Zwischen Politik und Mafia – IL DIVO
Ein erschreckend wahres Stückchen italienischer Geschichte

Italien, das ist das Land der Cesaren, der Päpste und der Mafia – seine Geschichte wurde geschrieben und geprägt von mächtigen Männern. Und so atmet das Land eine lange Geschichte der Macht, des Verfalls und der Renaissance. Und dies betrifft nicht nur die Politik der Vergangenheit. Verstrickungen zwischen Kirche, Politik und Mafia sind seit Jahrhunderten scheinbar an der italienischen Tagesordnung. Unter Italiens führenden Staatsmännern sind und waren viele zwielichtige Gestalten, denen Verbindungen zur Mafia nachgesagt werden und wurden. Auch gegen Silvio Berlusconi, den aktuellen italienischen Regierungschef bestehen solche Anschuldigungen. Einer der undurchsichtigsten und am kontroversesten beurteilten Staatsmänner, der die Fäden der Macht in Italien über mehrere Regierungsperioden in der Hand hielt, war Giulio Andreotti, genannt Il Divo. Andreotti war sieben Mal Premierminister sowie 25 Mal Minister (1946-1991), wurde 29 Mal wegen des Verdachts mafiöser Machenschaften angeklagt – und niemals verurteilt.

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Heute um 20:15 in der ARD:
Polizeiruf 110: Cassandras Warnung

„Giallo a Monaco“


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100 Deutsche Lieblingsfilme #28: Kalter Frühling (2003)

Am Anfang kommt Jessica Schwarz mit ihrem Auto im Hof ihrer reichen Eltern an, und bereits da wirkt sie deplaziert, sich nicht wirklich einfügend in ihre Umgebung. Man spürt sie kehrt heim: das ist ihr Zuhause. Doch sie gehört dort nicht hin. Sie hat es nur noch nicht bemerkt. Am Ende des Films ist davon nichts mehr da. Sie steht im Garten – nach langer Odyssee zurück gekehrt – es ist ihr Garten, ihr Platz. Aber von Heimat, von Zugehörigkeit ist keine Spur mehr. Wir wissen jetzt: diese Heimat trug sie in ihrem Herzen, sie drückte sie in ihren Gefühlen, ihren Gesten, ihrem Blick aus. Nun ist dies Vergangenheit, denn was die Figur sich zurück erobert hat ist die Realität. Besser gesagt der unverstellte Blick auf sie. Heimat als Illusion, als Geschenk der Naiven. Kalter Frühling ist ein Film über den Zerfall. Über den Verlust der Unschuld. Und über den Verlust des Selbst.

In Kalter Frühling, wie in vielen Filmen von Dominik Graf gibt es die Gegenwart nicht. Es gibt nur Vergangenheit und Zukunft, aus denen sich die Gegenwart als Punkt einer Bewegungsachse für uns als Zuschauer konstruiert. Der gegenwärtige Moment gewinnt also dadurch an Bedeutung, dass es für ihn ein davor und danach gibt, dass er also tatsächlich einzigartig ist. Und das zeigen uns die vielen Szenen in Kalter Frühling immer wieder. Die Einzigartigkeit und Unwiederholbarkeit jedes Augenblicks. Die Vergänglichkeit des Lebens. Da die Vergangenheit wie die Zukunft uns leitet, ist auch nichts je so wie es uns erscheint, sondern nur wie es sich uns ständig erschließt. Aus einzelnen Momenten eben.
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Naked (1966)



Fünf Männer und eine Frau, allein im tropischen Sumpf. Sie hat es auf einen von ihnen abgesehen, die anderen vier auf sie. Sie kriegt ihn, aber wer kriegt sie? Weiterlesen…

100 Deutsche Lieblingsfilme #26: In Frankfurt sind die Nächte heiß (1966)



Erleben Sie Sex und Spannung in einem Film für Kenner! Sehen Sie diesen aktionsbetonten dokumentarischen Krimi von internationalem Rang! Wagen Sie einen Blick in die Nachtlokale und Amüsierstuben unserer Zeit! Es ist die abenteuerliche und gefahrvolle Welt der Halbweltgangster und Sittenstrolche, in der sich alles um Miezen und Moneten dreht und die Triebhaftigkeit ungehindert gedeiht. Eine Welt, in der die Aufrechten den Anfechtungen der Verderbtheit und der Anziehungskraft von halbseidenen Attraktionen ausgeliefert sind.

Strichkatzen, Bordsteinschwalben, Pflasterziegen – sie haben viele Namen, die fleißigen Bienen vom fröhlichen Bock. Ihr Revier ist die Straße, ihre Beute ist das Laster. Sie verstehen es, aus Lüsternheit und Perversion ein einträgliches Geschäft zu machen. Die Moral nehmen sie auf die leichte Schulter, denn gewerbsmäßige Unzucht ist ihr täglich Brot.

Die Girls von heute sind keine Kinder von Traurigkeit. Manch kesse Hupfdohle träumt vom großen Luxus und erliegt dem Lockruf des leichtverdienten Geldes. Versuchungen pflastern ihren Weg, Schamlosigkeit und Versündigung sind oft das Resultat. Ihr flottes Mundwerk und ihr aufreizendes Äußeres bringen so manchen Mann um den Verstand und um das Portemonnaie. Man kann es den Herren bei diesen Hüften auch kaum verargen, dass sie sich nicht mehr mit Gedanken an ihre dürren Klepper zuhause plagen! Ein Gemisch von Sachlichkeit und Raffinement, das fasziniert.

Erleben Sie die hinreißende Vera Tschechowa, den blutjungen Star aus „Noch minderjährig“. Unter der erfahrenen Regie von Rolf Olsen reift ihr Stern zu voller Blüte heran. Zwischen Jet-Set und Hinterzimmer versucht sie ihr Glück. Ihrem charmanten Liebreiz kann sich auch ein junger Mann aus Wien nicht entziehen. Ahnungslos von ihren schlüpfrigen Geheimnissen folgt er ihr nach Frankfurt, doch seine Rechnung geht nicht auf: er hatte sich falsche Hoffnungen auf Ehre und Treue dieser Frau gemacht. Wie Mädchen heute Männer lieben – auch davon berichtet dieser Film.

Gemeine Rauschgiftschmuggler, ruchlose Häscher, dreckige Kindertreiber, fiese Kanaillen, streitsüchtige Radaubrüder – im Moloch der Großstadt tummeln sich lichtscheue Gestalten, denen man nicht auf der Hintertreppe begegnen möchte. Sie verkehren in zwielichtigen Spelunken und heruntergekommenen Animierschuppen. Rücksichtslose Abkocher, die mit allen Wassern gewaschen sind. Mit ihnen ist nicht gut Kirschen essen, denn Anstand und Menschlichkeit sind ihnen fremd.

In den Gassen dieser Stadt von Weltformat lauert der Tod. Eine Serie von Dirnenmorden bringt Unruhe und Verdruss in die Kaschemmen. Ein Scheusal, ein Monstrum, eine Bestie in Menschengestalt rückt den leichten Mädchen zu Leibe. „Ich will auch Liebe machen“, schäumt es aus ihm hervor, doch mit solchen Zudringlichkeiten ist heutzutage kein Stich mehr zu machen – mit ihm wollen sie es nicht treiben. Krank vor Verlangen, gedemütigt durch Zurückweisung, sticht er nun gnadenlos zu!

Sehen Sie ein schonungsloses Protokoll menschlicher Gier und sittlicher Verkommenheit! Ein authentischer Tatsachenbericht über die Verfehlungen unserer Zeit. Kriminalität aus Müßiggang und Begehrlichkeitsverbrechen steigen weiterhin sprunghaft an. In Frankfurt ist jeder sechzehnte Einwohner straffällig, in anderen Städten ist es nicht besser. Könnten wir aber nicht alle mehr dazu beitragen, überall die Kriminalität zu behindern und Verbrechen verhüten zu helfen? Wir alle – auch Sie! Tun Sie den ersten Schritt! Sehen Sie es mit eigenen Augen: In Frankfurt sind die Nächte heiß!

In Frankfurt sind die Nächte heiß – BRD, Österreich 1966 – 97 Minuten (Videofassung um ca. 35 Minuten gekürzt) – Regie: Rolf Olsen – Drehbuch: Rolf Olsen – Kamera: Karl Löb – Musik: Erwin Halletz – Darsteller: Vera Tschechowa, Erik Schumann, Barbara Valentin, Richard Münch, Walter Kohut, Konrad Georg, Claus Ringer, Christiane Rücker, Fritz Tillmann.

Schwarzer Samt (1976)

„Der Samt, auf dem die Lust und die Laster der Menschheit liegen, ist so schwarz wie die Nacht.“

Die einzeln verstreuten Bewohner eines ägyptischen Dorfes am Nilufer ragen schweigend in einem Beinahe-Halbkreis der Kamera entgegen, in unterschiedlichen Entfernungen. Fast scheint es, als starrten sie, wissend, geradewegs in die Kamera. Einer von ihnen löst sich aus der Reihe, geht zu auf eine maurisch gebaute Burg, auf einem Hügel, der sich hinter dieser Versammlung erhebt. Im Bild ist das streng arrangiert, gewinnt dem Szenario den maximalen unwirklichen Effekt einer geheimnisvollen Zeremonie ab, weckt Reminiszenzen ans Monumentalkino, an Alejandro Jodorowskys MONTANA SACRA, natürlich den Italowestern oder auch, wie anderorts einmal von irgendjemandem behauptet, 2001: A SPACE ODYSSEE. Der Film verirrt sich später nie wieder zurück zu der Transparenz, zu dem Konkreten dieser Anordnung: Sie ist nur ein hinterlistiges und vielleicht auch generisches Prelude für die kommende Geschichte der neokolonialistischen geistigen Ausbeutung eines Landes durch die sexuelle Selbstausbeutung der Besatzer. Anders: Dieses Prelude verurteilt von vornherein alles Kommende zu einer Farce in seinem bis zur Grenze des Surrealismus überhöhten Exotismus. Ein erotisches Orientmärchen, das ist es nicht, was Brunello Rondi, der undurchsichtige und mysteriöse Schöpfer dieser riskanten Bilder möchte. Die Melodie klingt schließlich mit einem dissonanten Akkord aus: Wir stehen ganz plötzlich im Badezimmer der britischen Filmdiva Crystal, die in dieser Burg lebt, so, wie man es von einem Star im Exil erwartet. Das Klirren ihrer abgesetzten Teetasse beendet das Prelude. Was nun beginnt ist – ja, was ist es eigentlich? Weiterlesen…

Directed by Robert Hampton #5:
Geheimauftrag CIA – Istanbul 777 (1965)

„Die beiden berühmten Wissenschaftler Bolz und Schwartz sind nach dem Krieg nach Frankreich geflohen und befinden sich jetzt in einer äußerst bedrohlichen Situation. Der französische Geheimdienst ist diesen beiden ehemaligen Mitarbeitern von Hitlers Atomzentrale Peenemünde auf den Fersen. Doch auch der israelische Geheimdienst ist hinter ihnen her. Um alles in der Welt muss verhindert werden, dass mit ihrer Hilfe den Ägyptern die Atombombe in die Hände gerät!
Eine wilde, unglaubliche Verfolgungsjagd aller gegen alle beginnt…“

(Covertext der Kaufkassette von „Vision Video Selection“)

Soviel und doch so wenig verspricht also der unvergleichlich charismatische Klappentext der deutschen Videokassette. Der Film selbst platziert sich mit der Anlage seiner im Film selbst kaum präsenten atomaren Weltbedrohung noch deutlicher in der Nähe der James Bond-Filme, stellt dabei aber zugleich ein ausgesprochen kühles Desinteresse an den in dieser Inhaltsangabe geschilderten Aktionen und deren Antrieb aus. Ein Desinteresse, dessen Proportionen Staunen machen, dass Riccardo Freda zwei Jahre später tatsächlich noch einen weiteren Teil der insgesamt sechs Filme umfassenden Reihe um den CIA-Agenten Francis Coplan (in der deutschen Fassung Jeff Collins, im Nachfolgefilm Frank Collins) inszenierte – erstaunlich sowohl von Seite des offensichtlich vom Stoff selbst wenig begeisterten Regisseurs, als auch von Seite des offenbar entweder von Gutgläubigkeit oder Blindheit geschlagenen Produzenten Robert de Nesle.

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100 Deutsche Lieblingsfilme #25: Supertramp Portrait 1970 (1970)

Musikfilme sind so alt wie die Geschichte des Kinos. Schon früh versuchte man für den Film Tonaufnahmeverfahren zu entwickeln (zum Beispiel durch William Dicksons Kinetophone oder Léon Gaumonts Chronophone) oder zumindest Musiker zu filmen, um ihrem Bild während der Vorführung wenigstens die Musikaufnahmen parallel unterzulegen. Und wer erinnert sich nicht an die Legende des Tonfilmdurchbruchs durch den Musikfilm The Jazz Singer (1927) dem in den 30er Jahren das goldene Zeitalter des Musical-Films folgen sollte. Kino und Ton, Kino und Musik – das war also schon immer ein Traum, an dessen Anfänge heute nicht zuletzt zahlreiche Stummfilm-Aufführungen erinnern, bei denen man beizeiten das Gefühl bekommt die Musik stünde im Vordergrund, und nicht der „eigentliche“, stumme Film.

In den heutigen Musikvideos auf dem Fernsehbildschirm oder im Internet erscheint es ebenfalls meist selbstverständlich mehr auf den Ton als auf das Bild zu achten, so weit, dass einen manchmal das Gefühl überschleicht, es handele sich eher um einen Werbefilm, als um das visuelle Nachvollziehen eines musikalischen Erlebnisses. Wer kennt das nicht: man sitzt bei einem Konzert und lässt seinen Blick frei über die Bühne schweifen, von einem Musiker zum anderen, von einem Instrument, von einem Detail auf das Andere. Das Tempo bestimmt nicht unbedingt die Musik, das Tempo bestimmt man selbst. Und nicht nur bei Konzerten klassischer Musik, sondern eben auch in einer Kneipe oder einem kleineren Club, in dem die Talente junger Rockkünstler (meine bevorzugte Spielart) in aller Ausgiebigkeit bewundert werden dürfen. Denn nicht weniger als die Musik selbst, lässt sich hier das Aufführen, Vortragen und Vorspielen dieser Klänge, ihre Entstehung und Entfaltung im Augenblick, genießen.

Adäquate Filme, in denen einen das berühmte Gefühl „dabei“ zu sein überkommt, in denen man Gänsehaut verspürt, und die Faszination eines Musikereignisses auf den Zuseher und Zuhörer überspringt (auch wenn man im Grunde kein weitergehendes Interesse an den jeweiligen Künstlern und ihrer Arbeit in sich trägt), gibt es meiner Meinung nach wenige. Das Meiste davon ist auschnittsweise in Konzertfilmen und größeren Dokumentationen zu finden, doch widmen sich diese im Grunde oft einem breiteren Spektrum als dem singulären Moment der musikalischen Verführung unter Einhaltung der Elemente Zeit, Raum und Ort, und auch im Fernsehen wo jede Woche zahlreiche Musikauftritte mitgefilmt und teilweise sogar live ausgestrahlt werden, hat sich mir während der letzten 20 Jahre noch bei keinem einzigen Auftritt dieses Gefühl der hypnotischen Konzentration offenbart.

Anders in Haro Senfts Supertramp-Aufnahme von 1970. Die Musiker spielen wie entfesselt, während die Kamera ihnen zusieht, sich auf sie einlässt aber auch ihre eigenen Ideen verfolgt. Der Regisseur nicht als Inszenierer von visuellen Mätzchen, die ein analoges Gefühl des Überwältigtseins simulieren sollen, eine Traumwet in die man mit der Musik flüchten kann, sondern vielmehr als Garant für die Möglichkeit des Entstehens einer parallelen Welt, eines Traumortes, hier und jetzt, in diesem konkreten Raum, den die Musik transformiert. Die genuine Kraft von Klängen das Denken und Fühlen von Menschen direkt, an Ort und Stelle zu verändern, reflektiert Senfts Film indem er diese Magie filmisch sichtbar macht: Eben genau so, als säße man dabei und könnte sich selbst beim Denken und Fühlen beobachten. Der Filmemacher nicht so sehr als singulärer Visionär, sondern als banaler aber dafür nicht minder talentierter Erfüllungsgehilfe des Realen, der durch sein Abbild die Bazinsche Idee der göttlichen Transzendenz im Filmischen Ausdruck zu erreichen imstande ist.

Supertramp Portrait 1970 – BRD 1970 – 11 Minuten – Regie und Produktion: Haro Senft – Kamera: Klaus Müller-Laue, Konrad Kottowsk – Schnitt: Jane Hempel – Musik: Supertramp, improvisiert nach einem Song von Bob Dylan – Darsteller: Richard W. Palmer (Gitarre), Richard Davies (Orgel), Roger Hodgson (Bass), Keith Baker (Schlagzeug), sowie diverse Zuschauer

Den Film kann man hier in seiner ganzen Pracht kostenlos und in ausgezeichneter Qualität als Stream auf der Internetseite von Europa Film Treasures bestaunen.

100 Deutsche Lieblingsfilme #24: Unsichtbare Tage (1991)

Eine Theaterbühne, Stimmen aus dem Off. Wir sind bei einer Probe. Wichtig ist jedoch die Inszenierung im Raum, kein Text, sondern Bewegung. Es herrscht Sprachlosigkeit. Die Welt als Bühne, das Leben als Inszenierung, und die Menschen als Statisten. In Eva Hillers faszinierend direktem filmischem Essay geht es um das Funktionieren des Systems, um die technischen Errungenschaften unserer Zivilisation. Um die Geister, die wir riefen, um die Dunkelheit zu bannen, und die wir inzwischen nicht mehr los werden.

Als fieser Zwilling von Chris Markers Sans soleil irgendwo zwischen Nikolaus Geyrhalters Unser täglich Brot und Jürgen Böttchers Rangierer angesiedelt, changiert der Kamerablick immer wieder zwischen Präzision der Kadrierung und Authentizität des Augenblicks, zwischen Travelling Shot und Momentaufnahme, um vor allem die materielle Präsenz der Dinge hervorzuheben, die Gewalt der Oberfläche. Brutal könnte man Kamera und Montage nennen, unbarmherzig, gnadenlos, direkt, denn die Härte des Gezeigten wird in der Inszenierung nicht aufgehoben. Formal werden die Prozesse teilweise nachvollzogen, jedoch ohne ihnen einen konkreten Raum zuzuweisen, ohne die Möglichkeit der Entfaltung. Unmittelbarkeit, Gleichzeitigkeit, Virtualität. Es gibt nichts zu entdecken, alles liegt offen zu Tage, und gerade dadurch überfordern uns die Zeichen und Informationen, die von Maschinen in einer Geschwindigkeit decodiert werden, welche den Moment menschlicher Bewusstwerdung um ein Vielfaches übersteigt, und uns gerade dadurch den evolutionären Prozess der Bewusstseinsbildung permanent schmerzlich vor Augen führt. Die Dinge denken nicht, sie handeln.

Fear and Desire hieß der erste Spielfilm Stanley Kubricks. Die Angst und das Begehren, Furcht und die Erlangung der Macht über die Furcht. Wer die Nacht beherrscht, beherrscht den Tag. Das Kino von Unsichtbare Tage ist, wie das Kino des Stanley Kubrick, ein Kino der Nacht. Und das vielfach benannte Schweigen der Bilder bei Kubrick entpuppt sich durch Hillers Film einfach als das Schweigen des Menschen. Systemzwang, strukturelle Gewalt, die Flucht vor dem Ich, der Wunsch nach Herrschaft über etwas, das sich nicht beherrschen lässt, das Faszinosum, das Paradox der Kontrolle: die ganze Palette von Kubricks Themenkomplexen findet sich in diesem Film wieder, ebenso wie seine Art der Inszenierung. Kubrick in Deutschland? Ja, tatsächlich.

„Schau in die Sonne. Welche Sonne? Na, die Sonne. Ach, das gelbe Ding da oben. Siehst du sie? Aber ja doch, ist doch immer da, seh ich doch immer. Aber schau mal hin, schau mal rein.“ Wenn wir zu lange in die Sonne blicken, erblinden wir. Die Realität die immer vor uns liegt übersehen wir daher bewusst. Denn das Licht der Erkenntnis ist die ständige Präsenz, die immer schon ist, und die uns inzwischen regelmäßig überfordert. Technik ist bei Hiller wie bei Kubrick fahler Ersatz, vergebliche Flucht. Und die Menschheit dadurch ein System, das sich selbst auslöscht. Das Offensichtliche als Offensichtliches präsentieren. Der Leerlauf der Bewegung und die Unmöglichkeit der Ausdehnung des menschlichen Geistes ohne gleichzeitige Ausdehnung des Bewusstseins. Also dehnen wir unsere Körper.

Es ist ein Verschwörungsfilm ohne eigentliche Verschwörung. Ein Film, der vom aus der Zeit fallen erzählt, und dabei selbst aus der Zeit gefallen wirkt. Er hätte auch gestern gedreht werden können, oder morgen. Unsichtbare Tage transportiert keine Ideen, stellt keine Fragen. Er zeigt auf und gibt Antworten. Um dem Tod zu entfliehen, um die Nacht zu zerstören, müssen wir auch den Tag zerstören, müssen wir letztendlich Maschine werden. Also der nächste Schritt in einer Evolution, die die Angst vor der Evolution beseitigen will. Wenn die Sonne eines Tages verglüht ist, glaubt der Mensch weiterleben zu können, indem er die Realität durch die Virtualität ersetzt. Denn wie formuliert es die Sprecherin im Film: Wenn alles Illusion ist, verschwindet die Illusion. Und diese Hoffnung scheint es zu sein, die den Menschen in seiner Flucht vor der Auseinandersetzung mit sich selbst letztlich antreibt.

Unsichtbare Tage oder Die Legende von den weißen Krokodilen – Deutschland 1991 – 75 Minuten – Regie und Produktion: Eva Hiller – Drehbuch: Eva Hiller, Wolfgang Kabisch – Kamera: Thomas Mauch – Musik: Matthias Raue – Schnitt: Stefan Beckers – Ton: Michael Busch – Sprecherin: Renan Demirkan

Bildquelle: derkrieger – http://tinyurl.com/4nmtaq2

Aktuell im Kino – Das Hofbauer-Kommando empfiehlt:

Kesse Bienen für den duften Renato

Vor etwas mehr als einem Monat sonderte HK-Gründungsmitglied Christoph bereits einige reißerische Spekulationen ab über das Schaffen des italienischen Schauspielers und Filmemachers Michele Placido und dessen neuen Film ENGEL DES BÖSEN. Das mit Spannung erwartete Gangster-Biopic läuft seit nunmehr zwei Wochen erfolglos in den deutschen Kinos. Wir wir meinen, ein betrüblicher Zustand, besteht in diesen zarten Tagen doch nur noch selten die Möglichkeit, italienisches Genrekino auf deutschen Kinoleinwänden zu erleben. Die Qualitäten, die uns zu dieser Empfehlung veranlassen, liegen allerdings weniger in der Herkunft des Films begründet und wir möchten im Folgenden in die Tiefen, in denen diese Qualitäten zu finden sind, hinabstechen. Weiterlesen…