STB Robert 2023 I
„[…] if magic is defined as the employment of ineffective techniques to allay anxiety when effective ones are not available, then we must recognize that no society will ever be free from it.“ (Religion & the Decline of Magic)
Wertung: Ich kann nichts mit Zahlen zur Bewertung anfangen. Deshalb gibt es hier ein prosaisches System. Eine Skala ist mit der Qual verbunden, Filme in eine lineare Ordnung zu quetschen. Deshalb hat die Wertung zumindest eine Y-Struktur für freieres Atmen. Die Einstufungen radioaktiv und verstrahlt reflektieren, dass ein Film in seiner eigenwilligen Qualität es einem nicht einfach macht, ihn einfach zu genießen. Wertungen in Klammern verweisen auf das ein oder andere Nickerchen beim Schauen.
Legende: Ist im Grunde selbsterklärend. Wenn hinter der eckigen Klammer eine Zahl steht, dann gibt sie die Anzahl der Sichtungen wieder. Je höher die Zahl, desto mehr ist sie geschätzt. Da ich mit Fernsehen und Kino aufgewachsen bin, wo nur gekennzeichnet wurde, wenn ein Film nicht in deutscher Sprache lief, tue ich das schändlicherweise auch. (OmU=Originalfassung mit Untertiteln, OmeU=Originalfassung mit englischen Untertiteln, OF=Originalfassung, EF= englischsynchronisierte Fassung, OZmeU=Originalzwischentitel mit englischen Untertitel) Hinzu kommen die Zeichen ł, wenn der Film gekürzt war, und ≠, wenn ich mitbekommen haben sollte, dass das Format nicht hinhaute. Ein kleines K hinter einem Titel bezeichnet einen Kurzfilm (bis 20 Minuten), während ein kleines M einen mittellangen Film (21 bis 60 Minuten) kennzeichnet.
Vorangegangene Sehtagebücher:
2012/II | 2013/I | 2013/II | 2014/I | 2014/II | 2015/I | 2015/II | 2016/I | 2016/II | 2017/I | 2017/II | 2018/I | 2018/II | 2019/I | 2019/II | 2020/I | 2020/II | 2021/I | 2021/II | 2022/I | 2022/II
Mai
Donnerstag 25.05.
verstrahlt +
Was war ich sehend? Ein Chorus-Line-Drama, das optisch zwischen Kreativität, Unbeholfenheit und Störrigkeit Platz nimmt und in einer völlig deliranten Tanzaufführung endet? Einen Musikfilm, der zwischen brünstigem, krudem Hi-Octan-Powerpoprock und die Handlung kommentierendem Selbstgefälligkeitsgesäusel alterniert? (So viel Frank Stallone!!!) Einen Liebesfilm, der das Konzept Liebesfilm trollt und nicht von ramontischen Gefühlen erzählt, sondern von erotischen Antriebsstoffen wie Verachtung, Egomanie, Übergriffigkeit und Rivalität? Das Charakterdrama eines Egomanen, der trotz, dass ihm alle sagen, dass er sich ändern muss – nicht nur im Film selbst, sondern auch außerhalb: die volle Laufzeit habe ich ihn angefleht, dass er aufhört sich so strunzdoof und aufdringlich zu benehmen, wie er es tut, dass er aufhört, so blind und taub für Grenzen und zwischenmenschliche Konventionen zu sein –, und der mit einem gloriosen Catwalk als Happy End beglückt wird, weil er auch als Arschloch alles bekommen kann, weil er sich reinhängt und besser als die anderen ist, weil er die Reaganomics nicht verstanden hat, sondern sie einfach lebt. Den Film, der uns John Travolta in seiner völligen Schließmuskeligkeit präsentiert? Den Film, mit einem der mondänsten Regisseurcameos, der Gehirne in die Knie zwingt? Wohl all das, vll. noch mehr. Ich bin ratlos.
Mittwoch 24.05.
fantastisch –
Der Versuch einer Einordnung:
Im Jahr 1975 schneiden die Produzenten Rollins mutmaßlichem Opus magnum LÈVRES DE SANG zum Hardcoreporno SUCK ME VAMPIRE um, während sich niemand für seinen eigenen Versuch ambitionierter Hardcorepornografie (PHANTASMES) interessiert. Der logische Endpunkt seiner Vampirfilme und die große Desillusion fallen damit zusammen. Drei Jahre macht er Pause und verdingt sich an Auftragsarbeiten. Darauf folgt eine Phase der Zombie-Filme, der Dystopien, knallharter Realitäten und Filme von Verlust und Wahn. Sichtlich sind die Filme weiterhin seine Werke, sie unterscheiden sich aber grundsätzlich von den Filmen vor dem Hiatus. Ende der Achtziger dringen Vampire, Parallelwelten und romantisch-hoffnungsvolle Phantastik wieder ins Zentrum der Filme. Erst tauchen die Marker alter Werke wieder auf und irgendwann wirkt es, als wolle er wieder Filme wie vor 1975 drehen. Rollins Werk wäre dementsprechend so zu unterteilen:
1. der Vampirzyklus (1968-1975): seine naive Phase, in der seine Filme auf gewisse Weise präpubertäre Träume darstellen, die vom Aufbruch in einen Lusthaushalt künden, der mit sich im Reinen ist.
2. das böse Erwachen (1978-1985): eine Phase desillusionierter Filme, die vom Schmerz der Vertreibung aus dem Paradies angetrieben werden und in denen Sex nicht nur unverstandener Abgrund ist.
3. Neovampirismus (1989-2009): die filmischen Versuche, das Paradies wieder aufleben zu lassen.
Sehr gespannt bin ich auf die neue Doku ORCHESTRATOR OF STORMS: THE FANTASTIQUE WORLD OF JEAN ROLLIN und was ich danach sagen würde. Nach meiner sicherlich naiven Einteilung hier findet sich FASCINATION am Anfang der zweiten Phase. Erzählt wird von reichen Damen, die gegen ihre Anämie Blut trinken und dadurch eine Art von Vampirpsychose entwickelt haben. Die wahren Vampire bleiben verschwunden, es nur der Wahn, einer sein zu wollen, ist zugegen. Damit einher geht eine Liebesgeschichte voller Verachtung und Verrat, die auf einen herben Endpunkt zusteuert.
Der Handlungsort, eine Villa des Fin de Siècle, die von einem Wassergraben umgeben ist, sieht immer wieder nach einer von Rollins Parallelwelten aus, aber die Handlungen der Menschen, ihr Hohn, ihre Missgunst, ihre Gewalt holen sie beständig in eine kalte Materialität zurück. Sprich: Optisch wirkt FASCINATION sehr oft wie ein (Alp-)Traum – sehr schön der Schnitt vom verträumten Tanz auf einer kleinen Steinbrücke zu einer gutbürgerlichen Frau in der typischen Kleidung des Wechsels von 19. zum 20. Jahrhundert, die verloren im Blut eines Schlachthauses steht –, aber diesem Entrückten steht eine erzählerische Sachlichkeit und ein dramaturgischer Hang entgegen, der auf den Boden der Realität zurückholt. Das kokett Spielerische führt ins grimmige Drama.
Durch diesen inneren Widerstreit ist FASCINATION einer der schönsten Filme Rollins, aber auch einer seiner traurigsten.
Dienstag 23.05.
gut –
Der Agententhriller, in dem ein CIA-Agent (Christopher Mitchum) in eine lateinamerikanische Republik reist, um den dortigen Drogenhandel zu zerstören, solange er die USA als Ziel einschließt, ist schön anzusehen, aber ziemlich attraktionslos und schlapp. Bis irgendwann doch einmal Action Einzug hält wird vor allem über imperiale Politik, Verschwörungen und Verschwörungstheorien geplaudert. Bzw. geht es vor allem darum, dass Mitchum drei Frauen auf jeweils andere Weise zähmt – die Tochter des Drogenbarons (Cristina Higueras) unterwirft er mit Liebe, eine andere CIA-Angentin (Brigitte Lahaie) mit seiner Aufrichtigkeit, eine aufstrebende Drogenbaronin (Alicia Moro) mit Gewalt. Am besten ist DARK MISSION aber, wenn Franco im 80er Thrillereinmaleins durchkommt und beispielsweise mit kleinen, repetitiven Kamerabewegungen die Unterhaltung zwischen einem korrupten Vater und seiner naiven Tochter unmerklich zur psychotronischen Erfahrung macht.
Montag 22.05.
fantastisch –
George Simmons (Adam Sandler), die Hauptfigur in diesem Film über komische Leute, also Stand-Up-Comedeans, und komische Leute, also solche, die zwischenmenschlich alle ihre sehr eigenen Probleme haben, die kaum lebensfähig scheinen und die sich gegenseitig als Krücken benutzen, bekommt zu fortgeschrittener Laufzeit ein Familienvideo vorgespielt. Dabei sehen wir wahrscheinlich einen tatsächlichen Schulauftritt, bei dem Apatows Tochter Maude MEMORY aus CATS schmettert. Und während alle gerührt sind, beömmelt sich George Simmons. Und da ich selbst Vater bin, der sich kaum zusammenreißen kann, alle Welt mit Bildern und Videos seiner Tochter vollzuschütten, kann ich es nur zu gut verstehen, dass Judd Apatow die soziopathischen Züge einer Figur uns so zeigt, indem sie seine Tochter nicht wertschätzt.
Ansonsten hat mich FUNNY PEOPLE, eine Komödie, in dem Humor benutzt wird, um andere und sich selbst zu verletzten, ein Drama, über die Sackgassen des Lebens und der eigenen Identität, in dem jeder zu gleichen Teilen Arschloch und Sympath ist, an Funkadelics/Eddie Hazels Meisterwerk MAGGOT BRAIN erinnert. Ein zehnminütiges Gitarrensolo, vor dem der Legende nach George Clinton zu Hazel sagte, dass er spielen solle, als habe er gerade erfahren, dass seine Mutter gestorben sei, und nach fünf Minuten sagte Clinton, dass er nun spielen solle, als habe er erfahren, dass die Mutter doch noch lebe. Nicht nur strukturell funktioniert FUNNY PEOPLE auf die gleiche Weise – nur dass hier Horror in der Wunscherfüllung lauert –, sondern auch weil er geradezu einlullend dahinfließt und doch voll schneidendem Schmerz ist.
ok –
Am Ende hätte dann der Blick in das naheliegendste Beweismaterial, ein Tagebuch, gereicht, um den Fall zu lösen. Die Schnitzeljagd durch Renaissance-Kirchen und -Kunst wird damit entwertet. Sie wird zur Karotte des Bösewichts, mit der er Robert Langdon (Tom Hanks) herumscheuchte und von sich ablenkte … weil es eben mehr Spaß macht, sich in einer schönen Verschwörungstheorie zu verrennen, als sich einfach eine Ansammlung von Fakten anzugucken. Und sicherlich ist diese Propaganda für Fakten mit Blick auf die Realität schon vertretbar, aber in diesem routiniert abgedrehten, hässlichen Film, der mir nichts gibt außer Renaissance-Gehuber, finde ich es persönlich beleidigend.
nichtssagend
Wenn der junge David Spade lächelt – immer ein wenig vorsichtig, als erwarte er noch den Haken –, dann wirkt er wie der sympathischste, netteste kleine Mann der Welt. Auch die Perücke und die Kotletten, die ihn entstellen sollen, ändern nichts daran. Dass JOE DIRT nun aber darauf aus ist, ihn zu verspotten und seine Liebenswertigkeit erst unter einer White Trash-Oberfläche finden möchte, funktioniert diese Ansammlung von biographischen Miniaturen mit selten zündenden Witzen nicht.
nichtssagend
Maria Becker wieder wunderbar als Mensch gewordene Verwitterung, ansonsten geht es abermals um geschändete Engel, Theater als Therapiesitzung, durch Drogen aufgelöste Persönlichkeiten und die Macht des Patriarchats.
ok
Reinecker befindet sich mal wieder im Delirium. Die Flucht eines Drogendealers (Pierre Sanoussi-Bliss) aus den reineckerschen Barwelten und vor der Polizei endet in einer ödipal-unaufgelösten Vater-Sohn-Beziehung, in der sich der Sohn (Ulrich Matthes) ständig besäuft, um vor den Ansprüchen seines Vaters zu fliehen, während dieser ganz Buchhalter und fast Roboter ist, dessen moralische Skrupel bei roten Zahlen aufhören. Und der öde Krimi und das süffige erwachsene-Menschen-die-noch Kinder-sind-und-sich-nach-Zuneigung-sehnen-Drama mit ihrer Platzierung in steife TWIN-PEAKS-Parallelwelten sind sichtlich nur Vorlauf dafür, dass ein Vater seinen moralischen Bankrott erklärt und sich Sohnemann freuen darf, doch etwas zu taugen. Eine mäßige Pointe und ein viel zu langer Weg dorthin durch die Grenzgebiete einer weichen, sich auflösenden Realität.
Freitag 19.05.
radioaktiv
Nachdem ich hier behauptet habe, dass in den persönlichen Rollin-Filmen – also den Filmen abseits seiner Porno- und Erotikauftragsarbeiten – Sex stets ein teuflischer, wie steifer Fremdkörper ist, schaute ich mit LES DÉMONIAQUES als nächstes genau die Tour de Force, die es in Frage stellt und unterstreicht. Durchgehend gibt es heterosexuellen Sex, in sehr unterschiedlichen Ausprägungen. Die Strandräuber, die nachts mit ihren Laternen Schiffe zu nah an die Klippen locken, um sich der Ladung zu bemächtigen, vergewaltigen mehrmals zwei Überlebende (Patricia Hermenier & Lieva Lone) des zuletzt irregeleiteten Schiffs. Diese Vergewaltigten kopulieren wiederum mit einem Fürsten der Finsternis, der – wie so oft bei Rollin – sich als moderate Gestalt herausstellt, während sich Menschen als die viel Grausameren offenbaren. Durch diese Vereinigung übernehmen sie jedenfalls für eine Nacht seine übernatürlichen Fähigkeiten. Und auch die Strandräuber schlafen miteinander und haben dabei keinen brutalen oder zweckbestimmten, sondern lustvollen Zugang zum Ficken. Auch gehen sie die Sache sehr direkt an, im Gegensatz zum ewigen Rücken und Hüften streicheln, was einvernehmlichen Sex in REQUIEM FOR A VAMPIRE ausmachte.
LES DÉMONIAQUES wirkt stilistisch wie ein Stummfilm von ca. 1924, dem 50 Jahre filmische Entwicklung im Grunde nur Farbe, Ton und Explizitheit zugefügt haben. Meist ist er mehr schlecht als recht zusammengestückelt und schafft es nur schwerlich, eine räumliche Integrität zu wahren – siehe der Kampf im brennenden Schiffswrack, wo das lichterloh brennende Schiff und Kämpfe mit ein paar wenigen Flammen im Hintergrund sich abwechseln. Seine Ausstattung ist eher provisorisch – Löcher in der Kleidung sehen nicht aus wie die Spuren von Verschleiß, sondern als ob sie gerade hineingeschnitten wurden. Und doch schafft es Rollin diese scheinbaren Marker des Amateurhaften zu seinem Vorteil zu wenden und eine Atmosphäre des Unwirklichen zu kreieren.
Und der Sex ist in dieser unwirklichen, vergilbten Welt von einer enormen physischen Realität. Er ist unangenehmen und kein bisschen erotisch. Er belegt alles mit einer Aura des Verkommenen, die anders als die Verkommenheit von Raub, Mord und Gelagen ist, die wie aus einer romantischen Abenteuergeschichte stammen. Und gegen diese giftige Lust stellt LES DÉMONIAQUES Absurdität, Religion, Geister, Monster und Naivität entgegen – ein Clown und ein griechisch-orthodoxer Priester-Hippie helfen dem Vampirfürsten, der in einem verlassenen Tempel neben dem Strand lebt und der den beiden Opfern der Strandräuber zu ihrer Rache verhelfen möchte, die sie aber für eine gute Tat opfern.
Dieser Film wundert sich also nicht nur wie ein vorpubertärer Geist über die in ihm aufkeimende Lust, sondern scheint sogar schon in Panik erstarrt. Ganz so wie ich nicht verarbeiten konnte, was in mir geschah, als ich als ca. Zehnjähriger am Wochenende schon um 5 Uhr erwachte, noch eine Stunde bis zum Kinderprogramm überbrücken musste und plötzlich im Fernseher sah, wie ein französischer Adliger in einem Film – es könnte sich um Alain Delon handeln, ich traue mich noch nicht ganz es herauszufinden – eine Frau entkleidet, seinen Körper von hinten gegen sie und ihren Körper wiederum gegen eine herumhängende Schweinehälfte presst. Ihr schon aufgeklärt, aber in dem Moment begegnete ich etwas anderem als den sachlichen Erklärungen im Unterricht.
Donnerstag 18.05.
gut
Sobald Gangubai (Alia Bhatt) zur offiziellen Vertreterin ihres Rotlichtmilieus gewählt wurde und damit ihren letzten zwielichtigen Gegner besiegt, bricht GANGUBAI KATHIAWADI ein und schleppt sich mit einer sauberen wie müden Coda Richtung Ziellinie. Bis dahin wird von ihrer Verschleppung in die Prostitution erzählt und wie sie sich nach Genreregeln selbstermächtigt. Melodramen, Thriller und Horror, optische wie erzählerische Expressivität bestimmen ihre Geschichte bis dahin. Wenn es für sie danach in die Politik geht und dort plötzlich mit Reden Gruppen und einzelne Personen überzeugt werden müssen, es um eine Form von Politik geht, die nicht Teil eines schmutzigen Spiels ist, sondern aufrechtes Arbeiten am Willen des Volkes, dann endet ein zuvor sehr schöner Film im Trauerspiel.
nichtssagend
Postmodernes Zitatekino, in dem John McClane (Kevin James als Paul Blart) bei der Besetzung einer Mall zum knuffigen Underachiever mit seltener Zuckerkrankheit wie Segway-Virtuosen – Kevin James größter und schnell totgerittener Beitrag zum Film – geworden ist und ständig hinfällt.
Mittwoch 17.05.
gut –
Die vorpubertäre Vicky (Sally Dramé) hat Visionen der Vergangenheit und erfährt, dass die Ehe ihrer Eltern nicht zwangsläufig war, sondern dass ihre Tante Julia (Swala Emati) eigentlich die große Liebe ihrer Mutter Joanne (Adèle Exarchopoulos) ist. Und dass ihre Tante sie bei den Stippvisiten in ihre Gegenwart wahrnahm und vor diesem aus dem Nichts auftauchenden Kind Angst bekam. Dass Vicky eine Übersprunghandlung bei Julia auslöst und damit erst den Bruch zwischen den Liebenden verursacht.
Das wird aber nicht als Zeitreiseparadox erzählt, sondern als übernatürlicher Horrorfilm, der zu sehr darüber zu funktionieren versucht, die Auflösung zu verschleppen. Die Atmosphäre leidet dadurch darunter, dass zu oft offensichtlich ist, was wie ein kommender Twist behandelt wird. Vielleicht hätte dieser Teil des Films besser funktioniert, wenn sich auf den Willen Vickys konzentriert worden wäre, die eiskalt dafür sorgt, dass ihre Existenz zustande kommt, und damit auf den Horror eines netten Kindes, dass wie besessen handelt. Womit auch die Angst Julias etwas besser funktionieren würde. Womit der Genrefilm besser wäre.
Als Ansammlung von Markern des Gefühls, anders als die anderen zu sein, und somit als internalisiertes Schulddrama bzw. eher -meditation ist LES CINQ DIABLES aber ganz schön. Denn Vicky wird davon belastet, dass ihre Existenz ihre Mutter von ihrer persönlichen Verwirklichung abhält, während Julia davon belastet ist, dass ihre Liebe Joanne an einem bürgerlichen Leben hindert, dass ihren Vater zufrieden stelle würde. Was Léa Mysius aber eben nicht direkt kommuniziert, sondern über Erfahrungen von Rassismus und – noch besser – über Vickys unmenschlichen Geruchssinn und ihren Hang feuchte, erdige, schimmlige Dinge zu sammeln.
fantastisch +
Synchro-Stahl sagte David L. neben mir gleich zu Beginn. Auch ich musste mich erstmal hereinfinden und konnte kaum glauben, dass ich Hongkong-Filme früher mit diesem farblosen Ersatz für die nölige Lautexpressivität des Kantonesischen problemlos hinnehmbar fand. Aber selbst mit dieser Einschränkung sind die kurzen, unaufhaltsam vergehenden Momente einer sich einschleichenden Liebe wunderbar. Und wieder war ich davon überrascht, wie unorthodox der Film doch ist, den ich mit 18 Jahren zu seiner Kinoveröffentlichung im selben Kino wie nun geschaut und zum zwangsläufigen Ankunft Wong Kar-Wais im Mainstream erklärt hatte.
ok +
Mit dem AUSSERFRIESISCHEN bin ich selbst in meiner Otto-Hochphase nie so ganz warm geworden. Die Witze sind zwar wie so oft durchwachsen, aber die Ausreißer nach oben sind viel seltener und überhaupt stellt sich hier langsam ein, was Otto ab den 1990ern zunehmend schwer erträglich macht: er versucht die Lacher eher mit seinen Ticks und seiner Überdrehtheit zu erzwingen, statt wirklich lustig zu sein. Die Geschichte ist wie so oft ein großes Nichts, was also keinen großen Unterschied zu seinen anderen Filmen darstellt. Die Reise in die USA bringt aber für ihre Gravitationskraft viel zu wenig. Nach ihr stellt sich die Frage, die den Film am ehesten belastet, am deutlichsten: Ist das alles?
Vielleicht ist das Problem aber auch, dass der Film stromlinienförmiger wirkt. Nicht nur ist die Optik gefälliger, die Botschaft gesellschaftlich bedeutender und ein Auftritt von Steffi Graf ist vor allem da, um für die Starpower da zu sein, auch Otto sieht glatt und weich geschminkt aus, als würde er für ein Bild in einer Modezeitschrift hergerichtet. Was heißt: es ist sehr wahrscheinlich, dass ich vor allem mit meinem Bild von Otto zu kämpfen habe, dass hier weniger bedient wird.
Nichtsdestotrotz ist DER AUSSERFRIESISCHE ein entspannter, kruder Film. Und das ist selbstredend nicht wenig, sondern ziemlich schön.
Dienstag 16.05.
fantastisch –
Yakuza ist zu spießig, um sich ganz für die Schatten und gegen das Licht zu entscheiden. Weshalb er am Ende doch in ein dunkles Loch geworfen wird. Mehr dazu bei critic.de.
Montag 15.05.
gut
Ich finde es sehr erfreulich, dass Rollin zur Jahrhundertwende einen Film realisiert bekam, der sogar einen Kinostart erhielt. Gerade da es mir ja immer noch etwas schwerfällt zu glauben, dass er überhaupt Filme mit einem Budget nach den 1980ern drehen konnte. Und es freut mich, dass er sich völlig austoben konnte. Dass er in seiner Pulp-Mystik-Schatzsuche wieder fast alles unterbringen konnte: Vampire in Uhrenkästen; der Strand von Dieppe als Ort einer anderen Dimension, an der sich Potentiale der seelischen Befreiung offenbaren; die gnostische Unsicherheit, welche (übernatürliche) Macht einen gefangenhalten, welche einen retten will; Film als Sammlung kindlicher Angstwesen wie Ogger und Clowns.
Gleichzeitig finde ich etwas schade, dass Rollin – anders noch als zwischen 1978 und 1989 –, dass er nicht mehr versucht etwas Neues zu auszuprobieren und neue Ausdrücke für das Gleiche zu suchen. Dass er sich entweder mit dem hier begnügt oder sich selbst darauf limitiert. Denn LA FIANCÉE DE DRACULA ist schon ein Film voller schöner Einfälle – vor allem die verrückten Nonnen, die sich beim Wahnsinn eines unweltlichen Waisenkindes ansteckten, das sie vor seinem Schicksal in einer dekadenten, von Perversion bestimmten Fin de Siècle-Bibliothek verstecken wollten –, im Großen und Ganzen kennen wir es aber auch besser und entrückter. Das Somnambule seiner Filme scheint hier einem Filmproduktionsschlafwandel gewichen. Wobei das Ergebnis sich auch nur bedingt als seltsames Werk eines alten, verirrten Mannes qualifiziert. Vielmehr steht LA FIANCÉE DE DRACULA mit einem Bein in einer Suche nach einer Quintessenz des Rollinschen und mit dem anderen im pflichtschuldigen Nachklapp aus dem geistigen und emotionalen Ruhestand.
Etwas versöhnlicher lässt sich sagen, dass Jean Rollin eben einen weiteren Jean Rollin-Film machte. Nicht mehr, nicht weniger. Was wiederum heißt, dass hier ein 60-Jähriger – gedreht hatte ihn der 1938 geborene 1999, wegen Nierenproblemen konnte er den Schnitt aber erst 2002 vollenden –, der noch dazu der Vater von zwei Söhnen war, einen Film voll vorpubertärer Sexualität drehte. Wenn wir es so nennen wollen. Es ist für mich einer der faszinierendsten Aspekte seiner Filme. Dass sie von nackten Frauen bevölkert sind, von Brüsten, die aus dem Dekolleté zu fallen drohen, von aufreizender Kunst, von der Ahnung, dass nackte Menschen unerhörtes Miteinander machen können, dass ungeheure Gefühle in einem heterosexuellen Jungen zu wirken beginnen. Dass dies in gewisser Weise aber in einer Kinderzimmerwelt stattfindet, wo es keine Vorstellung davon gibt, was Petting, Penetration oder Orgasmus bedeuten könnte. Der Biss in den Hals ist in diesen Filmen der einzige Ausdruck von Sex … Sex, der den Filmen nicht aufgezwängt scheint. In den zwanzig Filmen, die ich kenne, sind tatsächliche Sexszenen stets etwas brutal Eindringendes, dass keinen Sinn ergibt. (Ich muss doch mal einen seiner vielen Pornos sehen…) Womit Rollins Filme eben filmische, phantastische Welten voll Sex, Lust und bedrängenden Bedürfnissen sind, in denen es aber kein Ventil gibt. Nur die Vereinigung mit anderen Welten und Dimensionen bringt in diesen Befriedigung durch verewigte Lust. Auf ihre sehr eigene Weise haben diese Filme damit etwas Religiöses, das ganz ohne Gott auskommt.
Sonntag 14.05.
großartig
Von den sechs Komödien und Sprichwörter-Filmen hat mir das Drehbuch von DER FREUND MEINER FREUNDIN am wenigsten gegeben. Im Grunde bietet dieses eine nette Liebeskomödie über das Liebestohuwabohu in einer Freundesgruppe – Blanche (Emmanuelle Chaulet) verliebt sich in Fabien (Éric Viellard), den Verlobten ihrer Freundin Léa (Sophie Renoir), die sich wiederum in Alexandre (François-Eric Gendron) verliebt, bei dem Blanche eigentlich zu landen versucht. All das vollzieht sich selbstredend mit den rohmerschen Mitteln von Leuten, die nicht wissen, was sie wollen. Von Leuten, die sich das, was sie wollen, nicht gönnen – wenn sie es denn mal erkannt haben –, die viel reden, wenn der Tag lang ist und mit ihren Ausführungen ihrem Umfeld, dass denkt, dass es ernst gemeint wäre, das Leben zur Hölle machen, wo doch ihre Aussagen meist keinen Rückhalt in ihren Handlungen finden. Also wieder eine leichte Beziehungskomödie, die seine Figuren sichtlich mag, sie aber gleichzeitig auch mit einem Hang zur Gemeinheit vorführt.
Im Gegensatz dazu ist es aber vll. der schönste der sechs Filme. Die Handlungsorte sind zumeist von einer solch spießigen Aufgeräumtheit, dass sich darin ein Ordnungsfetisch manifestiert. Höhepunkt ist eine riesige Uhr, die wiederholt am Ende eines hochsymmetrischen Gebäudekomplexes prangt, der Lebensraum bieten soll, aber nach Mittelstandseinkaufszentrumshölle aussieht. Sie ist zwar immer nur im Hintergrund zu sehen, und doch geht von ihr die niederdrückende Aura von Kontrolle (über Zeit und damit über die Menschen) aus. Als hätte sich unser stadtförmiges Über-Ich als Flavor Flav verkleidet. Gebrochen wird diese Lebensfeindlichkeit, in der die vier Beteiligten – plus eine Psychotante (Anne-Laure Meury, deren Verspieltheit aus DIE FRAU DES FLIEGERS hier in zwischenmenschlichen Sadismus umgeschlagen ist und die abermals das heimliche Highlight des Films ist) – nach Zärtlichkeit suchen, durch allgegenwärtiges Wasser in Pools, Flüssen und Seen und in der Natur, in die sich durchgeschlagen wird, um etwas Nähe zulassen zu können.
Bezeichnend ist dabei, dass die Aneinanderreihung flüchtiger Treffen hier von Montagen begleitet ist, die wirken, als würden wir das Rutschen in die Gefühle sehen, gegen das sich nicht mehr zur Wehr gesetzt werden kann. Oder wenn im Schwimmbad eine Montage unbeteiligte Leute vor Ort zeigt, als könne der Film unsere Protagonisten nicht mehr finden, weil sie im aufblühenden amourösen Miteinander in einer solchen Selbstverständlichkeit aufgegangen sind, dass sie gar nicht mehr in der Masse als verkrampfte Wesen erkennbar sind. Oder der Film lässt ihnen einfach nur mal ihre Ruhe. So oder so, das, was DER FREUND MEINER FREUNDIN erzählt, enttäuscht vll. ein wenig, wie er es aber macht, ist durchaus ziemlich erquicklich.
Sonnabend 13.05.
ok
Dr. Hotter, die mir ihre blu-ray lieh, bedeutet der Film so viel, dass sie für den Datenträger einen Mondpreis bezahlte. Während des gesamten Films hatte ich dadurch latent das Gefühl, den Film nicht so zu würdigen, wie er es verdient. Und doch saß ich gleichzeitig fast zwei Stunden da und kam mir vor, als sehe ich Wong Jings Parodie von ASHES OF TIME, die in seinem Film WHATEVER YOU WANT im Kino läuft. Nur dass die Überspitzung gegen bierernste Nachdenklichkeit ausgetauscht wurde. HERO ist wunderschön und der Kampf auf dem See sagenhaft in Bildkomposition, Schnitt und Ton. Gleichzeitig musste ich aber auch immer wieder über die ernsten Mienen im Wind und/oder in der Zeitlupe lachen … bis die Eintönigkeit an meinen Nerven zu ziehen begann und ich es zunehmend nicht mehr ganz so witzig fand. Mir bleibt nur die Hoffnung, dass wir irgendwann mal mehr zueinander finden … und ich ihn vll. auch einmal schauen kann, ohne zwischendrin eingeschlafen zu sein.
Freitag 12.05.
gut +
Die Geschichte eines semibekannten abstrakten Skulpteurs (Dustin Hoffman) und vor allem seiner Kinder (Adam Sandler, Ben Stiller, Elizabeth Marvel), die mit ihm ins Reine kommen und ihn nicht einfach nur hassen wollen. Und Baumbach macht daraus einen Film zwischen Woody Allen und abstrakter dramaturgischer Skulptur, der seine kathartischen Momente vor die Wand fährt oder verrätselt, … weil wohl das Leben eben nicht immer die großen kathartischen Momente bereithält … und einen Film, der davon lebt, dass es Spaß macht, Zeit mit emotional verkrüppelten Figuren zu verbringen. Einen Film, der sensationelle Einzelmomente besitzt, und der doch ein wenig nervt, weil er mit den grundsätzlich viel spannenderen Frauenfiguren nichts anzufangen weiß.
Donnerstag 11.05.
großartig –
THAT’S MY BOY zieht sich. Nicht nur weil die Geschichte für fast zwei Stunden zu dünn ist, sondern auch weil die Gags mal mehr, mal weniger funktionieren. Weil nichts an diesem Film ausgereift ist. Und damit ist er das perfekte Vehikel für einen Mann (Adam Sandler als Donnie Burger), der nie erwachsen werden konnte, aber eben auch für einen dermaßen erwachsenen Mann (Andy Samberg als Donnies Sohn Han Solo), dass er schon Neurotiker ist und nun sein inneres Kind wiederfinden muss. THAT’S MY BOY ist folglich derbe, geschmacklos und alles andere als wohltemperiert, worin sich die Vor- und Nachteile der Lebensentwürfe der Beteiligten untrennbar nebeneinander wiederfinden, ohne dass es in einer widerspruchlosen Einfachheit endet. Und mein liebster Running Gag war, dass Donnie noch aus allen Stellen seiner Kleidung eine Bierflasche zaubert … als wäre sein Alkoholismus eine Zaubershow.
Mittwoch 10.05.
großartig –
Der Godard-Essay-Film im Werk Rollins, in dem er aus den Themen und Motiven seiner vorherigen Filme eine assoziative Jump-Cut-Geschichtsversatzstück-Sammlung bastelt. Mehr noch ist es aber auch ein sehr schöner Film über die prä-giulianischen Straßenzüge eines sommerlichen New Yorks.
Dienstag 09.05.
großartig
Jeder Mensch will gleichzeitig teilnehmen und in Ruhe gelassen sein. Und da das eigentlich nicht möglich ist, beides, ist man ständig in einem Konflikt. (Thomas Bernhard)
Im Grunde alternieren zwei Arten von Szenen miteinander. Entweder befindet sich Delphine (Marie Rivière) in Gesellschaft, was für sie jedes Mal so viel Stress bedeutet, dass sie flieht und/oder weint. Oder sie ist allein in den Bergen oder am Meer und sieht umgehend vereinsamt aus. Rohmer nervt mit dem höchst anstrengenden Charakter seiner Hauptfigur, die Urlaub machen möchte, aber sich immer wieder umentscheidet. Mit Dialogszenen, die wiederholt in anstrengende Verhöre kippen. Und doch ist DAS GRÜNE LEUCHTEN keine Verunglimpfung, sondern die Eskalation des oben genannten bernhardschen Zitats, die anschaulich die Beklemmung vermittelt, wie es ist, sich immer und überall als Fremdkörper zu fühlen … und dabei doch die Hoffnung nicht aufzugeben, irgendwann eins mit sich und seiner Umwelt sein zu können. Ein wenig wenigstens. … und es handelt sich sichtlich um den Film, an den sich Petzold bei ROTER HIMMEL anlehnt.
Montag 08.05.
großartig –
Das Rohr neigt zu biegen!
Das Ohr zeigt nach Süden!
Ein Tor reicht zum Siegen!
Der Chor schreit im Liegen!
Die Moorleichen fliegen!
Die glorreichen Sieben!
*****
Ottos zweiter Film war noch deutlich mehr bemüht als später DER LIEBESFILM. Aber: Mir ist jetzt erst wirklich bewusstgeworden, dass Otto in all seinen Filmen einen Obdachlosen spielt oder jemanden, dem die Wohnungslosigkeit mehr oder weniger bevorsteht. In meiner frühen Jugend, als ich seine Filme hoch und runter schaute, habe ich das zwar wahrge-nommen, aber nicht mit einer gesellschaftlichen oder moralischen Konno-tation. Es war schlicht so, ohne dass es bedenklich gewesen wäre. Was ich toll finde. Dass es einem als Kind egal ist, dass jemand ein Loser ist und dass es mal solche Helden gab.
Sonntag 07.05.
fantastisch
Die Utopie: eine Einstellung in der die erwachsenen Männer, die Väter des Films, bedröppelt und verängstigt in der Bildeinstellung vor eine Wand drapiert werden. Es ist ein Moment exquisiter Trunst, in der sich die Erkenntnis des Protagonisten darstellt, dass Väter mit ihren verstörenden, sexuellen Exerzitien hinter verschlossenem Vorhang nicht potent, sondern verbohrte arme Würstchen sind, die Frauen nicht erkennen lassen wollen, dass diese ganz normal sind und ihnen stattdessen eine Welt voller absurder Masken und Wissenschaft vorspielen. Ein Meisterwerk des surrealen Films, in dem sich der Trünstler exqisite, der Rollin ab diesem Film sein wird, mit der Laufzeit langsam herausschält. Heißt: Ein bunter, expressiver Film vergilbt während seiner Laufzeit vor unseren Augen.
großartig –
Rocker, Faschisten und die Männer, die ihre Gefährlichkeit aufgeben, nur um von ihrer Freundin verlassen zu werden–die Adrenalinrockoper. Mehr dazu bei critic.de.
Sonnabend 06.05.
gut
Ein knuffiges Propagandavehikel gegen Fleischkonsum, das uns redende Tiere näherbringt und damit aus Menschen Wölfe macht, die die Helden des Films zum Verzehr töten. Und mit welcher arglosen Unschuldsmine dies gemacht wird, ist schlicht beeindruckend … und eben knuffig.
nichtssagend
Es ist bezeichnend, dass der Punkt auf den die vier Filme hinarbeiten, ein Ausbruch unversöhnlichen Wahnsinns hätte sein können oder irgendwas Anderes, bei dem die Paranoia mit Krakenarmen um sich schlägt oder halt völlig in sich zusammenbricht. Bzw. wird genau ein solcher Punkt erreicht, an dem sich all dies realisiert – Donald Sutherlands Lachen ist wirklich mega unangenehm und das einfältige, supersimple Happy End, das alle unangenehmen Gefühl zu befrieden versucht und uns erklärt, dass gerade eben nichts Wahnsinniges geschah, dieses Happy End schreit förmlich danach, dass wir den Aufstieg eines durchtriebenen Strippenziehers erlebten, vor dessen Triumph Katniss (Jennifer Lawrence) und der Film BRAZIL-artig die Augen verschließen – nur liegt dann ein viel zu langer, viel zu mauer Actionfilm hinter uns, wodurch es schlicht egal geworden ist.
Freitag 05.05.
großartig
Ich kann mir nicht ansatzweise vorstellen, wie der Film wirkt, wenn der Zuschauer nicht die ständig parodierten Werbefilme kennt und nicht mit ihnen bombardiert wurde, aber zum Glück gehöre ich nicht zu dieser Kategorie und kann diese selbstbewusste, lustvolle und entspannte Otto-Kalauerparade durchgängig genießen. Und die schönste Erkenntnis meiner Kindheit: im Himmel wird Megadrive gespielt … wie bei mir zu Hause auch.
ok
Mitunter ein sehr spannender Film über eine machtlose Propagandafigur, die zur potenten Kriegsfigur inszeniert wird, womit MOCKINGJAY auch ein fatalistischer Politthriller ist, in dem zwei Seiten mit nicht ganz so unterschiedlicher Machtpolitik gegeneinander kämpfen … oder gar ein Film, der seine eigene Machart entzaubernd vorführt. Ein Film, in dem Liebe durch den politischen Kampf zerstört wird. Und die Hangingtree-Musiknummer ist dann auch ein Beispiel wirklich sehr effektiver, berührender Propaganda. Aber statt die eigenen Widersprüche auszuarbeiten oder alles mit ihnen vollzustellen, dümpelt das grundlegende Melodrama in einem selten ansehnlichen Film vor sich hin und überhaupt geilt sich Francis Lawrence an seinen Parallelmontagen auf, bis es kaum noch auszuhalten ist. Weshalb das Vorgehen gegen sich ein wenig zu effektiv scheint.
Donnerstag 04.05.
nichtssagend
Wie der erste Teil sieht das teilweise fürchterlich aus, die Figuren sind völlig verschenkt, die Darsteller noch mehr und auch die Geschichte dreht sich ahnungslose um irgendwelche Motive – dieses Mal: niemand möchte er selbst sein und jeder muss zu der Erkenntnis kommen, dass er/sie so gut ist, wie er/sie ist. Im Gegensatz zum ersten Teil funktionieren hier aber wenigstens ab und zu die teilweise überraschend guten Pointen.
Am besten gefällt mir aber, wie die schöne, junge Frau bekommt eine Brille aufgesetzt und alle behandeln sie, als wäre sie ein unansehnliches Mauerblümchen-Trope an die Grenzen des Absurden gebracht wird. Linda Cardellini trägt Klamotten und Accessoires, die einem Nerd-Fetisch-Katalog entsprungen scheinen. Ihre Velma ist nicht nur die einzige halbwegs funktionierende Figur, auch ist sie zu jeder Zeit die charmanteste und attraktivste. Ihr Lächeln ist zuckersüß … und trotzdem tun alle so, als wäre sie ein seltsames Pummelchen. Sensationell.
Mittwoch 03.05.
nichtssagend
Der Dschini ist nur mehr postmodernes Referenzfeuerwerk, das immer hilfloser mit Überdrehtheit und bekannten Fragmenten aus Film und Fernsehen gegen die Trübnis des Rests ankämpft.
gut +
Wortgewandt lügt sich unsere Hauptdarstellerin (Pascale Ogier) in die Taschen – sie lebt mit ihrem Freund in der Banlieue in einer modernen, aufgeräumten Erwachsenenwohnung, möchte gleichzeitig ihre Studentenbude im Herzen Paris‘ nicht aufgeben, um sich ihre Jugend und Unabhängigkeit zu bewahren. Auch mal allein wolle sie sein, wobei sie aber halbpanisch ihr Telefonbuch durchgeht, wenn jemand am Freitagabend dann doch mal keine Zeit für sie hat. Zwei Frauen rauben einem die Seele, zwei Wohnungen den Verstand, ist das Motto dieses Beitrags des Komödien und Sprichwörter-Zyklus. Rohmer ist dabei nicht ganz so giftig wie in seinen Filmen zuvor, und am Ende läuft es darauf hinaus, dass die kleinen Miniaturen zwischenmenschlicher Verstrickungen im Kampf zwischen Ratio und Lust bekannte Muster bestreiten.
Rohmer behält aber sein Auge für tolle Hauptdarsteller. Féodor Atkine spielt nicht mehr mit und es gibt niemanden mehr mit seiner geilen Körperlichkeit, aber dafür gibt es Pascale Ogier mit ihren ewig toupierten Haaren, ihren riesigen gewölbten Augenlidern, dem unendlichen Weiß ihrer Augen und der fragilsten bestimmten Stimme ever. Alleine den Schauspielern zuzusehen und ihrer gegenseitigen Chemie ist eine Augenweide.
Dienstag 02.05.
nichtssagend
Der erste Teil nochmal, nur nicht mit Aladdin, sondern Jago in der Hauptrolle und ohne auch nur den Versuch mehr zu sein, als ein billiger Nachklapp.
großartig –
Ein Film, der in der Mitte zwischen Kriegsende und 1968 veröffentlicht wurde und irgendwo den Weg von einem zum anderen darstellt. Finde ich. Aber eben auch ein tolles Drama. Mehr dazu bei critic.de.
Montag 01.05.
nichtssagend
Zu seiner Zeit wollte ich nichts von ANASTASIA wissen, weil der Film sicherlich von der ach so armen Zarenfamilie Romanow handeln würde, die, wie ich nun sah, natürlich keine grundlegende Ursache für eine Revolution gegeben hatte und nur dem Fluch Rasputins zum Opfer fielen, der seine Seele verkaufte, um sich wegen irgendwas zu rächen. Jetzt wo ich ihn gesehen habe, mit seiner mauen Geschichte, seinen charmefreien Figuren, trüben Liedern und nachlässigen Zeichnungen – die Gesichter sind nur einen Schritt von Pünktchen, Pünktchen, Komma, Strich entfernt – finde ich, dass die Form dann doch zum Inhalt passt. Don Bluths Namen im Vorspann gelesen zu haben, gab mir zwar etwas Hoffnung, die jedoch nicht lange anhielt. Auf der Habenseite steht letztlich nur: die Handlungsorte und die Bildgestaltung jenseits der Figuren, die ziemlich schön waren.
ok –
Ein westlicher Individualist lernt chinesischen Gemeinschaftssinn als ausfüllende Lebenseinstellung schätzen und erlebt Abenteuer mit Monstern, Bomben, Akrobatik, den Falltüren des Egoismus und von Freundschaften. Ein geradliniges Hollywooddrehbuch trifft auf einen Regisseur, der zwar Pace und gängige Schönheit zu bieten weiß, aber – da er sich der Gradlinigkeit der Geschichte anpasst – seinen Film mehr verwaltet als ihn zum Abenteuer zu machen.
April
Sonntag 30.04.
großartig
Ein Film über Furzen, Pissen, Wichsen, Körperflüssigkeiten, Sauflieder, Wahn, Schleim, Tod, Verwesung und das Quäntchen von H.P. Lovecraft in unserem Lusthaushalt und in der Wahrnehmung unserer Identität.
Sonnabend 29.04.
großartig
Die Zeit unter Franco als groteskes Säurebad, in dem es keine Gewinner gibt, sondern nur tollwütige Clowns, deren einziges Streben die gegenseitige Vernichtung ist, und Beistehende, die unter deren Wüten zerstört werden. Dementsprechend ist BALADA TRISTE DE TROMPETA keine ruhige, abwägende Annäherung an persönliche Schicksale und einen Gefühlshaushalt unter dem Faschismus, sondern ein zunehmend durchdrehende Parallelmontage, die kein Ventil für Ausweglosigkeit und Frust bietet, sondern uns von allen Seiten attackiert und sich unerbittlich hochschaukelt – weshalb es als buntes Abenteuer beginnt und irgendwann in grelle Bitternis umschlägt. Und damit ist es schlicht ein(e Art) Schlüsselwerk über spanische Geschichte und menschliches Zusammenleben.
nichtssagend
Nach zwei Filmen wie MANTA MANTA – ZWOTER TEIL und BALADA TRISTE DE TROMPETA wirkt dieser Übergangsfilm, der zuvorderst vom ersten Teil zum Abschluss überführt und in dem eine – wenn auch nicht unbedingt schöne – Vision eines Regisseurs gegen ein nettes Verwalten eingetauscht wird, umso trister.
Freitag 28.04.
verstrahlt
Gewissermaßen handelt es sich nicht nur um die Fortsetzung von MANTA MANTA, sondern gleichzeitig um HONIG IM KOPF – ZWOTER TEIL. Mit der Doppelrolle Tils als Regisseur und Hauptdarsteller wird aus Ersterem eben auch die Vision eines zunehmend dementen Gehirns, das möglicherweise auch noch durch Alkohol benebelt ist und das sich seine Wunschträume ausmalt.
Zuerst einmal ist ZWOTER TEIL schlicht ein Film von Regisseur, Cutter und Drehbuchautor Til Schweiger – mit Erfüllungsgehilfen in allen Bereichen, mit den entsprechenden Merkmalen. Demzufolge sieht das Ergebnis aus wie ein langgezogener Jever-Werbespot, der mit einem Einrichtungskatalog gekreuzt wurde. Die Musik schwankt zwischen kitschigem Indie-Erhabenheitsgeklimper und Eurodance-Hits, die grob und idiosynkratisch Nostalgie auftragen sollen. Der Schnitt und die dadurch verbundenen Einstellungen wirken nicht ganz wie per Zufallsgenerator vorgenommen wie bei anderen Barefoot-Filmen, sind aber trotzdem noch erratisch, avantgardistisch, kaum erträglich. Und das Drehbuch richtet den Ensemblefilm des ursprünglichen Films nur mehr auf seinen Hauptdarsteller aus, der von unzähligen Wasserträgern umgeben ist, deren Aufgabe lediglich darin besteht, ihn toll zu finden.
Dass die Komik noch viel, viel hemmungsloser ins Infantile kippt als beim Vorgänger, braucht eigentlich keiner weiteren Erwähnung. Durch Tils Darstellung von Bertie wird es aber zur interessantesten Veränderung. Bertie war in Wolfgang Bülds Film – zu Beginn von Til Schweigers Stardom – kein Held, sondern eine tragische Figur. Und irgendwie scheint dies für den Til Schweiger von heute zu bedeuten, dass er damals eine komische, wenn nicht gar eine Witzfigur darstellte. Anders lässt sich schwerlich erklären, warum er sich in die Pointen völlig benommen reinlegt, dabei debil grinst und auch noch die Zunge keck und von sich und seiner Geilheit halbbenommen zwischen seine Zähne steckt. Bertie ist so wie Klausi (Michael Kessler) der Dumme August des Films. Nur dass ihn alle toll finden und er am Ende in wirklich allen Bereichen triumphieren darf. Diese Disparität zwischen einem Mann, der durch sein verwirrtes Lächeln geistig nicht mehr völlig auf der Höhe scheint und dessen kognitive Fähigkeiten sich langsam aber sicher zu verabschieden scheinen, und seinem zwischenmenschlichen, sportlichen und monetären Erfolg machen aus MANTA MANTA – ZWOTER TEIL die Vision der wirklichkeitsverlustigen Selbstwahrnehmung seiner Hauptfigur und womöglich seines Hauptdarstellers.
Und das heißt, dass der Film vor allem schmerzhaft ist. Zwischen der zu vermutenden Intention und der Wirkung, zwischen dem Scheitern des Textes und der Reichhaltigkeit des Subtextes klafft eine solch enorme Schere, dass eine Bewertung nach gut und schlecht zwangsläufig scheitern muss. Ganz nach dem Aphorismus aus Bressons NOTIZEN ZUM KINEMATOGRAPHEN – Das Wichtige ist nicht, was sie mir zeigen, sondern was sie mir verbergen, und vor allem, was sie nicht in sich vermuten. – ist hier scheinbar das Entscheidende, was sie anscheinend nicht in sich vermuten – wobei natürlich festzuhalten ist, dass sowas wie der Raubüberfall, wo ein Gehilfe Berties vor Ort dringend kacken muss, weil er zu viel Döner aß, und nur Schleifpapier zum Hinternabwischen in der Werkstatt vorfindet, während Klausi gleichzeitig einem türkischen Patriarchen zur Ablenkung Manta-Witze erzählt, einfach ein dadaistisches Meisterwerk ist. Es bleibt also das Staunen vor einem tolldreisten Tohuwabohu und der Schmerz, jemanden dabei zuzusehen, der unbedingt, mit allen Mitteln gemocht und anerkannt werden möchte, aber mit der entrückten, zwanghaften Fantasie seiner Potenz eher nahelegt, wie klein und verlassen er sich innerlich fühlen könnte.
Lukas F. fragt auf letterboxd, wie die Alternative hierzu hätte aussehen können. Wäre Til Schweiger nicht verantwortlich, dann wäre MANTA MANTA 2 wahrscheinlich ein nach allen Seiten abgesichertes, gesichtsloses Designerprodukt geworden. So haben wir einen Film, der zwischendrin ganz unbedarft zur Bud Spencer und Terence Hill-Prügelkomödie mutiert, der völlig brüchig und bedingungslos eigen ist, der einen Sohn einführt, der wie der Sohn Rockys gnadenlos für die Dramaturgie instrumentalisiert und mit Tim Oliver Schultz nur bedingt nach Sympathien strebend, sondern als Klotz am Bein unseres Helden besetzt wird. Die Veränderungen zwischen 1991 und 2023 hätten wahrscheinlich beide Filme kommuniziert, nur ist Til Schweigers-Film keine Erfolgsgeschichte, sondern eine Erinnerung an Zeiten als der Mainstream noch völlig idiosynkratisch sein konnte (vergleichbar, aber mit ganz anderen Vorzeichen: die beiden Super-Mario-Bros-Filmen von 1993 und 2023), ein passendes Zeitbild über die Wahrnehmung anderer Menschen, die nur mehr als Like-Geber wahrgenommen werden, und einfach nur eine sehr eigene Erfahrung, die gerade im Scheitern mehr über Nostalgie, Misserfolg und die Unfähigkeit, sich lösen zu können, sagt, als jeder andere vergleichbare MANTA MANTA-Film.
gut
Rob Schneider spielt einen intelligenten, talentierten, angesehenen Alleskönner, auf den zu Hause eine Modelschönheit wartet und der er – wegen eines Traumas – den Geschlechtsverkehr verwehrt, und nicht sie ihm, weil sie es mit Rob Schneider zu tun hat. Im Grunde spielt er also die Adam Sandler-Rolle – und das wohl auch nur, weil Sandler Schneider und David Spade in einen Film stecken wollte, auf das sie sich versöhnen. Ein Vorhaben so tugendhaft wie der Film, der vor allem ohne großes Drama und große Pointen von der Tugend des Nett-Seins erzählt.
Donnerstag 27.04.
fantastisch –
Lockere, offene Menschen (u.a. Paula Beer) machen in einem Sommerhaus Urlaub an der Ostsee – oder sie arbeiten als Rettungsschwimmer bzw. Eisverkäufer etwas nebenher, während die Sonne drückt, die Insekten summen und die Zeit unbestimmt und entspannt vorbeifließt. Und zwischendrin der gehemmte, egozentrische Schriftsteller Leon (Thomas Schubert), der bei seinen Freunden und den neuen Bekanntschaften keinen Anschluss findet, der keinen Anschluss finden möchte, weil er sich in irgendwelche Gräben aus Angst, Zurückhaltung und Missgunst manövriert. Quasi für ihn brennt der Wald der Umgebung, wodurch das Idyll des Urlaubs ständig bedroht ist. Einerseits ist ROTER HIMMEL ein schmerzhaftes Erlebnis, da Leon immer wieder vor der Offenheit der anderen steht und teilhaben möchte. Weil sie ihn einladen, Teil von ihnen zu sein, und nicht verstehen können, was das Problem ist. Weil sich Petzold geradezu virtuos mittels einer Dramaturgie aus Musik und Stille, aus Deutlichkeit und Verschweigen den Gefühlen zärtlich annähert und diese doch drückend alles bestimmen lässt. Aber auch, weil Petzold Leon kaum sympathische Züge zugesteht. Weshalb dies nie zur simplen Opfershow wird und er sich seine Ambivalenz bewahrt. Gerade im Ende, das sich nicht zwischen Petzolds Unbestimmtheit und Leons literarischer Dampfwalze zu entscheiden weiß.
Mittwoch 26.04.
gut
Als ich LE VIOL DU VAMPIRE vor acht Jahren das erste Mal sah, war ich überrascht, wie sehr Rollin schon mit seinem ersten Film seine Filmsprache einzusetzen wusste. Dieses Mal war ich im Gegenteil überrascht, wie fremd sich sein Langfilmdebüt noch anfühlt. Und im Grunde trifft beides zu. So zeichnen sich seine späteren Filme deutlich ab, nur die grundlegende Abspeck-ung fehlt noch. Die Bilder und der Schnitt streben noch deutlicher zu einem verträumten, blumigen Surrealismus und die Handlung ist völlig mit Figuren sowie Wendungen überladen und verliert sich in beliebiges Mäandern.
Ich glaube es war Milan Kundera, der im Kafka behandelnden Kapitel von VERRATENE VERMÄCHTNISSE urteilte, dass die Literatur des frühen Surrealismus sich abmühte das Gefühl eines Traums zu vermitteln, während es Kafka – von Breton und Co. noch unentdeckt – schon vollendet hatte. Aber auch die von den Surrealisten verehrten FANTÔMAS-Romane waren schon weiter als DIE MAGNETISCHE FELDER von André Breton und Philippe Soupault,* der kruppstählerne Aufbruch und Hauptwerk des Surrealismus. LE VIOL DU VAMPIRE entspricht in seinem Ansatz der Orientierungslosigkeit des automatischen Schreibens und seinem filmischen Äquivalent L’ÂGE D’OR von Luis Buñuel. Erst in LA VAMPIRE NUE ein Jahr später wird Rollin die verträumte Klarheit erreichen, die sein Werk entscheidend prägen wird.
*****
Dieses Denk-Diktat ohne jede Kontrolle durch die Vernunft, jenseits jeder ästhetischen oder moralischen Bedenken hört sich theoretisch ganz interessant an, ist in seiner Abfolge geschwätziger, nichtssagender Absätze wie dem folgenden, die ohne rote Linie vor sich hinplappern, kaum aushaltbar: Die Gänge der großen Hotels sind verlassen, und der Rauch der Zigarren verbirgt sich. Ein Mann steigt die Stufen des Schlafs hinab und bemerkt, dass es regnet: die Fenster sind weiß. Man weiß, dass neben ihm ein Hund liegt. Alle Hindernisse sind abwesend. Da ist eine rosa Tasse, ein gegebener Befehl, und ohne Eile drehen sich die Diener. Die großen Vorhänge des Himmels öffnen sich. Ein Summen unterstreicht diese überstürzte Abreise. Wer kann so leise laufen? Die Namen verlieren ihre Gesichter. Die Straße ist nur ein verlassener Weg. (Die Romane Philippe Soupaults – nicht nur ohne, sondern gegen Literaturfeind Breton entstanden – sind dann die deutlich interessanteren.)
Dienstag 25.04.
gut +
Mit der Musik hat sich Arslan sicherlich einen Bärendienst erwiesen. Denn mit dieser drängt er sich ins Fahrtwasser von DEAD MAN. Und mit jedem schrammligen Gitarrenakkord ruft sich Jarmuschs Western ins Gedächtnis und gibt GOLD die Aura des Nachahmers. Dabei ist Arslan ein schöner Film über Westerntropen gelungen, die ins Nichts führen. Einen Treck mit einem garstigen Weib sehen wir, die jede Freizügig- und Freigeistigkeit mit Argusaugen verfolgt. Einen Treck mit einem saufenden, bigotten Rassisten, der alle ins Verderben reiten wird. Einen Treck mit einem Verlorenen, der von Revolverhelden verfolgt wird. Aber fast alles, was wir aus Western kennen, löst sich einfach auf und wird von einer mitleidlosen Welt geschluckt, die keinen Sinn für menschliche Pläne hat. Eine existentielle Auslieferung erleben wir, in der jeder Blick auf die Natur auch einen klein wenig Hohn bereithält …, weil sie eben nicht so harmonisch ist, wie sie in den Bildern scheint. Und was dann noch schwerer wiegt als die Musik, ist der Umstand, dass Arslan es nicht sein lassen kann und GOLD im Drama enden lässt. Denn Film davor mochte ich mehr.
Montag 24.04.
ok +
Eine der markantesten Szenen von Spielbergs THE FABELMANS ist die, in der John Ford (David Lynch) dem jungen Spielberg (also Gabriel LaBelle als Sammy Fabelman) erklärt, dass Einstellungen, in denen sich die Horizontlinie oben oder unten befindet, interessant seien, wären eine Horizontlinie in der Mitte langweilen würde. So gesehen ist JAIDER ein sehr interessanter Film. Immer wieder bildet der Kamm einer Almwiese den sehr nahen Horizont, über dem nur Wolken und das Blau des Himmels warten. Diese Linien befinden sich aber nicht nur unten und oben in den Bildern, sondern laufen auch noch schräg und bilden mit Berggipfeln, die doch manchmal im Hintergrund lugen, kubistische Gebilde.
Und das ist nur eines der überspannten Bildgestaltungsstrategien, die Vogeler anwendet. Frontale Portraits, elegische Kamerafahrten, ein kubistischer Schnitt, der keinen Fluss entstehen lässt, sondern die Bildinhalte ineinander verkeilt, mal umhüllender Nebel und dichte Wälder, mal (eingekesselte) Weite: so gesehen JAIDER ist wirklich ein sehr interessanter Film. Ein wenig wie ein Film von Werner Herzog … dem nur leider der Sinn für die eigene Absurdität und der obsessive Wahnwitz abgeht.
So ist die Geschichte eines Rebell (Gottfried John als Jäger Jaider), der die fürstlichen Besitzansprüche auf die Welt nach dem Deutsch-Französischen Krieg in Frage stellt, sich in Wald als Guerilla-Existenz zurückzieht und von einem ehemaligen Freund (Rolf Zacher) gejagt wird, der nur aus dem Hinterhalt schießt und, weil ihm nichts Besseres einfällt, Jaiders Familie immer wieder entführt, der also den epischen Bildern mit ihren epischen Dialogen (im Sinne von Brecht) ein klägliche, repetitive Kleinheit einverleibt, arg karg, simpel und öde.
Sonntag 23.04.
ok +
Die (im weiteren Film etwas blassen) Figuren werden mittels einer kleinen Action-Komödie eingeführt. Danach sind sie aber einfach nur DIE ??? als Mädchen. Hier und da blitzt dabei in einzelnen Szene das Gefühl für Schauwerte auf, aber Menschen bleiben dem Film bis zum Ende fremd.
großartig
Wenn Pauline erstmals am Strand ist und fast alle Protagonisten der jeder liebt jemanden anderen als den, der in ihn verliebt ist-Komödie erstmals aufeinandertreffen, erzählt Rohmer mit wenigen Schnitten und Mise en Scène-Entscheidungen, das Grundgerüst der Handlung. Den darauffolgenden Film reden sich die Charaktere um Kopf und Kragen, reden sich ihre Entscheidungen schön oder gegen diese an. Sie machen sich gegenseitig Vorwürfe und benehmen sich wie Leute, die sich als intelligent verstehen, aber ihren Trieben, Gelüsten und emotionalen Ausbrüchen nur monströse verbale Luftschlösser entgegenstellen können. Auch das hatte Rohmer seinem Film mit dem entsprechenden Sprichwort vorangestellt – Wer zu viel spricht, schadet sich selbst –, aber was in den Worten ganz trocken klingt, macht er zu einem verspielt-sadistischen Genuss menschlicher Unzulänglichkeit.
Sonnabend 22.04.
ok
Bei den Fortsetzungen hoffe ich darauf, dass die Zurschaustellung der Dekadenz in der Hauptstadt noch viel dekadenter wird und dass es deutlichere Hinweise dafür gibt, dass dies ein Film ist, der die Geschichte der Südstaaten nach dem Sezessionskrieg erzählt. Ansonsten: ein solider Auftakt mit interessanter Wackelkameradramaturgie, welche die Kamera immer weniger wackeln lässt, je mehr sich Katniss Everdeen (Jennifer Lawrence) damit arrangiert, dass sie Teil einer Show ist und sich Darstellung und Realität ihrer Liebe immer weniger unterscheiden lassen.
Freitag 21.04.
gut –
Reinecker versucht etwas Humanistisches mit Obdachlosen zu bewerkstelligen. Peter Deutsch – mglweise nur aus Versehen – torpediert die Selbstgefälligkeit immer wieder. Gerade gegen Ende, wenn der Täter überführt ist und alle sich über ihre eigene Geilheit freuen, wird der Obdachlose allein gelassen und vergessen gezeigt. Aber der gute Wille gewinnt eben gleich wieder, wenn Derrick das garstige Bild durchbricht und doch wieder kuschelig nach dem Befinden fragt.
gut +
Ein Traum aus Rot und wehender Hirse. Ein Film, in dem Kinder in Schnaps pinkeln und schelmische Lieder und Tänze zum Unwohlsein bei einer Braut sorgen. Ansonsten ein netter Film über den Kampf gegen Japan im II Weltkrieg. Zhang Yimou ganz in seinem Element – er macht Schönheit und hat keine Ahnung, was er mit einem Drehbuch anstellen soll.
Donnerstag 20.04.
ok +
Zwischenzeitlich taucht Rollin seinen Sexploitationfilm in ein Fest der Farben. Der Schnitt ist teilweise völlig erratisch und schafft eine ganz eigene Atmosphäre von Leidenschaft – sekundiert von Sexszenen, die eher nach Kannibalismus aussehen. Ansonsten bleibt aber eben die Frage, wieso ein Regisseur, der sichtlich keine Lust und/oder keine Ahnung davon hat, Sex zu filmen, Sexfilme machte.
Mittwoch 19.04.
ok
Eine Frau trifft auf einen Mann, mit dem sie in ihrer Jugend fast eine Affäre hatte. Nun verbringen sie einen Nachmittag und Nacht miteinander und tun dabei, als ob sie miteinander schlafen wollen, doch nutzen sie die Zeit nur um alte Rechnungen zu begleichen. Vergangenheit als Cock Block.
Dienstag 18.04.
großartig
GESCHWISTER in eine bürgerliche Idylle versetzt, wo Meister der passiven Aggression aufeinandertreffen und sich zerfleischen, während das Gras und Baumkronen wunderschön in der Sonne wehen.
Montag 17.04.
großartig +
Junge Frau (Mala Powers) wird vergewaltigt, flieht vor den Blicken in der Kleinstadt und dem eigenen Trauma, kommt in einer Farm unter und findet durch einen Diener Gottes wieder zu sich selbst. Ein wenig wirkt es wie die Episode einer ansonsten verschütt gegangenen Serie und läuft geradlinig und ohne Überraschungen ab. Und doch sind da die eigenwilligen Entscheidungen in der Bildgestaltung … wenn die lachenden Clowns einer Wand voll Zirkuswerbung das Opfer verhöhnen … wenn repetitives Stempeln das Stoßen der Hüften in Erinnerung ruft … wenn die Seligkeit in Gottes Land völlig jenseitig ist … Ein ganz normaler Film eben, der total seltsam ist.
Sonntag 16.04.
gut
Die Maschine eines Hitchcock-Agenten-Thrillers, die wie geschmiert läuft … und in dem Pinoteau durchbricht, wenn Vorgesetzte völlig arbiträr versuchen klugzuscheißen und damit kurzzeitig eine sinnvolle Unterhaltung kapern, wenn eine sitzengelassene Frau – als trauriger Höhepunkt des Films – die Rechnung ihres Mannes erhält, wenn die wässrigen Augen eines Hundes hinter den Gemüsestiegen in einem entführten Laster hervorlunzen.
ok +
Diese zeitweise ziemlich frivole Gold-Digger-Liebeskomödie verliert in seiner durchgehenden Anstrengungsvermeidung leider mit der Zeit die Frivolität aus dem Blick und ließ mich zunehmend nur mit der Verwunderung zurück, dass wirklich nichts neu ist, weil selbst die Frisur vom Sänger von Flock of Seagulls hier bereits von Bruce Cabot getragen wird.
Sonnabend 15.04.
großartig –
Sobald Lauren Lapkus nicht anwesend ist – aus dramaturgischen Gründen meinen Drehbuch und Schnitt sie zu Beginn und am Ende aus dem Film verschwinden zu lassen – wird THE WRONG MISSY, ein Film der nur auf Performance aus ist, eine etwas trübe Angelegenheit. Denn niemand liefert auch nur ansatzweise wie Lapkus, quantita- und qualitativ. Der Oscar des Jahres für die beste Darstellerin wurde ihr geraubt.
Freitag 14.04.
gut
Wunderschöne Jack-Cardiff-Technicolor-Aufnahmen der Pariser Weltausstellung. Bilder von Offenheit, Größenwahn und einer Welt aus Klischees … kurz bevor die Welt kurzzeitig untergeht.
gut –
Ein paar Gags aus den Klo-Witz-Kalendern dieser Welt, bezüglich doppelter Bedeutung und der Bebilderung, wenn jemand die bildliche Symbolik eines geflügelten Wortes nicht kennen würde und sich einen verrückten Hund in einer Pfanne vorstellen würde, in rasender Abfolge.
großartig
Lange tut AN AMERICAN IN PARIS so, als ginge es ihm, um eine Liebesgeschichte, die sich mit Künstler-in-Paris-Klischees zufriedengibt, nur um immer mehr die Träume und Tanz übernehmen zu lassen, nur um sich am Ende ausgiebig der Ekstase von Farben, Formen und Bewegung hinzugeben. Die Apotheose leichter Unterhaltung.
fantastisch
Fürst Metternich (Conrad Veidt) verwandelt Wien in einen Puff, um die Könige und Fürsten abzulenken und damit Europa nach seinen Vorstellungen ordnen zu können. Und während alle ihren Träumen von Liebe nachhängen, die ihnen ihr Zuhälter Metternich äußerst schäbig verkauft und die trotzdem ihre eigene Zärtlichkeit entwickeln, wartet die verkaterte Ernüchterung. Ein Meisterwerk.
fantastisch +
Essentiell handelt es sich bei LIPS OF BLOOD um einen psychologischen Paranoia-Coming-of-Age-Vampire- Mystery-Thriller. Ein Thomas Gottschalk ähnelnder Mann (Jean-Loup Philippe) erinnert sich beim Anblick eines Bildes – einer Parfümwerbung, weil Gerüche sehr intensive Träger von Erinnerungen sind – an eine Episode aus seiner Kindheit. Er übernachtete in einem Schloss und verliebte sich in ein Mädchen (Annie Belle), das er dort traf. Doch wie seine sonstigen Erinnerungen ging dies in Folge des Todes seines Vaters verschütt … welchen er mglweise verursachte, weil er das Mädchen, einen Vampir, diese Nacht frei ließ.
Unser Held begibt sich danach auf eine Quest nach dem Ursprung seiner Erinnerung und nach dem Mädchen, wobei zwei Mächte um ihn kämpfen. Einmal sind da die Agenten seiner Mutter (Natalie Perrey), die alles töten, was ihm auf seinen Weg weiterbringen könnte und was ihn mit Sex in Verbindung bringt. Auf der anderen Seite sind da die Vampire und die Agenten der Träume, des Sex und der Ahnung, dass mehr hinter der leblosen Hülle der Dinge lauert, … die allesamt aus Lust töten. Es ist der Kampf zwischen staatlichen/verschwörerischen Kerkermeistern und einer romantisierten Pest, zwischen einem sauberen, sicheren Leben und dem Ausbruch in eine unsichere, wilde Welt.
Womit wir eben einen Mann erleben, der erst zurzeit seiner zu erwartenden Mid-Life-Krisis – Jean-Loup Philippe ist Jahrgang 1934 und die vierzig Jahre sind ihm durchaus anzusehen – aus seiner behüteten Kindheit ausbricht und das Abenteuer der Jugend erlebt. Und das sich darin verwirklichende Ineinanderfallen von Alter und Jugend, von Zeitlosigkeit und Gegenwart findet sich im Herzen aller Filme Rollins, nur dass es hier seinen formvollendeten Ausdruck erhält.
In den Dekors, in der gemächlichen Geschwindigkeit – gleichzeitig zeremonielles Schreiten und zittriges vorwärts Tasten –, im Zusammenwirken von Kargheit und expressivem Reichtum – so gibt es einen Schnitt, nach dem eine nackte, tanzende Frau den Platz einnimmt, an dem sich zuvor die Mutter befand, ein Schnitt der Freud vor Verzückung in Ohmacht hätte fallen lassen, oder es gibt eine Schießerei in einem ausladenden, in verschiedenen Farben erstrahlenden Brunnen bei Nacht, aber doch verwehrt sich LIPS OF BLOOD diese Tendenz ekstatische Schönheit überhand nehmen zu lassen und lässt stattdessen eine ergötzliche Tristesse walten, die dem übernatürlichen Abenteuer eine naive Kindlichkeit mitgibt –, in seiner reichen Simplizität, ist dies der Film, von dem ich immer mehr den Eindruck habe, dass Rollin auf diesen hinstrebte. … Was eben auch erklären würde, warum er danach drei Jahre damit kämpfte, um wieder einen persönlichen Film zu machen, und warum seine folgenden Filme eben sein Spätwerk darstellen.
Jedenfalls erzählen Rollins Filme von frühvergreiste Jugend oder eben spät sprießende Jugendblüten. Und in beidem fühle ich mich sehr zu Hause.
Donnerstag 13.04.
gut
Wunderschöne Aufnahmen von Menschen auf tropischen Inseln. Vor allem Mark Shannons Torso wird beim Kopulieren wie ein Monument von ekstatischer Anstrengung und Selbstaufgeilung eingefangen. Ansonsten ist das Tollste an PORNO HOLOCAUST aber der Titel, an dessen infernalisches Potential nie auch nur gekratzt wird. Stattdessen gehobene Langeweile, in der nicht genug gelaufen wird, die weder sexy, noch ausreichend drastisch ist.
fantastisch –
So sehr LA BOUM 2 eine Fortsetzung ist, so ist es auch eine Art Remake … oder eher Neuinterpretation. Gerade das Hauptthema ist im Grunde das Gleiche wie bei LA GIFLE: Leute, die versuchen ihr Leben in den Griff zu bekommen, ihm eine rote Linie zu geben, dabei aber scheitern – in Folge dessen wirkt auch LA GIFLE erst einmal fahrig. Aber anders als bei LA BOUM 2 ist das Ergebnis viel intensiver. Auch weil der Film nicht von der bunten Seite der 1980er Jahre abgefedert wird, sondern etwas erdiger ist.
Der Vater (nicht Brasseur, sondern Lino Ventura) wird von seiner Freundin verlassen, während er gerade seinen Job verliert. Die Tochter (nicht Marceau, sondern Isabelle Adjani) setzt ihr erstes und wohl letztes Semester der Medizin in den Sand, schwankt zwischen Liebe und Abenteuer, zwischen ihrer Bezugsperson Nummer eins, ihrem Vater, und der Abtrennung vom erstickenden familiären Heim, zwischen sofortiger Unabhängigkeit oder dem Zwischenschritt bei ihrem Freund oder bei ihrer Mutter in England.
Die Konflikte sind klar und mannigfaltig, sie schlagen aber alle in dieselbe Kerbe. Adjani steht vor einer Wegkreuzung und muss sich für einen Weg entscheiden. Sie nimmt einen, wechselt aber doch wieder auf die andere Bahn, nur um es sich gleich wieder anders zu überlegen. Sie hält es schlicht auf keinem der gewählten Lebenswege aus – weil sie den Bruch möchte, ihn aber nicht erträgt. Und mit jedem Wechsel wird der Abstand zwischen den Bahnen größer. Und der Rasen, der zwischen der Abzweigung zertrampelt und zerwühlt wird, wird größer. Immer mehr Leute werden hineingezogen und verletzt. Die Einsätze werden immer höher. Länder werden verlassen, Leute an Flughäfen zurückgelassen.
Auf der anderen Seite ist Lino Venturas Figur bärbeißiger. Nicht dass er nicht einsichtig wäre und auch Flexibilität zeigt, wenn es darum geht, seine Tochter nicht zu verlieren. Aber er ist stolz und geradlinig. Er verfolgt seinen Weg, ohne jemanden Rechenschaft zu geben, ohne auf die Dornen Rücksicht zu nehmen, die in sein Fleisch schneiden.
Das hört sich ziemlich martialisch an und der Film übersetzt es auch wiederholt in Situationen von Aufruhr und Kampf – Studenten werden sich mit der Polizei Straßenschlachten liefern, ein Fußballspiel wird zu einer obskuren Konfrontation führen, in der die unterschiedlichen Ziele zu einer Niederlage für alle führen. Bzw. – und das ist entscheidend – endet das Fußballspiel gar nicht mit einer Niederlage, sondern mit einem Unentschieden. Weil LA GIFLE nicht nur auf die Ohrfeige des Titels zusteuert, sondern immer wieder auch auf Ausgleich und Liebeszuweisungen. Denn gerade weil es Hoffnung und Liebe zueinander gibt, ist die sich immer wieder einstellende Erkenntnis, nicht zusammen leben zu können, umso härter.
Und Isabelle Adjani wird mit ihrem Fahrstil und ihrer Babysitterkunst sichtlich in die Richtung eines verzogenen (End-)Teenagers geschoben, der sich der Konsequenzen seines Handelns nur bedingt bewusst ist. Aber doch ist es dem Pinoteau-Touch zu verdanken, dass dies nie wie eine Verunglimpfung wirkt. Vielmehr wie Lebensenergie … und wie Unsicherheit darüber, wie das eigene Leben aussehen soll. Eine Energie und Unsicherheit, die sich in jedem Lebensalter des Films findet. In den traurigen Augen, den wütenden Schreien und den gesenkten Köpfen, wenn die eigene Unvollkommenheit wieder auf einem wiegt. In den aberwitzigen und/oder albernen Entscheidungen, in der Lust das Schöne und Zärtliche mit offenen, lachenden Armen zu empfangen, egal wie schmerzhaft es enden kann. Weil LA GIFLE den Spagat schafft ein leichter, herzlicher Film voller Quatsch zu sein, aber auch ein tränenabringendes Melodrama.
Mittwoch 12.04.
großartig
Eine Karriere geht zu Ende (Edward G. Robinson als der Regisseur Kruger, der inzwischen in Rom statt in Hollywood arbeiteten muss und der nur noch bedingt den Kruger-Touch in seinen Filmen vermitteln kann). Eine andere ist bereits vorbei (Kirk Douglas als Jack Andrus, der nach einer Trennung seine Karriere dem Alkohol geopfert hat). Und eine weitere verglimmt, ehe sie richtig begann (George Hamilton als Davie Drew – d.i.: als Clift- und Dean-Karikatur – der nach anfänglichen Erfolgen die Diva gibt, um seine Angst vorm Scheitern zu überspielen).
Diese drei und ihr Umfeld befinden sich auf ihrem jeweils eigenen Weg der mal krachenden, mal schleichenden Selbstzerstörung, weil sie ihre festgefahrenen Wege weiterverfolgen und letzten Endes das große, üble Ende erwarten, dass sie höchstens hinauszögern. Und überhaupt stützen sie sich am liebsten einfach nur auf die Engel und Teufel ihres Lebens, die Frauen.
Zugleich ist TWO WEEKS IN ANOTHER TOWN ein Film über den Beginn des Endes des Kinos. Hollywood ist ein angezählter Riese. An alte Drehs, an bessere Zeiten wird sich erinnert. Im Kino wird sich getroffen, um die alten Heldentaten zu bestaunen, deren verkrüppelte Nachklapps sie heutzutage produzieren. Jack Andrus versucht zwar in die Zukunft zu schauen, verstrickt sich aber in diesen zwei Wochen wieder in dieses auf Ruinen konzentrierte Umfeld, weil es ihn wie die Motte zum Licht zieht.
Und Minnelli verkauft uns die damit einhergehende Bitterkeit mit nonchalanter Melancholie und ruhigem Klassizismus. Doch geht es ihm letztendlich um ein Ende, das keines ist. Denn diese Bright Side of THE BAD AND THE BEAUTIFUL glaubt tatsächlich an einen Wandel und an die Freude, wenn die Fixierung auf den alten Kram exorziert ist.
großartig +
Der The Private Lives-Teil des Titels ist blanker Hohn. Queen Elizabeth (Bette Davies) und der Earl of Essex (Errol Flynn) haben vll. zwei oder drei private Momente miteinander, die aber zielsicher in staatstragenden Streitgespräche umschlagen. Denn diese Melodramen-Masterclass – Curtiz inszeniert eine expressive Knochenmühle für nicht zu verwirklichende Gefühle, in der eine Liebender zu seiner Geliebten aus der Hölle emporsteigt, in der er von ihr geworfen wurde, und in der Schatten ihre Träger meterhoch überragen – lässt sich zwei stolze Figuren lieben, die politisch nach dem Kopf des anderen trachten.
Der Earl of Essex gibt sich hemmungslos seiner Selbstverliebtheit hin und möchte der Held des englischen Volkes sein. Er hat die Ambitionen und den Erfolg eines Julius Cäsar. Er möchte sich selbst verwirklichen. Er ist ein Mann in einer Männerwelt. Weshalb er nicht verstehen will, dass seine ganze Existent ein Affront gegen seine Königin ist, in der er nur eine Frau sieht.
Queen Elizabeth zerschlägt in einem Moment blanken Selbsthasses alle Spiegel ihres Palastes. Von Bette Davies wird sie als Hort von spasmischen Ticks gespielt, die psychisch und physisch aufs äußerste angespannt ist. Sie kämpft dagegen an, wer sie ist. Sie ist eine Frau in einer Männerwelt. Weshalb ihre Liebe zu dem Gockel Essex wirkt, als wäre sie eine illusorische Träumerei, als würde sie zu seiner Leichtigkeit gezogen, als wäre es eine weitere Knute, der sie sich hingibt.
Mit dieser Ausgangslage werden das Privatleben und die Liebe von Elizabeth und Essex in eine eiserne Jungfrau von einem sentimentalen Film gesteckt, dessen Dornen von allen Seiten kommen. Ein Melodrama, das sich nicht auf dem Ruhmesschild seines Feminismus‘ ausruht, sondern ihn für noch mehr emotionale Brutalität instrumentalisiert, das optisch in Technicolor-Plüsch gehüllt ist, der wiederum zum Ersticken und Verbrennen seiner Figuren genutzt wird. Und am Ende gibt es nicht einfach nur Tragik, sondern einen bitteren Triumph in dem der politische Sieg einem emotionalen Scheiterhaufen gleicht. Rührseligkeit ist hier zum Lachen des Jokers geworden.
großartig +
Zu Beginn wird Giftmüll in einem wahllosen Keller entsorgt, in dem eben Särge stehen und die sich nach dem Austreten der Soße aus einem der Fässer öffnen. Dieses Umweltschutz-Zombie-Thema ist aber lediglich Ausgangspunkt für den folgenden romantischen Rollin-Vampir-Film. Dieser spielt in einer verlassenen herrschaftlichen Villa im Nirgendwo – das Urbane des Auftakts bleibt ebenso versiegt, wie die Fässer nie wieder eine Rolle spielen. Über allem liegt die Patina des Vergangenen und Unbelebten. Die Villa steht mit Spielzeug und Krimskrams voll, auf denen Staub liegt und an dem der Zahn der Zeit nagt. THE LIVING DEAD GIRL ist ein Rachefilm, in dem sich eine Gestorbene an ihrer Geliebten rächt, weil sie sie im Tod verlassen hat. Es ist aber auch der Film einer Vergangenheit, die zurückgelassen würde und die nun alle Vertreter der Gegenwart und des Lebens attackiert und aussaugt, ohne dass sich an seinem Status etwas ändern würde. Das Ergebnis ist ein lakonisches, gotisch-romantisches Melodrama ohne Kampfgeist, in tieftrauriger Resignation.
Dienstag 11.04.
ok
Dies ist nicht so schlimm, wie die Pratchett-Verfilmungen, die ich bisher allesamt nur angefangen habe oder bei denen ich mich nur traute hineinzustechen. Hier ist es die postmoderne Schlaumeierei, die etwas anstrengend ist und die übertüncht, dass die Geschichte und der weitere Film etwas dünn ausfallen. Ansonsten aber wenigstens kein Stahlerlebnis. Auf der Habenseite findet sich aber vor allem, dass Lotti Z. (7 Jahre) nun mit dem Rattentod Bekanntschaft gemacht hat. Super.
gut –
Drei Liebesgeschichten, in denen zwei Protagonisten räumlich und/oder emotional voneinander getrennt sind. In denen Schneestürme oder – trotz körperlicher Nähe – Lichtjahre zwischen ihnen liegen. Mit etwas Abstand finde ich alle drei tatsächlich berührend. Dem ewigen Impressionismus kurzer Eindrücke des Films aber ausgesetzt, die keinen Plot verfolgen, sondern von einer zerbrochenen Welt erzählen, ließen sie mich kalt. Weil mir der romantisch-melancholische Scherbenhaufen viel zu säuberlich aufgeräumt war und er zu sehr mit jedem Bild nach Erhabenheit strebte.
gut –
Es ist durchaus witzig, dass der Kurzfilm eines Filmemachers, der sich stark von Wong Kar-Wai beeinflusst zeigt, im Jahr 2046 spielt … lange bevor Wong eben den Film dieses Namens gedreht hatte.
Sonntag 09.04.
ok +
Ich bin leider nicht so warm mit SUZUME geworden… Aber alleine für den laufenden Kinderstuhl lohnt es sich schon irgendwie. Mehr dazu auf critic.de.
Sonnabend 08.04.
großartig
EIN PLATZ AN DER SONNE, aber nicht von edlen Seelen bevölkert, die durch einen Schatten verführt werden, sondern als dekadentes Schauspiel, in dem sich die inzestuösen, verarmten Reichen mit ihrer sichtlichen moralischen Verkommenheit als die edlen Bürger in einem faschistischen Venedig herausstellen, während die gesetzteren Charaktere sich als gewissenslose Opportunisten offenbaren, die für Aufstieg und gesellschaftliche Spielchen noch zu jeder Niedertracht fähig sind. Ein Film, ein Sumpf aus alles aufschwemmendem Weichzeichner und vergilbten Farben, die hier und da von Grellem zerrissen werden. Am Schönsten: der Schnitt von der Einschlagung eines Kopfes zu einer Portion Vanilleeis, über das eine rote Soße läuft und das der Geschlagenhabenden kredenzt wird.
großartig –
David Spade spielt einen verklemmten Biedermann, der keinen Alkohol trinkt und auch sonst ein Langweiler ist und der durch ein Wochenende mit einem eskalierten Wirbelwind (Lauren Lapkus) zu unserem altbekannten reuelosen David Spade wird. Die Exposition ist so bieder wie der Abschluss, sobald und solange sich die Figuren aber an den intendierten Positionen befinden und es nicht um Dramaturgie, sondern um wahnwitzige Performances geht, dann ist THE WRONG MISSY ein sensationelles Inferno aus Fremdscham und Hemmungslosigkeit.
ok –
Mary Stuart (Saoirse Ronan) und Elizabeth (Margot Robbie) werden zum feministischen Schwesternpaar stilisiert. Beide befinden sich in einem höfischen Belagerungszustand, in dem sie sich als weibliche Herrscher von Männern und ihrer Meinungshoheit eingekreist sehen. Immer wieder werden beide durch Montagen verbunden, die ihre sehr eigenen Antworten auf die gleichen Probleme zeigen. Die eine, Mary, brennt im Kampf um ihr Vorrecht als Herrscherin und englische Thronfolgerin alle Brücken um sich ab. Wird nur ein mögliches Zugeständnis ihrer Macht erwähnt – als Teil von Verhandlungen und Kompromissen, um sich Verbündete zu sichern – beißt sie blind vor Wut in die ihr gereichten Hände.* Elizabeth andererseits knebelt ihre Weiblichkeit für ihre gesellschaftliche Rolle. Gerade optisch wird es ihr eingeschrieben. So wurde Margot Robbie wohl besetzt, damit ihre Schönheit entstellt werden kann, womit eben die Weiblichkeit Elizabeth symbolisch zersetzt wird.
Innen- und außenpolitische Probleme als auch religiöse Widersprüche werden ganz dem Hass und der Sympathie für die ferne Leidensgenossin untergeordnet. Schön ist es, wenn MARY QUEEN OF SCOTS Marys Entwicklung und die unentrinnbare Chancenlosigkeit ihrer Situation in zunehmend tristen und unschönen Sexszenen einfängt. Meist folgt der Film aber miefigen Historienschinkenallgemeinplätzen, konzentriert sich auf Unterredungen in kalten Schlössern, die stets den Plot und die Entwicklungen verhandeln und geradezu unterbinden, dass es hier um mehr gehen könnte, als um tragisch gegensätzliche Schwestern.
*****
* Der Film endet mit der Information, dass ihr Sohn sowohl König von England und Schottland werden wird. Dass er damit Frieden zwischen den Ländern bringe. Tatsächlich zeigt Mary Stuarts Charakter im Film aber viel eher das Verhalten, mit dem ihr Sohn James I (mit Abstrichen) und ihr Enkel Charles I (sehr nachdrücklich) Feuer in England legten und damit auch Schottland immer wieder mit hineinzogen. Mit ihren absoluten Herrschaftsansprüchen gossen sie Kerosin auf ein von Widersprüchen durchzogenen Englands und lösten den englischen Bürgerkrieg aus, der erstmals seit Jahrhunderten wieder einen Krieg auf englischen Boden brachte. Frieden, wenigstens das war ein guter Witz … mit dem bitterer Weise wohl gesagt sein soll, dass James I ein Mann ist und deshalb Frieden erlangt, weil er nicht dieselben Probleme wie seine weiblichen Vorgänger hatte.
Freitag 07.04.
gut –
Die Ehe von Vics Eltern (abermals Claude Brasseur und Brigitte Fossey) ist mal Teil eines hochromantischen Liebesfilms und dann doch wieder ein herzzerbrechendes Melodrama. Vic (Sophie Marceau) selbst verliebt sich, ist sich nicht sicher, kommt ihrem Liebsten näher und pendelt doch wieder von ihm weg. Wohin sich LA BOUM 2 entwickelt, ist nie sicher, da der Haken die einzige Konstante ist. Je nachdem ist das Ergebnis der wenig inspirierte Nachklapp zum ersten Teil oder eine auszuzelnde Erfahrung darüber, dass das Leben und wir selbst keiner klaren Geschichte folgen, sondern mal mehr, mal weniger ratlos nach dem roten Faden suchen und erst mit dem Tod einen Abschluss finden.
Donnerstag 06.04.
gut
Bei mir zu Hause steht ein Paar Air Jordans rum, die einer meiner Söhne mal unbedingt haben wollte und die er nach wenigen Wochen schon nicht mehr anzog. Ich hätte bei dem Text auf critic.de also nachtragend sein können. Ich bin jedoch über meinen Schatten gesprungen.
Mittwoch 05.04.
verstrahlt –
Wer eine Welt sehen möchte, die aus alteingesessenen Turboreichen und verarmten Post-68-Hippie-Proletariat besteht, eine Welt, die auf einer Bildschlagzeilenrealität aufbaut, der schaue diese wilde, geschmacklose Sause, die Film nur als grotesken Jux versteht, und vll. lässt sich mit dieser noch mehr die Illusion abbauen, dass Filme irgendwas mit unserer realen Welt zu tun haben müssten. Eine Sause, die mit Max von Thun als eröffnenden und abschließenden Erzähler so gerahmt ist, dass die haarsträubende Handlung zwischen zwei unerreichbaren Gipfeln der Selbstvertrashung fast wieder geistreich wirkt.
Dienstag 04.04.
gut
Die Fortsetzung ist besser als der erste Teil. So weit so gut. Ich bin aber weiterhin unentschlossen, ob Lazy-Sandler auch Peak-Sandler ist. Sichtlich hat er hier keine Lust groß etwas zu investieren. Aber vll. ist gerade diese Lockerheit auch ein charmanter, entspannter Mittelfinger gegen eine Industrie, die sich aus welchen Gründen auch immer auf Qualität versteift hat.
Montag 03.04.
fantastisch –
Ich hatte abgespeichert – mich auf Quellen berufend, die ich nicht mehr ausfindig machen kann –, dass der RomCom-Sandler (im Vergleich zu seiner früheren Persona) der gezähmte ist. Weshalb ich mich auf einen ruhigen Abend einrichtete. Wenn dies aber zahm ist, dann hat Adam Sandler vorher John Waters-Filme gedreht, von denen ich nichts weiß. So wird zum Vergnügen des Zuschauers ein weinendes Kind, das sich gerade emotional öffnen wollte, von Sandlers Figur verspottet. Beispielsweise. Und auch sonst sind die Witze auf Tiefschläge, Geschmacklosigkeiten und den Spaß aus, der darin lauert, dass etwas vll. nicht gut funktioniert, aber laut und schrill ist. (Letzteres lässt sich vor allem an Nick Swardsons Performance festmachen.) Erst in den letzten Minuten wird pflichtschuldig die Reißleine gezogen und der Film pro forma in einen stillen, romantischen Hafen gesteuert – der schon eine Ewigkeit in Sicht war und auf den es sichtlich hinauslaufen soll. Die Liebe zwischen den Figuren von Adam Sandler und Jennifer Aniston war ab Mitte des Films nur für sie selbst nicht offensichtlich. Aber alles Edle und Satisfaktionsfähige bleibt bis kurz vorm Schluss auf der Ersatzbank … bis sich voller Leidenschaft am Dubiosen ausgetobt wurde.
Sonntag 02.04.
ok +
Es sieht schon ziemlich gut aus – irgendwo zwischen mittelalterlicher und Kinderbuchillustration – und die mythisch überhöhte Trauerarbeit ist eigentlich auch toll. Aber am Ende wurde nicht viel investiert – wir erleben eine kleine Abenteuerreise, die sich anfühlt als würde der Garten nicht verlassen, obwohl doch Kilometer hinter sich gebracht und mehrere Reiche durchwandert werden sollen –, weshalb sich SONG OF THE SEA schlicht auf der netten Seite befindet.
fantastisch
Es ist absurd: LÈVRES DE SANG ist vll. der Film Rollins, in dem er all seine Motive formvollendet verwebt. Es ist der auf gewisser Weise sein bester Film. Und gerade deshalb fällt es mir schwer zu sagen, dass es mein Liebster sei, weil diese Perfektion – im Kontext des Werks Rollins – mich stört. (Vll. liegt es aber daran, dass mich Hauptdarsteller Jean-Loup Philippe an Thomas Gottschalk erinnert.)
Sonnabend 01.04.
großartig –
Der Vorspann: kalte Designs mit den Infos alternieren mit Tänzern in einem heißen, roten Licht. Der Film: ein weißer Cornett-Spieler (Richard Gere) mit seinen Problemen in der Liebe und mit Gangstern sowie ein schwarzer Tänzer (Greogory Hines) mit seinen Problemen in der Liebe und mit Gangstern. Angereichert wird es mit Motiven von Familienzwistigkeiten und sich liebenden Ersatzfamilien, vom Willen zum Aufstieg und dem damit einhergehenden Verrat an sich selbst, machtvolle Trennlinien (eines allgegenwärtigen Rassismus) und deren Überschreitung, Nostalgie und deren Ausstellung in künstlicher und kunstvoller Inszenierung, Stars und Sternchen (der Unterwelt) in den ausgehenden 1920er und frühen 1930er Jahren. Vor allem gibt es aber sehr viel Musik und Tanz … und vielleicht liegt es daran, dass ich THE COTTON CLUB mit dem Kopf sehr mochte, er sich aber noch nicht so ganz entfalten wollte … weil mir gerade der anstrengende, verrannte Coppola mehr mundet, als der leichte, verspielte, der seine Motive von Dualität ohne Anstrengung und Zwang jongliert.
gut +
Nach dem Tod seines Vaters unternimmt Michael (Georg Friedrich) mit seinem jugendlichen Sohn Luis (Tristan Göbel) einen Trip durch Norwegen. Er sucht Nähe, nachdem beide lange keinen Kontakt hatten. Es soll nicht so stumm enden, wie zwischen ihm und seinem Vater. Nehme ich an. Denn diese offensichtliche Intention Michaels wird nie ausgesprochen. Weil Dialoge in HELLE NÄCHTE schlicht nicht die Aufgabe haben, dem Zuschauer etwas zu erklären. In den Worten teilen sich nur die unüberwindlichen Schranken zwischen den beiden Hauptfiguren mit … weshalb ihre Unterhaltungen fast durchgängig in Streit enden oder den Modus des Murrens nie verlassen.
Stattdessen eben die physische Präsenz von zwei exzellent besetzten Grantlern, denen es unmöglich scheint sich zu öffnen, und die karge Landschaft eines sommerlichen Norwegens, in dem die Sonne nie untergeht. Wehte früher bei Arslan der Wind durch die Zweige oder die Vorhänge, zieht hier eine karge, bühnenhafte Landschaft lediglich vorbei … und die ewige Helle setzt Michael und Luis in Weite und Offenheit aus. Womit alles eben offen vor uns liegt, auch wenn dieses alles nicht angesprochen wird. Die Dinge – die physiologischen Gegebenheiten, das psychologische Grundgemenge und die Intentionen der Figuren und Arslans – stehen klar vor uns und doch bleiben sie opak weggesperrt, verlieren sich in dieser bühnenhaften Weite, lassen einen nur ahnen. Es fehlt die Nacht und die Dunkelheit, um auch mal etwas verarbeiten zu können.
verstrahlt
TAKEN nicht als Actionklopper, sondern als repetitiver Alptraum. Es startet in der Disco mit Jux, Tollerei und zwei dubiosen Abschleppern (u.a. Brigitte Lahaie). Amüsant wird ein Auto gestohlen und bei einem ruppigen One-Night-Stand bittet eine junge Frau (Susan Hemingway) um eine anale Penetration, damit sie Jungfrau bleibe. Wenn der Mann dann äußerst unsanft gehorcht, erleben wir einen sehr sprechenden Umbruchpunkt von Spaß in härtere Gefilde. Die Frau wird verschleppt und in die Prostitution verkauft.
Den größten Teil der Spielzeit verbringen wir auf einem Frachter. In einem kahlen Raum stehen Betten. In diesen liegen nackte Frauen. Immer wieder zeigt uns Franco das Rohr, aus dem ein Gas entströmt, welches die Frauen betäubt, sie ans Bett fesselt und gleichzeitig dauererregt. Narrativ erzählt uns der Film sehr wenig. Wenn der Sex und das Winden der Frauen kein Ende nehmen möchte, wenn gesetzte Pianomusik einen wilden Dreier und fiebriger Jazz Sex, Gewalt und Ausgeliefertsein untermalen, dann blickt Franco hier in einen Abgrund. Statt Erotik handelt sein Film von Überdruss und sich in Auflösung befindliche Dekadenz. Die Fesseln der Triebe haben in ihrer absoluten Übermacht und Dauererfüllung nichts mehr Schönes und Spielerisches.
Es endet mit einer Variation des Ödipus-Mythos. Nur sticht sich hier niemand mehr die Augen aus … oder besitzt noch die Kraft sich zu empören. Im Angesichts des Schreckens wird nur mehr zur Salzsäule erstarrt dagesessen und hingenommen.
März
Freitag 31.03.
großartig –
Der Klappentext der DVD phantasiert davon, dass DIE SCHÖNE HOCHZEIT eine einfühlsam erzählte Coming-of-Age-Geschichte sei. Dabei ist diese heruntergekochte Liebesgeschichte vor allem sadistisch. Für den Zuschauer auf der einen Seite, weil den ewigen Gefühlsexplosionen einer verzogenen Dramaqueen in eine Fremdschamhölle gefolgt werden darf. Diese beschließt dickköpfig und aus Trotz zu heiraten und einen Mann nur für sich haben zu wollen. Doch wo sie keine Probleme anerkennt, weil sie eh jeden um den Finger wickeln könne, lässt der Film, der eben auch ihr gegenüber sadistisch ist, sie immer fulminanter scheitern. Eine Komödie.
gut –
Eine Anthropologin (Maren Eggert) soll als eine von mehreren Experten aus verschiedenen Fachrichtungen drei Wochen mit einem Liebesandroiden (Dan Stevens) zusammenleben, um dessen Zulassbarkeit zu überprüfen. Wobei die Liebeskomödie nicht zu viel mit dem philosophischen Kern zu tun haben möchte, die am Ende groß in den Raum gestellt wird … was es nämlich aus der Liebe macht, wenn jemand einen per Algorithmus total durchschauen kann und dann einfach alle Knöpfe drückt, um einen um den Finger zu wickeln.
Stattdessen wird der Android lieber auf komische Abenteuer geschickt, wobei er als stocksteifes, alles missverstehendes Alien versucht Fuß zu fassen. Der dauer-dämlich grinsende Dan Stevens spielt dabei einen kleinen Alptraum, der damit abgerundet wird, dass ICH BIN EIN MENSCH in dieser Richtung ständig den möglichst dümmsten Zugang zu Moderne und Technik bereithält. Aber dann steckt eben doch ein ziemlich faszinierender Film für Maren Eggert in dem Ganzen. Sie möchte nämlich nicht glücklich sein und nicht umhegt. Und doch wird sie ins Glück manipuliert. Aus ihrem grauen, unbefriedigenden Alltag wird sie in einen sommerleuchtenden Liebesfilm gelockt, der nahelegt, dass etwas Gönnung auch mal sein muss, auch wenn sich dafür gehasst wird.
Donnerstag 30.03.
großartig
Eine Ehekrise wird parallel zur Geschichte einer ersten Liebe erzählt, wobei nahegelegt wird, dass die Probleme der Jungen im Grunde auch die der Alten sind … statt Erektionen in Popcornschachteln geht es nur eben inzwischen um Autos, die als Notlüge gecrasht werden. Womit uns LA BOUM vorführt, dass wir die Ahnungslosigkeit der Jugend nur bedingt ablegen werden. Mehr als das zeigt uns Pinoteau aber drei Leute – Sophie Marceau als Vic, Claude Brasseur als ihr Vater und Brigitte Fossey als ihre Mutter – die nur auf sich achten. Vic schafft es erst gegen Ende minimal ihren egoistischen Weltblick zu weiten, ihre Mutter arbeitet hingegen durchgehend am Zeichenbrett und ihrer Karriere, während der Vater durch Ehe und Job schlawinert. Keiner in dieser Familie ist wirklich für den anderen da, sondern nur an seiner eigenen REALITY interessiert. Einzig Uroma Poupette (Denise Grey) schafft es, ihr Leben zu leben und gleichzeitig ihre Urenkelin zu unterstützen. LA BOUM verteufelt diese Egozentrik jedoch nicht, sondern lässt sie durch ihre Realitäten gleiten, immer auf der Suche nach dem nächsten romantischen Drama und der nächsten Übersteigerung ds grauen Alltags, womit ihre Leben dann doch zu einem süßen, schwelgerischen Traum werden.
Mittwoch 29.03.
großartig –
Die Exposition ist mega. Ein sinisteres Ehedrama mit einem manischen Schlagertitellied, einem Soundtrack, der Leid und Zweifel mit hymnischer Freude untermalt, dekadentem Schmier sowie Farben und einer Ausstattung, die der oberflächlichen Leblosigkeit mittels knalliger Farben, Sex mit sich führenden Blumenblüten und fiebriger Schnörkel eine hochromantische Emotionalität unterschiebt. Sobald aber die Gespenstergeschichte mit der Wiederkehr der ermordeten Frau beginnt, wobei nie auf ein nachweltliches Reich und auch nur bedingt auf perverse Begierden abzielt wird, sondern auf einen Krimi, dann wird DAS GESICHT IM DUNKELN doch etwas von der Steifheit der Figuren übernommen. Das sieht zwar weiterhin super aus und neblige Gasse, Messer, Haut und Murmelketten weiß Freda sichtlich zu inszenieren, aber das Brodeln ist dahin.
Dienstag 28.03.
gut –
Die normalen Leute sind die wahren Behinderten, der herzensgute Hollywoodfilm. Aber tatsächlich ganz sehenswert. Mehr beim Perlentaucher.
Montag 27.03.
ok +
Ein verurteilter Mörder erblindet im Gefängnis. Zumindest kann er nur noch am Rand seines Sichtfelds etwas erkennen, weshalb er sein Profil dahinrichtet, wo er etwas sehen möchte, weshalb er einen mit dem Weiß seiner Augen anschaut. Er wird dadurch jedenfalls entlassen und alle sind sich sicher, dass er sich an seinen ehemaligen Komplizen, die in an die Polizei verrieten, rächen wird. Es ist eine DERRICK-Folge, die aus vielen bekannten Motiven zusammengebastelt ist und deren Verlauf nur Derrick überraschen dürfte, der eben nicht mehr das messerscharfe Menschenverständnis von früher hat. Hans Peter Hallwachs als tappender Mann, der indirekt zu sehen versucht, der nur noch die Unschärfe seines Sichtfelds hat, um etwas erkennen zu können, ist aber als irritierende Präsenz und als Bild der Heisenbergschen Unschärferelation ziemlich toll.
Sonntag 26.03.
fantastisch –
Lotti Z. (7 Jahre) saß in der ersten Reihe und bekundete wiederholt, dass sie – bei diesem Film, den sie schon zwei Mal sah – Angst habe. Die Dunkelheit, die fehlende Fluchtmöglichkeit und die Größe der Bilder intensivierten diese auch so schon hochemotionale Erfahrung von CHIHIROS REISE INS ZAUBERLAND. Ich versuchte sie in den Arm zu nehmen und zu beruhigen, aber um uns muss ich wie ein Folterknecht erschienen sein, der seine Tochter dieser Qual aussetzt. Ich hatte sie gefragt, ob sie gehen wolle, was sie verneinte. Am Ende fragte ich sie, ob es trotzdem schön war … und da sagte sie grinsend: Jaaa!
Es war grenzwertig und ich versuche weiterhin mit ihr herauszufinden, was sie als zumutbar empfindet, statt es ihr vorzuschreiben … weil ich als Kind auch sehr gut einschätzen konnte, was mir zu gruselig war, weshalb ich lange keine Horrorfilme schaute … da ich schon Christopher Lee als Dracula in kurzen Vorschauen auf das Nachtprogramm zu schrecklich fand, um mir auch nur vorstellen zu können, warum sich das jemand freiwillig anschaut. … aber vll. mache ich es mit Lotti nicht so schnell nochmal in der Öffentlichkeit.
großartig
Beim ersten Flirt zwischen Leyla (Serpil Turhan) und ihrem späteren Freund lässt sie ihn beständig auflaufen. Auf dem Höhepunkt einer dysfunktionalen Unterhaltung sagt sie ihm eiskalt ins Gesicht: Frag doch mal ‚was Interessantes! Drei Geschwister laufen durch Berlin oder sind zu Hause, und bei Arslan fühlt es sich wie ein Gefängnisdrama an, in dem sich Leute, die keine Lust haben, an dem Punkt in ihrem Leben zu sein, an dem sie sich befinden, und schon gar nicht mit den Leuten, mit denen sie dort Zeit verbringen (müssen), Zeit zu verbringen. Abwarten, Flucht, Frust und durchgängiges gegenseitiges Anpöbeln bestimmen die sehr eigene Verarbeitung von MEAN STREETS und schafft ein spannendes Paradox: GESCHWISTER ist entspannt in seinem Tempo und impressionistisch in seiner Gestaltung, aber kocht fast über durch die portraitierte gedeckelte Wut.
Sonnabend 25.03.
großartig –
Robert Walker war in STRANGERS ON A TRAIN als Psychopath dermaßen überzeugend, dass ich mit ihm als ramontischer Hauptfigur nicht warm wurde. Es gibt einen Moment, in dem Judy Garland zum Bus geht und die von Walker gespielte flüchtige Bekanntschaft abschüttelt. Bevor er ihr nun folgt, verschwindet das treudoofe Lächeln aus seinem Gesicht, und ich sah etwas äußert Bedrohliches dessen Platz einnehmen. Dieser Film ist mglweise mehr als nur großartig, aber ich habe diese Ausprägung von Robert Walker nicht abschütteln können. Aber vll. kann ich bei einer neuerlichen Sichtung diesem Unbehagen etwas Positives abgewinnen.
großartig –
Ein sehr schicker Cartoon, dessen Ablauf einem kreativen Bewusstseinsstrom folgt, was heißt, dass die Geschichte endlos assoziative Haken an die absurden meta-humoresken Orte schlägt, die Tex Avery eben als nächstens in den Sinn gekommen sind.
großartig
Punkisch hingerotzt feuert BILLY MADISON mit einem blutjungen Adam Sandler aus allen Rohren, ohne sich groß um Qualität und Pace zu kümmern. Das Ergebnis ist zwar Hit-and-Miss, aber gerade deshalb scheint mir diese kindisch ungestüme Slacker-Komödie mit Frank Capra-Einschlag weiterhin so gut wie am ersten Tag zu funktionieren.
Freitag 24.03.
gut
Birol Ünel hat nur eine kleine Rolle als Zivilfahnder, der das schroffe schlechte Gewissen von Can (Tamer Yiğit) spielt, der als Dealer arbeitet und den Film stetig zwischen tristen Gangster-Abhäng-Miniaturen und Ehedrama pendeln lässt, weshalb DEALER durchaus wie ein kleiner, ruhiger Scorsese-Epigone wirkt. Den wenigen Platz, den Ünel jedoch bekommt, nutzt er, um zu brennen. Das jemand mit einer solchen Präsenz, nur diese kleine Karriere hatte, … mir fällt es immer noch schwer zu glauben.
ok
Der schwangere Frau muss ihr Kind in einem Umfeld gebären, wo keine Geräusche gemacht werden dürfen-Part, der recht stiefmütterlich behandelt wird, hätte mich sehr interessiert, aber stattdessen geht es um Vater und Tochter können nach einer traumatischen Erfahrungen nur noch beklommen miteinander reden und deshalb passiert irgendwas mit Aliens-Zeug, der mir einen Hauch zu viel – oder zu wenig – über eine postapokalyptische Idylle erzählt, in der die Welt wieder einfach und – mit Abstrichen – angenehm ist.
Donnerstag 23.03.
gut +
Fadenscheinige ästhetische Einschätzungen meinerseits finden sich bei critic.de. Wobei ich gestehen muss, dass ich diese nicht so klar in den Filmen sehe, jedenfalls bei der Sichtung. Aber doch scheint es mir deutlich enthalten zu sein.
Mittwoch 22.03.
gut +
Ein Mädchen, die Tochter eines Nazis und einer jungen Französin, erlebt ihre Existenz als entspanntes und romantisches Heimat-Gore-Melodrama, in der die Vergangenheit in Form von Nazi-Zombies aus dem Weiher steigt und französische Dorfbewohner heimsucht. Mein erster Kontakt mit diesem ZOMBIE LAKE war durch Spott bestimmt. Er wurde in einer Liste der schlechtesten Filme erwähnt – ich weiß nicht mehr, ob überhaupt oder nach einer bestimmten Kategorie. Hauptgrund dafür wird das Makeup gewesen sein, weil die Wasserleichenzombies knall grün angemalt wurden und Teile des entstellenden Verbandes, der an ihren Gesichtern angebracht wurde, sichtlich beim Dreh wieder abging. Die Produktion Values sind wirklich nicht so besonders und noch der sichtbarste Unterschied zu anderen Filmen des Regisseurs – weshalb ZOMBIE LAKE die Ehre der Nennung wahrscheinlich zukam. Ich hingegen war fasziniert von diesen romantischen Wasserleichen, die wie Vampire ihre Opfer in den Hals bissen und ein verschlafenes, inzestuöses Dorf in Aufruhr brachten.
Dienstag 21.03.
großartig
Wir könnten AFTERSUN als einen zurückblickenden Film wahrnehmen. Die erwachsene Sophie schaut in dieser Perspektive auf ihr elfjähriges Selbst (Frankie Corio) zurück und wie sie Urlaub mit ihrem Vater (Paul Mescal) in der Türkei macht. Dass uns AFTERSUN mehrmals die erwachsene Sophie zeigt, unterstreicht diese Sicht. Außerdem werden die Bilder des Urlaubs, der den Film fast gänzlich bestimmt, mit den dort gemachten Videoaufnahmen vervollständigt.
Wir sähen dergestalt den Blick zurück auf eine (wahrscheinlich) letzte gemeinsame Zeit. Sichtlich belastet den Vater etwas. So verschwindet er mehrmals – scheinbar für immer – durch lebensmüdes Verhalten oder durch Suizid aus dem Film. Oder er weint hemmungslos alleine im Hotelzimmer, ohne dass wir einen Grund dafür bekämen. Weiß er um eine tödliche Krankheit, von der Sophie noch nichts weiß? Hat er Drogenprobleme? Es gibt minimale Andeutungen, aber nichts Konkretes. So gesehen ist AFTERSUN ein ziemlich beliebiges Drama, dass sich davor ziert, das Problem zu benennen und die Situation auszuarbeiten.
Wir könnten die Aufnahmen der erwachsenen Sophie aber auch als Foreshadowing begreifen. Gerade da sie immer wieder den Charakter von Visionen haben. Dann sähen wir den Film eines Mädchens an der Grenze zum Erwachsen werden. Eines Mädchens, welche das Knutschen und die Unabhängigkeit der Jugendlichen im Club beäugt und beginnt diese nachzuahmen. Der Status quo zwischen Vater und Tochter scheint zudem nicht nur durch sein teilweise manisch-depressives Verhalten unsicher. Auch sie ist nicht mehr das kleine Mädchen, weshalb sie nicht so richtig weiß, wie sie mit den eingespielten Vater-Tochter-Routinen weiterhin umgehen soll. Wir würden eben zwei Menschen sehen, die in einer ihnen fremden Welt ihr Verhältnis neu ausarbeiten müssen, ohne dass beide sonderlich gut darin wären. Und das Verschwinden des Vaters wäre der Ausdruck der Angst zweier Menschen, die befürchten die gegenseitige Nähe zueinander zu verlieren.
AFTERSUN wäre so das Testament einer nagenden Ungewissheit, was folgen, was aus einer innigen Vater-Tochter-Beziehung erwachsen und ob sie enden wird. Wenn der Film vage bleibt, drückt er nur Teil des Problems der beiden aus. Als Vater einer siebenjährigen Tochter fühlte ich mich jedenfalls, als erlebte ich eine Operation am offenen Herzen. Denn auch wenn sie mir noch jedes Mal um den Hals fällt und Niemals! sagt, so weiß ich doch, dass ich nicht für immer das Wichtigste für sie sein werde. Und vll. liegt es auch daran, dass sie nach ihrer Geburt um ihr Leben kämpfen musste, aber ich habe eine unbestimmte Furcht, dass ich nicht erleben werde, wer sie einmal wird, dass mir etwas passiert … dementsprechend habe ich angefangen einen Fahrradhelm zu tragen, weil ich mir plötzlich Gedanken machte, wenn ich ohne einen solchen einen Kopfsteinpflasterabhang herunterheizte. Mit anderen Worten: AFTERSUN drückt bei mir jede Menge Knöpfe.
So gesehen mag ich den zweiten Sichtweiße des Films deutlich mehr, zumal seine bestens Momente genau in diese Richtung gehen. Dreimal wird Musik genutzt, um das Narrativ ausklinken zu lassen und aus einem impressionistischen Portrait einen abstrakten, andeutungsreichen Alpdruck von Verlust zu machen. So verfällt Blurs TENDERS – zuvor eben Hymne der Zärtlichkeit der beiden – in Zeitlupe und wird zur Fratze seiner selbst. Oder es ist Sophie, die beim Karaoke alleine im Scheinwerferlicht LOSING MY RELIGION singt. Und am besten ist der Film, wenn UNDER PRESSURE irgendwann nur noch aus den Stimmen von Freddie Mercury und David Bowie besteht, womit aus Pomp etwas Fragiles und Verzweifeltes wird und sich Hoffnung in einen eklatanten Schmerz verwandelt.
Montag 20.03.
ok +
DIE TOTEN AUGEN VON LONDON in Farbe und mit Horst Tappert. Vor allem aber mit dem jungen Uwe Friedrichsen in der Rolle von Eddie Arent, Ralf Schermuly als Klaus Kinski und einem Gorillakostüm statt einem haarigen Ady Berber. Der Film ist zwar bunter und mit viel mehr offenem sexuellem Innuendo, aber die Besetzung kann nicht ganz dem Wahn früherer Tage mithalten. Alles ist irgendwie kleiner, gesetzter und auch Vorher mag oder darf nicht mehr wirklich durchdrehen. Lediglich Hubert von Meyerinck als Sir John ist und bleibt zu diesem Zeitpunkt eine Bereicherung.
Sonntag 19.03.
großartig –
Ein schöner Film über Verzicht, wie ich finde. Bei critic.de findet sich diese Einschätzung etwas mehr ausformuliert.
Sonnabend 18.03.
großartig
Man kann nicht an nichts denken. Und so denkt sich François (Philippe Marlaud) etwas, wenn er sieht, wie seine Freundin Anne (Marie Rivière) in der Frühe ihre Wohnung mit ihrem Ex-Freund Christian (Mathieu Carrière) verlässt … obwohl Anne es lieber sehen würde, wenn er einfach gar nicht denken würde. Lucy (Anne-Laure Meury) denkt sich hingegen ihren Teil, wenn sie sieht, wie François Christian durch einen Park verfolgt … und spielt gerne Spion mit dem gehemmten jungen Mann. Aber Rohmer lässt nicht zu, dass sich die ewigen Dialoge in Seelenmarter erschöpfen, sondern spielt mit Perspektiven, mit Verzicht und sexueller Hörigkeit, mit Tristesse und Dreistigkeit.
Freitag 17.03.
ok –
Derrick ist anscheinend inzwischen auch für Reinecker ein seniler Opa, den es mitzuschleppen gilt, weil die Serie seinen Namen trägt. Es ist kein Problem, dass er auf die Ersatzbank gesetzt wird, weil irgendwas über einen jungen, ehrgeizigen Anwalt (Philipp Moog) erzählt werden soll, der seine Seele an einen Teufel verkauft und sich noch rechtzeitig retten kann, auch wenn das alles ohne große Aufregung und Überraschungen geschieht. Was aber nicht sein muss, ist, dass mein Über-Ich-Derrick inzwischen wie Harry am Rande steht und nichts checkt und schon gar nicht jemanden in die Seele schauen kann. Vll. eine bittere Meta-Folge über das Altern.
großartig +
Die erste Hälfte, in der Henry Fielding Schmier und Klamauk auf eine eiskalte Distanz in der Inszenierung trifft, ist schon sehr schön. Die zweite aber, in der der Film fast zum Stillstand kommt und Leute in den Sackgassen ihrer Leben – in Dekadenz, Selbsthass und Fäulnis – am langen Arm verhungern und leiden lässt, ist einfach nur entzückend … eine süße, süße Qual.
Donnerstag 16.03.
verstrahlt –
Größtenteils ist dies ein Film, mit dem ein paar Dudes der Welt/ihrem Umfeld erklären, dass schwul zu sein, voll ok ist. Aber halt nur aus einer unsicheren, heterosexuellen Perspektive erzählt. Das ist moralisch und ideologisch zuweilen fragwürdig, aber – wenn vll. auch nicht mit dem Kopf – so doch mit dem Herz am rechten Fleck. Aber im Grunde ist es völlig egal, weil hier Sandler und Co. Fremdscham mehr denn je zum Zentrum ihres Films machen. Und dafür ist er vll. sogar etwas zu zahm geraten.
Mittwoch 15.03.
großartig –
Der frz. Titel heißt wohl so viel wie Die Verbummelten des frühen Morgens. Darin entfliehen zwei jungen Frauen einer Irrenanstalt. Wie Feuer und Wasser sind sie. Michelle (Laurence Dubas) befindet sich in einem emotionalen Angriffskrieg gegen die Welt und will ihr möglichst viel abtrotzen, so sagt sie. Und Marie (Christiane Coppé) versteckt sich vor ihren unverarbeiteten Traumata, vor der Welt, in sich selbst. Die beiden sensiblen, verletzten Frauen ziehen los, auf der Suche nach einem unwahrscheinlichen Glück. Durch die Welt eines Märchens, durch eine Welt, die der von PINOCCHIO oder A.I. entspricht. Sie landen bei Straßenkünstlern, Hafenkneipenbesitzern, in bürgerlicher Dekadenz. Nirgendwo endet ihre Reise, weil die bürgerliche Realität in Form von Polizei, Einsperrungsandrohung, Überforderung sie ständig einholt. Die überbordende Romantik der Filme Rollins in einer ausgestellt banalen Welt hat hier ihren Verfall fast erreicht. Nüchtern folgt der Film den Protagonisten in abgewirtschaftete Zauberwelten und kann an eine Rettung in dieser Welt nicht mehr glauben. Kurzzeitig, in einem weltvergessenen Eiskunstlauf glänzt es kurz. Aber es ist nur ein ungreifbarer Moment, der zwischen den Fingern zerrinnen muss, weil das Erwachen nicht lange auf sich warten lässt.
Dienstag 14.03.
gut +
Der Widerstreit aus sympathischen Chaos und kalter Ratio aus dem Vorgänger wird im Grunde eins zu eins kopiert und mit süßen, chaotischen Schafen angereichert. Sprich: Mehr Niedlichkeit gegen den Stillstand.
gut
Die Serienmörderin, die die Bäcker der Stadt nach und nach umbringt, bekommt ein wirklich schönes Motiv für ihr Tun – bzw. ist sehr schön, dass es auf den Punkt, den es für den Film braucht, heruntergekocht wird: Sie hasse einfach Bäcker.
großartig
Uwe Fellensiek und Martin Armknecht spielen sensationelle Unsympathen. Beatrice Manowski eine Außenseiter-Diva zum Verlieben. Und überhaupt ist der Cast mega und den meisten hätte ich schon eine etwas größere Karriere gegönnt.
Büld macht mit ihnen lässiges Pop-Kino – in der Disco läuft KLF! – im Ruhrgebietsniemandsland, das aus nichtssagenden oder vorgentrifizierten Straßenzügen besteht, aus Baggerseen und Industrielandschaften. Wer eine Ahnung davon haben möchte, wie es im Deutschland der beginnenden 1990er Jahren war, muss dies schauen. Und ich muss gestehen, dass ich nicht geglaubt hätte, dass sich MANTA MANTA so gut gehalten hat … bzw. dass er jemals so gut war.
Über allem thront aber Til Schweiger. Seine Karriere ist mir nun plötzlich viel verständlicher. Weil er – gerade hier in seinem weißen Unterhemd – die Aufmerksamkeit auf sich zieht, weil er als Posterboy einer unsicheren, überkompensierenden, völlig seiner selbst unbewussten Männlichkeit unschlagbar ist. Auf das Wegbrechen des männlichen Selbstverständnisses im Laufe der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts reagiert er mit Selbstverliebtheit, Ausstellung von Hypermaskulinität, und ständig ist er schon bei der kleinsten Kritik am Aufbrausen, weil sein Selbstbild als Alphamale unglaublich fragil ist.
Im Grunde hat er diesen verzogenen Bengel aus MANTA MANTA, der nichts von seiner Verletzlichkeit ahnt, bis heute kultiviert … ohne es selbst zu verstehen. Wenn er in ARTHUR beispielsweise einen der einfallenden Sachsen spielt, sieht er sich wahrscheinlich als einen kraftvollen Barbaren, aber was seine Figur ausmacht, sind die weichen Augen, mit denen er unterwürfig und nach Anerkennung flehend zu seinem Vater schaut. Weil ich zu sehr auf seine Versuche achtete, seine Selbstprojektion in Filme zu packen, dass er sich eben als coolster der Coolen inszenieren wollte, hatte ich bis hierhin nicht ganz verstanden, dass er ganz essentiell eine tragische Figur ist.
Montag 13.03.
gut –
Der Kampf eines pedantischen Roboters gegen die kreativen, schussligen Protagonisten, welche eine erschreckende Vorliebe für Käse besitzen.
großartig –
Eine Heist-Psycho-Thriller-Komödie, die von der diabolischen Energie lebt, mit welcher der Antagonist, ein Pinguin mit schwarzen undurchdringlichen Perlen als Augen, die von einer unheimlichen Erkennungsmusik in ihrer Wirkung noch dahin gesteigert werden, dass sie an unserem Selbstverständnis und unserer (Selbst-)Sicherheit nagen, inszeniert ist.
fantastisch –
Dass Spielberg THE TINY TOONS ADVENTURE: HOW I SPENT MY VACATION Direct-to-Video veröffentlicht haben wollte, damit es von den Kindern wiederholt geschaut werden kann, bekommt eine ganz neue Bedeutung, wenn sein Standin Sammy Fabelman (Gabriel LaBelle) hier einen 8mm-Urlaubsfilm in der Schneidemaschine immer wieder anschaut, vor- und zurückspult, nur um nach Manier von BLOW UP und BLOW OUT zu entdecken, was in seiner Familie unter seinen Augen vorgeht. Ansonsten sicherlich einer der Filme des Jahrs, wenn nicht Jahrzehnts, der von Rajko B. im perlentaucher sehr schön zusammenfasst wird.
Sonntag 12.03.
großartig
Ein Motiv ist, dass Deniz (Serpil Turhan) Synchronsprecherin eines Éric Rohmer-Films ist. Passgenau versucht sie die Wörter der Liebe einer anderen Person nachzusprechen bzw. dieser diese Worte (in einer anderen Sprache) in den Mund zu legen. DER SCHÖNE TAG lässt Deniz durch einen Tag streifen, der zwischen Neubauviertel und Natur pendelt – wobei Letzteres anders als bei Schanelec kein mythischer Rückzugsort ist, sondern einfach nur Ruhe und Kontemplation bedeutet. Und dabei scheint alles ungerichtet, aber in dem entspannten Fluss der Dinge lauert doch der (verkrampfende wie scheiternde) Wille in der Liebe die richtige Form zu finden.
tba.
Den folgenden Dienstag früh standen in der Bahn drei Teenie-Mädchen neben mir, die sich gegenseitig beweisen mussten, wie taff sie als Filmschauerinnen sind. Titanic: langweilig! Ich gucke gar nicht nur Liebesfilme! Filme, in denen jemanden die Fingernägel ausgerissen werden: Toll! Sowas gucke ich auch nur. Und das Letzte vor meinem Aussteigen war dann: Mein Vater guckt nur so Liebes-Zeug. Twenty Four Seven. Ich weiß auch nicht, was mit dem schief gelaufen ist. Eine Unterhaltung, die das Spirit Animal für diesen Film sein könnte. Mehr dazu bei critic.de.
Sonnabend 11.03.
nichtssagend
Viel weniger als der Vorgänger ist dies eine Schau der Ornamente. Das Drama, um eine verliebte Königin im Keuschheitsgürtel der Macht, weiß nicht so richtig, was es mit sich anfangen soll, versandet frühzeitig und wird leblos mitgeschleppt. Der epische Weltpolitikthriller begnügt sich mit ein wenig Katholikenrufmord, da sie als Fanatiker in einem giftgrün-gegradeten Spanien zu finden sind, wo sie Teuflisches planen. Und Clive Owen spielt – wie schon in KING ARTHUR – ohne Lust oder irgendwas.
Freitag 10.03.
großartig –
Heruntergekommener Tankstellenräuber (Rob Schneider) und Highschool-Queen-Bee (Rachel McAdams), die eigentlich ziemlich liebenswürdig ist, durch ihr gutes Aussehen aber mit allem durchkommt und deshalb verdorben wurde, tauschen die Körper. Und es ist der Magnum Opus im Œuvre Rob Schneiders. Eine Frau muss lernen, dass es nicht darauf ankommt, wie sie aussieht – selbst wenn sie im Körper Rob Schneiders steckt –, sondern wer sie ist. Ihr Freund akzeptiert hingegen lieber, dass sie eine rumhurende Verbrecherin geworden ist, als den offensichtlichen Körpertausch – weil er dann Rob Schneider küssen und lieben müsste. Und überhaupt verliebt sich die beste Freundin (Anna Faris) in ihre BFF im männlichen Körper … und wird am Ende damit alleingelassen, dass sie voller Gefühle für Rob Schneider ist, der jetzt aber eben wieder ein heruntergekommener Tankstellenräuber ist. Der Korridor des Happy Ends, auf den THE HOT CHICK hinausläuft, ist sehr eng und an seinen Seiten sammelt sich das ideologische und emotionale Geröll eines über Oberflächeneindrücken und Geschlechterrollen organisierten Karambolagefilms. Und hinter allem lauert Rob Schneider, der für seinen Wunsch, akzeptiert zu werden, sein Talent als suboptimaler Mensch voll auskostet und dies zur polymorphen Schau von Selbsthass und Selbst-akzeptanz macht, von Breisreflexen, um sich selbst als Teil von etwas zu verstehen, und relaxtem Hinnehmen.
großartig –
Dies ist eine Verbeugung vor den Universal-Horrorfilmen in Form eines Horrorfilms für Kinder, in dem ein Mr.-Hyde-Kaninchen-Mann nachts durch die Schatten streift – auf der Jagd nach Gemüse. Und mir fehlt jede Phantasie, warum in einem Film, der durch und durch aus altehrwürdigen Horrorfilmbildern besteht, Were-Rabbit mit Riesenkaninchen übersetzt werden muss. Als ob ein Wortbestandteil noch irgendwas abfedern würde… Beim Titel, logisch, um die Kunden zu täuschen, aus dem biederen Gefühl heraus, den Ausmaß des Grusels verbergen zu müssen, weil … die armen Kinder. Wenn im Film aber wiederholt vom Riesenkaninchen geredet wird, ist es einfach nur lächerlich.
gut –
Ein CIA-Agent (Liam Neeson), der durch seine Karriere Frau und Tochter an einen Mann verloren hat, der für die beiden da ist, darf den beiden Verlorenen auf seine Weise beweisen, dass er für sie da ist und es wert, geliebt zu werden. Indem er nämlich Befehle ignoriert und böse Menschen aller Schichten zu Klump schlägt, die die Jungfräulichkeit seiner 17-jährigen Tochter mit Gewalt und Drogen bedrohen. Und oft schafft es dieser no-nonsense Nonsense nur das Ruckeln des Glücks zu bebildern, die diese gerechte Gewalt für ihn ist. Aber wenn Liam Neeson immer wieder verschüchtert grinst, weil ihn zuletzt doch alle lieben und toll finden, dann kann einem schon das Herz aufgehen.
Donnerstag 09.03.
nichtssagend
Dass Rialto für die Edgar-Wallace-Filmreihe auch mal auf britische Filmemacher zurückgreifen würde, scheint ein logischer Schritt – wenn denn außer Acht gelassen wird, dass das England besagter Filme sehr tiefgreifend ein sehr deutsches Fantasieprodukt ist. Dass die Rialto von Freddie Francis einen eher behäbigen Heist-Thriller erhalten würden, der zuweilen wie eine Touri-Schau für die Deutschen wirkt, damit war aber weniger zu gerechnen.
Mittwoch 08.03.
gut +
Der Film bedient so ziemlich die zu erwartenden Klischees: Die Dekors und die Optik des Films sind überbordend und sinnlich – weil eben ein indischer Regisseur auf dem Regiestuhl sitzt –; gleichzeitig lauert im Drehbuch ein wildes, schmieriges, überaus kitschiges Melodrama, aber es wird zu Gunsten eines epischen Dramas über eine selbstbestimmte Frau, die sich für ihr Land opfert, ausgebremst – weil dem indischen Regisseur im westlichen Produktionsrahmen eben die Hände gebunden sind. Mit etwas böserer Zunge könnte auch gesagt werden, dass ELIZABETH verdeutlicht, warum Shekhar Kapur Indien verließ und im Westen blieb … weil die gedämpfte Qualität seiner Filme eben dorthin passt. Aber weder habe ich einen seiner indischen Filme gesehen, noch weiß ich irgendwas Genaues über die Produktionsbedingungen dieses Films hier. Es ist nur mehr als deutlich für mich, dass das, was in ELIZABETH allgegenwärtig kurz vorm Ausbruch steht, zu meinem Verdruss nicht ausbricht: die Qualitäten, die gemeinhin mit dem indischen Kino verbunden werden.
Dienstag 07.03.
verstrahlt +
Wir sind kaum im Film und schon wird Adam Sandler in seinem heimischen Bett von einem Rentier angepinkelt. … Mir fällt es schwer meine Gedanken zu all dem Folgenden zu ordnen … bzw. fällt es mir schwer, mehr darüber zu sagen, als dass dies ein wilder Trip ist, bei dem nicht mal mehr der Versuch von Kohärenz unternommen wird. Am faszinierendsten war aber, dass ich den ganzen Film lang darauf gewartet habe, dass Rob Schneider doch noch vorbeischaut. Ich habe ihn vermisst … und das habe ich nicht kommen sehen … es hat mich überrascht, wie sehr ich ihn und David Spade einmal wertschätzen werde.
Montag 06.03.
großartig –
Eine solide Welt zerfällt. Dokumentarische Sachlichkeit schlägt in Fragmentierung um, in Horror, Surrealität, Spott, hilfloses Treiben. Aus der Karriere einer Koryphäe (Cate Blanchett als Dirigentin Tár, die kurz davor steht den Mahler-Sinfonie-Zyklus abzuschließen und als Letztes auch noch die 5. mit dem gleichen Orchester aufzuführen und bei der Deutschen Grammophon zu veröffentlichen) wird eine Ruine. Wegen der Cancel Culture, weil sie über ihre Selbstgerechtigkeit stolpert, weil ihr schlechtes Gewissen und ihre Zweifel ihre Selbstsicherheit zerfressen. Und Field inszeniert, was es eben zu inszenieren gibt: Einen makaber-kontrollierten Film über Kontrollverlust, der keine Antworten hat und Diskurse höchstens in den Raum stellt.
Bei allen schönen Ideen – das gleichzeitig garstige wie sweete Monster-Hunter-Ende beispielweise – und anregenden Unklarheiten – das gleichzeitig garstige und sweete Monster-Hunter-Ende beispielsweise – wäre TÁR vor allem aber ziemlich erwartbar und bieder, wäre da nicht Cate Blanchett. Ihre expressive Camp-Performance mit ihrem snobistischen gebrochenen Deutsch und ihrer Dirigentenauftritte kurz vor Hampelmann: Es ist einfach ein großer Spaß ihr zuzusehen.
Was meiner Meinung nach aber am meisten für TÁR spricht, ist sein Zugang zu Musik. Denn Mahler und Co. werden immer nur angespielt, bis der Dirigent oder der Schnitt es wieder unterbricht. Es wird über sie geredet und sie ist sichtlich der Kitt eines sehr speziellen sozialen Feldes, dem Orchesterbetrieb. Musik bricht außerdem als improvisierter Schmähgesang ein oder es sind Rhythmus und Melodie, die Tár im Schlaf und bei der Arbeit verfolgen. Sie ist und bleibt Fragment, da Field nicht den Fehler macht und uns Mahler genießen lässt, uns den Lohn der Arbeit gibt, sondern uns auf ewig vertröstet.
Sonntag 05.03.
großartig +
Ich muss mehr Pinoteau schauen, denn offensichtlich ist er einer der Guten. Weil ein Thriller für ihn anscheinend nur mit eigenwillig eingebauten Tristkindern und Bauchrednerpuppen interessant ist. Mehr dazu bei critic.de.
Sonnabend 04.03.
fantastisch –
Die Roy Anderrson-Komödie unter den Schanelec-Filmen, in der die schanelecsche Sprachlosigkeit einerseits endgültig auch verlorene Sprache bedeutet – ein Fahrradverkäufer kann beispielsweise nur mit elektrischer Sprechhilfe kaum verständliche Störgeräusche von sich geben –, aber andererseits Maren Eggerts Figur zunehmend in Schimpftiraden verfallen und sich in Monologen verirren lässt.
großartig +
Die Pointe ist, dass der Vampir, der letzte seiner Sorte, nicht der Gewalttäter ist, sondern seine menschlichen Nacheiferer, die möglichst sadistisch sind, damit sie auch Vampire sein können … bzw. die Vampire sein wollen, damit sie ihrem Sadismus freien Lauf lassen können. Und genau das spiegelt sich auf der Herstellungsebene des Films. Eines lyrischen, poetischen, fast stummen Films, in dem zwei Frauen durch ein gotisch-expressionistisches Schauermärchenzauberland wandeln, das durch den Willen der Produzenten mit zwanghaft eintönigen Folter-, Vergewaltigungs- und Sexszenen angereichert wurde, in denen sich die Leute wie gefühllose, zwanghafte Maschinen benehmen, die menschliches Handeln imitieren, ohne dessen Ursprung zu verstehen und in Folge ihre Ahnungslosigkeit Grobschlächtigkeit überkompensieren.
großartig –
Hochkultur trifft auf den Budenzauber des Einbruchs von Geschwindigkeit, Lärm, Anarchie und Pop. Ein Spaß.
gut
Ich konnte, glaube ich, nicht so viel mit dem Film anfangen, aber die Szene eines unerwarteten und unerwartet charmanten Diebstahls hat ihn mir schon sehr sympathisch gemacht.
ok +
Durchaus schön anzusehender Bewegtbild-Diaabend mit Angela Schanelec.
gut –
Katharine Hepburn als arglose Maria Stuart, die nach Schottland kommt und für ihr Volk da sein möchte, die beabsichtigt, Toleranz und Miteinander zu verbreiten. Sie scheitert aber an Clan-Differenzen und den Fesseln der Gesellschaft – symbolisiert durch eine gefühllose, rationelle Elizabeth, die sie wegsperrt und einem diabolischen Über-Ich-Tribunal aussetzt. Im Grunde handelt es sich um klassisches Terrain für John Ford. Das Individuum wird durch das Soziale, die Emotionen durch die Ratio beschnitten. Nur findet dieses Melodrama keinen Weg, um mehr zu bieten, als die nette Geschichte einer gütigen Märtyrerin. Was mich aber durchaus fasziniert, ist der Umstand, dass die katholische Königin hier die durchweg Gute ist und nicht die protestantische. Es kommt dann doch nicht so oft vor.
Freitag 03.03.
gut
Zum Abschluss der ursprünglichen Kinoreihe kommt Ishi nach Jahren der Abwesenheit nach Hause. Die Dinge, die er verlassen hat, liegen in Ruinen. Oft kontempliert er umgeben von Spinnenweben oder sucht am Straßenrand im Gras nach den Resten eines Schreins. Hinzukommt eine bestechende Perspektivierung der ökonomischen Zusammenhänge. Nur am Ende überrascht Yasuda dann doch vollkommen, indem er das alles in einem herkömmlichen ZATOICHI-Film auslaufen lässt, der keine Änderung wagt.
ok +
Aldrichs Film war auf sehr unangenehme Art seltsam und darin ziemlich faszinierend. Davon ist im Remake nicht viel übriggeblieben. Symptomatisch ist Burt Reynolds Cameo, der seine schlimmsten Tendenzen voll auskostet und quasi fortwährend dem Zuschauer zuzwinkert: Geil, dass ich hier bin, nech?! Hinzukommt, dass der Sport-/Knastdramateil zu ernst genommen wird, weshalb sich die anarchische Slackerkomödie ausgebremst anfühlt. Kurz: schöne Ideen hier und da, ich konnte aber mit dem Großteil des Films nicht viel anfangen.
Donnerstag 02.03.
ok –
Wie CREED III durch seine zwei Stunden auf der Suche nach einem Thema, nach kathartischen Momenten und erzählerischen Synergien irrlichtet und schlussendlich nicht fündig wird, könnte durchaus charmant sein. Zumal er doch etwas hübscher ist als sein direkter Vorgänger. Aber irgendwie bleibt es bei der Aneinanderreihung generischer Momente. Jonathan Majors als Kuschelbär-Mr.T ist ziemlich super. Das Spiegelmotivische der beiden Hauptfiguren – womit es irgendwie auch darum geht, dass Adonis (Michael B. Jordan) nun noch das Ghetto aus sich exorziert und er seinen Frieden damit findet, Kaffeekränzchen mit seiner Tochter in seiner Luxusvilla zu feiern – ist ziemlich nett. Ebenso die Idee – auch wenn sie zu schnell wieder aufgegeben wird –, die Geräusche beim Endkampf bis auf die der Kämpfenden verstummen zu lassen. Aber dieses bequeme Kreisen um ROCKY III, das eigene Erbe und all den Kram verhindern, dass sich irgendwas entfalten kann.
Mittwoch 01.03.
nichtssagend
Mehrmals fragt Rocky (Sylvester Stallone) Adonis (Michael B. Jordan), warum er denn in den Ring steige. Die einfache Antwort des Films liegt darin, dass er Schmerz ertragen (lernen) muss. Aber weil weder Drehbuch noch Schnitt eine Ahnung haben, warum sich hier schon wieder mit Rocky und Creed beschäftigt werden muss, walzen sie ein nichtexistentes Drama bis an die Grenze des Erträglichen aus. Auf der anderen Seite zeigen die wenigen Pinselstriche bezüglich der Dragos, wie effizient ein packendes Drama geschaffen ist. Ein viel kürzerer Film über diese beiden, das wäre was gewesen.
Februar
Dienstag 28.02.
großartig
Das Kino des Eric Rohmer mit anderen Mitteln fortgesetzt. Bzw. Rohmer, wie er gänzlich von diversen Ausprägungen der US-amerikanischen Kultur kolonialisiert aussehen würde. Nur bin ich mir nicht sicher, ob dieser ein so giftiges, herablassendes Ende in einem seiner Filme untergebracht hätte. Wie Christian Petzold auf eine Adam Sandler-Box reagieren würde, täte mich aber schon interessieren.
Montag 27.02.
großartig
Man hat das Gefühl, dass Rollin LETZTES JAHR IN MARIENBAD als Filmirage-Produktion neu interpretieren wollte. Letztendlich ist das Ergebnis jedoch ein klassischer Rollin-Film – schon allein, weil er diverse kleinere Motive aus seinen Werk samplet, was heißt, dass es zwar keinen Strand von Dieppe gibt, aber eben beispielsweise eine Sense. Das Ergebnis ist demensprechend großartig. Nur: Ich bin mir sicher, dass bei D’Amato der Tod selbst Lambada getanzt hätte und nicht irgendein Statist.
Sonntag 26.02.
nichtssagend
Ein netter kleiner Spaß mit Mumien, der so wenig aufregend ist, dass ich mich ständig gefragt habe: Wenn die mumifizierten Leichen in einem Land unter der Erde weiterleben, wie werden soziale Spannungen umgangen, wenn so einige unsterbliche Pharaonen aufeinandertreffen? Was für eine Gesellschaft entsteht da? Wie blutig wird ausgehandelt, wer nun der Herrschende ist? Naja.
gut
Meine erste selbstgekaufte CD war das Album MEIN GOTT, SIND WIR BEGABT von Torfrock. Ich besitze sie noch immer und erschreckend viele Sympathien für Hits wie DÜNEN BODO oder ICH BIN SCHAFANPFLOCKER AUF’M DEICH. Bei einem Track dieses Albums handelt es sich um eine Ansammlung von Quatschideen: RADIO TORFMOORHOLM. Und eine dieser Ideen ist der Blitzkrimi zur gewohnten Sekunde. Als ich erfuhr, dass es wirklich einen Film namens GESTEHEN SIE, DR. CORDA! gab, musste ich ihn sofort sehen. Das Ergebnis war, dass mir Ja, ist in Ordnung jedes Mal im Kopf antwortete, wenn Dr. Corda wieder und wieder aufgefordert wurde, seine Tat zu gestehen. Mehr zum Film selbst findet sich bei critic.de.
Sonnabend 25.02.
fantastisch –
Vor fast zehn Jahren hatte ich MARSEILLE bereits gesehen. Ich konnte mich aber nur noch an den ersten Teil erinnern, in dem Sophie (Maren Eggert) durch Marseille streift und Bilder macht. Fast nichts geschieht, nur eine vorsichtige Annäherung. Den folgenden Part in Deutschland, in dem es nicht mehr um Freiheit, sondern um Enge geht, um Familien, die sich mit ihren Fesseln ins Fleisch schneiden, um Theater und andere Dinge, die ein Flucht nötig machen werden, war mir völlig entfallen. Am besten finde ich aber, dass MARSEILLE schlicht die Verfilmung des Umstands aus den MONOLOGEN AUS MALLORCA darstellt, der hier vor wenigen Wochen noch assoziativ für die Annäherung an Schanelecs MEIN LANGSAMES LEBEN diente.
ok +
Paul Thomas Anderson auf seiner großen Ich beweise allen, dass ich es draufhabe-Tour, deren Eltern-Kind-Drama-Short-Cuts eben vor allem seine Meisterschaft kommunizieren wollen. Für den Film sprechen die Frösche, Tom Cruise(?!) und der Umstand, dass ich nicht aus dem Kopf bekomme, dass ich nach dem Kinogang damals Juliane Moore gehasst habe. Wohl weil ich sie mit ihrer Figur verwechselt habe, und erst als ich ihren Auftritt in Altmans SHORT CUTS sah, ist es mir aufgegangen, dass ich irgendwas auf sie übertrage hatte. Warum es zu diesen intensiven Gefühlen kam und wieso sie sich so schnell auflösten, fasziniert mich mehr, als das Meiste in MAGNOLIA. Leider.
Freitag 24.02.
verstrahlt
War gestern bei THE COBBLER noch das Abseitigste völlig normal, ist hier noch der normalste Vorgang völlig jenseitig. Das Portrait von Sandlers tatsächlichem Agenten wird dabei zur dysfunktionalen Romantikkomödie, in der ein dauerlabernder Sonderling (Sandler), der unfähig ist, die Wahrheit zu sagen, und die von ihm vertretenen talentierten, wunderschönen Sängerin (Jennifer Hudson), die die Augen vor ihren Gefühlen verschließt und stattdessen blind Beziehung auf Beziehung aneinanderreiht, was sie langsam zerstört, sich gegen jede Chance in einander verlieben. Ich brauche, glaube ich, noch Monate, um das zu verarbeiten.
Donnerstag 23.02.
verstrahlt –
THE COBBLER hat mich ein wenig auf dem falschen Fuß erwischt, weil ich mit einer Komödie rechnete und erst mit der Zeit das Warten aufgab. THE COBBLER ist nämlich eher eine Art Märchen über einen Schumacher (Adam Sandler), der mit seinem Leben nicht zufrieden ist und mittels einer magischen Schuhnähmaschine die Gestalt der Besitzer der bearbeiteten Schuhe annehmen kann. Er kann also wortwörtlich in ihren Schuhen laufen. Das folgende Schlawinern endet in Verwicklungen mit Verbrechern und diese wiederum in Nahtoderfahrungen sowie einem BRAZIL-artigen Happy End. Er kommt eben bei der Erkenntnis an, dass sein Leben doch ganz irre und toll ist – womit THE COBBLER schlussendlich jede Anbindung an eine sonst wie gearteten Realität aufgibt.
Vll. sind es folglich auch nicht meine falschen Erwartungen gewesen, die mich nicht so ganz in den Film haben kommen lassen. Vll. ist es THE COBBLER selbst, der Genreschranken durchgängig unterläuft und von Tom McCarthy so inszeniert ist, als würden wir den normalen Ablauf der Dinge, die aus einer solchen Möglichkeit eben folgen, präsentiert bekommen. Und auf diesem ohne Aufregung verfolgten Weg tötet Sandlers Figur einen Gangster (Method Man) mit dem Absatz des Stilettos des Transsexuellen, der er gerade ist, oder ersetzt für ein romantisches Diner mit seiner Mutter seinen vor Jahren verschwundenen Vater (Dustin Hoffman). Das seltsame von THE COBBLER ist eben, wie unscheinbar Vergewaltigungs-, Inzests- und sonstwie entrückte Phantasien völlig normal in seinen Wohlfühlfluss aufgenommen werden.
Mittwoch 22.02.
gut –
Mitten im Film würgt DECISION TO LEAVE seine obsessive Liebesgeschichte zwischen einem zwanghaften Spanner/Polizisten (Park Hae-il) und einer möglicherweise hintertriebenen potentiellen Mörderin (Tang Wie), die sich zu Gewalt und Selbsthass hingezogen fühlt, zwischen zwei kaputten Seelen, die sich gesucht und gefunden haben, einfach ab. Der Film kommt zwar wieder bei seiner düsteren Ramontik an, aber Parks eigener Zwang zur Überkonstruktion, der erst zu diesem Abwürgen führte, sorgt wiederum dafür, dass es sich nur schwerfällig wiederaufbaut und niemals mehr sein intuitives Gespür für zerstörerische Leidenschaften erlangt … gleichzeitig aber auch nicht die Fäulnis des ewig herausgezogenen Endes und von Figuren, die unfähig zur Erlösung sind, erreicht – dessen Meister der späte Visconti war. Trotzdem vll. der beste Park, den ich kenne … weil er tatsächlich Sinn für die eigene Absurdität zeigt und weil die Momente, in denen diese seltsame Liebe Zeit und Raum der Realität aushebelt, sehr, sehr schön sind.
Dienstag 21.02.
großartig
Hinter 50 FIRST DATES steckt die Idee, dass ein Weiberheld mit Bindungsangst die perfekte Frau für sich findet. Seit einem Autounfall vergisst Lucy (Drew Barrymore) nämlich über Nacht die Ereignisse jedes neuen Tages. Er, der nach kurzen Affären am liebsten vergessen ist, ist es nun automatisch. Er, der sich vor Routinen fürchtet, kann keine aufbauen. Er, dem die Frauen hinterherrennen, hat eine echte Herausforderung, weil er immer nur einen Tag mit dieser aufgeweckten, schlagfertigen Frau hat und deren Zähmung nicht mit abgedroschenen Mitteln zu bewerkstelligen ist. Und selbstredend geht es darum, dass er nun doch versuchen wird, in ihrem Gedächtnis hängen zu bleiben. Dass er Routinen in deren Absenz wertzuschätzen lernt und welche aufbauen möchte. Dass er jemanden an sich heranlässt, weil diese sich nicht nach wenigen Angriffen vernaschen lässt.
Aber irgendwie ist 50 FIRST DATES nicht dieser Film. Jedenfalls nicht zur Gänze. Den Aspekt des Weiberhelden verliert Henry (Adam Sandler) sobald er auf Lucy trifft. Alle Entwicklungen des Films rennen bei ihm offene Türen ein. Gar nicht mal, weil der Film und Lucys Umfeld ordentlich moralischen Druck gegen das Ausnutzen der Situation aufbauen – und das tun sie. Sondern weil 50 FIRST DATES durchgängig darauf abzielt, herzensgut zu sein. Dies ist eben mit ganzem Herzen eine herzerwärmende romantische Komödie, in der sich alle Probleme in Rauch auflösen und es höchstens pro forma um ein mit Späßen aufgeladenes Drama geht. Weil die frische Liebe wieder und wieder genossen wird.
Der Cast besitzt genau dafür eine tolle Chemie. Die Möglichkeiten von Wiederholungen und Variationen wecken zudem sichtlich die Kreativität von Sandler und Co. – ein wenig wird dabei mit der Struktur von GROUNDHOG DAY gespielt, aber dann doch schnell hinter sich gelassen, da der sich stets wandelnde Aufbruch ins Glück dominiert. Die (wie sooft) allgegenwärtige sexuelle Unsicherheit konterkariert die Entspanntheit des Films mit spritziger, geschmackloser Nervosität. Aber trotzdem wird 50 FIRST DATES erst dadurch abgerundet, dass er seine düsteren Implikationen nicht abzuschütteln weiß … und das gerade an seinen süßesten und romantischsten Stellen.
Sandlers Figur ist eben zuvorderst nicht der hawaiianischer Pappagallo der Exposition, sondern ein Meeresbiologe, der sich fürsorglich um Walrösser und Pinguine kümmert – die als anthropomorphe Gegenparts Sandlers vll. das Highlight des Films darstellen. Wenn der Film dazu von einer Frau und ihrer Familie erzählt, die aus einer sich endlos im Kreis drehenden Situation befreit werden müssen, ergibt sich ein etwas verstörenderes Bild. So ist dies eben ein Film, in dem ein Wissenschaftler ein Projekt annimmt, um jemanden zu helfen … der ihm weitestgehend ausgeliefert ist.
Nur weil der Film am Ende den Bodyhorror einer Schwangerschaft ausblendet und einfach ein paar Jahre überspringt, steckt in dem Film doch sehr lebhaft die Vorstellung von Lucy, die Tag für Tag in der Gewissheit aufwacht, dass nur ein weiterer ganz normaler Tag aus ihrem ledigen, ungebundenen Leben anbricht, und plötzlich ist da dieser Schwangerschaftsbauch an ihr dran. Vor Jahren habe ich eine Wertschätzung des Schauspiel Adam Sandlers gelesen, wo es um die Pausen ging, die er vor Repliken stehen lässt. In diesen Augenblicken schwängen immer die fiesen und kruden Antworten mit, die er sich tatsächlich verkneift. Die aber auf all die Abgründe weisen, die in ihm und seinen Figuren noch stecken. Die Schatten, von denen Bob Ross ständig erzählt, dass sie Tiefe erzeugen, sind dort zu finden. Und der gutaufgelegte, warmherzige 50 FIRST DATES steckt voller dieser Schatten.
Montag 20.02.
ok +
Während Vohrer bei seinen späten Wallace-Filmen einfach nichts mehr ernst nahm, ohne dies groß zu rechtfertigen, suchte der erste DER HEXER noch beständig die Rückversicherung. Dass es sich um einen ironischen Spaß handelt, der nicht ernst zu nehmen ist, wird wieder und wieder betont. Das Ergebnis ist sehr bemüht. NEUES VOM HEXER ist ein Schritt weg von seinem Vorgänger und ein gutaufgelegtes Potpourri aus Fantômas-, Agatha Christie- und Dr. Mabuse-Versatzstücken. Kinder zähmen dabei wilde Tiger allein mittels ihres süßen Aussehens. Oder: Kinski als auch Arent tragen einen Böserzwilling-Vollbart. Während NEUES VOM HEXER allerdings viele schöne Momente besitzt, verliert er sich trotzdem in seinem Mittelweg aus Krimi und Unernst. Zusehends wird er lauwarm, da er für seine schnellen, oft – für seine Figuren tödlichen – Pointen der Geschichte der Grundlage beraubt. Übrig bleibt wieder die Bemühung.
Ganz toll finde ich aber, dass diejenigen, die sich als jemand anderes verkleiden, nicht kenntlich gemacht werden. Nur wird es leider lediglich für schnelle, witzige Offenbarungen genutzt, nicht aber für eine anhaltende Paranoia oder wilde Absurdität.
Sonntag 19.02.
gut
Seltsam an diesem meist gut aufgelegten Film ist, dass die Computeranimation von Menschen nach einem Endneunziger Videospiel aussieht, während der Rest halbwegs erträglich anzusehen ist.
Sonnabend 18.02.
großartig
Während die Tollpatschigkeiten Paddingtons für Lotti Z. (7 Jahre) vor drei Jahren noch zu viel an sozialem Stress darstellten, hat sie inzwischen darüber lachen können. Filme sind wirklich toll, um Entwicklungsprozesse nachvollziehen zu können, die im Alltag gar nicht so offenbar sind. Ansonsten: Kinderfilmvirtuosentum.
großartig –
Ein Film, dem ich gern zugeschaut hab, wie er die Blicke seiner Protagonisten anschaut. Mehr dazu beim perlentaucher.
Freitag 17.02.
großartig
Im Gegensatz zu Frank Coraci, dessen THE WEDDING SINGER ziemlich geradlinig inszeniert ist, zeigt sich Dennis Dugan deutlich mehr an Widrigkeiten und Widerhaken interessiert. BIG DADDY ist kaum weniger warmherzig als besagte romantische Komödie. Sandler aber greift seine Sweetness in Wort und Tat beständig an und vor allem nimmt der Film jeden Umweg gerne mit, um dem Süßen mit Trotz und einer gewissen Räudigkeit zu begegnen. BIG DADDY mäandert durch Gewalt, schrille Ideen und fragwürdige Running Gags und fühlt sich wie ein hochgezüchteter und mutierter Tom & Jerry-Cartoon an, der seinem Liebreiz zur Fratze verzieht.
ok
Das britische Bildungssystem scheitert an einer jungen Frau mit jamaikanischen Wurzeln. Sie schwänzt die Schule, damit sie sich um ihren kleinen Neffen kümmern kann und dieser nicht im Heim landet. Sie klaut Fleisch, damit es was Anständiges zu Essen gibt. Der Kamera geht es um Konfrontation und vor allem um ein Ziehen an unserer stoischen Hauptfigur, in dem die Kamera eben unruhig an den Geschehnissen vorbeifliegt, als könnten die Dinge nicht ruhig betrachtet werden. Das ist alles sehr richtig und nachvollziehbar gemacht, was im Endeffekt aber nur ein Drama ergibt, bei dem von Beginn an alles klar ist.
Donnerstag 16.02.
großartig +
Michael K. fasst auf critic.de sehr, sehr schön zusammen, was diesen Film zweier Trennungen und eines Pfads resignierender Hoffnungen ausmacht. Vll. hätte er nur noch erwähnen können, wie witzig Maren Eggerts Outfits zuweilen sind, mit denen ihre deprimierte Figur – so will es scheinen – zur ihrer minimalen Erheiterung als trauriger Clown durch ihr Leben läuft. Oder die Hände von Thorbjörn Björnsson, deren Fingernägel aussehen, als fielen sie gleich ab und die deshalb als Fenster in seine Seele dienen. Sowie das Moos, in das sich gekuschelt wird, als könnten wir in ihm wieder völlig heil sein – leider funktioniert es nicht.
Mittwoch 15.02.
großartig –
Dies gehört wahrscheinlich zu den großen warmherzigen Werken im Œuvre Adam Sandlers. Beinahe alles an THE WEDDING SINGER ist sweet und sensibel … nur wird in einer Tour unterstrichen, dass die Handlung in den 1980er Jahren spielt. Mit der Musik, der Poptrivia, dem Look. Es resoniert zwar hier und da mit dem Unwillen der beiden Hauptfiguren, die sich von eingefahren Ideen nur schwer trennen können. Und doch nervt die Zwanghaftigkeit sehr, da der Film dadurch unnötigerweise zur Nostalgieshow gemacht wird.
Dienstag 14.02.
gut +
Ein bisschen VERTIGO, ein bisschen DIE FREUNDE DER FREUNDE. Eine Frau verliebt sich in einen jungen Mann, in dem sie die Wiedergeburt der Liebe ihres Lebens zu erkennen vermeint. Der Liebe ihres Lebens, die sie 20 Jahre zuvor durch einen Autounfall(? – die Betonung der fehlenden Bremsspuren) verlor. Die Farben und der Schnitt des Films sind so erratisch, wie die romantische Wahrheit, die er anstrebt. Das Ergebnis ist ein schönes Spätwerk eines großen Regisseurs, aber irgendwie kommt es nicht so an, wie frühere Filme. Ein wenig hatte ich das Gefühl, dass Dominik Graf seinen Stiefel runterspielt. Als ob er zu sehr weiß, was er machen muss, bzw. was er denkt, was er machen müsste.
Sonntag 12.02.
ok
Beim ERBE DES DRACHEN handelt es sich, glaube ich, schon um einen ziemlich netten Film. Ich kann nur so rein gar nichts mit den Hauptfiguren anfangen … und mit Justus Jonas – gerade in der hier gezeigten Form – noch viel weniger.
gut –
Bei XXL war Soderbergh nicht Regisseur und da kickt es dann auch gleich viel mehr. Und jetzt ist er wieder Regisseur und da kickt es gleich wieder weniger. Es handelt sich bei LAST DANCE trotzdem um einen ganz schönen Film. Mehr dazu bei critic.de.
Sonnabend 11.02.
großartig +
Es ist ein wenig wie mit der WEST SIDE STORY. Dort hüpfen Straßengangs rum, statt zu kämpfen. Hier wird getanzt, statt einfach Sex zu haben. Nun kann argumentiert werden, dass die Tanzszenen, obwohl sie offensichtlich Sexuelles darstellen, ziemlich unerotisch sind. Für fleischliche Erregung ist MAGIC MIKE XXL tatsächlich eher nicht geeignet. Er ist eben zuerst Musical, dem es um Tanz geht. Und dieses ist vll. nicht sonderlich sexuell erregend, aber frivol, schmierig, enthemmt und völlig jenseitig in Bezug auf Darstellbares in Hollywood und politisch korrekte, unproblematische Darstellungen weiblicher Sexualität.
MAGIC MIKE XXL ist ein Road Movie über Male Entertainer, die von Florida nach Georgia reisen und die über die immer seltsameren Parallelwelten, in denen sie Station machen, zunehmend mit sich ins Reine kommen … weil sie erkennen, dass es ihr Verdienst ist, dass sie es schaffen, Frauen von ihren Hemmungen zu befreien. Das ernsthafte Drama des ersten Teils ist damit in Abwesenheit von Soderbergh als Regisseur völlig von diesem abgefallen. Stattdessen geht es um Tanz als befreiendes Ritual und um die zweifelhafte Ehre der der Lust Dienenden … in tollen, teilweise völlig bescheuerten Tanzchoreographien. Wohltemperiertes und Durchdachtes gibt es hier eben noch weniger zu holen als Wichsvorlagen.
Freitag 10.02.
großartig
Zatōichi selbst (also dessen Darsteller Katsu Shintarō) übernimmt beim vorletzten Teil der Reihe die Regie. Und das Ergebnis ist prunken und protzig. So sehr wird auf ansehnliche, expressive Bilder wertgelegt, dass eine realistische Konsistenz in der Inszenierung hinten runterfällt. Entsprechend kommt es zu sogenannten Amateuerfehlern, wenn Zatōichi beispielsweise weit weg auf einer Brücke steht und wir seinen Dialog hören, als stehe er direkt neben uns. Aber auch Abstruses. So wird der blinde Masseur von rasanten Monatgeflashbacks eines Todes verfolgt – also von Bildern –, die er gar nicht hat sehen können. Es steht im krassen Gegensatz zu den Filmen, die noch unter der Schirmherrschaft von Daiei entstanden, wo rationell und ohne große Sperenzchen von einem Blinden erzählt wurde, der alles sehen konnte.
Die Pointe ist nun, dass ZATOICHI IN DESPERATION eine Augenweide ist, Zatōichi aber die großen Dramen um sich übersieht. So geblendet ist er von einem zufälligen Tod, für den er sich verantwortlich macht, dass er das ausgegrenzte Straßenkind und die 14-jährige Geisha, die auf ein Happy End hoffen, einfach nicht wahrnimmt. Stattdessen rettet er jemanden, der gar nicht gerettet werden möchte … und läuft mit ihr an sozialen Unruhen und bitteren Schicksalen vorbei.
Die Reihe ist mit ZATOICHI IN DESPERATION schlicht in ihrer Dekonstruktion angekommen ist. Wie ein Spiegel funktioniert der Film, der keinen Helden zeigt, sondern eine verlorene, tragikomische Actionfigur, deren heroisches Töten nichts mehr zum Besseren wenden kann. Ihm bleibt nur mehr der Schmerz.
gut
Die Frage bleibt, warum Paul Feig diesen Hitchcock-DIABOLIQUES-Suspense-Thriller gemacht hat, obwohl ihm nicht nur das Talent, sondern sichtlich auch der Wille für Suspense fehlt. Jede Windung und Wendung des Plots kündigt sich groß an, als ginge es darum, das Drehbuch stolz zu präsentieren und nicht darum es zu inszenieren. Bestenfalls wird der Ablauf des Thrillers noch mit Metapointen zugekleistert. Statt Thriller ist A SIMPLE FAVOR deshalb ein launiges Spielzeug, das zumindest oft Spaß macht und das über einen überaus gut aufgelegten Cast verfügt … vor allem finde ich bemerkenswert, dass Blake Lively in den vier Filmen, die ich vorher mit ihr gesehen hatte, so gar keinen Eindruck bei mir hinterlassen hatte und hier nun dermaßen glänzt und sich in den Mittelpunkt spielt.
Donnerstag 09.02.
verstrahlt
Die Zeugen Jehovas klopfen an die Tür und haben die Apokalypse oder ein Gespräch über Gottes Problem mit Schwulen im Schlepptau. Im Vorfeld war ich mir sicher, dass Shyamalan mich im Rahmen seiner Shyamalanität nicht mehr überraschen kann. Aber ich lag falsch. Mehr dazu bei critic.de.
Mittwoch 08.02.
ok
Lara-Joy Körner spielt drei Folgen nach MÄDCHEN IM MONDLICHT gleich wieder ein Ausbund von Reinheit und Unschuld, der durch Sex zugrunde gerichtet wird. Dieses Mal nicht durch Vergewaltigung, sondern durch Sex mit einem HIV-Positiven, der um seine Infizierung wusste. Und sie hat sich natürlich angesteckt. [Die könnte ein Spoiler sein, glaube ich.]
DERRICK-Folgen in den Neunzigern sind schon ein Erlebnis für sich, weil sie in einen sehr eigenen Duktus abgedriftet sind, aber auch hier ist wieder nicht viel mehr als dieser zu entdecken … zumal ich diese Geschichten von reinen, geschändeten Wesen nicht sehr viel abgewinnen kann. Hier also etwas AIDS-Hysterie seiner Zeit, die einerseits wenig Interessantes erzählt – der Paukenschlag der Krankheit soll hinausgezögert werden und der Weg dorthin fühlt sich wie eine Ansammlung von Füllszenen an –, und die andererseits einen Nachbarn auf Krücken (Michael Maertens, der spätere Falko von Falkenstein) einbaut. Mit diesem wird nahelegt, dass andere mit ihren Krankheiten/Behinderungen auch weiterleben, es also keinen Grund für das Verlieren von Lebensmut gibt – hab‘ dich nicht so, schwaches, reines Mädchen.
Dienstag 07.02.
fantastisch –
SHIVERS OF THE VAMPIRE, so der englische Titel, war der zweite Film, den ich je von Jean Rollin sah … nach dem Aufstehen an einem Sonnabend noch im Bett liegend. Wenige Monate nachdem mich LES DÉMONIAQUES ratlos zurückgelassen hatte. Damals hatte ich ihn als Obskurität abgespeichert. Mehr als spaßigen Zeitvertreib als mir damals bestimmt lieb war. Weil ich wie ein Schwein vorm Uhrwerk stand und es mir schwerfiel etwas damit anzufangen … und weil ich dieses Zeug doch gern mehr hätte nachvollziehen können. Was sie von mir wollen, was die Macher antrieb, wieso in ihnen das los ist, was in ihnen los ist. Inzwischen bin ich, denke ich, an Rollins Filmen gewachsen und mag sie sehr. Es ist fast wie ein Heimkommen, wenn ich mal wieder einen schaue. Aber bei SHIVERS OF THE VAMPIRE spürte ich noch die ratlose Perspektive von damals.
Es ist wahrscheinlich schon ein, zwei Mal in diesem Sehtagebuch erwähnt worden, wie seltsam die ersten Begegnungen mit Rollins Filmen für mich waren. Weil meine Ratlosigkeit bei anderen Filmen keinen vergleichbaren Grad erreichte. Jeder andere Film, den ich bisher sah, schien mir wahrscheinlicher in seiner Existenz als LES DÉMONIAQUES und SHIVERS OF THE VAMPIRE. Und auch wenn ich mich inzwischen im Werk Rollin bestens aufgehoben fühle, bleibt immer noch ein wenig der Unglaube über das Vorhandensein dieser Filme.
So ist seinen Filmen ihre Entstehungszeit immer anzusehen und doch wirken sie wie die Werke von jemanden aus dem Umfeld der frühen Surrealisten – vll. hätte surrealistische Stummfilme damals so ähnlich wie Rollins Filme ausgesehen, wenn Roman- und Kinohasser André Breton nicht die Führung der Gruppe übernommen hätte und/oder wenn sie Kafka als Erweiterung der Bücher um Fantômas entdeckt und wertgeschätzt hätten. Jedenfalls wirken Rollins Filme stets wie Fenster in Parallelwelten … und nicht, weil in den Filmen oft solche betreten werden und sich diese auf die Realität auswirken, sondern weil ihre Realitäten immer schon Parallelwelten sind … und eben auch Parallelwelten voneinander. Die immer gleichen Motive verbinden sie. Die gleiche Liebe für Ornamente, eine schleppende Gangart – das getragene Schreiten in den Wahnsinn/ins Glück einer eigenen Welt –, die ambivalente Haltung zu Sex und Gewalt, die wie Rituale fremder Wesen wirken, der Hang zu erratischem Geheimwissen.
Es ist alles hier schon zur Genüge erwähnt worden, denke ich. Was aber auch zentral ist, ist die fehlende Bereitschaft bzw. das fehlende Können einen immersiven Film zu gestalten. Die Filme können einen schon in ihren Bann schlagen, aber sie geben sich keine Mühe sicherzustellen, dass die Zuschauer mitgenommen werden … oder scheitern daran, wenn sie es denn versuchen sollten. Rollin scheint mir blind daran zu glauben, dass die Bilder, die Motive, sein Kino eben Attraktionen sind. Als beherrsche ihn der Glaube an das Kino wie in dessen Frühzeit. Es geht folglich nicht um geschulte Filmemacherei und eingeweihte Zuschauer, sondern um Bilder per se, die durch ihr Vorhandensein und ihr Zeigen schon Realitäten erschaffen müssen … in den Köpfen der Zuschauer, der Träumenden.
In einem Interview, das der blu-ray beigefügt ist und das auf seine Weise auch schon wieder sehr bizarr ist, meint Rollin, dass SHIVERS OF THE VAMPIRE eine schwarze Komödie sei. Vor allem, weil er die Schauspieler, die die beiden zu Vampiren gewordenen Vampirjäger spielen, Michel Delahaye und Jacques Robiolles, freidrehen und ziemlich viel Durchgedrehtes erzählen lässt. Dieser Film, der vll. noch am nächsten an Bram Stokers DRACULA liegt, bekommt durch sie tatsächlich mehr Schlagseite Richtung offene Absurdität, in ihrem wortreichen Kreisen und Ringen um Verständnis kann ich mich aber auch sehr gut einfühlen.
Montag 06.02.
gut –
Drehbuchautor David Leland hasst das britische Schulsystem (seiner Zeit). Jedenfalls hinterlassen die Filme aus der Box TALES OUT OF SCHOOL diesen dringenden Eindruck. Hier kreischt ein kleines Mädchen panisch, weil wenn es zur Schule gebracht wird. Die Eltern nehmen es daraufhin aus dem System, stellen ihr eigenes Leben um und richten es auf ihre beiden Kinder aus, denen sie nur das erklären und beibringen, was diese interessiert. Auf der einen Seite ist FLYING INTO THE WIND dabei das Porträt eines Schul- und Rechtssystems, dass Abweichler in ihre bürokratischen Wege hereinzwingen möchte. Größtenteils artikuliert es sich als melodramatisches Gerichtsdrama. Auf der anderen Seite geht es um neugierige Kinder. In einem Fall sehen wir ein verzweifeltes Kind, im anderen ein sich wunderndes und wunderliches. Und die Teile mit Letzterem sind am besten, vor allem wenn ein Richter mit dem Jungen einen Ausflug zum See macht, um ihn kennenzulernen und um einschätzen zu können, ob seine Erziehung vll. auch ohne Schule und jeglichen Druck funktioniert. Ihr Aufeinandertreffen ist so eigenartig, dass es gleichzeitig Komödie und Thriller ist. Und den verwunderten Blick eines Kinds auf Erwachsene richtet, die so ziemliche alle seltsam sind.
Sonntag 05.02.
großartig +
Dieses Mal war ich verwundert, dass mir die ganzen Ejakulationssubstitute, die Leuten ins Gesicht spritzen, nicht früher aufgefallen sind.
großartig –
In diesem Film – und deshalb ist er auf seine Weise ein Phänomen – sind alle denkbaren Unsitten des deutschen Films versammelt, schrieb die Deutsche Zeitung und Wirtschaftszeitung 1961. Ähnlich präzise äußerst sich der Film-Dienst: Die konfus verhäkelte Handlung spielt angeblich in London, könnte mit ihren Klischees in verschwommen gezeichneter Umgebung aber auch auf dem Mond stattfinden. Was die beiden Urteile aber sichtlich als Nachteil empfinden, steht dem Film gut zu Gesicht. Ein Anstaltsarzt, der freudig davon ausgeht, dass den Patientinnen seine Spritze geholfen hat – *zwinker zwinker*; Klaus Kinski, der einen freudigen Psychopathen darstellt, der wie ein verzücktes Kind Katz und Maus mit seinem Opfer spielt, der genauso gut der unter Draculas Einfluss stehende R.M. Renfield sein könnte; überhaupt die ganzen entrückten Charaktere, die nicht ironisch gebrochen sind; dass sich von Báky sichtlich an Langs Mabuse-Filmen orientiert und den Spaß nicht besserwisserisch gegen seinen Film richtet, sondern das Alberne einfügt: Es kommt wirklich sehr viel zusammen, was das deutsche Kino der Zeit auszeichnet … mit einem Hang zu Creeps und Verwirrten. Und schon weiß ich nicht, was gegen DIE SELTSAME GRÄFIN sprechen sollte.
Sonnabend 04.02.
fantastisch –
Während SUNSET BOULEVARD auf einen Hag-Horror hinausläuft und den Träumen einer Hollywood-Diva alter Tage brutal die Realität entgegen-stellt, da macht es sich A MATTER OF TIME entgegengesetzt in der Illusion bequem. Bzw. wird bei ihm nicht so stark zwischen (Alp-)Traum hier und Realität da unterschieden.
Die Erzählung wird dementsprechend als Erinnerung gerahmt. Der Ort der Handlung – ein heruntergekommenes, ehemaliges Nobelhotel – und seine Inszenierung betonten Irreales und die allgegenwärtige Schäbigkeit. Die Künstlichkeit der Bilder ist nicht auf grelle Schönheit aus, sondern verbindet Nostalgie und diverse Verwesungsprozesse. Das Hotel, das Leben der alternden Diva, Vincente Minnellis Karriere, dessen letzter Film dies sein sollte: alle haben ihre besten Tage hinter sich. Und Verfall ist dabei eben glorios wie das Gloriose einer verlorenen, phantasierten Vergangenheit verfallen ist. Beides ist nicht voneinander zu trennen und Ausdruck eines Trotzes gegen die Realität, ohne die Bitterkeit über den Verlust auszusperren.
Die Schauspiel-Diva Nina (Liza Minnelli) erinnert sich in A MATTER OF TIME an ihre bescheidenen Anfänge in Rom und wie sie die alternde Sex Goddess Contessa Sanziani (Ingrid Bergman) kennenlernte, die in der entrückten Parallelwelt ihrer Vergangenheit lebt, mit der sie ihre jetzige Armut und Vergessenheit, ihr Alter überschreibt. Sie könnte beschaulich bei ihrem Ex-Mann (Charles Boyer) leben, aber für Kompromisse, für ein Einknicken vor den Gegebenheiten der Wirklichkeit ist sie nicht zu haben. Und Ninas Erfolg basiert eben auf ihrer Abwendung von der Realität im Fahrwasser ihres Idols, deren Glamour nur noch sie zu erkennen weiß.
A MATTER OF TIME ist dabei ein Film der Echos. Nicht nur zieht der ganze Aufbau nach sich, dass die Schicksale der Charaktere, Orte und Zeitpunkte aufeinander abstrahlen. Nicht nur scheinen die Bilder wie Echos einer besseren Zeit. Auch spielt Isabella Rossellini mit und sieht wie eine jüngere Version ihrer Mutter aus, die statt ihrer als Nonne weiterlebt. Auch ist mir nie mehr aufgefallen, wie sehr Liza Minnelli wie ihr Vater aussieht. In einer Echokammer steckt alles fest und vergammelt glücklich und episch in einer garstigen, kleinen Welt vor sich hin.
gut +
Zwei Tage in einem Haus am See. Darin: eine Familie. Alex (Fritz Schediwy), der Altvordere und etwas Gebrechliche, der einfach nur noch da ist. Irene (Angela Schanelec), am ehesten seine Tochter, deren Anwesenheit wie die kurzfristige Unterbrechung ihrer Abwesenheit wirkt. Ihr neuer Freund Max (Mark Waschke), der irritiert und allein gelassen herumsitzt. Konstantin (Jirka Zett), Irenes ca. 20-jähriger Sohn, der nicht möchte, dass sich etwas ändert. Die Nachbarin Agnes (Miriam Horwitz), die Konstantin liebt, aber weg möchte. Die vll. 4- bis 5-jährige Mimmi (Agnes Schanelec), die am ehesten die Tochter von Konstantin ist, aber genaues bekommen wir nicht erklärt. Jeder hat ein anderes Verhältnis zu dem Haus. Was nichts anderes heißt, als dass es um vier(?) Generationen geht, deren Bedürfnisse und Lebensentwürfe nicht wirklich zusammenpassen. Die in nächster Nähe leben, aber einander nur schwer verstehen.
NACHMITTAG zeigt uns das alles durch Auslassungen. In zwei Tagen, an sonnigen Badewetternachmittagen lassen sich die Leute treiben und ihre Konflikte deuten sich nur an. Beispielsweise wird nie klar, wie sich Mimmi wirklich zur Familie verhält. Der anzunehmende Urgroßvater Alex kümmert sich am ehesten um sie. Wenn Konstantin aber der Vater ist, wer ist die Mutter? Agnes? Aber warum hat sie dann nichts mit Mimmi zu tun? Vll. habe ich auch nur etwas nicht mitbekommen, und es ist sonnenklar. So schien es mir symptomatisch für einen Film, der Torsos oder andere Details beschaut und Köpfe abschneidet. Weil es faszinierender ist, als die ewigen Gesichter. Weil wir eben nie alles (einer Person) sehen.
Wie in MEIN LANGSAMES LEBEN reden die Figuren hier ziemlich geschwollen und nichts scheint ihre ökonomische Absicherung zu bedrohen. Doch im Augenwinkel, in den Pausen, in der Schönheit von Fragmentierung und Verwischung der Hintergründe steht ein existentielles Leiden, das sich in Schweigen und Übertünchen der Probleme realisiert und in seinem vagen Nagen wirksamer ist, als wenn direkt draufgehalten ist. Was NACHMITTAG auch gleich beweist, wenn ein Suizidversuch groß ins Bild gestellt wird und aus den Lautsprechern knistert. Dann wirkt der Film plötzlich so verloren wie die Leute, wenn sie miteinander reden müssen.
Freitag 03.02.
nichtssagend
Als Diss gegen England ganz amüsant: König Arthur (Clive Owen – eher nicht so toll) als Vertreter einer romano-britischen Kultur verteidigt Britannien gegen die einfallenden barbarischen Nazisachsen – womit das Angelsächsische eben das Böse darstellt, welches bis zur normannischen Eroberung England ausmachen wird, dem Land seinen Namen gibt und dafür sorgt, dass das nur noch Schottland und Wales sich auf ihre keltischen Wurzeln berufen. Die Überfremdung durch die Angeln und Sachsen, die den Traum eines britischen Paradieses bedroht: hier wird sie noch verhindert.
Darüber hinaus liegt der Film aber eher auf der hässlichen Seite, ist träge und lässt seinen Jungstraum von aufrechtem Heldentum und selbstmörderischen Heroismus im matschigen Grau der Bilder und des Drehbuchs untergehen. Bezeichnenderweise ist das beschämte Spiel Til Schweigers im Angesicht von Stellan Skarsgård eine der wenigen Schönheiten des Films.
Donnerstag 02.02.
uff
Nicht nur, dass die Pointen nicht funktionieren, weil sie schlecht geschrieben sind und ohne jegliches Timing vorgetragen werden, nicht nur, dass Großteil des Casts fehlbesetzt ist, am Ende bricht SCOOBY-DOO das Genick, dass er unfassbar hässlich aussieht.
Mittwoch 01.02.
großartig –
Dramaturgisch passt nichts. Von Beginn weg ist alles klar. Nicholson ist ein Psychopath und wird Amoklaufen. Shelley Duvall spielt ein hilfloses Opfer, dass Gewalt anzuziehen scheint. Und Kubrick macht nichts, als jede Szene noch dick zu unterstreichen und einem die Stimmung mit der Musik reinzuwürgen. Es ist einerseits schön, dass er von Start weg in die Vollen geht, der Spannungsbogen um Scatman Crothers ist mega und die Bilder aus dem letzten Drittel sind mehr oder weniger zurecht ikonisch geworden. Andererseits ist der Film in besagtem Drittel einfach nur noch lasch, weil lediglich das abgewickelt wird, was von der ersten Minute zu erwarten ist. Oder anders: Selbst als ich noch vor fast allen Horrorfilmen einen tierischen Bammel hatte, fand ich an THE SHINING wenig gruselig.
Solange aber das Haus im Mittelpunkt steht und noch nicht der Axtmörder, solange es um verwinkelte Gänge geht, um Bälle, die kaum bis zu den weit entfernten Wänden geworfen werden können, um Ecken in diesem Labyrinth, wo Sex als Sumpfleiche auf einen wartet, oder die eigene Selbstverleugnung als leere Bar, wo der zwanghafte Aufbau der Szenen mal bewusst, mal unbewusst in Schangel umschlägt, weil nun wirklich nichts an diesem Film dezent ist, wenn Kubrick Horror als irren durch eine Kirche der inneren Hölle versteht, ist der Film schon sehr schick.
Januar
Dienstag 31.01.
gut –
Für den Film spricht, dass Karin Dors Augen nie tiefer aussahen. Gegen ihn spricht, dass der Bogenschütze etwas arg kurzkommt.
Montag 30.01.
fantastisch –
Vor vielen Jahren stand ich vor einem Club und hörte irgendwann den Leuten zu, die hinter uns in der Schlange standen. Ich fand ziemlich blöd, was sie redeten. Als ich mich wieder dem Gespräch meiner Freunde widmete, dem Gespräch dessen Teil ich gerade selbst noch gewesen war, fand ich das dort Gesagte – nun aus einer beobachtenden Perspektive betrachtet – nicht unbedingt besser. Ich entschied, dass es einen eklatanten Unterschied macht, ob wir Teil eines Small Talks sind oder diesen von außen betrachten.
In MEIN LANGSAMES LEBEN sind wird nie Teil der geführten Gespräche. Sie wirken durchgehend banal, falsch, aufgesetzt und bemüht (geistreich). Statt Immersion zu bieten, lässt uns Schanelec mit Menschen allein, deren Gedanken von ihren gesagten Wörtern betrogen werden scheinen. Die reden, weil sie soziale Wesen sind, aber nicht, weil sie etwas ausdrücken wollten oder könnten. Manchmal, wenn sie sich zu sehr etwas Wichtigen annähern oder wenn ihre Bonmots an etwas Wahrhaftem kratzen, schweigen sie auch gleich und blicken betroffen ins Leere.
Wenn sie nun schweigen und blicken, scheinen sie aber gleich mehr zu sagen zu haben. Dann ist diese Ansammlung von Begegnungen unterschiedlicher Menschen, die höchstens einem groben roten erzählerischen Faden folgen, tatsächlich berührend. Dann geht es eben um Menschen, die allein sind und die weder ein, noch aus wissen, obwohl es ihnen an nichts fehlt. Ihre unnachgiebige Präsenz in den langen Einstellungen, in den Augenblicken irgendwo aus Raum und Zeit aufgegriffen, hat eben viel mehr Bestand, als die Dinge, die sie sagen.
Aber wie Thomas Bernhard so schön in MONOLOGE AUF MALLORCA ausführt, geht er zum Schreiben irgendwo hin, wo er die Leute nicht versteht. Nun wirkt es gleich viel schöner und philosophischer, wenn die Leute reden, weil ihre Vulgaritäten nicht mehr zu verstehen sind. Und vll. ist es hier ja ähnlich, dass die schweigenden Gesichter auch nur eine Wand zeigen, hinter der lediglich unsere Phantasie mehr als nur Fluchtgedanken und sozialen Stress vermutet. Wenn die Leute aber tanzen oder vor raumgreifenden verregneten Fenster stehen, dann wohnt ihnen eine sagenhafte Schönheit und eine körperliche Aufrichtigkeit inne, die durch nichts verraten werden kann.
Sonntag 29.01.
großartig +
Sieben Kinder waren bei uns in der Wohnung und meist hatte jedes seine eigene Vorstellung davon, was zu machen sei. Wenn aber ein Kampfhund einem Pandakind in den Kopf beißt, aber quasi auf den Granit eines unkaputtbaren Schädels trifft, dann herrscht Einigkeit, dass die Zeit gerade hervorragend genutzt wird.
ok
Herbert Reinecker lässt Derrick mit dem Täter in einem leeren, weißen Zimmer herumstehen und reden. Es ist ihm anscheinend ein wichtiges Motiv, weshalb er die Folge danach benennt. Dass sich einer der beiden ins Abstrakte verloren hat, soll sich in dem Bild ausdrücken. Nur offenbart Horst Tappert als Regisseur für dieses Setting nun überhaupt keinen Sinn und präsentiert die beiden in besagtem Raum fast durchgängig in Großaufnahmen ihrer Gesichter. Der Raum wird dergestalt optisch obsolet. Aus mir nicht ganz schlüssigen Gründen ist Tappert eher an Tableaus mit eng zusammengequetschten Leuten interessiert, die anklagend oder angeklagt schauen. Dabei geht es der Folge gar nicht so sehr um Schuld und Sühne, sondern um einen Mann, der die Dreistigkeit der Mächtigen zu kopieren versucht, dadurch aber im Leeren endet. Es geht um Männer, die sich sicher sind, dass eine Frau, die in drei Jahren keinen Kontakt mit ihrem Kind aufnehmen wollte, tot sein muss. Um Männer, die Frauen nur im kommerziellen Rahmen als aktiv sexuelle Wesen etwas abgewinnen können. Es ist eine Folge über trüb-toxische Männlichkeit, die die Männer zerfrisst oder die diese gar nicht verstehen lässt, dass hier etwas falsch läuft. Aber dies steht nur am Rand einer Folge, die Finger in Wunden legen möchte, aber wiederholt knapp danebentippt, weil niemand so richtig weiß, was er macht.
Sonnabend 28.01.
großartig –
Eine schüchterne Rede im Wahlkampf; die gekonnte Rede vor einem Lynchmob, die geschickt von Humor zu Ernst wechselt; das Gerichtsdrama, in dem Abraham Lincoln (Henry Fonda) schlussendlich zum all-american Menschenfänger geworden ist, der selbst seinen Gegnern Respekt abverlangt, die Richter zu gleichgestellten Menschen macht, der noch flexibler zwischen Spaß und Entschiedenheit agiert: In den Scharnieren von YOUNG MR. LINCOLN steht die Entfaltung der Potentiale einer Ikone. Als Volkstheater wird es präsentiert, wie sich ein Heiliger unter uns gegen die allzu menschliche Vulgarität der Reichen und der Armen durchsetzt.
John Ford ist aber nicht an einer psychologischen Entwicklung interessiert, die mit Ursache und Wirkung nachgezeichnet werden würde. Lincoln ist eigentlich nur da und passt sich den Notwendigkeiten an, sobald es nötig ist. Stattdessen kann sich der Film eigentlich kaum an seiner Ruhe und seinem Ruhen in sich sattsehen: Er sitzt am Grab einer jung verstorbenen Freundin, er fläzt im Gerichtssaal, er sitzt am Fenster und überlegt. Es ist seine Superkraft … und nur im Hintergrund sind die Kräfte zu sehen, die in ihm walten, und die Mächte des Schicksals, das auf ihn zukommt. In den artifiziellen Rückprojektionen von treibenden Flüssen voller Eisschollen oder einem stürmischen Himmel voller Wolken zeigt sich das Ausmaß seiner Ruhe, mit der er das Schöne, Wahre und Gerechte meistert, obwohl die Welt leidenschaftlich beschaffen ist.
… und Fonda trägt dabei eine Gumminase, damit er mehr nach Lincoln aussehe. Diese lächerliche Maske macht den kommenden Präsidenten verletzlich, menschlich und lässt ihn noch imposanter erscheinen, weil er dieses Ding voller Selbstbewusstsein trägt.
großartig –
Einerseits ist MAIS NE NOUS DELIVREZ PAS DU MAL der Film von zwei Jugendlichen (Jeanne Goupil als Anne und Catherine Wagener als Lore), die dem Kindsein gerade entwachsen. Es ist der Film eines ewigen Sommers, von freien, elternlosen Nächten in einer dörfischen Landschaft, die nur für einen da zu sein scheinen, und einer neuerlichen Weite des Geistes, wenn Lautréamonts DIE GESÄNGE DES MALDOROR wie wahrhaftige Abenteuer erscheinen, die die bisher gekannte Welt auf den Kopf stellen … weshalb die beiden sich daraufhin spielerischen der Perversion des Katholizismus und der mütterlichen Umsorgung in satanischen Riten verschreiben. Im Geiste der ABENTEUER VON TOM SAWYER steht das Ganze – nur dass die Protagonisten mittels ihrer Phantasie nicht zu Piraten und Rittern werden, sondern zu unschuldigen, naiven Sünderinnen, die ihre aufkeimende Sexualität in kindlich verspielte Späße übersetzen. Spiele, in denen sie sich alternative Institutionen für eine neue Welt erdenken und dabei nicht bedenken, dass ihr Handeln Konsequenzen haben könnte.
Andererseits hat Joël Séria ein tolles Ende als Ass im Ärmel. Eltern schauen sich dort eine Schulaufführung an … und damit, wie schön sich ihre Kinder in ihre gesellschaftlichen Verpflichtungen einfügen. Wie sie harmlosen Quatsch machen, den die Erwachsenen für sie erdacht haben. Ein sensationelles Gedicht wird aber auch rezitiert, mit dem Anne und Lore das Kindliche und die Fremdbestimmung exorzieren. Ein Feuer greift folglich um sich. Séria kostet dieses Ende sichtlich aus und beschließt seinen Film denkwürdig.
Diese beiden Dinge – unschuldige Sünde und zerstörerischer Exzess –, für die sich der Film sichtlich interessiert und bei denen er zu sich kommt, sind von einem Graben getrennt. Das Problem ist, wie von dem einem zum anderen zukommen ist. Der Film könnte nun den Widerspruch einfach stehen lassen und das eigenwillige Paradies ohne vorherige Kratzer in Flammen aufgehen lassen. Oder er könnte das Paradies langsam zersetzen und die Flammen zur Antwort darauf machen. MAIS NE NOUS DELIVREZ PAS DU MAL entscheidet sich für Zweites, kennt aber kaum mehr als sexuelle Gewalt, was die naiven Verkommenheitsbehauptungen nach sich ziehen könnten.
Immer wieder teasen die beiden (geistigbehinderte) Männer, ziehen ihre Röcke hoch oder werfen alles außer der Unterwäsche ab, reden anzüglich … und wundern sich dann, dass die Herren übergriffig werden. Lang und zermürbend wälzen sich die mit ihrer Lust scheinbar nun wirklich geistig behindert gewordenen Männer mit der sich wehrenden Lore – die jünger aussehende der beiden, die die nur mit ihrer Freundin mitläuft – auf dem Boden, womit der Film garstig wird. Aber mit einer Form von Garstik, die einer revanchistischen Moral das Tor öffnet. Rufe wie: Geschieht ihnen ganz recht! schleichen sich quasi ein. Oder unsere Protagonisten werden zu armen, fehlgeleiteten Kindern.
Was wohl alles kein Problem wäre, würde es der sonstigen Weite und Unbestimmtheit nicht einen ästhetischen wie moralischen Klotz ans Bein nageln, in dem auf die schlimmen Folgen geglotzt wird. Zu lang und zu oft sucht der Film dies als Fluchtpunkt der Handlungen der Mädchen auf. Hier scheint mir einfach eine biedere Form von christlicher Moral zu übernehmen, wo doch die Religion im Rest des Films nur mehr ein Comic ist, mit dem sich ausgetobt werden kann. Vll. muss ich mich damit auch erst noch arrangieren und beim nächsten Mal sehe ich es in einem anderen Licht, weil ich mich dann nicht mehr um meine Abenteuer der sündigen Huck und Tom betrogen fühle.
*****
Eine Anmerkung dazu, dass dies als Zeitsichtung markiert ist. Ich hatte ihn 2012 – also vor ziemlich genau 10 Jahren – schon einmal gesehen. In meinem damals frisch begonnenen Sehtagebuch steht, dass ich aber sehr viel verschlafen hatte und den Film deshalb die folgende Woche nochmal schauen werden würde. Naja, jetzt ist die Woche doch noch rum.
Freitag 27.01.
gut –
Immer wieder rennt jemand ins Kreuzfeuer und versucht einen angeschossenen Kameraden aus der Schusslinie zu tragen. Jedes Mal werden diese aber auch angeschossen und beide – der Rettende und der zu Rettende – sterben. Nicolas Cages Figur ist traumatisiert und leidet darunter, dass er in einer Schlacht weder seinen Kameraden half, noch starb. WINDTALKERS zeigt ihn als Grießkram mit Herz aus Gold, der nicht nur seinen Heldenmut immer wieder beweisen darf, sondern irgendwann sogar den Mut findet jemanden zu helfen. Krieg und seine Gräuel ist zumindest für den erträglich, der für seine und mit seinen Mitmenschen lebt – das Adrenalin geschwängerte Melodrama … das mir vll. einen Tick zu wenig kitschig war.
Donnerstag 26.01.
verstrahlt
Der ausgelebte Lippen- und Zungen-Fetisch, Farbschangel und (behaupteter) Hippie-Schick, Leute, die grün angemalt werden, weil es erscheinen soll, dass sie aus der Karibik stammen würden, das absurde Halloweenkostüm des Widersachers, mit dem er zum Schrecken der ihn Sehenden immer wieder durch Fenster schaut: Gegen Ende versiegt die Spiellust etwas, aber größtenteils ist dies nur noch aberwitzig. Für Vohrer sind die Wallace-Filme zu der Zeit sichtlich nur mehr ein Spielzeug, dass zu ramponiert ist, um noch ernsthaft damit zu spielen. Tongue in Cheek … mit Loch in der Wange.
Mittwoch 25.01.
ok +
Reineckers Drehbuch wird angetrieben von der Vorstellung, dass Mörder irgendwann von ihrem schlechten Gewissen eingeholt werden … und dass sich an allen Missetätern gerächt werden müsste, die finden, dass es ihnen sehr gut gehe. Die solide Kunstsprechfolge wird aufgewertet durch die indirekte und zumindest ästhetisch wertvolle Gegenüberstellung der schwarz-weißen – und damit quasi verblichenen – Videoaufnahme des Mörders vor seiner Selbsterkenntnis und des eindringlichen – und zum Behufe dieser Wirkung wiederholten – Moments der schmerzhaften Erkenntnis von Gut und Böse … sowie die leicht dissonant zueinanderstehende Klaviertastendrücker, zwischen denen zwar keine Pause einer Ewigkeit steht, aber doch das klamme Gefühl des Zweifels und des Leidens an sich.
Montag 23.01.
ok
Angela Schanelecs NIGHT ON EARTH, wobei sie die Taxis der Welt mit dem Flughafen von Orly austauscht, die Nacht gegen den Tag und die warmherzige, pointierte Absurdität gegen warmherzige, elliptische und vielsagende Impressionen aus Leben im Auf- oder Umbruch. Und wenn dann von den Leuten im Gewirr des Flughafens auf Großaufnahmen geschnitten wird, sobald sich Intimität einstellt, dann wirkt der Film umso mehr wie das Klischee des Versuches Schanelecs einen Indiefilm nachzustellen.
Sonntag 22.01.
großartig
Die Tanznummer in der Hafenbar – eine weibliche Maus wirft ihre Kleidung ab und tanzt leichtbekleidet (mit Strumpfband am Oberschenkel) weiter, wobei sie sich vom braven, unschuldigen, hilflosen Mädchen zur taffen, mit allen Wassern gewaschenen, positiven Frau wandelt – zeigt Disney vll. von seiner anzüglichsten Seite. Dazu kommen ein toller Ohrwurm sowie effektiv inszenierte Noir-Bilder und Jump-Scares, die BASIL in die Nähe eines Horrorfilms für Kinder rücken. Zuletzt war ich von ihm enttäuscht, jetzt würde ich sagen, dass es sich um den besten Disney-Film der – leider eher euphemistisch benannten – Meisterwerk-Reihe handelt.
großartig –
Ein Noir-Studie. In nicht einmal zehn Minuten ist alles da, was es braucht. Und deshalb vll. eher: eine Studie der Erzählökonomie. Und noch dazu witzig, voller optischer Ideen und packend.
großartig –
Kinetische Energie – der Film. Mickey, Goofy und Donald reinigen eine Turmuhr und werden von Zahnrädern und der sich ein ums anderen Mal unter ihnen öffnenden Tiefe, der es zu entkommen gilt, gefangen genommen. Super simpel, super schön.
ok +
Christopher Lee spielt in Yellow Face quasi das Unbehagen mit diesen undurchdringlichen Orientalen-die Figur, darf sich aber dafür eine irrwitzige Ladung an fiktiven chinesischen Sprichwörtern ausdenken. Er und Kinski, der in völliger Auflösung spielt, sowie die ständige Belauerung von verdächtigen Figuren erinnern daran, dass dies ein Edgar Wallace-Film ist. Ansonsten ist er eher sachlich und optisch aufgeräumt, hell ausgeleuchtet und irgendwie nur da. Vll. fehlt aber einfach nur Eddie Arent.
Sonnabend 21.01.
ok
Im Vergleich mit Minellis Version fällt auf, wie selbstbewusst und in sich ruhend diese war. Stattdessen wird hier sehr unentspannt den Lachern und sentimentalen Gefühlen von Verbundenheit mit den Protagonisten hinterhergerannt. Sehr oft wird die Geschichte mit Behauptungen von Vergangenheit vollgestellt, die uns den Leuten und ihrer Liebe zueinander näherbringen soll, aber es ist nur anstrengend. Und erschreckender Weise ist Steve Martin eher Teil des Problems, weil er – anders als Tracy – symptomatisch um Mitgefühl und Lacher bettelt. (Zumindest als Straight Man für Martin Short taugt er.) Auf jeden Fall ein schöner Film, um Minellis Können nachzuvollziehen.
Freitag 20.01.
ok +
Der etwas biedere Nachklapp, der das Thema des Kampfes zwischen den Eltern des Brautpaares um mehr Einfluss behandelt, des gegenseitigen Neids und des Erweichens eines Grantlers. In der Regel wird dabei wiederholt und ausbaut, was schon im Vorgänger nur der nette Teil war, und das wird weggelassen, was eben toll an diesem war.
ok
UND TÄGLICH GRÜSST DAS MURMELTIER trifft TWELVE MONKEYS. Mir macht es zumindest sehr viel Spaß Jake Gyllenhaals bei seinen vielen (Schauspiel-)Ticks zuzusehen.
Donnerstag 19.01.
verstrahlt +
Einen der enthaltenen Filme mag ich sehr und der Rest scheitert mindestens sehr ansehnlich. BABYLON – eine erfreuliche Tortur. Mehr dazu bei critic.de.
Im dortigen Text werden qualvolle Retakes unter qualvollen Bedingungen erwähnt. Eine der wenigen wirklich überzeugenden Entscheidungen, die Chazelle trifft, ist der Verzicht auf eine Montage von aberwitzig vielen Retakes – durch das Schlagen der Klappe rhythmisiert. Stattdessen sind es nur wenige Versuche, die ungefähr in Echtzeit gezeigt werden. Das es vll. nur acht Versuche braucht, macht spürbar wie schnell und wie sehr die Nerven blank liegen. Es macht spürbar, wie nachdrücklich die Selbstverständlichkeit und die Lust, sich auszuprobieren, verloren gegangen ist. Leistungsdruck scheint erstmals Einzug gehalten zu haben. Und die niedrige Anzahl der Takes verhindert schlicht, dass der Film sich zu sehr mit der Erzählung dieses Sündenfalls durch den Ton verbrüdert. Die Probleme sind so vor allem auch selbstgemacht.
Dienstag 17.01.
gut +
Ein Vater (Spencer Tracy) verliert seine Identität als Vater und Nummer 1 im Leben seiner Tochter (Elizabeth Taylor), als diese heiratet: FATHER OF THE BRIDE ist eine Protositcom, die sicherlich auf Lacher aus ist, aber dem Vater seine Würde und seinen Schmerz lässt, die eine tolle Alptraumsequenz ihr Eigen nennt und die die 50er Jahre und ihre Wertvorstellungen in a nutshell vorführt … bzw. ein Film, der seinen sehr trinkfreudigen Figuren jede Ausrede lässt, um immer wieder und immer wieder zum Glas zu greifen.
Montag 16.01.
ok –
Eine junge Frau (Lara-Joy Körner) wird in einem Fort zum Engel stilisiert. Sobald sie auftaucht, wird von alten, staunenden Männern, die ganz wuschig werden, weil es die Unschuld noch gibt. betont, dass sie aufrichtig ist, herzlich, mitfühlend, rein und im Grunde nicht von dieser Welt. Und all das wird lediglich unternommen, um sie dann schänden zu lassen und die Frage in den Raum zu stellen, ob ein Vergewaltiger eines solchen Engels nicht vll. den Tod verdient hat. Doch als Derrick vor dieser Frage steht, flieht die Folge ins Ende. Und wir bleiben mit einer Episode zurück, die zumindest im Wechsel aus ihren drei Örtlichkeiten – ein (erstaunlich expliziten) Stripclub, eine Armenküche und eine weltenthobene Villa, die diesem anderen Dreck entfliehen will – eine ästhetische wie inhaltliche Spannung sowie einen schönen moralischen Twist erhält und in der Derrick den Täter einfach mal ohne jeglichen Grund anruft und in die Episode holt, die ansonsten aber nur schwerfälliger Aufbau für eine Bildzeitungsschlagzeile ist.
Sonntag 15.01.
großartig –
Es könnte hier einiges über weiße Augen, Nebel, Totenkopfzigarettenhalter, sehr behaarte Hände, einen schwächelnden Eddie Arent und das Stilprägende für die Reihe stehen, aber es reicht auch Kamil M.s Einschätzung auf letterboxd: The real London never quite lived up to Vohrer’s perverse reimagination. Pure cinema.
Sonnabend 14.01.
gut –
Mein Lieblingsmoment war, als – wenige Minuten nachdem ich Sabrina Z. sagte, dass mich das so sehr an HOME ALONE erinnert, dass ich nur darauf warte, dass sich jemand an einem Türknauf die Hand verbrennt – sich jemand an einem Türknauf die Hand verbrannte. Mitunter ist DON’T BREATHE auch richtig schön anzusehen, wenn er beispielswiese im Orange eines Sandsturms endet oder weil er allgemein mit faszinierenden Antagonisten aufwartet – optisch wie moralisch. Meist ist er aber etwas arg ernst dafür, dass er ZATOICHI STIRBT LANGSAM ALLEIN ZU HAUS ist, und schlägt zeitweise arg öde Erklärbärwege ein.
Freitag 13.01.
großartig –
Zatoichi muss mal wieder auf ein Kind aufpassen, Yakuza fallen in ein ruhiges Dorf ein, beim Würfelspiel wird betrogen, und und und: ZATOICHI AT LARGE ist sichtlich der 23. Teil einer Filmreihe, die von Beginn an kaum große Ambitionen zeigte, Neues zu erzählen. Doch Mori umarmt es und macht seinen Film zu einer Art Best-of, das ironischer Weise da glänzt, wo Neuland betreten wird. Wenn ein Kind Zatoichi damit konfrontiert, wer er ist, ein Mörder. Wenn der Endkampf Zatoichi aus der Hölle aufsteigen lässt. Wenn der Kampf mit dem Samurai eine äußerst pointierte Coda darstellt. Zudem ist die Musik toll, es werden Scherze mit Urin gemacht und überhaupt wird der parallel ansteigenden Welle der Pinkus et al Tribut gezollt. Ein alter Wein in einem neuen Schlauch also … und das im besten Sinn des Wortes.
ok
Dass die Vergangenheit nicht abgeschüttelt ist und archaisches Gedankengut in der Moderne steckt, wird hier zum Horrorfilm. Einen netten, sauberen Film über Vergewaltigung und Sklaverei, der kaum mehr macht, als seine interessante Idee in nette, saubere, nicht aufwühlende Bilder von Hilflosigkeit, Rebellion und eine hoffnungsvolle Arglosigkeit zu packen. Die Idee ist sicherlich nicht schlecht. Nach dem Film erzählte ich Sabrina Z., dass das eben Gesehene auf einer wahren Geschichte basieren würde … und sie glaubte es so bereitwillig, wie sich mir der Gedanke dieser Behauptung gekommen war. Als ich Antebellum daraufhin googlete, weil ich mir nicht mehr sicher war, ob es vor dem Krieg oder auf in den Krieg hieß, war die erste Frage in den FAQs, ob der Film auf wahren Begebenheiten beruhe. Es ist erschreckend wie leicht es zu glauben ist. …und wie kuschelig mit dieser erschreckenden Vorstellung umgegangen wird.
Donnerstag 12.01.
gut +
Der Aufhänger – drei jugendliche Einbrecher stecken mit einem blinden Psychopathen im Haus fest und müssen sich teilweise in den selben Räumen vor ihm verstecken – und die Sensibilitäten von Fede Álvarez – am wohlsten fühlt er sich sichtlich, wenn Kugeln durch Schädel schnellen oder wenn Fäuste in Gesichter und Füße gegen Körper krachen – stehen sich ein wenig im Weg. Weshalb DON’T BREATHE, bei all seinen sichtlichen Qualitäten, ein wenig in der Luft hängt … zwischen Ruhe und Übersicht sowie lustvollem Gore. Beides kommt nicht wirklich zu sich und lässt immer im Raum stehen, dass das durchaus noch einen Tick atmosphärischer oder krasser hätte sein können.
Mittwoch 11.01.
gut +
Eine Vorform von EINE LEICHE ZUM DESSERT. Zehn Krimikarikaturen – jeder ist für sich exzentrisch, grell und natürlich verdächtig – sitzen in einem Schloss fest und töten sich wegen eines Erbes einer nach dem anderen. Und eigentlich stört nur die etwas bemühte Farce des Drehbuchs Vohrers brillanten Horrorschangel.
Dienstag 10.01.
gut
Aufrichtiges, unschuldiges junges Mädchen schmilzt das Herz des Psychopathen: es könnte eine sehr biedere Folge sein, wäre da nicht Christoph Bantzers Ultrakunst, der die künstliche Sprache Herbert Reineckers zu seiner Waffe macht und in die Performance eines in einer Edgar Allen Poe artigen Zwischenwelt gefangenen Mannes inkorporiert. Jeder Satz, jedes Wort ist der Ausdruck eines Wahnes, den jemanden befallen hat, der in seiner gotischen Luxusvilla den Kontakt zur Realität, zu Menschen und seinen Gefühlen verloren hat. Und Horst Tappert macht das einzig Richtige. Er spielt nicht den Onkel Derrick, den er zuletzt immer gibt, sondern einen Wischiwaschi-Ermittler, der in Anbetracht des ihm gegenüberstehenden Wahnsinns einfach nur eine Comicfigur ist.
05.01.-08.01.: 20. außerordentlicher Filmkongress des Hofbauer-Kommandos
Sonntag 08.01.
gut +
Telepathische Zwillinge, die sich ihre Lust- und Nahtoderfahrungen teilen, ein sinisterer Ladenbesitzer, der einem ein fatales Schicksal verkauft, Lampenschirme und verschnörkelte Inneneinrichtung, ein übernatürlicher und vll. doch ganz normaler Stalker, endlose Gassen in einer verlassenen Stadt: VON HAUT ZU HAUT ist ein Auffangbecken von diversen Ideen, hängt ästhetisch dem Prinzip einer stilvollen Leere nach und ist vor allem sehr genügsam. Leider wird er nie mehr so gut wie in dem Moment, wo weiße Zweige und Blätter vor dem pulsieren Rot – die Kopie war eben auch schon arg rot – einer Sexszene vorbeiziehen und einfach nur Schönheit definieren.
gut
Sichtlich eine Verbeugung – in Wort und Bild – vor dem Kino und den eigenen Lieblingen. Und zwangsläufig liegt deshalb auch ein wenig der frühe Jean-Luc Godard in der Luft, mit etwas weniger Schalk und mehr Kunst. Und gerade, wenn sich zu verfestigen scheint, dass der Film vll. etwas zu viel Verehrung und zu viel künstlerisches Gimmick bereithält, da bricht das Ende mit der Sehnsucht nach Nähe und mehr Emotionen emotional über uns herein.
großartig
Etwas mehr Cunnilingus ist zu sehen, ansonsten findet sich hier das Bildmaterial eines ottonormalen Pornos aus der Zeit. Und doch ist etwas anders. Statt einer Geschichte, in denen es schnell zum Sex kommt, baut sich hier etwas auf. Eine Pornodarstellerin (Sharon Thorpe als sie selbst) wird interviewt und nach ihrem Lustgewinn befragt. Und auch wenn der Film, wenn sie ein paar ihrer erotischen Phantasien zum Besten gibt, zu handelsüblichen Sexszenen wechselt, ist SHARON’S ROSEBUD ein Film voller Bedacht. Langsam, ganz langsam arbeitet die knappe Stunde des Films auf ihren Höhepunkt hin. Erst ist es nur Thorpe, die sich streichelt und die zeigt und erklärt, wie sie es mag, später kommt ein Darsteller hinzu, der sie leckt, dann kommen erst die Phantasien und irgendwann ihre Penetration. Es ist eben nicht so, dass gleich die Wallung übernimmt und eine schnelle Befriedung gesucht wird, sondern es Genuss ausgebreitet und genossen wird … und überhaupt ist Sharon Thorpes Stimme der Wahnsinn und der Resonanzkörper, der selbst Karottenaction nicht ins Alberne abgleiten lässt.
fantastisch –
Die Vorstellung von fleischlicher Sünde basiert im Grunde darauf, dass Sex zu Kindern führt und dass Mütter – und vll. das größte Problem: deren Familien – in Folge alleine auf den Verpflichtungen mit dem Nachwuchs sitzen bleiben können. Die Ehe als Lösung dürfte dann zu Besitzansprüchen usw. geführt haben. Ich bin nicht auf dem neusten Stand der Forschung in Sachen Anthropologie, aber es scheint mir durchaus schlüssig.
Als ich dieses fiebrige Melodrama sah, befand ich mich zudem seit Tagen in THE WORLD TURNED UPSIDE DOWN von Christopher Hill. Darin wird nun mehrmals der Gedanke geäußert, dass Sünde (im England des 17. Jahrhunderts im Speziellen, aber auch allgemein) von der entstehenden Klasse der Besitzenden genutzt wurde, um ihr Eigentum zu legitimieren. Grob gesagt, wurde mit dem Sündenfall begründet, dass es bessere und schlechtere (im Sinne von erleuchtete/gerettete und sündige Menschen gab, und dass bessere Menschen in dieser nicht paradiesischen Welt des Leidens eben Land nehmen können oder Produktionsgüter für sich allein beanspruchen. Gedanken eben, die Leute, die in Hütten in Wald, Wiesen und Mooren lebten und die vertrieben werden sollten, erstmal klargemacht werden mussten.
Und wie heute niemand mehr religiöse Argumentationen braucht, um seinen Besitz zu legitimieren, so ist die dem Sex immanente Gefahr des Nachwuchses wohl nicht mehr nötig, um Eifersucht und den Willen nach Besitz eines Lustobjekts zu legitimieren. Vll. träume ich auch nur von paradiesischen Zuständen, wenn ich denke, dass mehrere tausend Jahre Ehe einfach ihre Spuren hinterlassen haben. Aber endlich zum Film:
TROPISCHE SINNLICHKEIT spielt nun in einem tropischen, feuchten, heißen weltlichen Paradies. Strand, Sonne und Palmen lassen den Film hinterhältiger Weise so aussehen, als ob hier nichts weiter gebraucht wird, um glücklich zu sein. Es kommt hinzu, dass Isabel Sarlis Figur mit mehreren Männern und oftmals Sex hat. Die Gefahr, Kinder zu bekommen, besteht aber offenbar nie. Womit es eben auch keinen Grund für Sünde geben dürfte. Und doch ist sie da und herrscht … wie der Hund, der seinen Schwanz jagt.
Die Männer des Films interessieren sich nämlich nicht für die Frau, die sich gerne auszieht und im Meer sich treiben lässt, weil es ihr ein Gefühl von Freiheit schenkt. Nur ihr üppiges Fleisch interessiert sie. Die Männer sind das Feuer, sie ist das Meer … aber eines, das das Feuer speist und selbst verzehrt wird. Sex und Freiheit sind in diesem Fegefeuer männlicher Geilheit und einer entfesselt laufenden Besitzideologie unmöglich zu vereinen, weil Isabel Sarli einen Körper als Sünde darstellt. Einen der keine Folgen mehr braucht, sondern der an sich Frevel geworden ist. Der mächtig ist und deshalb die Männer beunruhigt.
Der Film treibt seine als brennendes Lustmelodram getarnte Studie über die Folgen von christlichen Ideologien aber noch auf die Spitze, wenn er eine Bekehrung von Sarlis Figur integriert. Unter den heißen, zerstörerischen Besitzansprüchen der Männer bricht diese nämlich irgendwann zusammen und möchte mit Gott (auf sich, auf die Lust) verzichten. Aber auch die Religion ist nur eine bittere Fessel, die schlicht nichts nützt. Sie kann verzichten wollen, wie sie möchte, ihr Körper lockt weiter die Männer, die wie monströse Motten erscheinen und Zärtlichkeit als Schwäche missinterpretierten. Die Sünde, der Wahn ist in dieser Welt übermächtig.
Sonnabend 07.01.
fantastisch –
Leider hatte ich kurz vor Schluss die Augen geschlossen und bemerkte gar nicht, dass ich weggenickt war … bis mich ein kollektives Raunen über die Brachialität des Endes weckte. Aber auch das Letzte, was ich sah, war eines wunderbaren Endes würdig: Fürst Metternich (Conrad Veidt) ist alleine im Beratungssaal, während alle Gesandten abwesend sind. Er kann Europa seinen Willen diktieren und dirigiert die leeren, durch sein Amüsement wippenden Sitze um ihn. Die Welt ist Tanz und Kater.
großartig –
Klassenkampf als überfallartiges Ende eines ruhigen, auseinanderlaufenden Coming-of-Age-Films, der lange mehr an Palmenblättern interessiert zu sein scheint, als daran tragischer Liebe, ihre Kinder verheiratende Eltern, Schul-Mobbing und Mobilitätschancen mehr als individuelle, vorbeiziehende Erfahrungen sein zu lassen.
gut +
Ein wenig erinnert es an Kirkegaards PHILOSOPHISCHE BROSAMEN. Eine zurückhaltende, wenig durchsetzungsfähige Lehrerin (Isabelle Huppert) wird vom Blitz getroffen und wird zu einer Mischung aus Superheld und Hexe, die ein Parallelleben führt und nachts glühend durch das Leben ihrer Schüler streift. Wie von Geisterhand verwandelt sie ihre Problem- in Musterschüler und schafft es noch den abgehängtesten Schüler aus dem Banlieue für Wissenschaft statt für Gangsterrap zu begeistern. Gleichzeitig lehrt sie genau diesem Schüler das Nachdenken, indem sie auf Umwege hinweist, auf indirekte Wege etwas zu verstehen, die helfen, wenn es auf direktem Weg nicht geht.
MADAME HYDE ist größtenteils seltsam. Er bleibt völlig opak und möchte keine Zusammenhänge erklären, sondern lässt die Wandel einfach geschehen. Und selbst die Wandel werden nicht moralisch eingeordnet, sondern stehen für sich. Wie Kierkegaard geht es in MADAME HYDE eben darum, dass Dinge indirekt vermittelt werden müssten … während beide – Buch wie Film – ihre Botschaft doch sehr direkt aufsagen. Und vll. ist es das schönste Geschenk von MADAME HYDE: dass wir danach nicht ganz sicher sind können, ob die zuweilen abgestandenen Späße einer Sozialsatire nicht Teil eines auf seiner Metaebene – einem nichts verpflichtet scheinendem Irrens – vorzüglichen Films sind und deshalb doch ganz gut(?).
gut +
24 Stunden-Short Cuts aus der brasilianischen Unterschicht. Auf der einen Seite: kurze thematische Montagen, wo beispielsweise sehr appetitanregend im Essen gefuhrwerkt wird; ein mit dem Unterleib ausgelebtes Lebensgefühl aus Resignation und Trotz; ein leicht ekliges Gelb in der Farbgebung. Auf der anderen Seite: dann eben doch ein wenig typisches Post-PULP-FICTION-Kino.
großartig –
Erste Gehversuche eines verrenteten Maschinenschlossers als Filmregisseur, der ganz scheinbar natürlich die gleichen Entdeckungen macht wie Georges Méliès.
großartig
Der beste, allerbesteste Twist der Filmgeschichte … und auch der Rest ein schöner früher Film eines geborenen Künstlers.
großartig
Hemingway ohne die große Erzählung des Widerstands des aufrechten Mannes gegen ein einem alles abverlangendes Leben, sondern als knapper Freudentaumel über die zwangsläufige Niederlage. Die poetische Liebeserklärung an das Kleine und Unschöne.
großartig +
Außerirdische kommen auf die Erde, um ein paar Kästen Grolsch zu besorgen – für sie ein geheimnisvolles Gesöff, dass sie über das Fernsehsignal der Erde kennenlernten –, und legen dabei – anscheinend ausversehen – die Stromversorgung auf der gesamten Erde lahm. GROLSCH bietet mit dieser Ausgangslage ein weltweites Panorama privater Miniaturen aus lakonischer Akzeptanz bis hysterischer Verzweiflung, was denn nun ohne Strom anzustellen sei. INDEPENDENCE DAY nicht als Panoptikum der Sammlung des menschlichen Widerstands, sondern als idosynkratische Collage der Vereinzelung – entstanden aus einem entrückten Blicks auf die Kulturen der Erde.
großartig
Ein Exorzismus mit dem Teufel. Eine dysfunktionale Familie – der Vater ist ein Duckmäuser, die Mutter eine egozentrische Heuchlerin, die nur interessiert, was ihre Freundinnen denken, der älteste Sohn ein Hallodri, der andere ein neurotischer Dauerturner, die älteste Tochter eine egoistische Traumtänzerin und die jüngste ein verzogenes Balg – erhält Besuch von einem verwandten Waisenmädchen (Marisol) und nach und nach heilt dieses die Familienmitglieder von ihren eindimensionalen, selbstbezogenen Identitäten und macht aus ihnen soziale Lebewesen. Sie tut dies mit einem zuckersüßen Lächeln und Flamenco, den sie irgendwo zwischen naiver Übertreibung und wahnhaftem Angriffskrieg gegen Sinn und Verstand singt und tanzt. Mit grenzenloser guter Laune wird aber nicht nur das Aufeinanderprallen einer psychotronisch-humanistischen Positivität mit diversen Formen eines verlorenen bürgerlichen Snobismus zum Reigen der Weltvergessenheit inszeniert, sondern auch der Schwarze Peter der Mutter zugeschoben. Abschließend ist sie die einzige, die keine Rettung erhält. Das Gramm Garstigkeit in diesem Meer aus Fröhlichkeit färbt es ganz unmerklich schwarz und macht dies noch mehr zur sehr eigenen Erfahrung.
Freitag 06.01.
uff
Eine Kamera umkreist Frauen – als Ausdruck von Schönheit, Verzweiflung, Rebellion/Resignation oder Lust. Kalendersprüchen unterbrechen die Bilder und laden sie inhaltlich auf. Die dazu gespielte Musik reicht von Richard Wagner bis zum improvisierten Orgelgedudel. Es ist in seinen Ansätzen sehr schön, grundlegend aber – gerade in der zweiten Episode – zu lang für seinen hypnotischen Fetischblick auf Weiblichkeit als Prinzip und inviduellen Körper.
gut +
Ein unbesiegbarer Kämpfer (Tamba Tetsurō) ist des Mordens überdrüssig und ertränkt sich selbst. Daraufhin erwacht er in einem selbstherrlichen Fegefeuer bzw. in den Armen von nackten Frauen einer hyperkapitalistischen, antitugendhaften Prostitutionsmafia. Diese Mafia möchte ihn als persönlichen Bodyguard in einem Turf War, wo er weiter heroisch töten soll. Gleichzeitig wollen sie ihn am Vergewaltigen – dem Brechen und Zureiten – von Frauen teilhaben lassen, weshalb er auch noch als tugendhafter Verzichter glänzen darf. Der redliche Mörder der Italo Western und Samuraifilme wird hier auf die Spitze getrieben … mit wunderschönen inszenatorischen Ideen, die leider Ausnahmen bleiben, während Menschenverachtung etwas gefällig vor uns ausgebreitet wird.
großartig +
Der Film stammt aus dem Jahr 1967, dem Jahr des Summers of Love. Es ist die Zeit der Blumenkinder, aber Joe Sarno zeigt uns lieber ihren Gegenpart: in leeren Wohnungen, in kargen Einstellungen, im übergriffigen Lusthaushalt der Männer gefangene Leute – nicht nur Frauen, sondern die Männer selbst –, die nach den eigenen Vorteilen suchen – oder die zu naiv für diese Welt sind – und sich damit in kalte Orgien der Niedertracht befördern. Ein slow burnender Scheiterhaufen kalter, selbstverliebter oder hasserfüllter Blicke.
fantastisch –
Seitdem ich PIERROT LE FOU das letzte Mal sah, ist viel passiert. Die Liebe zu Godard ist abgekühlt und ein bisschen hatte ich Angst, dass mein damals liebster Godard mir nichts mehr geben könnte. Es war dann so, als wäre ich wie auf eine Ex getroffen, deren mich störende Eigenschaften schon überdeutlich waren, während aber auch deutlich zu erkennen war, warum ich einst verliebt war. Vor allem die Kameraarbeit von Raoul Coutard, dessen Bilder von einer sagenhaften sommerlichen Frische sind, war wunder-, wunderschön..
*****
Wobei ich in dem verlinkten Text mehr über mich zu erfahren vermag, als über PIERROT LE FOU selbst. Ich würde es nicht mehr so unterschreiben, aber doch kommt Diverses herüber, was ich immer noch mag.
großartig –
Es gibt süße Tiere und eine symmetrische Struktur der Generationen, die ihr Schicksal wiederholen müssen … oder sich von diesem zu lösen vermögen. Die Erzählgeschwindigkeit ist auch ein wenig dröge – mutmaßlich um abzusichern, dass wir, die Zuschauer, nachvollziehen können. Der immer wieder gezeigte Wildbach mit seinem reißenden Wasser ist schlicht nicht das Element des Films. Das Wilde bleibt ein Ding, dass mehr beschaut als vermittelt wird. WO DER WILDBACH RAUSCHT sorgt ziemlich gründlich für die eigene Zähmung.
Dieser Umstand wird aber auch nur nötig, weil Sex, Wahn und Hass heiß aus den entscheidenden Gegebenheiten und Wendungen des Films glühen. Wenn Andrä Muralt (Walter Richter) beispielsweise trunken mit den Frauen über die Tanzfläche derwischt. Wenn ein ganzer Ort auf den losgeht, der den am wenigsten deutsch klingenden Namen trägt und die am wenigsten gesitteten Sitten hat. Wenn das Drama des Films überhaupt erst zum Melodrama werden kann, weil der romantische Held sich als heißblütiger Schläger offenbart. Der Wildbach rauscht zwar nicht, aber der Film brennt denoch in einer unterdrückten Leidenschaft, die der porträtierten Gesellschaft vll. nicht unähnlich ist.
verstrahlt
In den Gesichtern findet sich der Schlüssel dieses Lehrfilms, in dem Kinder und Pfarrer über die (Notwendigkeit der) Taufe sprechen. Denn so neugierig und aufgeschlossen die Dialoge scheinen, so sehr sehen die Kinder aus, als würden sie mit Pistolen neben der Kamera zum Sprechen gezwungen, und die Erwachsenen, als brächten sie ihre unschuldigen Kinder gegen besseres Wissen zum Schafott. Vll. ist es nur Aufregung und schlechtes Schauspiel, mir schien sich darin aber ein sehr sprechender Abgrund aufzutun.
verstrahlt +
Biggi reißt von zu Hause aus, um Ausschweifungen mit Mann und Frau zu erleben. Sie bringt zwar nur wenige Kilometer hinter sich und doch könnte der Mief, in welchen sie vordringt, dem nur sehr kurz angerissenen Mief ihres Heims kaum diametraler entgegenstehen. Einen Orkan aus Dirty Talk – der Bereich der Grenzerfahrung wird erreicht – und Natursekt wird von ihr ausgelöst und der vom reichen Opa bis zum jungen Lack-und-Leder-Punker einen kleinen Querschnitt der Gesellschaft einfängt. Kurz: Deutschland wird zum sumpfigen Hinterzimmer der sehr eigenen Freude gemacht. Wir bekommen eine Utopie zu sehen.
Faszinierend sind dabei vor allem – neben dem Umstand, dass der lesbische Sex sehr flächendeckend gezeigt wird und dass die Männer nur wenig erotisches Potential besitzen/zu entfachen wissen – die durchweg schlaffen Penisse. Männer sind ziemlich traurige Gestalten in BIGGI, weshalb der Film durchaus als psychotronisches Manifest des Körpersaftfeminismus gelesen werden könnte. Hinzukommt die unansehnliche Mischung aus Pippi-(*Zwinker Zwinker*)-Langstrumpf-Zöpfen und räudiger Vokuhila, welche Biggi den Film über trägt. Um Schönheit geht es dem Film sichtlich nicht.
(großartig –)
Leider plauzten die Türen in meinem Hotel über das gesamte Wochenende spätestens ab 8 Uhr frühs regelmäßig, weshalb mein Schlafdefizit eher zu als abnahm. Beim jeweils ersten und letzten Films der Tage hatte ich folglich mit dem Schlaf zu kämpfen. Bei keinem hat es mich aber so arg erwischt wie bei diesem zu Beginn, in der Mitte und am Ende – wenn ich immer mal wieder wach war – entrückt aussehenden Sexverhinderungsthriller, den ich sehr gerne richtig gesehen hätte.
Donnerstag 05.01.
großartig –
Die ausführlichen Melodramamonologe – dies ist ein Omnibusfilm aus mehreren (zumeist) unabhängigen Kapiteln von Frauen in emotionaler Aufwühlung, die von einer Kamera umkreist (abermals: zumeist) mit der Luft oder einem Telefon reden – sind sichtlich nicht geschrieben, sondern improvisiert. Sie sind folglich nicht geschliffen, sondern bieten viel Raum für Einfalt, grammatikalische Kapriolen und noch mehr Fremdscham evozierende Aussagen. Womit ich mich noch mehr in die Frauen einfühlen konnte, wenn sie einfach vor sich hin erzählen und danach ins Leere starren, weil sie mit Schrecken zu reflektieren beginnen, was sie gerade alles gesagt und getan haben. In der ungeschliffenen Doofheit von GENERATION Z steckt seine treffende, verletzliche Menschlichkeit.
Dazu werden die erzählenden Schauspielerinnen gefilmt, als ob ein Lustgreis mit Handy neben ihnen steht und sie mit einem Handy abtastet – ihnen dabei gnadenlos auf die Pelle rückend. Es wirkt so, weil die Realität der Aufnahmen vielleicht aus einer Perspektive durchaus dem glich. Die vernetzte Welt der sozialen Medien findet darin ein vielleicht gar nicht so verzerrtes Ebenbild, in dem wir von solchen vielleicht sogar manchmal zärtlichen, oft aber auch einfach nur aufdringlichen Blicken verfolgt werden.
fantastisch +
Ein Film über die Liebe und über stete Dualität, i.e. unüberwindliche Widersprüche. Das hell ausgeleuchtete 80er Neon der Fitness-Clubs und das schattige, erdige braun des Dramas. Das Schrille, Witzige, Sexuelle vs. das in sich Gekehrte. Die diversen Suchen nach Perfektion vs. die Blicke der Paranoia und das vergnügte Suhlen im Schmutz. Die klaren Genrestrukturen, die aber nicht ganz aufgehen … denen die klare Auflösung verwehrt wird. Und mehr, viel mehr. Womit PERFECT ein reicher, toller Film ist, der nirgendwo richtig ankommt und sich – im Schönen wie in den Abgründen – treiben lässt.
Mittwoch 04.01.
ok
In manchen Einstellungen und einzelnen Miniaturen aus Schatten und Schrecken ganz schön, im Großen und Ganzen als dauerironische Nichtveranstaltung, die immer und immer wieder betont, dass sie nichts ernst nimmt, dann aber etwas anstrengend.
Montag 02.01.
gut
Astier und Clichy versuchen sich bei ihrem zweiten Film über das gallische Dorf an einer eigenen Geschichte und greifen nicht auf eine Vorlage zurück. Die erste Hälfte zeigt abermals das Händchen für den Humor der (unter der Mitwirkung von Goscinny entstandenen) ASTERIX-Comics, welches schon den Vorgänger auszeichnete. Mit der Zeit geht aber nicht nur der Drive der Geschichte verloren, sondern auch eben dieser Witz. Running Gags aus dem Vorgänger und die Rivalität von Automatix und Verleihnix werden immer wieder aufgegriffen. Symptomatisch ist, dass Asterix zu diesem Zeitpunkt mehr oder weniger seinen Platz im Geschehen verloren hat. Schafften es Goscinny und Uderzo gerade die Running Gangs gezielt in ihre Geschichten einzuweben, da fehlt Astier und Clichy entweder dieses Gespür, weshalb sie diese überstrapazieren, oder sie nutzten diese inflationär, um den Schiffbruch der Geschichte zu übertünchen. So oder so wird es zunehmend eindimensional und dröge, sobald die Geschichte zusammengepackt werden muss und das Drama seinen Höhepunkt erreicht – überhaupt wird in den Filmen nach ASTERIX BEI DEN BRITEN viel zu viel Wert auf Drama gelegt, als würde höchtens die Rettung des Dorfs vor der fast sicheren Auslöschung noch einen Film rechtfertigen. Und gerade weil sie einem soviel Hoffnung machten, ist diese Entwicklung dann doch ziemlich bitter.
Sonntag 01.01.
ok
Leider bergen die wenigen Orchideen, die auch keine Bedeutung für die Handlung haben, kein Rätsel. Und das ist auch schon der größte Aufreger des Films.
ok
In meinem Text auf critic.de sollen zu viele Spoiler stehen. Wurde mir gesagt. Ich verstehe das Konzept nicht ganz, wenn dem aber so sein sollte, tut es mir ein wenig leid.