
Gemeinhin pflegt man heute nicht mehr über den Tod des Führers zu weinen. Und dennoch geht er einem in Stellvertretung ganz nah zu Herzen, wenn man Zeuge wird, wie er sich hier über die Ohren in die Mimik der Menschen schleicht. Der kleine Nanning (Jasper Billerbeck) ist gerade zum Brunnen gegangen, als der Propagandasender im Haus die Nachricht vom furchtlosen Heldentod in Berlin berichtet und rasch von den markerschütternden Verzweiflungsschreien seiner Mutter überlagert wird. Eine ganze Weile lang interessiert sich die Kamera nur für sein Gesicht, auch die filmhandwerkliche Welt dreht sich nicht mehr. Starre Augen und Lippen lassen uns in die Seele sehn – hier bricht das einzige Universum zusammen, das man versteht, in dem man sich zu orientieren gelernt hat. Weiterlesen…

©Albrecht Fuchs
Es gibt eine Anekdote, die ich in der etwas über einen Dekade, die Bernhard Marsch den cinephilen Teil meiner Existenz durchaus sehr entscheidend mitprägte, nun wirklich jedem, der sie nicht hören wollte, immer und immer wieder vorgekaut habe. Vermutlich, weil ich früh den Symbolwert dieses ausgemachten Blödsinns spürte, sie ohne lange Episteln reich an distanzloser Schwärmerei viel preisgab über das, was den Filmclub 813 insbesondere als Ort zwischenmenschlichen Erlebens auszeichnet. Sie verweist ganz zurück auf den Anfang unserer Beziehung zueinander, somit gleichzeitig auf den Beginn meiner cinephilen Sozialisierung. Weiterlesen…

„Neues vom Hexer“, neben Harald Reinls in seiner wundervollen Heimatfilmseligkeit im Grunde viel besser zu dieser Zäsur passendem „Der unheimliche Mönch“ der zweite Film des abschließenden Wallace-Doppelschlags der ersten, der argloseren Hälfte der 60er Jahre, markiert in gleich zweifacher Hinsicht sowohl ein Ende als auch einen Neuanfang. Für die langlebigste Filmreihe der alten Bundesrepublik, jedoch ebenso für Alfred Vohrer, ihren vielbeschäftigsten Regisseur. Waren die Filme ab 1962, beginnend mit Vohrers großem Kassenschlager „Das Gasthaus an der Themse“, bereits graduell weniger vorlagengetreu geworden, ist dieser der erste, dessen Drehbuch sich in Gänze von den Situationen, Grundkonflikten sowie Figurenkonstellationen eines Wallace-Romans löst und stattdessen schlicht seinen Titel von dem der deutschen Übertragung der Kurzgeschichtensammlung „Again the Ringer“ (1929) borgt. Vohrer hingegen, seit seinem Einstand mit dem modernen deutschen Horrorklassiker „Die toten Augen von London“ (1961) stilistisch prägender Impulsgeber der Reihe, wurde mit dem Serienausstand des stets zuverlässigen Regiehandwerkers Franz Josef Gottlieb und des dem ernsthaften make believe amerikanischer Vorbilder ungleich stärker verpflichteten Harald Reinl im vorherigen beziehungsweise selben Jahr über weitere Jahre hinweg beinahe alleinig federführender Auteur. Zwischen 1966 und 1969 hatte allein die britische Ko-Produktion „Das Geheimnis der weißen Nonne“ (1966), einer unter sagenhaften acht Filmen innerhalb dieses neuerlichen Ausstoßhöhepunktes also, einen anderen Regisseur. Weiterlesen…

Wie Menschen ganz wortwörtlich auf Gesagtes blicken, das sagt gemeinhin mehr über sie aus, als das, was nach gedanklicher Verdauung aller Affekte und Impulse aus ihnen selbst hervortönt. Zwei Polizisten, zuvor nur kurz ein wenig gegensätzlich in ihrer Haltung zur Rassenfrage skizziert, kommen auf der Suche nach dem Mörder einer als weiß durchgehenden jungen Musikstudentin in eine schwarze Jazzbar und werden vom gleichsam schwarzen Betreiber eine auf energetisch Tanzende hingewiesen. „That’s a lily skin. You’re chick was a lily skin, wasn’t she?“, meint er; auch sie kann und wird ohne Widerspruch als Weiße gelesen. Zum Glück kennt der lebenskluge Beobachter einen simplen Trick, der jede Verwirrung ohne Zweifel ausräumt: Dem Rhythmus der Bongos könne keine schwarze Frau widerstehen. Diese intensivieren sich prompt auf der Tonspur, eine Totale, Nigel Patricks in progressiver Weltlichkeit abgesicherter Superintendent lässt die Lektion in Rassenkunde an sich abperlen, wendet den Kopf mit verhalten amüsiertem Lächeln vom Gesprächspartner ab, hin zu seinem Begleiter und dem Publikum. (Ein Zeichen – hier sind wir wohl gefragt.) Sein Kollege hingegen dreht leicht versetzt den Kopf in hin zur Theke, wo eine junge Dame sitzt. Zoom auf deren Beine. Ein Übergang, wir befinden uns nun in seinem Kopf, finden seine Wahrheiten bestätigt vor. Sogleich bleibt der bleibt das subjektivierte Kameraauge an den im Takt wippenden Füßen dieser weiteren Frau von ambivalentem Hautton hängen. Pulsierend spitzt sich das Crescendo zu, der mit Nahaufnahmen des hier Schauenden unterfütterte Blick schwenkt entlang der ekstatisch tanzenden Körper im Club – wie kann es da einen Zweifel geben? Weiterlesen…

Auch wir sind für Härte
Auch wir tragen Bärte(Freddy Quinn – Wir)
Viele Emotionen sind hochgekocht im Vorfeld der 70. Oberhausener Kurzfilmtage, als Festivaldirektor Lars Henrik Gass sich kurz nach den Terrorakten des 07. Oktober 2023 unmissverständlich israelsolidarisch positionierte. Genau gelesen nicht einmal übermäßig kontrovers, selbst nach dieser Zäsur nicht von anti-palästinensischem Ressentiment getragen, schlicht humanistisch – ein Aufruf zur Zivilcourage angesichts des Unbegreifbaren, wie er in den meisten anderen Kontexten keinerlei gesondertes Aufsehen erregt hätte, Spöttern womöglich eher als billiger Gratismut gegolten hätte. Boykottaufrufe, zurückgerufene Beiträge, ein Klima des harschen gegenseitigen Misstrauens zwischen ehemals gemeinsam Angereisten, Entfreundungswellen auf Social Media gehörten und gehören bis heute zu den weitreichenden Folgen eines auf knappe Zeilen bemessenen Facebookposts. Die Welt steht Kopf in einem kleinen Teil der großen Welt, der mit den Problemen vor Ort, also im Nahen Osten, bestenfalls entfernt zu tun hat. Weiterlesen…

Ob Rap, ob Pop, ob Rock ’n‘ Roll
Egal, ich find‘ das alles toll
Doch mein Herz, das hängt, das weiß man ja
Am Volkslied, das ist doch klar(Haselnuss, 1989)
1967, plötzlich war er da, der junge Konditor mit der Autorität von 1000 Leben und Meeren in der erst 28-jährigen Stimme. „Kein schöner Land in dieser Zeit“ – Fahrtenlieder, Seemannsglück, Seemannstod, ein bisschen Vergnügliches und wilde Gesellen, vom Sturmwind durchweht. Eines der idiosynkratischsten Debüts der volkstümlichen Musik im zeitlichen Umfeld von Ohnesorg, Sechstagekrieg, Summer of Love und der auch in der Bundesrepublik aufkeimenden Hippiebewegung greift inmitten der immer drängender erscheinenden Gegenwart ganz tief in die kulturelle Schatzkiste der Vergangenheit. Das traditionelle Volkslied als Wiedergänger in den kommerziellen Erwägungen der volkstümlichen Musik, die bündische Jugend, sie marschiert wieder durch die Lande? Für wen? Wilde Gesellen, die hat auch Degenhardt, der zertifizierte Anti-Heino, einmal besungen – mit an die Zeiten angepassten Text von Ernst Busch aus dem spanischen Bürgerkrieg, mit unweigerlich aus einer anderen Zeit gefallenem Text im Jahre 2000. Elektrisch zudem, wie Bob Dylan in Newport ’65. Weiterlesen…

Füße und Hände – zu fragil, um wirklich am Boden verankert zu sein, mit dem Schuhwerk bewaffnet zur letzten Widerstandsgeste emporgereckt. Angela Schanelecs so kryptisch visualisierte wie betitelte filmische Ausflucht von der städtischen Isolation aus „Ich war zuhause, aber…“ (2019) in ein sonnendurchflutetes Griechenland ist derart voll mit diesen Gliedmaßenspitzen, dass man annehmen könnte, es ginge allein um sie. Doch sind sie lediglich kommunikative Wurmfortsätze von Körpern, die kaum einmal ein Wort hervorpressen. Einer in Skizzen, Landschaftsbildern und einem Hauch antiker Mythologie vorgetragenen Handlung geben sie eine verwundbare Tangibilität, die an unseren oberen wie unteren Sohlen ansetzt, über diese in den Körper wandert. Die Einführung bereits verdichtet alles Gewesene zu einer rasch stagnierenden Gegenwart; zu stark für den Geist, genau richtig für das Erleben. Ein junger Mann, Jon (Aliocha Schneider), der als kleiner Waise in den Bergen aufgefunden wurde und mehr durch eine Vorstellung von mythologischer Landschaft denn echte zwischenmenschliche Hingabe in Fleisch geformt scheint, muss für den tragischen Tod eines anderen ins Gefängnis. Jenen komprimierten Ort, der ihm anscheinend grenzenloses Verständnis in den Armen der ähnlich alten, identisch isolierten Wärterin Iro (Agathe Bonitzer) bringt, einer klassisch narrativen Progression jedoch endgültig einen Riegel vorschiebt. Weiterlesen…

Leichtherzig, aber nicht leichtfertig. So könnte man Hüseyin Tabaks Dramödie über ein junges Transmädchen, an dessen Lieblingskleid sich die Erwachsenenwelt weit über diese relative Harmlosigkeit hinaus entzündet, kurz und knapp zusammenfassen. Denn wenn nicht unerhebliche Teile der zeitgenössischen Kritik etwas vergessen haben, dann die Tatsache, dass der Film von Präsentation wie Werbung sogleich einen Salto rückwärts nimmt und die konkrete Ausgangslage gar nicht „Ich bin trans und deshalb ist mein Leben schlimm.“ lautet, sondern: Mein Vater ist alkoholabhängiger Polizist, hat Probleme mit seiner Maskulinität, darüber unsere Familie zerstört und nimmt mich in meiner Selbstfindung nicht ernst. Eine bisweilen bitter humoristische Zuspitzung, welche die aufrichtige Dramatik des Filmes durchweg auf sich treiben lassen wird und den schwarzen Peter sogleich gesellschaftlichen Bildern sowie insbesondere männlichen Wertvorstellungen zuspielt. Und eine sehr alltägliche zudem, vergleicht man sie mit dem übergeordneten Thema, welches in Deutschland nach wie vor wenig echte Erfahrung, dafür umso erbitterter geführte Diskussionen zutage fördert. Aus dieser Diskrepanz zwischen einer deutschen Alltäglichkeit und dem vermeintlich so Aufsehenerregenden heraus sowie ihrer beständigen narrativen Umkehr wie Verzerrung zum jeweils anderen Pol kann Florian David Fitz‘ weitsichtiges Drehbuch frei den Blick über das Wesentliche kreisen lassen, ohne Betroffenen joviale Mitleidigkeit oder übergriffige Pathologisierung mitzugeben. Weiterlesen…

So fangen keine wohligen Träume an: Eine junge Frau tritt an die Waldhütte heran, die ihre Schwester für ein beschwingtes Geburtstagswochenende gemietet hat. Hält einen Moment inne im bildgewordenen Unwohlsein. Um das spitz zulaufende Hüttendreieck liegen in einer Ultraweitwinkelaufnahme kleine Erhöhungen des umgebenden Waldes, die unter ihm und von Seite zu Seite bogenförmig zulaufen. Eine unnatürliche Geometrisierung der Materialität unserer Wirklichkeit, ätherisch, entrückt, märchenhaft – welches durch die Gebrüder Grimm sozialisierte Kind würde dieses Hexenhäuschen betreten wollen? Natürlich ist es ein Fehler – die Schwester hat sich einen Dämonen einverleibt, skalpiert ihr Anhängsel bei lebendigem Leibe und schon spart ein „Was zuvor geschah“ den wohl schlechten Ausgang dieses Märchens aus. Märchen? Ja, richtig gelesen. Diese Talsohle eines gekurvten Bildes, das ist der Bogen zwischen Märchen und Soziorealismus, welchen Lee Cronins den Wald und das Ländliche der Reihe erstmals zu Gunsten der großen Stadt verlassende „Evil Dead“-Fortdenkung spannt. Weiterlesen…