STB Sano 2011

Legende:

/wiederholt gesehen/
im Kino gesehen/von Filmmaterial gesehen (ab April)
ausgesuchter Link

Die Auflistung erfolgt soweit verfügbar bzw. notwendig nach:
Originaltitel, deutscher Titel, Anmerkungen, Regie, Jahr der Fertigstellung, Produktionsland.


neuester STB-Eintrag


Manon
Henri-Georges Clouzot 1949 Frankreich

Dieser Film ist eine Zumutung. Ein genüssliches Vorführen und Auskosten männlicher Herrschaftsfantasien, das in seiner Gesellschaftsanalyse und der offen zur Schau getragenen Perversität seiner Zeit mindestens um ein Jahrzehnt voraus zu sein scheint. Ein Instrument das sich immer weiter in den Kopf des Zuschauers zu Bohren vermag, und so ziemlich jede Filmkonvention der damaligen Zeit auszuhebeln und in sein Gegenteil zu verkehren sucht, indem es das macht, was in den 50ern nach dem Erfolg von Giuseppe De Santis im gleichen Jahr gestartetem Riso amaro so beliebt werden sollte: eine Selbstbewusste, wenn auch manchmal etwas bedürftige und unbedarfte Frau in eine Welt voller Männer stellen, die Frauen vor allem als Objekte ansehen, die nach eindeutig männlicher Neigung und männlichem Interesse einem klar bestimmten Zweck zuzuführen sind.
Nach diesem Film erscheint mir die überraschende Betonung auf ausgiebige S/M-Gedankenspiele der ersten Hälfte des kürzlich von mir gesehenen La prisonnière (1968), als logische Weiterentwicklung einer durchgängigen Beschäftigung mit Macht, die vielleicht den eigentlichen Kern des filmischen Universums bei Clouzot ausmacht. Genauer: der Umgang mit und der Kampf um die Macht zwischen Mann und Frau, bzw. einem (zeitweise) strukturell als männlich oder weiblich konnotierten Vorstellungskomplex. Das scheint einerseits sehr einfach, sehr archaisch, sehr direkt und zum Teil nur unglaublich markig zu sein, wird aber andererseits von Clouzot zum komplexeren Diskurs potenziert, indem er permanent den Zwang seiner Männer die Oberhand behalten zu wollen, als völlig realitätsfernes und abstruses Phantasma behandelt, welches die Überlegenheit seiner Frauen (mit ihrer Fähigkeit zu Hingabe und Verzicht) immer nur um so deutlicher hervortreten lässt. Das allein wäre noch nicht viel, wenn Clouzot es nicht verstünde die Situationen in Ahnlehnung an Hitchcocks Idee des „Suspense“ bis zum Schluss seiner Geschichte in immer abstrusere Sphären aufsteigend immer weiter hochzuschrauben, um im Grunde nur die menschliche Natur offenzulegen, so wie er sie sieht, und am Ende bei der eigentlichen Wahrheit, (die bei Clouzot schmerzliche Erkenntnis ist) anzulangen. Die unnachahmliche Grausamkeit in der Ausübung eines vor allem psychologischen Verwirrspiels, scheint dadurch eine zu Hitchcock vergleichbare Spannung auszulösen, die sich jedoch in der Anlage in essentiellen Punkten von diesem unterscheidet. Ist Hitchcock meist zynisch und abgeklärt, und imstande seine Figuren wie in einem Schachspiel von außen zu beobachten und zu dirigieren, sind Leidenschaft und Sadismus bei Clouzot in innigerer Umarmung verschlungen, um bei allem augenscheinlichen Fatalismus einen lupenreinen Idealisten vorzuführen, der nach der inzwischen klassischen Unterscheidung nicht an das Bild (wie Hitchcock) sondern an die Realität glaubt, und sich daher auch permanent die Frage nach ihr Stellen muss. Es sind keine in sich geschlossenen Systeme, sondern moralische Erziehungsmaßnahmen der härteren Stufe. Beide setzen am Zuschauer an, doch wo Hitchcock auf ein Spiel und seine Reflektion aus ist, geht es bei Clouzot um den (von mir so gefühlt wahrgenommen) lebensentscheidenden Auftrag eines Umdenkens. Das Sendungsbewusstsein ist also ein anderes. Der Perfektionismus dient nicht der Eitelkeit, der Vorführung eines virtuosen Kunststücks, sondern ist ein Zeichen der notwendigen Hingabe bei der Darstellung des Ernstfalls. Nimmt man einige tendenziell ähnliche Filme Hitchcocks wie Vertigo (1958), „Die Vögel“ (1963), Marnie (1964) oder Frenzy (1972) zur Hand, merkt man dennoch, dass es Clouzot nicht so sehr um Fragen der Sexualität als um Fragen der Identität geht. Und diese haben bei ihm mit Geschlechterrollen überraschenderweise weniger gemein als mit der grundlegenderen Thematik des Begehrens. Was in diesem Zusammenhang vielleicht als eine Abwertung Hitchcocks erscheint, soll jedoch im Grunde nur die grundsätzlichen Unterschiede zu Clouzot betonen, der immer wieder (wie ich nun finde, fälschlicherweise) als ein französisches Pendant bezeichnet worden ist. Diese Rolle hat vielmehr in weitaus besserer Ausführung etwas später Claude Chabrol einzunehmen gewusst. Clouzot hat andere, zu seiner Zeit für einen kommerziell erfolgreichen Filmemacher sehr eigene Interessen. Ein abschließendes Beispiel sollte genügen: Betrachtet man die Szenen am Anfang von Clouzots „Lohn der Angst“ (1953), vor der Abfahrt der Männer, in Bezug auf ihren Umgang mit der zentralen Frauenfigur unter den von mir angerissenen Gesichtspunkten, erscheinen der spezifische Sadismus, und die spezifische Unterwürfigkeit als völlig legitime Darstellungen der Grundsituation des behandelten Themas, eine plakative Selbstverständlichkeit, die sich nur im Kontext der clouzotschen Weltanschauung klärt. Ich will in diesem kurzen Text nicht weiter in die Details gehen, aber wenn man sich die gleichen Szenen des Kampfs der Geschlechter bei Hitchcock vorstellt, würde man anstelle des (forciert, versucht) Gewöhnlichen beim (eindeutiger, man möge meinen klarsichtiger) Pathologischen landen. Zudem unvorstellbar, dass Hitchcock seine eigene Frau – so sie denn Schauspielerin gewesen wäre, was bei Hitchcocks Vorstellung von Privatleben wiederum sicherlich überhaupt keinen Sinn gemacht hätte – in einer solchen Rolle besetzt, wie Clouzot es hier tatsächlich getan hat. Denn anhand des Umgangs mit so etwas wie beispielsweise dem Sadismus, sind wir wieder beim Unterschied zwischen Bild und Realität, Phantasie und Wahrheit, dem Film als Flucht, Ersatz und Reflektion, der Verarbeitung von Wünschen und Ängsten und dem Film als potentiellem Tor zur Gegenwart der eigenen Existenz. Clouzot ist, so absurd es angesichts seiner Reputation im ersten Moment auch klingen mag, tatsächlich ein Chronist. Das von mir Beschriebene ist hier natürlich stark vereinfacht, und Begriffe wie Realität und Phantasie natürlich nur Tendenzen und grobe Verkürzungen, die im Leben wie im Film miteinander verwoben sind, und ihre Standpunkte jederzeit auch wechseln können. Nichtsdestotrotz scheint mir auf diese Weise zumindest für mich ein Zugang zu Clouzot gelungen zu sein, und ich bin gespannt inwieweit seine übrigen Film (die ich in den kommenden Wochen so weit es nur geht zu sehen versuchen werde), diese meine anfänglichen Überlegungen bestätigen oder in eine andere Richtung lenken werden. Ein Problem bleibt mir nämlich weiterhin: beim Humor von Clouzot bin ich bisher noch nicht wirklich durchgestiegen – mir erscheinen seine Filme bis jetzt im Gegensatz zu Hitchcock beinahe völlig humorlos. Was natürlich irgendwie nicht sein kann, bedenkt man dass Clouzot (ebenso unfreiwillig?) wie Hitchcock auch eine waschechte Komödie sowie mehrere Screwball-Krimis im Stil der „Thin Man“ – Reihe geschrieben oder inszeniert hat (der Verbindung von Kriminalfilm und Komödie war Hitch bekanntermaßen sehr zugetan). Vielleicht ist der Galgenhumor von Clouzot aber auch von einer Art, bei der auf einer Party als Anekdote dargeboten garantiert niemand lachen würde. Wie auch immer. Völlig sicher bin ich mir momentan zumindest in einem: unerbittlicher als Manon, La prisonnière oder „Lohn der Angst“ können seine anderen Filme kaum sein. Nicht auszudenken, was für ein Werk er mit L’enfer Anfang der 60er geschaffen hätte, hätte er ihn vollendet. Vielleicht ist es ganz gut so. Und vielleicht wollte er den Film ja gar nicht wirklich drehen. Manchmal ist der eigene Perfektionismus eben auch nur eine Ausflucht vor dem Eingeständnis der eigenen Unfähigkeit seinen Visionen einen adäquaten Ausdruck zu verleihen. Denn wenn er es geschafft hätte, wäre L’enfer vermutlich wirklich ein Reigen infernalischer Obsessionen, der ultimative Blick in den Abgrund seiner Zeit geworden, ein filmhistorischer Vorgänger eines Werkes wie beispielsweise Andrzej Zulawskis Possession (1981), der wahrscheinlich in der Lage gewesen wäre alle übrigen Filme Clouzots hinsichtlich ihrer Drastik und Unbeirrtheit weit in den Schatten zu stellen.




November


18. Non coupable „Nicht Schuldig“ [falsches Bildformat]
Henri Decoin 1947 Frankreich

Im Zuge von Recherchen zu Henri-Georges Clouzot auf Henri Decoin gestoßen, für dessen Les inconnus dans la maison (1942) Clouzot das Drehbuch schrieb, und einem Gefühl/Instinkt folgend ein paar Filme von Decoin besorgt. Der erste den ich gesehen habe ist dann tatsächlich gleich ein Meisterwerk. Zudem ein Film mit Michel Simon in einer Hauptrolle, in der Simon mal wieder zeigt wieso er schon zu Lebzeiten eine Legende geworden war. Er kann einfach alles spielen, und es sind vor allem die Übergänge – von einer Rolle in die andere – die Momente in denen er sozusagen die Stimmung, den Charakter wechselt die interessant sind. Der Film selbst ist ein lupenreiner Noir wie er im Buche steht, jedoch oft mit feinen ihm eigenen Verschiebungen und Umgewichtungen. Es gibt zwar eine Femme Fatale, den dummen Zufall, der alles ins Rollen bringt, die angedeutete tragische Vergangenheit, und einen gebrochenen Helden für den eigentlich schon zu Beginn alles vorbei ist. Doch die Details, die kleinen Feinheiten sind es ja oft, die etwas besonderes hervortreten lassen. Das Drehbuch ist brillant, vor allem die Dialoge überraschen stellenweise. Alles ist bereits hundertmal dagewesen, und dennoch ist es frisch, eine Zwiebelsuppe vom Chefkoch zubereitet sozusagen. Irgendwie fühlte ich mich teilweise an die 30er Jahre in Hollywood erinnert, an die Zeit vor 1934, den Übergang vom Stummfilm zum Tonfilm, als noch mehr gewagt werden durfte als danach. Der Geist des Films ist in höchstem Grade literarisch, aber mit einem eigenen Verve und einer erlernten Bestimmtheit umgesetzt, die nur Routine auf höchstem Niveau hervorbringen kann. Mal wieder ein Regisseur im Geiste eines Walsh, Hawks, Huston, Curtiz oder Ford, diesmal in Frankreich. Je mehr Filme vermeintlicher Handwerker ich sehe, desto mehr genieße ich diese spezifische Kunstfertigkeit der Mise-en-scene und die Tiefgründigkeit des gesamten Produkts, das vielleicht nichts mit dem persönlichen Geständnis des (späteren) Autorenfilms gemein hat, dessen Wahrheiten aber mindestens ebenso tief (und oft sogar tiefer) reichen, da sie universellerer Natur sind. Die Musik ist ebenfalls bemerkenswert. Den Komponisten muss ich mir merken. Filmhistoriker nennen diese Art des film noir, wie ich später erfahre, heutzutage zum Teil „Social Noir“.


17. 2 x Henri Verneuil

Peur sur la ville „Angst über der Stadt“
Henri Verneuil 1975 Frankreich, Italien

+
Le corps de mon ennemi „Der Körper meines Feindes“
Henri Verneuil 1976 Frankreich

„Angst über der Stadt“ hat viel mit den gängigen polizieschi der 70er gemein – daher ist er wohl nicht umsonst eine italienische Koproduktion – trägt aber eindeutig die schnörkellos „saubere“ Handschrift Verneuils, der einer anderen Zeit entstammt. So reicht der Film für mich nicht ganz an die fiebrige Qualität eines durchschnittlichen italienischen Polizeifilms dieser Epoche heran, offenbart jedoch zahlreiche Irritationen und Eigenheiten. Vor allem bemerke ich die schauspielerischen Fähigkeiten Belmondos, die beinahe gebündelt in den wenigen nachdenklichen Szenen die ihn allein zeigen zum tragen kommen – mehr noch als im gelungeneren und überraschenderen (und produktionstechnisch direkt auf „Angst über der Stadt“ folgenden) „Der Körper meines Feindes“, den ich direkt danach gesichtet habe, der jedoch mit dem Polizei- und Gangsterfilm wenig gemein hat (und mich in seiner Anlage und Ausführung überraschend stark an die düsteren Gesellschaftssatiren Claude Chabrols erinnert). Zu „Angst über der Stadt“ fällt mir noch auf, dass er selbst heute noch im französischen Kino zitiert wird, z.B. in Fred Cavayés À bout portant (2010), der zwar nicht die Klasse von Belmondo oder Verneuil (und auch keine Musik von Ennio Morricone) besitzt, mir im Ganzen aber dennoch fast besser gefallen hat. Nichtsdestotrotz verspürte ich nach der Sichtung von „Angst über der Stadt“ ungemeine Lust auf mehr Verneuil, und habe mir sofort den Folgefilm des Duos Verneuil-Belmondo angesehen. „Der Körper meines Feindes“ ist dabei ein waschechtes Drama, das seine innerhalb von 24 Stunden ablaufende Handlung mit zahlreichen Rückblenden und Erinnerungssprüngen des Protagonisten versetzt, um am Ende alle Teile wie in einem Puzzlestück gekonnt ineinanderfallen zu lassen. Sollte „Angst über der Stadt“ stilprägend fürs französische (Action)kino werden, ist „Der Körper meines Feindes“ meiner Meinung nach der eigentliche Klassiker, der in seiner Anlage und Erzählstruktur vermutlich mindestens so oft kopiert worden ist wie sein vorgänger – im Gegensatz zu ihm jedoch international. Belmondo ist ein cooler Hund, abgebrüht und mit allen Wassern gewaschen, nachdem er nach 7 Jahren Knast vorzeitig entlassen wird, und im Grunde nur herausfinden möchte, wer ihm den Mord, für den er unschuldig einsaß, angehängt hat. Teilweise mit märchenhaften Elementen angereichert, wirkt der Film dadurch fast wie ein Abschiedswerk für Belmondo: Eine Hommage an seine Leinwandfigur und seine bisherigen Rollen. Der mit Melancholie und Nostalgie vollgesogene Film, schwankt dabei zwischen abgrundtiefem Zynismus und lockereren humoristischen Einlagen, in einer Welt ohne Gott, aber nicht ohne Moral. Als Zeitbild der Vergangenheit in der Gegenwart, wirkt er absolut angemessen für die (wiederum) selten klare (manche mögen vielleicht sagen beinahe biedere) Inszenierung Verneuils, der nur beim finalen Mord zu einer wirkliche gegenwärtigen Aussage kommt, und ansonsten inklusive teilweise klassisch brillanter Dialoge wie eine von ihrer Zeit befremdete Reflexion über die jüngere gesellschaftliche Entwicklung Frankreichs und des populären französischen Kinos wirkt. Und wenn es einen Film gibt, der der Ikonisierung seines Hauptdarstellers dient, dann diesen. Wobei „Angst über der Stadt“ aber natürlich auch nicht weit von dieser Wirkung entfernt ist (die sich meiner Meinung nach auch als eine wichtiger Teil der Funktion, des Konstrukts beider Filme erweist).
Was ich zu „Angst über der Stadt“ noch zu erwähnenvergessen hatte: ein reaktionärer jedoch sympathischer Film über die Polizei, der seinen tumben Verallgemeinerungen im vorgegebenen Kontext unerwartete Momente des Tiefgangs folgen lässt. Ein selbstreflexiver Eskapismus, bei dem man dem Polizisten am Ende des Films sogar noch alles gute wünscht, und zuweilen den Eindruck nicht los wird, der Regisseur hätte sogar unbemerkt Elemente der Milieustudie in die Kolportage eingeschmuggelt. Zumindest für diese eigenartige (wenn auch für die 70er teilweise typische) Mischung gibt es von mir einigen Respekt. Was ich aber wohl wirklich mal machen sollte: Den bisweilen unterschätzten „Lautlos wie die Nacht“ (1963) noch einmal schauen und unter den älteren Filmen Verneuils herumwühlen. Kleine Gedankennotiz: den beinahe zeitgleich entstandenen ebenfalls unterschätzten und nicht minder brillanten „Wie Raubkatzen“ (1964) von René Clément ebenfalls noch einmal ansehen. Irgendwie merkt man, dass in den 70ern eine ganze Ära des Nachkriegsfilms (der stilistisch eigentlich bis in die Anfänge des Tonfilms zurückreichte) endgültig zu Ende ging. Auch in Frankreich.




August


16. I sette gladiatori „Sieben Gladiatoren“
[falsches Bildformat / deutsche Synchro/ gekürzte Fassung]
Pedro Lazaga 1962 Italien, Spanien

Die Hauptrolle spielt Richard Harrison, einer meiner bevorzugten Darsteller, ein Lieblingsschauspieler, den ich zunächst durch Godfrey Ho schätzen gelernt, im Sandalenfilm jedoch noch nicht wirklich erkundet habe – obwohl er damit wohl zunächst zu Berühmtheit gelangt ist. Des Weiteren fiel mir mit dem Komponisten Marcello Giombini eine für mich jüngere Entdeckung ins Auge (dank geht hierbei an Christoph, der mich mit der großartigen späteren Synthesizer-Musik von Giombini bekannt gemacht hat).
Bereits die Eröffnungssequenz ist als Titelsequenz nicht bloßer Hintergrund, sondern eine durch schleichend-schwebende Kameraführung angelegte Erkundung von Räumen um die sich stetig mehrenden Flüchtlinge. Am Anfang erscheint hinter einer steinernen Stütze eine Gestalt, die mit aller Vorsicht eine Zellentür öffnet, langsam, um durch das Quietschen der Scharniere keine unerwünschte Aufmerksamkeit zu erzeugen, und ein Gefangener (ich vermute es) ist auf der Flucht. Zum Ersten gesellen sich ein Zweiter, ein Dritter, und so fort, bis es Fünf sind. Dabei geht es vor allem um das kurzfristige und notgedrungen eingeschränkte Erkunden der unmittelbaren Umgebung, gilt es doch den Wachen zu entfliehen. Es gelingt ihnen, und sie machen sich auf ihren Weg in die Heimat. Gefangene Roms sind sie gewesen, doch Richard Harrison war nicht unter ihnen. Harrison ist Gladiator, und wird erst nach einem spektakulären Kampf (der allein als Schauwert definitiv zum aufregendsten gehört, was die Gladiatorenarena im Kino zu bieten hat), den er gegen eine Überzahl für sich entscheiden kann begnadigt. Doch damit beginnt der Film erst. Zurück in seiner Heimat, wird er zum Spielball einer Intrige, und schafft es gerade noch rechtzeitig erneut mit dem Leben davon zu kommen. Da er als Held des Films natürlich doch noch den Kampf aufnehmen muss, trifft es sich gut, dass er mit einem Helfer zusammen die 5 Freunde ausfindig machen kann, die er in römischer Gefangenschaft kennen und schätzen gelernt hat, und sie nun zu siebt unter seiner Führung die Intrige vereiteln, und Harrison zum verdienten Sieg verhelfen können. Eine Art Buddy-Movie ist das, eine Reprise der Gruppendynamik aus Filmen wie „Die Sieben Samurai“ oder „Die glorreichen Sieben“, und das anfängliche Interesse an Handlung und Figuren weicht rasch den allzu bekannten Versatzstücken eines vorhersehbaren Buddy-Movies. Der Film will letzten Endes irgendwie alles sein: Lustig, Spannend, Brutal, aber auch wieder für die ganze Familie genießbar, und die Tatsache, dass er sich letzten Endes nicht sehr Ernst nimmt kommt ihm in diesem Fall nicht zu Gute. Nichtsdestotrotz bleibt er für Freunde des Sandalenfilms eine akzeptable Sache. Schade, dass der Film in der inzwischen auch schon etwas betagten DVD-Veröffentlichung von EMS mit einigen Mängeln ankommt. Er liegt leider nicht im richtigen Breitbildformat (ich schätze es handelt es sich um ein Seitenverhältnis von ca. 2.20 : 1), und, wie bei italienischen Filmen der 60er oft üblich, gekürzt vor. Ein Umstand der mir bei Sandalenfilmen besonders häufig auffällt, der sich mir jedoch nur schwer erschließt. Was um Gottes Willen musste bei diesen harmlosen Fantasy-Filmen nur immer wieder der Schere zum Opfer fallen? Die paar Minuten, die für den deutschen (oder allgemein ausländischen?) Verleih meist rausgekürzt worden sind, werden den Filmgenuß wohl kaum getrübt haben können. Fragen über Fragen. Es bleibt aber nun mal ein Thema, das mich immer wieder beschäftigt, und zu dem ich gerne etwas Literatur aufstöbern würde. Wie auch zu den „internationalen“ fassungen von chinesischen und Honkong-Filmen. Aber zurück zur DVD: Die deutsche Synchronisation ist leider ebenfalls arg lieblo geraten, wenn auch nicht völlig ungenießbar, denn für eine Sprachfassung die wohl in den 90ern oder Nuller Jahren fürs Fernsehen oder die Heimvideoveröffentlichung gemacht worden ist, bewegt sie sich weitestgehend auf annehmbarem Niveau. Dennoch bleibt der Film in der vorliegenden Fassung trotz dieser technischen Mängel ein sehenswertes Filmfragment, das zudem für die 1,99 Euro die ich bei Norma für die DVD bezahlt habe (und für die sie wohl noch bundesweit an einigen Orten zu finden sein dürfte) sogar noch eine lohnenswerte Akquisition darstellt. Denn, so sehr es mich auch schmerzt, dies konstatieren zu müssen: in besserer Form wird es dieses hierzulande weitestgehend unbekannte Kleinod wohl in absehbarer Zeit nicht zu erwerben geben. Dennoch träume ich manchmal immer noch von einer zukünftigen Heimvideo-Reihe, etwa von Koch Media, die sich zum Beispiel mit der gleichen Sorgfalt des italienischen Sandalenfilms annehmen würde, die sie in den letzten Jahren dem Italo-Western hat zukommen lassen. Das wäre dann mal wirklich ein Grund in freudentränen auszubrechen! Bis dahin bleiben jedoch die wenigen meist verstümmelten deutschen Versionen, neben dem fleißigen Aufzeichnen aus dem Fernsehen, die weiterhin einzige Möglichkeit sich diesen wichtigen Teil des populären italienischen Kinos auch in Deutschland zu erschließen.




Juli


15. Mobile Men
Apichatpong Weerasethakul 2008 Thailand

Statt eines eigenen Textes verweise ich lieber an den schön gelungenen, auch Online abrufbaren, Artikel von Dennis Lim der mich beim wiederholten Lesen der inzwischen aus finanziellen Gründen leider eingestellten britischen Filmzeitschrift Vertigo (zum Zeitpunkt ihres Bestehens mit die interessanteste Gegenwartsfilmzeitschrift), dazu animiert hat mir das dreiminütige Meisterstück endlich mal anzusehen. Mehr und interessanteres hätte ich dazu im Nachhinein wohl auch nicht zu sagen. Und Dennis‘ informationsreichem Text ist meine sofortige Wertschätzung des Films überhaupt erst zu verdanken, nicht zuletzt wegen der zunächst wahrscheinlich äußerst kryptisch anmutenden Verweise des größtenteils dialogfreien Werkes.


14. Vtackovia, siroty a blazni „Vögel, Waisen, Narren“
Juraj Jakubisko 1969 Tschechoslowakei

Musik, Gesichter, Bewegung – die Grundpfeiler des Kinos sind versammelt. Und heraus kommt eine Art „Jules und Jim“-Variation – ein (autobiographisch?) aufgeladenes Zeitbild einer verklärten Erinnerung. Erinnerungen spielen uns manchmal Streiche. Und das Leben ist gut für Allegorien. Der Tod am Ende des Films ist ein doppelter: Mord und Selbstmord. Ein Film wie ein Gefängnis. Und die Selbsterkenntnis als Tod im Kerker. Der Wunsch ist das, was für mich nach der Ansicht dieses Films übrigbleibt – der Wunsch des Regisseurs es wäre alles anders. Ein Spiritueller Film der Utopie – irgendwo zwischen Werner Herzog und Andrzej Zulawski, mit einem großen Schuß Zärtlichkeit. Die brutalsten Dinge sind die Sanften. Und die Masken brauchen wir, um den Blick in den Spiegel zu ertragen. Da alles in diesem Film falsch, aufgesetzt und behauptet ist, könnte man ihn auch als verzweifelten Versuch eines Zynikers werten wieder zur Ironie zurück zu finden. Verkrampft sein ist Methode. Denn die Welt ist verkrampft und Spontaneität nur als Versuch denkbar.

Gefühle aus zweiter Hand, in Bildern die wieder etwas zu entdecken versuchen. Film als Therapie. Vielleicht könnte so das Kino von Lew Kuleshow ausgesehen haben. Der Wille zum Experiment, zur Erkenntnis – aber ohne psychologischen Ballast. Wenn Vertov sagt, dass der Mensch Maschine werden soll – erscheint die Maschine in diesem Kontext als Erlösung des Menschen vom Grauen seiner Existenz. Weg vom Determinismus: hin zur reinen Bewegung. Ich hätte mir nach den ganzen „Neuen Wellen“ der 60er nicht den Abgesang der 70er sondern den Aufbruch der 20er wieder her gewünscht. Was wäre das für ein Kino geworden!!
Stattdessen bleiben uns die 80er. Die Apotheose der Moderne. Und der Rest ist Schweigen.




Juni


Filmische Leckerbissen im Juni

/Der Felsen/ (Dominik Graf / Deutschland / 2001)
/Jigoku no banken: akai megane/ „The Red Spectacles“ (Mamoru Oshii / Japan / 1987)
Fatal Attraction „Eine verhängnisvolle Affäre“ (Adrian Lyne / USA / 1987)
/The Big Sleep/ „Tote schlafen fest“ (Howard Hawks / USA / 1946)
Pursued „Verfolgt“ (Raoul Walsh / USA / 1947)
Spetters (Paul Verhoeven / Niederlande / 1979)
Slow Torture Puke Chamber (Lucifer Valentine / Kanada / 2010)
Flesh+Blood „Fleisch+Blut“ (Paul Verhoeven / USA, Spanien, Neiederlande / 1985)
Phenomena (Dario Argento / Italien / 1984)
/Braveheart/ (Mel Gibson / USA / 1994)
Streets of Fire „Straßen in Flammen“ (Walter Hill / USA / 1984)
Nayak „Der Held“ (Satyajit Ray / Indien / 1965)
Nu lan wu hao „Woman Basketball Player No. 5“ (Jin Xie / China / 1957)
Ragtime (Milos Forman / USA / 1981)




Mai


Brennendes Zelluloid im Mai

Chelovek s kino-apparatom „Der Mann mit der Kamera“ (Dziga Vertov / Sowjetunion / 1929)
Das zweite Gesicht (Dominik Graf / BRD / 1982)
Muriel ou Le temps d’un retour „Muriel oder Die Zeit der Wiederkehr“ (Alain Resnais / Frankreich, Italien / 1963)
Metropolis (Giorgio Moroder / USA / 1984)
Kirmes (Wolfgang Staudte / BRD, Frankreich / 1960)
20,000 Years in Sing Sing „20.000 Jahre in Sing Sing“ (Michael Curtiz / USA / 1932)
Taxi! (Roy Del Ruth / USA / 1932)
Safe in Hell (William A. Wellman / USA / 1931)
Act of Violence “Akt der Gewalt” (Fred Zinnemann / USA / 1948)
The Door in the Wall (Glenn H. Alvey Jr. / GB / 1956)


13. Taxi!
Roy Del Ruth USA 1932

Die Pre-Code Tonfilme haben manchmal einfach eine unglaubliche Frische und Beiläufigkeit, die es im Hollywoodkino seither nicht mehr gibt. Dieser Film ist ein Kuriosum, da er vor Einfällen nur so überquillt, die Regie von Roy Del Ruth aber wirkt, als wäre sie auf Autopilot. Selten habe ich einen erfahrenen Regisseur, sich so offensichtlich einen Scheißdreck um Stringenz, Spannung, Humor, Rhythmus oder sonstige Nebensächlichkeiten kümmern gesehen. Den Höhepunkt bildet dabei die undynamischste Verfolgungsjagd der Filmgeschichte. Zwei Autos, ein paar Schnitte – ganz so wie es eigentlich Vorbildhaft für die Parallelmontage sein müsste. Aber zwischen der grandiosen Verfolgungsjagd eines Suspense (1913) und diesem Film liegen kinematographische Kosmen. Natürlich könnte man das als einen großen beabsichtigten Moment des den ganzen Film durchziehenden Deadpan-Humors bezeichnen, der selbst Buster Keatons Stoneface als versteckte Gesichtsakrobatik outen würde. Egal was passiert – den Regisseur schert es (scheinbar) einen Scheiß. Eine wunderbare Attitüde, die mich nach dem grandios INSZENIERTEN „Malteser Falken“ (1931) nun ganz heiß auf mehr Filme von Del Ruth macht. Zum Glück hat er über 100 Stück gedreht.

Heutzutage einen Film so zu inszenieren beinahe unvorstellbar, und in New Hollywood auch nur ein bloßer Wunschtraum. Zu sehr sind wir mit der Filmgeschichte belastet und kriechen postmodern zu Kreuze, als dass eine beiläufige Verbindung von Kunst und Scheiße als solche überhaupt noch durchführbar wäre. Del Ruth hätte nach Fragen zu dem Film wahrscheinlich einfach die Achseln gezuckt, und auf die Autorentheorie angesprochen herzlich gelacht, um nur wieder auf seinen neuen Film zu verweisen. Der letzte ist eben der letzte, und nur so lange interessant solange ich ihn drehe.

Überhaupt: alles in diesem Film ist Behauptung. Und dennoch ist er dadurch näher am Leben als manch engagiertes Sozialdrama. Eine dieser Szenen: Cagney regt sich über Loretta Young auf, weil diese ihm bei einer Kundgebung in den Rücken gefallen ist, als sie Frieden statt Krieg unter den Taxifahrern forderte. Sie ohrfeigt ihn – er muß von seine Freunden abgehalten werden sie zu verprügeln, woraufhin er den Satz spricht: „wouldn’t go with that dame if she was the last woman on earth, and I just got out of the Navy.“
In der nächsten Szene stehen sie dann wie zwei frisch verliebte gemeinsam an der Kinokasse an.

Und Cagney, wie er ein liebenswertes Arschloch spielt. Er hat ein gewaltiges Aggressionsproblem, das, wie das Ausrufezeichen im Titel, den kompletten Handlungsverlauf bestimmt. Und dennoch ist man auf seiner Seite. Denn ohne dieses Verhalten gäbe es den Film nicht. So einfach ist das. Keine Moral, Keine Empörung. Cagney ist ein egoistisches Arschloch in einer Komödie die keinen Hehl daraus macht, dass das Leben halt läuft wie es läuft, und das man nicht Freud mit Sophokles kombinieren muss, um eine funktionierende Figurenpsychologie zu entwickeln.

Überhaupt Funktion: Dieser Film ist ein einziges Spiel mit Filmklischees, Postmodern bis zum geht nicht mehr. Und dennoch klassisch, weil völlig unverkrampft, denn bei aller laissez-faire Attitüde ist er eben genau das, was die meisten Filme heutzutage nicht mehr sind: funktional. Eine dramatische Screwball-Gangster-Komödie, als Schmierentheater vom feinsten. Ein Wahnsinnsfilm.


12. 20,000 Years in Sing Sing „20. 000 Jahre in Sing Sing“
Michael Curtiz USA 1932

Mein 17. Film von Michael Curtiz, und am liebsten würde ich sofort alle noch einmal anschauen. Es ist wirklich schleierhaft, dass Curtiz meist immer noch nicht die Anerkennung bekommt, die er verdient. Als Regisseur von über 150 Filmen teilt er wohl das Schicksal mit Leuten wie Raoul Walsh und John Ford, die einfach zu viel gedreht haben, als dass sich die meisten Leute mit der unüberschaubaren Menge von Filmen intensiver beschäftigen würden. Und im Gegensatz zu Ford konnte man ihn nicht in eine Genreschublade (ab)schieben. Sein Stil ist nicht unbedingt leicht klassifizierbar, aber ich würde sagen, dass es oft um Gesellschaftsspiele und Allegorien des Alltags geht. Mesit erscheint Curtiz als Pessimist, der dem Zuschauer immer wieder gerne eine reinwürgt um zu sagen: seht, so ist das Leben. Scheiße, aber was kann man machen?
Vieles davon könnte man als puren Zynismus bezeichnen, gäbe es nicht immer genuines Interesse an den Figuren und ihren Problemen, wobei er an besseren Tagen aber auch viel Altersmilde walten lässt. Seine Charaktere sind immer vielschichtig und voller Schwächen, und beweisen meistens Größe in ihrer Einfalt. Und egal was er filmt, und wie sehr er formal zu brillieren vermag, legt Curtiz stets den Fokus auf die Personen und ihre jeweilige Geschichte. Das Allgemeine erwächst also stets aus dem Spezifischen.

Wie auch immer, es wird höchste Zeit, dass mal jemand ein Buch über sein Schaffen veröffentlicht, einen 1000-seitigen Wälzer, eine Studie, wie sie zum Beispiel Tag Gallagher über Ford verfasst hat. Aus Bewunderung und Liebe zu dem Mann und seinen Filmen! „20 000 Jahre in Sing Sing“ ist ein düsteres Portrait des Geistes seiner Zeit, rauh und am Puls von Amerika. Experimentierfreudig in Ton- und Lichtgestaltung, direkt in den Dialogen und dem Schnitt. Ein Pre-Code Film vom Feinsten. Spencer Tracy ist großartig (die erste Schauspielleistung von Tracy die mich aufgrund seiner Vielschichtigkeit begeistert), Bette Davis ebenfalls, und jeder Kleinstdarsteller scheint exakt in seine Rolle zu passen (überhaupt scheint die Arbeit mit allen Schauspielern Curtiz‘ geheime Stärke zu sein). Der Film besitzt starke Anflüge von Noir und Neo-Realismus, kombiniert mit expressionistischen Tendenzen die im Set-Design manchmal bis zur Abstraktion reichen. Eigentlich platzt der Film aus allen nähten, schlägt nach allen Seiten aus, und hat Ideen für 10 Spielfilme. Dass es oft nicht weiter auffält ist aber typisch für Curtiz, denn er hält mit seiner Regie alle Fäden im Griff. Vielleicht auch ein Grund für die geringschätzung von Curtiz: Man findet so viele Dinge die man an seinen Filmen bewundern kann, dass die eigentliche Regieleistung die dieses Zusammenspiel erst ermöglicht dabei in Vergessenheit zu versinken droht, zumal wenig autobiografisches oder sonstwie mythologisches mit Curtiz‘ Persona verknüpft worden ist. Dass er sich seinen Filmen immer wieder bewusst zu entziehen scheint, verstärkt bei mehrmaligem Sehen paradoxerweise aber noch den Eindruck, dass er nicht hinter, sondern in seinen Filmen verschwindet. Ein wenig so, als ob der Dirigent zum Orchester mutieren würde, indem er das Orchester so brillant vorbereitet, dass Sie ohne ihn spielen können, und es wieder übertragen auf seine Filme den Eindruck macht, als hätten sie sich selbst gedreht. Das Studiosystem von Hollywood erscheint durch genau seine Werke, wie eine geölte Maschine, die die Filme durch ihre schiere Präsenz in die Form zwingt, welche die Regeln der Industrie zu bestimmen scheinen. Natürlich ist das ein Trugschluss, und Curtiz vielleicht eines der prägenden Beispiele eines Regisseurs für so etwas wie den „Stil einer Epoche“. Da er scheinbar nicht glänzt indem er sich vom Umfeld abhebt, sondern indem er die geforderten Leistungen übererfüllt. Ein Perfektionist der scheinbaren Improvisation. Vielleicht passiert das mit allen Regisseuren die ständig drehen. Sie werden so gut und so versiert, dass sie vom Fleck weg Brillanz erziehlen können, ohne dabei eine formale Geschlossenheit anzustreben zu brauchen. Ein wenig fühlte ich mich bei „20. 000 Jahre in Sing Sing“ an Dominik Graf erinnert, in der Sicherheit ein hohes Tempo vorlegen zu können, und in der Fähigkeit 75 Minuten bis zum Bersten mit Leben und Vitalität anzufüllen.

Michael Curtiz ist jedenfalls großartig, und dieser Film ist nur eines von vielen Kunststücken die er scheinbar im Fließbandtempo abzuliefern vermochte, und ein weiterer Beleg, dass sein Name eigentlich in einem Atemzug mit Leuten wie Ford, Hawks oder Huston genannt werden müsste.




April 2011


Highlights im April

Tong nien wang shi „Zeit zu Leben, Zeit zu Sterben“ (Hsiao-hsien Hou / Taiwan / 1985)
Liebe kann wie Gift sein (Veit Harlan / BRD / 1958)
Die Sieger (Dominik Graf / Deutschland / 1994)
Den Dovnes Himmerige „Der Himmel der Faulpelze“ (?? / Dänemark / 1918)
John MacFadyen (Margaret Tait / GB / 1970)
Der scharlachrote Engel (Dominik Graf / Deutschland / 2005)
Tian xia di yi quan „Zhao – Der Unbesiegbare“ (Chang-hwa Jeong / Hongkong / 1972)
Hidden Agenda „Geheimprotokoll“ (Ken Loach / GB / 1990)
Le passager de la pluie „Der aus dem Regen kam“ (René Clément / Frankreich, Italien / 1970)
/La Habanera/ (Detlef Sierck / Deutschland / 1937)
Okraina „Outskirts“ (Boris Barnet / Sowjetunion / 1933)
/Topio stin omichli/ „Landschaft im Nebel“ (Theodoros Angelopoulos / Griechenland, Italien, Frankreich / 1988)
/The Shock/ (Lambert Hillyer / USA / 1923)
Suspense (Phillips Smalley, Lois Weber / USA / 1913)
Die Stimme des Herzens (Karl Heinz Martin / Deutschland / 1937)
Tsumetai nettaigyo „Cold Fish“ (Sion Sono / Japan / 2010)


Es war einmal das Leben: Die BRD

Staunen, Lachen, und nochmal Stauen: Spiel, Spaß, und Spannung mit der BPjM vor 20 Jahren:

http://www.spiegel.de/video/video-1106156.html

Könnte im heutigen Unterschichtenfernsehen ganz ironiefrei als Realsatire laufen. Da kommen Erinnerungen an die Jugendjahre hoch, als ich noch einen Fernsehanschluß hatte, und bei den Teletubbies wie auch bei Richterin Barbara Salesch ungläubig staunend vor diesem surrealistischen Etwas in die Knie ging und für einige Minuten einen hypnotischen Bewusstseinsrausch erlebte. Da hat mir doch jemand was ins Leitungswasser gemischt, oder: LSD für die Massen. Und was für Zeiten, als man noch glaubte „Daily Talks“ seien das außerirdischste was den TV-Machern überhaupt irgendwie einfallen könnte.

Ich würde natürlich liebend gern in meiner Frezeit in die BPjM der späten 80er zurückreisen, aber vielleicht würde es ein Schulklassenbesuch in der Gegenwart auch noch machen:

Anfangs verbot die Prüfstelle alles, was „sozialethisch desorientieren“ könnte – Sex, Drogen, Gewalt. Viele Entscheidungen wirken heute skurril, sie atmen den Geist einer Bewahrpädagogik, mit der die Jugend von allen schädlichen Einflüssen ferngehalten werden sollte. (Spiegelartikel von 2009)

Und kurz danach:
„Manches würden wir heute sicher nicht mehr verbieten“, sagt Petra Meier.

Hach, Klassenlehrer für einen Tag müsste man sein.




März 2011


Empfehlungen: März 2011

Gothic (Ken Russell / GB / 1986)
6 kurze Filme von Klaus Schneider (Klaus Schneider / Deutschland / 2010, 2011)
Foutaises „Things I Like, Things I Don’t Like“ (Jean-Pierre Jeunet / Frankreich / 1989)
Unsichtbare Tage (Eva Hiller / Deutschland / 1991)
/The Missouri Breaks/ „Duell am Missouri“ (Arthur Penn / USA / 1976)
Supertramp Portrait 1970 (Haro Senft / BRD / 1970)
Das Nürnberger Bett (Alexander Titus Benda / BRD / 1983)
/Verrückt bleiben – verliebt bleiben/ (Elfi Mikesch / Deutschland / 1997)
Ginevra (Ingemo Engström / Deutschland / 1991)
Se ying diu sau „Die Schlange im Schatten des Adlers“ (Woo-ping Yuen / Hongkong / 1978)
The Other Guys „Die etwas anderen Cops“ (Adam McKay / USA / 2010)
Unter dir die Stadt (Christoph Hochhäusler / Deutschland, Frankreich / 2010)
Le juiff errant „The Wandering Jew“ (Georges Méliès / Frankreich / 1904)
La semana del asesino „Cannibal Man“ (Eloy de la Iglesia / Spanien / 1972)
Pomeriggio caldo „Afternoon – Stunden der Leidenschaft“ (Joe D’Amato / Itlaien / 1987)


11. Unter dir die Stadt
Christoph Hochhäusler Deutschland, Frankreich 2010

Alice im Wunderland. Nicolette Krebitz wandelt durch eine seltsame Welt, weiß nicht genau wo und wie sie da hingekommen ist. Sie trifft auf die rote Königin, und erkennt, dass sie gar nicht aus einer anderen Welt kommt, sondern selbst ein Teil des Wunderlandes ist. Eine Lösung bietet sich dadurch nicht, aber ihr wird klar, dass sie genauso ist wie die anderen Figuren, von denen sie sich anfangs noch gerne abgehoben hätte. Um Erkenntnis geht es in diesem Film, um Selbsterkenntnis der Figuren. Um die Erkenntnis, dass hier alles nur ein Spiel ist, bestehend aus Lüge, Betrug und Manipulation – und man spielt deshalb, weil es außerhalb davon nichts gibt. Die Welt wie man sie sucht, wie man sie gerne hätte, der Ausgang, der Tunnel durch den man hineingeraten ist und durch den man auch wieder hinaus möchte, ist eine Illusion, und Alice ist eben von Geburt an Teil der Geschichte. Klingt fatalistisch, aber es kommt noch schlimmer: Liebe gibt es nämlich auch nicht in diesem Land.
Hochäusler hat nach seinem für mich enttäuschenden Langfilmdebut Milchwald (2003) einen großen Schritt nach vorne getan. Der Film hat mich gepackt, überrascht und mir Dinge gezeigt, die ich so im deutschen Kino gerne sehe: Robert Hunger-Bühler ist eine Sensation, und wie er mit Kopfhörern am PC als Nosferatu der Gegenwart in die Welt seines Opfers eintaucht, eines von vielen intensiven Momenten dieses auch akkustisch eindringlich gestalteten Filmkristalls. Interessant auch die Entscheidung den vermeintlichen „Bösewicht“ als Sympathiefigur zu inszenieren. Neben all den ekelhaften Personen (Nicolette Krebitz habe ich als Figur noch nie so abstoßend gesehen), nimmt sich seine ehrliche Selbsttäuschung und seine Suche nach Leben, nach Licht, beinahe ähnlich ergreifend aus, wie die Figur Max Schrecks bei Murnau. Nur gibt es hier keine Mina die ihn erlöst, und den Tag kann er sich nur erstehlen – als Idee.
Das Ende ist dann wahrlich grauenerregend. Wenn diese beiden Personen zusammen kommen, in dieser Welt, der Mann und die Frau: eine Apokalypse, und man hat den Eindruck die Menschenmassen beginnen aus Schrecken vor den Beiden zu fliehen. Das Ende der Welt nach der Vereinigung von Leere.

Und was ich 2010 schon hatte schreiben wollen: Die Berliner Schule ist spätestens seit den letzten Filmen von Arslan und Schanelec (zum Glück?) definitiv vorbei. Eine historische Phase die man nun retrospektiv betrachten kann. Mir gefällt das, und ich freue mich schon sehr auf die nächsten Filme von Hochhäusler und Co. 🙂




Februar 2011


Entdeckungen und Wiederentdeckungen: Februar 2011

/Khaneh siah ast/ „The House is Black“ (Forugh Farrokhzad / Iran / 1962)
Superman II (Richard Donner / USA, GB / 2006)
Les raisins de la mort „Foltermühle der gefangenen Frauen“ (Jean Rollin / Frankreich / 1978)
/A View to a Kill/ „Im Angesicht des Todes“ (John Glen / GB, USA / 1985)
Ging chat goo si „Police Story“ (Jackie Chan / Hongkong / 1985)
Xiao quan guai zhao „Zwei Schlitzohren in der Knochenmühle“ (Jackie Chan, Kenneth Tsang / Hongkong, Südkorea / 1979)
Japan, Tokyo in 1962 (Michael Rogge [Zusammenstellung?] / Japan / ??)
Hong Xi Guan „Executioners from Shaolin“ (Kar-Leung Lau / Hongkong / 1976)
10:15 Saturday Night (Grey Daisies / Österreich / 2010)
Die Fremde (Feo Aladag / Deutschland / 2010)
Orly (Angela Schanelec / Deutschland, Frankreich / 2009)
Barravento (Glauber Rocha / Brasilien / 1961)
/Felidae/ (Michael Schaack / Deutschland / 1994)
In the Cut (Jane Campion / USA, GB, Australien / 2003)
Mädchen – Mädchen (Roger Fritz / BRD / 1966)
Thief (Michael Mann / USA / 1981)


10. In the Cut [deutsche Synchro]
Jane Campion 2003 USA, GB, Australien

In einer interessanteren Welt würden Jane Campions Filme vielleicht regelmäßig in Multiplexkinos laufen. In unserer sind sie für Programmkinos schon fast zu schade. Erst mein zweiter Film von ihr, aber ich habe das Gefühl Campion macht Unterhaltungsfilme nach meinem Geschmack. Unterhaltungsfilme mit Köpfchen, die zum Denken anregen, die gerne denken. Infotainment – so könntest du aussehen! Also eigentlich genau das richtige für einen entspannten Sonntagnachmittag. In the Cut hat viel verschenktes Potential. Der Killer ist leider nicht der Lover von Meg Ryan, sondern natürlich sein Polizeikollege. Und der schwarze Student entpuppt sich eben auch nur als schwarzer Student. Aber vielleicht sollte man bei Campion eben nicht danach schauen, was nicht vorhanden ist, sondern was da ist. Kamera, Stilwillen, genuines Interesse an Figuren, aber auch an Auslassungen, Momenten, den Nebensächlichkeiten die sonst auch noch in der gelungensten Hollywoodproduktion ausgemerzt würden. Also saß ich mit staunenden Augen da, und wunderte mich ob der Freiheiten dieses Films. Bewundernswert also weil es leider zu wenige dieser Filme gibt. Ein Genrefilm der sich fast gar nicht darum kümmert ein Genrefilm zu sein. Also ein Psychothriller über einen Serienkiller, der lieber Charakterstudie und vor allem ein Frauenfilm ist. Man stelle sich etwa vor in „Grüne Tomaten“ liefe ständig ein Serienkiller rum. So empfand ich das jedenfalls. Wenn ein männlicher Regisseur mit solcher Natürlichkeit mit den Situationen seiner Protagonistin umgegangen wäre, das wäre dann wohl wirklich eher eine Studie, eine Ergründung geworden. Hier aber inszeniert eine Frau mit der gleichen Selbstverständlichkeit ihre Frauen, wie sonst die Männer ihre Männer. Und der Mann ist hier dann auch konsequenterweise das Objekt, das Mysterium. Manches wirkt innerhalb der Szenen wunderbar improvisiert. Großartig in diesem Zusammenhang die Begegnungen zwischen Mark Ruffalo und Meg Ryan. Er spielt, sie reagiert. Oder besser: er agiert, geriert sich, macht was geniale Schauspieler so machen. Und Meg Ryan versucht mit ihm mitzuhalten. Die Unsicherheit im Schauspiel als Grundvoraussetzung der Rolle erkannt, hat Campion hier vielleicht was richtig gemacht. Viel müsste man über diesen Film schreiben. Auf jeden Fall auch ein Feel-Good-Movie wie ich sie mag. Und zum immer wieder sehen. Campions Filme sind zum immer wieder sehen wie früher Disneycartoons oder Sandalenfilme. Weil sie Spaß machen. Und weil das Aufhalten in ihren Bildern und Möglichkeitsfeldern Spaß macht. Wahrscheinlich ist das auch ein idealer Film für einen zugänglichen cineastischen Einstieg in sowas wie Gender Studies. Notiz für den nächsten Campion-Film: Die Momente genießen, und nicht zu viel erwarten.


9. Hong Xi Guan „Executioners from Shaolin“
Kar-Leung Lau 1976 Hongkong

Beim Betrachten dieses Films und den vorherigen Bemerkungen zu Regisseur Lau Kar-Leung aus Bey Logans Buch „Hongkong Action Cinema“ (1995) die mir noch ein wenig im Kopf herumgeisterten, stellte sich mir die berühmt-berüchtigte Frage, was Lau von Chang Cheh vielleicht grundlegend unterscheidet. Nähert man sich dieser Frage vom Blickwinkel des „Realismus“, könnte man wohl sagen, dass Chang jenseits und Lau dieseits von diesem Begriff angesiedelt sind. Chang also als Träumer, Märchenerzähler, flüchtender aus der Welt (auch der physikalischen Erscheinungen), und Lau als bodenständigerer, nüchterner Erzähler im klassischeren Sinne, der eine Analyse oder zumindest Auseinandersetzung der physikalischen Erscheinungen sucht. Dafür sprächen auch Laus reale Kampfkünste, die bei Chang vermutlich nie da gewesen sind. Chang also als Imagination des Kampfes, dem Laus Kampfchoreographien in seinen 70er Jahre Filmen nur bedingt zugute kamen, während Lau seine Lebensphilosophie (möglicherweise nicht unähnlich einem Bruce Lee) aus dem „konkreten“ Kampf extrapoliert. Dadurch wäre seine Schaffenskunst auch eher auf dem Prinzip der Erfahrung aufgebaut, der Erforschung und des Studiums, während Chang intuitiver, ja von Grund auf spiritueller vorgegangen wäre. Chang würde ich damit eher in die spirituelle Richtung von King Hus Kino einordnen (Wenn man King Hu als Metaphysiker, etwa in Anlehnung an Tarkowskij betrachtet), jedoch weniger selbstreflexiv, sozusagen ein Kino der Emotionen und des Melodrams, ohne postmoderne Ansätze. Etwas pauschal wäre meine Schlussfolgerung, dass Changs Filmkünste daher am Anfang seiner Laufbahn im Zuge einer „frischen“ Inspiration möglicherweise am höchsten einzuschätzen wären, wohingegen die Filme Lau Kar-Leungs mit zunehmendem Alter an Qualität gewinnen müssten. Lau Kar-Leung also als Entwicklungsroman und Stehaufmännchen, wobei im Sinne der Hauptfigur seines „36th Chamber of Shaolin“, eine spätere spirituellere Richtung möglich wäre. Ich bin gespannt, inwiefern sich seine späteren Filme Changs „Stil“ und Interessen anähern, oder ob das bloß eine Illusion ist. Auf jeden Fall muss ich mehr seiner aktuelleren Werke sehen, und es wäre zu wünschen, dass Lau sich als Regisseur noch nicht ganz aufgegeben hat, obwohl sein letzter Film inzwischen schon 9 Jahre alt ist, und Lau mit 74 Jahren nun auch nicht mehrganz taufrisch ist. Aber wie man anhand von Oliveira oder Kaneto Shindô sieht ist bei bleibender Gesundheit wenig unmöglich. Und Lau Kar-Leung hat wohl die Physis noch mindestens 120 zu werden. 🙂


8. Ging chat goo si „Police Story“
Jackie Chan 1985 Hongkong

Am Anfang war ich über das rohe des Films überrascht, über den irritierend abrupten Schnitt, da das alles für einen kommerziellen Hongkong-Film der damaligen Zeit für mich sehr handgemacht aussah. Aus Stein gehauen, sozusagen. Aber der Anfang ist Konzept, und das bruchstückhafte, szenische wird den Film durchziehen. Zum Glück, wie sich herausstellen sollte. Mein erster Film von Jackie Chan war das. Hatte ihn zuvor schon in Hongkong- und Us-Filmen gesehen, aber bisher meist nichts aufregendes, besonderes, originäres. In Vehikeln, sozusagen – u.a. einem äußerst dürftigen Martial Arts-Film von Wei Lo, der auf Grund ähnlicher Gurken wohl einen schlechten Ruf unter ausländischen Fans von Hongkong- Filmen genießt. Zu Unrecht, wie ich letztes Jahr glücklicherweise feststellen durfte, denn er scheint ganz im Gegenteil einer der besten Regisseure dieser kleinen Filmmetropole zu sein. Dass Jackie Chan in seiner Regie einiges von ihm übernommen hat, scheint außer Frage. Am Anfang hätte ich Sie nicht erkannt: Maggie Cheung und Brigitte Lin. Es sind noch die Anfänge der 80er, und Chan ist auf eine Art von Realismus aus, die sich konträr zu den Filmen der Shaw Brothers ausnimmt, aber in Produktionen von Raymond Chow wahrscheinlich zum Standard gehört. Die meisten „unabhängigeren“ Produktionsfirmen hatten in Hongkong wohl wenig Geld, und so sehen die Filme auch aus. Bei Chow ist das auch in Filmen von Superstars wie Bruce Lee und Jackie Chan der Fall. Etwas was mir gefällt. Der Unterschied zu den billigsten Schundfilmen der damaligen Zeit erscheint minimal. Aber ich kenne mich im Hongkong-Kino viel zu wenig aus, um irgendwelche größeren Zusammenhänge erfassen, geschweige denn überblicken zu können. Daher ist das auch ein wenig stochern im Nebel.
Der Film selbst ist eine One-Man-Show der Sonderklasse. Jackie Chan als Epizentrum beherrscht fast alle Aspekte. Und man merkt, dass er sich anders inszeniert als es sonst im Kino üblich ist. Nicht als Filmstar, sondern als Phänomen. In der Tradition von Stummfilmkomikern, vor allem von Buster Keaton, ist seine Physis hier nicht so sehr Ausdruck narzisstischer Selbstbeweihräucherung oder von Ermächtigungsphantasien (wie z.B. bei Bruce Lee oder Yu Wang), kein Mittel zum Zweck, sondern die Triebfeder, aus der alles entspringt. Wie bei Buster Keaton kann das dann zu einem Körperkino in Reinform führen – Action und Slapstick in ihrer idealen Ausprägung. Ich hatte auch das Gefühl hier etwas genuin Neues zu erblicken. Eine Art von Kino, die es vorher nicht gegeben hat. Und eben das ist wohl auch der Grund für das Versatzstückhafte, Zusammengeschusterte von „Police Story“. Chan nimmt bekannte Elemente und ordnet sie auf eine Art, die den konventionellen „Regeln“, wie ein Film gewöhnlich auszusehen hat zuwiderläuft. Und vermeintlich unvereinbares geht hier so eine glückliche Symbiose ein, dass das Hongkongkino danach wohl nie wieder das Gleiche war. Von daher denke ich, dass der Film die gleiche revolutionäre Stellung besitzt wie etwa die ersten Martial-Arts-Filme von Cheh Chang, King Hu und Bruce Lee.
Noch nie habe ich mich bei einem Film so sehr für die Stuntarbeit zu begeistern gewusst. Daher auch ein Stück Zirkusvorstellungsgefühl, da diese Kabinettstücke immer im Mittelpunkt stehen. Wieder eine Parallele zu Buster Keaton – wie auch die ganz eigene und wahnwitzige Dynamik von Chans Inszenierungskunst. Man muss sich von diesem Film einfach überraschen überrolen lassen. Und spätestens beim Schlusskampf, merkt man was für eine Herzensangelegenheit dieser Film wohl gewesen sein muss. Wenn alle Amateurproduktionen mit soviel Einfallsreichtum, Herzblut und schierer Willenskraft gemacht wären, könnte die routinierte Filmindustrie einpacken, bzw. nur noch als Reservoir dienen aus dem etws entspringt, etwas hervorgebracht wird, das im besten Falle als Handwerk bezeichnet werden könnte. Routine als Grundlage als Nährboden für das Eigentliche – und nicht als lähmender Mief der ins Knochenmark des Kinos dringt.
Jackie Chan ist mit „Police Story“ zu den Ursprüngen des Kinos zurückgekehrt. Bewegung, Schaulust, Attraktion – und alles Handgemacht. Nach diesem Erlebnis möchte man aufstehen, eine Kamera in die Hand nehmen, und selbst einen Film drehen. Also doch eine Ermächtigungsphantasie. Denn durch diese Ursprünglichkeit, merkt man wieder einmal was im Film alles möglich ist, und träumt den Traum vom Kino wieder und wieder: Die Illusion des Perpetuum mobile, wenn man in seinem Sitz dem Ablauf des Films ausgeliefert, gar nicht mehr will, dass er aufhört. Und wenn er vorbei ist, weiß man, dass in der (vermeintlichen) Wiederholung der Reiz verborgen liegt. „Police Story“ zu schauen ist also auch ein wenig wie Achterbahnfahren. Aber genug des Gequatsches. Schaut euch den Film an. Er ist ein Meeeeeeisterwerk.


7. Superman II
Richard Donner 2006 USA, GB

Ein wunderbares Märchen. Eine grundnaive Geschichte. Der Traum vom American Dream. Alles was Superman ausmacht, hat Richard Donner auf kongeniale Weise auf die Leinwand zu zaubern gewusst. Es ist fast schon magisch, diesen Donner-Cut zu sehen, dieses was wäre wenn. Genauso magisch und wunderbar wie es Märchen eben sind. Disney hätte in den 30ern und 40ern vielleicht etwas ähnliches geschaffen. Und Dave Fleischer hat es mit den frühen Superman-Trickfilmen unter Beweis gestellt. Sie sind immer noch das Maß der Dinge, und Donner tut gut daran, sich ihnen soweit wie möglich zu nähern, und doch den Bezug zur Realität der 70er zu suchen. So wie die Trickfilme von Fleischer sich aus den 30ern und 40ern genährt haben, indem sie z.B. auch das Grundgefühl des „film noir“ atmen (und dem sie in zukünftigen Filmgeschichtsbüchern hoffentlich endlich auch mal ohne Einschränkungen zugerechnet werden könnten), so bedient Fleischer die aufkommende Nostalgiewelle der 60er und ihre kritische (und satirische) Befragung der 70er auf eine Art, die in den bereits den Duft der typischen Postmoderne der 80er atmenden Bearbeitungen von Richard Lester vergeblich gesucht werden kann. Ich möchte hier zwar nicht Donners und Lesters Konzeptionen gegeneinander ausspielen, aber doch bemerken, dass ich Donners vermeintlich „zeitloses“ Konzept der Vermischung zahlreicher Ebenen bei Beibehaltung des protoytpischen Glaubens an die inzwischen auch gesellschaftlich völlig überholten Ideen des Originals, definitiv vorziehe. Im Grunde ist Donner hier Postmodern per definitionem. Die Art der Postmoderne, die sich nämlich schon in den Filmen eines John Ford (oder an anderer kultureller Stelle bei Ozu) finden lässt. Waren Ford oder Ozu aber auf eine Gewisse Art ihrer Zeit voraus, trifft Donner den Zeitgeist aufs Genaueste. Das heißt zwar, er ist kein Innovator, aber er hat von Ford gelernt. „Print the Legend“, in einer Zeit in der es alle machen, weil sie sich vor lauter Zynismus und Resignation, der Lüge hingegeben haben.
Wenn Ford meiner Meinung nach damals einer der wenigen Amerikaner war, dem die Wahrheit hinter dem Mythos seiner Filme durchaus klar war, so ist Donner zu seiner Zeit (und vor allem in Hinblick auf später) einer der wenigen, dem bewusst ist, warum man den Mythos dennoch braucht, bzw. warum er überhaupt erst entstanden ist. Da die Menschen zu feige sind, mit der Realität zu leben, schenkt man ihnen etwas, woran sie sich aufrichten können. Ein Placebo ist ein Placebo ist ein Placebo. Aber wie hat man es bei Obama zuletzt wieder einmal erleben können: selbst die platteste Attitüde, das billigste Requisit, reicht aus, um einen Verzweifelten aufzurichten. Yes we can, indeed. Donner verkauft aber im Gegensatz zur Politik keine Worthülsen, denn selbst einem Fünfjährigen ist das magische und im Wortsinne übernatürliche Element der Supermangeschichte klar bewusst. Und der Appell an den Glauben ist eben nur das. Ein Apell an die Phantasie, an eine Idee, die so nur in der der kulturellen Praxis zu finden ist. Ein Ritual, welches eben Sinn als solches stiftet.
Als Comicverfilmungen einer Superheldengeschichte sind Donners zwei Superman-Teile vorbildhaft, da sie sich wie gesagt auf den Comic einlassen, ohne die Vision dahinter zu vernachlässigen. Etwas, was 10 Jahre später Tim Burton mit seiner ersten Batmanverfilmung auf ähnliche Art gelungen ist (und das z.B. auch John Milius in seiner Conan-Verfilmung berücksichtigt hat). Schade, dass die Regisseure heutzutage mit diesen Konzepten weniger anzufangen wissen, da sie Glauben, die Welt wäre heute brutaler und erbarmungsloser als noch vor 100 Jahren, und die Träume würden heute härter werden. Genau das Gegenteil ist natürlich der Fall, wenn Raimi, Nolan und Konsorten nicht genügend Glauben an sich selbst aufbringen können und im Grunde ihre persönlichen Befindlichkeiten (oder die der Welt) in die Superheldenthematik einarbeiten. Was sie leider übersehen, ist die Falle der Lächerlichkeit, in die sie mit ihrer Unentschlossenheit und der Unfähigkeit ihren Zynismus zur Gänze abzulegen, unweigerlich hineintappen. Eine Lächerlichkeit, der sich Donner und Lester bewusst waren. Und während Lester sie als solche Auszustellen versuchte, setzte Donner sich einfach über sie hinweg. Weil es sie nicht zu bekämpfen, sondern zu erfassen gilt. Die Grenzenlose Naivität des Menschen birgt schließlich das Potential zu träumen. Das bedauerliche unserer Zeit ist deshalb wohl die Tatsache, dass eine Supermanverfilmung von Michael Bay oder Roland Emmerich gelungener als eine von Darren Aronofsky oder David Fincher ausfallen würde. Oder war Richard Donner vielleicht doch eine Ausnahmeerscheinung seiner Zeit, sozusagen eine glückliche Mischung aus Spielberg und Ashby? Und wie hätten die beiden Supermanteile ohne Einmischung der Produzenten ausgesehen?
Und der Dritte Teil, wenn Donner je einen gedreht hätte? Vor allem Letzteres hätte im Klima der 80er wohl der ganz große Wurf, das sprichwörtliche Meisterwerk werden können, welches Donner in den ersten beiden Teilen nicht vollständig gelingen konnte oder durfte. Aber zumindest eine weitere Annäherung ist durch den Director’s Cut nun gegeben. Und es ist höchste Zeit, dass endlich einmal jemand Donners Talent als Filmemacher zu würdigen beginnt.




Januar 2011


Die beeindruckendsten Neu- und Wiederentdeckungen im Januar 2011

Inspiriert durch Andis letztes Ultra-Listen-Posting, und Angesichts der Tatsache, dass ich in letzter Zeit an dieser Stelle etwas spärlicher über die audiovisuellen Highlights meines Filmliebhaberalltags berichte, habe ich mich entschlossen ab jetzt jeden Monat die cineastischen Höhepunkte zu veröffentlichen, seien es Neuentdeckungen, wiederholte Sichtungen alter Favoriten oder die Begegnung mit Filmen bei denen bis dato nie der Funke übergesprungen war – alles was ich jedem Filmenthusiasten an Gesehenem ans Herz legen würde, gibt es jetzt regelmäßig an dieser Stelle zusammengefasst zu besichtigen. Eine Einschränkung habe ich mir notgedrungen jedoch selbst gesetzt: Alle Empfehlungen gibt es nicht – man möge mir verzeihen, aber selbst die Monatslisten wären in diesem Fall zu ausufern geworden. Mir gefällt (zum Glück) das Meiste was ich sehe sehr; nach Jahren des Filmeschauens kennt man ja seine Vorlieben zur Genüge – und wozu selektiert man schließlich vor. Dennoch soll es in den Auflistungen nur um die Höhepunkte gehen, da es auch von diesen oft herbeigesehnten Offenbarungen bei mir 2011 genügend zu berichten gibt. Da der Mai noch nicht vorbei ist, und ich dieses Jahr hier überhaupt erst über 12 Filme geschrieben habe, fange ich retrospektiv mit dem Januar an. Die weiteren Monatslisten werden folgen.

/Signs/ (M. Night Shyamalan / USA / 2002)
Desert Fury (Lewis Allen / USA / 1947)
RR (James Benning / USA, Deutschland / 2007)
Wohnhaft (Bernhard Marsch / Deutschland / 2004)
À nos amours „Auf das, was wir lieben“ (Maurice Pialat / Frankreich / 1983)
Power Slide (Marran Gosov / BRD / 1966)
/Wonnekloß/ (Marran Gosov / BRD / 1972)
Sherlock Holmes (Guy Ritchie / USA, Deutschland / 2009)
Posse „Männer des Gesetzes“ (Kirk Douglas / USA / 1975)
Seraphim Falls (David Von Ancken / USA / 2006)
Kolberg (Veit Harlan, Wolfgang Liebeneiner (ungenannt) / Deutschland / 1945)
Die Geier-Wally (Ewald André Dupont / Deutschland / 1921)
/The Last of the Mohicans/ „Der letzte Mohikaner“ (Michael Mann / USA / 1992)
Szerelem „Liebe“ (Károly Makk / Ungarn / 1970)
Jön az öcsém „Mein Bruder kommt“ (Michael Curtiz / Ungarn / 1919)
Um 8 Uhr kommen die Schweine wieder (Hansjürgen Pohland / BRD / 1959)
Hateshinaki yokubo „Endless Desire“ (Shôhei Imamura / Japan / 1958)
Maniac (William Lustig / USA / 1980)
/Notre musique/ (Jean-Luc Godard / Frankreich, Schweiz / 2004)
Körhinta „Karussell“ (Zoltán Fábri / Ungarn / 1955)
(Maruhi) shikijô mesu ichiba „Secret Chronicle: She Beast Market“ (Noboru Tanaka / Japan / 1974)


6. Hateshinaki yokubo „Endless Desire“
Shohei Imamura 1958 Japan

Zitate aus der IMDB:

[on his friendships with prostitutes and bar hostesses] They weren’t educated and they were vulgar and lusty, but they were also strongly affectionate and they instinctively confronted all their own sufferings. I grew to admire them enormously.

[on his encounters with ruling class students] I despised them, and remember thinking that they were the kind of people who would never get close to the fundamental truths of life. Knowing them made me want to identify myself with working-class people who were true to their own human natures. At that age, though, I probably still thought of myself as being innately superior to working-class people.

Nach gefühlten Ewigkeiten wieder einmal einen Film von Shohei Imamura gesehen. Den letzten („A Man Vanishes“ (1967)) hatte ich auf der Viennale 2007, innerhalb der großartigen Retrospektive „Der Weg der Termiten“ von Jean-Pierre Gorin gesehen, die immer noch die best Reihe die ich bisher auf einem Filmfestival erleben durfte bleibt. Und den davor irgendwann vor gefühlten 100 Jahren in Berlin. Einen neuen Film von Imamura sehen, heißt aber wohl für mich immer wieder aufs neue entdecken, wieso der Mann einer meiner Lieblingsregisseure wurde. Die Nähe zu seinen Figuren, ja die Aufmerksamkeit und Zuneigung, die er jeder von ihnen schenkt, gepaart mit einem satirischen Blick und einem ausgeprägten Hang zur Burleske. Beißende Ironie, Spott, Lächerlichkeit, Karikatur, und dennoch: ein Hunger nach Leben und eine Liebe zu den Menschen, die sich gerade aus ihren Widersprüchen speist.
„Endless Desire“, einer der drei Filme die von Imamura zum Auftakt seiner Regiekarriere 1958 in die Kinos kamen. Damals boomte die japanische Filmindustrie noch wie nie zuvor, und auch danach nicht mehr. Ein einsamer Höhepunkt der filmischen Produktivität, den Imamura leider nie wieder erreichen würde. Ein überschaubares Oevre hat er hinterlassen. So um die 25 Filme werden es wohl sein (die IMDB hat wie fast immer bei nicht-amerikanischen Regisseuren nicht alle gelistet). Natürlich gibt es auch für einen Filmemacher noch anderes als Filmemachen (Imamura hat ja unter anderem eine eigene Filmschule (mit)gegründet, auf der z.B. später Takashi Miike war), aber wie bei so vielen genialen Regisseuren, fragt man sich natürlich immer was wäre wenn? Was wäre wenn jedes Jahr 3 großartige Filme von Imamura in die Kinos gekommen wären?
Manchmal wünsche ich mir eine perfekte Kinowelt, in der alle Regisseure so viele Filme wie Michael Curtiz, John Ford oder Raoul Walsh gemacht hätten. Und dass das selbst unter schwierigen Bedingungen noch durchaus möglich ist zeigt ja heutzutage eben z.B. Miike. Aber die Realität sieht natürlich anders aus. Und wie in allen Berufen, haben wir auch unter den Regisseuren zum größten Teil Erfüllungsgehilfen der Routine, die halt machen was sie machen, weil sie nichts anderes gelernt haben. Es ist im Grunde müßig sich über das Leben zu beschweren. Auch das lehren einen die Filme Imamuras immer wieder.
Randvoll mit Widersprüchlichem gefüllt, sind es aber doch immer wieder Fantasien einer besseren Welt, einer Welt in der – wie es in seinem letzten Spielfilm bereits der Titel verkündet – das Leid sich transformiert, und aus den unmöglichsten Quellen Kraft geschöpft wird. Imamura der Insektenforscher, Imamura der Anthropologe, der im Menschen immer wieder die Utopie sieht, entdeckt, immer vom Versprechen kündigt.
Man möchte ihm glauben, dass es immer schon so war, ist. Man muss eben nur genau hinsehen. Daraus erklärt sich auch seine junge Liebe zu Kurosawa, der ihm hierin sehr Nahe steht. Doch was bei Kurosawa Empfindung und Ideal, ist bei Imamura ein Wunder im irdischen Vollzug. Man möchte meinen, er hat es selbst im Leben gefunden, immer wieder aufs Neue, und deshalb einfach nicht mehr als 25 Filme machen brauchen. Die waren dann eben nur Produkt der eigenen Lebenserfahrung – die zum Beispiel auch im Gegensatz zum Begehren in den Filmen Masumuras steht.
Durch diesen Betrachtungswinkel erscheint jeder seiner Filme wie ein Geschenk ans Publikum, als das ultimative Filmemachen FÜR die Zuschauer. Vielleicht lächelt Imamura jetzt auf einer Wolke, wenn er das Treiben der Menschen betrachtet. R.I.P.


5. Posse
Kirk Douglas 1975 USA

Kirk Douglas spielt auch die Hauptrolle in einer seiner wenigen Regiearbeiten. Das Drehbuch und die Schauspieler stehen im Mittelpunkt, wenn sich Douglas und Bruce Dern als Rivalen ein neunzigminütiges Duell liefern, das nicht von ungefähr an das Gezanke zwischen Lee Marvin und Ernest Borgnine erinnert. Drehbuchautor war, wie bei Aldrich, auch diesmal Christopher Knopf, der mit seinem Co-Autor William Roberts eine explizite Gesellschaftsparabel und Politsatire ausformuliert, die so pointiert und trocken daherkommt, dass es einem den Atem verschlägt. Das Ende ist dann in seiner Brillanz und Stringenz kaum zu überbieten. Amerikanische Western überraschen mich immer wieder aufs Neue mit ihrer Vielfalt der Erzählungen, die sich nicht klassifizieren lassen und allen Klischeevorstellungen regelmäßig aufs neue Widersprechen. Das Klischee als Konstrukt des Zuschauers, der eine Buche eben nicht von einer Linde unterscheiden kann. Den Baum vor lauter Wald sollte es heißen – und ich bin immer wieder erstaunt, wie beschränkt ich bin, und wie klug die Filme. Aber nocheinmal: Bruce Dern. Ich konnte mir bisher kaum vorstellen, dass ein Schauspieler Kirk Douglas die Show stehlen könnte. Bruce Dern gelingt das als wäre es das leichteste der Welt. Er ist mir bisher nie positiv aufgefallen, aber hier ist er schwer fassbar, schwer zu verstehen, und doch immer klar durch seine Handlungen definiert. Auch ein Verdienst des Drehbuchs. Douglas als Schwätzer, Dern als Pragmatiker.


4. Goin‘ South „Der Galgenstrick“
Jack Nicholson 1978 USA

Jack Nicholson entdeckt Mary Steenburgen. Und die Kamera von Nestor Almendros immer mit dem Drang zum Naturalismus. Die deutsche DVD-Veröffentlichung von Paramount ist dabei in der Präsentation des Films überragend. Zu Hause am Laptop fühle ich mich, als ob ich im Kino wäre. Wenn doch nur alle DVDs mit solcher Bildqualität aufwarten könnten…
Schauspieler machen als Regisseure die interessantesten Schauspielerfilme, auch wenn sie sich nicht immer so viele Hauptrollen geben sollten. Wie sähe die amerikanische Kinolandschaft aus, wenn Costner, Nicholson, Brando, Foster, Duvall und Co. öfter im Regiestuhl Platz genommen hätten? Vielseitigkeit als Hindernis in einer nichtcinefilen Umwelt…
Da fällt mir ein: Ich muss unbedingt mal wieder einen Film von Paul Newman sehen.


3. Sherlock Holmes
Guy Ritchie 2009 USA, Deutschland

Eine Re-Imagination der Sherlock Holmes Figur, die den Detektiv zu seinen vielschichtigen Wurzeln zurückführt. Wie beiläufig modernisiert Ritchie dann auch den Mythos, und stellt diesen überlebensgroßen Helden mit beiden Beinen auf den Boden, ohne jedoch die übersinnlichen Elemente und das Phantastische dieses vermeintlich positivistischen Charakters aus den Augen zu verlieren. Dass ein einerseits literarisch so authentischer aber auch individueller Film als 100 Millionen Dollar-Produktion verwirklicht werden konnte, erscheint als ein kleines Wunder. Guy Ritchie beweist wieder einmal, dass auch ein Filmemacher in Hollywood sich nicht nur für einen eigenen visuellen Stil, sondern auch für Drehbuch und Schauspieler interessieren kann, wenn es sich um ein Ausnahmetalent auf dem Regiestuhl handelt.
Ich freue mich jedenfalls jetzt schon auf den zweiten Teil – und wie oft konnte man das in den letzten Jahren von Industriefilmen die eine Franchise-Reihe etablieren sollten schon behaupten?


2. À nos amours „Auf das, was wir lieben“
Maurice Pialat 1983 Frankreich

Maurice Pialat filmt irgendwo zwischen Jacques Doillon und Jean Eustache seine Verzweiflung über das Leben und die Liebe. Ein Film über das Unglücklichsein und dennoch auch ein (gefühlt) stark autobiographischer Liebesbrief an die eigene Familie. Er selbst spielt den resignierten Abgeklärten, der das Leben auch nicht ändern kann. Die 15jährige Sandrine Bonnaire legt dabei eine schauspielerische Tour-de-Force aufs Parkett, die einem das Wort Teenager auf den Lippen gefrieren lässt, wenn man sich erinnert, dass man in diesem Alter selbst wohl auch kein Kind mehr war. Der Gegensatz zu einem Teeniedrama wie Les beaux gosses (siehe vorhergehender STB-Eintrag) könnte nicht größer sein. Der César für die beste Nachwuchsdarstellerin, den Bonnaire für ihre Rolle ’84 überreicht bekam, fühlt sich dann auch ein wenig billig an. Denn an Nachwuchs gibt es unter Pialats atemberaubender Regie nichts zu sehen. Ein Meisterwerk vor dem Cinegott!


1. Les beaux gosses „Jungs bleiben Jungs“
Riad Sattouf 2009 Frankreich

Eine Entdeckung, ein ziemlich toller Film, denn: eine Komödie nach meinem Geschmack. Der Sleaze lebt und gedeiht in diesem Film über die französische Gegenwartsjugend, der zumindest mir so authentisch erschien wie alle bisherigen Vertreter von sogenannten Teeniekomödien zwischen Porky’s und American Pie: nämlich gar nicht. Überzogen und überspitzt inszeniert, folgen wir zwei dicken Freunden durch die Strapazen des alltäglichen Hormonstaus. So gut wie alle Standardsituationen werden dabei abgeklappert, ohne jedoch das wohl schon obligatorische Pathos der amerikanischen Vetreter zu bedienen. Gekalauert wird hier nämlich bis zum Schluss, für Kuscheln bleibt da wenig Zeit. Letztendlich ist das alles ein wenig so, als hätten sich Thomas Gottschalk und Mike Krüger als französische Jugendliche reimaginiert. 20 Jahre später, die Supernasen sind jünger geworden, und wenig hat sich geändert. Deutscher Mief ist also ein bisschen auch internationaler Mief. Zumindest, wenn es um französische Komödien geht. Und wenn das ganze manchmal eher an Fernsehen denn an Kino erinnert, so unterstützt es in diesem Fall die schmalspurige Schäbigkeit aufs wunderbarste. Ein Film wie eine abgestandene Sandale, wie eine fehlgeleitete Filmkritik, wie ein mittelmäßig inszenierter Unfall. Eine sympathische Zahnlücke, eine Hommage an die Unschuld des Kinos: Irritierend und befremdlich, etwas beängstigend aber auch ein wenig beruhigend, und in der ausgestellten Schäbigkeit zwar sehr reizvoll, auf die Dauer aber wiederum etwas ermüdend. Denn am Ende ist man froh, wenn alles vorbei ist. Also irgendwie doch wie die Pubertät. Nur vor allem in der Form und nicht im Inhalt. Erstaunlich dass es solche Filme heutzutage noch gibt.


26 Antworten zu “STB Sano 2011”

  1. Christoph on Januar 13th, 2011 at 14:31

    „…und stellt diesen überlebensgroßen Helden mit beiden Beinen auf den Boden, ohne jedoch die übersinnlichen Elemente und das Phantastische dieses vermeintlich positivistischen Charakters aus den Augen zu verlieren.“

    Sprichst du hier von Doyles Sherlock Holmes oder von Sherlock Holmes in der Popkultur?;-)

  2. Sano on Januar 13th, 2011 at 15:22

    Von Doyles. Habe eher den Eindruck, dass die Populärkultur das positivistische Verständnis von Holmes‘ Figur gestützt hat.

  3. Mr. Vincent Vega on Januar 13th, 2011 at 20:15

    Laut dieser Kritik hier

    http://psycho-rajko.blogspot.com/2010/01/kino-sherlock-holmes.html

    soll der Film eher schlecht sein. 😀

    Das „Wunder“ muss an mir vorbeigerauscht sein – das war doch Hollywood-Einheitsbrei der besonders lieblos zusammengerührten Art?!

  4. Sano on Januar 14th, 2011 at 00:07

    Tja, da irrt wohl der Herr, bzw. haben wir unterschiedliches wahrgenommen.

    Wenn ich aus der verlinkten Kritik grob zitieren und gegenteiliges analysieren darf:

    Wo sich Sherlock Holmes zurückzieht und reaktiviert werden soll, konnte ich im Fim nicht erkennen, ebenso dass er ein Womanizer wäre (es gibt für ihn im ganzen Film nur eine Frau, in die er halt verliebt ist), außerdem SPIELT er auch im Film Geige (habe früher selbst Geige gespielt, und man kann sie auch zupfen), kokst wie im Buch, und ist auch Martial-Arts Kämpfer (oder wenn man will eine Art Boxer) wie im Buch ebenfalls(!). Ich zitiere Wikipedia: „gemeint ist die damals besonders in London bekannte und im Bürgertum populäre Selbstverteidigungskunst Bartitsu, eine Mischung aus Boxen, Savate, Ringen und japanischem Jiu Jitsu sowie Kampf mit dem Spazierstock, dem Stockkampf nach Vigny.

    Ich denke du bist dem populären Bild von Holmes persönlich näher, als der ziemlich überzogenen Romanfigur. Ist verständlich, ändert aber nichts daran, dass ich die literarische Figur (natürlich mit ein paar modernen Mätzchen) adäquat verfilmt sehe. Ebenso ist es mit Watson, der in den Büchern ja auch ein relativ junger (Ende 30, anfang 40) Kriegsheld ist, und eben kein fetter Klops wie z.b. bei den Holmes-Versionen mit Basil Rathbone. Und etwas was mir an Watson (dem eigentlichen „Womainzer“ im Holmes-Universum, wenn man es denn so bezeichnen möchte) gefällt, ist eben auch die Nähe zur Romanvorlage. Nochmal Wikizitat: „In den Erzählungen und Romanen Doyles erscheint Watson als ein mittelgroßer, athletischer Mann in Holmes‘ Alter, der auf Holmes‘ weibliche Klienten oft attraktiv wirkt, und dessen Intellekt Holmes‘ gleichsteht, auch wenn die beiden unterschiedliche Fähigkeiten und Bildungsschwerpunkte haben. Holmes schätzt Watson als ebenbürtigen Konversationspartner, der ihm mit Informationen aushelfen kann, die dem Detektiv mangels Interesse fehlen. Beispielsweise hat Holmes‘ geringe Kenntnisse menschlicher Anatomie und kein politisches Wissen. In Anspielung auf Samuel Johnsons Biographen James Boswell sagt Holmes in A Scandal in Bohemia (dt.: Ein Skandal in Böhmen) zu Watson: “I am lost without my Boswell”.“

    Will das ganze auch nicht auswalzen. Entnehme deiner Kritik eher, dass du an Guy Ritchie und seiner Darstellungsweise wohl grundsätzlich nicht so viel gefallen findest. Bei mir ist das anders, da ich z.B. auch SNATCH. sehr schätze.

    Hollywoodeinheitsbrei ist das für mich also nicht. Da steckt meiner Meinung nach viel Leidenschaft drin.

    PS: Das mit den Männerphantasien sehe ich in diesem Fall ähnlich wie du, stört mich in diesem Fall aber nicht. Mir gefällt z.B. die Frauenfigur, und die tatsache, dass sie Holmes über ist. Bereits zweimal hat sie ihn reingelegt wird uns erklärt, und im Laufe des Films tut sie es auch ein drittes Mal. Und Watsons Ehefrau ist auch kein Dummchen, als das sie wahrscheinlich in den meisten bisherigen Filmadaptionen dargestellt worden wäre. Ws mir bei Ritchie gefällt, st eben, dass er sich tatsächlich immer für so gut wie alle seine Figuren interessiert. Die At und Weise wie er das tut, ist dann aber natürlich Geschmackssache.

  5. Mr. Vincent Vega on Januar 14th, 2011 at 03:50

    Schön gesagt, ist mir jetzt auch klarer als nach dem Kurzkommentar oben.

    Von der interpretierfähigen Frage nach Genauigkeit der Adaption einmal abgesehen, fand ich den Film eben auch uncharmant inszeniert und im Finale sogar richtiggehend doof.

  6. Sano on Januar 14th, 2011 at 11:19

    Hm, ja schade, kenne das Gefühl bei solchen Blockbustern oft genug selbst. Meist ist es bei mir so, dass ich von einigen Ideen angetan bin, mir die gesamte Umsetzung und vor allem die Enden in modernen Megaproduktionen nicht mehr so munden wollen. Diesmal fühlte ich mich aber gut verstanden. 😉

    Und das abrupte Ende (das Finale fand ich persönlich sehr ansprechend), hat mir nur mehr Lust auf den zweiten Teil gemacht, der hoffentlich eine direkte Weiterführung der begonnen Geschichte wird. Mir gefällt auch, dass der ganze Film (spätestens vom Schluss aus betrachtet) darum bemüht ist, auch für einen zweiten Teil zu erzählen. Fühlt sich in dieser Hinsicht für mich also nach „Herr der Ringe 1“ statt „Harry Potter 1“ an, wenn ich das mal in diesen Begrifflichkeiten zusammenfassen darf. 🙂

    Tja.. was fällt mir dazu noch ein? Denke nochmal zur generelleren Ritchie-Ablehnung. Kann das auch nachvollziehen, und gibt es in meinem Bekanntenkreis auch. Der Mann scheint mit seinen Mätzchen eben zu spalten. Ich sehe das Problem (wie früher bei Tarantino) eher im Epigonentum. Einer macht was, hat Erfolg, – und prompt fangen andere an ihn zu kopieren. Bei so postmodernen Regisseuren wie Ritchie und Tarantino die ja eh schon Kopie (und Parodie) sind, wirkt so ein unterfangen bei undurchdachter Wiederholung dann nochmal plakativer. So sehe ich das jedenfalls. Ist jetzt für mich zwar erst der dritte Ritchie-Film, aber eben auch der dritte, der mir inhaltlich und ästhetisch zusagt.

  7. Christoph on Mai 21st, 2011 at 21:51

    Ein wunderschöner Kommentar zum wunderschönen Symbolsplatterfest UNTER DIR DIE STADT. Du hast den Film angenommen und verstanden! (Zwar anders verstanden als ich, aber mit deinen Ausführungen kann ich mich ohne Weiteres anfreunden) Gerade von dir hätte ich eigentlich mit der allerhärtesten und verstimmtesten Schelte (à la „Filmhochschul-Schlock“ u. ä.) für den extrem pingelig zusammengebastelten, tendenziell auch etwas zynischen und stock-im-arschigen Ultra-Drehbuch- und Formbombast erwartet, aber jetzt du hast es mir so richtig gezeigt! Am besten, du schiebst FALSCHER BEKENNER (der es wiederum mir mit seinem fragwürdigen Hartz IV-Jugendverstehungs-Surrealismus ganz besonders doll besorgt hat) gleich noch hinterher.
    Ich hoffe sehr, dass sich Alex P. vielleicht auch noch hier zu Wort meldet und seinem massiven Unmut über den Film („So, als hätte Hochhäusler eine seiner eigenen Kritiken verfilmt.“) nochmal schriftlich Luft macht. Leider flogen letztes Jahr nach der Sichtung in München zwischen uns beiden nicht direkt die Fetzen, aber ich werde nie vergessen, wie er mich vor dem Kino halbwegs entgeistert fragte „Du fandest den doch nicht etwa gut?“ 🙂

  8. Sano on Mai 22nd, 2011 at 00:50

    Finde den Kommentar eigentlich fürchterlich (in Allgemeinplätzen versinkend), aber in weiser Voraussicht habe ich ihn trotzdem so gelassen. Ist ja schließlich das STB, also der Schmierzettel unseres Blogs. 🙂

    Als Filmhochschulschlock bezeichne ich eigentlich nur Produktionen, die formal und ästhetisch zwanghaft „professionell“ aussehen wollen, denen man diese Anstrengung aber nicht nur permanent ansieht, sondern bei denen diese Ästhetik dann auch völlig willkürlich aussieht. À la „so dreht man heute Filme, also müssen sie auch so aussehen“. Bei Hochhäusler wäre das für mich höchstens bei MILCHWALD tendenziell der Fall, den ich damals hauptsächlich wegen dem (persönlich empfundenen) Versuch „wie die“ Berliner Schule auszusehen unfreiwillig amateurhaft fand. Bei UNTER DIR DIE STADT ist aber alles gekonnt, und die trashigen (positiven wie negativen) Momente ergeben sich für mich nicht unbedingt aus Unvermögen, sondern sind für mich größtenteils als Entscheidung der Regie erkenntlich. Zynisch und Stock-im-arschig müssen der Film und die Dialoge für die gewünschte Wirkung eben sein. Kann zwar schon verstehen, dass man davon abgestoßen ist, empfand die Ästhetik und die Art der Geschichte aber nicht als Ausdruck einer Weltsicht (à la Bergman, Kurosawa, Kiarostami), sondern eben als legitime und für mich goutierbare Annäherung an das Thema. Man passt sich also den Erfordernissen des Films an und nicht umgekehrt – wenn man das jetzt mal platt und tendenziös formuliert.

    Wie auch immer, der Film war sehr gut, wenn auch teilweise sehr unangenehm anzuschauen (permanentes Ekelgefühl in Richtung Pasolinis Salo) – da hat mich der Humor in der Darstellung Hunger-Bühlers sehr angesprochen. Ging ein bisschen in Richtung Udo Kier. Kann Alex‘ Abneigung verstehen, würde aber dennoch sehr gerne konkreter wissen, was ihm nicht gefallen hat. B

    Bin aber jetzt tendenziell eher auf zukünftige Arbeiten von Hochhäusler gespannt (freue mich auch auf seinen Dreileben-Teil), als dass ich gerne älteres von ihm sehen würde. Wenn du mich aber noch ein wenig bearbeitest werde ich mir FALSCHER BEKENNER aber vielleicht trotzdem ansehen. 🙂

    Ich bin nämlich prinzipiell ein Vermeider und Umgeher von Jugendversteherfilmen, wenn es sich bei den Protagonisten nicht um asoziale Gestalten handelt die nicht moralisch betrachtet werden – ob mit oder ohne Wertung ist egal; dieser besorgte/engagierte Blick ist meistens nicht mein Fall. Sowas wie KES oder ROSETTA aber auch MOUCHETTE und die Trilogie von Bill Douglas, ist für mich trotz aller Qualitäten immer noch grenzwertig. Da muss es schon etwas radikaleres wie LES QUATRE CENT COUPS und MES PETITES AMOUREUSES sein: jemand der autobiographisch erzählt, und nach Möglichkeit dieses ganze soziale Selbstmitleidsgejammere aber auch den Selbstermächtigungs- und Entwicklungskrimskrams weglässt. EMPEROR TOMATO KETCHUP ist mir in seiner herangehensweise wohl noch am sympathischsten.

  9. Sano on Mai 22nd, 2011 at 01:17

    Hier noch zwei Links zu Gesprächen mit Hochhäusler und Drehbuchautor:

    Tip
    Cargo

    Klingt für mich alles sehr zwiespältig und auch etwas platt (und hat wenig mit meinen Vorstellungen von Kino zu tun), aber mir solls recht sein, wenn was Interessantes dabei rauskommt. Die Fragen bei Cargo sind aber schon ziemlich perfide. 😉

  10. Alexander S. on Mai 24th, 2011 at 18:36

    Hab den noch Film nicht gesehen, aber nach deiner und Christophs positiven Reaktionen gegenüber Alex P.s sehr negativer, bin ich doch sehr gespannt!
    Allerdings stehe ich Hochhäuslers theoretischen Ansatz, wie er in den beiden Interviews seinen Ausdruck findet auch eher skeptisch gegenüber. Wenn er etwa erzählt, dass er aus der Villa des einen Bankers alle Jagdtrophäen hat entfernen lassen! Wie kann man nur so antischangelig sein !?!… 🙁
    Ich hätte vermutlich nooooch meeeehr Trophäen aufhängen lassen und das Banker-Denglisch völlig ausarten lassen statt abzumildern, aber erstmal das Ergebnis sehen, bevor ich meckere.

  11. Sano on Mai 25th, 2011 at 18:49

    Wahrlich, lieber Alex, hättest du die Zügel in der Hand gehabt, wäre was völlig anderes dabei hearus gekommen. Wahrscheinlich eine Art Kombi aus Berliner Schule und ENTER THE VOID. 😉

    Aber der Film hat – obwohl ein wenig mehr Rotweinflecken auf der weißen West sicher nicht geschadet hätten – auch so schon genug schangeligen Wahnsinn zu bieten. 🙂

    PS: Und ich bin dann auch gespannt, was du über die Figuren sagst. Ich erinnere mich da an unsere POSSESSION-Diskussion… 😀

  12. Andreas on Juli 22nd, 2011 at 09:15

    „Stattdessen bleiben uns die 80er. Die Apotheose der Moderne. Und der Rest ist Schweigen.“

    Du oller Kulturpessimist nu wieder! 😀

    So sehr ich den Abgesang der 70er im Einzelnen oft liebe, hat deine allgemeinere Überlegung aber schon was (den Aufbruch gab es ja bereits durch die Neuen Wellen der 60er, aber wie wäre er ohne die Ernüchterung in den 70ern weiter gegangen?). Und der Film klingt auch ziemlich interessant.

    Hab durch deine Januar-Entdeckungsliste jetzt erst gemerkt, dass ich Pialats „À nos amours“ sowohl auf meiner Sichtungs- als auch meiner STB-Entdeckungsliste unerklärlicherweise komplett vergessen habe. Blöd, aber jetzt zum Glück behoben. Planst du eigentlich eine Fortsetzung der bislang nur den Januar abdeckenden Entdeckungslisten? (oder am besten gleich vollständiger so in der Art, wie ich es nun für mich eingeführt habe – davon bist du aber vermutlich nicht zu überzeugen?)

  13. Sano on Juli 24th, 2011 at 21:46

    🙂

    Pialat vergessen! Oh nein! Bei mir ist der momentan von ca. 300 gesehenen Filmen dieses Jahr wohl immer noch die No.1. 😉

    Fortsetzung der monatlichen Entdeckungslisten wird es geben. Ich plane das zukünftig immer so zu machen. Mal sehen wann dann ein neues STB-Konzept überhand nimmt. Werde dann gleich mal heute den februar reinstellen.

    Von deiner ausufernden STB-Arbeit bin ich tatsächlich nicht zu überzeugen. Als „Entschädigung“ dafür schreibe ich aber zumindest (noch) mehr Artikel für den Blog als du. 😉

    Der Jakubisko wäre übrigens absolut was für dich!!! Und die slowakische DVD die ich besitze ist ausgezeichnet. Ich bring ihn dir bei Gelegenheit mal mit. 🙂

  14. Andreas on Juli 27th, 2011 at 02:12

    Nachdem es ja gleich in den ersten Tagen des neuen Jahres war, hatte ich ihn wohl gedanklich noch im letzten Jahr einsortiert und das Fehlen deshalb lange nicht bemerkt. Der dürfte bei mir aber wohl auch zumindest in der Top Ten der älteren Entdeckungen sein, Nr. 1 dürfte aber vermutlich doch an Hou gehen (wohl mit STADT DER TRAUER, der dich ja nicht so umgehauen, mich aber noch Wochen verfolgt hat), aber da müsste ich erstmal genauer die Listen durchforsten – und zum Glück tue ich mir eine Rangfolge bei den älteren Entdeckungen ja normalerweise ohnehin nicht an.

    Immerhin Erleichterung meinerseits, dass mir im Februar zumindest laut deiner Auswahl kein solches Versäumnis passiert ist 😉 Mal sehen, was die weiteren Listen und Entwicklungen des STB-Konzepts ergeben.

    Bei mir ist ja wiederum das STB ein bisschen als (wenn auch zu selten aktualisierte) „Entschädigung“ für die eher sporadischen Blog-Aktivitäten gedacht. Zumindest momentan schmeiße ich aber den ET-Laden ja fast allein. Man beachte den historischen Umstand (der wohl nur zwei Tage anhält), dass momentan alle sieben Artikel auf der Hauptseite von mir stammen. Hat aber natürlich auch mit besonderen (Filmfest-)Umständen und spontaner Laune zu tun, und wird sich zwangsläufig wohl nicht wiederholen. (Was auch gut so ist, nachdem das schließlich ein Gemeinschaftsblog ist.)

    Und wegen dem Jakubisko: gerne! 🙂

  15. Sano on Juli 28th, 2011 at 22:33

    Nee, STADT DER TRAUER war als Ganzes kein solches Erlebnis für mich. Die erste Stunde für sich schon – dem Rest müsste ich wohl noch eine zweite Chance geben. Da fand ich A TIME TO LIVE AND A TIME TO DIE deutlich grandioser! Aber du wirst dich noch wundern, was sich in den folgenden Monaten noch alles auf meinen Entdeckungslisten finden wird! Christoph habe ich davon schon einen kleinen Teil per Telefon eingestanden, und er war not amused. 😀

    Das Konzept meines STBs bleibt aber wohl zumindest bis Ende dieses Jahres so wie es ist. Schreibe zwar ziemlich wenig Texte rein (13 in 6 Monaten ist schon arg kümmerlich…) aber solange sich daraus überhaupt ein Anreiz ergibt über manche Filme zu schreiben ist es genug. Und ein STB-Text hat sich inzwischen bei mir glücklicherweise auch schon zu einem eigenen Blogeintrag ausgewachsen. Bin ja gespannt ob du den innerhalb der nächsten Monate wirst als solchen identifizieren können. 🙂

    Das mit dem Laden alleine schmeißen ist doch gut. Solange du nicht anfängst zu keifen, wenn im August auch mal jemand anderes was veröffentlichen will. 😉 Aber im Ernst: wer von uns liest schon nicht gerne die Beiträge der restlichen Crew lieber als seine eigenen? Ich will ja nicht sagen, dass ich nicht auch mal gerne was online stelle. Aber wenn ich von euch allen ein jahr lang die garantie eines neuen wöchentlichen textes hätte, würde ich für die zeit auch auf eigene Publikationen verzichten. 😉 Aber das bleibt wohl vorerst nur ein Traum. Habe (neben Christoph) ja wohl immer noch mit Abstand die meisten (halb)fertigen Texte in den Startlöchern, und werde die Seite im Laufe des Jahres wohl irgendwann genauso hemmungslos an mich reißen, wie du es gerade tust. 🙂

    PS: Beim Jakubisko ist mir gestern eingefallen, dass ich den ursprünglich Amos versprochen hatte. Musst dich also noch ein wenig gedulden. Er hat mich sogar mal gefragt ob ich den hätte, und ich habe ihm nicht nur negativ geantwortet, sondern nach (im Nachhinein als zu oberflächlich erscheinender) Internetrecherche auch noch behauptet, dass er wohl überhaupt noch nicht auf DVD erschienen sei, nur um dann ein paar Wochen später beim wühlen im DVD-Regal genau diesen Titel in Händen zu halten … %-)

  16. Rajko on Januar 22nd, 2012 at 22:04

    Sehr interessant, Dein MANON-Text, der ja zugleich Clouzot-Abhandlung sowie filmhistorische Einordnung (etwas, das ich sehr wichtig, geradezu essentiell finde) mitliefert. Ich kenne von Clouzot bislang nur SALAIRE DE LA PEUR, der natürlich großartig ist, und LES DIABOLIQUES, den ich aus allen offensichtlichen Gründen wesentlich, aber auch zäh und wenig mitreißend finde. LES ESPIONS habe ich noch auf DVD, den werde ich wohl mal schauen.

  17. Sano on Januar 23rd, 2012 at 12:33

    Danke, danke. 😉 War ein spontaner Erguss. Wusste gar nicht, dass ich da filmhistorische Einordnungen vollführe. Aber vielleicht kommt noch was zu Clouzot im Laufe des Jahres. Wie gesagt, arbeite ich mich ja ein wenig durch sein Werk. Wird aber leider unvollständig bleiben, da ich an seine Regiearbeiten der 30er nicht rankomme, ebenso einige Arbeiten der 60er (ein paar Musikfilme, über Dirigenten und klassische Musik) sowie einige Drehbucharbeiten der 30er und 40er. Und eine Komödie vom 1950 liegt mir nur mit französischen Untertiteln vor. Ärgerlich sowas. Aber mal sehen.

    Von den bisher gesehenen 5 Filmen gefällt mir MANON immer noch am Besten, und LES DIABOLIQUES empfinde ich mit Abstand am schwächsten und uninteressantesten. Der scheint mir fast ein durchschnittliches Werk zu sein, und ich bin versucht mir nochmal das Remake anzuschauen, da es mir inzwischen vielleicht sogar besser gefallen könnte (und Vera Clouzot halt nicht mit Isabelle Adjani mithalten kann). Hoffentlich hört mich jetzt kein Clouzot- oder Horrorfan. Aber LES DIABOLIQUES: ist nicht meins.

    LES ESPIONS soll übrigens einer der irritierendsten und „unbefridigendsten“ Clouzots sein. Was ich davon gesehen habe, sah großartig aus, und lässt auf eine Satire ersten Grades hoffen. Also quasi der Dr. Strangelove der Spionagefilme. Viele Leute schauen ihn sich aber wohl an, und erwarten einen „normalen“ ernsthaften/logischen Spannungsfilm. Daher wohl die vielen Enttäuschungen. Diese (sich auch im gespräch mit anderen Leuten die den Film gesehen haben) ergebenden Vermutungen bezüglich eines vordergründigen Metafilms, sind aber nur Vermutungen. Ich muss ihn ja noch sehen. Einer meinte auch, der Film blättere den Wahnsinn der Hauptfigur nach und nach auf. Auch eine interessante Perspektive. Bin gespannt, was du zum Film sagst/schreibst. 🙂

  18. Rajko on Januar 23rd, 2012 at 16:21

    Ja, das DIABOLIQUE-Remake von Chechik würde ich der bedeutsameren Vorlage auch jederzeit vorziehen, weil es effektiver, teils trashiger und viel, viel aufregender ist, und auch, weil es den Lesbentext noch intensiviert (Dank der großartigen Kathy Bates). Viel saftiger auch, die Neuverfilmung. Der Stoff wurde eigentlich unzählige Male kopiert, auch HUSH HUSH SWEET CHARLOTTE ist ja im Prinzip ein Remake desselbigen (im letzten Drittel sogar recht plump), aber ebenfalls viel besser.

    MANON und LES ESPIONS werde ich bei Gelegenheit mal schauen.

  19. Sano on Januar 23rd, 2012 at 17:00

    Ja, denke auch, dass der mir bei erneutem Ansehen Spaß machen könnte wegen dem ganzen Over-the-top Hollywoodgehabe. Lesben(sub)text konnte ich in diesem Clouzot nicht erkennen. Auch nicht ansatzweise. Da er in anderen Filmen in dieser Hinsicht viel direkter ist (so es ihn denn interessiert), schlussfolgere ich daraus, dass da in LES DIABOLIQUES auch nichts ist. Den Aldrich muss ich bei Gelegenheit mal sehen. Aldrich ist. soweit ich ihn kenne, immer interessant.

  20. Manfred Polak on Januar 24th, 2012 at 00:32

    Einen lesbischen (Sub-)Text kann ich in LES DIABOLIQUE auch nicht so recht erkennen, dafür ist er in QUAI DES ORFÈVRES eindeutig vorhanden, auch wenn nur zwei der Protagonisten überhaupt etwas davon wissen.

    Eigenwerbung: In meinem schon etwas älteren und ziemlich länglichen Traktat über LE CORBEAU gibt es auch einen bio- und filmografischen Überblick über Clouzot.

    Bei Aldrich ist natürlich auch sein (unabhängig produziertes) schräges Lesbendrama THE KILLING OF SISTER GEORGE sehenswert.

  21. Manfred Polak on Januar 24th, 2012 at 00:42

    Eigentlich war in meinem Kommentar ein Link zu meinem CORBEAU-Text, der aber beim Posten irgendwie abhanden kam. Neuer Versuch, diesmal auch als Text:
    http://www.filmzentrale.com/rezis/corbeaump.pdf

  22. Sano on Januar 24th, 2012 at 19:35

    Danke für den Hinweis. Werde ich mir durchlesen sobald ich LE CORBEAU vollständig gesichtet habe – was in den nächsten zwei Wochen geschehen dürfte. Sieht beim drüberfliegen auf jeden Fall schön ausführlich aus. Gibt es einen bestimmten Grund, warum du dich so sehr mit dem Film bzw. mit Clouzot auseinandergesetzt hast?

    PS: In deinem ersten Kommentar ist bei näherer Überprüfung keine Verlinkung enthalten… Vielleicht hats das Internet geschluckt, wie so oft bei so vielem. 😉

  23. Manfred Polak on Januar 24th, 2012 at 22:41

    Der Grund dafür, dass ich damals ein paar recht ausführliche Texte schrieb, war eine verlorene Wette. Einen besonderen Grund für die Auswahl von LE CORBEAU hatte ich nicht, soweit ich mich noch erinnere (die ursprüngliche Fassung des Textes ist von 2004). Ich hatte auch die meisten Filme Clouzots über viele Jahre verteilt im Fernsehen gesehen, so dass das damals auch keine so intensive Auseinandersetzung war, abgesehen vom Recherchieren seiner Biografie.

  24. Sano on Januar 26th, 2012 at 00:38

    Magst du nicht auch gegen mich ein paar Wetten verlieren? 😉

  25. Manfred Polak on Januar 26th, 2012 at 15:55

    Inzwischen schreibe ich ja freiwillig, da braucht es keine Wetten mehr. Und manche meiner Texte geraten immer noch recht lang, zumindest für durchschnittliche Blog-Verhältnisse.

  26. Sano on Januar 27th, 2012 at 23:39

    Les ich auch immer wieder gerne. Mag deinen Stil. Und zu lang können Filmtexte gar nicht sein. 😉

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