Kaminsky – Ein Bulle dreht durch (1984)
Der Traum vom großen amerikanischen Kino der übergroßen Archetypen. In Frankreich ist es nicht nur genreaffinen Filmemachern eine Gewohnheit – eigentlich schon eine französische Kinotradition – geworden, ihn zu träumen oder mit ihm zu spielen. In Deutschland wird er meist eher von eisenharten Produzenten denn Regisseuren geträumt. Wenn er dann einmal von einem Filmemacher geträumt wird, muss alles da sein. So wie hier: Der verbitterte, alternde Sheriff, der alles und jeden verachtet und in seinem eigenen Schnapstümpel ertrinkt. Der junge, unerfahrene Deputy, der mit dem Zynismus und der Brutalität seines Chefs nicht zurechtkommt. Die einsame und resignierte Ehefrau des Sheriffs, die eine Affäre mit dem Deputy unterhält. Das von zuhause ausgerissene Mädchen in Not, dass zum Auffänger, Sündenbock und Versuch(ung)sobjekt dieser drei nicht minder notleidenden Existenzen avanciert. Und das heruntergekommene, alte Polizeirevier am Rand der Stadt, in einem alten Lagerhaus, in einem Niemandsland leerer Häuser und dreckiger Straßen. Hier kommt das dunkle Gesicht von John Wayne und die stereotype Seite des „new Hollywood“ zum Vorschein.
Und, weil wir hier in dem kochenden, superassigen Klaus Löwitsch nicht nur einen deutschen Jack Nicholson sondern auch einen bei aller markigen Selbstdarstellung und monströsen Inszenierung seitens der Regie immer ein wenig zu echt wirkenden, von Frustration und Lebensverschwendung ermüdeten deutschen Beamten sehen, der die Nase voll hat.
Das kann, hoffentlich, zu der Erkenntnis führen, das frustrierte Beamte und vor allem frustrierte Polizisten kein Phänomen sind, dass exklusiv dem amerikanischen Kino angehört und auch keines, dass im deutschen Kino nur dann auftauchen kann, wenn es ein amerikanischer Film vormacht. Die Bewunderung für Regisseure wie Sidney Lumet, Francis Ford Coppola und Martin Scorsese trieft hier zwar aus allen Poren, gleichzeitig wird aber auch gefiltert – durch jenen Abstraktions-Filter, mit den das französische Kino der 60iger und 70iger Jahre bereits das „Amerikanische“ beäugt hat und mit einem sicheren Gespür dafür, wo die Faszination enden und einer kulturell unterfütterten Wirklichkeit Platz machen muss. Und die hält in KAMINSKY sehr schnell einen deftigen Einzug nach dem prototypischen und irritierend streng konstruierten Auftakt, der seine treffsicher gewählten Klischees mit beachtlicher Unverfrohrenheit platziert.
In besagter Eröffnungsszene schlägt Kaminsky mit von der Brotzeit noch fettigen Händen in einer schäbigen Kneipe einen Drogendealer zusammen, als Gefälligkeit für den vor Angst zitternden Wirt, dessen Sohn apathisch im Drogenrausch dem Geschehen folgt. Eine Western-Szene ist das, ohne jede Frage. Aber sie gibt nicht den Ton des übrigen Films vor, sondern bemerkt mit leiser Süffisanz, wie unmöglich sich der assoziative Kreislauf zwischen Publikum – Öffentlichkeit, „Tough guy“ – Polizist und Kino – (medialer) Wirklichkeit aufbrechen lässt – und dass man sich gegen seine Unzerstörbarkeit nicht wehren sollte. Wenn der Film wenig später sein fiebriges Kammerspiel in die Wege leitet, erkennen wir, warum wir uns gewehrt haben, gegen diese Klischees. Weil wir sie so direkt wiedererkannt haben, als Bausteine aus anderen Filmen und damit aus einer anderen Wirklichkeit, was uns nur daran hindern kann, hier, in KAMINSKY, eine eigene Wirklichkeit zu finden.
Aber wir bekommen sie, auch wenn Michael Lähn hier einen dieser Filme gedreht hat, bei denen man mit konstant zunehmender Unsicherheit darüber grübelt, ob man sich eher ohne Scham und ungehemmt an der asozial-schmierigen Soziopathen-Show des Protagonisten ergötzen soll oder mit feierlichem Ernst der Stimme der wirklichen, deutschen Wirklichkeit hinter dieser filmischen, amerikanischen Wirklichkeit lauschen soll. Der Film ignoriert dieses Grübeln mit Nonchalance und steigert die Widersprüche seines kleinen Universums bis zum Exzess. Ohne dabei den Bezügen zur wirklichen Wirklichkeit ein Gesicht, ein griffiges Profil zu geben. Nur am Ende, als wir dem negativen Höhepunkt dieser angestauten Frustrationen und dieses Zynismus, der Vergewaltigung des Mädchens, aus Dieters Perspektive in der dunklen Toilette beiwohnen, sie also nur mithören, da verflüchtigt sich die filmische, postmoderne Wirklichkeit für einen Moment und die zeitgenössische Wirklichkeit quetscht ihr verkatertes Gesicht durch den Rahmen. Das allerdings bevor wir nach dem finalen Duell, der Konfrontation, der Eskalation völliger Katharsis, das Revier verlassen, dass in der Morgendämmerung wie ein friedliches Monument daliegt, wie ein Western-Saloon. Wenn wir verschiedene, uns bekannte filmische Wirklichkeiten und die Polizisten und Gangster, denen wir dort begegnet sind, durcheinander bringen oder nicht erfolgreich vor unseren Augen verschmelzen können, denken wir in diesen kurzen Momenten des Leerlaufs vielleicht kurz daran, dass sie auch nur Menschen sind und flüchten uns in die wirkliche Wirklichkeit. Aber sobald Ordnung einkehrt in der filmischen Wirklichkeit, wollen wir keine Menschen, sondern Archetypen. Kaminsky ist ein zünftig-deutscher und demzufolge natürlich besonders teutonischer Archetyp, der immer darauf gewartet hat, seine filmische Wirklichkeit zu bekommen. Dass er dabei eine amerikanische Hilfestellung in Anspruch genommen hat, sollte man ihm nicht negativ anrechnen. Dadurch würden sich die beiden Wirklichkeiten unter dem Vorzeichen deutscher Kultur-Identifikation mit amerikanischen Attributen nur wieder in die Haare kriegen – und das wäre doch schade.
Kaminsky – BR Deutschland 1984 – 80 Minuten – Regie und Drehbuch: Michael Lähn – Produktion: Klaus Sungen – Kamera: Jörg Seidl – Schnitt: Camilla Bernetti – Musik: Roberto C. Detree – Darsteller: Klaus Löwitsch (Rolf Kaminsky), Alexander Radszun (Dieter Stecker), Beate Finckh (Renate), Hannelore Elsner (Nicole Kaminsky)
Hinweis: Ursprünglich war dieser Text für die „100 Deutsche Lieblingsfilme“-Reihe gedacht. Warum er dort nicht erschien, ist hier nachzulesen.
Anmerkung der Redaktion: Der folgende Text beruht auf Christophs längerer Fassung, die hier versuchsweise von Sano und mir mit schwingenden Fleischermessern gekürzt und bearbeitet wurde. Christoph äußerte dazu, er fühle sich wie Michael Cimino nach der Kürzung von „Heaven’s Gate“…
Der Traum vom amerikanischen Kino der übergroßen Archetypen wird in Deutschland eher von eisenharten Produzenten als von Regisseuren geträumt. Wenn er dann umgesetzt wird, muss alles da sein: der verbitterte Sheriff, der alles und jeden verachtet und in seinem eigenen Schnapstümpel ertrinkt, der junge, unerfahrene Deputy, der mit der Brutalität seines Chefs nicht zurechtkommt, die einsame, resignierte Ehefrau des Sheriffs, die eine Affäre mit dem Deputy unterhält, das ausgerissene Mädchen, das zum Sündenbock und Versuch(ung)sobjekt dieser drei ebenso notleidenden Existenzen avanciert und das heruntergekommene Polizeirevier am Rande der Stadt, in einem Niemandsland leerer Häuser und dreckiger Straßen. Hier kommt das dunkle Gesicht von „Rio Bravo“ und die stereotype Seite des “New Hollywood” zum Vorschein.
Der superassige Klaus Löwitsch gibt dabei nicht nur einen deutschen Jack Nicholson ab, sondern bei aller markigen Selbstdarstellung und monströsen Inszenierung immer auch ein wenig den von Frustration ermüdeten deutschen Beamten.
Das führt zu der Erkenntnis, dass frustrierte Polizisten kein Phänomen sind, welches im deutschen Kino nur auftaucht, wenn es ein amerikanischer Film vormacht. Die spürbare Bewunderung des „New Hollywood“ wird gefiltert – durch jene Abstraktion, mit der schon französische Filmemacher zeigten, wo die Faszination enden und einer kulturell unterfütterten Wirklichkeit Platz machen muss. Und die hält in KAMINSKY nach dem eher prototypischen Auftakt schnell einen deftigen Einzug, der seine Klischees mit beachtlicher Unverfrohrenheit platziert.
In besagter Eröffnungsszene schlägt Kaminsky mit von der Brotzeit noch fettigen Händen in einer schäbigen Kneipe einen Drogendealer zusammen, als Gefälligkeit für den vor Angst zitternden Wirt, dessen Sohn im Drogenrausch apathisch dem Geschehen folgt. Eine Westernszene ist das, ohne jede Frage. Aber sie bestimmt nicht den Ton des übrigen Films, sondern zeigt mit leiser Süffisanz, wie schwer sich der assoziative Kreislauf von medialer und Alltagswelt aufbrechen lässt – und dass man sich gegen seine Wirksamkeit nicht wehren sollte. Wenn der Film dann zum Kammerspiel wird, erkennen wir, warum wir versuchten uns gegen diese Klischees zu wehren: was uns hindert in KAMINSKY eine eigene Welt zu erkennen, sind die Bausteine aus anderen Filmen, einer anderen Wirklichkeit, die wir hier wiederzuerkennen glauben.
Auch wenn Lähn hier einen Film gedreht hat, bei dem man immer unsicherer wird, ob man sich ungehemmt an der asozial-schmierigen Soziopathenshow des Protagonisten ergötzen oder der ernsten Stimme der deutschen Wirklichkeit hinter dieser „amerikanischen“ Fassade lauschen soll. „Kaminsky“ ignoriert diese Zweifel mit Nonchalance und steigert die Widersprüche seines kleinen Universums bis zum Exzess. Nur am negativen Höhepunkt der angestauten Frustrationen, der Vergewaltigung des Mädchens: da verflüchtigt sich die postmoderne Filmwelt für einen Moment und die Realität quetscht ihr verkatertes Gesicht durch den Rahmen. Dies geschieht allerdings, bevor wir nach der finalen Konfrontation das Revier verlassen, welches in der Morgendämmerung wie ein friedliches Monument daliegt – ein Western-Saloon. Wenn wir verschiedene Filmklischees von Polizisten und Gangstern durcheinander bringen oder nicht vor unseren Augen verschmelzen können, flüchten wir uns in diesen kurzen Momenten des Leerlaufs vielleicht in unsere eigene Realität, und erkennen, dass diese Figuren auch nur Menschen sind. Aber im Film wollen wir keine Menschen, sondern Archetypen. Kaminsky ist ein zünftig-deutscher Archetyp, der schon immer auf seine Inszenierung gewartet hat. Dass er dabei amerikanische Hilfestellung in Anspruch nimmt, sollte man ihm nicht vorwerfen, denn andernfalls würden sich die deutsche und die amerikanische Filmwirklichkeit bekriegen – und das wäre doch schade.