Eines vorweg – ich weiß nicht mehr, wer den Film gemacht hat und aus welchem Land er stammt. Aus Gründen der Authentizität will ich dies aber auch in Zeiten des Internets nicht nachschlagen. Man muss auch kein Scherlock Holmes sein um zu erkennen, dass die Handlung im ehemaligen Ostblock angesiedelt ist. Wo auch sonst wurde zum Tode Josef Stalins eine Woche Staatstrauer angeordnet.

Alle Bilder von: http://www.stillehochzeit-film.de/presse.html#filmmotive
Der Film soll auf einer waren Begebenheit beruhen, was dem Filmkritiker die Angst vor dem in Internet-Kreisen berüchtigten ‚Spoiler‘ nimmt, da das Ende quasi in der Beschreibung vorweg genommen wird. Was bleibt ist Wie-Spannung, die mit grotesker Komik zu einem angenehm-nachdenklichen Cocktail verwoben wird.

Bereits die Exposition bezieht sich auf das Ende des Films, und so wird es kaum jemanden verwundern, wenn das Finale in sehr ähnlichen (wenn auch nicht den gleichen) Farben gezeichnet ist wie der Anfang. Dazwischen ist Farbenfroh die eigentliche Geschichte einspannt. Man muss kein Landmensch sein um zu erkennen, dass die dargestellte Dorfgemeinschaft völlig überspitzt dargestellt ist und neben anerkannten Religionswissenschaftlern wird auch der Durchschnittstyp erkennen, dass das Maß an gezeigter Spiritualität und Diagrammatik sich in keinster Weise mit der Realität messen kann. Muss es auch nicht, denn hier werden Erinnerungen auf Zelluloid gebannt. Erinnerungen die auf Umwegen erzählt werden und sich damit schon in einem fortgeschrittenen Stadium der Legendenbildung befinden. Da tut es dann auch nichts zur Sache wenn ein mystisch bekleidetes Mädchen durch den Wald springt (dasselbe Mädchen soll später ein Zeichen des Untergangs in der Hand halten). Oder der Ikarus, der erst im Finale das Fliegen lernen wird. Nein, alles unwichtig. Denn das wichtigste an diesem Film ist das Dorf, welches zwar abgehoben in den Sphären der Geschichte erscheint, aber dessen Bewohner real jeweils ihre eigene (typisierte) Geschichte darzulegen wissen.

Die Dorfbewohner sorgen für die Komik, und darüber steht nur die Tragik der Begebenheit. Dieses Übergeordnete überschattet den Film wie der Tod Fontanes ‚Effi Briest‘ überschattet. Das Erfrischende ist aber, dass trotz all der Zeichen kommenden Verderbens der Komik kein Abbruch getan wird. Die Komödie behält selbst in der äußersten Tragödie doch die Oberhand und sogar in der desillusionierenden Rahmenhandlung zeigt sich (zynischer) Witz.

Einen Witz stellt auch das ausdauernde Furzen eines der Hauptcharaktere dar, welches lange an exponierter Stelle im Film zu hören ist und auch dem Bildungsbürger ein Lächeln auf die Lippen zu zaubern weiß. An welcher Stelle im Film dieser anti-prätentiöse ‚Fartin-Joke‘ zu hören ist, könnt ihr euch vielleicht schon denken. Wenn nicht: Ansehen! Ansonsten: Trotzdem ansehen!


Die Filme von Marran Gosov gehörten 2008 zu meinen unverhofftesten und schönsten Entdeckungen. Und mir fallen tatsächlich nicht viele Filme ein, nach denen ich so regelrecht beglückt aus einem Kino kam wie nach „Engelchen“, dieser ebenso bezaubernden wie eigenwilligen Mischung aus früher Sexkomödie, liebevollem Anarcho-Humor und Zeitdokument.
Protagonistin Katja fährt von Bamberg nach München, um sich dort entjungfern zu lassen. „Ich bin jetzt 19 – ich bin fällig!“ Doch dieses Unterfangen gestaltet sich unerwartet schwierig, weil die „freie Liebe“ der Schwabinger Lebenskünstler bei der forschen Jungfrau an ihre Grenzen stößt. Ein Stoff für zünftig-schmierige Sexploitation, doch Gosovs Langfilmdebüt schlägt eine gänzlich andere Richtung ein und strahlt eine entwaffnende Leichtigkeit und Lässigkeit aus, ist verblüffend ungezwungen, verspielt, albern, experimentierfreudig, launig, sympathisch und voller sprühendem Wortwitz. Nur eine (harmlose) Sexkomödie? Eher Genrekino als Chance, als unnötige Einschränkung höchstens auf Seite der Rezeption.
Hier werden keine Ambitionen forciert, und weil der Film sich nicht für das schämt, was er ist, und auch gar keinen anderen Eindruck erwecken will, ist er ganz bei sich, und damit eben doch so viel mehr, als es vielleicht zunächst den Anschein hat. Aber alles, was neben dem Einfangen eines Lebens- und Selbstverständnisses von Menschen und Milieu noch einfließt, seien es die unterschwellige Reflexion eines Zeitgeistes, das ins-Verhältnis-Setzen von gegenwärtigen Trends und Zwängen, die Abwägung zwischen scheinbaren kollektiven Überzeugungen und individuellen Bedürfnissen – all das schreit nie nach Aufmerksamkeit oder Gewichtigkeit. Es ist unterschwellig präsent, verdrängt aber nie die bezaubernd naiv-unschuldige, beschwingte und spielfreudige Atmosphäre, die von der Inszenierung und dem Schauspielerensemble (insbesondere der hinreißenden Gila von Weitershausen) ausgeht.
Der geradezu zärtlich-würdevolle Umgang mit den Figuren und vor allem der Protagonistin sorgt auch dafür, dass gerade im Verzicht auf ermüdendes Kolle-Bettgetümmel eine überraschend sinnliche Aura entsteht. Wahrscheinlich liegt es am Blick, den Gosov auf seine Figuren wirft, an der ganzen Art und Weise, wie er sie in Szene setzt, wie sie sich bewegen, wie sie Gegenstände anfassen, und wie er das zeigt. Wie der Film das Große im Kleinen skizziert und mit welcher Aufmerksamkeit er Details in den Fokus rückt, zeigt sich schon zu Beginn: im Zugabteil kommt es zu einer vorsichtigen, von keinem, noch nicht einmal einem verschämten, Blickkontakt begleiteten, flüchtig-sehnsüchtigen, tastend-streichelnden Berührung der Finger zwischen der Protagonistin und ihrem Sitznachbar, der wiederum mit der anderen Hand seine Freundin im festen Händedruck hält – alles, was sich in diesem Moment über die jeweiligen Figuren ausdrückt, passiert über die Interaktion ihrer Finger.
Viel ließe sich auch über Gosovs wiederkehrende Motive der Illusions(de)konstruktion und Selbstverwirklichung sagen, über den virtuosen Musikeinsatz, und doch ist es vor allem seine Haltung, die Entdeckungslust seiner Kamera, seine Leichtigkeit, die in Erinnerung bleibt – ein Film wie aus dem Ärmel geschüttelt, wie man ihn heute höchstens noch bei Thome findet. Und ein Film, der sich verwandelt zum Traum von jemandem, der einen Moment lang im Kino die Freiheit gespürt hat, wie es Michael Althen einmal ausdrückte. Oder wie es sich eben anfühlt, wenn in einem spielfreudigen Stück Unterhaltungskino plötzlich ein Hauch von Magie, etwas schlichtweg unwiderstehlich Anziehendes spürbar wird.
Engelchen oder Die Jungfrau von Bamberg – BRD 1967 – 81 Minuten – Regie: Marran Gosov – Drehbuch: Marran Gosov, Franz Geiger – Produktion: Rob Houwer – Kamera: Werner Kurz – Schnitt: Renate Schlösser, Gudrun Vöge, Enzio von Kühlmann-Stumm, Monica Wilde – Musik: Jacques Loussier – Darsteller: Gila von Weitershausen, Uli Koch, Dieter Augustin, Gudrun Vöge, Hans Clarin.
Hinweis: Die Nummerierung der Filme folgt lediglich der Reihenfolge der Einträge. Die Gesamtauswahl von 100 Filmen ist nicht redaktionell abgestimmt, sondern eine im Laufe der Veröffentlichung zufällig entstehende Zusammenstellung, die sich aus den Einzelbeiträgen und persönlichen Vorlieben der Teilnehmer ergibt.

Der Traum vom großen amerikanischen Kino der übergroßen Archetypen. In Frankreich ist es nicht nur genreaffinen Filmemachern eine Gewohnheit – eigentlich schon eine französische Kinotradition – geworden, ihn zu träumen oder mit ihm zu spielen. In Deutschland wird er meist eher von eisenharten Produzenten denn Regisseuren geträumt. Wenn er dann einmal von einem Filmemacher geträumt wird, muss alles da sein. So wie hier: Der verbitterte, alternde Sheriff, der alles und jeden verachtet und in seinem eigenen Schnapstümpel ertrinkt. Der junge, unerfahrene Deputy, der mit dem Zynismus und der Brutalität seines Chefs nicht zurechtkommt. Die einsame und resignierte Ehefrau des Sheriffs, die eine Affäre mit dem Deputy unterhält. Das von zuhause ausgerissene Mädchen in Not, dass zum Auffänger, Sündenbock und Versuch(ung)sobjekt dieser drei nicht minder notleidenden Existenzen avanciert. Und das heruntergekommene, alte Polizeirevier am Rand der Stadt, in einem alten Lagerhaus, in einem Niemandsland leerer Häuser und dreckiger Straßen. Hier kommt das dunkle Gesicht von John Wayne und die stereotype Seite des „new Hollywood“ zum Vorschein.
Und, weil wir hier in dem kochenden, superassigen Klaus Löwitsch nicht nur einen deutschen Jack Nicholson sondern auch einen bei aller markigen Selbstdarstellung und monströsen Inszenierung seitens der Regie immer ein wenig zu echt wirkenden, von Frustration und Lebensverschwendung ermüdeten deutschen Beamten sehen, der die Nase voll hat.

Das kann, hoffentlich, zu der Erkenntnis führen, das frustrierte Beamte und vor allem frustrierte Polizisten kein Phänomen sind, dass exklusiv dem amerikanischen Kino angehört und auch keines, dass im deutschen Kino nur dann auftauchen kann, wenn es ein amerikanischer Film vormacht. Die Bewunderung für Regisseure wie Sidney Lumet, Francis Ford Coppola und Martin Scorsese trieft hier zwar aus allen Poren, gleichzeitig wird aber auch gefiltert – durch jenen Abstraktions-Filter, mit den das französische Kino der 60iger und 70iger Jahre bereits das „Amerikanische“ beäugt hat und mit einem sicheren Gespür dafür, wo die Faszination enden und einer kulturell unterfütterten Wirklichkeit Platz machen muss. Und die hält in KAMINSKY sehr schnell einen deftigen Einzug nach dem prototypischen und irritierend streng konstruierten Auftakt, der seine treffsicher gewählten Klischees mit beachtlicher Unverfrohrenheit platziert.
In besagter Eröffnungsszene schlägt Kaminsky mit von der Brotzeit noch fettigen Händen in einer schäbigen Kneipe einen Drogendealer zusammen, als Gefälligkeit für den vor Angst zitternden Wirt, dessen Sohn apathisch im Drogenrausch dem Geschehen folgt. Eine Western-Szene ist das, ohne jede Frage. Aber sie gibt nicht den Ton des übrigen Films vor, sondern bemerkt mit leiser Süffisanz, wie unmöglich sich der assoziative Kreislauf zwischen Publikum – Öffentlichkeit, „Tough guy“ – Polizist und Kino – (medialer) Wirklichkeit aufbrechen lässt – und dass man sich gegen seine Unzerstörbarkeit nicht wehren sollte. Wenn der Film wenig später sein fiebriges Kammerspiel in die Wege leitet, erkennen wir, warum wir uns gewehrt haben, gegen diese Klischees. Weil wir sie so direkt wiedererkannt haben, als Bausteine aus anderen Filmen und damit aus einer anderen Wirklichkeit, was uns nur daran hindern kann, hier, in KAMINSKY, eine eigene Wirklichkeit zu finden.

Aber wir bekommen sie, auch wenn Michael Lähn hier einen dieser Filme gedreht hat, bei denen man mit konstant zunehmender Unsicherheit darüber grübelt, ob man sich eher ohne Scham und ungehemmt an der asozial-schmierigen Soziopathen-Show des Protagonisten ergötzen soll oder mit feierlichem Ernst der Stimme der wirklichen, deutschen Wirklichkeit hinter dieser filmischen, amerikanischen Wirklichkeit lauschen soll. Der Film ignoriert dieses Grübeln mit Nonchalance und steigert die Widersprüche seines kleinen Universums bis zum Exzess. Ohne dabei den Bezügen zur wirklichen Wirklichkeit ein Gesicht, ein griffiges Profil zu geben. Nur am Ende, als wir dem negativen Höhepunkt dieser angestauten Frustrationen und dieses Zynismus, der Vergewaltigung des Mädchens, aus Dieters Perspektive in der dunklen Toilette beiwohnen, sie also nur mithören, da verflüchtigt sich die filmische, postmoderne Wirklichkeit für einen Moment und die zeitgenössische Wirklichkeit quetscht ihr verkatertes Gesicht durch den Rahmen. Das allerdings bevor wir nach dem finalen Duell, der Konfrontation, der Eskalation völliger Katharsis, das Revier verlassen, dass in der Morgendämmerung wie ein friedliches Monument daliegt, wie ein Western-Saloon. Wenn wir verschiedene, uns bekannte filmische Wirklichkeiten und die Polizisten und Gangster, denen wir dort begegnet sind, durcheinander bringen oder nicht erfolgreich vor unseren Augen verschmelzen können, denken wir in diesen kurzen Momenten des Leerlaufs vielleicht kurz daran, dass sie auch nur Menschen sind und flüchten uns in die wirkliche Wirklichkeit. Aber sobald Ordnung einkehrt in der filmischen Wirklichkeit, wollen wir keine Menschen, sondern Archetypen. Kaminsky ist ein zünftig-deutscher und demzufolge natürlich besonders teutonischer Archetyp, der immer darauf gewartet hat, seine filmische Wirklichkeit zu bekommen. Dass er dabei eine amerikanische Hilfestellung in Anspruch genommen hat, sollte man ihm nicht negativ anrechnen. Dadurch würden sich die beiden Wirklichkeiten unter dem Vorzeichen deutscher Kultur-Identifikation mit amerikanischen Attributen nur wieder in die Haare kriegen – und das wäre doch schade.
Kaminsky – BR Deutschland 1984 – 80 Minuten – Regie und Drehbuch: Michael Lähn – Produktion: Klaus Sungen – Kamera: Jörg Seidl – Schnitt: Camilla Bernetti – Musik: Roberto C. Detree – Darsteller: Klaus Löwitsch (Rolf Kaminsky), Alexander Radszun (Dieter Stecker), Beate Finckh (Renate), Hannelore Elsner (Nicole Kaminsky)
Hinweis: Ursprünglich war dieser Text für die „100 Deutsche Lieblingsfilme“-Reihe gedacht. Warum er dort nicht erschien, ist hier nachzulesen.

London. Ein Stadtpark. Vicky (gespielt von Ingrid Steeger) nähert sich von links der Kamera, biegt um die Ecke, in Richtung der anschwellenden, treibenden Rockmusik, während ein leichter Kameraschwenk ihre Bewegung aufnimmt. Auf dem Grün spielt eine Rockband, und Vicky verliebt sich prompt in den Sänger Rolf. Nachdem sie die Nacht mit ihm verbringt, versucht sie ihm, der bereits weitergezogen ist, von London nach Berlin zu folgen. Naiv, ohne Geld, nur mit Liebe im Kopf.
Fast jeder verkauft sich in diesem eineinhalbstündigen Abgesang auf die Ideale der 68er Generation und den Verlust der Unschuld, die Musiker ebenso wie die Protagonistin. Für eine Illusion, für Drogen, um vor der Realität zu flüchten. Mit Hippiekultur, Gammlern oder sonstigen Gegenbewegungen im gesellschaftlich-politischen Sinne hat das alles wenig zu tun. Das utopische Potential der 60er Jahre ist versiegt, die Gemeinschaft der Aufständischen zerbrochen. Vicky, die am Anfang des Films noch nie Gras geraucht hat, und am Ende bereits Heroin konsumiert, findet auf ihrer Reise keine wirkliche Freundschaft, entwickelt keine Nähe zu den Menschen um sie herum. Vielmehr wird sie allenthalben ausgenutzt und missbraucht, immer mehr auch durch sich selbst und ihre eigene Passivität. Die Vorstellungen und Lebensweisen der Gegenkultur verkommen zu Floskeln und Ausreden, zur Maskierung einer ganz und gar ignoraten Umgebung. Meist passiert im Film nicht wirklich viel – wenn, dann geht es darum, Geld und Übernachtungsmöglichkeiten aufzutreiben. Ingrid Steeger stolpert weltoffen aber zunehmend desillusioniert von einer Szene zur nächsten, durch einen Film, der sich traut die Naivität und die Verlorenheit seiner Figuren zu präsentieren, sie bloßzustellen, ohne sie zu verdammen. Der Traum von Freiheit und Glück ist da, nur: die realen Lebensumstände präsentieren sich gänzlich anders.
In der prägnantesten Sequenz des Films wird Vicky zunächst von einer Gruppe Schweizer Hell’s Angels aus dem Wasser gefischt und vergewaltigt. Nach einem abrupten Schnitt sehen wir sie nackt auf dem Motorrad sitzend, sich an einen der Fahrer klammern. Zunächst geht es zum Kleiderkauf, danach in die Kneipe. Am Ende versucht Vicky wieder per Anhalter weiter zu kommen. Während die Hell’s Angels zuvor in der kleinen Stadt darauf warten, dass Vicky aus dem Klamottengeschäft herauskommt, betrachten zwei von ihnen mit leidigem Interesse das Schaufenster des örtlichen Kinos. Es läuft: „Easy Rider“. Der Widerspruch zwischen äußerer Erscheinung und innerem Bedürfnis, den der Film durchweg formuliert, verdichtet sich in dieser Szene auf das Wesentliche. Die Biker in Dietrichs Film sind das dunkle Gegenstück zu Fonda und Hopper, nihilistisch wie der Grundton des Films. Diesmal sind die Aussteiger nicht nur die Gearschten sondern auch die Arschlöcher, und von Freiheit ist hier weit und breit nichts mehr zu spüren.
Der formale Höhepunkt des Films findet sich jedoch am Ende, wenn die Kamera der nackt durch die Berliner Straßen rennenden und mit Heroin vollgepumpten Ingrid Steeger durch die einstige Reichshauptstadt folgt, während sie sich in die Alpen halluziniert, und von einem Auto überfahren zu Tode kommt. Der Zynismus der deutschen Wirtschaftswundermentalität, angesiedelt zwischen Heimatkitsch, Generationenkonflikt, Realitätsflucht und struktureller Gewalt, findet in dieser brillant inszenierten Abschlusssequenz seinen finalen allegorischen Ausdruck.
Ich, ein Groupie – BRD, Schweiz 1970 – 89 Minuten – Regie, Produktion und Drehbuch: Erwin C. Dietrich – Kamera: Peter Baumgartner – Musik: Walter Baumgartner, Walter Senn – Darsteller: Ingrid Steeger, Rolf Eden, Vivian Weiss, Li Paelz, Terry Mason, Stewart West, Sharon Richardson
Hinweis: Die Nummerierung der Filme folgt lediglich der Reihenfolge der Einträge. Die Gesamtauswahl von 100 Filmen ist nicht redaktionell abgestimmt, sondern eine im Laufe der Veröffentlichung zufällig entstehende Zusammenstellung, die sich aus den Einzelbeiträgen und persönlichen Vorlieben der Teilnehmer ergibt.

Hatte Herzog für seinen ersten Spielfilm noch den deutschen Filmpreis erhalten, fand sein zweiter nicht mal einen Verleih und er musste die Distribution selbst übernehmen. Die Aufführungen bescherten ihm dann nächtliche Anrufe und Morddrohungen von rechten wie linken Fanatikern. Herzog selbst hält den in einer afrikanischen Gefängniszelle unter den unmenschlichsten Bedingungen ersonnenen Film heute noch für einen seiner besten Filme, den, der vielleicht länger die Zeiten überdauern wird als jedes andere seiner Werke.
Eine Erziehungsanstalt im Aufruhr: alle Insassen, Mitarbeiter und die Leitung sind kleinwüchsig. Die Insassen proben die Revolution und produzieren dabei doch nur Chaos. Das ist die ganze Handlung. Doch der Film ist unendlich viel mehr.
Das erste Missverständnis, dass viele dem Film entgegen bringen ist, dass es ein Film über Zwerge sei. Die Kleinwüchsigen sind ebenso wie alle scheinbaren Randgruppen bei Herzog niemand anderes als wir selbst: Menschen. Nur zeigt sich bei ihnen, genau wie bei den Taubblinden in Herzogs Doku „Land des Schweigens und der Dunkelheit“ einfach das Menschsein ganz besonders deutlich: die Menschen, wir alle, sind blind und taub zugleich und wir sind Zwerge: die Welt ist zu groß für uns. Wir sind auch die, die auf einem lächerlichen Floß sitzen und immer tiefer in eine grüne Urwaldhölle fahren, im Glauben, hinter der nächsten Flussbiegung schon müsse endlich El Dorado liegen.
Doch Herzog lässt den Menschen mit Würde scheitern, ja gerade im Misslingen seiner absurden und unerreichbaren Projekte wird der Mensch erst souverän. Befreit vom Zweck ihres Strebens erfahren Herzogs Helden schließlich die erhebende Größe des bloßen Daseins: die Welt muss nicht mehr transzendiert werden, sie ist bereits transzendent. In der Wüste Welt gibt es keine rettende Oase, nur Fata Morganas, aber diese sind die Rettung. Die ganze Wüste wird – nun traumbelebt – Oase. Eine Oase, in der man nicht lange überlebt, gewiss. Sysiphos‘ herabrollenden Stein kann man nicht essen, aber er macht frei. Oder verrückt. Das war schon das Schicksal Nietzsches.
Herzog bezeichnet „Auch Zwerge haben klein angefangen“ nicht zu unrecht als sein düsterstes Werk, denn hier teilen all die Zwerge zuletzt das gleiche Los. Sie verfallen dem Wahnsinn. Ein abgestorbener Baum erscheint einem als „der Präsident“. Ein Kamel, das sich nicht entscheiden kann aufzustehen oder sitzen zu bleiben, wird meckernd und endlos ausgelacht. Eine Sau wird geschlachtet, ein Affe gekreuzigt.
Und doch schwebt auch über Momenten dieses heillosen Films ein emphatisches Ja, ertönt ein hymnischer Gesang, den Herzog bei der Prozession einer afrikanischen Sekte aufgenommen hat, die in „Fata Morgana“ zu sehen ist. In „Auch Zwerge..“ hat der Hymnus jedoch jeden Bezug auf ein Jenseits verloren. Er feiert die Lavawüste in ihrer toten Pracht. Und in ihr die Autos, die im Kreis fahren, bis der Tank leer ist. In einem endlosen Abgrund gibt es keinen Aufprall und so ist es das Gleiche ob man fällt oder steigt. Die Zwerge haben Sysiphos‘ Lehre noch nicht begriffen, doch der Zuschauer erfährt sie wie einen Schauder. Oder auch nicht.
Auch Zwerge haben klein angefangen – BRD 1969 – 96 Minuten – Regie, Produktion und Drehbuch: Werner Herzog – Kamera: Thomas Mauch – Schnitt: Beate Mainka-Jellinghaus – Musik: Florian Fricke – Darsteller: Helmut Döring, Pepi Hermine, Paul Glauer, Gisela Hertwig, Gerd Gickel, Brigitte Saar, Marianne Saar
Hinweis: Die Nummerierung der Filme folgt lediglich der Reihenfolge der Einträge. Die Gesamtauswahl von 100 Filmen ist nicht redaktionell abgestimmt, sondern eine im Laufe der Veröffentlichung zufällig entstehende Zusammenstellung, die sich aus den Einzelbeiträgen und persönlichen Vorlieben der Teilnehmer ergibt.
… spontan untersucht am Beispiel von CAPOTE (2005).

Es funktioniert eben doch so gut wie nie. Das mit dem „einen Film absichtlich schlecht finden“. Jedenfalls nicht mehr bei mir. So gut wie nie mehr. Mit eiserner Disziplin habe ich für zwei Jahre versucht, eine Technik zu entwickeln, die es mir erlaubt, alle eventuell vorgefassten Meinungen, Vorurteile, Erwartungshaltungen, Prinzipien zur Beurteilung filmischer Qualität, naheliegende Vergleiche, aus denen sich Erwartungshaltungen speisen könnten und eben all diese ganzen schönen Bretter vor dem Kopf mit Aufblenden des Projektors oder Drücken der „Play“-Taste über Bord zu werfen und mich völlig in die Hände des jeweiligen Filmes zu begeben, um ihm die Chance zu lassen meine Gedanken zu formen und nicht umgekehrt. Gelegentlich bezeichne ich mich daher auch scherzhaft als „Film-Hure“, die alles nimmt. Bisherige Versuche, dieses „Prinzip gegen Rezeptionsprinzipien“ anderen Cineasten zu erklären, schlugen weitgehend fehl und ich möchte mich damit hier auch gar nicht aufhalten (viel zu kompliziert!), denn es wurde mir sogar schon vorgeworfen, mich von der Filmrezeption auf die Rezeptions-Rezeption zu verlagern und manchmal kann man einfach nicht anders, als die Lästermäuler durch Schweigen zum Schweigen zu bringen. Und manchmal, trotz all der wundersamen Überraschungen und der grenzenlosen Freiheit von Gedanken und Assoziationen die dieser sich inzwischen gänzlich in einer diffus blubbernden Gedankensuppe verselbstständigte Rezeptions-Ansatz mir gebracht hat und mit der sich meine Sicht aufs Kino radikal verändert hat (sowas klingt immer schön und flach weswegen man beim dreschen derartiger Phrasen immer gerne darauf hinweist, dass man sie nur bei genuinen Anlässen drischt), verwünsche ich ihn fast.
Denn wo ist sie nur hin, die geliebte einstige Selbstdisziplin, mit der ich meine, nennen wir es mal ganz profan „Meinungsbildung“, lenken und manchmal auch geradezu domptieren konnte? Was, wenn meine Rezeption tatsächlich, wie auch schon unterstellt, ein wenig zu beliebig, zu wohlwollend, zu unkritisch, zu diffus geworden ist?
Zu meiner eigenen Genugtuung überwiegt die meiste Zeit die Erleichterung darüber, dass ich mich von oben beschriebenem Ballast befreien konnte, der exzessive Genuss der Vorzüge und die geheime Sehnsucht, dass dieses Rezeptions-Modell unter Cineasten vielleicht mal mehr in Mode kommen könnte als es jetzt der Fall ist. Nicht mit mir als Missionar, oh nein! Lediglich, um Filmen mehr Spielraum zu gewähren, die ihn unter den üblichen Vorraussetzungen nicht bekommen. Und da will ich auch gar nicht zu schrill sein sondern mir beispielsweise nur wünschen, dass ein paar mehr Leute Jess Franco gelegentlich auch als ernstzunehmenden Künstler in Betracht ziehen denn angeblich einige nerdige französische Filmkritiker (diese ominösen französischen Filmkritiker sind schon beinahe ein mystisches Klischee für sich, dass man immer nach Belieben zitieren kann, ohne konkret zu werden, nicht wahr, lieber Filmdienst?). Warum schreibe ich all das mit „Capote“ als Beispiel, einem Film der von vorne bis hinten gängigen Vorstellungen von anspruchsvollem Qualitäts-Kino entspricht?
Gerade deswegen eben! Hat mich diese Öffnung – mit der ich nach eigener Einschätzung noch bei weitem nicht an meine Grenzen gestoßen bin da ich mich regelmäßig dabei ertappe, beispielsweise über einen meiner werten Mitautoren hier zu schmunzeln, wenn er in Unverständnis über die Reputation eines durchweg anerkannten Klassikers die Stirn runzelt oder einen obskuren Hongkong-Actionfilm aus den 70igern mit Eisenstein vergleicht – vielleicht verletzlicher gemacht für Manipulation, den segensreichen Fluch des Kinos, den wir ebenso faszinierend wie, in Cineastenkreisen zumindest, auch gelegentlich beängstigend finden? Bin ich am Ende dank dieser Veränderung meiner Rezeptionshaltung wieder genau in dem Stadium angekommen, dessen Kreation ich noch vor etwas mehr als drei Jahren so lautstark als die Todsünde des Hollywood-Kinos beschimpfte, im Zustand williger Manipulierbarkeit für gefälligen Eskapismus und emotionale Prostitution?
Mit Hollywood-Kino beziehe ich mich hier, natürlich, primär auf die letzten 20 bis 30 Jahre, größtenteils. Auch ein springfreudiger Cineast, der zwischen den Dekaden, zwischen Ton- und Stumm-, Farb- und Schwarzweiß-, Vollbild- und Breitwandfilm nach Herzenslust hin- und herhüpft, ist doch ein Stück weit als Filmgucker in seiner eigenen Zeit verankert (wäre es erschreckend oder vorteilhaft, wenn nicht? Das wäre eine andere interessante Frage, die man beliebig erweitern und hypothetisch auseinandernehmen könnte).
Es wäre verführerisch ersteres Kino („gefälliger Eskapismus“) ins Feld zu führen, beispielsweise mit dem von mir kürzlich gesichteten und (vielleicht, aber nicht notwendigerweise dank akutem Filmentzug für Wochen) erheblich genossenem „V for Vendetta“. Weiterlesen…
Multifariam et multis modis olim Veritas loquens patribus in prophetis novissime diebus istis locutus est nobis in alio quodam Carpentario, qui ominosum nomen suum certe derivatum habet ab ipsa professione dominica Latinis quidem ‘fabri’, Anglosaxonicis modernis autem ‘Carpentarii’ nomine designata. Sicut enim Dominus ipse prophetarum vice terram Palaestinae digressus est et populo suo paradoxam quandam entitatem sensibus humanis nullo modo sufficienter comprehensiblem, entitatem mali sive peccati eorum dico, ad oculos demonstravit, ita et novissimis diebus nova species prophetae orta est non iam illustri voce praedicationis, sed potius ipsa imagine nitens, ut non solum uni populo, sed omni terrae istius entitatits sive quasi-entitatis admirabile aenigma eo clariore modo illustretur. Qualiter enim subsistere possit id, quod ab omnibus ‘malum’ vocatur, cum omnis creatura bona et seipsi familiaris et desiderata esse debet, longius a philosophis disputata et quaesita est, maxime a Plotino et Proclo Neoplatinicis qui mali (Plotinus) sive malorum (Proclus) subsistentiae tractatus gravissimi ponderis dedicaverunt.

His duobus unum quidem firmissime constat naturam mali non solum ad mores humanas pertinere, sed radicem illius in dispositione ipsius universatis quaerendam esse, cui triplex malum Leibnitii (non solum morale, sed et metaphysicum et physicum) inevitabiliter inhaerere deberet. Tali consideratione diadochus Platonicus Proclus inde perductus est, ut realitatem mali quamvis absurdam et paradoxam totaliter negaret et illi nonnisi praeterexistentiam, parhypostasin, concederet. Secundum hunc didadochum, qui certe metaphysicam mali vel potius malorum conceptionem summa cohaerentia et consequentia elaboravit, quae vocantur mala solum ad individua sublunaria pertinent, quorum detrimentum autem ad conservationem universi valde necessarium et inde sub specie totius neque malum putandum est. Plotinus econtra, plus Platonicis quam Aristotelicis studiis, quos Proclus in hac quaestione persecutus est, imbutus, determinare et designare temptavit quandam quasi-identitatem naturae mali, qualem semper habet et exercit, quamquam a vertitate entis et identitatis suam originem non traxit. A Platonis Chorae, loci generationis dico, in Timaeo et Peniae in Symposio descriptione igitur inspiratus mali naturam invenit in ultima privatione formarum et entis in genere, in insatiabili indigentia ultimae umbrae ab animae luce intellectuali et ontologica necessarie creatae. Quales speculationes, quamvis ad intelligendam recentis Prophetae intentionem perutiles, tamen aliquali modo corrigendae sunt, ut praedicationi primi et ultimi sicut et novissimi Carpentarii adaptentur. Generalis consensus tamen cui eorum omnium considerantiones paene unanime favent, sequentibus tribus propositionibus potest exprimi:
Entitas mali est eius non-entitas
Realitas sive entitas proprie dicta numquam potest malo convenire, quia malum eo ipso non est desiderabile, neque proprie a voluntatibus humanis sive animalium instincto, neque metaphorice a viribus naturalibus. Quare malum per se neque potest habere causam, et quia nihil sine causa in ordine entium nullo modo cadit. Haec inexplicibilitas mali a novissimo Carpentario summo ingenio in suis duobus clarissimis operibus describentibus sive universam massam perditionis omnem crudelitatem sine omni causa urgentem (Assault) sive modo iam significantiore unicam personam homicidae lunatici, qui tamen omni respectu motivatione psychologica totaliter carens omnino impersonaliter et necessarie agit (Halloween), quae descriptio etiam tangit intimam apostoli Pauli de peccato conceptione substantiam: Si qui facit peccatum servus est peccati et numquam libere agit, exprimitur nihil nisi hoc ipsum, quod malum non est obiectum voluntatis iuxta bonum in arbitrio nostro positum, sed potius quaedam occulta vis numquam cadens in ordine obiectorum sive entium et tamen semper dominans actiones deplorabilis lapsi hominis.

Identitas mali est eius non-identitas
Quaestione de entitate mali iam difficilior apparet ea de identitate mali, quia identitas secundum Platonicos ibi maxime Parmenidem sequentes solius entis veri est praerogativa. Sicut unica sanitas ad multiformas aegritudines comparata, ita et malum debet esse mutliforme et numquam sibi idem sive aequale comparatum ad unicum bonum et unum. Sed Platone iam concedente in illustri loco Theaeteti malum semper necessario moralem naturam pervagari Plotinus illi saltem quasi-identitatem insatiabilis et intransformabilis defectus et absolutae privationis attribuit absoluto bono semper quandam contrarietatem postulante. Utrum hoc tamen possint nota mali phaenomena tam pulchre a duobus, ut ita dicam, Carpentariis descripta, sufficienter explicari, certe dubitandum est, cum utrique supponunt sponanietatem, immo quandam obscuram, sed tamen omnibus notam personalitatem mali, homicidae dico et mendacis ab initio Diaboli. Malum itaque quodam modo nominabile et omni modo recognoscibile Carpentarii Halloween optime descripsit, ubi de nomine mali (Michael Myers) omnes conveniunt et etiam actiones eius omnes praescire debuissent. Sed quia essentia Diaboli in hoc ipso constitit, quod omnes de eo noverunt ad portam apparentem tamen numquam recogoscunt sive recognoscere volunt, incolas urbis Haddonfield eruptio mali tam subito et impraedicibili modo aggressus est quam officiarios in urbe Anderson. Dum enim Halloween potius identitatem sive recogniscibilitatem mali pertractat, Assault elaborat eius aspectum apocalypticum: Ibi adventus eius non pluribus decenniis praedicibilis neque stato die ipsius horroris accidit, sed sicut fur in nocte, subita et globalis eruptio et unda omnes homines in mutua crudelitate accendit et seperabitur homo adversus patrem suum et filia adversus matrem suam et nurus adversus socrum suam et inimici homines domestici eius.
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Der Tod als Flucht. Die Bewegung als Flucht. Der Gedanke als Flucht.

Der Film ist gezeichnet von Fluchtbewegungen, von der geistigen Impotenz bzw. der Omnipotenz seiner geprägten Strukturen, letzten Endes von der Unmöglichkeit der Flucht vor sich selbst.
Die Verzweiflung als Zustand des Menschen in der Welt, folgt aus der Identifizierung mit der zugewiesenen oder auserwählten gesellschaftlichen Rolle innerhalb dieser, endet aber nicht in der Erkenntnis der Verflechtung mit den Menschen, sondern manifestiert sich zum dauerhaften Problem des „das ist so gewesen“. Die Macht des Tabus wirkt über Generationen, lässt sich auch rationalisieren, passt sich den jeweiligen Glaubensstrukturen an.

Sünde als Erfindung der Gesellschaft. Schuld als regressives Verhalten. Die Unfähigkeit Dinge zu sehen wie sie sind. Der Zwang nach Sinn und Struktur. Moral als Repressionsmittel der Macht. Das Tabu als Grundlage der Moral. Nicht richtiges handeln, sondern das Falsche definiert sie. „Du sollst nicht“, statt „du sollst“. Sozial legitimiertes moralisches Handeln leitet sich somit aus der Vermeidung des Unmoralischen ab.

Der Film zeigt das Ende der Utopien die mit den japanischen Studentendemonstrationen der 60er einhergingen. Der Machtlose ist an seine Machtlosigkeit gefesselt, wie das Kind an die Mutter. Nicht der Mensch stützt sich gegenseitig, sondern das Glaubenssystem in das man hineingeboren wurde bietet Halt. Gewalt als legitimer Akt der Mächtigen – Gewalt braucht Legitimation. Wo diese fehlt, fehlt die Struktur, fehlt der Halt.

Wie kann man ein Anderer werden? Bei Wakamatsu ist das kaum möglich. Die Vergangenheit lässt sich nicht abschütteln.
Das ist das wirklich schockierende an den Filmen Wakamatsus – die Darstellung einer kollektiven Psychose in der wir alle gefangen sind, ohne Lösung, ohne Ausflucht, ohne Katharsis. Durch den eigenwilligen formalen Aufbau wird diese klaustrophobische Situation noch unterstützt. Das scheinbare Aufbrechen klassischer Regeln und Strukturen, ohne jedoch selbige grundsätzlich in Frage zu stellen. Denn erzählt wird eben doch. Immer noch. Ein Zwang eben. Eine Flucht.

Die Rebellion geschieht dann auch nicht unbedingt auf der Ebene der Figuren, sondern auf der Ebene des Films. Im Nachklingen, im sich nicht vollständig erklären lassen wollen, im verweigern eines sauberen Abschlusses. Gerade durch die Erkenntnis der Zwänge und Beschränktheit menschlichen Handels und ihrer Zurschaustellung, wird es dem Zuschauer möglich Zusammenhänge zu verstehen die die Protagonisten nicht überblicken, Wahrheiten auszuhalten an denen die Figuren zerbrechen. Die Rebellion als Utopie – nach dem Film.
Kyôsô jôshi-kô – Japan 1969 – 72 Minuten – Regie, Produktion und Schnitt: Kôji Wakamatsu – Drehbuch: Masao Adachi, Izuru Deguchi – Kamera: Hideo Itoh – Musik: Takehito Yamashita – Darsteller: Ken Yoshizawa, Yoko Muto, Rokko Toura, Hatsuo Yamaya, Shigechika Sato, Masao Adachi

– Vorwort –
Ich veröffentliche diesen Text in erster Linie, um zu illustrieren, wie glücklich es sich eigentlich doch trifft, dass man in der Regel doch nur verhältnismäßig selten die Romanvorlagen von Literaturverfilmungen gelesen hat und wieviele Bretter vor dem Kopf die schiere Unmenge an Romanen und ihren Verfilmungen einem kosten- und energielos erspart. Als Filmkritik ein Desaster, als Exempel aber unter Umständen brauchbar.
ENDLESS NIGHT (zu deutsch nichtssagend, aber in der langen Tradition der langweiligen deutschen Betitelung doppeldeutiger, poetischer oder mysteriöser Christie-Titel stehend „Mord nach Maß“ betitelt) war 1967 das überraschende literarische Comeback von Agatha Christie, gefeiert für seinen gewagten und frischen Stil. Die grande Dame der britischen Kriminalliteratur hatte sich zuletzt mit ihren Romanen A CARRIBEAN AFFAIR und BERTRAM’S HOTEL nur routiniert ihrer bewährten Miss Marple gewidmet – und mit dem 1966 veröffentlichten THIRD GIRL einige ihr neue Kritik geerntet. Schon in ihren Romanen während der 50iger Jahre verarbeitete Christie, Jahrgang 1890, ihr Befremden über die sich wandelnden Zeiten, insbesondere über die „moderne Jugend“ und ihr Versuch, in letzterem Roman die „Swingin‘ Sixties“ zu begreifen – oder auch nur ihre Impressionen selbiger wiederzugeben – erschien vielen Lesern und Kritikern eher grotesk, teilweise peinlich, als mutig. Christie reagierte trotzig – zumindest scheint es heute so – mit einem ihrer abgründigsten und verstörendsten Romane und zielte direkt ins Schwarze, mehr als in irgendeinem ihrer früheren, thematisch entsprechenden Bücher.
„Michael Rogers dreamt of a perfectly designed house and a rich, beautiful wife. He found the girl and he built the house – but he built it at ‚Gipsy’s Acre‘, a place with a curse on it where sudden death had struck more than once…“ (Klappentext des Romans)
Christie schrieb diese Geschichte in erster Person – und versuchte damit, sich als 77jähriges, weibliches Relikt aus einer anderen Ära, in einen jungen Mann von „heute“ einzufühlen. Es ist nicht verwunderlich, dass viele Kritiker ihr danach bescheinigten, sich selbst neu erfunden zu haben. In einem ihrer letzten Romane hatte Christie diesen erstaunlichen Drahtseilakt gerade überzeugend genug absolviert um dem mit Horrorelementen versetzten Roman eine nachhaltig verstörende Wirkung zu sichern. Heute spürt man beim Lesen hinter manchen Passagen doch die gerunzelte Stirn, das Rümpfen der Nase und das leicht pikierte Winden bei der stellenweise unausweichlichen Verwendung des Wortes „Sex“. Aber trotzdem: Der Roman funktioniert hervorragend, ganz unabhängig von Christies Persönlichkeit und dem Kontext ihres umfangreichen Werkes. Und er funktioniert als düsteres Drama eines sinnbildlichen Abstiegs in die Hölle sehr viel besser denn als Thriller oder Kriminalroman. Christies Verleger William Collins überredete seine Erfolgsautorin schließlich sogar, einige der Nebencharaktere besser auszuarbeiten um die Semi-Auflösung am Ende effektvoller wirken zu lassen und mehr „Thrill“ in den Roman zu bringen.
Sidney Gilliats, von Christie kühl aufgenommene Verfilmung, eliminiert diese Verschleierung – und noch einiges mehr. Es erscheint dem Leser der Romanvorlage unmöglich, das psychologische Gefüge der Handlung zu begreifen, ohne mit selbigem nach der Lektüre vertraut zu sein. Die hastige Konstruktion der Beziehung zwischen Michael und Ellie kann als Beispiel dafür herhalten, wie der Film die als Vorlage für einen Psychothriller eindeutig sperrige Erzählung in das Korsett eines Genrefilms zu pressen versucht. Auch das Buch nimmt die Zeitspanne zwischen Ellies und Michaels erstem Treffen mit links, doch die Konstruktion ist geschickt und mit eben jenen Details versehen, die der Film auslässt – auslassen muss. Der Reiz der gutsituierten Dekadenz auf die Unterschicht und umgekehrt die abenteuerliche Anziehungskraft der rauhen Überlebenskünstler am Rande der Gesellschaft auf das wohlbehütete Mädchen aus reicher Familie, diese beiden dezent klischeeisierten Pfeiler, werden im Roman auf virtuose Weise als treibende Kraft in Ellies und Michaels Beziehung ausgestellt. Der Film umgeht sie mit der gleichen Vorsicht, mit der Christie versuchte, ihrem eigenen Klischee vom Klassen-Snobismus zu entgehen. Doch Gilliat will diese Elemente nicht, weil sie Produkt von Christies Perspektive sind. Eine Perspektive, die in einem effektvollen Unterhaltungsfilm für ein modernes Publikum 1971 eher unbequem denn entspannend ist, wenn man so will. Folglich entfällt einer der roten Fäden, der das moralische, oder eher: assoziative Gerüste der Handlung zusammenhält. Der Dreh- und Angelpunkt, die eigentümliche Beziehung zwischen Michael und Ellie, verliert an Glaubwürdigkeit und wirkt nun tatsächlich wie ein Konstrukt, erschaffen als Aufhänger, eher denn als Auslöser.

Dabei scheint Gilliat, der den Roman selbst adaptierte, das Potential seiner Vorlage sehr wohl erfasst zu haben. Szenen wie die Gartenparty der Philpotts, auf der Michael sich von Ellies gierigen Verwandten umzingelt fühlt, Michaels finaler Wutausbruch und vor allem die zentrale und tragisch-enigmatische Figur des gebrochenen Architekten Santonix die hier wie im Buch als Indikator und Prophet von Michaels emotionaler Verfassung fungiert, sind hervorragend getroffen. Die Besetzung Santonix‘ mit dem charismatischen schwedischen Schauspieler Per Oscarsson („Traumstadt“) erweist sich überhaupt als treffsicherster Punkt der Besetzung die ansonsten unter anderem den gegenüber der Vorlage, die auch den amerikanisch-britischen Clash zeichnet, unverzeihlichen Fehler begeht, eine amerikanische Hight Society-Familie komplett mit britischen Darstellern inklusive Akzenten zu besetzen. Dennoch: Der Geist ist da, die Stimmung ist da und es ist völlig belanglos das von Christies raffinierten und dennoch realistischen Dialogen nicht viel geblieben ist in Gilliats Drehbuch. Überhaupt fiele es soviel leichter, den Film in Frieden zu lassen, würde er freier und gelöster mit seiner Vorlage hantieren. Das sture Beharren auf Christies Plot ist völlig hoffnungslos, ist er doch bei aller Schlichtheit und der begrenzten Anzahl von Charakteren zu kurvenreich für rasende 100 Minuten Laufzeit. Es ist auch in diesem seinem letzten Film (bevor er 1972 den Freitod wählte) wie immer ein Vergnügen, den grossen George Sanders zu erleben, doch der von ihm verkörperte Uncle Andrew ist ein Charakter, der aufgrund der Straffungen der Adaption redundant wird und die Funktion eines „red herrings“ zugewiesen bekommt. In der Vorlage ist er der hintergründige, stoische Vorbote des gesellschaftlichen Konfliktes, den Michael zusammen mit Ellie geheiratet hat. Als Auslöser füer den finalen Plottwist wäre er hier jedenfalls nicht mehr erforderlich gewesen. Und überhaupt: Die atmosphärische Seite des Romans.
Auch im Film hören wir Michael aus dem Off erzählen, aber es ist nicht er, der seine Geschichte erzählt. Und trotz des effektvollen Ausverkaufs, den Gilliat streckenweise unverhohlen betreibt – wir bekommen unter anderem Michaels Erinnerung an den schicksalhaften Unfall seines Schulkameraden als grellen Flashback serviert – gelingt es ihm nicht, das einzufangen, was Christies Roman seine Nachdrücklichkeit verlieh – jene finstere Ahnung von Unheil, das Gefühl eines aufziehenden Sturms, der die zerrissenen Kleider der alten Zigeunerin im Wind flattern lässt, als sie Michael und Ellie ihr Unglück prophezeit, der lange Zeit unerklärliche fatalistische, morbide Tonfall, in dem uns Michael seine Geschichte erzählt und der durch den gesamten Verlauf für Unwohlsein beim Leser sorgt, das sich im Finale in Wahnsinn entlädt. All diese Eindrücke fehlen im Film und lassen den Roman paradoxerweise wesentlich näher am von Christie verachteten Horrorgenre erscheinen denn den Film, der sich weidlich, aber erfolglos darum bemüht, die dramatischen Momente der beinahe meditativen Erzählung auszukosten. Es ist unglaublich, wie beiläufig theatralische Momente wie der erste Auftritt von Mrs. Townsend im Film verpuffen.

Doch Gilliat macht zumindest im Finale vorübergehend wett, was er zuvor grobschlächtig umgeworfen hat. Christies, nennen wir es mal konsequenterweise, „altmodisches“ Streben nach Subtilität und Geschmack spielte ihr bei dem finalen Ausbruch des Wahnsinns zwischen Hass, Lust und Verzweiflung ein Schnippchen. Ihre Kritik an der freizügigen Sexszene gegen Ende des Films unterstreicht das sehr treffend. Gerade hier vermisst man im Roman bei allen Beben den konsequenten Schritt ins Leere, ins Chaos und zumindest diesen Effekt lässt sich Gilliat nicht entgehen und trägt schön dick auf, so wie man es sich im übrigen Film mehrmals gewünscht hätte (denn wie wunderbar sich Christies Romane bei Bedarf zum effektvollen Reisser umbauen lassen, zeigt ein Vergleich zwischen der geradezu pedantisch vorlagentreuen 1974er-Verfilmung von MORD IM ORIENTEXPRESS und der sehr freien, grellen, aber im Kern noch kongenialen Cannon-Produktion von RENDEZVOUS MIT EINER LEICHE). Zumal er das unverschämte Glück hatte, mit dem späten Bernard Hermann einen der grössten Filmkomponisten überhaupt verpflichten zu können, einen Spezialisten fürs Metier, dessen Kompositionen zu Hitchcocks MARNIE und VERTIGO einem schon beim Lesen des in seiner Anlage durchaus auch an Hitchcock erinnernden Romans in den Ohren klingen. Doch so kraftvoll Herrmanns Score auch ist, kein Komponist kann vollends kompensieren, was den Bildern fehlt. Es ist einer der emblematischsten Momente des Films, wenn in einem kurzen Flashback Michaels im Gespräch mit Santonix zu Beginn des Films, er sich selbst als Kleinkind sieht, verständnislos und ängstlich einem wütenden Streit seiner Eltern folgend. Trocken zupfende Streicher illustrieren diesen merkwürdigen, karikativen Einschub, der als eines der letzten Überbleibsel des Roman-Michaels dem Film-Michael kurz durch den Kopf schiesst bevor Gilliat von dem maskulinen, selbstbewussten, unbeirrbaren und sexuell offensiven Michael des Romans zurück auf seinen, von Hywell Benett souverän gespielten, sich aber im Gefüge dysfunktional ausnehmenden, von vornherein dämonisch wirkenden, bubenhaften und linkischen Michael zurückfällt. Diesem Michael ist die Bodenständigkeit der Romanfigur völlig abhanden gekommen und in dessen Engelsgesicht ist schon zu Beginn das Ungleichgewicht sichtbar, dass ihn im Roman erst so spät ereilt. Der Effekt am Ende des Films bleibt aus, weil der Charakter Michael nicht interpretiert sondern ummodelliert worden ist – ohne das man sich dabei die Mühe gemacht hätte, das Konstrukt der Handlungen um ihn herum an das neue Modell anzupassen. Konsequenterweise kann der Film sich nicht mit dem unheimlichen, impliziten Ende des Romans zufrieden geben und muss einen PSYCHO-artigen Epilog anhängen, aus dem ein letzter Knalleffekt geschunden wird, eine terrorerfüllte Schlussmontage, mit der Herrmann-Musik als Duschmordszenen-Ersatz perfekt. Bezeichnend.

Anmerkung: Sidney Gilliat war im übrigen, wie ich inzwischen herausgefunden habe, zum Zeitpunkt von ENDLESS NIGHT, bereits ein alter Veteran des britischen Mainstreamkinos, zu dessen grössten Erfolgen die berühmte Reihe um das Mädcheninternat ST. TRINIANS zählte und ehrenwertesten Credits eine Drehbuchmitarbeit an Hitchcocks THE LADY VANISHES. In diesem Fall könnte man darüber sinnieren, inwiefern sich nicht vielleicht Gilliat, dessen letzter Spielfilm „Endless Night“ blieb, noch weitaus stärker in seiner langjährigen Routine festgefahren hat als Christie – die merkwürdige Blut- und Leblosigkeit der Inszenierung über weite Strecken erscheint vor diesem Hintergrund jedenfalls in einem ganz neuen Licht.
– Nachwort –
Etwa nach der Hälfte dieses Textes bemerkte ich, dass ich nicht über den Film schrieb sondern den Roman, mit dem ich ihn immer und immer wieder direkt und ohne den so unerlässlichen Umweg der Abstraktion verglich. Allerdings habe ich ihn aus oben angeführten Gründen nicht in meinem an für unzureichend befundenen Texten reichen Giftschrank verschwinden lassen. Wie die ideale Filmkritik einer Literaturverfilmung aussieht, weiss ich wirklich nicht. Sicherlich aber weder wie obiger Text, noch wie die zahllosen Kritiken, in denen die verlegenen Autoren sich mit einigen hastig recherchierten Verweisen auf eine ihnen nicht bekannte Romanvorlage aus der Affäre ziehen, nur weil sie den Zwang verspüren (und dieser Zwang ist ein Problem und führt so oft zu einer harten Reibung der Kunstformen, die nicht notwendig wäre), der blossen Erwähnung dass es sich um eine Adaption handelt, noch ein Minimum an Hintergrundinformation beizufügen. In dem Gewissen, zuviel derselbigen geben gewollt zu haben, belasse ich es hierbei und hoffe, in Zukunft bei der Sichtung und Besprechung von Literaturverfilmungen, deren Vorlage mir nicht bekannt ist, deren Existenz mit noch mehr Erfolg als bisher zu ignorieren. Und umgekehrt umso mehr.
ENDLESS NIGHT – GB 1972 – Regie und Drehbuch: Sidney Gilliat, nach dem Roman von Agatha Christie – Produktion: Leslie und Sidney Gilliat – Kamera: Harry Waxman – Musik: Bernard Hermann – Schnitt: Thelma Connell – Darsteller: Hywel Bennett (Michael Rodgers), Hayley Mills (Ellie Rodgers), Britt Ekland (Greta Andersson), Per Oscarsson (Santonix), George Sanders (Andrew Lippincott), Aubrey Richards (Dr. Philpott), Peter Bowles (Onkel Reuben), Lois Maxwell (Tante Cora)

Vorwort:
Wer kennt das nicht: Da ist man bei einem Freund zu Besuch, oft filmbegeistert wie man selbst, und man kommt aus dem Staunen nicht mehr raus. Filme über Filme, alles will man sehen, und dann wird gebettelt: „Den muss ich uuunbedingt sehen… bitte, bitte, bitte… kriegst ihn auch bald wieder zurück…“. Die meisten Freunde sind leichtgläubig (deshalb sind sie wahrscheinlich auch Freunde), und schon ist es geschehen. Man nimmt den/die Film(e) mit nach Hause und dann? Exakt. Sie verstauben für Monate in der Ecke. Nicht dass man sie nicht sehen wollen würde. Aber man muß gerade ins Kino, dann läuft noch eben was im Fernsehen, und die ganzen anderen geliehenen Sachen müssen ja auch noch irgendwann gesichtet werden. Schließlich gibt es nicht nur Freunde, sondern auch naive Bekannte, Videotheken, Büchereien, und sonstige Modalitäten die der Filmaneignung dienlich sind. Auch wenn as mit den Videotheken oder Büchereien manchmal ganz schön teuer werden kann…
Um also mein schlechtes Gewissen zu beruhigen, und einige der Filme die bei mir rumliegen endlich wieder ihren rechtmäßigen Besitzern zuführen zu können, habe ich diese Rubrik ins Leben gerufen. Ein kleiner Anreiz vielleicht, die lange Liste abzuarbeiten und nebenbei auch noch etwas zu Papier zu bringen.
Den Anfang macht Umberto Lenzis „Großangriff der Zombies„, weil ich den gerade eben geguckt habe.
Incubo sulla città contaminata
(Umberto Lenzi / Italien, Spanien, Mexiko / 1980)

Die Verwirrung beginnt schon mit dem Titel: „Nightmare City“, „La invasión de los zombies atómicos“, „City of the Walking Dead“. Laut imdb eine italienisch-spanisch-mexikanische Koproduktion, habe ich zunächt Schwierigkeiten zu entscheiden in welcher Sprache ich den Film nun schauen will. Auf der DVD stehen mir (leider) nur 2 Optionen zur Verfügung: Deutsch oder Englisch. Da ich ein Hardcorecineast und Sparchenfetischist bin, sprich, mir immer alle Filme wenn irgend möglich im Original mit Untertiteln ansehen will, schaue ich bei besagter Internetseite nach der Orginialsprache: Italienisch und/oder Spanisch. Tja, was macht man da…? Entscheide mich schließlich für Englisch, nachdem ich in eine Dialogszene hineingeschaut habe, und mir sicher bin, dass einige Schauspieler in den Szenen definitiv Englisch sprachen oder zumindest versuchten diese Sprache zu imitieren. Außerdem hört sich die deutsche Synchro an derselben Stelle doch um einiges trashiger an, und viele italienische Filme wurden zu der Zeit bekanntlich auch für den englischsprachigen Markt gedreht. Mit einem letzten Gedanken an Mel Ferrer versuche ich die Entscheidung für die englische Tonspur zu rechtfertigen, und schon geht es los.

Vorspann ist schon mal Spitze. Tolle Musik (oh ja: Stelvio Cipriani!), und Aufnahmen von Panoramen und Straßenschluchten einer Großstadtmetropole. Atmosphärisch gelingt Lenzi hier schon die perfekte Einstimmung auf das kommende Geschehen. Ciprianis düstere Synthesizerklänge, getragen aber doch treibend, kombiniert mit anonymen Industriebauten versetzen mir ein wohliges Gruseln, und vermitteln bereits eine Ahnung von der drohenden Apokalypse. Ok, ganz neu ist das nicht. Irgendwie wirkt vieles bekannt, vor allem wohl aus George Romeros Dawn of the Dead (1978). Aber gut geklaut ist für mich trotzdem die halbe Miete. Tarantino ist schließlich nicht der Einzige der damit Kohle scheffelt. Die Handlung ist schnell erzählt: Ein Virus hat wohl von einer handvoll Menschen Besitz ergriffen, die zu Beginn des Films in einem anonymen Flugzeug in einer nicht näher benannten amerikanischen Stadt landen. Es gelingt diesen „Zombies“ (später stellt sich heraus, dass es doch „lediglich“ radioaktiv verseuchte Menschen sind) in die Stadt einzudringen, wobei sie eine blutige Spur der Gewalt hinterlassen. Sie scheinen sinnlos alles zu attackieren was sich bewegt, wobei im Verlauf des Films auch klar wird, dass sie für ihr Überleben ständig frisches Blut benötigen. Also eher eine Mischung aus Vampir und Zombie, denn laufen, prügeln, autofahren und mit Maschinengewehren um sich schießen können sie auch. Der Protagonist, der die Invasion auf dem Flughafen miterlebt hat, ist Reporter, darf aber nicht berichten. Das Militär übernimmt, jedoch soll bei den Bewohnern der Stadt keine Panik ausgelöst werden. Natürlich kommt es wie es kommen muß. Die Situation gerät mehr und mehr außer Kontrolle, da die Infizierten praktisch unverwundbar sind und sich beliebig vermehren können.

Natürlich ist das Ganze nicht vollkommen ernstzunehmen. Die Dialoge sind meist hahnebüchen, das Make-up und die Splatterszenen grotesk, von stringentem Handlungsaufbau oder gar erzählerischer Kohärenz ist nichts zu spüren. Trash vom Feinsten könnte man also meinen. So einfach ist es jedoch nicht. Umberto Lenzi ist kein Amateur, versteht zumindest in einigen Aspekten sein Handwerk ausgezeichnet, und in seinen Filmen findet sich neben aller Übertreibung auch einiges an Ambivalenz was gesellschaftliche Zustände anbelangt. So auch in „Großangriff der Zombies“. Nicht zuletzt wegen der großartigen Schlußwendung (die ich an dieser Stelle nicht verraten will) rückt der Film in die Nähe von traumähnlichem (italienischen) Genrekino à la Argento, Fulci oder Bava. Dass es Lenzi nicht um einen traditionellen Realismusbegriff geht ist schon relativ bald klar. Realitätsfern ist der Film jedoch bei weitem nicht. Das Szenario einer Invasion von Außen war während des kalten Krieges ein beliebter Topos, doch Fulci gibt dem teilweise durchaus reaktionären Gestus seines Films einen interessanten Twist, wenn er das Bodysnatcher-Motiv leicht umfunktioniert. Denn wie es an einer Stelle des Films explizit formuliert wird: Die infizierten Lebewesen sind eindeutig keine Aliens, sondern Menschen wie du und ich. Und infiziert wird jeder der mit ihnen in Berührung kommt. Der Film trägt seine Botschaft denn auch über weite Strecken der Handlung vor sich her, und Fulci lässt seinen Protagonisten und dessen Freundin, die wir den ganzen Film über auf der Flucht beobachten, in einigen Szenen tatsächlich innehalten, nur um dem Zuschauer die (vorgeschobene) Argumentation wiederholt vorzuhalten: Die Menschen an sich sind schlecht (sprich infiziert), weil sie machtgierig sind, weil sie Fortschritt mit Technologie verwechseln, und weil sie sich schon längst von ihrer wahren Natur entfremdet haben. Der Zombie als natürliche Folge der (eingeschlagenen) Evolution. Neu ist das nicht, aber es funktioniert.

In Verbindung mit zahlreichen surreal anmutenden Sequenzen, die in den gelungensten Momenten an Fulcis „The Beyond“ (der tatsächlich später entstanden ist), besagten Romero und eben auch an die Traumwelten aus Argentos Suspiria und vor allem Inferno erinnern (besonders eindrucksvoll: Der Endkampf im verlassenen Vergnügungspark auf den Achterbahnschienen!), entsteht eine doch sehr eigenwillige Horrorfabel. Wer einen traditionell ernsthaften Genrefilm erwartet, wird aber wohl eher enttäuscht. Wie gesagt, kann man das natürlich auch alles lächerlich finden, und sich an den vorgeblichen Peinlichkeiten der Inszenierung ergötzen. Persönlich finde ich die Inszenierung in letzter Konsequenz (vor allem angesichts des Endes) jedoch durchaus agemessen und im Sinne einer spezifischen Reflektion über den Zustand der Welt auch kohärent. Was mir anfangs oft übel aufstieß oder einfach nur auf die Nerven ging, macht am Ende Sinn. Für mich war „Großangriff der Zombies“ eine lohnende und eindrucksvolle Erfahrung. Vielleicht lese ich in den Film zuviel hinein, und stehe in Wirklichkeit einfach nur auf die Kombination von Authentizität vermittelnder Handkamera und phantastischem Sujet, weil sich in diesem scheinbaren Widerspruch für mich automatisch zahlreiche Reflexionsebenen ergeben die die körperliche Erfahrung zwangsweise mit der psychischen verbinden, auch weit über den Film hinaus (siehe hierbei die beiden meiner Meinung nach großartigen Kannibalenfilme von Ruggero Deodato, Cannibal Holocaust und Ultimo mondo cannibale). Man könnte das als transgressiv bezeichnen – oder einfach von „Der Zauberer von Oz meets Jack the Ripper“ sprechen (mit einer Prise Ed Wood). Gegensätzliches, und scheinbar Unvereinbares ergibt oft die interessantesten Kombinationen.

Der innere Widerspruch der sich in „Großangriff der Zombies“ aus ausgestelltem voyeuristischem Exzess und einer offensichtlichen, im Grunde vielleicht banalen Gesellschaftskritik ergibt, erzeugt einen Widerstand der reinen Oberfläche, eine Öffnung zugunsten eines möglichen Phantasmas. Das heißt im Endeffekt nichts anderes, als dass der Film für mich in der Auseinandersetzung unheimlich gewinnt. „Großangriff der Zombies“ ist ein Musterbeispiel für die in der bürgerlichen Kritik oft verleugneten Qualitäten des Genrekinos, nicht nur im Italien der 60er, 70er oder 80er Jahre (genausogut könnte man manchen „Unterhaltungsfilm“ der NS-Zeit, oder das frühe Stummfilmkino – vor der Herausbildung der künstlerischen Ambitionen der 20er Jahre – als Beispiel heranziehen). Man könnte noch einiges über Lenzis permanente Fetischisierung des Körpers schreiben, die ent/subjektivierung des Blicks, oder die Ökonomie von Objekten. Ob es für einen guten Film auch einen guten Regisseur braucht weiß ich nicht. Aber dass ich noch viel mehr von Umberto Lenzi sehen will steht für mich nun eindeutig fest.
