ich auch zu. Bei Godard hat es aber sowas extrem kulturpessimistisches, jedenfalls habe ich es bisher so wahrgenommen, als ob es vor der Tür stehen würde. Da habe ich noch etwas mehr Hoffnung … auch mal schön etwas optimistisch zu sein 😀
1000 Gramm habe ich gesehen, weil er bei dem Kurzfilmfestival, bei dem ich arbeite, eingereicht wurde. War einer der Filme, der es nicht ins Programm geschafft hat, was ich extrem Schade fand, aber da sind auch ganz andere Perlen rausgepurtzelt. Die Erfahrung bei der Programmerstellung eines Festivals dabei gewesen zu sein ist auch sehr interessant. Wenn ich jetzt bei, sagen wir, der Berlinale bin und einen zweifelhaften Film sehe, denke ich mir inzwischen, was da wohl bei den Einreichungen dabei gewesen wäre, was mir soviel besser gefallen hätte.
Hab Tom auch nur nach der schlechten Nachricht mal im email-kontakt gehabt und er war mit unserer Entscheidung nicht so einverstanden. Trotzdem denke ich nicht, dass er ein Widerling ist, das war nur eine scherzhafte Überspitzung 🙂 Ich hoffe auch, dass er weiterhin einreichen wird. Denn als Festivalverantwortlicher fand ich 1000 Gram super. So ein Film der mal etwas aufmischt. Der provoziert. Und du hast Recht, es ist ein großartiger Film, der einem gar keine Möglichkeit gibt, sich nicht mit ihm auseinander zu setzen … in einem weitgefassten Verständnis 🙂 da ja Aggression und Ablehnung eher die Flucht vor Auseinandersetzung sind.
Ich finde die Frage, warum ich ihn rausgepickt habe auch spannend. Manchmal bekomme ich gar nicht mit, wie ein Film noch in mir arbeitet. Sicherlich finde ich ihn zu einem gewissen Teil wirklich abstoßend, aber er zwingt mich auch mit sich auseinander zu setzen. Was ich toll finde. (Stilistisch finde ich ihn auch super und die Frage nach Noé genauso überflüssig wie Tom Bewilogua) Manchmal muss ich halt solche Kommentare schreiben um es zu entdecken. Mir passiert es ja immer wieder, dass ich einen Kommentar schreibe und mittendrin (wie eben oben) meine Meinung ändere. Egozentrisch und Nutzensorientiert, wie ich bin, sind das für mich auch Gründe mit Anderen über Filme oder sonstwas zu reden, auch wenn ich dann immer wieder die Erfahrung mache, meiner Meinung nach falsch zu liegen. Wobei wir wieder bei Identität sind. Ich nehme es nämlich zurück, was ich anfangs schrieb. Ich bin für Identität! Nur nicht in dem Verständnis, dass sie der Hort eines klaren, geschlossenen, einfachen Ichs ist. Vielmehr ist Identität zerrissen und voller Potentialle. Identität hat per se etwas Schizophrenes, etwas das im ständigen Ringkampf mit sich selbst ist und gerade deshalb spannend. Für eine unsichere, wunde Identität. Aber ich fang jetzt hier nicht mit sowas an, sind ja nicht auf einem Philosophieblog 😀
@Settembrini
Der Spamfilter scheint zur Zeit ein wenig zickig zu sein. Dein Kommentar war übrigens nicht der einzige, den er gerade nicht auf ET haben wollte… Wir arbeiten dran.
@vannorden
Das mit dem Kampf der Identität war bewusst überspitzt formuliert, da ich nicht noch weitere Erklärungen schreiben wollte. Da du es aber am Ende tust: ja, so in etwa sehe ich das auch. Identität als etwas starres finde ich negativ, da Identität ja meist (auch) ein Eigenkonstrukt ist. Aber genug philosophiert, sonst finde ich da keine Ende mehr. 😉
Das mit Kabel 1 ist lustig. Muss da an Gespräche denken, wo ich mich darüber aufgeregt habe, dass in manchen Videotheken unter der Rubrik „Klassiker“ meist drei bis fünf Jahre alte Filme rumstehen… Da wird einem Angst und Bange. Und man sieht harmlose Worte wie Klassiker in ihrer negativen Wirkung: ein klassiker ist dann der Film, der zwar alt ist, den man sich aber trotzdem noch anschauen kann. Wie bei Literatur dann Begriffe wie „Weltliteratur“. Dafür wurde sicher auch mal der Kanon eingeführt. Um Leuten auch mal was altes nahezubringen, also sozusagen als Werbegag, bzw. Verzweiflungstat überzeugter Kulturpessimisten, die wenigstens etwas retten wollten. Womit wir wieder bei Godard sind. 🙂 Ich muss leider sagen, dass ich ihn inzwischen verstehen kann, und die Position gar nicht (mehr) weit von meiner eigenen entfernt ist. Ich glaube persönlich auch an keine Zukunft für den klassischen Film (womit ich nicht das Metarial, sondern den Aufbau und die Struktur meine). An eine Zukunft des Audiovisuellen Bewegtbildes auf jeden Fall. Aber wie die aussehen wird? Allein beim spekulieren kriege ich Gänsehaut, und fühle mich dann wohl wie manche Leute beim Betrachten von 1000 GRAMM: verwirrt aufgrund widerstreitender Ideen und Emotionen. Dass ein Film mit der Auseinandersetzung gewinnt sehe ich übrigens wohl grundsätzlich so. Also das ein Film indem man über ihn redet und nachdenkt eigentlich nur besser werden kann (weil man dann ja automatisch mehr Potentiale entdecken kann, die bei einem selbst vielleicht nicht gegriffen haben, aber dennoch da sind). Geht mir dann oft auch so, dass ich erst nach dem Film merke wie toll ein Film eigentlich war, und was er in mir alles ausgelöst hat. Früher ging das schneller, schon beim Film, aber danach war es auch eher abgehakt. Inzwischen zerfetze ich den Film nicht mehr während der Sichtung (im positiven wie im negativen), sondern bin aus intellektueller Trägheit dazu übergegangen den Film auch einfach mal machen zu lassen – und danach rumort es oft länger. Daher wohl auch eine zunehmende Unlust Filme direkt hintereinander zu schauen (und ein Desinteresse an Festivals, wo dies fast unumgänglich ist). Mit der Egozentrick brauchst du dir an dieser Stelle keine Sorgen zu machen. Bin da genauso und sehe es wohl mit Nietzsches Egoismusargument. Ich will nämlich auch nur durch andere Meinungen meinen Erlebnis- und Verständnisrahmen bereichern und erweitern. 🙂
@Sano: Vielen Dank für den erklärenden Hinweis – ich war vorhin doch ziemlich irritiert.
@Rajko
Haha, verdammt, und ich dachte es fällt nicht auf, wenn ich das innerhalb von zwei Jahren mal bei drei, vier Filmen einstreue… 😀
Trifft aber natürlich dennoch einen wunden Punkt, nämlich das ich über „solche“ Filme im Grunde weder schreiben kann noch will, und die entsprechende Lustlosigkeit verführt dann manchmal zu lustlosen Phrasen. Was ich damit wirklich meine, hätte natürlich eine elaboriertere Einlassung verdient, weil das („Umgang mit…“) im Grunde ein rares, wertvolles Gut ist, das – so allgemeinplatzmäßig es in dieser Phrase klingt – man in einer wirklich sich auf diese Grundpfeiler des bewegten Kinobildes einlassenden Weise letztlich nur bei den ganz Großen wirklich findet. Im Wesentlichen überlasse ich das aber gern weiterhin anderen, wenn Kino wirklich so sehr Kino ist (wie eben z.B. der Bonello), dann sehe ich da wenig Chancen für die Sprache. Was sicher an den Limitierungen der Sprache, sicher aber auch an meinen Limitierungen liegt. Macht aber nichts, fühle mich ersatzweise bei der ein oder anderen Schmuddelei schreibend dann eh wohler… 😉
@Spidy
Schon eine recht imposante Zahl. Zwar nicht extrem viel mehr, aber doch nochmal merklich mehr. 🙂 Bei den Kinobesuchen habe ich nicht nachgezählt, da dürften wir aber tatsächlich auf ähnliche Zahlen kommen. Allein durch die Festivals (kleinere inbegriffen) kommen da schon mal ratzfatz beinahe 200 zusammen, und regulär schaue ich dann vor allem auch recht viel ältere Filme, da gibt es hier zum Glück viele Reihen und Retrospektiven. Zuhause und auf DVD sind’s dafür bei mir wiederum erheblich weniger, da bringe ich paradoxerweise auch schwerer die Motivation auf als bei fixen Kinoterminen. Geht wohl den allermeisten Menschen eher genau umgekehrt, bei mir halt leider auch eines der Symptome verheerender Prokrastination…
Das mit BELLFLOWER überrascht mich jetzt auch ziemlich, dauert bei solchen Filmen ja tatsächlich meist Jahre, wenn sie überhaupt erscheinen. Leider habe ich es vor Jahresende nicht mehr geschafft, ihn noch nachzuholen, obwohl ich ihn schon eine Weile hier liegen habe und sogar Christoph auf Verdacht empfahl, der ihn ja letztlich sehr toll fand und auch in seiner Liste hat…
@Settembrini
Auch wenn schon ein großer Teil der gesehenen Filme in der Langfassung erwähnt ist, fehlt gerade aus dem eher unfälligen unteren bis oberen Mittelfeld noch ein ganzer Schwung. Hinsichtlich MELANCHOLIA ist es aber tatsächlich so, dass ich ihn gar nicht gesehen habe. Ursprünglich einfach keine Lust gehabt, nachdem ich bereits ANTICHRIST nicht übermäßig mochte. Dann mehrten sich verspätet doch plötzlich euphorische Stimmen, mit Christian und Christoph haben ihn ja nun bei uns sogar zwei Listenteilnehmer, mit denen ich sonst so manche Übereinstimmung teile, sogar auf Platz 1 gesetzt; andererseits hat ihn aber auch Marian auf seiner Flopliste, und mit ihm liege ich (wie allein seine sonstigen Flops zeigen) auch häufig auf einer Linie. Trotzdem war natürlich die Neugier geweckt und ich hätte den Film noch gerne nachgeholt, aber die letzten Wochen waren ziemlich stressig und ließen leider nahezu keinen Nachholspielraum, und irgendwie mal gehetzt zwischendurch reinquetschen schien mir bei einem ohnehin eben doch auch skeptisch erwarteten Film eine unfaire Lösung, weil dann die Ungeduld und der Hang zum schnellen inneren Abwinken tendenziell einfach nochmal größer ist, weshalb ich es tatsächlich erstmal lieber gelassen habe. Irgendwann zu einem späteren, entspannteren Zeitpunkt. Bald gäbe es sogar nochmal eine Kinogelegenheit, mal sehen.
@Andreas:
Ach was, das war nicht allzu ernst gemeint. Ich habe auch meine Standards, die ich immer wieder runterrassele – wir sind wohl Auteur-Filmfans. 😀
Außerdem freue ich mich auf HOUSE OF TOLERANCE. Vielleicht rührt er mich ja zu Tränen. 😀
@Andi: Da ich MELANCHOLIA alle Nase lang in Deinem Filmtagebuch gesucht und nicht gefunden hatte, hatte ich mir schon gedacht, daß Du ihn noch gar nicht gesehen hast, wollte es nun aber doch mal genau wissen. Übrigens lese ich mit Erleichterung, daß Du ihn noch nicht gesehen hast, denn die einzig mögliche Alternative wäre eben gerade das eher unfällige untere bis obere Mittelfeld gewesen – und damit die für einen solchen Film fast schlimmstmögliche Einordnung.
Was mich betrifft, so neige ich (wie ich ja andernorts schon mehrmals angedeutet habe) immer stärker dazu, ihn nicht so sehr als den Film des Jahres anzusehen, sondern als den Film des Jahrhunderts.
Von einer ausdrücklichen Empfehlung will ich trotzdem Abstand nehmen, einfach deshalb, weil ich gerade versuche, es mir generell abzugewöhnen, Filme zu empfehlen. Ich schreibe darüber, welche Filme mich begeistert, enttäuscht, verärgert, etc. haben und versuche dann, verständlich zu machen, warum ich sie auf die eine oder andere Weise aufzunehmen, aber daraus mag dann jeder, der das liest, seine eigenen Schlüsse ziehen. Es ist alles andere als leicht, sich den Hang zu Empfehlungen abzugewöhnen (ich habe mich gerade wieder bei den Filmforen dabei ertappt, daß ich eben doch wieder Empfehlungen abgegeben habe), aber ich versuche trotzdem, diese Angewohnheit abzuschütteln, denn wie jemand anderes einen Film aufnimmt, hängt zum einen davon ab, welche Bewertungskriterien dem besonders wichtig sind (Montage? Farbgestaltung? Charaktere? ein stringenter Plot? usw.), womit wir wieder bei den unterschiedlichen Zuschauertypen sind; es hängt darüber hinaus aber auch noch ab, was für persönliche Erfahrungen und Empfindungen jemand mitbringt, der sich in einen Kinosessel setzt, und MELANCHOLIA hat mich gerade auf dieser ganz besonders persönlichen Ebene besonders stark angesprochen, und ich bin nicht so dumm zu glauben, daß ich dies einfach auf andere Zuschauer übertragen kann. Daher also keine direkte Sehempfehlung von meiner Stelle; laß ihn auf Dich zukommen. Wobei der sicher im Kino noch mal ein ganzes Stück stärker einschlagen dürfte.
@Rajko
Jaja, der eine dreht immer den gleichen Film, der andere schreibt immer die gleiche Kritik… 😀
Hab den nicht ganz erst gemeinten Einwurf trotzdem gern als Steilvorlage genommen, weil sich damit der Rückzug auf bestimmte Präferenzen so schön einfach begründen ließ 😉 Wobei ich mit dem AITA-Kommentar seinerzeit sogar recht zufrieden war, trotz solcher Ausnahmen ist das aber einfach nicht das Gebiet, in dem ich mich schriftlich wirklich wohlfühle. Und HOUSE OF TOLERANCE hat mich tatsächlich Tränen (auch des Glücks) gekostet, neben allen anderen Qualitäten ist gerade dieses Ende in Verbindung mit dem Musikeinsatz der pure Wahnsinn. Da möchte man, so toll das natürlich auch sein kann und sehr oft ist, dann einen Moment lang die ganzen Puristen mit ihrer Verweigerung von non-diegetischer Musik in den Wind schießen… 😀
@Sano
Mal etwas mehr über aktuelles Kino zu schreiben, habe ich 2011 ja durchaus versucht und das vergleichsweise sogar halbwegs mit Erfolg. Mit den vor allem auf Aktuelles konzentrierten STB-Kommentaren, aber natürlich vor allem mit dem großen Filmfest-München-Rückblick sowie dem dann wiederum durch den zeitlichen Abstand schon recht stark von den einzelnen Filmen abrückenden Berlinale-Fazit. Dass es mit einem Viennale-Rückblick oder wenigstens Fazit bisher nichts wurde (noch ist nicht alle Hoffnung dahin), hat dann natürlich auch zur Folge, dass ich gerade diesen recht umfangreichen Teil von Filmen bislang hier nirgends erwähnte (und persönlich allzu viel erzählen konnte ich davon ja zwangsläufig auch nicht, weil wir uns seither ja fast nicht oder nur kurz gesehen haben). Das Problem der Masse und der Phrasenversuchung ist in solchem Kontext natürlich zusätzlich da, siehe auch meine Antworten an Rajko. Und bei manchen Filmen sehe ich mich schlichtweg weder berufen noch gewillt, mich eingehender darüber auszulassen. Aber vielleicht lässt sich zumindest irgendwann auf den 2011 gelegten Grundsteinen aufbauen und anknüpfen, auch wenn ich notgedrungen ja 2012 eigentlich sowohl was gesehene Filme als auch ET-Aktivität (die bei mir eigentlich ohnehin erst im letzten halben Jahr endlich mal regelmäßiger zu werden begann, insofern natürlich ein blöder Zeitpunkt) angeht deutlich kürzer treten muss. Mal sehen.
Der Grandrieux lief in Wien, und ist vor allem im vorderen Mittelteil streckenweise wirklich fantastisch. Wie er Masao Adachi durch die Straßen laufen lässt, sich mit Bildern, Tönen, Filmschnipseln immer wieder an ihn rantastet, dazwischen dann aber auch einfach mal mit der Kamera durch wartende Menschenmassen streift, dann plötzlich eine SOLARIS-artige Autofahrt durch Tokio. Vor allem aber diese Digitalbilder mit irritierend strahlenden Farben inmitten fast immer nächtlicher Umgebung – futuristische Bilder aus einer futuristischen Stadt. Dahingehend hat er wirklich eine visionäre Qualtät, klarer Fall für den „Pixelforscher“-Award beim Viennale-Fazit. Trotzdem haarscharf an der Quartals-Top-Ten vorbei, eine Entscheidung des Moments. Das 4. Quartal ist da wirklich brutal, obwohl ich das bereits fast nur auf die (fette) Viennale-Ausbeute beschränkt habe und obendrein davon noch einige Filme in die Überraschungen-Liste ausgelagert wurden, bleibt es heftig und gleich eine Handvoll der Runners-Up des 4. Quartals hätte es in den anderen Quartalen in die Top Ten geschafft, und in schwächeren Jahren sofort in die engste Hauptliste. Eine Qual der Wahl und des Aussiebens, wenn man zu viele tolle Sachen gesehen hat, und dann dies und das und jenes doch irgendwie gebührend würdigen will, was natürlich, das liegt schon in der Natur der Sache einer Liste, einfach nicht geht. Nun ja. Und das mit dem am-Rockzipfel-hängen hat Christoph ja in München bereits weitgehend praktiziert und schien sehr gute Erfahrungen damit gemacht zu haben. Also nur zu, sobald sich mal wieder die entsprechende Gelegenheit ergibt!
@Schwanenmeister
Wenn dann nur, um sich ungerechtfertiger Vorwürfe wegen einer unglücklich gesetzten Listengrenze zu erwehren. Letztlich kamen jetzt auch nur zwei Kinostarts (und ein TV) hinzu, also keine gänzlich neue Situation, aber die Liste als Ganzes ist damit einfach (trotz aller Limitierung dieser Kurzfassung) nochmal facettenreicher und dem persönlichen Filmjahr noch eher gerecht werdend. Auf die ebenfalls nur geringe Zahl von Kinostarts auf deiner Liste (nur 6 von der Catch-22) bist du interessanterweise nicht eingegangen 😉 MISS BALA halte ich als nervenzerrenden Hochspannungs-Terrorfilm, der fast ausschließlich aus Plansequenzen besteht und ein beklemmend auswegloses Szenario entwirft, für die bessere Alternative zu SECUESTRADOS, auch weil er im Gegensatz zu dessen letzten Minuten durchgängig die solidarische Empathie zur Protagonistin wahrt. Aber auch wenn der Vergleich für dich wohl eher hinfällig ist, sollte es mich wundern, wenn dich der Film nicht auch ordentlich packt und durchrüttelt. Bei VAMPIRE gehen die Meinungen ja auch ziemlich auseinander, für mich die schönste, sonderbarste, traurigste, eigentümlichste, auch menschlichste Vampirinterpretation seit langem. Bin da ganz bei Björn Lahrmanns Kritik, auch wenn ich ihm bei seiner grummeligen Sono-Watsche gar nicht folgen kann. Probier’s halt zuerst mit GUILTY OF ROMANCE, den es scheinbar vorerst sowieso nur in der internationalen 112-Minuten-Fassung gibt, das ist ja recht moderat. Und auch eine halbe Stunde mehr sollte verkraftbar sein, wenn sie vollgepackt mit Wahnsinn und Genre ist wie etwa COLD FISH: satirsch beißende Sozialkritik, süffiger Sleaze, unglaubliche Gore-Sauereien. Gerade bei jemanden, der sonst so viel im aktuellen Genrekino mitnimmt, erscheint es mir unglaublich, sich gerade das entgehen zu lassen. Bei DEVIL’S DOUBLE hatte ich in der Tat schon beim kurzen durchklicken den Eindruck, dass der jenseits etwaiger Sleaze-Relevanz als Film nicht viel taugt (hab mich bereits gewundert, dass du den erst bei jeder Gelegenheit als Wanted erwähntest, und dann plötzlich gar nichts mehr zu hören war ;)), während bei SLEEPING BEAUTY und dem TV-Film vor allem die Hoffnung auf „unfreiwillige Schmierigkeit“ lockt (offenbar sind beide auf bewusste Freudlosigkeit gebürstet, was Ausschnitten zufolge auf andere Weise wohl teilweise nach hinten losgeht). Dieser STUDENT SERVICES-Trailer hat es mir da schon angetan; wie der gänzlich schamlos den Film mal ganz unversehens in eine ganze andere Ecke stellt, als der sich wohl selbst verstanden wissen möchte. Aber da ist jetzt natürlich viel Spekulation meinerseits dabei. Was den Extrakick bei Sichtungen in Wien etc. angeht: wenn man da nur einzelne Filme sieht, mag da was dran sein, aber wenn man verrückterweise gleich zwei Wochen dort bleibt und über 60 Filme sieht, neutralisiert sich dieser Effekt im Falle des einzelnen Films wieder 😀 Was durchaus auch angenehm ist, weil es ein wenig den Druck vom einzelnen Film nimmt und auch den Druck von sich selbst, jetzt wegen des Aufwands irgendwie möglichst viel rausholen zu müssen. Bei deutschem Mainstream bleibe ich skeptisch, solange der Populismus dominiert und es soviele interessantere Alternativen gibt. Hollywood dagegen gerne wieder mehr, aber da sah es die letzten zwei Jahre einfach ziemlich dünn aus, selbst von den alten Recken war nicht viel zu sehen. Scheint aber tendenziell 2012 doch wieder ergiebiger zu werden.
(EDIT)
@Settembrini
Da ist momentan wohl ein ständiges im Auge behalten des Spam-Filters unumgänglich, so wie der scheinbar gerade rumzickt. Aber nachdem das Problem nun zumindest bekannt ist, sollte wenigstens nichts verloren gehen, wie Sano bereits unter mir schrieb.
Zu MELANCHOLIA kann ich jetzt nicht mehr allzu viel sagen, ohne ihn gesehen zu haben. Der Hang zur (ganz) großen Geste, mit dem der Film scheinbar daher kommt, ist – auch wenn’s natürlich auf den Einzelfall ankommt – oft nicht wirklich meins, deshalb ist eine gewisse Skepsis sicher weiterhin nicht verkehrt, auch wenn das vorerst alles Spekulation bleibt. Mal schauen, was sich ergibt.
@Settembrini
Keine Sorge, wir schauen schon regelmäßig nach. Im Spam landen heißt ja zum Glück nicht automatisch verschwinden. Ist zwar ärgerlich, wenn dein Kommentar nicht gleich erscheint (was ja sonst normalerweise der Fall ist), aber da wir das gerade skeptisch beäugen, wird wohl nichts verschütt gehen. Daher habe ich jetzt auch mal deine erste Version freigeschaltet. 😉
@Spidy
Was mich im Zusammenhang mit den Kinotickets noch interessieren würde: wie hoch ist da bei dir der Anteil der Festivalbesuche? Bei mir dann doch merklich über die Hälfte der Kinobesuche, bei dir vermutlich ähnlich, oder hast du die Festivalfahrten etwas reduziert gegenüber vor zwei, drei Jahren?
@Sano
Hehe, dieser Mubi-Einleitungsabsatz dürfte dir aus dem Herzen sprechen. 🙂
Interessant übrigens, dass mir trotz deines Lamentos deine diesjährige Top-6 ausgezeichnet gefällt, im Gegensatz zu deinen (aktuellen) Jahreslisten der letzten Jahre kenne und schätze ich alle sechs Filme, ich finde sie sogar ausnahmslos stark bis großartig, sie tauchen ja auch bei mir alle auf. Super übrigens auch dein Bild, diese beiden in kaum noch unterdrückbares Lachen ausbrechenden Typen lassen sich in dem Kontext als wunderbar selbstironischer Kommentar zur vorausgehenden Monster-Abhandlung lesen, musste über diese subtile „Selbstsabotage“, wie ich sie auch liebend gerne praktiziere, jedenfalls schon mehrmals beim Scrollen über das Bild lachen. 😀 Kann deine Klage bis zu einem gewissen Punkt auch durchaus verstehen, auch wenn ich weiterhin Jahreslisten machen werde und es bedauern würde, wenn du tatsächlich wie angekündigt ganz davon ablassen würdest. Zwei wichtige Argumente für Sichtung (und entsprechend Auflistung) „aktueller“ Filme sind für mich: neu erschienene Filme sind schlichtweg viel einfacher und flächendeckender an dem Ort, für den zumindest die meisten von ihnen gemacht wurden, nämlich im Kino, zu sehen – viele von ihnen, erst recht kleinere Festivalfilme, wird man später wohl nie wieder dort sehen können, während es bei Erscheinen vergleichsweise einfach ist (dass im Umkehrschluss mittlerweile jenseits weniger Großstädte praktisch überhaupt kein Repertoire- und Retrospektiven-Programm mehr auf größerer Ebene präsent ist, stellt natürlich ein gewaltiges und betrübliches Ärgernis in vieler Hinsicht dar, keine Frage); und dadurch, dass sich aufgrund dieser Präsenz viele damit beschäftigen, bestehen natürlich auch andere Möglichkeiten zum Austausch. Das kann in der Summe auch mal zur Eintönigkeit und Übersättigung führen, klar, aber prinzipiell ist es halt was anderes, wenn sich in diesem Rahmen nicht jeder einfach auf seinen Inseln irgendwo in der unendlichen Weite der Filmgeschichte bewegt (natürlich auch reizvoll, inspirierend usw., sonst wäre ich ja selbst kein Fan von Entdeckungslisten), sondern sich aufgrund einer überschaubareren Grundlage viel eher die Chance ergibt, dass man die Filme selbst gesehen hat, dass Anknüpfungspunkte bestehen, man Vergleiche ziehen kann. Weshalb es vermutlich kein Zufall ist, dass da meistens auch die Resonanz (man vergleiche unsere beiden 2011er-Listenpostings) stärker ist, aus jenen naheliegenden Gründen. Ich finde daher gerade in ihrer Komplementärfunktion sowohl Entdeckungs- als auch Jahreslisten spannend, mal davon abgesehen, dass (mir jedenfalls) beide auf ihre Art Spaß machen. Wirft man beides zusammen, zerstört man halt auch dieses speziellen eingeschränkten Bezugsrahmen der Jahreslisten mit aktuellen Filmen, und damit seine Vorzüge wie u.a. die vgwl. bessere Überschaubarkeit der zugrunde liegenden Basis und damit Anknüpfungspunkte und Vergleichbarkeit. Mal abgesehen davon, dass dann (zumindest bei manchen von uns) alles noch viel mehr aus allen Nähten platzen würde… 😉
@Andi Und diese Vorwürfe gab es hier? Laut meiner Milchmädchenrechnung sind sechs meiner Top Ten-Filme regulär im Kino angelaufen. Jetzt guckst du, was? Und wenn ich „Nader & Simin“ als nachgeholten Lieblingsfilm dazunehme, sind’s gleich sieben. 😉 Bei deinen 22 Lieblingen sind es dagegen tatsächlich nur ein Bruchteil, der in deutschen Kinos 2011 zu sehen war. Aber darauf legst du ja auch eigentlich gar keinen Wert! :))
Dieser verrückte Japaner hat mich von Anfang an nicht angesprochen. Den umhüllte immer schon ein Takashi Miike-Klon-Kult, der mich eher abstieß, als anzog. Kann aber alles noch kommen. Und bei jeder Gelegenheit ist gut: Einmal spaßeshalber über Twitter anzufragen, warum das Hofbauer-Kommando den auf der Berlinale verschlafen hat, würde ich nicht so bezeichnen. Hätte ja was sein können. Klang interessant. Ludivine Sagnier spielt mit. Aber wie es so häufig im Genreschaffen ist: Wenn etwas gut klingt, muss es noch lange nicht gut sein. Und na ja, wie viele Filme hast du noch mal insgesamt gesehen? Da sind 60 Filme doch wieder nur ein Bruchteil. Irgendjemand müsste sich mal die Mühe machen und schauen, wie diese sechzig Stück im Vergleich zum Rest abgeschlossen haben. Ich werde das aber nicht tun!
Dann zählst du bei der Milchmädchenrechnung aber die drei FFF-Filme dazu? Reguläre Kinostarts kann ich jedenfalls in deiner Top Ten nur drei entdecken. Wenn FFF jetzt schon als regulärer Kinostart gilt, spricht ja auch wenig dagegen, Aufführungen bei anderen größeren deutschen Festivals wie der Berlinale oder dem Filmfest München ebenfalls gelten zu lassen, was dann meine Liste wiederum auch wieder in ein ganz anderes Licht rückt (irgendwo in Deutschland war nämlich tatsächlich der größte Teil davon durchaus zu sehen, teilweise auch bei verschiedenen deutschen Festivals). Nimmt sich im Endeffekt dann tatsächlich nicht so wahnsinnig viel, würde ich meinen, aber führt wohl auch zu nichts, da gegenseitige Aufrechnungen anzufangen. Und genau, letztlich legst du darauf Wert, nicht ich. 🙂
Takashi-Miike-Klon ist eine dann doch am Kern vorbei gehende Beleidigung, mal ganz abgesehen davon, dass er momentan jedenfalls meiner bescheidenen Meinung nach tatsächlich auch interessanter als Miike ist. Aber wirst du sicherlich noch selbst heraus finden 😉
DEVIL’S DOUBLE meinte ich mich zu erinnern, auch noch in anderen Tweets von dir wiederholt angetroffen zu haben, vielleicht bringe ich aber auch was durcheinander, nachprüfen werde ich das jetzt aber so wenig wie du das Abschneiden meiner Viennale-Filme. Unter meinen ersten zehn sind letztlich drei davon gelandet, was nicht wenig, aber auch nicht dominant viel ist. Und angesichts der Best-of-Ausrichtung des Festivals und seines verdient guten Rufes ist eine ordentliche Ausbeute ja nun auch nicht überraschend, man fährt schließlich mit gutem Grund hin. Insgesamt mischt sich das bei mir aber dann auf den oberen Rängen m.E. doch recht gut durch. Und dass halt wie von dir angemerkt nur ein „Bruchteil“ reguläre Starts sind, spiegelt auch ganz gut wider, dass die eben auch nur einen nicht übermäßig großen Teil meiner Sichtungen ausmachten und mich selten wirklich begeisterten. Das schlägt sich dann eben auch nieder, andernfalls müsste ich mir auf umgekehrte Weise in die Tasche lügen.