Letztes Jahr verliefen alle Bestrebungen zu einem gemeinsamen Posting mit unseren gesammelten Jahreslisten im Sande. Diesmal haben wir uns fest vorgenommen, es nicht noch einmal so weit kommen zu lassen, sondern einige Tage nach unseren Entdeckungslisten dann auch die Jahreslisten mit unseren Favoriten des aktuellen Film- und Kinojahrgangs (weitgehend ungeachtet der häufig verzögerten regulären Starttermine, stattdessen am tatsächlichen eigenen Sichtungsjahr orientiert, ob Festival, Kinostart oder DVD-Import) folgen zu lassen – und das nicht weniger umfangreich und ausufernd. In einem nachgerade wahnwitzigen Kraftakt ist dieses Unterfangen diesmal ausnahmsweise tatsächlich geglückt, weshalb wir nun nachfolgend das neue Jahr gebührend mit der krönenden Fortsetzung des zum Abschluss des alten Jahres begonnenen Listenwahnsinns einleiten wollen…
Gesamtliste meiner gesehenen aktuellen Filme 2010 (oder: die Langfassung meines Beitrags zu diesem ET-Sammelposting).
Ein in Sachen Kino und Film reichlich wahnsinniges, irrwitziges Jahr. Nicht nur hinsichtlich der bereits gewürdigten älteren Entdeckungen, genauso sehr und mit ähnlicher Begeisterung auch hinsichtlich des aktuellen Jahrgangs. Nie zuvor habe ich so viele (sowohl alte als auch neue) Filme in einem Jahr gesehen wie 2010, und auch wenn es dank komprimierter, kurzzeitig geballter Festivalexzesse (vor allem Berlinale, Filmfest München, Viennale, Fantasy Filmfest) dann im restlichen Jahr bisweilen eher gemäßigt zuging, so kam doch diesmal die bislang für meine Verhältnisse unfassbare Zahl von rund 190 gesehenen aktuellen Filmen (darunter etwa fünfzehn Kurzfilme, der Rest Langfilme) zustande. Unglaublich auch deshalb, weil ich mit gelegentlichen Ausnahmen doch trotzdem ziemlich selektiert geschaut habe und abgesehen von einer Reihe tatsächlich übler Missgriffe mit meiner Ausbeute nicht nur mehr als zufrieden, sondern ausgesprochen begeistert bin. Das hat natürlich auch damit zu tun, dass mein Sichtungsjahr gewissermaßen nach vorne (2009er Premieren) und nach hinten (2011er Kinostarts und Importe) ausschlägt, weil einiger meiner Favoriten bereits 2009 international zu sehen waren, aber erst 2010 wirklich rumgekommen sind (bei „Raging Sun, Raging Sky“ habe ich lange gezögert, weil ich den schon bei der Berlinale 2009 unbedingt sehen wollte [er mir insofern dann eigentlich doch fast zu alt war, obwohl seine deutsche DVD-Premiere erst im Dezember 2010 stattfand] und mich dann ärgerlicherweise kurzfristig dagegen entschieden habe, im Gegensatz zu einigen glücklichen ET-Mitautoren), während andere Filme quasi noch frisch aus Venedig bzw. der Viennale stammen und bislang auch international noch kaum zu sehen waren. Was mich dann fast zu der Überlegung, mich ausnahmsweise bei der Jahresliste auf das Produktionsjahr 2010 zu beschränken und verspätet verbreitete 2009er Produktionen nicht zu berücksichtigen, aber das hätte mich nicht nur um meinen Film des Jahres gebracht, sondern ich halte es auch allgemein bei einer Listenerstellung am unmittelbaren Jahresende für ein ungeeignetes, verzerrendes Vorgehen (bei rückblickender Listenerstellung mit mehrjährigem Abstand ist es dagegen natürlich das einzig sinnvolle Vorgehen), das dem Sichtungsjahr auch nicht gerecht geworden wäre. Insofern also lieber die volle Ladung, von einzelnen arg verspätet rumgekommenen 2008er Produktionen abgesehen („Wendy & Lucy“ konnte ich etwa erst Anfang 2010 regulär im Kino sehen, aber es wäre reichlich witzlos, ihn nun im gleichen Jahr auf die Liste zu setzen wie Kelly Reichardts zwei Jahre später entstandenen „Meek’s Cutoff“, den ich wiederum bereits in diesem Jahr sehen konnte). Kurzum: das Spektrum war breit, die Auswahl schwer und am Ende entschied ich mich in Anbetracht dieser Umstände dafür, statt meiner üblichen Top-20 eine Top-40 zu erstellen, die auch auf den letzten Rängen noch dermaßen stark ist, dass in einem schwachen Jahrgang sofort bei jedem dieser Filme auch die Nennung in einer Top-10 absolut vertretbar wäre. Ein Jahr der Extreme, das mich mit so manchem kleinen 35mm- und 16mm-Wunder einerseits immer wieder an die immer noch einzigartigen, ureigenen Möglichkeiten von klassischem Filmmaterial erinnert hat, mich gleichzeitig aber auch mehr denn je mit dem digitalen Kino versöhnt hat, das zum Glück neben ambitionslosen „Fake-Film“-Filmen (aka digital, das via Nachahmung den Eindruck von analog machen möchte) dann zum Glück doch häufig auf hochspannende Weise ästhetisches Neuland erforschte („In the Woods“ oder „Film Socialisme“ wären Musterbeispiele). Auch wenn ich zugeben muss, bei allem mittlerweile entdeckten Genuss, den auch eine gute HDCam-Projektion bieten kann, indem sie der Glätte und Flachheit der digitalen Bilder einen ganz eigenen Reiz gibt, so ist es doch auch sofort wieder um mich geschehen, wenn jemand wie Peter Tscherkassky im direkten Zugriff aufs Rohmaterial das Kino an seinen technischen, handwerklichen Grundlagen anpackt und zum puren Strom der sinnlichen, greifbaren, materiellen Attraktionen gerinnen lässt. Es geht eben um Vielfalt, um die werktreue Entfaltung verschiedener filmischer Ausdrucksmöglichkeiten (analoge Filmformate, digitale Videoformate, Mischformen) in ihrer ureigenen Form, und vielleicht besteht diese in der gegenwärtigen Übergangsphase trotz aller Einschränkungen dann tatsächlich in einer Ausprägung, von der man früher nichts ahnen konnte und musste, und von der man später vielleicht nur noch träumen kann, weil das digitale Kino leider nicht nur das erfreuliche Ziel der Erweiterung der Möglichkeiten von Film/Video, sondern aufgrund der Ziele seiner Verfechter noch viel mehr eine äußerst unerfreuliche ökonomische und technische Verdrängungsstrategie fährt. Umso mehr freue ich mich, solange es geht, an dem, was trotz allem in dieser und anderer Hinsicht immer wieder und noch immer möglich ist. Um noch einmal auf das Sichtungspensum zurück zu kommen: angeregt durch Sanos eigene Handhabung (die hinsichtlich 2010 wohl nachgereicht wird) und den Umstand, dass ich im Gegensatz zu einigen ET-Mitautoren kein regelmäßiges, vollständiges Sichtungstagebuch auf dem Blog führe, habe ich nachfolgend eine grob nach ungefähren Wertschätzungs-Bereichen (innerhalb derer aber nicht) sortierte Gesamtliste aller gesehenen aktuellen Filme erstellt.
Sonderkategorien:
Materialfetischisten-Award für den bestaussehendsten Film des Jahres (nur auf DI-freiem 35mm/1,37:1 nachvollziehbar): La Vie au Ranch (Sophie Letourneur)
Lobende Erwähnungen für weitere (film)materialästhetische Betörungen: „Get Out of the Car“ & „Let Each One Go Where He May“, die den Beweis antreten, dass es auch heute trotz aller extremen Widrigkeiten noch möglich ist, schlichtweg wunderschöne 16mm-Kopien von 16mm-Filmen herzustellen. Wer das im Kino sieht und einen Sinn dafür hat, kann dem nur mit aufrichtiger Freude und Dankbarkeit begegnen, denn bald wird es damit wohl unwiederbringlich vorbei sein. Wobei zu diesem Thema großartige 35mm- und überhaupt Kino-Erlebnisse wie „The Portuguese Nun“, „Poetry“ oder „Gallants“ genauso wenig unterschlagen seien wie tolle Super16-to-35mm-Blow-Ups wie „Geburt“, „Amer“ oder „Attenberg“.
1. The Portuguese Nun (Eugène Green) 2. Uncle Boonmee Who Can Recall His Past Lives (Apichatpong Weerasethakul) 3. Film Socialisme (Jean-Luc Godard) 4. In the Woods (Angelos Frantzis) 5. Poetry (Lee Chang-dong) 6. Coming Attractions (Peter Tscherkassky) 7. Les herbes folles (Alain Resnais) 8. Raging Sun, Raging Sky (Julián Hernández) 9. Das rote Zimmer (Rudolf Thome) 10. Get Out of the Car (Thom Andersen)
11. Let Each One Go Where He May (Ben Russell) 12. Meek’s Cutoff (Kelly Reichardt) 13. Oxhide 2 (Liu Jiayin) 14. Die Autobiographie des Nicolae Ceausescu (Andrei Ujica) 15. The Lips (Santiago Loza, Iván Fund) 16. Oki’s Movie (Hong Sang-soo) 17. Das elektrische Paradies (Michael Busch) 18. The Strange Case of Angelica (Manoel de Oliveira) 19. Attenberg (Athina Rachel Tsangari) 20. The Life and Death of a Porno Gang (Mladen Djordjevic)
21. Bas-Fonds (Isild Le Besco) 22. Los jóvenes muertos (Leandro Listorti) 23. Geburt (Silvia Haselbeck, Erich Langjahr) 24. Orly (Angela Schanelec) 25. Amer (Hélène Cattet, Bruno Forzani) 26. Guest (José Luis Guerín) 27. Road to Nowhere (Monte Hellman) 28. Gallants (Derek Kwok, Clement Cheng) 29. Woman on Fire Looks for Water (Ming Jin Woo) 30. Von Menschen und Göttern (Xavier Beauvois)
31. My Joy (Sergei Loznitsa) 32. Outrage (Takeshi Kitano) 33. Hadewijch (Bruno Dumont) 34. Winter House (Gonzalo Castro) 35. The Day Was a Scorcher (Ken Jacobs) 36. Caterpillar (Koji Wakamatsu) 37. You All Are Captains (Oliver Laxe) 38. Der Räuber (Benjamin Heisenberg) 39. You Think You’re the Prettiest, But You Are the Sluttiest (José Manuel Sandoval) 40. La bocca del lupo (Pietro Marcello)
Runners-Up:
Im Schatten (Thomas Arslan) Villalobos (Romuald Karmakar) The Sword and the Rose (João Nicolau) La Pivellina (Tizza Covi, Rainer Frimmel) Shadow Cuts (Martin Arnold) Double Tide (Sharon Lockhart) The Four Times (Michelangelo Frammartino) El Sicario, Room 164 (Gianfranco Rosi) Piranha 3D (Alexandre Aja) Nostalgia de la luz (Patricio Guzmán) Ha Ha Ha (Hong Sang-soo) Paula-Paula (Jess Franco) The Oath (Laura Poitras) Boris Lehman et ses amis: Retouches et réparations / Choses qui me rattachent aux êtres / Un peintre sous surveillance (Boris Lehman) Paju (Park Chan-ok) White Material (Claire Denis) Carlos (Olivier Assayas) Trash Humpers (Harmony Korine) Bedways (RP Kahl) Alamar (Pedro González-Rubio)
Bemerkenswert:
The Road (John Hillcoat) Der Wanderer (Avishai Sivan) Mundane History (Anocha Suwichakornpong) I Travel Because I Have To, I Come Back Because I Love You (Marcelo Gomes, Karim Aïnouz) Unter dir die Stadt (Christoph Hochhäusler) Un día menos (Dariela Ludlow) Tetro (Francis Ford Coppola) Eighteen (Jang Kun-jae) Belair (Bruno Safadi, Noa Bressane) The Stranger’s Land (Xavier Marrades) Der Vater meiner Kinder (Mia Hansen-Løve) Lourdes (Jessica Hausner) The Loved Ones (Sean Byrne) Monsters (Gareth Edwards) Rubber (Quentin Dupieux) The Land Inhabited (Anna Sanmartí) Survival of the Dead (George A. Romero) La Vie au Ranch (Sophie Letourneur) A Loft (Ken Jacobs) The Social Network (David Fincher) Aurora (Cristi Puiu) Tranquility (Siegfried A. Fruhauf) W2 (Alexander Biedermann) Marwencol (Jeff Malmberg) Unstoppable (Tony Scott)
Gelungen:
Crab Trap (Oscar Ruíz Navia) Portrait of the Fighter as a Young Man (Constantin Popescu) La belle visite (Jean-François Caissy) Kyoto Story (Yamada Yoji, Abe Tsutomu) Red Riding: 1974 (Julian Jarrold) Anvil! The Story of Anvil (Sacha Gervasi) The Exploding Girl (Bradley Rust Gray) Mr. Nice (Bernard Rose) I Wish I Knew (Jia Zhang-Ke) I’m Glad My Mother is Alive (Claude Miller, Nathan Miller) Valhalla Rising (Nicolas Winding Refn) Dev. D (Anurag Kashyap) Redland (Asiel Norton) My Son, My Son, What Have Ye Done? (Werner Herzog) Shutter Island (Martin Scorsese) Symbol (Hitoshi Matsumoto) Schmutziger Süden (Klaus Lemke) The Ape (Jesper Ganslandt) We Are What We Are (Jorge Michel Grau) Ip Man 2 (Wilson Yip) Gamer (Mark Neveldine, Brian Taylor) Self-Examination Remote Control (Eve Heller) Cycle (Volker Schreiner) Tuesday, After Christmas (Radu Muntean) Night Mayor (Guy Maddin) Maybe Siam (Christoph Girardet, Matthias Müller) The Stool Pigeon (Dante Lam) Reise nach Agatis (Marian Dora) Bal (Semih Kaplanoğlu)
Okay:
Eastern Drift (Sharunas Bartas) Summer Wars (Mamoru Hosoda) Nénette (Nicolas Philibert) Winter’s Bone (Debra Granik) Missing Man (Anna Fenchenko) About Her Brother (Yoji Yamada) Vincent will Meer (Ralf Huettner) Turistas (Alicia Scherson) Die Fremde (Feo Aladag) Little Baby Jesus of Flandr (Gust Van den Berghe) Café Noir (Jung Sung-Il) Persécution (Patrice Chéreau) Inception (Christopher Nolan) Kaboom (Gregg Araki) A Serious Man (Joel & Ethan Coen) Free Land (Minda Martin) La vida sublime (Daniel V. Villamediana) Studien zum Untergang des Abendlandes (Klaus Wyborny) Guerra Civil (Pedro Caldas) Transit (Angela Zumpe) Fire of Conscience (Dante Lam) Enter the Void (Gaspar Noé) Greenberg (Noah Baumbach) Humpday (Lynn Shelton) I Killed My Mother (Xavier Dolan) Mouse Palace (Harald Hund, Paul Horn) Summer of Goliath (Nicolás Pereda)
Mäßig:
Haze (Tayfun Pirselimoglu) The Well (Umesh Vinayak Kulkarni) Waste Land (Lucy Walker, João Jardim, Karen Harley) Heartless (Philip Ridley) Hotel Atlântico (Suzana Amaral) Life During Wartime (Todd Solondz) Frozen (Adam Green) The Killer Inside Me (Michael Winterbottom) Red Hill (Patrick Hughes) Reykjavik Whale Watching Massacre (Julius Kemp) Trinkler (Marie-Catherine Theiler) Wednesday Morning Two A.M. (Lewis Klahr) The Forgotten Space (Allan Sekula, Noël Burch) Cyrus (Jay Duplass, Mark Duplass) Versailles (Pierre Schoeller)
Schwach:
Bad Family (Aleksi Salmenperä) Exit Through The Gift Shop (Banksy) Engel mit schmutzigen Flügeln (Roland Reber) Up in the Air (Jason Reitman) [Rec] 2 (Jaume Balagueró, Paco Plaza) Rampage (Uwe Boll) Darfur (Uwe Boll) Khargosh (Paresh Kamdar) Illégal (Olivier Masset-Depasse) Certified Copy (Abbas Kiarostami) The Dark House (Wojtek Smarzowski) Greetings from the Woods (Mikel Cee Karlsson) The Human Centipede (First Sequence) (Tom Six) Four Lions (Chris Morris) Rammbock (Marvin Kren) A Screaming Man (Mahamat-Saleh Haroun) Dream Home (Pang Ho-Cheung) Somewhere (Sofia Coppola)
Quälend mies:
A White Night (Masahiro Kobayashi) Der Doppelgänger (Christopher Lenke & Philip Nauck) Love Crime (Alain Corneau) Adèle und das Geheimnis des Pharaos (Luc Besson)
Absolut unerträglich:
La Herencia Valdemar (José Luis Alemán) No Reason (Olaf Ittenbach) (zzgl. partiellem Schlock-Spaß!) A Serbian Film (Srdjan Spasojevic) Centurion (Neil Marshall) Der letzte schöne Herbsttag (Ralf Westhoff)
4 x 10+ = das Entdeckungsjahr 2010 in vier 10er-Listen plus Ergänzungen
Ältere Filme, erstmals gesehen: Entdeckungen 2010 – es handelt sich um die ausufernde, maßlose, unbeherrschte Langfassung meiner Liste aus diesem Sammelposting. Und dieser Beitrag hier ist nicht nur eine Ergänzung, sondern eine Komplettfassung, insofern überschneidet er sich natürlich zu großen Teilen mit dem Sammelposting. Es wird ausdrücklich darauf hingewiesen, dass der nachfolgende Beitrag lediglich für Listen-Fetischisten und besonders Unerschrockene geeignet sein dürfte. Obwohl ich sehr, sehr vieles aussortiert habe, ist die Auswahl noch immer ziemlich wahnwitzig, was gewissermaßen dann aber eben doch recht gut dem Sichtungsjahr entspricht. Irgendwann hatte ich auch einfach keine Zeit, Lust und Nerven, noch weitere Aussiebungsrunden durchzuführen. Und nach einer Weile wird das Erstellen einer solchen Extended-Liste dann bei allem eigentlich antreibenden Spiel & Spaß dann doch dermaßen enervierend, dass man irgendwann einfach nur noch den ganzen Kram fertig stellen und loswerden möchte. Zumindest ging’s mir in diesem Fall so. Insofern fehlt bestimmt noch immer einiges (manches ganz bewusst, andereres vielleicht nur aus Versehen), manch anderes hätte man vielleicht auch durchaus noch rausschmeißen können, aber egal: passt schon alles irgendwie so. Dass die Filme mitunter aus sehr unterschiedlichen Gründen und aus sehr unterschiedlichen Kontexten heraus auf der Liste gelandet sind (z.B. würde man angesichts meiner Vorliebe für Sleaze, Trash und mitunter Schlock wohl kaum vermuten, dass ich zu den wenigen Menschen auf diesem Planeten gehöre, die im berühmt-berüchtigten MANOS keine Spaßgurke, sondern tatsächlich einen auf äußerst eigenwillige, inspirierte Weise interessanten, guten Film sehen, der aber von konventionellen Qualitäts-Kriterien natürlich denkbar weit entfernt ist), dürfte sich von selbst verstehen, lässt sich im Rahmen einer solch umfassenden Liste aber natürlich leider in keiner Weise transparent machen (dazu bräuchte es wohl ein riesiges begleitendes Handbuch ;)). Und ja, das ist schon alles ziemlich pervers, hier werden diesmal halt keine halben Sachen gemacht, sondern es wird richtig ausgeholt. Insofern geht’s nun auch gleich in die Vollen…
10 entdeckte Regisseure (Bedingung: jeweils mindestens drei gesehene, sehr geschätzte, neu entdeckte Filme in diesem Jahr), jeweils drunter dann meine drei zugehörigen Lieblingsfilme (bei Hofbauer und Franco musste ich auf vier aufstocken, nicht zuletzt wegen der im Vergleich zu den anderen Regisseuren deutlich höheren Anzahl gesehener Filme):
* Rogério Sganzerla Copacabana mon amour The Woman of Everyone Sem Essa, Aranha
* Susumu Hani Das Mädchen Nanami Sie und Er Die Bewährung
* Helmut Dziuba Sabine Kleist, 7 Jahre Der Untergang der Emma Als Unku Edes Freundin war…
* Zbyněk Brynych Engel, die ihre Flügel verbrennen Oh Happy Day Mravenci nesou smrt
* Ernst Hofbauer Wenn die prallen Möpse hüpfen Erotik im Beruf – Was jeder Personalchef gern verschweigt Schwarzer Markt der Liebe Was Schulmädchen verschweigen
* Ernst Ritter von Theumer Ich, die Nonne und die Schweinehunde Der Irre vom Zombiehof Camp der Verdammten
* Rolf Olsen Wenn es Nacht wird auf der Reeperbahn Auf der Reeperbahn nachts um halb eins Das Stundenhotel von St. Pauli
* Siegfried A. Fruhauf Mirror Mechanics Palmes d’Or Exposed
* Raymond Depardon San Clemente Afrika: Was machen die Schmerzen? New York, NY
* Yasujiro Shimazu The Trio’s Engagement The Lights of Asakusa So Goes My Love
Lediglich von Hofbauer und Olsen kannte ich vorher schon Filme, entdeckte aber erst dieses Jahr wirklich ihr Werk in größerem Umfang. Hinzu kommen außerdem zwei Filmemacher, von denen ich vorher schon eine ganze Menge kannte und sie zu meinen Favoriten zählte, jedoch 2010 noch einmal neue Facetten und vor allem einige neue Lieblingsfilme aus ihrem Werk kennen lernte, so dass eine gesonderte Nennung durchaus gerechtfertigt ist:
* Jess Franco Die Sklavinnen Küss mich, Monster Lolita am Scheideweg Jungfrau unter Kannibalen
* Rainer Werner Fassbinder Rio das Mortes Querelle Wildwechsel
Serenade für zwei Spione (Michael Pfleghar) Häschen in der Grube (Roger Fritz) Sukkubus – Den Teufel im Leib (Georg Tressler) Der wilde Blonde mit der heißen Maschine (Adrian Hoven) Bengelchen liebt kreuz und quer (Marran Gosov) Vanessa (Hubert Frank) Madame und ihre Nichte (Eberhard Schröder) Im Schloss der blutigen Begierde (Adrian Hoven) Jerry Cotton: Der Tod im roten Jaguar (Harald Reinl) Noch minderjährig (Georg Tressler) Das zweite Gesicht (Dominik Graf) Liebe, so schön wie Liebe (Klaus Lemke) Jagdszenen aus Niederbayern (Peter Fleischmann) Paul (Klaus Lemke)
Le départ (Jerzy Skolimowski) Dealer Connection (Enzo G. Castellari) Ratsy (Francisco Lara Polop) Kommissar X – In den Klauen des goldenen Drachen (Gianfranco Parolini) Samurai Cop (Amir Shervan) Die Brut des Bösen (Christian Anders) Blutrausch der Zombies (León Klimovsky) Frankenstein ’80 (Mario Mancini) Draculas Bluthochzeit mit Frankenstein (Al Adamson) Dolemite (D’Urville Martin) Fire Syndrome (Tobe Hooper) Wie treu ist Nik? (Eckhart Schmidt) Bruce Lee gegen die Supermänner (Chia Chun Wu)
Nachtlied des Hundes (Gábor Bódy) Tanzender Habicht (Grzegorz Królikiewicz) Krieg der Welten – Das nächste Jahrhundert (Piotr Szulkin) Igla – Die Nadel (Raschid Nugmanow) Ich, die Gräfin (Petar Popzlatev) Aufstieg (Larissa Schepitko) Die Legende der Festung Suram (Sergej Paradshanow, David Abaschidse) Überall ist es besser, wo wir nicht sind (Michael Klier) Die Frau und der Fremde (Rainer Simon)
O Sangue (Pedro Costa) Killed the Family and Went to the Movies (Júlio Bressane) Das Mädchen, das ich wegwarf (Kiriro Urayama) Letter to the Prison (Marc Scialom) Kasaba (Nuri Bilge Ceylan) D’Est (Chantal Akerman) Arcana (Giulio Questi) Stimmen in der Zeit (Franco Piavoli) Prof. Bernhards Eisenbahnfilm (Dietmar Brehm) Crystal Voyager (David Elfick) Pacific 231 (Jean Mitry)
Stille Tage in Clichy (Jens Jørgen Thorsen) Dionysus (Brian De Palma) The Telephone Book (Nelson Lyon) Naomi, die Unersättliche (Yasuzo Masumura) Delitto carnale (Cesare Canevari) Was? (Roman Polanski) Little Tony (Alex Van Warmerdam) Der Teufel in Miss Jonas (Erwin C. Dietrich) Anna Obsessed (Martin & Martin) Nightdreams (Stephen Sayadian) Angela, the Fireworks Woman (Wes Craven)
Der Mieter (Alfred Hitchcock) Turksib – Die Stahlstraße (Victor A. Turin) Asphalt (Joe May) The Iron Horse (John Ford) Underworld (Josef von Sternberg) Die Carmen von St. Pauli (Erich Waschneck) Abstecher (Ulrich Weiß) Rangierer (Jürgen Böttcher) Stroszek (Werner Herzog) Das Ding im Kanal (Rainer Fürst) Eolomea – Unheimliche Zeichen aus dem All (Herrmann Zschoche) Berlin – Ecke Schönhauser (Gerhard Klein)
Il Nero – Hass war sein Gebet (Claudio Gora) Der Tod zählt keine Dollar (Riccardo Freda) Die sich in Fetzen schießen (Tanio Boccia) Man nannte ihn Hombre (Martin Ritt) Schreie in der Nacht (Antonio Margheriti) Man-Eater – Der Menschenfresser (Joe D’Amato) The Long Hair of Death (Antonio Margheriti) Gestapo’s Last Orgy (Cesare Canevari) Verdrehte Verhältnisse durch ein eigenartiges Schicksal im azurblauen Meer des August (Lina Wertmüller) Sieben Schönheiten (Lina Wertmüller) Ich habe sie gut gekannt (Antonio Pietrangeli) Man, Woman and Beast (Alberto Cavallone) Der verbotene Christus (Curzio Malaparte) Dirty Angels (Mauro Severino)
Holocaust 2 (Angelo Pannacciò) Sklaven ihrer Triebe (Ottavio Alessi) Oily Maniac (Meng Hua Ho) Assault! Jack the Ripper (Yasuharu Hasebe) Malabimba – Komm und mach’s mit mir (Andrea Bianchi) Zieh dich aus, Puppe (Ákos Ráthonyi) Die Schulmädchen vom Treffpunkt Zoo (Walter Boos) Bruce Lee – Das war mein Leben (Mar Lo) Unter den Dächern von St. Pauli (Alfred Weidenmann) …soviel nackte Zärtlichkeit (Günter Hendel) Oswalt Kolle: Was ist eigentlich Pornographie? (Oswalt Kolle) Griechische Feigen (Siggi Götz) Schön, nackt und liebestoll (Roberto Bianchi Montero) Giallo a Venezia (Mario Landi) Die Liebesengel (Rino Di Silvestro) Heroin (Gianni Martucci)
Manos: The Hands of Fate (Harold P. Warren) Some Came Running (Vincente Minnelli) Imitation of Life (Douglas Sirk) Party Girl (Nicholas Ray) M. Butterfly (David Cronenberg) Achterbahn (James Goldstone) [in Sensurround] The Crazies (George A. Romero) God Told Me To (Larry Cohen) The Texas Chainsaw Massacre 2 (Tobe Hooper) Charley Varrick (Don Siegel) Emperor of the North Pole (Robert Aldrich) Honkytonk Man (Clint Eastwood) The Long Goodbye (Robert Altman) Die Verfluchten (Roger Corman) Haus der Todsünden (Pete Walker) Teufelskerle auf heißen Feuerstühlen (Bruce Brown)
Nouvelle Vague (Jean-Luc Godard) Später Frühling (Yasujirô Ozu) Dust in the Wind (Hou Hsiao-Hsien) Train of Shadows (José Luis Guerín) Antonio das Mortes (Glauber Rocha) Utopia (Sohrab Shahid Saless) Die innere Narbe (Philippe Garrel) Sauve qui peut (la vie) (Jean-Luc Godard) Die Frau des Fliegers (Eric Rohmer) Love Streams (John Cassavetes)
Wiederentdeckungen – 10 plus 1 großartige Kinoerlebnisse mit bereits bekannten Filmen:
Solaris (Andrej Tarkowski) Bad Lieutenant (Abel Ferrara) Opfer (Andrej Tarkowski) Ekel (Roman Polanski) Ordet (Carl Theodor Dreyer) Dressed to Kill (Brian De Palma) Deadlock (Roland Klick) Barbarella (Roger Vadim) Dolls (Takeshi Kitano) Manhattan (Woody Allen) The Searchers (John Ford)
plus: Terminator 2 (James Cameron) [in 70mm über Sensurround-Anlage]
Außerdem zur Abwechslung noch eine Flop-10 des absoluten Bodensatzes, um auch dem sich angesichts obiger Listen-Exzesse wohl aufdrängenden Verdacht des wahllosen Abfeierns mit der kontrastierenden Hervorhebung einiger grausiger Unerträglichkeiten entgegen zu treten:
Teen-age Fantasies: An Adult Documentary (Fred Spokeman) Der Ostfriesen-Report (Walter Boos) Liebe zwischen Tür und Angel – Vertreterinnen-Report (Ralf Gregan) Frauenstraflager (Ned Morehead) Demon Night (Jim Kaufman) Natalie 3 – Babystrich online (Dagmar Damek) Der Todesschrei der Hexen (Gordon Hessler) Drei Bayern in Bangkok (Siggi Götz) Sie sind keine Schulmädchen mehr! (Jack Remy) Urlaubsgrüße aus dem Unterhöschen (Walter Boos)
plus: diverse fade Rohrkrepierer von durchaus (teils sehr, sehr) geschätzten Regisseuren:
Central Station (Walter Salles) Genealogien eines Verbrechens (Raoul Ruiz) Noon Wine (Sam Peckinpah) Frauen ohne Unschuld (Jess Franco)
Diese Liste ließe sich noch um einiges erweitern und vor allem um haufenweise herbe Enttäuschungen, Ernüchterungen, Langweiler ergänzen, aber da es hier in erster Linie um die (positiven, aus welchen mitunter eigenwilligen Gründen auch immer) Entdeckungen gehen sollte und nicht um eine Gurkenparade, war das lediglich als kleine relativierende Anmerkung zum Schluss beabsichtigt.
Die Stützen der Gesellschaft (Douglas Sirk, 1935)* Hostel II (Eli Roth, 2007) Sabotage (Alfred Hitchcock, 1936) I lunghi capelli della morte (Antonio Margheriti, 1964) Engel, die ihre Flügel verbrennen (Zbyněk Brynych, 1970)* Fango Bollente (Vittorio Salerno, 1975) Die Sieger (Dominik Graf, 1994) Orgasmo (Umberto Lenzi, 1968) Seisaku no tsuma (Yasuzô Masumura, 1965) Der Fremdenlegionär (Claire Denis, 1999) Der Mann, der Liberty Valance erschoss (John Ford, 1962) Ein Kind zu töten… (Narciso Ibàñez Serrador, 1976) Der Mann, der zweimal lebte (John Frankenheimer, 1966)* Polizeiruf 110 – Er sollte tot (Dominik Graf, 2006) Die Kröte (Umberto Lenzi, 1978) Bengelchen liebt kreuz und quer (Marran Gosov, 1969) Der Arzt von St. Pauli (Rolf Olsen, 1968) Mädchen in Uniform (Leontine Sagan, Carl Froehlich, 1931) The Hills Have Eyes (Wes Craven, 1977) Foltergarten der Sinnlichkeit (Joe D’Amato, 1975) Ein Mädchen (Catherine Breillat, 1976) Holocausto seconda parte: i ricordi, i deliri, la vendetta (Angelo Pannaciò, 1980)* Masque of the Red Death (Roger Corman, 1964) Tatort – Frau Bu lacht (Dominik Graf, 1995) Zinksärge für die Goldjungen (Jürgen Roland, 1973)* Opfergang (Veit Harlan, 1944)* Harlis (Robert van Ackeren, 1972) Die Prophezeiung (John Frankenheimer, 1979) Die letzten Männer (Ulrich Seidl, 1994) Jagdszenen aus Niederbayern (Peter Fleischmann, 1969) Ceremonia sangriente (Jorge Grau, 1972) Chihiros Reise ins Zauberland (Hayao Miyazaki, 2001) Schwarzer Sonntag (John Frankenheimer, 1976) L’occhio nel labirinto (Mario Caiano, 1971)* Als Hitler den Krieg überlebte (Zbyněk Brynych, 1967) Rabid (David Cronenberg, 1976) Crystal Voyager (Davi Elfick, 1975) The Holcroft Covenant (John Frankenheimer, 1985) El techo de cristal (Eloy de la Iglesia, 1971)* Cztery Noce Z Anna (Jerzy Skolimowski, 2008) Symptoms (José Ramón Larraz, 1974) A Mulher de Todos (Rogério Sganzerla, 1969)* The Big Switch (Pete Walker, 1968) Die Geliebte des anderen (Leonard Keigel, 1970) Rocker (Klaus Lemke, 1972) Auf verlorenem Posten (Romolo Guerrieri, 1973) Lo spettro (Riccardo Freda, 1963) Étoile (Peter Del Monte, 1988)* Der Mann, der Peter Kürten hieß (Robert Hossein, 1965)* Was Schulmädchen verschweigen (Ernst Hofbauer, 1974) Los novios búlgaros (Eloy de la Iglesia, 2003) Falscher Bekenner (Christoph Hochhäusler, 2005) …und vor Lust zu sterben (Roger Vadim, 1960) Nachts fällt der Schleier (Robert Hossein, 1957)* The Manchurian Candidate (John Frankenheimer, 1962)* Die Engel von St. Pauli (Jürgen Roland, 1969)* Erpressung (Alfred Hitchcock, 1929) Dead Bang – Kurzer Prozess (John Frankenheimer, 1989) Naomi – Die Unersättliche (Yasuzô Masumura, 1967) Das Rasthaus der grausamen Puppen (Rolf Olsen, 1967) Ples v dezju (Bostjan Hladnik, 1961) Ronin (John Frankenheimer, 1998) Verbotene Liebe (Helmut Dziuba, 1989)* ¡Matalo! (Cesare Canevari, 1970) Gwendoline (Just Jaeckin, 1984) Una iena in cassaforte (Cesare Canevari, 1968)* Rocker sterben nicht so leicht (Ernesto Gastaldi, 1971)
***** Unfassbar – Die Liste mit den drei Ausrufezeichen:
Jaka – Der Rebell (Sisworo Gautama Putra, 1981) Samurai Cop (Amir Shervan, 1989) Noch minderjährig (Georg Tressler, 1958) Die Klasse von 1984 (Mark Lester, 1982) Die Brut des Bösen (Christian Anders, 1979) Blutrausch der Zombies (Leon Klimovsky, 1973) Die Schulmädchen vom Treffpunkt Zoo (Walter Boos, 1979) Frankenstein 80 (Mario Mancini, 1972) Wie treu ist Nik? (Eckhart Schmidt, 1986) Paganini Horror (Luigi Cozzi, 1989) Geh, zieh dein Dirndl aus (Siggi Götz, 1973)* Nightmare Beach (Umberto Lenzi, 1988) Zwiebel-Jack räumt auf (Enzo G. Castellari, 1975) Dünyayi kurtaran adam (Çetin Inanç, 1982) Bruce Lee – Das war mein Leben (Lo Mar, 1976) Die Liebesengel (Rino di Silvestro, 1974) Natalie – Endstation Babystrich (Hermann Zschoche, 1994)* Malabimba – Komm und mach’s mit mir (Andrea Bianchi, 1979) Griechische Feigen (Siggi Götz, 1977) Die Sklavinnen (Jess Franco, 1976) Wenn die prallen Möpse hüpfen (Ernst Hofbauer, 1975) Natalie II – Die Hölle nach dem Babystrich (Heidi Kranz, 1996) La chica de las bragas transparentes (Jess Franco, 1981) Auf der Reeperbahn nachts um halb eins (Rolf Olsen, 1969) Er – Stärker als Feuer und Eisen (Umberto Lenzi, 1982) …soviel nackte Zärtlichkeit (Günther Hendel, 1968) Sklaven ihrer Triebe (Ottavio Alessi, 1969) Vanessa (Hubert Frank, 1977) I Hate My Body (Leon Klimovsky, 1974) Ein Kaktus ist kein Lutschbonbon (Rolf Olsen, 1980) Bruce Lee gegen die Supermänner (Wu Jiaxiang, 1975 L’Ossessa – Omen des Bösen (Mario Gariazzo, 1975) Camp der Verdammten (Ernst R. Von Theumer, 1962) Der Oberst mit dem Dachschaden schlägt wieder zu (Andrea Bianchi, 1974)
*****
Ich, der Bär, wünsche allen Lesern und Sleazern von Herzen beary christmas nachträglich und ein hairy new year. Möge der Sleaze mit euch sein!
Eine weit ausholende Einleitung dürfte sich an dieser Stelle erübrigen. Wie offensichtlich sein sollte, handelt es sich um die Fortführung der letztes Jahr eingeführten gesammelten Entdeckunglisten, dieses Jahr jedoch wohl noch einmal eine Spur umfangreicher und maßloser (was sich auch daran zeigt, dass es nun gleich mehrere zusätzliche Ergänzungslisten gibt und vermutlich noch mindestens eine weitere folgen wird), und erfreulicherweise diesmal sogar mit sechs statt fünf Teilnehmern. Bliebe vielleicht nur noch etwas zu sagen zur letztjährigen Ankündigung, dass „demnächst“ nach den Entdeckungslisten mit älteren Filmen auch die Jahreslisten mit den Favoriten des aktuellen Jahrgang folgen würden, was dann aufgrund jämmerlichen Versagens aller diesbezüglichen Vorhaben leider nun auch ein knappes Jahr später noch immer nicht passiert ist. Wir geloben jedoch Besserung und möchten die nun folgende, exzessive Sammlung von Zeugnissen unserer unerschrockenen Leidenschaft für Listen als Beweis für unsere nimmermüden guten Vorsätze betrachten. Nun sind wir gefeit für die listologische Aufarbeitung des Jahrgangs 2010… Weiterlesen…
All that Heaven Allows / Was der Himmel erlaubt (Douglas Sirk 1955)
Endlich ein Sirk, der mich richtig begeistern konnte. Bissig, campig und in changierendes Licht getaucht…
Beau Travail / Der Legionär (Claire Denis 1999)
Der sinnlichste Film von Claire Denis. Dennoch ganz und gar abstrakt.
Spetters (Paul Verhoeven 1980)
Nur ein Beispiel für den Geist dieses Films: ein Homophobiker wird von einer Bande Lederschwuler vergewaltigt und findet daraufhin zu sich und seiner Homosexualität. Verhoeven lebe hoch!
Eine Kirche der Angst vor dem Fremden in mir (Christoph Schlingensief / Peter Schönhofer, D 2009, Theateraufzeichnung)
Emotionalstes Bewegtbilderlebnis jemals. Mehr kann ich dazu nicht sagen.
Martha (Rainer Werner Fassbinder 1974)
Fassbinder at his best! Carstensen at her best! (1)
Die bitteren Tränen der Petra von Kant (Rainer Werner Fassbinder, BRD 1972)
Fassbinder at his best! Carstensen at her best! (2)
Otra vuelta de tuerca / The Turn of the Screw (Eloy de la Iglesia, E 1985)
Endlich schwuler Sleaze, juhu! Und dazu noch ein Paket Mystik… Fein, fein, Applaus!
Jigoku no banken: akai megane / The Red Spectacles (Mamoru Oshii, Japan 1987)
Pflicht für alle Fehlgeleiteten, die Inception in irgend einer Weise originell fanden. Oshii hat die ganze Traumverschachtelung schon 1987 draufgehabt, geschickter, witziger, tiefsinniger und schöner, basta!
Der Fluch (Ralf Huettner, BRD 1988, ca. 3.x)
Eigentlich keine Neuentdeckung, aber neben The Reflecting Skin, die zweite Wiederentdeckung eines Films, den ich schon als Kind geliebt habe. Hier habe ich ihn für die deutsche Reihe besprochen.
The Man Who Shot Liberty Valance / Der Mann, der Liberty Valance erschoss (John Ford, USA 1962)
Mit Skepsis angefangen, mit wachsender Begeisterung zu Ende geschaut. Vielleicht sollte ich mich dem Western doch mehr öffnen.
Deadlock (Roland Klick, BRD 1970)
Und der nächste Western, dazu noch ein deutscher. Existenzialistisch, spannend, stellenweise sogar lustig.
Flandres / Flandern (Bruno Dumont, F 2006)
Wer Dumont Nihilismus vorwirft, hat nichts begriffen. Ein Kriegsfilm ohne Schnörkel, ohne Erklärungen, ohne Ideologie, fast ohne Krieg(sszenen). Mit Menschen.
Crimes of Passion (Ken Russell, USA 1984)
Ken Russells sleazigster und fröhlich frei perversester Film mit Anthony Perkins als sexuell verkorkstem Priester. Thumbs up!
Au hasard Balthazar / Zum Beispiel Balthasar (Robert Bresson, Frankreich / Schweden 1966)
Endlich hat es ein Film von Bresson geschafft mich wirklich zu berühren. Vielleicht erschließt sich mir der Rest seines Werkes nach und nach auch noch.
Iwan Grosny I & II / Iwan der Schreckliche I & II (Sergej Eisenstein 1944 & 1945)
Brilliantes Spätwerk Eisensteins, semantisch ambivalenter und filmsprachlich fast noch interessanter als seine Revolutionsfilme.
Trouble Every Day (Claire Denis 2001)
Vincent Gallo und Beatrice Dalle als getriebene Tiere in einer kalten, glatten, fremden Welt. Wunderschön und erhaben. Nichts weniger.
Marquis (Henri Xhonneux / Roland Topor, F 1989)
Der Marquis de Sade spricht mit seinem Schwanz und defäkiert auf Kruzifixe. Das Ganze als Puppenfilm. Toll!
Gerry (Gus van Sant, USA 2002)
Zwei junge Männer verlaufen sich bei einem Ausflug in die Wüste. Der traurigste und schönste Film seit langem. Für mich auch Gus Van Sants bester bisher.
Waking Life (Richard Linklater, USA 2001)
Der zweite Film in dieser Liste der eine bessere alternative zu Inception darstellt, insofern er von Träumen in Träumen handelt. Außerdem geht es um die Existenz und überhaupt alles und so. Ein GGFÜA oder wie war das? Nur dass der Film gar nicht so „groß“(-spurig) daherkommt. Eigentlich wird hauptsächlich geredet, normalerweise etwas, was ich nicht so sehr bei Filmen mag (Rohmer…), aber hier ist es super!
Schon bei der vorletzten Berlinale hatten wir eigentlich geplant, abschließend eine Wertungs-Übersicht aller von ET-Autoren gesehenen Filme zu erstellen, was damals und auch sonst seither (wie so vieles) dann aber doch bei jeder Gelegenheit aufs Neue im Sande verlief. Beim diesjährigen Münchner Filmfest, bei dem wir zu dritt wohl letztlich rund ein Drittel des über 200 Filme umfassenden Programms abgedeckt haben, klappt es nun aber doch endlich mal. Genauere Anmerkungen zu einzelnen Filmen folgen demnächst vielleicht noch in gesonderten Beiträgen, hier soll es zunächst nur um ein nicht weiter erläutertes Fazit in Form von Wertungen und Listen gehen.
Anmerkung: das 10er Wertungssystem wird von allen drei Bewertern in der Verteilung recht unterschiedlich ausgelegt (die 6 drückt beim Einen womöglich eine ähnliche Wertschätzung wie die 7 eines Anderen aus etc.) und ist insofern natürlich nur bedingt vergleichbar, sondern jeweils vor allem im Kontext der jeweiligen Auslegung zu sehen. Und wie sich von selbst verstehen sollte, ist das alles natürlich auch nicht in Stein gemeißelt.
Abkürzungen: () = unter Vorbehalt (wegen ungünstigen Sichtungsumständen bzw. starker Müdigkeit) * = bereits gesehen gehabt (und beim Filmfest nicht nochmal gesehen) ** = wiederholt gesehen
Filmtitel (gemäß Filmfest-Ankündigung)
Alexander P.
Andreas
Christoph
36 VUES DU PIC SAINT LOUP (Jacques Rivette)
7
8*
8
ACCIDENT (Cheang Pou-Soi)
–
7.5*
9
AMER (Hélène Cattet, Bruno Forzani)
6.5
8
9
DIE AUTOBIOGRAFIE DES NICOLAE CEAUSESCU (Andrei Ujica)
9
8.5
9.5
BELAIR (Bruno Safadi, Noa Bressane)
–
7
–
BERGBLUT (Philipp J. Pamer)
–
–
1
CAFÉ NOIR (Jung Sung-Il)
–
(5)
–
CARLOS (Olivier Assayas)
9.5
–
10
COPIE CONFORME (Abbas Kiarostami)
4
3
–
THE DARK HOUSE (Wojtek Smarzowski)
–
3
–
DES HOMMES ET DES DIEUX (Xavier Beauvois)
6.5
8
–
DEUX DE LA VAGUE (Emmanuel Laurent)
7
–
–
DEV. D (Anurag Kashyap)
–
6
8.5
THE DOUBLE HOUR (Giuseppe Capotondi)
–
–
7
DRAQUILA – ITALY TREMBLES (Sabina Guzzanti)
–
–
6.5
UN DÍA MENOS (Dariela Ludlow)
–
7
–
EIGHTEEN (Jang Kun-jae)
–
7
7.5
THE FOUR TIMES (MIchelangelo Frammartino)
6
7.5
–
GREETINGS FROM THE WOODS (Mikel Cee Karlsson)
–
3.5
–
HOTEL ATLÂNTICO (Suzana Amaral)
–
4.5
–
I TRAVEL BECAUSE I HAVE TO, I COME BACK BECAUSE I LOVE YOU (Marcelo Gomes, Karim Aïnouz)
–
7
–
I WISH I KNEW (Jia Zhang-Ke)
–
6.5
–
ILLÉGAL (Olivier Masset-Depasse)
–
3
(3)
IN THE WOODS (Angelos Frantzis)
6
9
10
JE SUIS HEUREUX QUE MA MÈRE SOIT VIVANTE (Claude & Nathan Miller)
9
6
9.5
LOS JÓVENES MUERTOS (Leandro Listorti)
7
8.5
9
KHARGOSH (Paresh Kamdar)
5.5
3.5
–
DER LETZTE ANGESTELLTE (Alexander Adolph)
6.5
–
7
DAS LETZTE SCHWEIGEN (Baran Bo Odar)
5.5
–
6.5
LIFE DURING WARTIME (Todd Solondz)
–
4.5
–
LIKE YOU KNOW IT ALL (Hong Sang-soo)
–
8*
7.5
LITTLE BABY JESUS OF FLANDR (Gust Van den Berghe)
–
5
–
LOLA (Brillante Mendoza)
–
7*
–
LSD: LOVE, SEX AUR DHOKHA (Dibakar Banejee)
5.5
–
5
MR. NICE (Bernard Rose)
–
6
8
MUNDANE HISTORY (Anocha Suwichakornpong)
–
7
6.5
MY SON, MY SON, WHAT HAVE YE DONE? (Werner Herzog)
6.5
6
8.5
PAJU (Park Chan-ok)
–
7.5
8.5
PERSÉCUTION (Patrice Chéreau)
6.5
5
–
THE PORTUGUESE NUN (Eugène Green)
4
9.5
4
POSSESSED (Yong-Joo Lee)
–
–
6
DIE PRINZESSIN VON MONTPENSIER (Bertrand Tavernier)
9.5
–
–
REDLAND (Asiel Norton)
6
6
8.5
LE REFUGE (Francois Ozon)
6.5
–
–
THE ROAD (John Hillcoat)
–
7
–
SHIT YEAR (Cam Archer)
7
–
–
THE STRANGER’S LAND (Xavier Marrades)
–
7
–
TE CREÍS LA MÁS LINDA… (PERO ERÍS LA MÁS PUTA) (José Manuel Sandoval)
–
8
–
TETRO (Francis Ford Coppola)
7.5
7
9
TODOS VÓS SODES CAPITÁNS (Oliver Laxe)
–
8
–
TRANSIT (Philipp Leinemann)
–
–
6
UNCLE BOONMEE WHO CAN RECALL HIS PAST LIVES (Apichatpong Wheerasethakul)
4.5
9
3.5
UNTER DIR DIE STADT (Christoph Hochhäusler)
3
7
9
VALHALLA RISING (Nicolas Winding Refn)
6.5
6
9.5
DER WANDERER (Avishai Sivan)
–
7
–
WHITE MATERIAL (Claire Denis)
7.5
7.5
–
A WHITE NIGHT (Masahiro Kobayashi)
–
2
4.5
WOMAN ON FIRE LOOKS FOR WATER (Ming Jin Woo)
–
8
–
ZAPPING-ALIEN@MOZART-BALLS (Vitus Zeplichal)
–
–
2
***
Ältere Filme, erstmals gesehen:
DER BALL (Ulrich Seidl)
7.5
–
–
BRÜDER LASST UNS LUSTIG SEIN (Ulrich Seidl)
7.5
–
–
DER BUSENFREUND (Ulrich Seidl)
–
6
7
COPACABANA MON AMOUR (Rogério Sganzerla)
–
9.5
10
EINSVIERZIG (Ulrich Seidl)
7
–
–
GOOD NEWS: VON KOLPORTEUREN, TOTEN HUNDEN UND ANDEREN WIENERN (Ulrich Seidl)
5
–
–
ICH WILL DOCH NUR, DASS IHR MICH LIEBT (Rainer Werner Fassbinder)
8.5
–
–
DIE LETZTEN MÄNNER (Ulrich Seidl)
–
–
8.5
LOOK 84 (Ulrich Seidl)
7.5
–
–
DER WIND WIRD UNS TRAGEN (Abbas Kiarostami)
–
(5)
–
ZUR LAGE: ÖSTERREICH IN SECHS KAPITELN (Ulrich Seidl, Michael Glawogger, Barbara Albert, Michael Sturminger)
8
–
–
***
Unsere inoffiziellen Eröffnungs- und Abschlussfilme in Münchner Kinos abseits des Festivals:
Eigentlich müsste an dieser Stelle meine aktualisierte Liste von 100 Lieblingsfilmen stehen. Als ich letztes Jahr etwa zur gleichen Zeit zum ersten Mal dieses Unterfangen beendet hatte, war mein Vorhaben die Liste jährlich zum Frühlingsanfang zu aktualisieren. Als ich mich jedoch vor ca. 2 Monaten daranmachte, verließ mich schnell die Lust. In einem Jahr hatte sich bei mir nicht viel geändert, und zwar wären wohl um die 30 Filme rausgeflogen, doch wirklich Neues (sprich zum ersten mal Gesehenes) wäre nicht viel dabei gewesen. Ich sehe im Schnitt eben nicht mehr als 400 Filme im Jahr, und da passiert nicht unbedingt immer viel Spannendes. Daher entschloss ich mich ein altes Projekt von mir wiederaufleben zu lassen. Meine 100 Lieblingsregisseure. Als Listenfetischist hatte ich einen ersten Versuch bereits 2005 gestartet, und seitdem tatsächlich noch 2 weitere Updates durchgeführt, den letzten im Februar 2008. Daher wird es die kommenden Jahre immer im Wechsel jeweils eine Liste mit 100 Filmen, und eine Liste mit 100 Filmemachern geben. Ist einfach Abwechslungsreicher und macht mir mehr Spaß.
Warum macht man Listen überhaupt? Für mich persönlich ist das eine Art Tagebuch, eine Auseinandersetzung mit der Vergangenheit und ihrem Einfluss auf die Gegenwart. Ich weiß nämlich bevor ich mit einer Liste anfange meist gar nicht wie sie am Ende aussehen wird. Natürlich habe ich so meine Vermutungen, aber im Endeffekt lässt sich vorher weniger abschätzen als man vermuten würde. Dieses mal, hatte ich zunächst eine Shortlist von knapp 300 Filmemachern zusammengestellt. Daraufhin folgte die Recherche über die exakte Anzahl der gesehenen Filme, und danach ein mehrwöchiges und stundenlanges Hin- und Hergeschiebe zwischen den Platzierungen. Daher bin ich am Ende meist genauso überrascht wie manch Anderer, wenn ich die Liste nach Fertigstellung genauer betrachte. Bei Jean-Luc Godard hätte ich z.B. vermutet, dass er es diesmal nicht unter die ersten 100 schafft (100 Filmemacher aus den persönlichen Favoriten auszuwählen ist für mich eine ebenso schwierige Aufgabe wie das Einstampfen auf 100 Filme), und er ist sogar auf Platz 12(!) gelandet. Das ich Jacques Doillon und Michael Mann (Platz 7 und 11) inzwischen derart schätze hätte ich auch nicht vermutet, und dass ein ehemaliger „Topfavorit“ wie Antonioni, dessen Tod mich vor 3 Jahren noch so stark erschüttert hatte wie selten ein cineastisches Ereignis zuvor, komplett aus den ersten 100 Plätzen verschwinden könnte, hätte ich davor nicht geahnt. Listen sind für mich also stark subjektiv und zeitverhaftet, und ermöglichen es mir mehr Klarheit über meine momentanen Vorlieben zu erhalten, sowie die ständigen Veränderungen als Filmliebhaber zu registrieren. Listen sind für mich daher niemals in Stein gemeißelt, sondern ebenso flüchtig und unberechenbar wie das Leben selbst. Ein Schnappschuß sozusagen.
Das neue Jahr hat begonnen, und der Januar war voll mit Bestenlisten, Rückblicken und Preisverleihungen. Obwohl davon oft sehr genervt, und von manchem sogar angeekelt, habe ich es mir während der letzten 10 Jahre dennoch zur Tradition werden lassen, nach Ablauf der 12 Monate meine eigene Top 10 zu erstellen. Die Anzahl der Filme, und das Format variiert dabei zwar regelmäßig, aber ein Leitprinzip hat sich inzwischen doch herausgeschält. Obwohl ich meine Liste weiterhin Top 10 nenne, geht es nicht darum die 10 besten Filme des Jahres zu finden. Auch nicht die 10 liebsten. Was in meine Top 10 reinkommt, egal ob sie nun 3 oder 30 Filme umfasst, ist eher etwas, was man schwammig als Lieblingsfilm bezeichnen könnte – also etwas sehr persönliches. Und so lese ich auch alle Jahresendlisten etwas faschistoid, mit der Erwartung möglichst nur auf Persönliches zu stoßen (welche natürlich zum Großteil herb enttäuscht wird). Als Anhänger radikaler Subjektivität langweilt mich das Meiste inzwischen sehr. Trotzdem werde ich in den ganzen Listenbrei wohl auch weiterhin einstimmen, denn im grunde meines Herzens bin ich ein Systematisierer, ein Ordnungs- und Listenfanatiker.
Warum kommt meine 2008er Liste erst jetzt? Seit ich diesen Vorgang betreibe (also ca. seit 1999) war ich von den gesehenen Filmen (im Kontext und als Gesamtes betrachtet) noch nie so enttäuscht wie im vorletzten Jahr. Meine letztendliche Nr. 1 der Liste war doch tatsächlich bereits der erste Film den ich in 2008 überhaupt zu sehen bekam, und die Glücksgefühle die man bei der Sichtung inspirierender Filme oft empfindet, beschränkten sich zum größten Teil auf ältere Werke der Filmgeschichte. Meine Ansicht, dass das Kino einfach richtig Scheiße geworden ist, und in der Geschichte der Kinematographie seit 1890 noch nie soviel Belangloses und so wenig Interessantes in einem Jahrzehnt abgedreht wurde wie im vergangenen Jahrzehnt, hat sich zwar auch 2009 wieder bestätigt, jedoch habe ich dort wenigstens eine würdige Nr.1 für meine Liste gefunden. Würdig heißt für mich in diesem Kontext, dass meine Nr.1 ein Film ist, der potentiell in jedem der letzten 120 Jahre auf Platz Eins einer solchen Lieblingsfilmliste stehen könnte. Trotz seiner Genialität halte ich wiederum meine damalige (und immer noch aktuelle) 2008er Numero uno We Own the Night nicht für so überragend. Zu meiner eigenen Verteidigung (und der der Kinematographie) sei jedoch gesagt, dass Grays Meisterwerk auch 2009 sehr hoch gelandet wäre – direkt auf dem zweiten Platz – und es sich daher meiner Meinung nach auch in diesem Fall nichtsdestotrotz um einen äußerst Schmackhaften Vertreter der siebten Kunst handelt.
Der Qualitätsverfall hat wahrscheinlich zum größten Teil mit der immer noch hartnäckig festsitzenden Meinung zu tun, Film – oder Kino im allgemeinen hätte seine Aufgabe primär darin, Geschichten zu erzählen. Das mag in vielen Fällen ein durchaus angebrachter Ansatz sein, bei dem aber oft vergessen wird, dass es nicht das Was ist, sondern das Wie, das beim Erzählen entscheidend ist. Das Wie reicht aber in alle Bereiche der Produktion hinein, die beim Film sehr vielfältig und Komplex sein können. Nicht minder wichtig als das erzählen (und für mich oft wichtiger) ist hierbei die Optik, sprich das gewählte Material auf dem die Geschichte festgehalten werden soll, und ihre ins-Licht-Setzung. Was bei der ganzen Euphorie zum digitalen Zeitalter oft übersehen wird, ist die Tatsache, dass immer noch kaum jemand ein Verständnis für die optischen und ästhetischen Qualitäten des digitalen Filmbildes besitzt. Einfach gesagt, habe ich es langsam satt, mir nach 20 Jahren digitaler Revolution immer noch viel zu oft dilettantische „Experimente“ mit den technischen Aspekten der Filmproduktion ansehen zu müssen. Was ziemlich oft nichts anderes heißt als: Filmen wir digital, des is billiger! Wie man’s richtig angeht haben in den 90ern die ersten Dogma Filme gelehrt, und man kann es heutzutage in kongenialer Weise in jedem Multiplex an den Werken von Michael Mann studieren. Oder sich einfach mal selbst damit beschäftigen. Wieso waren die oft einfallslosen Genre- und Billigfilmchen aus den 60ern und 70ern meist dennoch sehr sehenswert? Unter anderem wegen der brillanten Optik, von brillanten Kameramännern auf brillantes Filmmaterial gebannt. Was wurde in den 80ern sehr beliebt? Genau: Video. Und kaum einer wusste was damit anzufangen.
Inzwischen hat sich das geändert, aber die heutigen Cineasten müssen (sofern sie sich nicht nur für „Botschaften“ und die „künstlerische Aussage“ (gemeint ist hierbei meist der „inhaltliche“ Aspekt der „Geschichte“) interessieren) diesmal bei digitalen Formaten schrecklichstes Leid durchleben. Aber genug der Polemik!
Die beste schauspielerische Leistung die ich im vorletzten Jahr gesehen habe, war für mich eindeutig Casey Affleck als Robert Ford in The Assassination of Jesse James by the Coward Robert Ford. Schon bei der Sichtung des Trailers ahnte ich, dass ich hierbei Zeuge einer epochalen Darbietung werden würde. Die Tiefe und Komplexität der Darstellung offenbarte sich aber erst im Film. Die beeindruckendste Regie führte wahrscheinlich Dominik Graf bei Das Gelübde. Wie in den besten Kinomomenten, packte mich ein Schauer ob der Brillanz der Regieeinfälle, und ich musste vor dem übersprudelnden Ideenreichtum Grafs an manchen Stellen gar beinahe kapitulieren. Wie man so viele Ideen in einen Film stopfen kann, das ist beinahe schon unheimlich (Park Chan Wook war damit im vergangenen Jahr nicht so erfolgreich, und Sion Sono brauchte dafür 4 Stunden). Dass so etwas fürs deutsche Fernsehen produziert werden kann, zeigt aber nicht – wie man vielleicht meinen möchte – die Möglichkeiten auf, die einem talentierten und engagierten Filmemacher im deutschen Fernsehen trotz aller Einschränkungen noch bleiben, sondern verweist lediglich auf die kinematographische Brillanz und Professionalität (im besten Hawkschen Sinne) von Dominik Graf, der in dieser Art wohl eine singuläre Erscheinung im deutschen Film darstellt. Von Graf habe ich auch noch Süden und der Luftgitarrist im Kino gesehen, der zwar auch gut gefallen hat, aber dennoch nicht in dem Maße beeindruckte (wobei ich hinzufügen muss, dass es eine schrecklich verpixelte Projektion auf eine Riesenleinwand war…). Warum ich ihn hier dennoch erwähne? Einige schöne Filmzitate waren dennoch großartig, und völlig umwerfend fand ich die Hommage an meinen Lieblingsfilm von Wong Kar Wai, As Tears Go by (1988) (den ich ein paar Monate zuvor überraschend für mich im Kino wiederentdeckt hatte): als Ulrich Noethen seine Partnerin bei der Hand packte und über die Straße ins Hotel zerrte bekam ich Gänsehaut.
Die Top 10
1. We Own the Night „Helden der Nacht“ (James Gray / USA / 2007)
Der ultimative Familienhorrorfilm. Mit schauspielerischen Höchstleistungen und einer ausgeklügelten Mise-en-scène zeigt Gray, wie man alle Klischees eines Genrefilms erfüllen kann und dennoch etwas noch nie dagewesenes auf die Leinwand bannt. Der neben Michael Mann vielleicht beste zeitgenössische Hollywoodregisseur spinnt seine Familienchronik weiter und beschließt, was er mit Little Odessa und The Yards begann. Es ist eine infernalische Tour de Force geworden, die in ihrer Konsequenz ihresgleichen sucht. Permanent geohrfeigt wankt der Zuschauer benommen aus dem Kino, mit der Erkenntnis das man auch mit dem Willen das Richtige zu tun konsequent das Falsche erreichen kann. The Roads to Hell are paved with good intentions.
2. Hafez (Abolfazl Jalili / Iran, Japan / 2007)
Dieser Film war meine erste Begegnung mit Abolfazl Jalili, und es war eine Offenbarung. Ein Film voller Poesie und Zärtlichkeit, die er aus den Figuren, Bewegungen, und dem Rhythmus der Montage bezieht. Nichts ist aufgesetzt, aber alles behauptet. Als allegorische Fabel über das Wesen der Hingabe, voller religiöser Motive, fließt der Film wie die Strophen eines Gedichtes, wobei die Ideen und Vorstellungen des Sufismus mit dem gegenwärtigen Alltag im Iran kontrastiert werden.
Jalili hat bei diesem Film nicht nur Regie geführt und ihn produziert, sondern er hat darüber hinaus auch das Drehbuch geschrieben, die Kamera geführt und an der Musik mitgewirkt, und man spürt seine Persönlichkeit in jeder Einstellung. Die Gelassenheit eines souveränen Regiealtmeisters à la Miyazaki zeichnet Hafez ebenfalls aus. Asiatisches Kino wie ich es liebe.
3. Das Gelübde (Dominik Graf / Deutschland / 2007)
Das ist Kino pur: Übersprudelnd vor visuellen und thematischen Einfällen, zeigt Dominik Graf was man aus dem (italienischen) Genrekino alles herausholen kann. Eine unglaublich unauthentisch-authentische Geschichte aus dem 19. Jahrhundert, mit Menschen wie sie moderner nicht sein könnten. Und der Film ist dennoch so deutsch, dass es eine Freude ist. Was man aus der Geschichte gelernt hat? Keine Ahnung. Denn um solch unnötigen Ballast geht es Graf gar nicht. Er lässt Widersprüchliches und Unvereinbares nebeneinander bestehen, das Leben und die Menschen in ihrer ganzen Fülle und Beschränktheit. Ein geradlinig mäandernder Koloß von einem Film – im besten Sinne unspektakulär und bodenständig. Ein gänzlich unreligiöser Film zu einem religiösen Thema?
4. La fille coupée en deux „Die zweigeteilte Frau“ (Claude Chabrol / Frankreich, Deutschland / 2007)
Ich kenne von Chabrol immer noch sehr wenig, doch was ich vor „Die zweigeteilte Frau“ zu sehen bekommen hatte ließ mich aufmerken. Vor allem Rien ne va plus (1997), war eine wahre Entdeckung. Wie Chabrol Klischees und Konventionen nicht umgeht, nicht dekonstruiert, sondern vorführt und transformiert hat etwas das über das Spiel hinausgeht. Das Vorführen von Figuren und Genreregeln ist eine Sache die sich fast schon ins surreale steigert. In „Die zweigeteilte Frau“ sind die Figuren und Handlungen so auf das Wesentliche reduziert, dass Freiräume entstehen, die im narrativen Erzählkino eine Seltenheit sind. Ich hatte das Gefühl, dass ich mir den Film völlig frei zusammenkonstruieren konnte. Figuren und Handlungselemente als Puzzleteile eines beliebigen Ganzen. Passend in jede Richtung. Und das alles mit Verständnis und Respekt der eigenen cinematographischen Erfindung gegenüber. Eine Möglichkeit der Postmoderne, Referenzialität als Selbstreferenzialität zu betrachten, Obsession als etwas nach Innen gerichtetes. Sozusagen der Gegensatz zum Kino eines Quentin Tarantino. Ähnliches kenne ich im europäischen Film nur von Oliveira und Ruiz.
5. Les amants réguliers „Die Unruhestifter“ (Philippe Garrel / Frankreich / 2005)
Eigentlich kein Film von 2008, habe ich ihn erst in diesem Jahr in der regulären kinoauswertung gesehen, obwohl er sogar schon da längst im deutschen Fernsehen gesendet worden war. Warum ist er trotzdem auf meiner Liste? Weil er mir so gut gefallen hat, und ich diesen (aus meiner Sicht/ung) ziemlich schlechten Jahrgang zumindest mit einer Top 5 abschließen wollte. Les amants reguliers war für mich eine Darstellung des Heroinkonsums, und seiner Auswirkung auf die Wahrnehmung. Die 68er Revolution als von vornherein gescheitertes Projekt der Bourgeoisie ist hier nur Hintergrundfolie für sehr individuelle konflikte. Die an Bresson erinnernden Traumsequenzen in wunderschönem schwarz-weiß haben mich am meisten beglückt – ein Ausweg aus der gnadenlosen Alltagserfahrung, hier ebenfalls in schwarz-weiß. Nachdem sich der Nebel lichtet, bleibt, vielleicht, das Kino.
Honorable Mention (in alphabetischer Reihenfolge)
Die folgenden Filme fand ich auch sehr toll, wobei mancher wohl eher retrospektiv auf dieser Liste gelandet ist (z.B. There Will be Blood), da ich mich einfach nicht mehr vollständig erinnern kann welche Filme Anfang 2009 alle von mir aufgelistet worden wären.
Actrices Valeria Bruni Tedeschi Frankreich 2007
Auf der anderen Seite Fatih Akin Deutschland, Türkei, Italien 2007
Die zweite Frau Hans Steinbichler Deutschland 2008
Dr. Plonk Rolf de Heer Australien 2007
Hotel Chevalier Wes Anderson USA, Frankreich 2007
Johnny 316 Erick Ifergan USA 2006
Les amours d’Astrée et de Céladon Eric Rohmer Frankreich, Italien, Spanien 2007
Stellet licht Stilles Licht Carlos Reygadas Mexiko, Frankreich, Niederlande, Deutschland 2007
Sun taam Mad Detective Johnnie To, Ka-Fai Wai Hong Kong 2007
Stop-Loss Kimberly Peirce USA 2007
The Assassination of Jesse James by the Coward Robert Ford Die Ermordung des Jesse James durch den Feigling Robert Ford Andrew Dominik USA, Canada 2007
There Will Be Blood Paul Thomas Anderson USA 2007
Weisse Lilien Christian Frosch Österreich, Deutschland, Luxemburg, Ungarn 2007
Toi You François Delisle Canada 2007
Abschließend sollte ich vielleicht noch anmerken, dass ich es mir eigentlich ebenfalls zur Gewohnheit gemacht habe bei solch einer Liste immer auch alle neuen Filme zu nennen die ich im Verlauf des Jahres gesehen habe. Denn das Gelistete ist ja immer nur eine sehr geringe Auswahl aus einem unermeßlichen Quell von Filmen, und lässt sich so richtig erst im Kontext des Gesichteten, als Auswahl, erschließen. Für 2008 mache ich aber eine Außnahme, denn obwohl ich seit 1999 immer genau über jeden gesehenen Film Buch führe, habe ich das 2008 tatsächlich etwas vernachlässigt, und kriege somit wahrscheinlich nicht alle Titel, die ich gesehen habe, zusammen. Und besser als eine unvollständige Liste finde ich an dieser Stelle dann eben gar keine. Was ich aber sagen kann ist dass ich zwischen 60 und 80 Neuerscheinungen im weiten Sinn des Wortes gesehen habe, was so ziemlich der Anzahl von Filmen entspricht wie ich sie in den vergangenen 5 Jahren (seit ich regelmäßiger auf Festivals weile) im Schnitt auch zu sehen bekommen habe. Nichts Weltbewegendes also, nur die Qualität des Jahrgangs (meines gesichteten natürlich) hat mich schwer enttäuscht. Aber 2009 ist zum Glück wieder alles besser geworden. Ob mein Riecher oder das Glück entscheidend waren weiß ich zwar noch nicht genau (ich tippe jedoch auf Ersteres); aber ich freue mich wesentlich mehr darauf, die Top 10 für 2009 zu veröffentlichen. Hoffentlich dann auch etwas früher.
Das Jahr neigt sich dem Ende zu und der Listenwahnsinn hat traditionell Hochsaison. Dem wollen wir, die wir zumindest zum Teil selbst Listen-Fans sind, uns natürlich nicht entziehen. Bevor es demnächst um die Jahreslisten mit den Lieblingsfilmen des aktuellen Jahrgangs 2009 geht, liegt der Fokus hier in einem Sammelposting erst einmal auf den Entdeckungen abseits des aktuellen Jahrgangs, es geht also um ältere Filme, die man 2009 zum ersten Mal gesehen und für sich entdeckt hat. Einzige Vorgabe für dieses Sammelposting war, dass der Umfang der einzelnen Listen nicht zu umfangreich sein sollte, für allzu ausufernde Listen sind dann ggf. seperate Postings oder der Sehtagebuch- bzw. Listen-Bereich vorgesehen. Hier geht es erstmal um das halbwegs übersichtliche Zusammenfassen komprimierter Entdeckungslisten, wie stark komprimiert und ausgesiebt wurde, schwankt aber von Fall zu Fall. Nachfolgend also die Listen im Einzelnen.
***
Alexander P.
15 Entdeckungen 2009 (ungeordnet):
Mimi wo sumaseba (Yoshifumi Kondo) Escape from L.A. (John Carpenter) Sieben Tage Frist (Alfred Vohrer) Point Break (Kathryn Bigelow) Strait-Jacket (William Castle) Salaam Cinema (Mohsen Makhmalbaf) The Pit, the Pendulum and Hope (Jan Svankmajer) House by the River (Fritz Lang) After Midnight (Monta Bell) Model Shop (Jacques Demy) Le notti bianche (Luchino Visconti) Dead of Night (Bob Clark) Mauvais sang (Léos Carax) The Mirror (Jafar Panahi) My Bloody Valentine (George Mihalka)
***
Sano
Die sieben aufregendsten Filme des Jahres. Was haben sie bei genauerer Betrachtung gemeinsam? Den Exzess, den Überschuß. Das Manische im Beharren – auf der Allmacht des Helden in Die Nadel, auf der der Natur in Rotes Kornfeld. Die Protagonisten glauben an etwas, sind zwanghaft in ihren Handlungen. Was sich in ihren Gesichtern niederschlägt – in den Augen von Viktor Tsoj, Marlon Brando, Gong Li, Al Pacino, Kitty Winn, Joan Crawford und Joan Marshall – ist die Entschlossenheit und die Präsenz, im Hier und Jetzt. Das Direkte und Schnörkellose, Leben im Augenblick.
1. Hong gao liangRotes Kornfeld Yimou Zhang China 1987 2. IglaDie Nadel Rashid Nugmanov Sowjetunion 1988 3. Chui SaaiDie fliegenden Feuerstühle Stanley Wing Siu Hongkong 1973 4. Strait-JacketDie Zwangsjacke William Castle USA 1963 5. One-Eyed JacksDer Besessene Marlon Brando USA 1961 6. The Panic in Needle ParkPanik im Needle Park Jerry Schatzberg USA 1971 7. HomicidalMörderisch William Castle USA 1961
***
Andreas
Bei der Suche nach Schwerpunkten und Schnittmengen zwischen den einzelnen filmischen Entdeckungen, also einer Entdeckung auf breiterer Ebene, bin ich schnell zu dem Schluss gekommen, dass meine größte filmische Entdeckung des Jahres wohl tatsächlich eine ziemlich kuriose und spezielle, ebenso ungewöhnliche wie ungewürdigte, überraschende wie abseitige war: der 16mm-Film. Zuvor war er mir überwiegend eigentlich nur von meist unbefriedigenden 35-zu-16mm-Reduktionskopien als Wiedergabemedium bekannt, während nun ausgerechnet bei der Berlinale im Schatten der auf ärgerliche und unnötige Weise teils verpfuschten 70mm-Retrospektive drei erstaunlich schöne 16mm-Kopien (bei denen 16mm im Normalformat auch das Aufnahmeverfahren war: „Schwitzkasten“, „Das unbekannte Hamburg“, „When It Was Blue“) für eine echte Überraschung sorgten, die sich im Laufe des Jahres unerwartet oft bestätigen sollte. Meine zwei vermutlich besten Kinoerlebnisse des gesamten Jahres verdanke ich dem Format: Lino Brockas Meisterwerk „Manila: In the Claws of Light“ auf der Viennale und Andy Warhols „Chelsea Girls“ in der intendierten 16mm-Doppelprojektion. Und auch sonst begegnete es mir immer wieder als Aufnahme- und damit auch originalgetreues Wiedergabeverfahren: bei diversen US-Surferfilmen (allen voran „Red Hot Blue“), bei Clemens Klopfenstein und Christian Schocher, bei Christoph Schlingensief und Jörg Buttgereit, und zumindest als Aufnahmeformat ganz markant auch bei „The Sinful Dwarf“ (den ich übrigens ausdrücklich in der verblüffend stimmigen und die grandios-verstörende Ambivalenz des Films noch steigernden Fassung mit Hardcore-Szenen empfehlen möchte – und natürlich ohnehin nur denjenigen, die wissen, auf was sie sich da einlassen) sowie als Super16-zu-35mm-Blow-Up auch bei (noch…) relativ vielen und dabei auffallend tollen aktuellen Filmen. Das schleichende Verschwinden des klassischen 16mm-Experimental- und Independentfilms – man denke an Wiseman, Benning, Brakhage etc. – ist meines Erachtens eine der großen Tragödien im Gefolge der Digitalisierung, weil die Bildcharakteristik, die spezifische Körnung und Materialität von 16mm bislang auch kein wirkliches digitales Äquivalent hat. Insofern bin ich froh, dieses leider wohl unweigerlich vom mittelfristigen Aussterben bedrohte Format ebenso wie vor zwei Jahren den 70mm-Film gerade noch rechtzeitig vor seiner endgültigen Marginalisierung und Historisierung in originalgetreuer Form entdeckt, erlebt und gewürdigt zu haben. Aber genug davon und lieber schnell zur eigentlichen Liste und den einzelnen Filmen…
31 Entdeckungen (ungeordnet; drei Viertel der ausgewählten Filme im Kino gesehen; wegen besserer Übersichtlichkeit sind lediglich die deutschen bzw. internationalen Titel sowie die Regie angegeben):
Schwitzkasten (John Cook) Nocturnal Uproar (Catherine Breillat) Downtown – Die nackten Puppen der Unterwelt (Jess Franco) Die Kommissarin (Aleksandr Askoldov) Sansho Dayu – Ein Leben ohne Freiheit (Kenji Mizoguchi) Geschichte der Nacht (Clemens Klopfenstein) The Satisfiers of Alpha Blue (Gerard Damiano) El Sur – Der Süden (Victor Erice) Die nackte Gräfin (Kurt Nachmann) One-Eyed Jacks (Marlon Brando) Les hautes solitudes (Philippe Garrel) Rancho Notorious (Fritz Lang) Chelsea Girls (Andy Warhol) Monpti (Helmut Käutner) Red Hot Blue (Curt Mastalka) Quelle für die Dürstenden (Juri Iljenko) Transes – Reiter auf dem toten Pferd (Clemens Klopfenstein) Few of Us (Sharunas Bartas) Mondo Cannibale 2. Teil – Der Vogelmensch (Ruggero Deodato) Bona (Lino Brocka) Feuerpferde (Sergej Paradschanow) So Is This (Michael Snow) Reisender Krieger (Christian Schocher) Manila: In the Claws of Light (Lino Brocka) Venus im Pelz (Massimo Dallamano) Supermarkt (Roland Klick) Jaguar (Lino Brocka) Still Life (Sohrab Shahid Saless) Zwei unter Millionen (Victor Vicas, Wieland Liebske) The Sinful Dwarf (Vidal Raski) Mad Foxes (Paul Grau)
Bonus:
+ sechs Mal William Castle mit Live-Gimmicks + die grandios direkten, prägnant erzählten Kurzfilme von Marran Gosov + 70mm in seiner Essenz: The Miracle of Todd-AO & Sky over Holland + Western im Kino (die beiden größten Neuentdeckungen stehen auf der Liste, die schönsten Wiederentdeckungen: Forty Guns, My Darling Clementine, El Dorado) + diverse Retrospektiven und Werkschauen, vor allem jedoch die zu Apichatpong Weerasethakul, Claire Denis und John Carpenter (drei Filmemacher für die große Leinwand) + Sleaze, Trash und Schlock aller Couleur, je schäbiger und schmieriger, desto lieber (halb-stellvertretend finden sich die vollkommen großartig-schäbigen Schundwerke Downtown und Mad Foxes in obiger Liste)
Und noch anderes mehr, das hier allerdings den Rahmen sprengen würde.
***
Alexander S.
23 Entdeckungen
Um mich zu beschränken habe ich nur Filme aufgenommen, von denen ich mir vorher nicht sowieso schon sicher war, dass sie mich restlos begeistern würden, daher fehlen einige erstmals gesehene Filme von Zulawski, Resnais, Cronenberg… Zweimal habe ich trotzdem geschummelt, da „Stereo“ und „Satansbraten“ einfach in meine Liste MUSSTEN…
Spavolač mrtvol (Juraj Herz 1969)
Stereo (David Cronenberg 1969)
De vierde man (Paul Verhoeven 1983)
Angst (Gerald Kargl 1983)
Ran (Akira Kurosawa 1985)
Anatomie de l’enfer (Catherine Breillat 2004)
Sanma no aji (Yasujiro Ozu 1962)
Braindead (Peter Jackson 1992)
Satansbraten (Rainer Werner Fassbinder 1976)
A Streetcar Named Desire (Elia Kazan 1952)
Play Time (Jacques Tati 1967)
Dinner at Eight (George Cukor 1933)
Die Zärtlichkeit der Wölfe (Uli Lommel 1973)
The Devil Doll (Tod Browning 1936)
Few of Us (Sharunas Bartas 1997)
Le film a venir (Raoul Ruiz 1997; Short)
Dealer (Benedek Fliegauf 2004)
La coquille et le clergyman (Germaine Dulac 1928)
Nekujiru-so (Tatsuo Sato 2001; Short)
Monsieur Klein (Joseph Losey 1976)
Russkiy kovcheg (Aleksandr Sokurov 2002)
Femina Ridens (Piero Schavazappa 1969)
Pokolenie (Andrzej Wajda 1955)
***
Christoph
Listen erstellen macht Spaß – aber nur, wenn man nicht zu rigide auswählen muss! Wie ich in diesem Text erst kürzlich schrieb, finde ich praktisch beinahe alles gut, bin von Natur aus genügsam und obschon im Leben ein Pessimist, zumindest als Cineast eine ausgesprochene Frohnatur, die nichts anbrennen lassen will.
Da ich während meines 7-monatigen Aufenthalts in Cambridge (dem englischen, nicht dem amerikanischen) aufgrund des äußerst bescheidenen Programmangebots der drei örtlichen Kinos und pragmatischer Selbstbeschränkung aus Sparsamkeitsgründen kaum aktuelle Filme gesehen und darüber hinaus alle drei wichtigen deutschen Festivals – Berlinale, Filmfest München und Fantasy-Filmfest – versäumt habe, beläuft sich die Anzahl von gesehenen Neustarts bei mir auf mickrige 25. Bei insgesamt um die 350 gesichteten Filmen. Dementsprechend darf diese Liste als meine eigentliche Bestenliste des Jahres gelten, da ich nicht nur zu wenig aus sondern anscheinend auch nur die zweite Wahl an Filmen dieses Kinojahres gesehen habe.
Mit einer „Entdeckung“ assoziiere ich persönlich auch immer eine Überraschung, niedrige oder unscheinbare Erwartungshaltungen, die sich zu begeisterten Wolken aufblähen. Daher habe ich beschlossen, mir selbst die Auswahl meiner 44 Entdeckungen anhand des jeweiligen Überraschungsfaktors zu erleichtern. Filme von Lieblingsregisseuren, auf die man sich schon seit Jahren freut oder auch allgemein Titel, von denen man zuvor stets sagte „Den will ich schon ewig sehen“ disqualifizieren sich selbstverständlich. Anders sieht das schon mit Filmen von Lieblingsregisseuren aus, die einem bisher komplett egal waren, nach denen man kein Verlangen verspürte und die man dann schlussendlich doch zufällig oder einfach so aus Komplettierungsgründen gesehen hat, völlig unvorbereitet auf die Welle der folgenden Begeisterung. Hier also eine Liste mit 44 Filmen, die ich eindeutig 2009 entdeckt habe.
1. Memories within Miss Aggie(Gerard Damiano, USA 1974) 2. Viva Zapata! (Elia Kazan, USA 1952) 3. Haus der Schatten (Alasteir Reid, GB 1970) 4. Die scharlachrote Kaiserin (Josef von Sternberg, USA 1934) 5. The Honeymoon Killers (Leonard Kastle, USA 1969) 6. Bullitt (Peter Yates, USA 1968) 7. Der Wildeste unter 1000 (Martin Ritt, USA 1963) 8. Die nackte Gräfin (Kurt Nachmann, BR Deutschland 1971) 9. Der Mann auf dem Dach (Bo Widerberg, Schweden 1976) 10. Anatomy of Hell (Catherine Breillat, Frankreich 2004) 11. Kaltblütig (Richard Brooks, USA 1967) 12. If…. (Lindsay Anderson, GB 1968) 13. Die große Leidenschaft (David Lean, GB 1949) 14. Eine Handvoll Hoffnung (Nicholas Ray, USA 1956) 15. Equus (Sidney Lumet, GB/USA 1977) 16. Adaptation (Spike Jonze, USA 2002) 17. Ein Platz an der Sonne (George Stevens, USA 1951) 18. Manji – Die Liebenden (Yasuzo Masumura, Japan 1964) 19. Nizza (Jean Vigo, Frankreich 1930) 20. Meine Lieder, meine Träume (Robert Wise, USA 1965) 21. Britannia Hospital (Lindsay Anderson, GB 1982) 22. Ein neuer Stern am Himmel (George Cukor, USA 1954) 23. Excalibur (John Boorman, GB 1981) 24. Ipcress – Streng geheim (Sidney J. Furie, GB 1965) 25. Der Erfolgreiche (Lindsay Anderson, GB 1973) 26. The Devil’s Backbone (Guillermo del Toro, Spanien/Mexiko 2001) 27. The Prince of Terror (Lamberto Bava, Italien 1988) 28. Allegro (Christoffer Boe, Dänemark/Schweden 2006) 29. Door to Silence (Lucio Fulci, Italien 1991) 30. Elvira Madigan (Bo Widerberg, Schweden 1967) 31. Der Wolfsjunge (François Truffaut, Frankreich 1970) 32. Death Falls Lightly (Leopoldo Savona, Italien 1972) 33. Mumsy, Nanny, Sonny and Girly (Freddie Francis, GB 1969) 34. Die Schlacht der Centurions (Lucio Fulci, Italien 1984) 35. Happy End (Oldrich Lipsky, Tschechoslowakei 1966) 36. Taxi zum Klo (Frank Ripploh, BR Deutschland 1981) 37. The Consequences of Love (Paolo Sorrentino, Italien 2004) 38. Lost Soul (Dino Risi, Italien/Frankreich 1977) 39. Umarmung (Roberto Malenotti, Italien/Frankreich 1969) 40. Kaminsky – Ein Bulle dreht durch (Michael Lähn, BR Deutschland 1985) 41. Howling VII / The Howling – New Moon Rising (Clive Turner, USA 1995) 42. Jede Nacht um neun (Jack Clayton, GB 1967) 43. Hard Car – Liebe auf Asphalt (Giovanni Amadei, Italien 1990) 44. Downtown – Die nackten Puppen der Unterwelt (Jess Franco, Schweiz 1975)
Da aber diese 44 Filme nur die Hälfte der 2009 frisch errungenen Lieblinge und fantastischen Filmerlebnisse fasst – fassen kann! – konnte ich es mir nicht verkneifen, 44 weitere Filme anzuhängen, deren Sichtung ich teilweise schon seit Jahren gierig herbeigesehnt habe, da ich mir davon großes, interessantes oder obskures versprach. Diese Liste ist mindestens ebenso wichtig, aber um nicht aus dem Rahmen zu fallen, verlinke ich sie nur. Insgesamt also 88 Entdeckungen – was für eine Ausbeute!
Als Bonus angehängt ist auch noch eine kleine Liste mit 10 „speziellen“ oder bizarren Sichtungs- / Rezeptionserlebnissen.