Ob man es nun im Negativen auf die Musik (erhöhter Drang nach Anästhetika) oder im Positiven auf die Atmosphäre neckischer Ausgelassenheit schiebt – den Tag nach der Party bin ich erstmal ziemlich gerädert, womit ich unter den Besuchern des PFFB aber sichtlich nicht alleine bin.
Kurz nach dem Erwachen zweifele ich tatsächlich daran, ob ich mich überhaupt in der Lage sehe, heute den sehr weiten Weg zum Moviemento (von mir Zuhause mit dem Rad immerhin 10 min.!) auf mich zu nehmen und mich dann auch noch geistigem Input auszusetzen. Doch dann obsiegt zum Glück der zuverlässig drängendste und kompromissloseste all meiner drängenden und kompromisslosen Triebe: die Neugier. Weiterlesen…
Drei Filme stehen heute auf meinem Programm. Der erste ist Female Touch von Morgana Mayer. Eingebettet in die Rahmenhandlung einer in der Badewanne masturbierenden Frau sind ihre Fantasien, die als performative Vektoren ein Universum verschiedenster Permutatutionen der Lust – begriffen als eine der „schönen Künste“, wie der Mord bei De Quincey – entwerfen. Weiterlesen…
Und damit Sie das auch tun, schreiben Sie JETZT folgenden Termin in Ihren Kalender: 22. bis 27. Oktober 2019!
Eskalierende Träume befiehlt: Sagen Sie alles ab, was keine lebenserhaltenden Maßnahmen sind, buchen Sie sich für diese Zeit in Berlin ein, wenn Sie nicht eh schon dort wohnen und begeben Sie sich eine Woche lang in die wonnigen Umarmungen der Kinosessel des Moviemento, des ältesten Kinos Deutschlands – in alten Sälen lernt man sehen!
(Und falls Sie nicht gehorchen wollen… vielleicht lassen Sie sich ja verführen? Als Zeugnis der unerschöpflichen Reize des PFFB mag Ihnen dieser 3-teilige Festival-Report eines Pubertierenden gefangen im Körper eines Mittdreißigers dienen.) Weiterlesen…
Es ist schon seltsam: ich sehe so viele Filme, die mich beeindrucken, begeistern, vor denen ich am liebsten in die Knie gehen würde, alte wie neue, im Kino und zu Hause und meist fällt es mir unglaublich schwer darüber zu schreiben, mir fehlen die Worte oder alles was mir dazu einfällt klingt abgenutzt und unoriginell, voller Klischees oder ist anderswo schon besser gesagt worden. Oder ich finde den Film wirklich groß, aber kurz nach der Sichtung denke ich schon gar nicht mehr daran, denn der Film hat alles schon sagt, ich habe alles schon während des Films gefühlt und gedacht. Und dann kommt ab und an ein Film, der nicht mal „besser“ sein muss als andere Filme, aber zu dem mir sofort Worte kommen, wie ein nicht enden wollender Strom, ein Film, der meine Denkmaschinerie in Gang setzt, die dann auch erstmal nicht mehr zur Ruhe kommt, fast wie bei Wagners „ewigen Melodien“ oder so und diese Denkmaschinerie bewegt sich zudem auch dauernd vom Film weg, dann aber wieder auf ihn zu und umkreist ihn derart. Ein Film der so etwas bei mir in Gang gesetzt hat war UPSTREAM COLOR oder vielleicht habe ich ihn einfach gerade in einem der wenigen Zeitfenster gesehen, in denen mein Hirn bereit ist für diese Art von Denkkaskaden und was ich hier schreibe ist jedenfalls keine Kritik dieses Films sondern allenfalls ein Erfahrungsbericht. Es geht in diesem Text also mehr um mich oder eher das was in mir vorging während ich UPSTREAM COLOR sah und nachdem ich aus dem Kino kam, was mir durch den Kopf ging, während ich nach Hause fuhr und auch im Bett vorm Einschlafen lange nicht abreißen wollte, der gute alte Bewusstseinsstrom eben, passend zum Titel: stromaufwärts Farbe! – stromabwärts Gedanke, fließfloss fuhrbay an Ev‘ und Adams… Weiterlesen…
Und der vierte Engel posaunte: und es ward geschlagen der dritte Teil der Sonne und der dritte Teil des Mondes und der dritte Teil der Sterne, dass ihr dritter Teil verfinstert ward und der Tag den dritten Teil nicht schien und die Nacht desgleichen. Offenbarung 8,12
Die frühesten Erinnerungen, die Zulawski an seine Kindheit hat sind, so hat er mehr als einmal in Interviews bekannt, Erinnerungen an den Krieg. Nichts habe ihn stärker geprägt als der Krieg, diese Urkatastrophe der Menschheit in der sie nichts anderes tut als sich selbst in Frage zu stellen, sich mit aller Wucht in die Waagschale zu werfen und sei es, dass die Waage selbst daran zerbricht. Im polnischen Kino ist Zulawski nicht zuletzt deshalb eine singuläre Erscheinung, weil seine Filme keine Erlösungsversprechen religiöser oder politischer Machart kennen, wie sie all die großen Wajdas, Zanussis und Kieslowskis trotz ihrer Unterschiede und jeweiligen Vielschichtigkeiten zwischen oder zuweilen explizit in den Zeilen ihrer Bilder geben. Bei Zulawski gibt es keinen metaphysischen Halt, kein Halten mehr, alles stürzt, alles rennt, alles brennt – rette sich, wer doch nicht kann! Zulawski ist einer der großen Apokalyptiker des Kinos, ein Chronist des zivilisatorischen wie des persönlichen Niedergangs. Erlösung gibt es bei ihm einzig und allein im großen verzweifelten „Trotzdem“ der Liebe. Kaum ein anderer Autorenfilmer der Nachkriegszeit hat sich noch getraut mit solcher Vehemenz und pathosgesättigter Inbrunst der romantischen, der über alles erhabenen heiligen Liebe zu huldigen wie Zulawski. „Deine Haut wird verbrennen“ sagen seine Filme, „Dein Fleisch wird Dir als zähe Masse aus dem Leib tropfen und Dein Blut in den Adern verdampfen. Du wirst qualvoll sterben und die Welt mit Dir, doch Dein Herz wird, bevor auch es den Flammen anheim fällt, zwei oder drei Takte Liebe schlagen. Das ist alles.“ Weiterlesen…
Zu Dominik Grafs 60. Geburtstag (06.09.2012) schenkt das Zeughauskino ihm und allen in Berlin ansässigen oder hierher anreisenden Cinephilen eine Retrospektive. In deren Rahmen fand Samstag (08.09.2012) vor einer Woche die Präsentation eines längst überfälligen Buches über Dominik Grafs meisterhafte Verquickung der Bildsprachen von Film und Fernsehen statt, vieldeutig und nicht ganz unironisch „Im Angesicht des Fernsehens“ betitelt. Vorab war auf Grafs Wunsch hin die grandiose Fahnder-Folge „Nachtwache“ zu sehen, offensichtlich ein für Grafs weiteres Schaffen essentieller Nukleus und zugleich für ihn eine Art heimlicher Durchbruch zu einem neuen Genrekino im Fernsehen, wie es sich in seinem weiterem Oeuvre manifestieren sollte. Ich genoss dieses Meisterwerk zum ersten Mal, während mein neben mir sitzender hochgeschätzter Kollege Thomas Groh es sich allein dieses Jahr schon mehrfach zu Gemüte geführt hatte – für mich nach dieser Sichtung nur zu verständlich!Weiterlesen…
„His life’s final offer, cut-price salvation ain’t at no level. Lead me not into temptation. I, church of truth, sell three steps to heaven, suburban essentials, blemish-twisted patterns. Don’t make me buy your apples of Sodom, those fruits are bitter-strange and rotten.“
Weiße Lilien (2007)
Neustadt, die Stadt der Zukunft, eine grauenerregende Ansammlung von Betonklötzen mit 25 000 wohnlichen Grabkammern, deren Bewohner hier art- und klassengerecht verstaut und verwaltet werden können. Unter ihnen Hannah Schreiber (Brigitte Hobmeier), dieses filigrane rothaarige schüchtern-zaghafte Geschöpf, eine Mimose möchte man zunächst meinen, die sich im Grunde mit ihrem Posten als Telefonistin des Sicherheitsdienstes von Neustadt bescheidet, und wohl weiterhin fortfahren würde, all ihre eventuellen tieferliegenden Sehnsüchte – nach Liebe, Selbstbewusstsein, Transzendenz und Derartigem – in die Lektüre von Romanen und damit ins Fiktionale auszulagern, wäre da nicht ihr grenzpsychopathischer Mann Branco (Xaver Hutter), ebenfalls Angestellter des Sicherheitsdienstes mit Hang zur Gewalt, hartem Sex und ausgeprägtem Bücherhass, dessen Ausbrüche selbst Hannah zum Handeln zwingen. Weiterlesen…
All that Heaven Allows / Was der Himmel erlaubt (Douglas Sirk 1955)
Endlich ein Sirk, der mich richtig begeistern konnte. Bissig, campig und in changierendes Licht getaucht…
Beau Travail / Der Legionär (Claire Denis 1999)
Der sinnlichste Film von Claire Denis. Dennoch ganz und gar abstrakt.
Spetters (Paul Verhoeven 1980)
Nur ein Beispiel für den Geist dieses Films: ein Homophobiker wird von einer Bande Lederschwuler vergewaltigt und findet daraufhin zu sich und seiner Homosexualität. Verhoeven lebe hoch!
Eine Kirche der Angst vor dem Fremden in mir (Christoph Schlingensief / Peter Schönhofer, D 2009, Theateraufzeichnung)
Emotionalstes Bewegtbilderlebnis jemals. Mehr kann ich dazu nicht sagen.
Martha (Rainer Werner Fassbinder 1974)
Fassbinder at his best! Carstensen at her best! (1)
Die bitteren Tränen der Petra von Kant (Rainer Werner Fassbinder, BRD 1972)
Fassbinder at his best! Carstensen at her best! (2)
Otra vuelta de tuerca / The Turn of the Screw (Eloy de la Iglesia, E 1985)
Endlich schwuler Sleaze, juhu! Und dazu noch ein Paket Mystik… Fein, fein, Applaus!
Jigoku no banken: akai megane / The Red Spectacles (Mamoru Oshii, Japan 1987)
Pflicht für alle Fehlgeleiteten, die Inception in irgend einer Weise originell fanden. Oshii hat die ganze Traumverschachtelung schon 1987 draufgehabt, geschickter, witziger, tiefsinniger und schöner, basta!
Der Fluch (Ralf Huettner, BRD 1988, ca. 3.x)
Eigentlich keine Neuentdeckung, aber neben The Reflecting Skin, die zweite Wiederentdeckung eines Films, den ich schon als Kind geliebt habe. Hier habe ich ihn für die deutsche Reihe besprochen.
The Man Who Shot Liberty Valance / Der Mann, der Liberty Valance erschoss (John Ford, USA 1962)
Mit Skepsis angefangen, mit wachsender Begeisterung zu Ende geschaut. Vielleicht sollte ich mich dem Western doch mehr öffnen.
Deadlock (Roland Klick, BRD 1970)
Und der nächste Western, dazu noch ein deutscher. Existenzialistisch, spannend, stellenweise sogar lustig.
Flandres / Flandern (Bruno Dumont, F 2006)
Wer Dumont Nihilismus vorwirft, hat nichts begriffen. Ein Kriegsfilm ohne Schnörkel, ohne Erklärungen, ohne Ideologie, fast ohne Krieg(sszenen). Mit Menschen.
Crimes of Passion (Ken Russell, USA 1984)
Ken Russells sleazigster und fröhlich frei perversester Film mit Anthony Perkins als sexuell verkorkstem Priester. Thumbs up!
Au hasard Balthazar / Zum Beispiel Balthasar (Robert Bresson, Frankreich / Schweden 1966)
Endlich hat es ein Film von Bresson geschafft mich wirklich zu berühren. Vielleicht erschließt sich mir der Rest seines Werkes nach und nach auch noch.
Iwan Grosny I & II / Iwan der Schreckliche I & II (Sergej Eisenstein 1944 & 1945)
Brilliantes Spätwerk Eisensteins, semantisch ambivalenter und filmsprachlich fast noch interessanter als seine Revolutionsfilme.
Trouble Every Day (Claire Denis 2001)
Vincent Gallo und Beatrice Dalle als getriebene Tiere in einer kalten, glatten, fremden Welt. Wunderschön und erhaben. Nichts weniger.
Marquis (Henri Xhonneux / Roland Topor, F 1989)
Der Marquis de Sade spricht mit seinem Schwanz und defäkiert auf Kruzifixe. Das Ganze als Puppenfilm. Toll!
Gerry (Gus van Sant, USA 2002)
Zwei junge Männer verlaufen sich bei einem Ausflug in die Wüste. Der traurigste und schönste Film seit langem. Für mich auch Gus Van Sants bester bisher.
Waking Life (Richard Linklater, USA 2001)
Der zweite Film in dieser Liste der eine bessere alternative zu Inception darstellt, insofern er von Träumen in Träumen handelt. Außerdem geht es um die Existenz und überhaupt alles und so. Ein GGFÜA oder wie war das? Nur dass der Film gar nicht so „groß“(-spurig) daherkommt. Eigentlich wird hauptsächlich geredet, normalerweise etwas, was ich nicht so sehr bei Filmen mag (Rohmer…), aber hier ist es super!
Obwohl ich darauf vorbeitet war, Schwerverdauliches in mich aufzunehmen, war die Sichtung von ENTER THE VOID in erster Linie eines: unheimlich anstrengend. Das ständige Geflirre und Geblinke in allen Farben und Nichtfarben und vor allem am Anfang die torkelnde Handkamera, später dann die dauernd über dem Geschehen kreisenden und in diesen oder jenen Hundenapf eintauchenden Kranfahrten verursachten mir geradezu physischen Schwindel und sogar leichte Übelkeit, so dass ich während der immerhin 162 Minuten mehrmals die Augen schließen und langsam bis 10 zählen musste, um den Film überhaupt weitersehen zu können, ohne meinen Mageninhalt über der zum Glück leeren Sitzreihe vor mir zu vergießen. Doch manche Filme dürfen eben anstrengend sein, für das große Kino nimmt eine echter Cineast jederzeit auch körperliches Unwohlsein in Kauf, Kunst ist in dieser Hinsicht wie Liebe: sie darf auch mal weh tun.
Ob Gaspar Noés dritter Langspielfilm, jedoch Kunst genug ist, um das visuell erzeugte Schleudertrauma zu rechtfertigen, muss sich jeder selbst beantworten – ich zumindest kann auch nachdem ich einmal drüber geschlafen habe, zu keiner abschließenden Bewertung kommen. Aber gerade das ist wohl symptomatisch für diesen Film, wie überhaupt für Noés Kino und macht es trotz aller zwiespältigen Gefühle, die es bei mir weckt, letztlich doch zu einem Faszinosum. Ich gebe es hiermit unumwunden zu: irgendwo tief in mir hegte ich ja die Hoffnung, ENTER THE VOID könnte Noés erstes richtiges Meisterwerk sein, schon die lange Schaffenspause – zwischen IRRÈVERSIBLE (2002) und ENTER THE VOID liegen 7 Jahre, in denen Noé nur zwei Kurzfilme gedreht hat – aber durchaus auch die Presse und der Trailer ließen mich insgeheim auf wahrhaft Großes hoffen.
Tatsächlich gehört die Grundidee des Films, die dem Regisseur angeblich schon vor Jahren beim Anschauen des berühmten First-Person-Perspective-Noir LADY IN THE LAKE (1947) unter Einfluss von Psychedelika gekommen ist, zu den interessantesten und originellsten seit langem: konsequent zeigt uns der Film die Welt aus der Innenperspektive eines jungen Eurpäers namens Oscar, der mit seiner Schwester Linda in Tokyo lebt, jedoch – Achtung Spoiler! – nach den ersten 20 Minuten des Films erschossen wird, nur um dann als körperlose Seele abwechselnd durch wabernde Lichtmassen zu reisen, durchs nächtliche Tokyo zu flirren und aus der Vogelperspektive die Schicksale seiner Schwester, sowie seiner früheren Freunde und Feinde zu beobachten, unterbrochen von assoziativ montierten Erinnerungsflashbacks, welche dem Zuschauer praktischerweise gleich die Lebensgeschichte der beiden Geschwister nachliefern, die sich nach dem Verlust ihrer Eltern in einem tragischen Unfall, herzzerreißenderweise geschworen haben, immer bei einander zu bleiben, selbst nach dem Tod.
Als kulturell-mystischen Hintergrund für Noés hochambitionierten Versuch, das Sterben und die Reise durchs Jenseits als „ultimativen Trip“ (Zitat aus dem Film) zu inszenieren hat dieser sich offensichtlich das mehrfach im Film vorkommende Tibetische Totenbuch ausgewählt, das schon in den 60ern von begeisterten LSD-Konsumenten und Freizeitpropheten wie John Lennon und Timothy Leary zu dem Kultbuch aller Bewusstseinserweiterungsjünger erhoben wurde. Die psychedelische Prämisse des Films gab Noés CGI-Team immerhin den Anlass, einige der sicherlich schönsten Bildschirmschoner aller Zeiten zu kreieren. So kann man sich denn ganz legal und ohne Drogen im Kinosessel dem reizvollen Licht- und Farbenrausch ergeben, für den das neonblinkende nächtliche Tokyo die schmucke Kulisse abgibt.
Natürlich bemüht sich der Film nebenbei auch um emotionale Tiefe, doch wie bei Noé üblich versucht er diese vor allem dadurch herzustellen, dass er alles so schockierend und drastisch wie nur möglich inszeniert. Daher dürfen wir sozusagen hautnah an Oscars inzestuösen Phantasien teilhaben, gleich mehrmals den traumatisierenden Unfall der Eltern rekapitulieren, in einen abgetriebenen Fötus eintauchen und einem Geschlechtsverkehr zur Abwechslung mal aus der Perspektive der Vagina beiwohnen. Noé wirkt dadurch leider ein bißchen, wie ein leicht überspanntes Hundeherrchen, das sein Haustier, den Zuschauer, ununterbrochen mit der Schnauze in die Scheiße drückt, um ihm mal zu zeigen, wie krass und vor allem wie mies die Welt doch eigentlich ist. „Le temps detruit tous“ – „Die Zeit zerstört alles“ wurde schon in IRRÈVERSIBLE immer mal wieder zwischendurch eingeblendet, offensichtlich Noés tiefsinnige Lebensweisheit, die er auch in ENTER THE VOID mit wiedermal durchaus virtuoser Handhabung der Kamera und betont unkonventionellen Erzählweisen in Szene setzt.
Nur wird dieser Grundpessimismus hier eben ins Buddhistische gewendet. In einem Interview erklärt Gaspar Noé allerdings, dass er die Beschreibungen der Seelenreise im Jenseits aus dem Tibetischen Totenbuch nur im Sinne eines reizvollen Gedankenspiels adaptiert hat, selbst aber keine Bohne daran glaubt. Das ist dann irgendwie doch etwas beruhigend, zumal der Film manchmal hart an der Grenze zum New-Age-Trash vorbeischrammt, und vor allem gegen Ende stellenweise ins unfreiwillig Komische abdriftet, etwa wenn in einer schwebenden Kamerafahrt durch ein Bordell die Genitalien der auf mannigfache Weise Kopulierenden eine Art leuchtenden Nebel zu verstömen scheinen. Allerdings stellt sich damit auch die Frage wie ernst man den Film überhaupt nehmen kann. Vielleicht sollte man an ENTER THE VOID aber gar nicht den Anspruch stellen, tiefgründige philosophische Reflexionen über den Tod in Gang zu setzen, sondern ihn einfach von vornherein als schicken Transgressionreigen im Neongewand rezipieren, als agnostische Spititualität, dargereicht in zeitgerechter Form von Leuchtreklame. ENTER THE VOID wäre somit als Manifestation eines neuen, zugleich ins digitale wie ins post-religiöse Zeitalter eingetretenen Cinéma du Look zu betrachten. Möglicherweise ist dies sogar die adäquaste Art die religiösen Bedürfnisse unserer Generation darzustellen: es geht hier nämlich längst nicht mehr um die Hoffnung auf ein Leben nach dem Tod, sondern wenn überhaupt um die Hoffnung darauf, dass dieses, falls es denn tatsächlich eines gibt, möglichst stilvoll aussieht und interessante Features wie Umherfliegen und In-Menschen-Eintauchen bietet.
Enter the Void – F/BRD/I 2009 – 162 Minuten – Regie: Gaspar Noé – Buch: Lucile Hadzihalilovic, Gaspar Noé – Produktion: Pierre Buffin, Olivier Delbosc, Vincent Maravl, Marc Missonier, Gaspar Noé – Kamera: Benoît Debie – Schnitt: Marc Boucrot, Gaspar Noé – Musik: Thomas Bangalter – Darsteller: Nathaniel Brown, Paz de la Huerta, Cyril Roy, Olly Alexander, Masato Tanno u.a.
Zu bedrohlichen Klängen erscheinen erste Credits wie weiße Gespenster im Schwarz des Bildes, dann mit einem tiefen Dröhnen und in zerfranstem Blutrot der Titel, während eine ängstliche Kinderstimme ein Gedicht ins Dunkel flüstert, rätselhafte Worte, eine düstere Prophezeiung: „…das Eis wird auferstehen, eh sich die Stunde schließt…“ Jetzt ein Bild: Ein Fernseher zeigt einen alten Schwarz-Weißhorrorfilm: ein Irrer liegt auf einem Bett und schreit. Gebannt sitzt eine Gruppe Kinder auf einem Sofa davor, genießt den wohligen Schauer des Grusels… die Ungewissheit… die Möglichkeit, dass es so etwas vielleicht doch gibt… so etwas wovon die Erwachsenen behaupten, das gebe es gar nicht…
Huettners Film taucht völlig ein in jene Welt der kindlichen Phantasie, die den Erwachsenen, den ihrer Phantasie Entwachsenen, verschlossen bleibt, aber es geht hier nicht allein um die Phantasie, es geht um die Welt kindlichen Erlebens überhaupt, eines mystischen und träumerischen Welterlebens, wie es schon die Romantiker beschwören wollten.
Auf dem Nachhauseweg von dem Fernsehabend: die kleine Melanie fährt mit dem Fahrrad auf einen Schemen im Dunkel zu, eine durchsichtige ätherische Gestalt – und durch sie hindurch! Plötzlich ist da jedoch kein Schemen mehr, sondern eine ältere Frau liegt ganz körperlich vor Melanie unter deren Rad begraben und stammelt verstört: „Wer bist du? Du… bist so… kalt!“. Der Frau steht nun das blanke Entsetzen ins Gesicht geschrieben. „Was ist das für ein Kind?“ schreit sie immer lauter.
Bei einem Ausflug in die Berge mit ihren Eltern scheint der seltsame Vorfall vergessen, doch dann verirren sich diese und Melanie behauptet unvermittelt, sie wisse den Weg. Die ungläubigen Eltern folgen ihr zögerlich, aber Melanie führt sie immer höher, immer weiter Weg vom eigentlichen Ziel, hin zu einer einsam gelegenen Waldkapelle, ein Ort der ihnen seltsam vertraut ist: hier haben sie sich das erste Mal geküsst. Als sie den Weg ins Tal nicht mehr rechtzeitig vor Einbruch der Nacht finden, beschließen sie notgedrungen auf dem Berg in der Nähe eines Gletschers zu nächtigen. Doch: „das Eis wird auferstehen, eh sich die Stunde schließt…“
Momente eines ganz real-vertrauten Familienalltags gehen in diesem Film sukzessive über in eine mystische Welt der Zeichen und Wunder, der uralten Prophezeiungen und der gemurmelten Flüche. Bezeichnend ist eine Szene, in der Melanie auf eigene Faust wieder mit dem Zug in die Berge gefahren ist und sich in einer Höhle hinter der Kapelle versteckt. Ihr Vater ist ihr nachgereist und will sie nun zurückholen, doch vergeblich streckt er ihr die Hand entgegen, er ist zu groß um durch die Lücke in der Wand zu steigen. Als er sich klein machen will um sich durch eine Lücke im Gebälk zu zwängen, droht der Übergang zwischen Sakralbau und sakraler Natur einzustürzen. Er ist eben zu groß, zu vernünftig zu entzaubert um einen Zugang zur Welt des Geheimnisses zu finden, um die Welt noch zu verstehen, um zu erkennen, dass eben doch „Märchen und Geschichten, die wahren Weltgeschichten“ sind, wie Novalis einst geschrieben hatte. In bester Tradition der schwarzen Romantik ereilt denn letztlich auch diese erwachsenen Menschen der Vernunft der Fluch des Irrationalen und der Film endet schaurigschön in einer Katastrophe, angekündigt durch das unheilverkündende Schmelzen einer Silberglocke in einem verstaubten Archiv…
Der Fluch – BRD 1988 – 92 Minuten – Regie: Ralf Huettner – Drehbuch: Andy T. Hoetzel, Ralf Huettner – Produktion: Joachim Müller – Kamera: Diethard Prengel – Musik: Andreas Köbner – Darsteller: Dominic Raacke, Barbara May, Romina Nowack, Ortrud Beginnen, Gerd Lohmeyer, Barbara Valentin.