Mit Cage auf der Couch

Nervös stehe ich am Eingang zum Kino, in dem ich gleich den neuen Nicolas Cage Film „The Unbearable Weight of Massive Talent“ (2022) in einer Pressevorführung sehen werde, zwei Monate vor Erscheinungstermin. Mit Presse habe ich so gar nichts zu tun und muss etwas in mich rein schmunzeln. Niemand von den Personen hier kann auch nur annähernd erahnen, wie aufgeregt ich bin, Cage wieder auf der großen Leinwand zu sehen. Während ich in der üblichen Corona-Schlange stehe, lasse ich Revue passieren, wie ich hierhergekommen bin.

Es ist März 2020. Seit wenigen Monaten nehme ich Antidepressiva, zum ersten Mal in meinem Leben. All meine Sorgen und Ängste wurden unerträglich. Ich habe gemerkt, die fünf Jahre Therapie werden meinen Kopf nicht mehr so hinbiegen, wie ich ihn mir wünsche. Also wieso nicht einfach mal Tabletten versuchen? Ich fühle mich damit richtig gut. So gut wie schon sehr lange nicht mehr. Doch meine Ängste werden ständig wachgerüttelt. Das Virus nähert sich dem Alltag. Ich muss die Angst immer öfter runterschlucken und merke zunehmend, wie ich mich erneut durch jeden Tag kämpfen muss. Total frustriert wache ich jeden Morgen auf und zwinge mich auf die Arbeit zu gehen, um Tätigkeiten auszuüben, die für mich nun völlig sinnlos erscheinen, während die Welt, wie ich sie kenne, zusammenfällt. Weiterlesen…

Pandemisches Flackern – The Inferno Index (2021)

Anscheinend das, was einem blüht, stolpert man berauscht vom Gesehenen aus dem Kino heraus. Exakt so jedenfalls beginnt diese Abwärtsreise durch spätnachts zusammenimaginierte Zelluloidvisionen, mit dem Düsseldorfer Savoy Theater als realem, rückverfolgbarem, nicht verfremdetem Bezugsort. Eher die Ausnahme in den kraft Ungewissheit erdrückenden Betonlandschaften, welche Cosmotropia de Xams Werk mehrheitlich beheimaten und auch hier ein zunehmendes mentales Abdriften markieren. Versunkene Industriebrückenpoesie wie unmittelbar aus Jean Rollins „La Nuit des Traquées“ (1980) entflohen begrenzt eine nächtliche Verfolgungsjagd minus das Tempo, welches der zweite Wortteil impliziert. Nur wer oder was schleicht hier überhaupt hinter wem her? Eine Unbekannte stellt einer Unbekannten nach – was suchen die Menschen ineinander, schwarzmagisch aufgeladenen Überschreitungen des persönlichen Raumes, davon erzählen viele Filme des iPhone-Poeten. Weiterlesen…

Alles fluid – Liebesdings (2022)

So leere Augen, und alles reflektiert an ihnen vorbei. Zweifach – einmal auf den getönten Scheiben des Luxuswagens, dann auf der Sonnenbrille. Die Ikonographie von Anika Deckers nunmehr dritter eigener Regiearbeit nach einer Karriere als einsame Spitzenautorin der deutschen Filmkomödie ist schnell aufgebaut und bedarf keiner der schlagfertigen Worte, für die sie über Nacht berühmt wurde. Elyas M’Barek ist nicht Elyas M’Barek und doch der größte Star des deutschen Kinos. Marvin Bosch heißt er hier und stiert, nimmt man ihm die Gläser einmal ab, trüb vor sich her. Vom Tropenflair aus „Türkisch für Anfänger“, dem Kinodurchbruch des einen, ist im Leben des anderen nur mehr ein fades Abziehbildchen im Toilettenwagen geblieben. Zu groß, zu hübsch zum Aufgeben, zu desplatziert zum Losziehen. Diese durchsichtige Intertextualität – man merkt es schon, so geht „8½“ auf Neudeutsch und im Jahre 15 nach Schweiger. Weiterlesen…

100 deutsche Lieblingsfilme #78: Schatten (2019)

Alpha und Omega – ein junger Mann bezieht seine neue Wohnung, ein junger Mann verliert sich in einem metaphorischen Trümmerfeld, einer Seelenlandschaft als Miniaturindustriestadt aus Kartons und Zerfall. Was liegt dazwischen? Ein Schatten, als Raute ruht er knapp über der Fußleiste. Welchen Riegel man ihm vorschiebt, welche Lichtbrechung man anstrebt, er mag nicht weichen. Ist er seelisch, ist er systemisch? Beides scheint plausibel. Denn Joel Oliveiras Debütfilm „Schatten“ erzählt nahezu ausschließlich in Architektur von den Menschen. Weiterlesen…